Magazin tierrechte Ausgabe 3/2021 - Menschen für Tierrechte

 
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Magazin tierrechte Ausgabe 3/2021 - Menschen für Tierrechte
Magazin tierrechte                         Ausgabe 3/2021

Bundestagswahl 2021:
Mensch, Tier und Umwelt brauchen die Wende
Was erwarten wir von der neuen Regierung?
Hochwasserkatastrophe: Notfallfonds rettet Tierleben
Interview: „Wir brauchen ein ganz neues Ernährungssystem!“
Magazin tierrechte Ausgabe 3/2021 - Menschen für Tierrechte
Inhalt

Hochwasserkatastrophe: Notfallfonds rettet Tierleben ........................................ 4
   Die Hochwasserkatastrophe im Juli kostete viele Menschenleben. Die Zahl
   der Tiere, die in den Fluten ertranken, ist überhaupt nicht bezifferbar. Der
   Bundesverband richtete kurzerhand einen Notfallfonds ein und machte einen
   Spendenaufruf. Die enorme Hilfsbereitschaft für die Tiere, ermöglichte nicht
   nur Nothilfe für Tiere, Vereine und Auffangstationen. Die Spenden werden
   auch zum Wiederaufbau beitragen.

Bundestagswahl 2021: Die Positionen der Parteien .............................................. 6
                                                                                                                                     Fotos Titelseite: Colin Goldner (Schimpanse), free
   Zur Bundestagswahl am 26. September haben wir die Parteien zu den zentralen                                                       animal pix (Tiger), Marc Tollas/Pixelio (Kalb), soylent
                                                                                                                                     network (Schwein), efmukel/AdobeStock (Maus),
   tierschutzpolitischen Themen befragt. Dies sind die dringend notwendige Agrar-                                                    Jose Manuel Gelpi/Fotolia (Küken), Kurt Klement/
                                                                                                                                     Pixelio (Mops), animal rights watch (Legehenne),
   und Ernährungswende sowie der Ausstieg aus dem Tierversuch. Um Ihnen einen                                                        simonschmid614/Pixabay (Bundestag)
   umfassenden Überblick zu geben, haben wir zusätzlich die Wahlprogramme
   analysiert. Es zeigt sich, dass die Grünen – unter den etablierten Parteien – die
   weitreichendsten Tierschutzpläne verfolgen, dicht gefolgt von den Linken und
   der SPD.

Was erwarten wir von der neuen Regierung? ...................................................... 10                                  Impressum
   Wir fordern für die 20. Legislaturperiode die Einleitung eines echten Paradig-
                                                                                                                                     ISSN 1434-220
   menwechsels im Umgang mit Tieren und Umwelt. Dieser umfasst eine konse-                                                           tierrechte wird herausgegeben von
   quente Transformation unserer Landwirtschaft und einen Ausstiegsplan aus                                                          Menschen für Tierrechte – Bundesverband
                                                                                                                                     der Tierversuchsgegner e. V. und erscheint
   dem Tierversuch. In Anbetracht des planetaren Notstands, in dem wir uns be-                                                       viermal jährlich. Der Verkaufspreis ist im
   finden, sind aus Sicht des Bundesverbandes am 26. September nur die Parteien                                                      Mitgliedsbeitrag enthalten.

   wählbar, die bereit sind, diesen überlebenswichtigen Wandel einzuleiten.                                                          Herausgeber/Verlag
                                                                                                                                     Menschen für Tierrechte – Bundesverband
                                                                                                                                     der Tierversuchsgegner e. V.
Interview: „Wir brauchen ein ganz neues Ernährungssystem!“ ......................... 13                                              Severinusstr. 52 | 53909 Zülpich
                                                                                                                                     Tel. 02252 - 830 12 10 | Fax 02252 - 830 12 11
   Die Journalistin und Autorin Dr. Tanja Busse erklärt im Interview, warum wir                                                      info@tierrechte.de | www.tierrechte.de
   ein neues Ernährungssystem brauchen, welche Aufgaben die Landwirt:innen
                                                                                                                                     Redaktion
   der Zukunft haben und welche Landwirtschafts-Pläne im nächsten Koalitions-                                                        Christina Ledermann, V.i.S.d.P.
   vertrag stehen sollten.                                                                                                           Christiane Hohensee
                                                                                                                                     Claudia Gerlach
                                                                                                                                     Carolin Spicher
Rückblick: Tiernutz- statt Tierschutzbilanz ............................................................. 5
                                                                                                                                     Gestaltung
Zentrale Tierschutz-Projekte – das antworten die Parteien .................................. 8                                       Das Atelier | Alexa Binnewies
                                                                                                                                     www.dasatelier.de
Interview: „Kosten desaströser Produktion müssen konsequent
eingepreist werden!“ .............................................................................................. 12               Druck
                                                                                                                                     Bartels Druck GmbH, 21337 Lüneburg
                                                                                                                                     www.bartelsdruckt.de
Stadttaubenkonzept: Umfrage belegt Potenzial ................................................. 14
                                                                                                                                     Papier
Berlin-Wahl: Keine Tierschutzambitionen bei SPD, CDU und FDP ...................... 16                                               tierrechte wird auf 100% Recyclingpapier
                                                                                                                                     – ausgezeichnet mit dem Umweltengel –
Tierversuchsgesetzgebung: Lobby setzt sich durch ............................................ 18                                     gedruckt
Bundesverband wird transparenter ...................................................................... 20
                                                                                                                                     Vorstand
Nachruf auf Dr. Walter Neussel .............................................................................. 20                     ▪ Christina Ledermann, M.A.
                                                                                                                                       Vorsitzende und Pressereferentin
Israel verbietet Pelz im Modehandel ..................................................................... 20                           Tel. 05840 - 999 97 90
                                                                                                                                       ledermann@tierrechte.de
Revolution aus der Labor-Küche ............................................................................ 20
                                                                                                                                     ▪   RA Judith Reinartz
                                                                                                                                         Stellvertretende Vorsitzende
Bonn: Karneval zukünftig ohne Pferdeleid ........................................................... 20                                  Tel. 02252 – 83 01 210
                                                                                                                                         reinartz@tierrechte.de
Ausstieg aus dem Tierversuch: Neue EU-Bürgerinitiative ................................... 21
                                                                                                                                     ▪   Susanne Pfeuffer
Neu: Broschüre zum „Versuchstier des Jahres“ .................................................... 21                                     Stellvertretende Vorsitzende
                                                                                                                                         pfeuffer@tierrechte.de

Rubriken                                                                                                                             Mitglieder im Vorstand
                                                                                                                                     ▪Dr. Ute Teichgräber
Impressum .................................................................................................................. 2        teichgraeber@tierrechte.de
Editorial ...................................................................................................................... 3   ▪   Carolin Spicher, M.Sc. (Biologie)
                                                                                                                                         spicher@tierrechte.de
Shop .......................................................................................................................... 22
                                                                                                                                     Ehrenmitglied:
Helfen ....................................................................................................................... 23    ▪ Dr. jur. Eisenhart von Loeper
Kontakt ..................................................................................................................... 24

2                   tierrechte | Ausgabe 3/2021
Magazin tierrechte Ausgabe 3/2021 - Menschen für Tierrechte
Editorial

 Mitglied bei
               aturschutzring
  Deutscher N                                         Liebe Leserinnen und Leser,
                 r Animals
  Eurogroup fo                 Beendigung
                 Koalition zur                        der Sommer vor der Bundestagwahl war ein Katastro-
  Europäische                 E)
                 uchen (ECEA
   von Tier vers                                      phensommer. Statt den üblichen Sommerloch-Meldun-
   InterNICHE                                         gen sahen wir die dramatischen Bilder der Flutkatas-
                               litik
                 Tierschutzpo                         trophe in Deutschland, den Waldbränden im Mittelmeerraum oder Berichte über
   Bündnis für
                 z                                    neue Hitzerekorde in Kanada, Norwegen und Italien. Statt Sommerfrische leiden
    Klima Allian                   aner
                   ozyklisch-Veg                      wir unter Tropenklima und Unwettern. Und die Tiere? Sie leiden gleich mehrfach:
    Förderkreis Bi
    Anbau e.V.                                        Qualgezüchtet fristen sie ein kurzes leidvolles Leben. Die industrielle Tierhaltung ist
                   nis Fuchs                          gleichzeitig ein Brandbeschleuniger des Klimawandels, dem die Tiere wiederum mas-
     Aktionsbünd
                                                      senhaft zum Opfer fallen. Ob „Nutz-, Haus- oder Wildtiere“ – sie ertrinken, ersticken
                                                      oder verbrennen – oft ohne eine Chance auf Rettung.

