Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten

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Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
SWP-Studie

  Sascha Lohmann / Kirsten Westphal

Unilaterale US-Sanktionen
gegen Petrostaaten
         Die Geopolitisierung des internationalen Ölmarkts

                                                    Stiftung Wissenschaft und Politik
                                                                Deutsches Institut für
                                                 Internationale Politik und Sicherheit

                                                                      SWP-Studie 28
                                                                Dezember 2019, Berlin
Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
Kurzfassung

∎ Auf dem internationalen Ölmarkt nehmen (geo-)politisch motivierte
  Eingriffe zu. Dies zeigt sich gerade auch am Einsatz unilateraler US-
  Sanktionen, mit denen Washington erdölproduzierende Länder direkt
  unter Druck setzen kann. Grundlage dieser Politik sind die Dominanz des
  Dollars in der Weltwirtschaft und die prägende Rolle im Energiemarkt,
  welche die Vereinigten Staaten mittlerweile erlangt haben.
∎ Verdeutlichen lässt sich der US-amerikanische Kurs an drei aktuellen
  Beispielen. Im Fall des Iran dient der Einsatz unilateraler Sanktionen als
  vorrangiges Instrument einer sogenannten Strategie des maximalen
  Drucks. Mit Blick auf Venezuela soll mit diesem Mittel ein Regimewechsel
  befördert werden. Und in Bezug auf Russland könnten verschärfte US-
  Sanktionen bald gravierende Auswirkungen auf die europäische Energie-
  versorgung entfalten.
∎ Offensichtliche geopolitische Risiken werden auf dem Ölmarkt derzeit
  kaum oder nur sehr kurzfristig eingepreist. Es überwiegt die Sorge, dass
  sich die weltweite Konjunktur angesichts der massiven Handelskonflikte
  abschwächen wird.
∎ Die US-Fracking-Industrie hat den Ölmarkt fundamental verändert und
  eigentlich für mehr Wettbewerb gesorgt. Gleichzeitig aber begünstigen
  Washingtons Sanktionen die Politisierung des Marktes und unterminie-
  ren den Primat des Ökonomischen. Auf der systemischen Ebene wird
  so die Fragmentierung des Ölmarkts in Großregionen vorangetrieben
  (»Multipolarisierung«).
∎ Durch die Neukartierung des Ölmarkts schwinden Möglichkeiten für
  multilaterales Handeln. Die Europäische Union droht langfristig an
  Marktmacht zu verlieren und in eine Zuschauerrolle gedrängt zu werden.
∎ Bestehende Instrumente bieten europäischen Unternehmen keinen
  ausreichenden Schutz vor unilateralen US-Sanktionen. Die deutsche und
  europäische Autonomie in der Energieversorgung könnte dadurch auf
  absehbare Zeit empfindlich beeinträchtigt werden.
Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
SWP-Studie

Sascha Lohmann / Kirsten Westphal

Unilaterale US-Sanktionen
gegen Petrostaaten
Die Geopolitisierung des internationalen Ölmarkts

                                                       Stiftung Wissenschaft und Politik
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                                                                         SWP-Studie 28
                                                                   Dezember 2019, Berlin
Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
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ISSN 1611-6372
doi: 10.18449/2019S28
Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
Inhalt

 5   Problemstellung und Empfehlungen

 7   Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
 8   Rechtlicher Rahmen
11   Wandel im Einsatz

23   Folgen für den internationalen Ölmarkt
24   Aktuelle Auswirkungen auf dem Ölmarkt
32   Eine längerfristige Sicht auf den Ölmarkt
41   Vom Paradigma des Marktes zum Primat der Geopolitik

45   Fazit und Ausblick

48   Abkürzungsverzeichnis
Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
Dr. Sascha Lohmann ist Wissenschaftler in der Forschungs-
gruppe Amerika.

Dr. Kirsten Westphal ist Wissenschaftlerin in der Forschungs-
gruppe Globale Fragen.

SWP Berlin
Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
Dezember 2019

4
Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
Problemstellung und Empfehlungen

Unilaterale US-Sanktionen gegen
Petrostaaten. Die Geopolitisierung des
internationalen Ölmarkts

Die Geopolitik bestimmt zunehmend das Geschehen
auf dem internationalen Ölmarkt. Welchen Beitrag
die Vereinigten Staaten dazu leisten und welche
Herausforderungen sich daraus für europäische und
deutsche Politik ergeben, wird in der vorliegenden
Studie anhand des zunehmenden Einsatzes unilatera-
ler US-Sanktionen untersucht. Diese richten sich
anders als in der Vergangenheit direkt gegen Produ-
zenten von Erdöl und ihre Abnehmer. Die dominante
Stellung des Dollars im internationalen Finanzsystem
und die mittlerweile erlangte Energie-Eigenständig-
keit (self-sufficiency) der Vereinigten Staaten als Folge
des Shale-Booms haben der US-Regierung einen
präzedenzlosen Handlungsspielraum eröffnet, um
offensiv unilaterale Sanktionen einzusetzen. Diesen
schöpft die Trump-Administration gegenwärtig weid-
lich aus. Das Interesse Washingtons an multilateraler
Zusammenarbeit und Abstimmung sinkt. Immer
weniger scheint die US-Regierung auch geneigt, ver-
lässlich einen offenen Ölmarkt und freie Seewege zu
garantieren.
   Strukturell trägt der Boom bei der nichtkonventio-
nellen Förderung von sogenanntem Tight-Öl in den
Vereinigten Staaten dazu bei, dass sich die Energie-
pfade der USA und Europas auseinanderentwickeln.
Durch die Fracking-Industrie mit ihren schnellen
Zyklen und der Fähigkeit zur Anpassung an Markt-
entwicklungen haben die Vereinigten Staaten Zugang
zu sicherer, stabiler und preisgünstiger Energie-
versorgung; sie verfügen somit über einen wirksamen
Puffer gegenüber Preisausschlägen und Engpässen.
So ist US-Tight-Öl nach den großen konventionellen
Feldern in den arabischen Golfstaaten die günstigste
neue Ölquelle. Hinzu kommt, dass leichtere und
weniger saure Sorten wie das Tight-Öl der bessere
Ausgangsstoff sind, um die neuen Qualitätsstandards
für Diesel und Benzin zu erzielen.
   Der Aufstieg der Vereinigten Staaten zur bestim-
menden Energiemacht hat die Funktionsweise des
internationalen Ölmarkts von Grund auf verändert.
Die US-Unternehmen konkurrieren mit Wettbewer-
bern aus Russland, Saudi-Arabien und anderen Pro-
duzenten um Marktanteile und benötigen dafür

                                                 SWP Berlin
                Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
                                             Dezember 2019

                                                          5
Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
Problemstellung und Empfehlungen

            Exportmöglichkeiten. Dabei wird die US-Förderung         NOCs gewinnen an Marktanteilen gegenüber west-
            von vielen unterschiedlichen Privatfirmen getragen,      lichen IOCs (International Oil Companies).
            die für einen kompetitiven, nach marktwirtschaftli-          Diese Entwicklung steht deutschem und EU-
            chen Spielregeln funktionierenden Ölmarkt wichtige       Interesse diametral entgegen und unterminiert die
            Stützen sind. So entsteht das Paradox, dass US-Firmen    strategische Autonomie Europas in der Energieversor-
            mit der Tight-Öl-Revolution langfristig zu funktionie-   gung. Denn die europäische Versorgungssicherheit
            renden Marktmechanismen beitragen, aber die Admi-        wird auf mehreren Ebenen empfindlich getroffen.
            nistration in Washington durch politische Aktionen       Auf der Makroebene wachsen geopolitische Unsicher-
            Marktentwicklungen konterkariert. Während auf            heiten, gemeinsame Regeln verschwinden, und das
            dem heimischen US-Markt großer Wettbewerb                komplizierte Dreiecksverhältnis zwischen den Verei-
            herrscht, verringert sie auf dem internationalen Öl-     nigten Staaten, Russland und Saudi-Arabien bestimmt
            markt das Angebot und die Zahl der Anbieter durch        das Auf und Ab im Ölmarkt. Während NOCs vom
            wachsende politische Intervention. Im Gassektor, auf     Rückgriff auf staatliche Ressourcen profitieren, muss
            dem die Vereinigten Staaten die Entwicklung eines        Europa für sich Energieautonomie erst neu definie-
            globalen LNG-Marktes vorangetrieben haben, gibt es       ren. Dabei wird die Nachjustierung europäischer
            vergleichbare Tendenzen. In der Folge beeinflusst        Energiepolitik dadurch erschwert, dass der Einfluss
            der Einsatz unilateraler Sanktionen zunehmend die        der EU auf die Entwicklungen zunehmend schwindet,
            Marktstruktur und damit auch die Verfügbarkeit von       während sie auf funktionierende Märkte angewiesen
            Erdöl.                                                   ist. Da taktische und transaktionale Dynamiken sich
               Der offensive Einsatz unilateraler US-Sanktionen      verstärken, werden die Regeln eines »level playing
            trägt ferner zur Legitimierung (neo-)merkantilis-        fields« und des freien Marktes unterminiert. Die
            tischer Strategien und Kooperationsmuster bei und        Unwägbarkeiten nehmen zu. Auch energiepolitisch
            befördert somit eine fortschreitende Desintegration      nimmt der Zusammenhalt des »Westens« rapide ab,
            des internationalen Ölmarkts. Während die US-            was die Vulnerabilität Europas erhöht. Im Zusam-
            Regierungen der letzten Jahrzehnte maßgeblich dafür      menspiel mit einer sinkenden Nachfrage könnte
            eintraten, auf dem Ölmarkt mehr Wettbewerb zu            Europas relative Marktmacht in der neuen multipola-
            schaffen, treibt die Trump-Administration die Politi-    ren, zunehmend fragmentierten Ölwelt schwinden
            sierung der Energiemärkte nunmehr entscheidend           und die europäische Versorgungssicherheit beim Öl
            voran. Als Folge droht die Fragmentierung des Öl-        in zusätzliche Abhängigkeiten geraten.
            markts in einzelne Großregionen und mithin eine          Auch wenn die Vereinigten Staaten als langfristiger
            »Multipolarisierung«. Die massive Verlagerung der        Partner ausfallen, bleibt es für die Versorgungssi-
            Nachfrage nach Öl in den asiatisch-pazifischen Raum      cherheit beim Erdöl unerlässlich, dass die EU wei-
            und die »Öl-Eigenständigkeit« der Amerikas rücken        terhin für funktionierende Märkte und einen größt-
            Europa stärker an die Semi-Peripherie dieser neuen       möglichen Handlungsspielraum europäischer Unter-
            »Ölgroßregionen«.                                        nehmen eintritt. Zu diesem Zweck sind zunächst
               Die disruptive Wirkung des Einsatzes unilateraler     multilaterale Initiativen der G7/G8 und G20 für mehr
            US-Sanktionen höhlt schließlich den Primat des           Transparenz wichtig. Angesichts der starken Unwäg-
            freien Handels auf dem internationalen Ölmarkt aus.      barkeiten auf dem internationalen Ölmarkt könnte
            Denn europäische Unternehmen schrecken ange-             ein beschleunigter Umbau des Energiesystems einen
            sichts der durch US-Sanktionen geschaffenen Grau-        wichtigen Beitrag zu mehr Energiesicherheit leisten.
            zonen vor Neuinvestitionen zurück oder ziehen von        Weitere Schritte lägen in einer konsequenten An-
            betroffenen Märkten ab. Davon profitieren wiederum       wendung von europäischem Wettbewerbsrecht im
            vor allem die (halb-)staatlichen Ölkonzerne aus Petro-   Energiesektor oder der Gründung staatlicher Öl-
            staaten (National Oil Companies, NOC), aber auch         gesellschaften nach dem Vorbild Japans und Süd-
            jene aus China, Indien oder Malaysia. Diese Staats-      koreas. Um europäische Unternehmen wirksam
            firmen engagieren sich verstärkt auch jenseits der       gegen unilaterale US-Sanktionen zu schützen,
            Förderung von Erdöl und sind entlang der gesamten        empfiehlt sich – neben der Stärkung des Euro als
            Wertschöpfungskette aktiv – wie bei Transport,           internationalem Zahlungsmittel im Energiehandel –
            Weiterverarbeitung und Vertrieb. Dadurch wird der
                                                                     auch die Anfechtung der Sanktionen per Klage-
            Einfluss staatlicher Unternehmen in den betroffenen
                                                                     verfahren vor US-Gerichten.
            Volkswirtschaften tendenziell konsolidiert, und die

            SWP Berlin
            Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
            Dezember 2019

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Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten

Unilaterale US-Sanktionen
gegen Petrostaaten

Unter den natürlichen Rohstoffen ist Öl von größter              den liberalen Wirtschaftstheorie lange Zeit in den
strategischer Bedeutung. Aufgrund seiner flexiblen               Schatten gestellt, ist das merkantilistische Denken in
und vielseitigen Einsatzmöglichkeiten ist es noch                der politischen Praxis jüngst wieder stärker hervor-
immer die wichtigste Energiequelle der Welt, vor                 getreten.5
allem im Güter- und Personentransport, aber auch als                Anders als in der Vergangenheit theoretisiert und
Grundstoff für die Plastikherstellung und die chemi-             praktiziert, werden Wirtschaftssanktionen in Form
sche Industrie. Öl hat sich als »ein unentbehrlicher             von Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen bei Erdöl
Treibstoff für die arbeitsteilige Welt(verkehrs-)wirt-           nicht mehr ausschließlich von Produzenten gegen-
schaft«1 erwiesen, der die Integration von Ländern               über Konsumenten oder umgekehrt verhängt.6 Neuer-
und Regionen in die Weltwirtschaft prägte und mit-               dings ist die US-Regierung in der Lage, unilaterale
hin deren Globalisierung beförderte. Die angestrebte             Sanktionen gegen Produzenten und deren Abnehmer
Transformation der Energiesysteme weltweit hat                   einzusetzen, ohne dabei die eigenen Einfuhren oder
daran bisher kaum etwas geändert. Gleichzeitig war               Ausfuhren von Erdöl beschränken zu müssen.7 Ins-
Öl immer auch ein Faktor von Macht- und Gegen-                   besondere auf sogenannte Petrostaaten8 lässt sich so
machtbildung, der die zyklische Ausbildung von                   weitaus wirksamer Druck ausüben als mit einem
Hegemonialsystemen und (Semi-)Peripherien mit-
bestimmt hat.2                                                     teenth and Eighteenth Centuries«, in: World Politics,
    Die Manipulation von Angebot und Nachfrage bei                 1 (1948) 1, S. 1–29 (10).
Erdöl in Form von Ein- und Ausfuhrbeschränkungen                   5 An prominenter Stelle etwa durch Peter Navarro, Wirt-
durch Produzenten oder Konsumenten – im politi-                    schaftsberater und Direktor des Office of Trade and Manufac-
schen und wissenschaftlichen Diskurs oft mit dem                   turing Policy im Weißen Haus. Vgl. dessen Vortrag »Ricardo
analytisch eher unscharfen Begriff der »Ölwaffe« be-               Is Dead. Long Live Fair, Balanced, and Reciprocal Trade«, ge-
zeichnet – kann eine durchschlagende Wirkung                       halten am Institute of Politics der Harvard Kennedy School,
hervorrufen, mit der sich eine Reihe politischer Ziel-             25.4.2019, . Im Gegensatz zur
                                                                   außenpolitischen Praxis scheint die intellektuelle Vorherr-
staatlicher Außenpolitik wurde ein solcher Einsatz
                                                                   schaft der liberalen Wirtschaftstheorie weiterhin nahezu
von Wirtschaftssanktionen erstmals von der merkan-
                                                                   unangefochten.
tilischen Denkschule des 17. und 18. Jahrhunderts
                                                                   6 Vgl. Hanns W. Maull, Ölmacht. Ursachen, Perspektiven,
systematisiert.4 Von der auf freiem Handel gründen-                Grenzen, Köln 1975.
                                                                   7 Dieser Einsatz richtet sich auch gegen relevante Dritte,
                                                                   die Dienstleistungen bereitstellen, um Erdöl aufsuchen,
  1 Lutz Zündorf, Das Weltsystem des Erdöls. Entstehungszusam-     fördern, erwerben oder transportieren zu können. Thijs Van
  menhang, Funktionsweise, Wandlungstendenzen, Wiesbaden 2008,     de Graaf, »The ›Oil Weapon‹ Reversed? Sanctions against
  S. 100.                                                          Iran and U.S.-EU Structural Power«, in: Middle East Policy,
  2 Ebd.                                                           20 (2013) 3, S. 145–163 (154).
  3 Robert L. Paarlberg, »Food, Oil, and Coercive Resource         8 Dieser Begriff bezeichnet Staaten, deren Haupteinnahme-
  Power«, in: International Security, 3 (1978) 2, S. 3–19.         quelle sich maßgeblich aus dem Export von Erdöl und den
  4 Deren zentrale Prämisse lautete, dass die Vermehrung           daraus erzielten Erlösen speist. Vgl. Friedemann Müller,
  wirtschaftlichen Wohlstands kein Ziel an sich sei, sondern       »Petrostaaten in der internationalen Politik«, in: Enno Harks/
  ein Mittel zur Ausübung von Macht. Jacob Viner, »Power           Friedemann Müller (Hg.), Petrostaaten. Außenpolitik im Zeichen
  versus Plenty as Objectives of Foreign Policy in the Seven-      von Öl, Baden-Baden 2007, S. 11–17.