                                                      Betroffen war auch die Geschäftsstelle des Bundesverbandes in Zülpich, die mitten
                                                      im Flutgebiet liegt. Um das Leid der Tiere bei der Jahrhundertflut zu lindern, richtete
                                                      der Bundesverband kurzerhand einen Notfallfonds für die tierischen Flutopfer ein.
                                                      Wir waren überwältigt von der enormen Hilfsbereitschaft. Fast 24.000 Euro Spenden
                                                      kamen zusammen. Hinzu kommen 10.000 Euro, die der Bundesverband einbringt.
                                                      An dieser Stelle vielen herzlichen Dank an alle Spender:innen! Mit diesem Geld leis-
                                                      teten wir Nothilfe für Tiere und helfen langfristig beim Wiederaufbau von Lebens-
                                                      höfen, Tierheimen und Auffangstationen.

                                                      Wenn wir am Wahlsonntag unser Kreuzchen machen, sollten wir diese totbringen-
                                                      den Fluten, Brände und Hitzewellen vor Augen haben. Sie zeigen uns unmissver-
                                                      ständlich, dass unser aktueller Lebensentwurf die Erde zerstört. Im Interview fordert
                                                      der Nachhaltigkeitsökonom Marius Rommel deswegen, an Stelle des Effizienzdog-
                                                      mas der industrialisierten Landwirtschaft endlich die desaströsen Folgeschäden zu
                                                      berücksichtigen. Die Journalistin Dr. Tanja Busse spricht von der globalen Dimension
                                                      der Fleischkonsum-Krise und fordert eine neue Agrar- und Ernährungspolitik. Dabei
                                                      muss es ökonomisch vorteilhaft sein, keinen ökologischen Schaden anzurichten. Die
                                                      Landwirt:innen der Zukunft dürfen nicht nur Lebensmittelerzeuger sein, sondern
                                                      auch Hüter:innen des Klimas der Biodiversität und des Grundwassers. Doch nicht
                                                      nur die Die Landwirt:innen stehen vor Veränderungen. Auch wir Konsument:innen
                                                      müssen bereit sein, unseren kompletten Konsum nachhaltig auszurichten.

                                                      Um Ihnen eine Orientierung zu geben, welche Parteien wirksame Konzepte und Plä-
                                                      ne für einen Ausstieg aus dem Tierversuch und für eine Agrar- und Ernährungswen-
                                                      de vorlegen, haben wir die Parteien befragt und ihre Wahlprogramme durchforstet.
                                                      In den verbleibenden Wochen vor der Bundestagswahl bieten wir Ihnen außerdem
                                                      auf unserer Webseite tierrechte.de weitere Übersichten, Auswertungen sowie einen
                                                      Tierschutz-Wahl-O-Mat.

                                                      Für das Überleben auf diesem Planeten brauchen wir einen Paradigmenwechsel.
                                                      Lassen Sie uns gemeinsam dafür streiten. Für Menschen und Tiere. Vielen Dank!
Spenden-/Beitragskonto
Bundesverband der                                     Herzlichst
Tierversuchsgegner e. V.                              Ihre Christina Ledermann
Sparkasse Aachen
IBAN: DE02 3905 0000 0016 007973                      PS. Leider haben CDU/CSU und die FDP unsere Fragen bis zum Redaktionsschluss
BIC: AACSDE33                                         dieser Ausgabe nicht beantwortet, obwohl wir den Drucktermin extra nach hinten
                                                      verschoben haben. Deswegen konnten wir nur deren Wahlprogramme auswerten.
Menschen für Tierrechte – Bundesverband der
Tierversuchsgegner e. V. ist als gemeinnützig und
besonders förderungswürdig anerkannt. Spenden
und Mitgliedsbeiträge sind steuerlich absetzbar.
Erbschaften und Vermächtnisse sind von der
Erbschaftssteuer befreit.                                                                           tierrechte | Ausgabe 3/2021           3
Magazin tierrechte Ausgabe 3/2021 - Menschen für Tierrechte
Bundestagswahl 2021: Mensch, Tier und Umwelt brauchen die Wende

Hochwasserkatastrophe

Notfallfonds rettet Tierleben
Die Hochwasserkatastrophe im Juli kostete viele
Menschenleben. Die Zahl der Tiere, die in den Fluten

                                                                                                                                   Foto: AdobeStock/Worawut
ertranken, ist überhaupt nicht bezifferbar. Der
Bundesverband richtete kurzerhand einen Notfallfonds
ein und machte einen Spendenaufruf. Die enorme
Hilfsbereitschaft für die Tiere, ermöglichte nicht nur
                                                                Die Zahl der tierischen Opfer, die bei der Hochwasserkatastrophe
Nothilfe für Tiere, Vereine und Auffangstationen.               im Juli starben, ist unbekannt.

Die Spenden werden beim Wiederaufbau helfen.

   Die Jahrhundertflut, die Mitte Juli desaströse Verwüstun-    Soforthilfe und Wiederaufbau
gen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen anrichtete,        Zusammen mit den vom Bundesverband selbst aufgebrach-
kostete viele Leben. Bei Katastrophen wird jedoch vor allem     ten Mitteln können rund 35.000 Euro an Vereine verteilt
über die menschlichen Opfer berichtet und wenig von den         werden, die besonders stark von der Flutkatastrophe betrof-
Tieren. Dabei sind gerade sie besonders betroffen. Wildtiere,   fen sind. Dies sind beispielsweise die Reptilienauffangstation
„Weidetiere“, aber auch Tiere in Zoos, Ställen und Häusern      Aachen, der Tierschutzverein Bad Münstereifel und der Pony-
wurden von den Wassermassen überrascht. Manche konnten          gnadenhof Leichlingen, der vor allem alte und blinde Tiere
sich retten, viele ertranken oder werden vermisst. Als die      aufnimmt. Spenden erhielten bisher außerdem der Gnaden-
Menschen in Panik ihre Häuser verließen, blieben viele Haus-    hof Anna, die Igelstation Bonn, die Katzenschutzfreunde
tiere zurück. In einer Mastanlage in Schaffhausen fielen fast   Rhein-Ahr-Eifel, die Kölner Katzenschutz-Initiative, die auch
17.000 Hühner den Fluten zum Opfer.                             in Erftstadt tätig ist sowie der Katzenschutz Bonn/Rhein-
                                                                Sieg. Unterstützt wurden auch die Dogman Tierrettung, die
Betroffen: Geschäftsstelle in Zülpich                           Tierrettung Unterland sowie die Notfallrettung Niederbay-
  Betroffen war auch die Geschäftsstelle des Bundesver-         ern, die unermüdlich eingeschlossene Tiere retteten, obwohl
bandes in Zülpich, die etwa 30 Minuten vom Ahrtal und nur       die Häuser zeitweise nicht betreten werden durften. Weitere
zehn Kilometer von Erftstadt-Blessem entfernt, mitten im        Vereine, die Hilfe vor Ort leisteten, waren unter anderem der
Flutgebiet liegt. Das Büro und der angeschlossene Hof der       Klepperstall und die Reptilienauffangstation in der Eifel, die
Geschäftsführerin Judith Reinartz kamen glücklicherweise        Flutopfer aufnahm sowie das Notpfote Federheim in Neuss.
mit Wasserschäden davon. Doch viele Tierschützer und Verei-     Der Notfallfonds wird in den kommenden Wochen an wei-
ne im Flutgebiet traf es hart. Teilweise dauerte es tagelang,   tere betroffene oder engagierte Tierschutzorganisationen
bis sie überhaupt erreicht werden konnten, da weder Strom       ausgezahlt.
noch Internet funktionierten. Als Judith Reinartz das ganze
Ausmaß der Katastrophe sah, brach sie kurzerhand ihren          Todesfalle Massentierhaltung
Sommerurlaub ab und begann zu helfen.                             Die totbringenden Fluten, die besonders Massentierhal-
                                                                tungsanlagen zu Todesfallen machen, sollten uns daran
Notfallfonds für Tierrettung                                    erinnern, dass auch die Ausbeutung der Tiere in der indust-
  Sie brachte Sachspenden zur Reptilienauffangstation in        riellen Tierhaltung maßgeblich zum Klimawandel und damit
Stolberg, die völlig zerstört wurde. Sie nahm Tiere auf und     zu Extremwetterereignissen beiträgt. Die Tiere leiden dabei
kaufte säckeweise Futter und lieferte es dorthin, wo es         gleich mehrfach: Sie sind Opfer eines perfiden Ausbeutungs-
gebraucht wurde. Benötigt wurden auch Spritzen, Medika-         systems, dass sie zu Fleisch-, Eier- oder Milchproduzenten
mente, Desinfektionsmittel und Handschuhe sowie Zaun-           ohne Eigenwert degradiert und sie leiden und sterben bei
material und Zubehör für Terrarien, denn es fehlte an allem.    Überschwemmungen und Bränden, Ende März allein 55.000
Der Vorstand des Bundesverbandes beschloss kurzfristig          beim Großbrand der riesigen Schweinezuchtanlage in Alt
einen Notfallfonds aufzulegen und stellte selbst 10.000 Euro    Tellin. Immer wieder sterben tausende von Hühnern, Puten
Soforthilfe bereit. Der spontan gestartete Spendenaufruf        oder Schweinen qualvoll, weil beispielsweise die Belüftungs-
hatte eine unerwartete Resonanz: Bis zur Drucklegung dieser     anlagen in den Megaställen ausfallen. Dieser Wahnsinn muss
Ausgabe kamen mehr als 24.000 Euro allein an externen           enden. Wir brauchen eine Wende. Für Menschen und Tiere –
Spenden zusammen.                                               und für das Überleben auf diesem Planeten. Vielen Dank für
                                                                Ihre Hilfe!

                                                                Christina Ledermann

4           tierrechte | Ausgabe 3/2021
Magazin tierrechte Ausgabe 3/2021 - Menschen für Tierrechte
Bundestagswahl 2021:

Rückblick: Tiernutz- statt Tierschutzbilanz
Die scheidende Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöck-                                         te und sie deswegen nur noch für eine Übergangszeit zuließ.
ner (CDU) feiert ihre Tierschutzinitiativen gern selbst als                                         Doch auch dieses Verbot ist nur ein Scheinerfolg. Denn die
„große Schritte“ oder „Meilensteine“. Die neuen Vergabere-                                          aktuell verfügbaren Verfahren zur Geschlechtsbestimmung
geln für die immensen EU-Agrarsubventionen bezeichnete                                              im Ei funktionieren erst nach dem neunten Bebrütungs-
sie gar als „Systemwechsel“. In Wahrheit ist die Tierschutzbi-                                      tag. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Embryonen
lanz der Großen Koalition eher eine „Tiernutzbilanz“.                                               bereits ab dem siebten Bruttag Schmerz empfinden kön-
                                                                                                    nen. Zudem ändert dies nichts am Ausbeutungssystem. Die
   Betrachtet man die Liste der Tierschutzthemen, mit denen                                         sogenannten Legehennen werden weiterhin nach einem Jahr
sich die seit 2017 regierende Große Koalition beschäftigt                                           getötet, wenn ihre Legeleistung nachlässt.
hat, entsteht fast der Eindruck, dass sich in den letzten vier
Jahren in Sachen Tierschutz viel getan hätte. Doch weit ge-                                         Never-Ending Story „Tierwohl-Label“
fehlt. Beispiel Ferkelkastration: Obwohl es viel früher möglich                                        Seit fünf Jahren diskutiert die GroKo die Einführung eines
gewesen wäre, verschob der Bundesrat Ende 2018 ein Verbot                                           staatlichen Tierschutzlabels. Doch Klöckners Großprojekt
der betäubungslosen Ferkelkastration auf 2021. Die Verschie-                                        wird in dieser Legislaturperiode nicht mehr kommen. So wie
bung bedeutete, dass 55.000 Tausend Ferkel täglich weiter-                                          Klöckner das Label geplant hatte, stieß es ohnehin weder
hin völlig unnötige Qualen erleiden mussten. Und warum?                                             bei den Tierschutzverbänden, den Bürger:innen, der Oppo-
                                                                                                    sition, noch beim Koalitionspartner SPD und dem Bundes-
Armutszeugnis Ferkelkastration                                                                      rechnungshof auf Gegenliebe. Hauptkritikpunkte waren die
  Weil Schweinezüchter, Bauernverband und Fleischindustrie                                          viel zu niedrigen Anforderungen für die unteren Labelstufen
billig produzieren wollen und diesen Druck offenbar erfolg-                                         und die Tatsache, dass das Label nicht verpflichtend, sondern
reich an die Politik weitergaben. Berlins grüner Senator Dr.                                        nur freiwillig sein sollte. Klöckner begründete dies mit dem
Dirk Behrendt erklärte nach der Abstimmung: „Der Bundes-                                            EU-Rechtsrahmen, der nationale verbindliche Kennzeichnun-
rat hat den Tierschutz in Deutschland mit Füßen getreten“.                                          gen nicht erlaube. Da stellt sich die Frage, wieso die Ministe-
Folgerichtig reichte Berlin 2019 Normenkontrollklage beim                                           rin Jahre auf ein freiwilliges Label verschwendete, statt eine
Bundesverfassungsgericht ein. Begründung: Die Schweinehal-                                          effektive und EU-rechtskonforme Lösung zu finden. Und die
tung sei verfassungswidrig und unvereinbar mit dem Tier-                                            hätte es geben können. Bei der vierstufigen Eierkennzeich-
schutzgesetz. Ähnlich ging es beim Thema Kastenstand zu.                                            nung ist dies beispielsweise gelungen. Es wird sich zeigen, ob
Im Juli 2020 stimmte der Bundesrat einer Gesetzesänderung                                           es der nächsten Bundesregierung gelingen wird, endlich ein
zu, nach der Muttersauen weitere zehn Jahre in sogenannten                                          verpflichtendes stattliches Label mit strengen Kriterien ein-
Kastenständen fixiert werden können. Der Kompromiss, um                                             zuführen. Doch auch ein besseres Label ist kein Allheilmittel
den monatelang gerungen wurde, enthielt zwar auch Ver-                                              für die systembedingten Missstände in der industrialisierten
besserungen für die Tiere, dennoch sind die Sauen weiterhin                                         Tierhaltung.
zu wochenlanger Bewegungsunfähigkeit verdammt.
                                                                                                    Tiertransporte: Entdeckt Klöckner ihr Herz für
Scheinerfolg: Ausstieg aus dem Kükentöten                                                           Tiere?
  Nach dem Koalitionsvertrag hätte das millionenfache Töten                                            Ende Juni gerierte sich Klöckner beim EU-Agrarrat als
der männlichen Küken eigentlich bereits 2019 beendet sein                                           Tierschutzministerin. Auf der Agenda stand ein Antrag, der
müssen. Doch auch dieses Verbot kam erst mit großer Verzö-                                          ein EU-weites Verbot von Langstreckentransporten lebender
gerung. Am 20. Mai diesen Jahres beschloss die Bundesregie-                                         Tiere in Nicht-EU-Länder forderte. Dieses soll bei der Überar-
rung, das Kükentöten ab 2022 zu verbieten. Mit dem Verbot                                           beitung der EU-Verordnung umgesetzt werden. Der Vorstoß
reagierte Klöckners Ministerium auf das Urteil des Bundes-                                          ist natürlich zu begrüßen. Skandalös ist jedoch, dass Klöckner
verwaltungsgerichts von 2019, das die barbarische Praxis auf                                        ein Export-Verbot auf nationaler Ebene bisher konsequent
Basis des Staatsziels Tierschutz als verfassungswidrig einstuf-                                     blockiert – obwohl sich der Bundesrat noch Anfang des Jah-

Fotos: Pixabay/Roy Buri (Ferkel), Fotolia/Jose Manuel Gelpi (Küken), tierrechte (Sau mit Ferkeln)

                                                                                                                           tierrechte | Ausgabe 3/2021          5
Magazin tierrechte Ausgabe 3/2021 - Menschen für Tierrechte
Bundestagswahl 2021: Mensch, Tier und Umwelt brauchen die Wende

res für ein Verbot ausgesprochen hatte und mehrere unab-        den Tierschutz“ am 25. Juni 2021 eine überraschende Abfuhr,

                                                                                                                                                                    Fotos: Colin Goldner (Elefantendressur), Fotolia/Kara (Kuh mit Kalb), iStock/artisteer (Maus)
hängige Gutachten belegen, dass es mit EU-Recht vereinbar       weil die Länder (und auch die Tierschutzverbände) das Ge-
ist.                                                            setz als unwirksam betrachteten, um die Leiden von Wildtie-
                                                                ren in Zirkussen zu beenden.
EU-Agrarwende bleibt aus
   Nach monatelangen Verhandlungen einigten sich die            Die GroKo hinterlässt „Tiernutzbilanz“
EU-Agrarminister:innen kürzlich auf neue Vergaberegeln in         Die GroKo hinterlässt also eher eine „Tiernutzbilanz“.
der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) bis 2027. Danach sollen      Dabei war die Zeit noch nie so reif für die überfälligen Sys-
25 Prozent der jährlich 270 Milliarden Euro Direktsubventio-    temwechsel hin zu einer tierversuchsfreien Wissenschaft und
nen an Umweltprogramme – sogenannte Eco-Schemes – ge-           einer tierleidfreien Lebensmittelproduktion. Die Signale sind
knüpft werden. Aus Sicht des Tier-, Arten- und Klimaschutzes    überdeutlich. Dies zeigen unter anderem der überwältigende
ist dies mehr als enttäuschend. Es bedeutet, dass weiterhin     Erfolg der EU-Bürgerinitiative zum Verbot der Käfighaltung
dreiviertel der Direktzahlungen pauschal an die Fläche ge-      und der Abschlussbericht der Zukunftskommission Landwirt-
knüpft sind. Die industrielle Tierhaltung wird damit weiter     schaft (ZKL), der sich für eine durchgreifende Transformation
begünstigt – ein Systemwechsel sieht anders aus. Auch hier      der Landwirtschaft und des Ernährungssystems ausspricht.
stand Klöckner auf der Lobbybremse.                             Konkret fordert das Gremium eine Ökologisierung der
                                                                Landwirtschaft, eine Halbierung des Fleischkonsums, weniger
Lobbyerfolg bei Tierversuchen                                   Tiere in den Ställen sowie mehr Klimaschutz. Nun kommt es
  Acht Jahre ließ sich Deutschland Zeit, um seine Regelun-      darauf an, dass sich diese positiven Ergebnisse im nächsten
gen zu Tierversuchen EU-konform zu machen. Doch auch            Koalitionsvertrag wiederfinden. Die Hoffnungen richten sich
hier zeigt sich, dass die Bundesregierung versucht, strengere   auf die nächste Bundesregierung. Ob diese dem Tierschutz
EU-Vorgaben zum Schutz der Tiere in den Laboren zu umge-        einen höheren Stellenwert einräumt, liegt am 26. September
hen (siehe Seite 18). Enttäuschend war auch Klöckners Wild-     in den Händen der Wählerinnen und Wähler.
tierverbot im Zirkus, das sie überraschend im November 2020
vorlegte. Doch der Bundesrat erteilte ihrem „Meilenstein für    Christina Ledermann, Carolin Spicher