                                                                                                                    SWP Berlin
                                                                                   Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
                                                                                                                Dezember 2019

                                                                                                                                    7
Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten

             klassischen Embargo oder Boykott. Diese Anwen-                      von Erdöl und anderen Gütern zu beschränken, hat
             dungsart ist in der einschlägigen Literatur, die von                der Kongress seine verfassungsmäßige Kompetenz
             einer tendenziell geringeren Wirksamkeit eines uni-                 zur Regelung des Außenwirtschaftsverkehrs teilweise
             lateralen gegenüber einem multilateralen Sanktions-                 an den Präsidenten delegiert.11 Paragraph 232(b) des
             einsatz ausgeht, bislang kaum erforscht.9                           Trade Expansion Act of 1962 ermächtigt das Bureau of
                                                                                 Industry and Security (BIS) im US-Handelsministe-
                                                                                 rium – auf Initiative der US-Regierung oder privater
             Rechtlicher Rahmen                                                  Betroffener und in enger Abstimmung mit anderen
                                                                                 Bundesbehörden –, eine mögliche Gefährdung der
             In der US-amerikanischen Außen- und Sicherheits-                    nationalen Sicherheit durch ausländische Einfuhren
             politik erfolgte der Einsatz unilateraler Wirtschafts-              aller Art festzustellen und dem Präsidenten mögliche
             sanktionen in Form von Beschränkungen bei der Aus-                  Gegenmaßnahmen zu empfehlen, wie Mengen-
             und Einfuhr von Erdöl traditionell auf zwei unter-                  kontingente, Gebühren, Zölle und Einfuhrverbote.12
             schiedliche Arten. Erstens untersagte die US-Regie-                    Unter Umgehung des relativ langwierigen Verfah-
             rung die Ausfuhr an ausgewählte Konsumenten ent-                    rens gemäß Paragraph 232 des Trade Expansion Act of
             weder vollständig oder teilweise (Embargo). 1975                    1962 kann der Präsident zudem auf den International
             hatte es der Kongress mit dem Energy Policy and Conser-             Emergency Economic Powers Act of 1977 (IEEPA) zurück-
             vation Act of 1975 (EPCA) für den Zeitraum bis 2015                 greifen. Unter dem IEEPA hat der Kongress seine
             generell untersagt, Erdöl ohne vorherige Genehmi-                   Kompetenz, den Außenwirtschaftsverkehr zu regeln,
             gung durch das US-Handelsministerium zu exportie-                   für den Fall eines nationalen Notstands nahezu voll-
             ren. Zuletzt spielten selektive Beschränkungen der                  ständig an den Präsidenten übertragen.13 Dieser kann
             Ausfuhr von Erdöl und Erdölerzeugnissen an einzelne                 es natürlichen und juristischen US-Personen sodann
             Abnehmer keine herausgehobene Rolle.10 Im Rahmen                    unter Strafandrohung verbieten, Geschäfte mit aus-
             der allgemeinen Exportkontrolle wurde zudem die                     ländischen natürlichen oder juristischen Personen
             Ausfuhr von Gütern, Technologien und Dienstleis-                    zu tätigen, die vom Office of Foreign Assets Control
             tungen beschränkt, die bei Aufsuchung, Förderung,                   (OFAC) im US-Finanzministerium auf der Liste Special-
             Veredelung und Transport von Öl eingesetzt werden                   ly Designated Nationals (SDN) and Blocked Persons geführt
             können. Schließlich implementierte die US-Regierung                 werden. Seit 2014 erstreckt sich dieses Transaktions-
             auch die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
             mandatierten multilateralen Sanktionen, die den Ex-                   11 Jeffrey P. Bialos, »Oil Imports and National Security:
             port veredelter Mineralölerzeugnisse wie Treibstoff                   The Legal and Policy Framework for Ensuring United States
             an einzelne Mitgliedstaaten untersagten. Dies betraf                  Access to Strategic Resources«, in: University of Pennsylvania
             unter anderem die damalige Republik Rhodesien von                     Journal of International Business Law, 11 (1989) 2, S. 235–300.
             Januar 1967 bis Dezember 1979 sowie Nordkorea ab                      12 Zwischen Oktober 1962 und April 2019 untersuchte das
             September 2017.                                                       US-Handelsministerium insgesamt 31 Fälle; elf Mal stellte es
                Zweitens beschränkte die US-Regierung die Einfuhr                  dabei eine Gefährdung der nationalen Sicherheitsinteressen
                                                                                   durch die betreffenden Einfuhren fest. Davon ging es in acht
             von Erdöl und Erdölerzeugnissen. Dies geschah zu-
                                                                                   Fällen um Erdöl und veredelte Mineralölerzeugnisse. In
             nächst umfassend per Quote, später selektiv für
                                                                                   fünf dieser acht Fälle wurde der Präsident aktiv. Dreimal
             bestimmte Herkunftsländer (Boykott). Um die Einfuhr
                                                                                   verfügte er lediglich Genehmigungs- und Einfuhrgebühren.
                                                                                   Im November 1979 und März 1982 verhängte er jeweils ein
                 9 Exemplarisch und mit empirischem Fokus auf Erdöl                vollständiges Einfuhrverbot für iranisches und libysches
                 siehe Michael E. Canes, »Country Impacts of Multilateral Oil      Erdöl. Das zweite und bis heute bestehende Einfuhrverbot
                 Sanctions«, in: Contemporary Economic Policy, 18 (2000) 2,        für iranisches Erdöl trat im Oktober 1987 in Kraft. Es geht
                 S. 135–144; Itay Fischendler/Lior Herman/Nir Maoz,                zurück auf Paragraph 505 des International Security and
                 »The Political Economy of Energy Sanctions: Insights from         Development Cooperation Act of 1985. Siehe Rachel F. Fefer/
                 a Global Outlook 1938–2017«, in: Energy Science & Social          Keigh E. Hammond/Vivian C. Jones/Brandon J. Murrill/
                 Research, 34 (2017), S. 62–71.                                    Michaela D. Platzer/Brock R. Williams, Section 232 Investiga-
                 10 Phillip Brown/Robert Pirog/Adam Vann/Ian F. Fergusson/         tions: Overview and Issues for Congress, Washington, D.C.: CRS,
                 Michael Ratner/Jonathan L. Ramseur, U.S. Crude Oil Export         2.4.2019, S. 3.
                 Policy: Background and Considerations, Washington, D.C.: Con-     13 Stephanie Zable, »What Comes after Tariffs: An
                 gressional Research Service (CRS), 31.12.2014 (CRS Report         IEEPA Primer«, in: Lawfare Blog, 19.7.2018, .