 Wende für Tiere und Klima?
Die Positionen der Parteien
Zur Bundestagswahl am 26. September        Weltklimarates sollte allen Wähler:innen           mobilisiert, um dem Ausstiegskonzept
haben wir die Parteien zu den zentralen    klar sein, dass wir einen grundlegenden            einen Platz in den Wahlprogrammen
tierschutzpolitischen Themen befragt1.     Systemwechsel brauchen. Elementarer                der etablierten Parteien zu sichern – mit
Dies sind die dringend notwendige          Bestandteil eines effektiven Klimaschut-           Erfolg. Der Ausstiegsplan findet sich in
Agrar- und Ernährungswende sowie           zes ist eine Agrar- und Ernährungswen-             den finalen Wahlprogrammen der Grü-
der Ausstieg aus dem Tierversuch. Um       de. Deswegen bezieht sich die Mehrzahl             nen, der Linken und der SPD. Alle drei
Ihnen einen umfassenden Überblick zu       der acht Fragen, die Nichtregierungsor-            wollen den Tierversuch schnellstmög-
geben, haben wir zusätzlich die Wahl-      ganisationen – wie der Bundesverband –             lich ersetzen und dazu die Entwicklung
programme analysiert. Es zeigt sich,       den Parteien stellen konnten, auf diesen           innovativer tierversuchsfreier Verfahren
dass die Grünen – unter den etablierten    Bereich. Neben den anderen Dauerbren-              fördern.
Parteien – die weitreichendsten Tier-      nern Tierschutzrecht und Vollzug haben
schutzpläne verfolgen, dicht gefolgt       wir den zweiten Fokus auf den Bereich              Tierversuche: Ausstieg ist
von den Linken und der SPD.                Tierversuche gelegt. Im Rahmen unserer             Programm
                                           Gemeinschafts-Kampagne „Ausstieg                     Ergänzend planen die Grünen, die Zu-
 Spätestens nach dem Unwettersom-          aus dem Tierversuch. JETZT!“ hatten wir            lassung tierversuchsfreier Verfahren zu
mer und dem aktuellen Bericht des          bereits Anfang des Jahres alle Kräfte              beschleunigen sowie eine retrospektive

6           tierrechte | Ausgabe 3/2021                                   1) CDU/CSU und FDP haben unsere Wahlprüfsteine bis Redaktionsschluss nicht beantwortet.
Magazin tierrechte Ausgabe 3/2021 - Menschen für Tierrechte
Angekündigte Maßnahmen1)                                                                           CDU               FDP             SPD             Die     Die
                                                                                                                                                              Grünen   Linke
           Tierschutz-Verbandsklage auf Bundesebene                                                           k.A.2)          k.A.              k.A.            Ja       Ja
           Verbesserter Strafvollzug tierschutzrechtlicher Vergehen                                           k.A.            k.A.              k.A.            Ja       Ja
           Überarbeitung von Tierschutzgesetz und Verordnungen                                                k.A.            k.A.              k.A.            Ja       Ja
           Abkehr von der Massentierhaltung                                                                   k.A.            Nein              k.A.            Ja       Ja
           Stall-Genehmigungen erschweren                                                                     k.A.            k.A.              k.A.            Ja       Ja
           Mehr Tierschutz bei Transporten                                                                      Ja            k.A.               Ja             Ja       Ja
           Tiertransporte in Drittstaaten beenden                                                               Ja            k.A.              k.A.            Ja       Ja
           Mehr Tierschutz bei der Schlachtung                                                                k.A.            k.A.              k.A.            Ja       Ja
           Verbot der Käfighaltung in der Landwirtschaft                                                      k.A.            k.A.              k.A.            Ja       Ja
           Verbot der Anbindehaltung                                                                          k.A.           eher Ja            k.A.            Ja       Ja
           Amputations-Verbote (Ringelschwänze, Schnäbel, etc.)                                               k.A.            k.A.              k.A.            Ja       Ja
           Flächenbindung der Tierhaltung                                                                     k.A.            k.A.               Ja             Ja       Ja
           Förderung von ökologischem Landbau                                                                   Ja            k.A.               Ja             Ja       Ja
           Subventionen streng an Tier-/Klima-/Umweltschutz koppeln                                           Nein            k.A.               Ja             Ja       Ja
           Förderung der pflanzlichen Ernährung und Produkte                                                  k.A.            k.A.              k.A.            Ja      k.A.
           Pestizide reduzieren                                                                               k.A.            k.A.               Ja             Ja       Ja
           Reduzierung von Tierversuchen                                                                      k.A.            k.A.               Ja             Ja       Ja
           Förderung von Alternativmethoden                                                                   k.A.            k.A.               Ja             Ja      k.A.
           Beschleunigung der Zulassung tierfreier Verfahren                                                  k.A.            k.A.              k.A.            Ja      k.A.
           Verbot von Tierversuchen mit Schweregrad „schwer“                                                  k.A.            k.A.              k.A.           k.A.      Ja
           Verbot von Patenten auf Tiere                                                                      k.A.            k.A.              k.A.            Ja       Ja
           Verbot bestimmter Wildtierarten in Zirkussen                                                       k.A.            k.A.              k.A.            Ja       Ja
           Verbot der Pelztierhaltung                                                                         k.A.            k.A.              k.A.            Ja       Ja
           Bekämpfung des illegalen Wildtierhandels                                                           k.A.            k.A.              k.A.            Ja       Ja
           Mehr Schutz für Wiedereinwanderer (Bsp. Wolf)                                                      Nein            Nein              k.A.            Ja      k.A.
          1) Diese Maßnahmen wurden in den Wahlprogrammen explizit angekündigt   2) k.A. = keine Angabe. Dies bedeutet, dass sich die Partei hierzu nicht äußert.

Bewertung von Tierversuchsvorhaben                            die Etablierung einer:es unabhängigen                                     echte Agrar- und Ernährungswende
als Teil der Genehmigungs-Regularien.                         Bundestierschutzbeauftragten.                                             sucht man jedoch vergeblich.
Die Linke fordert unter anderem eine
ausnahmslose Genehmigungspflicht                              Tierschutz mit Handbremse                                                 Grüne und Linke: Klare Ansagen
aller Tierversuche sowie die Erarbei-                            Viel Raum wird dem Tierschutz im ab-                                      Ganz anders bei den Grünen und den
tung eines Handbuchs mit einheitli-                           gespeckten Wahlprogramm der Sozial-                                       Linken, die eine Anhebung der Tier-
chen Kriterien zur Genehmigung von                            demokraten leider nicht gegeben. Dies                                     schutzstandards und eine flächenge-
Versuchen. Tierversuche der Kategorie                         fällt besonders im Vergleich zum vorhe-                                   bundene Tierhaltung verfolgen. Außer-
„schwerst“ und „schwer“ wollen die                            rigen „Regierungsprogramm“ auf, das                                       dem wollen beide die tierquälerische
Linken sofort verbieten. In den Wahl-                         deutlich mehr tierschutzrelevante Pläne                                   Hochleistungszucht, Amputationen,
programmen der CDU/CSU und der                                und Ziele enthielt. Die SPD setzt im                                      qualvolle Betäubungsmethoden sowie
FDP hingegen kommen die Themen                                Bereich Landwirtschaft auf „die Verbes-                                   Käfig- und Anbindehaltung beenden.
Tierversuche, Ausstiegsplan oder die                          serung des Tierwohls“ und betont, dass                                    Bezüglich der EU-Agrarpolitik sprechen
Förderung von tierfreien Verfahren                            Tierleid nicht zu rechtfertigen sei, „auch                                sich Grüne und Linke dafür aus, die Ver-
überhaupt nicht vor.                                          nicht aus wirtschaftlichem Interesse“.                                    gabe von Subventionen an Leistungen
                                                              Verbesserungen für sogenannte Nutz-                                       wie Klima-, Umwelt- und Tierschutz zu
Tierschutzrecht stärken                                       tiere sollen durch eine flächenbezogene                                   koppeln. Ziel der Linken ist ein Ausbau
  Aufgedeckte Tierschutzskandale be-                          Haltungsobergrenze erreicht werden.                                       des Ökolandbaus bis 2030 auf mindes-
legen immer wieder, dass unser Rechts-                        Im Hinblick auf den Klimawandel wollen                                    tens 25 Prozent, die Grünen streben 30
staat die Tiere nicht zuverlässig schützt.                    die Sozialdemokraten weg von der Sub-                                     Prozent an. Die SPD will zwar beson-
Sowohl bei Gesetzgebung und Kontrol-                          ventionierung nach Fläche, hin zu einer                                   ders klein-bäuerliche und agrarökologi-
le als auch bei der Strafverfolgung gibt                      „Förderung, die an Kriterien für Klima,                                   sche Betriebe fördern, benennt jedoch
es eklatante Defizite. Für eine bessere                       Natur- und Umweltschutz und Tierwohl                                      keine konkreten Ziele.
Strafverfolgung von Tierschutzverstö-                         gebunden ist“. Investitionen in Klima-,
ßen setzt sich die SPD für die Einfüh-                        Umwelt und Artenschutzprogramme                                           Dauerbrenner Tiertransporte
rung von Schwerpunktstaatsanwalt-                             sollen die Klimakrise lösen. Ähnliche                                       Beim Thema Tiertransporte überra-
schaften für Tierschutz ein. Die Grünen                       Formulierungen finden sich auch in den                                    schen die Konservativen mit der Ankün-
wollen unter anderem wirkungsvolle                            Programmen von CDU/CSU und FDP:                                           digung, zukünftig Fleisch statt lebender
Sanktionen im Strafrecht verankern und                        Ökosysteme sollen geschützt, Pestizide                                    Tiere transportieren zu wollen. Bis dahin
den Vollzug effizienter machen. Dazu                          reduziert und klimaschonende Produk-                                      sollen die Regeln für Lebendtransporte
fordern sie, ebenso wie die Linke, das                        tionsprozesse gefördert werden. Kon-                                      verschärft werden. Diese Forderung
bundesweite Verbandsklagerecht und                            krete Maßnahmen und Ziele für eine                                        deckt sich mit der Entschließung des

                                                                                                                                          tierrechte | Ausgabe 3/2021          7
Magazin tierrechte Ausgabe 3/2021 - Menschen für Tierrechte
Bundestagswahl 2021: Mensch, Tier und Umwelt brauchen die Wende

  EU-Parlaments von 2019 – ein Hinweis                  Gerichte setzen. Die Grünen planen                     Thematik den meisten Raum, besonders
  darauf, dass CDU/CSU weiter vor allem                 zudem, die Entwicklung und Marktein-                   im Hinblick auf pflanzliche Ernährung
  die EU in der Pflicht sehen. Die SPD will             führung pflanzlicher Nahrungsmittel                    und Agrarwende. Ihnen folgen die Lin-
  Tiertransporte auf acht Stunden begren-               zu fördern und wollen sie steuerlich                   ken, die dem Tierschutz deutlich mehr
  zen, während Grüne und Linke eine                     besserstellen. Während Grüne und SPD                   Raum einräumen als in der Vergangen-
  maximale Dauer von 4 Stunden und ein                  eine Halbierung des Fleischkonsums als                 heit, und die SPD. Im Gegensatz dazu
  Verbot für Transporte in Drittstaaten                 klimarelevante Maßnahme verfolgen,                     enttäuschen CDU/CSU und FDP. Außer
  fordern. Einig sind sich Grüne und Linke              spricht sich die Linke lediglich für eine              „Tierwohl-Allgemeinplätzen“ enthalten
  auch bezüglich des Schutzes bedrohter                 Reduktion um ein Viertel aus. Die FDP                  ihre Programme keine überzeugenden
  Arten sowie Verboten von Wildtieren in                will sich für eine zügige Zulassung von                Pläne, Maßnahmen und Instrumente,
  Zirkussen, Patenten auf Tieren und dem                In-vitro-Fleisch einsetzen. Eine Förde-                um den Paradigmenwechsel in unserem
  Handel mit Pelz, Exoten und Wildtieren.               rung der bio-veganen Landwirtschaft                    Umgang mit Tieren, Klima und Umwelt
  Kontrastierend dazu wollen CDU/CSU                    ist hingegen bei keiner der etablierten                einzuleiten. Ihr wirtschaftsfreundlicher
  und FDP den Schutzstatus des Wolfes lo-               Parteien zu finden.                                    Kurs macht sie eher zu Bremsern in
  ckern und seine Bejagung vereinfachen.                                                                       diesem Prozess. Es ist zu hoffen, dass
                                                        Zeit für einen                                         sich die Wähler:innen für den dringend
  Ernährungswende im                                    Paradigmenwechsel                                      benötigten Wandel aussprechen. Denn
  Schleichtempo                                           In der Summe legen die Grünen                        es geht schon lange nicht mehr nur
    Um den Fleischkonsum zu reduzieren,                 und die Linke – unter den etablierten                  um ethische Erwägungen. Es geht um
  wollen Grüne, Linke und SPD besonders                 Parteien – die konkretesten Pläne und                  nichts weniger als unsere Zukunft.
  bei der öffentlichen Gemeinschafts-                   Maßnahmen in Sachen Tier- und Kli-
  verpflegung mehr auf vegetarische                     maschutz vor. Die Grünen widmen der                    Carolin Spicher

 Zentrale Tierschutz-Projekte – das antworten die Parteien
CDU/CSU      FDP                           SPD                                 Bündnis 90/Die Grünen                                    Die Linke

                                                          Ausstieg aus dem Tierversuch
                       2010 haben die EU-Staaten vereinbart, Tierversuche vollständig zu ersetzen, sobald dies wissenschaftlich möglich ist.
                                                Wird ihre Partei einen Ausstiegsplan entwickeln und verfolgen?

                       Für den perspektivischen Ausstieg aus          Die Grünen streben die weitere konse-            Die Linke setzt sich dafür ein, einen
                       den Tierversuchen wird die SPD eine            quente Reduktion von Tierversuchen an            verbindlichen Zeitplan für den schnellst-
 Keine      Keine      Gesamtplanung aufsetzen und die                und wollen sie mit einer klaren Ausstiegs-       möglichen und vollständigen Übergang
Antwort    Antwort     Entwicklung von tierversuchsfreien             strategie und innovativen Forschungs-            zur tierversuchsfreien Forschung zu
                       Verfahren stärker fördern.                     methoden schnellstmöglich ersetzen.              erarbeiten.
                       (Auszug aus dem Wahlprogramm)                  (Auszug aus dem Wahlprogramm)

                                            Tierversuchsanträge: standardisierte Prüfregeln
                     Zur Genehmigung eines Tierversuchs wird die ethische Vertretbarkeit bisher nach subjektiven Einschätzungen festgestellt.
                                                 Wird Ihre Partei sich für standardisierte Prüfregeln einsetzen?

                       Keine klare Antwort. Verweis auf die vor-      Keine klare Antwort. Entscheidungen              Die Linke fordert die Erarbeitung eines
                       handenen Regeln. Für die SPD ist wichtig,      über Tierversuche sollen nachvollzieh-           Handbuchs für Genehmigungsbehör-
 Keine      Keine      dass die Unabhängigkeit der Prüfbehör-         bar und transparent sein. Tierversuche           den mit einheitlichen Kriterien für die
Antwort    Antwort     den gewahrt bleibt und dass genehmigte         sollen zudem einer prospektiven und              Zulassung von Tierversuchen und eine
                       Versuchsvorhaben regelmäßig und unan-          retrospektiven Bewertung, unabhängig             ausnahmslose Genehmigungspflicht für
                       gekündigt kontrolliert werden.                 vom Schweregrad, unterliegen. Um die             alle Versuche. Des Weiteren muss der
                                                                      Durchführung doppelter Versuche künf-            Antragsteller angeben, was er unter-
                                                                      tig zu vermeiden, soll es eine Datenbank         nommen hat, um die wissenschaftliche
                                                                      zur Speicherung aller rückblickenden             Fragestellung so zu verändern, dass sie
                                                                      Bewertungen geben.                               ohne oder mit deutlich weniger lebenden
                                                                                                                       Tieren bzw. mit weniger Belas-
                                                                                                                       tungen beantwortet werden kann.

                                                   Förderung tierversuchsfreier Verfahren
      Um Tierversuche für Regulatorische Sicherheitstests beenden zu können, müssen etliche Tests entwickelt und anerkannt werden (Langzeit-, Inhalations-,
                    Reproduktions- und Entwicklungstoxizität). Dazu sind spezielle Förderprogramme nötig. Wird Ihre Partei diese auflegen?