             SWP Berlin
             Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
             Dezember 2019

             8
Rechtlicher Rahmen

verbot auch auf Unternehmen, Einrichtungen und                        iranischen Energiesektor ab einer Höhe von 20 Millio-
Organisationen, die sich zu 50 oder mehr Prozent                      nen Dollar pro Jahr tätigen, dem Land Benzin liefern,
unter der Kontrolle oder im Besitz von als SDN gelis-                 Güter und Dienstleistungen zur Förderung von Erdöl
teten natürlichen oder juristischen Personen befin-                   bereitstellen sowie iranisches Erdöl transportieren
den. Darüber hinaus wird das unter US-Jurisdiktion                    oder solche Lieferungen versichern.
befindliche Vermögen dieser sogenannten SDNs                             Nach Feststellung eines Verstoßes muss der Präsi-
blockiert.                                                            dent mindestens fünf Maßnahmen aus einem Menü
   Jeder Präsident seit der Amtszeit Jimmy Carters                    von insgesamt 12 Handels- und Finanzbeschränkun-
(1977–1981) hat durch vorherige Ausrufung eines                       gen auswählen, die allesamt zum (Teil-)Ausschluss
nationalen Notstands den IEEPA aktiviert, um Ein-                     vom US-Markt führen. Diese Beschränkungen werden
und Ausfuhren von Gütern und (Finanz-)Dienstleis-                     dann ausschließlich an US-Personen umgesetzt, die
tungen selektiv oder umfänglich einzuschränken.                       mit jenen ausländischen Personen, die unter dem ISA
Einer der Fälle, in denen davon auch die Einfuhr von                  sanktioniert wurden, im festgelegten Umfang nicht
Erdöl betroffen war, ist der faktische Boykott vene-                  mehr geschäftlich verkehren dürfen.16
zolanischen Erdöls seit Ende Januar 2019. Denn                           Eine solche menü-basierte Anwendung unilateraler
sofern es sich bei den gelisteten Akteuren um system-                 US-Sanktionen hat nach dem 11. September 2001 an
relevante Einzelpersonen oder Unternehmen, Orga-                      Fahrt aufgenommen und betrifft eine wachsende Zahl
nisationen bzw. Einrichtungen handelt, die – wie                      von Aktivitäten. Neu hinzu kamen unter dem Counte-
etwa nationale Ölgesellschaften – eine Monopol-                       ring America’s Adversaries Through Sanctions Act of 2017
stellung in dem betreffenden Land besitzen,14 kommt                   (CAATSA) etwa Investitionen ausländischer Personen
ein solches Transaktionsverbot faktisch einem gene-                   in den Energie- und Rüstungssektor der russischen
rellen Boykott gleich.                                                Volkwirtschaft sowie Rüstungslieferungen oder ande-
                                                                      re Geschäfte, an denen bestimmte, als SDN gelistete
   Schon ein Teilausschluss vom Dollar                                Personen beteiligt sind. Zwar sind Sekundärsanktio-
      kann für ausländische Finanz-                                   nen nicht mit zivil- oder strafrechtlichen Folgen wie
   institutionen ruinöse Folgen haben.                                Bußgeldern oder Freiheitsstrafen verknüpft. Gleich-
                                                                      wohl können Verstöße mitunter drastische wirtschaft-
   Neben diesen sogenannten Primärsanktionen, die                     liche Konsequenzen zeitigen, die denjenigen von
sich ausschließlich an natürliche und juristische US-                 Primärsanktionen ähneln – wie etwa ein Blockieren
Personen richten, tritt verstärkt auch der Einsatz so-                von unter US-Jurisdiktion befindlichem Vermögen.
genannter Sekundärsanktionen. Sie zielen auf auslän-                  Zudem droht insbesondere ausländischen Finanz-
dische natürliche und juristische Personen, die der                   institutionen der Verlust ihrer bei US-Banken geführ-
US-Jurisdiktion – trotz expansiver Auslegung von                      ten Korrespondenzkonten. Bereits ein Teilausschluss
deren Reichweite – nicht unterliegen. Mit Blick auf                   vom Dollar kann potentiell ruinöse Folgen haben.
den Energiebereich begann diese Entwicklung im                           Während die US-Regierung die Ein- und Ausfuhr
August 1996, als eine überparteiliche Mehrheit im                     von Erdöl durch Primär- und Sekundärsanktionen
Kongress gegen den Willen der damaligen Clinton-                      beschränkt, lehnt sie ein solches Vorgehen durch
Administration den Iran and Libya Sanctions Act of 1996               andere Regierungen oder internationale Organisatio-
verabschiedete.15 Das 2006 nach Beendigung der                        nen nicht nur konsequent ab, sondern geht seit Ende
Sanktionen gegen Libyen in Iran Sanctions Act (ISA)                   der 1970er Jahre mit Hilfe nationaler Gesetzgebung
umbenannte Gesetz zielt in seiner derzeit gültigen                    auch aktiv dagegen vor. Diese Bemühungen zielen
Fassung auf ausländische natürliche und juristische                   hauptsächlich auf den Boykott der Arabischen Liga
Personen, die unter anderem Investitionen in den                      ab, der sich zunächst gegen die zionistische Bewe-
                                                                      gung im britischen Mandatsgebiet von Palästina und
                                                                      ab 1948 gegen den Staat Israel richtete. Über eigene
  14 Rund 55 Prozent der weltweiten Ölförderung erfolgen              Staatsbürger und Unternehmen hinaus werden dabei
  durch staatliche Ölgesellschaften außerhalb der Vereinigten
  Staaten. Patrick R.P. Heller/David Mihalyi/Morgan D. Bazili-
  an, »Oil’s Power Players«, in: Foreign Policy (online), 5.6.2019,     16 Sascha Lohmann, Zwang zur Zusammenarbeit. Unilaterale
  .           US-Sekundärsanktionen gegen den Iran setzen europäische Akteure
  15 Edward L. Morse, »A New Political Economy of Oil?«,                auch zukünftig unter Druck, Berlin: Stiftung Wissenschaft und
  in: Journal of International Affairs, 53 (1999) 1, S. 1–29 (17f).     Politik, Juni 2015 (SWP-Aktuell 54/2015), S. 3.

                                                                                                                         SWP Berlin
                                                                                        Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
                                                                                                                     Dezember 2019

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Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten

             Abbildung 1

             auch ausländische Regierungen ins Visier genommen,     der Organization of Petroleum Exporting Countries
             deren heimische Firmen mit Israel Handel betreiben.    (OPEC) ihre staatliche Immunität zu entziehen, damit
             Wird dieser sekundäre Boykott befolgt, müssen          Kartellrechtsklagen gegen deren nationale Ölgesell-
             sowohl natürliche als auch juristische US-Personen     schaften vor US-Gerichten möglich werden.17
             damit rechnen, dass ihnen das amerikanische
             Finanzministerium Steuererleichterungen verwehrt.
             Darüber hinaus kann das im BIS angesiedelte Office
             of Antiboycott Compliance hohe Geldbußen erlassen,
             Bundesgerichte können auch Freiheitsstrafen von
             bis zu 20 Jahren verhängen. Der No Oil Producing and     17 Die OPEC, 1960 in Bagdad von den fünf erdölexportie-
             Exporting Cartels Act (NOPEC) wurde erstmals im Juni     renden Staaten Irak, Iran, Kuwait, Saudi-Arabien und Vene-
             2000 in den Kongress eingebracht und seither wieder-     zuela gegründet und fortan in Wien ansässig, war ursprüng-
                                                                      lich eine Reaktion auf das von US-Präsident Dwight D.
             holt vorgelegt, ohne bislang jedoch verabschiedet zu
                                                                      Eisenhower 1959 geschaffene Einfuhrquotenprogramm für
             werden. Mit dem Entwurf drängen einzelne Abgeord-
                                                                      Erdöl. Morse, »A New Political Economy of Oil?« [wie Fn. 15],
             nete und Senatoren darauf, den Mitgliedsländern
                                                                      S. 8–11.