                       Die SPD will allgemein die Entwicklung         Die Grünen wollen Investitionen in tier-         Die Linke fordert, die Fördergelder des
                       von tierversuchsfreien Verfahren noch          freie Innovationen sowie die Weiterent-          Bundes mit der Auflage zu verbinden, zu-
 Keine      Keine      stärker fördern.                               wicklung von verbesserten Medikamen-             nehmend tierfreie Methoden anzuwen-
Antwort    Antwort                                                    ten- und Sicherheitsprüfungen fördern            den, die tierexperimentelle Forschung zu
                                                                      und die Zulassung tierversuchsfreier             reduzieren und dies nachzuweisen sowie
                                                                      Verfahren beschleunigen.                         die Erforschung und Anwendung von
                                                                                                                       Alternativmethoden stärker zu
                                                                                                                       fördern.

  8               tierrechte | Ausgabe 3/2021
Magazin tierrechte Ausgabe 3/2021 - Menschen für Tierrechte
Zentrale Tierschutz-Projekte – das antworten die Parteien
CDU/CSU        FDP                           SPD                                 Bündnis 90/Die Grünen                                    Die Linke

                                                                 Tierschutzrecht stärken
Trotz des Staatsziels Tierschutz und einem umfangreichen Tierschutzrecht schützt unser Rechtsstaat die Tiere nicht zuverlässig. Sowohl bei Gesetzgebung und Kontrolle
                    als auch in der Strafverfolgung gibt es eklatante Defizite. Welche Maßnahmen plant Ihre Partei, um diese Missstände abzustellen?

                        Die Tierschutz-Nutztierhaltungsverord-          Die Grünen wollen die gesetzlichen               Die Linke verfolgt die gesetzliche Veran-
                        nung soll zukünftig alle Nutztierarten          Regelungen zur Tierhaltung verbessern            kerung und vollumfängliche Ausweitung
 Keine       Keine      sowie alle Haltungsformen umfassen. Für         und bestehende Lücken schließen. Sie             der Verbandsklagerechte für Tierschutz-
Antwort     Antwort     die Strafverfolgung bei Tierschutzverstö-       wollen wirkungsvolle Sanktionen bei              vereine im Sinne der Aarhus-Konvention
                        ßen setzt sich die SPD für mehr Schwer-         Tierschutzvergehen im Tierschutz- und            sowie eine bessere Ausstattung der
                        punktstaatsanwaltschaften ein.                  Strafrecht verankern sowie ein umfassen-         Behörden zur Durchsetzung des Tier-
                                                                        des Verbandsklagerecht für anerkannte            schutzrechts. Weitere Pläne umfassen
                                                                        Tierschutzorganisationen sowie eine/n            verbesserte Standards in der Tierhaltung,
                                                                        Bundestierschutzbeauftragte/n einfüh-            u. a. Verbote für: Amputationen, Qual-
                                                                        ren.                                             zuchten, Tiertransporte in EU-
                                                                                                                         Drittländer.

                                                   Umschichtung von EU-Agrarsubventionen
  Um Klimawandel, Artensterben und Zerstörung der Ökosysteme zu begegnen, müssen die EU-Agrarsubventionen von der ersten in die zweite Säule zugunsten von
  Tier-, Natur- und Klimaschutz umgeschichtet und ein Ausbau des ökologischen Landbaus vorangetrieben werden. Welche Maßnahmen und Ziele plant Ihre Partei?

                        Die SPD will die Umschichtung in die            Die Grünen wollen die öffentlichen               Die Linke setzt sich für eine grundlegende
                        Zweite Säule in den kommenden Jahren            EU-Agrargelder künftig an öffentliche            Reform der EU-Agrarpolitik ein, damit
 Keine       Keine      weiter erhöhen. Den Ausbau des ökologi-         Leistungen wie Klima-, Umwelt- und               öffentliches Geld konsequent an Um-
Antwort     Antwort     schen Landbaus hätte die SPD gefordert,         Tierschutz binden. Sie wollen den                welt- und Sozialkriterien sowie an Klima-
                        sie sieht einen weiteren Ausbau aber            Ökolandbau fördern, damit mehr                   und Tierschutz gebunden werden. Den
                        stark an die Nachfrage gekoppelt.               Betriebe umstellen. Nächstes Ziel sind 30        Ökolandbau will die Linke auf mindestens
                                                                        Prozent Ökolandbau bis 2030.                     25 Prozent der Agrarfläche bis 2030
                                                                                                                         ausbauen.

                                                                Abbau der Tierbestände
    Die Produktion tierischer Produkte verursacht 28 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen. Diese bestehen insbesondere aus Lachgas und Methan aus der
       Tierhaltung. Wissenschaftler halten den Abbau der Tierbestände für unumgänglich, um die Klimaziele zu erreichen. Was plant Ihre Partei diesbezüglich?

                        Die Tierproduktion muss an die vor Ort          Die Grünen wollen, dass deutlich weniger         Die Linke strebt eine an die Fläche gebun-
                        vorhandene Fläche geknüpft werden.              Tiere gehalten werden als bisher und             dene, auf die Nachfrage bezogene und
 Keine       Keine      Ziel der SPD ist eine Begrenzung auf zwei       diesen ein wesentlich besseres Leben             tiergerechte Tierhaltung an. Sie hält eine
Antwort     Antwort     Großvieheinheiten je Hektar.                    ermöglichen. Die Tierhaltung soll an die         Bemessungsgröße von 1,5 Großviehein-
                                                                        Fläche und an Obergrenzen pro Stall              heiten pro Hektar für notwendig und will
                                                                        gebunden werden.                                 Bestandsobergrenzen einführen. Zudem
                                                                                                                         setzt sie sich für ein Umbauprogramm
                                                                                                                         ein, das den Betrieben den Aus- oder
                                                                                                                         Umstieg finanziert.

                                                                   Ernährungsstrategie
             Zur Erreichung der Klimaziele ist neben der Transformation der Landwirtschaft die Erarbeitung einer Strategie für tier- und klimafreundliche,
                                               insbesondere pflanzliche, Ernährungsformen nötig. Was plant Ihre Partei?

                        Die SPD kündigt die Entwicklung eines           Vegetarisches und veganes Essen soll             Die Linke fordert eine gesunde und nach-
                        einheitlichen Nachhaltigkeitslabels an,         zum täglichen Angebot in öffentlichen            haltige Gemeinschafts- sowie eine kos-
 Keine       Keine      das den Griff zu pflanzlichen Alternati-        Kantinen gehören, auch bei der                   tenlose Kita- und Schulverpflegung, die
Antwort     Antwort     ven erleichtern soll. In der öffentlichen       Gemeinschaftsverpflegung in Kitas                auf regionale und ökologisch nachhaltige
                        Gemeinschaftsverpflegung sollen mehr            und Schulen. Die Markteinführung                 Lebensmittel setzt. Die Mehrwertsteuer
                        vegetarische Gerichte angeboten wer-            von pflanzlichen Alternativen und                auf frisches Obst und Gemüse als Haupt-
                        den. Ein vegetarisches Gericht sollte in        Fleischersatzprodukten sollen gefördert          bestandteil nachhaltiger Ernährung soll
                        der Regel günstiger sein als ein Fleisch-       und steuerlich begünstigt werden.                auf null reduziert werden. Vegetarische
                        gericht.                                        Zur einheitlichen Kennzeichnung von              Essensangebote sollen der Standard in
                                                                        pflanzlichen Lebensmitteln fordern               allen öffentlichen Einrichtungen sein.
                                                                        sie eine EU-weite rechtsverbindliche
                                                                        Definition von „vegetarisch“ und
                                                                        „vegan“.

                                                            Reduktion des Fleischkonsums
  Eine Reduzierung des Fleischkonsums um 48 Prozent könnte insgesamt 7,3 Mio. t CO2 einsparen, deswegen wird dies von führenden Wissenschaftlern und Gremien
                 empfohlen. Was plant Ihre Partei, um den Konsum von tierischen Produkten zu reduzieren und welches Reduktionsziel verfolgt sie?

                        Die SPD will die Menschen mit Bildungs-         Die Grünen richten sich nach                     Die Linke setzt sich für eine (freiwillige)
                        und Informationskampagnen zum                   Ernährungsempfehlungen und schlagen              Reduzierung des Fleischkonsums um
                        Zusammenhang ihrer Ernährung mit                eine Halbierung des Fleischkonsums vor.          mindestens ein Viertel bis 2030 ein. Die
 Keine       Keine      dem Klimawandel aufklären. Sie erwähnt          Sie wollen die vegetarische und vegane           Verbraucher*innen sollen durch positive
Antwort     Antwort     eine Halbierung des Fleischkonsums. Der         Ernährung attraktiver und zugänglich für         Anreize dazu motiviert werden, weni-
                        Zugang zu veganen und vegetarischen             alle machen.                                     ger, aber dafür hochwertigere tierische
                        Produkten soll erleichtert werden, z.B.                                                          Produkte zu konsumieren.
                        durch ein erweitertes Angebot in der
                        Gemeinschaftsverpflegung.