             SWP Berlin
             Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
             Dezember 2019

             10
Wandel im Einsatz

Wandel im Einsatz                                                     Der Einsatz unilateraler Primär- und Sekundär-
                                                                   sanktionen auf dem internationalen Ölmarkt erfolgt
Die US-Regierung setzte unilaterale Wirtschaftssank-               an unterschiedlichen Ansatzpunkten entlang der
tionen in Form von Aus- und Einfuhrbeschränkungen                  gesamten Wertschöpfungskette: von der Aufsuchung
für Erdöl nach Ende des Zweiten Weltkriegs eher                    und Förderung (upstream) über den Transport (mid-
behutsam ein, denn die Vereinigten Staaten waren                   stream) bis hin zu Weiterverarbeitung und Verteilung
abhängig von Importen und mussten Versorgungs-                     an den Endverbraucher (downstream).21 Neben den
lücken sowie Preisvolatilität befürchten. Gegenwärtig              nationalen Ölgesellschaften und ihren jeweiligen
jedoch ist Washington in der komfortablen Lage, mit                Abnehmern gehören auch deren Banken und (Rück-)
Hilfe ökonomischer Sanktionen die Handelsströme                    Versicherer zum Kreis potentieller Ziele. Zusätzlich
von Produzenten weglenken und deren Exportvolu-                    können das Handels- und das Außenministerium in
mina erheblich verringern zu können, ohne einen                    Washington die Exportkontrolle verschärfen, um
weltweiten Versorgungsengpass oder Preisanstieg ge-                Petrostaaten etwaig benötigte militärische und zivil-
wärtigen zu müssen. Dafür sind weder diplomatische                 militärische Güter, Technologien und Dienstleistun-
Mittel nötig, um eine Koalition aus Konsumenten zu                 gen vorzuenthalten.
schmieden und über längere Zeit zusammenzuhalten,                     Neben der Dollardominanz profitiert die US-Regie-
noch muss auf militärische Mittel wie Blockaden                    rung von dem Umstand, dass die Vereinigten Staaten
zur See oder Belagerungen an Land zurückgegriffen                  unlängst wieder die weltweite Spitzenposition bei der
werden.18                                                          Förderung fossiler Energieträger übernommen haben.
                                                                   Zwischen September 2008 und September 2019 hat
  Die US-Sanktionspolitik profitiert von                           sich die heimische Produktion von Erdöl mehr als
   der Spitzenposition des Landes bei                              verdreifacht – von durchschnittlich 4 Millionen auf
  der Förderung fossiler Energieträger.                            12,5 Millionen Barrel pro Tag.22 Die marktgetriebene
                                                                   Förderung unterscheidet die USA von den Produzen-
   Dieser Wandel weg von einem zurückhaltenden,                    tenländern im Nahen und Mittleren Osten. Im Jahr
hin zu einem offensiven Einsatz unilateraler US-                   2019 liegen die Vereinigten Staaten bei der Förder-
Sanktionen gegen Petrostaaten wird maßgeblich von                  menge weltweit an der Spitze.23 Zugleich sank die
der Dominanz des Dollars auf den internationalen                   Einfuhr ausländischen Erdöls auf einen historisch
Finanzmärkten ermöglicht.19 Der starke Gebrauch der                niedrigen Wert; sie betrug 2018 durchschnittlich nur
US-Währung zeigt sich vor allem im Portfolio aus-                  noch 7,8 Millionen Barrel pro Tag.24 Die Nettoimporte
ländischer Zentralbanken, die den Dollar als Reserve-              von Petroleum (Importe minus Exporte allen Erdöls
mittel halten, sowie im internationalen Zahlungs-                  sowie sämtlicher Mineralölerzeugnisse) fielen auf
verkehr privater Wirtschaftsakteure, insbesondere
beim Handel mit Erdöl. Dieser wird als Relikt aus
dem 20. Jahrhundert noch immer überwiegend in der                    Sascha Lohmann, Extraterritoriale US-Sanktionen. Nur US-Gerichte
US-Währung fakturiert. Der weltweite Gebrauch des                    können den weltweiten Vollzug nationalen Rechts wirksam begrenzen,
                                                                     Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Mai 2019 (SWP-
Dollars dient der US-Regierung als hinreichender
                                                                     Aktuell 31/2019), S. 6f.
Anknüpfungstatbestand, um ihre Autorität auch auf
                                                                     21 Llewelyn Hughes/Austin Long, »Is There an Oil Weapon?
natürliche und juristische Personen jenseits der eige-
                                                                     Security Implications of Changes in the Structure of the
nen Landesgrenze auszuweiten.20                                      International Oil Market«, in: International Security, 39 (2015) 3,
                                                                     S. 152–189.
  18 Eine Seeblockade kam im Fall der zunächst unilateralen          22 Energy Information Agency, U.S. Field Production of Crude
  US- und wenig später dann multilateralen VN-Sanktionen             Oil (online), 29.11.2019, .
  satz. Michael R. Gordon, »Bush Orders Navy to Halt All             23 Statista, Top-10-Länder bei der Erdölförderung weltweit
  Shipments of Iraq’s Oil and Almost All Its Imports«, in:           im Jahr 2019 (in Millionen Barrel pro Tag), 3.7.2019,
  New York Times, 13.8.1990.                                         .
  Jäger (Hg.), Die Außenpolitik der USA, Wiesbaden 2017, S. 203–     24 Da US-Raffinerien darauf ausgerichtet sind, das aus
  221 (207f).                                                        Nahost eingeführte schwere Erdöl zu veredeln, wäre ein
  20 Diese ausgreifende Interpretation des völkerrechtlichen         Umstieg auf das selbstproduzierte leichtere Öl mit weitaus
  Nationalitätsprinzips ist jedoch höchst umstritten. Vgl.           höheren Kosten verbunden als eine fortgesetzte Einfuhr.

                                                                                                                      SWP Berlin
                                                                                     Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
                                                                                                                  Dezember 2019

                                                                                                                                     11
Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten

             2,2 Millionen Barrel pro Tag oder rund 11 Prozent des                     stellte er seinen »America First Energy Plan« vor, der
             Gesamtverbrauchs – der niedrigste Anteil seit 1957.25                     darauf zielte, das Land durch die Förderung fossiler
                Nachdem der Kongress das Ausfuhrverbot für Erdöl                       Energieträger unabhängig von Energieimporten
             im Dezember 2015 aufgehoben hat, sind die Exporte                         zu machen. Im August 2019 verkündete Präsident
             von US-amerikanischem Erdöl und Erdgas stark an-                          Trump in einer Rede schließlich das Ende amerika-
             gestiegen.26 2018 exportierten die Vereinigten Staaten                    nischer Abhängigkeit von ausländischen Energie-
             rund 2,2 Millionen Barrel Erdöl pro Tag; Ende des Jah-                    importen. Zur nächsten Aufgabe erklärte er sodann
             res übertraf die Ausfuhr zum ersten Mal seit 1948/52                      das Streben nach »Energiedominanz«31 – ein Ziel,
             wieder die Einfuhr.27 Von dem ebenfalls gestiegenen                       das auch schon in der Nationalen Sicherheitsstrategie
             Export von verflüssigtem Erdgas (Liquefied Natural Gas,                   angelegt war, die seine Administration Ende 2017
             LNG) ging in der ersten Jahreshälfte 2019 rund ein                        veröffentlichte.32
             Drittel nach Europa.28 Mit dem Export von US-ameri-                          Damit einher geht die völlige Abkehr von dem Be-
             kanischem LNG – das Under Secretary of Energy                             mühen, den Erdölverbrauch nachhaltig zu reduzie-
             Mark W. Menezes als »Freiheitsgas« rühmte, Assistant                      ren, ohne das sich Versorgungssicherheit dauerhaft
             Secretary for Fossil Energy Steven Winberg als »Frei-                     wohl kaum erhalten lässt.33 Jenseits der unnachgiebi-
             heitsmolekül«29 – sollen europäische und asiatische                       gen Rhetorik des »America First« spiegelt diese Posi-
             Verbündete nicht nur verlässlich mit Energie ver-                         tion einen unter außenpolitischen Eliten der USA seit
             sorgt, sondern auch aus ihrer Abhängigkeit von geo-                       längerem bestehenden Konsens wider, wonach das
             politischen Gegnern herausgelöst werden.                                  wirkmächtige »Energiearsenal« des Landes aktiv ein-
                Der Wandel vom Nettoimporteur zum Netto-                               gesetzt werden solle, um außenpolitische Ziele zu
             exporteur fossiler Energieträger hat in den Vereinig-                     verfolgen.34 Insbesondere Petrostaaten sind dabei nun
             ten Staaten das neue Bewusstsein geschaffen, nicht                        in den Fokus gerückt.35
             mehr Knappheit fürchten zu müssen, sondern aus
             einer Fülle an Energie schöpfen zu können. Während
             des Präsidentschaftswahlkampfes von 2016 versprach
             Donald Trump, im Falle seines Sieges die Abhängig-
                                                                                         31 »We have real independence. But what we want now is
             keit von ausländischen Energie-Einfuhren zu been-
                                                                                         not independence; we want American energy dominance.
             den.30 Am Tag der Amtsübernahme im Januar 2017                              Dominance.« The White House, »Remarks by President
                                                                                         Trump on American Energy and Manufacturing«, 13.8.2019,
                  25 Rund 43 Prozent der Einfuhren stammen aus Kanada,                   .
                  26 Philip Brown, U.S. Crude Oil Exports to International               32 The White House, National Security Strategy of the United
                  Destinations, Washington, D.C.: CRS, 30.1.2017 (CRS Insight            States, Washington, D.C., Dezember 2017, S. 22,
                  10604).                                                                .
                  Exports, 29.5.2019, .                                           Security in a Global Energy Market, Oxford: Oxford University
                  28 Siehe European Commission, EU-U.S. LNG Trade. U.S.                  Press, 2015, S. 197–204.
                  Liquefied Natural Gas (LNG) Has the Potential to Help Match EU Gas     34 Dieser Begriff stammt aus einem Kommentar, den Leon
                  Needs, 25.7.2019, .                                          Präsident Obama, zusammen mit Stephen Hadley, einst
                  29 Beide Zitate finden sich in United States Department of             Nationaler Sicherheitsberater von Präsident George W. Bush,
                  Energy, »Department of Energy Authorizes Additional LNG                veröffentlichte. Leon E. Panetta/Stephen J. Hadley, »The Oil-
                  Exports from Freeport LNG«, Press Release, 28.5.2019,                  Export Ban Harms National Security«, in: Wall Street Journal,
                  .                       35 Hierbei zeigen sich Parallelen zu Petrostaaten, deren
                  30 »Imagine a world in which our foes, and the oil cartels,            »aggressivere« Außenpolitik vom Ressourcenreichtum
                  can no longer use energy as a weapon.« Zitiert in: »Donald             befördert wird, vermittelt durch innenpolitische Vorausset-
                  Trump’s ›America First‹ Energy Policy Address« [Full Tran-             zungen wie den Regimetyp oder die Verteilung der Einnah-
                  script], People’s Pundit Daily, 27.5.2016, .                 2018, S. 3ff.

             SWP Berlin
             Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
             Dezember 2019

             12
Wandel im Einsatz

Islamische Republik Iran                                         sche Unternehmen gerieten also nicht in die Zwick-
                                                                 mühle, sich zwischen dem iranischen und dem US-
Anfang Mai 2018 kündigte Präsident Trump an, eines               Markt entscheiden zu müssen.
seiner zentralen Wahlversprechen zu erfüllen und                    Aus Sorge, dass Paragraph 1245 des NDAA 2012
den Verpflichtungen nicht mehr nachzukommen, die                 den Preis auf dem internationalen Ölmarkt in die
sein Amtsvorgänger Obama unter dem Atomabkom-                    Höhe treiben könnte, verpflichtete der Kongress die
men mit dem Iran (Joint Comprehensive Plan of Action,            Administration, alle 60 Tage über das weltweite An-
JCPOA) eingegangen war. Die seit Januar 2016 ausge-              gebot von Erdöl und die Auswirkungen eines Rück-
setzten Primär- sowie atombezogenen Sekundärsank-                gangs iranischer Ölexporte zu berichten. Um darüber
tionen traten nachfolgend – in zwei Tranchen im                  hinaus andere nichtintendierte Wirkungen zu dämp-
August und November 2018 – wieder in Kraft. Die                  fen, konnte das US-Außenministerium den Heimat-
zweite Tranche enthielt unter anderem jene Maß-                  ländern ausländischer Finanzinstitutionen jeweils
nahmen, welche auf die gesamte Wertschöpfungs-                   für 180 Tage gültige Significant Reduction Exceptions
kette im Energiesektor abzielen, einschließlich Förde-           (SRE) gewähren. Diese Ausnahmegenehmigungen
rung, Verkauf und Transport iranischen Erdöls. Als               erlaubten es einzelnen Staaten, auch weiterhin irani-
vorrangiges Instrument einer »Strategie des maxima-              sches Erdöl einzuführen. Voraussetzung dafür war
len Drucks« haben die unilateralen US-Sanktionen                 jedoch eine vorherige »signifikante« Reduktion der
der Führung in Teheran massive wirtschaftliche Kos-              Einfuhr iranischen Öls um rund 18 Prozent des ge-
ten auferlegt. Dadurch soll den von Außenminister                zahlten Preises.
Michael Pompeo aufgestellten zwölf Forderungen
nach einem grundlegenden Wandel in der iranischen                       »Maximaler Druck« – die US-
Atom-, Regional- und Innenpolitik der notwendige                     Sanktionen haben Teheran massive
Nachdruck verliehen werden.36                                         wirtschaftliche Kosten auferlegt.
   Seit der Islamischen Revolution 1979 lag der irani-
sche Energiesektor die meiste Zeit im Fadenkreuz                    Aufgrund des Anfang Juli 2012 in Kraft getretenen
unilateraler US-Sanktionen. Den wirkungsvollsten                 EU-Embargos für iranisches Erdöl gewährte das US-
Mechanismus zur Reduzierung iranischer Ölexporte                 Außenministerium den zehn noch verbliebenen euro-
schuf der Kongress Ende 2011, als eine überpartei-               päischen Importeuren ab September 2012 und bis
liche Mehrheit gegen den Willen der Obama-Adminis-               zum Inkrafttreten des JCPOA im Januar 2016 halb-
tration den National Defense Authorization Act for Fiscal        jährlich jeweils SREs.37 Nachdem Japan bereits im Mai
Year 2012 (NDAA 2012) verabschiedete. Dessen Para-               2012 die erste SRE erhalten hatte, folgten im Dezem-
graph 1245(d) ermächtigt den US-Finanzminister,                  ber 2012 China, Indien, Malaysia, Singapur, Sri Lanka,
ausländische Finanzinstitutionen vom Gebrauch des                Südafrika, Südkorea, Taiwan und die Türkei. Durch
Dollars auszuschließen. Konkret können dafür hei-                die Einfuhrreduktionen dieser Länder sanken die
mische Banken angewiesen werden, ihre Korrespon-                 iranischen Ölexporte zwischen Februar 2012 und
denzkonten mit solchen ausländischen Finanzinstitu-              November 2013 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum
tionen zu beschränken oder ganz zu schließen, die                um fast die Hälfte auf rund 1,1 Millionen Barrel pro
»signifikante Finanztransaktionen« unter Beteiligung             Tag. Die aus dem Verkauf erzielten Erlöse, mit denen
der Iranischen Zentralbank oder einer anderen als                ursprünglich fast die Hälfte der iranischen Staats-
SDN gelisteten iranischen Bank tätigen. Auch aus-                ausgaben bestritten wurde, gingen um insgesamt
ländische Zentralbanken, die Zahlungen für den                   rund 40 Milliarden Dollar zurück.38
Erwerb iranischen Öls abwickeln, können demnach                     Ursprünglich sollte durch Paragraph 1245 des
vom Dollar ausgeschlossen werden. Der Passus trat                NDAA 2012 weniger die iranische Ölausfuhr reduziert
Ende Juli 2012 in Kraft, kurz nachdem die EU einen               als vielmehr die Iranische Zentralbank isoliert wer-
Boykott für iranisches Erdöl verhängt hatte. Europäi-            den. Das änderte sich jedoch, nachdem deutlich

  36 United States Department of State, »After the Deal:           37 Dies betraf Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechen-
  A New Iran Strategy«, Remarks by Secretary of State Mike R.      land, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Polen,
  Pompeo at The Heritage Foundation in Washington, D.C.,           Spanien und die Tschechische Republik.
  21.5.2018, .                                                      11.10.2013, Summary.