                                                                                                                  tierrechte | Ausgabe 3/2021                 9
Magazin tierrechte Ausgabe 3/2021 - Menschen für Tierrechte
Bundestagswahl 2021: Mensch, Tier und Umwelt brauchen die Wende

Was erwarten wir von der
neuen Regierung?
Wir fordern für die 20. Legislaturperiode die Einleitung eines   bei der Überfrachtung der Natur mit Nährstoffen. Die Land-
echten Paradigmenwechsels im Umgang mit Tieren und               wirtschaft trägt einen entscheidenden Teil zu diesen gefähr-
Umwelt. Dieser umfasst eine konsequente Transformation           lichen Entwicklungen bei. Die Erzeugung tierischer Produkte
unserer Landwirtschaft und einen Ausstiegsplan aus dem           verursacht fast ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemis-
Tierversuch. In Anbetracht des planetaren Notstands, in          sionen2. Damit das anvisierte Zwei-Grad-Ziel noch erreicht
dem wir uns befinden, sind aus Sicht des Bundesverbandes         werden kann, rufen auch der Weltklimarat (IPCC) und die
am 26. September nur die Parteien wählbar, die bereit sind,      Wissenschaft zu einem schnellen Wandel bei Lebensmittel-
diesen überlebenswichtigen Wandel einzuleiten.                   produktion und der Ernährung auf3.

   Um die Abschaffung der Tierversuche endlich entschlossen      Entscheidender Hebel: Ernährung
anzugehen, erwarten wir von der Politik die Erstellung einer       Wenn wir die Erde und damit unsere Lebensgrundlagen
Gesamtstrategie, die klare Zielsetzungen, ein Umsetzungs-        retten wollen, bedeutet das Abschied von der zerstörerischen
management und eine Qualitätssicherung umfasst. Dieser           Wachstumsphilosophie zu nehmen. Dies heißt für uns alle,
Ausstiegsplan sollte unter Federführung der Bundes- und          unsere Konsum- und Lebensgewohnheiten nachhaltig und
Länderregierungen unter Beteiligung aller Stakeholder aus        klimafreundlich auszurichten. Dazu gehört auch, dass wir un-
Wissenschaft, Industrie, Behörden und Tierschutz erstellt und    sere Ernährung schnellstmöglich auf pflanzliche Eiweißträger
umgesetzt werden. Einen ersten Erfolg gibt es: Nach inten-       umstellen. Denn gerade die Ernährung ist ein entscheidender
siver Lobbyarbeit im Rahmen unserer Gemeinschafts-Kam-           Hebel, um den menschengemachten Klimawandel zumindest
pagne „Ausstieg aus dem Tierversuch. JETZT!“ haben von           zu begrenzen.
den großen Parteien die Grünen, die Linke und die SPD die
Erstellung eines Ausstiegskonzepts in ihre Wahlprogramme         Ernährungswende: Strategie nötig
aufgenommen. Doch diesen Worten müssen nach der Wahl               Für eine Ernährungswende brauchen wir eine breit ange-
auch Taten folgen. Das heißt zunächst, dass die Pläne auch in    legte Informations- und Bildungskampagne für pflanzliche
den Koalitionsvertrag der nächsten Bundesregierung aufge-        Ernährungsformen und die Erhöhung des Angebotes veganer
nommen werden.                                                   Mahlzeiten in öffentlichen Einrichtungen. Wichtig ist zu-
                                                                 dem mehr Forschungsförderung für pflanzliche Alternativen
Plakataktion „Tierversuche abwählen!“                            sowie steuerliche Vergünstigungen für klimafreundliche
  Um im Vorfeld der Bundestagswahl auf den wichtigen             Lebensmittel. Außerdem brauchen wir eine verpflichtende
Ausstiegsplan aufmerksam zu machen, werben                                                  und umfassende Produkt-Kenn-
im Zeitraum vom 30. August bis 13. Septem-                                                   zeichnung, die die Kaufent-
ber unter dem Motto „Tierversuche abwäh-                                                     scheidung im Sinne pflanzlicher
len“ 190 imposante Plakate in 23 Städten                                                     Alternativen fördert. Tierische
Deutschlands für den Ausstieg aus dem                                                         Produkte sollten dagegen durch
Tierversuch. Mit diesen Hinguckern wollen die                                                 Steuererhöhungen und spezielle
Beteiligten unserer Gemeinschafts-Kampagne                                                    Abgaben verteuert werden.
vor der Wahl darüber informieren, welche Par-
teien sich für den Ausstieg aussprechen.

10-Punkte für eine Agrar und
Ernährungswende
  Bezüglich des Umbaus der Landwirtschaft
stellte der Bundesverband bereits im Mai seine
zehn Forderungen für eine Agrar- und Ernäh-
rungswende vor. Klimawissenschaftler schätzen,
dass der Menschheit noch zehn Jahre bleiben,
um zu verhindern, dass das System Erde irrever-
                                                                                                     hüre
sibel aus dem Lot gerät1. Dabei geht es nicht nur
                                                                              r 10 -s eitigen Brosc            gswende
um den Klimawandel: Dramatisch ist die Situation            Downlo    a d d e
                                                                                     in e Agra r- und Ernährun
                                                                               für e
auch bezüglich des Verlusts an Biodiversität und            Forderungen                          te.de
                                                                P D F u n te r  www.tierrech
                                                            als

10           tierrechte | Ausgabe 3/2021
190 Plakate hängen und leuchten vom 30. August bis 13. September an viel frequentierten
                                                                                                                Orten wie U-Bahn-Stationen. Sie weisen auf das verborgene Leid von Millionen Tieren in
                                                                                                                deutschen Laboren hin und sollen die Wahlentscheidung erleichtern.

     Die zehn Forderungen in Kürze                                                                              Milliarden schweren EU-Agrarsubventionen muss in eine kon-
        1. Strategie für tier- und klimafreundliche                                                             sequente Transformation unserer Landwirtschaft fließen. Die
           Ernährungsformen                                                                                     Landwirtschaft muss künftig nachhaltig pflanzliche Lebens-
        2. Tierbestände drastisch reduzieren                                                                    mittel erzeugen und im Sinne des Gemeinwohls Ökosysteme
                                                                                                                renaturieren und pflegen.
        3. Weg von der Tierhaltung: Umstiegswillige
           LandwirtInnen fördern
                                                                                                                Tiere effektiv schützen
        4. Forschungsförderung für tierlose Anbausysteme                                                           Da in absehbarer Zeit (leider) noch Tiere für die Produktion
        5. Tierschutzrecht, Vollzug und Gerichtsbarkeit                                                         tierischer Produkte gehalten werden, muss endlich sicherge-
           stärken                                                                                              stellt werden, dass sie zumindest effektiv geschützt werden.
        6. Agrarsubventionen ökologisieren                                                                      Dies ist momentan nicht gegeben: Trotz des Staatsziels
         7. Schädliche Subventionen beenden                                                                     Tierschutz im Grundgesetz und einem scheinbar umfang-
                                                                                                                reichen Tierschutzrecht schützt unser Rechtsstaat die Tiere
        8. Ökosysteme renaturieren und pflegen
                                                                                                                nicht zuverlässig. Sowohl bei Gesetzgebung und Kontrolle
        9. Schluss mit der Exportorientierung                                                                   als auch in der Strafverfolgung gibt es eklatante Defizite.
      10. Regionaler Anbau statt Soja-Importe                                                                   Diese müssen endlich behoben werden, beispielsweise indem
                                                                                                                strafrechtliche Bestandteile aus dem Tierschutzgesetz in
                                                                                                                das Strafgesetzbuch übernommen werden sowie durch eine
                                                                                                                deutliche Erhöhung der Strafen für Tierschutzvergehen. Wei-
                                                                                                                tere Maßnahmen sind: das Verbot jeglicher Haltungsformen
Ausstieg aus der Tierhaltung fördern                                                                            und Zuchtformen, die gegen das Tierschutzgesetz verstoßen,
  Die Einnahmen aus den Abgaben auf tierische Lebensmittel                                                      mehr Tierschutzkompetenz bei Staatsanwaltschaften und Ge-
sollten in Umstiegsförderungen für Landwirt:innen fließen,                                                      richten, umfassende und regelmäßige veterinärmedizinische
die aus der Tierhaltung aussteigen. Weitere Maßnahmen sind                                                      Kontrollen sowie eine optimale Ausstattung von Veterinär-
eine Ökologisierung der Agrarsubventionen, eine drastische                                                      sowie Lebensmittelüberwachungsämtern. Auf Bundesebene
Reduzierung der Tierbestände und Forschungsförderung für                                                        sollte zudem eine effektive Tierschutz-Verbandsklage und
tierlose Anbausysteme. Außerdem sollten schädliche Subven-                                                      ein:e Bundesbeauftragte:r für Tierschutz eingeführt werden.
tionen, Soja-Importe und die Exportorientierung beendet
werden. Die Landwirtschaft sollte in erster Linie für den                                                       Sie haben die Wahl!
heimischen Markt produzieren.                                                                                      Wir hoffen, dass die neue Regierung ihre Tier-
                                                                                                                schutz-Scheuklappen ablegt und im Angesicht des planetaren
Gemeinwohlorientierte Lebensmittelerzeugung                                                                     Notstands, in dem wir uns befinden, endlich wirkungsvolle
   Die Welt um uns herum steht in Flammen. Gleichzeitig för-                                                    Maßnahmen ergreift. Der Bundesverband wird sich mit aller
dern wir noch immer die industrielle Tierhaltung mit all ihren                                                  Kraft dafür einsetzen, dass dieser Paradigmenwechsel ge-
furchtbaren Folgen für Tiere, Klima und Umwelt. Dies muss                                                       lingt. Am Wahltag liegt diese Richtungsentscheidung in den
sich dringend ändern. Jeder Steuer-Cent aus den über 400                                                        Händen der Wähler:innen. Bitte informieren Sie sich und ihre
                                                                                                                Mitmenschen, damit möglichst viele für Parteien stimmen,
                                                                                                                die bereit sind, den überlebenswichtigen Wandel einzuleiten.
1) https://www.spiegel.de/wissenschaft/klima-erdsystemforscher-johan-rockstroem-warnt-vor-einer-men-
   schenfeindlichen-heisszeit-a-22711d6f-0002-0001-0000-000177514662 (abgerufen am 27.05.2021)
2) Poore, J., Nemecek, T. (2018): Reducing food’s environmental impacts through producers and consumers.        Carolin Spicher
   Science Vol. 360, Issue 6392, pp. 987-992 DOI: 10.1126/science.aaq0216
3) Masson-Delmotte, V., Zhai, P., Pörtner, H.-O., et al. (eds.) (2019). Climate Change and Land. IPCC Special
   Report on Climate Change, Desertification, Land Degradation, Sustainable Land Management, Food Se-
   curity, and Greenhouse gas fluxes in Terrestrial Ecosystems. August 2019. https://www.ipcc.ch/site/assets/
   uploads/2019/11/SRCCL-Full-Report-Compiled-191128.pdf (abgerufen am 27.05.2021)