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                                                                                  Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
                                                                                                               Dezember 2019

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Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten

             geworden war, welche Wirkung dieses Instrument                       Südkorea, Taiwan und die Türkei weiterhin begrenzte
             entfaltete. Ein Jahr später verschärfte der Kongress                 Mengen von insgesamt rund einer Million Barrel pro
             Paragraph 1245 des NDAA 2012, als er den Iran Threat                 Tag einführen (die tatsächlich etwas höher ausfielen).
             Reduction and Syria Human Rights Act of 2012 verab-                  Da Paragraph 1245 des NDAA 2012 zu diesem Zeit-
             schiedete. Dessen Paragraph 504 legte fest, dass inter-              punkt noch nicht ausgesetzt war, flossen entspre-
             nationale Finanzinstitutionen ab Anfang Februar                      chende Zahlungen jedoch weiterhin auf Treuhand-
             2013 in Dollar fakturierte Zahlungen aus dem Öl-                     konten. Der iranischen Führung wurde aber erlaubt,
             geschäft mit dem Iran nur noch auf einem im Hei-                     monatlich eine Summe von rund 700 000 Dollar
             matland geführten Treuhandkonto der jeweils betei-                   daraus zu repatriieren.40
             ligten Bank tätigen durften. Mit dem entsprechenden                     Auch die Trump-Administration setzte Paragraph
             Guthaben konnte die iranische Führung fortan ledig-                  1245 des NDAA 2012 mehrmals aus, als sie die Ver-
             lich humanitäre oder landwirtschaftliche Güter und                   pflichtungen unter dem JCPOA noch einhielt. Dies
             Dienstleistungen in dem jeweiligen Lande erwerben                    geschah dreimal, im Mai und September 2017 sowie
             und damit keine harte Währung mehr repatriieren.                     im Januar 2018. Als Trump dann im Mai 2018 ankün-
                Mit dem Iran Freedom and Counter-Proliferation Act of             digte, alle atombezogenen US-Sekundärsanktionen
             2012, den der Kongress Anfang Januar 2013 als Teil                   wieder einzusetzen, waren von den mehr als 20 Ab-
             des Ausgabenbewilligungsgesetzes für das Verteidi-                   nehmern iranischen Erdöls, die es vor 2011 gegeben
             gungsministerium (NDAA 2013) verabschiedete, zielte                  hatte, nur noch acht übrig. Im Gegensatz zur Praxis
             die US-Regierung – neben der Abwicklung von Zah-                     der Obama-Administration wurde jetzt auch irani-
             lungen aus dem Ölgeschäft unter Beteiligung der                      sches Kondensat erfasst, das bei der Ölproduktion als
             Iranischen Zentralbank – auch auf den Erwerb irani-                  Beiprodukt anfällt und bis dahin hauptsächlich von
             schen Öls. Dessen Absatz 1244 löst zudem Sekundär-                   Südkorea importiert wurde. Nachdem Anfang Novem-
             sanktionen unter anderem gemäß dem ISA aus, so-                      ber 2018 der Paragraph 1245 des NDAA 2012 erneut
             fern ausländische Unternehmen mit Geschäftspart-                     in Kraft getreten war, vergab die Trump-Administra-
             nern aus dem iranischen Schifffahrts- und Energie-                   tion noch einmal SREs an China, Indien, Japan, Süd-
             sektor Handel betreiben. Sekundärsanktionen in Form                  korea, die Türkei, Taiwan, Griechenland und Italien.
             eines Verlustes von Korrespondenzkonten drohen                       Zu diesem Zeitpunkt hatten die drei letztgenannten
             überdies internationalen Finanzinstitutionen, wenn                   Länder ihre Einfuhren bereits eingestellt.41 Im April
             sie Transaktionen abwickeln, bei denen die als SDN                   2019 teilte das US-Außenministerium den verbliebe-
             gelisteten National Iranian Oil Company, National                    nen vier Ländern mit, es werde deren Anfang Mai
             Iranian Tanker Company und Islamic Republic of Iran                  2019 ablaufende SREs kein zweites Mal erneuern, um
             Shipping Lines involviert sind.39                                    die iranischen Erdölexporte gänzlich auszutrock-
                Die Obama-Administration konnte den verschärf-                    nen.42
             ten Paragraphen 1245 des NDAA 2012 nicht einseitig                      Damit hatte sich der damalige Nationale Sicher-
             zurücknehmen, nachdem im Januar 2016 das JCPOA                       heitsberater John Bolton mit seinem konfrontativen
             in Kraft getreten war, sondern ihn lediglich mit Ver-                Kurs, die iranischen Ölexporte auf null zu bringen,
             weis auf das nationale Sicherheitsinteresse alle 120                 gegen verbliebenen Widerstand im US-Außenminis-
             Tage aussetzen. Nur auf diesem Wege war es ohne
             Mitwirkung des Kongresses auch möglich gewesen,
             die unter dem JCPOA eingegangenen Verpflichtungen
             auch tatsächlich umzusetzen. Dadurch entfiel so-                       40 United States Department of State, Office of the Spokes-
             gleich die Notwendigkeit, SREs an die jeweiligen                       person, Guidance Relating to the Provision of Certain Temporary
             Heimatländer der ausländischen Käufer iranischen                       Sanctions Relief in Order to Implement the Joint Plan of Action
             Öls zu vergeben. Unter dem Joint Plan of Action                        Reached on November 24, 2013, Between the P5+1 and the Islamic
             (JPOA), der als Vorgänger des JCPOA seit November                      Republic of Iran, 20.1.2014, .
                                                                                    41 Kenneth Katzman, Iran Oil Sanctions Exceptions Ended,
                                                                                    Washington, D.C.: CRS, 24.4.2019 (CRS Insight),
                  39 United States Department of the Treasury, OFAC Adviso-         .
                  ry to the Maritime Petroleum Shipping Community, 25.3.2019,       42 United States Department of State, »Decision on Im-
                  .                  .

             SWP Berlin
             Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
             Dezember 2019

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Wandel im Einsatz

terium durchgesetzt.43 Bolton sorgte auch dafür, dass             die fortan mit dem Schiff wirtschaftlich in Berührung
die Sanktionen flächendeckend umgesetzt und offen-                kommen würden, mit unilateralen Sanktionen,46 und
kundige Verstöße geahndet wurden.44 Während                       ein Bundesgericht in Washington D.C. ordnete dessen
Japan, Indien und Südkorea ihre Einfuhren zu die-                 Beschlagnahme an.47
sem Zeitpunkt eingestellt hatten, importierten Syrien                Der Hauptfokus richtete sich auf China, dessen
und China – sowie anscheinend auch die Türkei –                   Regierung als einzig verbliebener zahlender Impor-
weiterhin iranisches Öl. Ein Teil der Lieferungen an              teur iranischen Öls den US-Sanktionen offen zuwider-
Syrien (rund 100 000 Barrel) fällt dabei nicht unter              handelte. Zwar sanken die iranischen Exporte dorthin
US-Sanktionen, da sie in Form von Schuldscheinen                  2019 im Vergleich zum Vorjahr um rund zwei Drittel.
bezahlt werden. Ein anderer Teil ist jedoch von US-               Dessen ungeachtet erhielt China im Juni nach offi-
Sanktionen betroffen.                                             ziellen Angaben der staatlichen Zollbehörde rund
   Dazu gehörten etwa die 2,1 Millionen Barrel irani-             200 000 Barrel iranischen Öls (im Wert von 453 Mil-
schen Öls, die sich auf dem Tanker Grace 1 befanden.              lionen Dollar).48 Ein Großteil davon lagert seither in
Diesem war Ende Mai 2019 aufgrund von Unregel-                    chinesischen Häfen und gilt rechtlich daher weder als
mäßigkeiten die panamaische Flagge entzogen                       erworben noch als offiziell eingeführt.49 Gleichwohl
worden. Anfang Juli brachte ein britisches Marine-                verhängte das US-Außenministerium im Juli und
kommando nach Intervention Washingtons das Schiff                 September 2019 erstmals Sekundärsanktionen gegen
auf, als es ins Mittelmeer einfuhr. Zuvor hatten die              chinesische Unternehmen und Einzelpersonen, die
Behörden des britischen Überseegebiets Gibraltar                  an der fortgesetzten Einfuhr iranischen Öls beteiligt
eigens die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen,                waren.50 Unterdessen hatte sich die China National
um den Tanker gemäß EU-Recht beschlagnahmen zu                    Petroleum Corporation aus dem iranischen Gasfeld
können. Nach einer gerichtlichen Anordnung wurde                  South Pars zurückgezogen, wie zuvor schon die
das nunmehr unter iranischer Flagge fahrende und in               französische TOTAL aufgrund drohender US-Sank-
Adrian Darya 1 umbenannte Schiff im August 2019                   tionen.51
wieder freigelassen, obwohl ein Antrag des US-Justiz-
ministeriums auf ein neues Verfahren vorlag.45 Zuvor
hatte die iranische Botschaft in London schriftlich
                                                                    46 United States Department of State, Spokesperson
versichert, kein den unilateralen EU-Sanktionen zu-                 Morgan Ortagus, »Iranian Vessel Grace I«, Press Statement,
widerlaufendes Ziel wie etwa Raffinerien an der                     15.8.2019, .
syrischen Küste anzusteuern (was dann aber doch                     47 Department of Justice, Office of Public Affairs, »Un-
geschah). Anschließend drohten Vertreter der Trump-                 sealed Warrant and Forfeiture Complaint Seek Seizure of Oil
Administration allen Banken und Hafenbetreibern,                    Tanker ›Grace 1‹ for Unlawful Use of U.S. Financial System to
                                                                    Support and Finance IRGC’s Sale of Oil Products to Syria«,
                                                                    16.8.2019, .
  Reuters, 1.5.2019.                                                48 Sharon Cho/Alfred Cang, »China’s Still Taking Iran
  44 In einer Art Katz-und-Maus-Spiel müssen dafür die              Oil Weeks after U.S. Toughened Sanctions«, Bloomberg,
  jeweiligen Routen der unter iranischer oder anderer Flagge        26.7.2019, .
  bleiben, indem sie Transponder abschalten oder den Schiffs-       49 »Millions of Barrels of Iranian Oil Are Piled Up in
  namen ändern. Michael Forsythe/Ronen Bergman, »To Evade           China’s Ports«, Bloomberg, 22.7.2019, .
  »Defying U.S. Sanctions, China and Others Take Oil from           50 Michael R. Pompeo, Secretary of State, »The United
  12 Iranian Tankers«, in: New York Times, 3.8.2019; Roslan         States To Impose Sanctions on Chinese Firm Zhuhai Zhen-
  Khasawneh/A. Ananthalakshmi, »Exclusive: China-owned Oil          rong Company Limited for Purchasing Oil from Iran«, Press
  Tanker Changes Name in Apparent Effort to Evade U.S.              Statement, 22.7.2019, .
  Erläuterung der Regierung Gibraltars (online),                    51 Benoit Faucon, »China Pulls Out of Giant Iranian Gas
  .         Project«, in: Wall Street Journal, 6.10.2019.