                                                                                                                                               tierrechte | Ausgabe 3/2021                     11
Bundestagswahl 2021: Mensch, Tier und Umwelt brauchen die Wende

Kosten desaströser Produktion müssen
konsequent eingepreist werden!
Marius Rommel ist Vater von zwei Kindern und lebt in Flegessen bei Hameln.

                                                                                                                                          Foto: privat
Derzeit erforscht er als Nachhaltigkeitsökonom die Gelingensbedingungen Solidarischer
Landwirtschaft (SoLawi) mit dem Fokus auf resiliente Ernährungssysteme im Forschungs-
projekt nascent an der Universität Siegen. Im CSX-Netzwerk verbindet ihn mit weiteren
Engagierten die Vision, lebendige und lokale Wirtschaftsstrukturen auf Basis gemein-
schaftsgetragener Wertschöpfung zu realisieren. Außerdem ist er Dorf- und Regional-
entwickler und engagiert sich für die Gestaltung ländlicher Zukunftsfähigkeit.

Sie haben im Rahmen Ihres Forschungs-      rigen Zahlungsbereitschaft als auch in       turieren müssen. Bio allein ist nicht die
projekts „nascent“ das Potenzial           der stillen Akzeptanz zerstörerischer        Lösung, das wird immer deutlicher, es
transformativer Wirtschaftsformen im       Produktionsformen.                           muss vor allem darum gehen, lokale bis
Ernährungssektor untersucht, was ist                                                    regionale Wertschöpfung zu steigern.
der Ausgangspunkt Ihrer Forschung?         Lassen Sie uns den Fokus erweitern:          Gleichzeitig gilt es, diejenigen Bereiche
   Auf einen Punkt: Wachse oder Wei-       Prognosen gehen davon aus, dass die          zu subventionieren, die Ökosystemleis-
che! Dieser häufig so verniedlicht mit     Weltbevölkerung bis 2050 auf rund            tungen erbringen und gleichzeitig die
„Strukturwandel“ bezeichnete Prozess       zehn Milliarden anwachsen wird. Zu-          wahren Kosten ökologisch und sozial
ist zum Leitslogan einer Agrarentwick-     sätzlich steigern die sich verändernden      desaströser Produktion, wie beispiels-
lung geworden, in welcher kleinbäu-        Ernährungsgewohnheiten die weltwei-          weise intensive Massentierhaltung,
erliche Strukturen keinen Platz mehr       te Fleischproduktion. Welche Chancen         konsequent einzupreisen.
finden. Dieser Prozess wurde nun über      haben nachhaltige Wirtschaftsformen
Jahrzehnte durch aus meiner Sicht          vor diesem Hintergrund?                      In wenigen Wochen wählen wir einen
falsche Förderpolitik vorangetrieben         Ich würde sagen, dass sie der ein-         neuen Bundestag. Die nächste Regie-
und verschärft sich durch die Tatsache,    zige Ausweg aus diesem Dilemma               rung wird maßgeblich darüber entschei-
dass Externalisierung, also die Abwäl-     sind. Denn hinsichtlich der Frage nach       den, wie die Landwirtschaft der Zukunft
zung von ökologischen Schäden durch        Flächenproduktivität oder Ressource-         in Deutschland und in Europa aussehen
betriebliche Prozesse, von der Allge-      neffizienz ist industrialisierte Landwirt-   wird. Welche Maßnahmen würden Sie
meinheit zu tragen sind. Gleichermaßen     schaft kleinstrukturierten, regenerativ      der nächsten Bundesregierung in den
problematisch ist das Nichtbeachten po-    und arbeitsintensiveren Ansätzen ja          Koalitionsvertrag schreiben?
sitiver externer Effekte (Ökosystemleis-   himmelweit unterlegen. Zahlreiche              Allgemein ist es dringend geboten,
tungen) in der Kostenkalkulation der       Studien belegen, dass agrarökologische       Bodenspekulation zu verhindern, um
Erzeuger. Marktwirtschaftlich werden       Bewirtschaftung auf weniger Fläche bei       die Preissteigerungen zu unterbinden.
also weder ökologische Schäden noch        geringerem Ressourceneinsatz einen           Dazu könnte dienlich sein, als Staat
nachhaltig gerichtetes Handeln ausrei-     größeren Ertrag liefert und gleichzeitig     Land zurückzukaufen, wo immer es
chend berücksichtigt. Unternehmen,         Humus aufbaut, Biodiversität steigert,       Landgrabbing von Spekulanten zum
die sich nachhaltigen, regenerativen       CO2 bindet, sprich Ökosysteme regene-        Opfer gefallen ist und gesetzlich zu
Produktionsweisen verschreiben, bringt     riert. Die Mär der Effizienzsteigerungen     regulieren, das Land und Boden nicht
das in betriebswirtschaftliche Engpässe.   der industrialisierten Landwirtschaft        Spekulationsobjekt sein darf. Die Flä-
Darüber hinaus münden global vernetz-      verpufft sofort, wenn die externen           chenprämie sollte weichen und Platz
te und kleinteilig spezialisierte Wert-    Folgeschäden berücksichtigt werden           machen für ökologische Punktesystem
schöpfungsketten, wie sie mittlerweile     und offenkundig wird, dass diese             sowie die Berücksichtigung der Anzahl
auch in der Lebensmittelproduktion zu      „Effizienz“ die ökologische Plünderung       an Beschäftigten und Wertschöpfungs-
sehen sind, nicht nur in der Notwen-       unseres Planeten voraussetzt.                tiefe der jeweiligen Betriebe. Generell
digkeit zusätzlicher Infrastrukturen                                                    die Streichung aller Subventionen für
und Produktionsmittel (Maschinen für       Anfang Juli veröffentlichte die Zu-          große und industrielle Agrarbetriebe,
Transport und Abpackprozesse, Lager-       kunftskommission Landwirtschaft              weil sie zu einer volkswirtschaftlich
hallen, Logistikunternehmen, ...), son-    (ZKL) ihren Abschlussbericht. Wie            schädlichen Marktverzerrung zulasten
dern steigern gleichermaßen die soziale    bewerten Sie die Ergebnisse?                 dezentraler und ökologischer Versor-
Entfremdung zwischen Verbrauchern            Durchaus positiv. Es ist deutlich          gungseinheiten führen.
und Produkten. Die „moralische Indif-      erkennbar, dass an vielen Stellen die
ferenz“ durch physische und psychische     Erkenntnis wächst, dass wir unser Er-
                                                                                                                        der
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Distanz zeigt sich sowohl in der nied-     nährungssystem grundlegend umstruk-              Ausführliche               r tierrechte.d
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                                                                                            Interviews le

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