                                                                                                                      SWP Berlin
                                                                                     Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
                                                                                                                  Dezember 2019

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Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten

                Teheran machte zwar seine Drohung nicht wahr,                        Banken auf absehbare Zeit nicht mehr nur Abstand
             die Straße von Hormus zu schließen, nachdem sich                        von Zahlungen für den Erwerb iranischen Erdöls
             die Trump-Administration vom JCPOA abgewandt                            nehmen, sondern auch von der Abwicklung des rein
             und die unilateralen US-Sanktionen wieder eingesetzt                    humanitären Warenverkehrs. Der Einsatz unilatera-
             hatte.52 Doch im Rahmen einer kalkulierten Eskala-                      ler US-Sanktionen treibt die Eskalationsspirale am
             tionsstrategie begann die iranische Führung im Mai                      Persischen Golf voran, die mittlerweile kaum noch zu
             2019 damit, die Europäer unter Druck zu setzen, in-                     kontrollieren ist.
             dem sie die unter dem JCPOA eingegangenen Ver-
             pflichtungen zur Begrenzung ihres Atomprogramms                         Bolivarische Republik Venezuela
             schrittweise aussetzte. Zudem kam es wiederholt zu
             Sabotageakten gegen passierende Öltanker, gegen                         Mit Blick auf Venezuela ist die Politik der Trump-
             Ölproduktionsanlagen sowie Ölpipelines. Diese Vor-                      Administration auf die Abhaltung freier und fairer
             fälle wurden von der US-Regierung allesamt den                          Wahlen ausgerichtet – ein Ziel, dem Präsident
             iranischen Revolutionsgarden zur Last gelegt.                           Nicolás Maduro entgegensteht. Dieser hatte Mitte
                                                                                     2017 eine Verfassunggebende Versammlung ein-
                      Die unilateralen US-Sanktionen                                 berufen und dort eigene Unterstützer platziert. Das
                     treiben die Eskalationsspirale am                               Gremium existiert als Parallelparlament neben der
                           Persischen Golf voran.                                    Nationalversammlung, die seit Ende 2015 von der
                                                                                     Opposition kontrolliert wird. Im Mai 2018 erfolgte die
                Washington stufte die Revolutionsgarden im April                     umstrittene Wiederwahl von Präsident Maduro; kurz
             2019 als ausländische terroristische Vereinigung ein                    vor Beginn seiner zweiten Amtszeit sprach ihm die
             und setzte im Juni das Büro des iranischen Revolu-                      Nationalversammlung Mitte Januar 2019 die Legiti-
             tionsführers auf die SDN-Liste. Neben diesen Maßnah-                    mität ab. Wenig später wurde Juan Guaidó, der Präsi-
             men war es die Reduzierung der iranischen Ölexpor-                      dent der Nationalversammlung, zum Übergangs-
             te, die letztlich den Ausschlag dafür gab, dass die                     präsidenten des Landes ernannt. Dieser Schritt
             Führung in Teheran ihre bis dato verfolgte Strategie                    basierte auf Artikel 233 der venezolanischen Verfas-
             der strategischen Geduld aufgab und ihrerseits einen                    sung, der die Vertretung des Präsidenten im Falle
             Eskalationskurs einschlug. Laut wissenschaftlichem                      einer Abwesenheit regelt. Seither ringen Guaidó und
             Dienst des iranischen Parlaments hatte der Nationale                    Maduro um die Macht.55
             Entwicklungsfonds, in den die Einnahmen aus dem                            Guaidó wurde von den Vereinigten Staaten und
             Ölverkauf fließen und dem zuletzt wiederholt Gelder                     (bis Ende 2019) insgesamt 54 weiteren Nationen als
             für notwendige Ausgaben entnommen worden                                offizieller Vertreter seines Landes anerkannt, darun-
             waren, seit Februar 2019 keine neuen Zuwendungen                        ter einer Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten einschließ-
             aus dem Haushalt mehr erhalten.53 Der Entwicklungs-                     lich Deutschland. Dagegen halten unter anderem
             fonds wurde, ebenso wie die Iranische Zentralbank,                      China, der Iran, Kuba, Russland und die Türkei an
             im September 2019 von Washington als Unterstützer                       Maduro als legitimer Präsident fest. Die Trump-
             des internationalen Terrorismus gelistet. Damit                         Administration setzt in diesem Konflikt neben diplo-
             reagierte die US-Regierung auf Angriffe gegen saudi-                    matischer Unterstützung und humanitärer Hilfe
             arabische Ölanlagen, die sie der iranischen Führung                     vorrangig auf den Einsatz unilateraler Sanktionen.
             zur Last legte.54 In der Folge werden internationale                    Dadurch soll die venezolanische Ausfuhr von Erdöl
                                                                                     als Haupteinnahmequelle von Präsident Maduros
                  52 Joshua Rovner, »After America: The Flow of Persian              Regierung ausgetrocknet werden. Wie bei der Redu-
                  Gulf Oil in the Absence of U.S. Military Force«, in: Charles L.    zierung der iranischen Ölexporte ging die US-Regie-
                  Glaser/Rosemary A. Kelanic (Hg.), Crude Strategy: Rethinking the   rung in diesem Fall sehr offensiv vor. Bereits im
                  US Military Commitment to Defend Persian Gulf Oil, Washington,     August 2017 hatte es Präsident Trump natürlichen
                  D.C.: Georgetown University Press, 2016, S. 141–166.
                  53 »Iran’s National Reserve Fund May Go Bust as Oil
                  Revenues Dry Up«, Radio Farda, 10.2.2019, .                      55 Claudia Zilla, Venezuela, die Region und die Welt. Stationen
                  54 United States Department of the Treasury, »Treasury               für einen möglichen Ausweg aus der Krise, Berlin: Stiftung
                  Sanctions Iran’s Central Bank and National Development               Wissenschaft und Politik, 2019 (SWP-Aktuell 14/2019), S. 3.

             SWP Berlin
             Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten
             Dezember 2019

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