Magazin tierrechte Ausgabe 3/2021 - Menschen für Tierrechte
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Magazin tierrechte Ausgabe 3/2021 Bundestagswahl 2021: Mensch, Tier und Umwelt brauchen die Wende Was erwarten wir von der neuen Regierung? Hochwasserkatastrophe: Notfallfonds rettet Tierleben Interview: „Wir brauchen ein ganz neues Ernährungssystem!“
Inhalt Hochwasserkatastrophe: Notfallfonds rettet Tierleben ........................................ 4 Die Hochwasserkatastrophe im Juli kostete viele Menschenleben. Die Zahl der Tiere, die in den Fluten ertranken, ist überhaupt nicht bezifferbar. Der Bundesverband richtete kurzerhand einen Notfallfonds ein und machte einen Spendenaufruf. Die enorme Hilfsbereitschaft für die Tiere, ermöglichte nicht nur Nothilfe für Tiere, Vereine und Auffangstationen. Die Spenden werden auch zum Wiederaufbau beitragen. Bundestagswahl 2021: Die Positionen der Parteien .............................................. 6 Fotos Titelseite: Colin Goldner (Schimpanse), free Zur Bundestagswahl am 26. September haben wir die Parteien zu den zentralen animal pix (Tiger), Marc Tollas/Pixelio (Kalb), soylent network (Schwein), efmukel/AdobeStock (Maus), tierschutzpolitischen Themen befragt. Dies sind die dringend notwendige Agrar- Jose Manuel Gelpi/Fotolia (Küken), Kurt Klement/ Pixelio (Mops), animal rights watch (Legehenne), und Ernährungswende sowie der Ausstieg aus dem Tierversuch. Um Ihnen einen simonschmid614/Pixabay (Bundestag) umfassenden Überblick zu geben, haben wir zusätzlich die Wahlprogramme analysiert. Es zeigt sich, dass die Grünen – unter den etablierten Parteien – die weitreichendsten Tierschutzpläne verfolgen, dicht gefolgt von den Linken und der SPD. Was erwarten wir von der neuen Regierung? ...................................................... 10 Impressum Wir fordern für die 20. Legislaturperiode die Einleitung eines echten Paradig- ISSN 1434-220 menwechsels im Umgang mit Tieren und Umwelt. Dieser umfasst eine konse- tierrechte wird herausgegeben von quente Transformation unserer Landwirtschaft und einen Ausstiegsplan aus Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e. V. und erscheint dem Tierversuch. In Anbetracht des planetaren Notstands, in dem wir uns be- viermal jährlich. Der Verkaufspreis ist im finden, sind aus Sicht des Bundesverbandes am 26. September nur die Parteien Mitgliedsbeitrag enthalten. wählbar, die bereit sind, diesen überlebenswichtigen Wandel einzuleiten. Herausgeber/Verlag Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e. V. Interview: „Wir brauchen ein ganz neues Ernährungssystem!“ ......................... 13 Severinusstr. 52 | 53909 Zülpich Tel. 02252 - 830 12 10 | Fax 02252 - 830 12 11 Die Journalistin und Autorin Dr. Tanja Busse erklärt im Interview, warum wir info@tierrechte.de | www.tierrechte.de ein neues Ernährungssystem brauchen, welche Aufgaben die Landwirt:innen Redaktion der Zukunft haben und welche Landwirtschafts-Pläne im nächsten Koalitions- Christina Ledermann, V.i.S.d.P. vertrag stehen sollten. Christiane Hohensee Claudia Gerlach Carolin Spicher Rückblick: Tiernutz- statt Tierschutzbilanz ............................................................. 5 Gestaltung Zentrale Tierschutz-Projekte – das antworten die Parteien .................................. 8 Das Atelier | Alexa Binnewies www.dasatelier.de Interview: „Kosten desaströser Produktion müssen konsequent eingepreist werden!“ .............................................................................................. 12 Druck Bartels Druck GmbH, 21337 Lüneburg www.bartelsdruckt.de Stadttaubenkonzept: Umfrage belegt Potenzial ................................................. 14 Papier Berlin-Wahl: Keine Tierschutzambitionen bei SPD, CDU und FDP ...................... 16 tierrechte wird auf 100% Recyclingpapier – ausgezeichnet mit dem Umweltengel – Tierversuchsgesetzgebung: Lobby setzt sich durch ............................................ 18 gedruckt Bundesverband wird transparenter ...................................................................... 20 Vorstand Nachruf auf Dr. Walter Neussel .............................................................................. 20 ▪ Christina Ledermann, M.A. Vorsitzende und Pressereferentin Israel verbietet Pelz im Modehandel ..................................................................... 20 Tel. 05840 - 999 97 90 ledermann@tierrechte.de Revolution aus der Labor-Küche ............................................................................ 20 ▪ RA Judith Reinartz Stellvertretende Vorsitzende Bonn: Karneval zukünftig ohne Pferdeleid ........................................................... 20 Tel. 02252 – 83 01 210 reinartz@tierrechte.de Ausstieg aus dem Tierversuch: Neue EU-Bürgerinitiative ................................... 21 ▪ Susanne Pfeuffer Neu: Broschüre zum „Versuchstier des Jahres“ .................................................... 21 Stellvertretende Vorsitzende pfeuffer@tierrechte.de Rubriken Mitglieder im Vorstand ▪Dr. Ute Teichgräber Impressum .................................................................................................................. 2 teichgraeber@tierrechte.de Editorial ...................................................................................................................... 3 ▪ Carolin Spicher, M.Sc. (Biologie) spicher@tierrechte.de Shop .......................................................................................................................... 22 Ehrenmitglied: Helfen ....................................................................................................................... 23 ▪ Dr. jur. Eisenhart von Loeper Kontakt ..................................................................................................................... 24 2 tierrechte | Ausgabe 3/2021
Editorial Mitglied bei aturschutzring Deutscher N Liebe Leserinnen und Leser, r Animals Eurogroup fo Beendigung Koalition zur der Sommer vor der Bundestagwahl war ein Katastro- Europäische E) uchen (ECEA von Tier vers phensommer. Statt den üblichen Sommerloch-Meldun- InterNICHE gen sahen wir die dramatischen Bilder der Flutkatas- litik Tierschutzpo trophe in Deutschland, den Waldbränden im Mittelmeerraum oder Berichte über Bündnis für z neue Hitzerekorde in Kanada, Norwegen und Italien. Statt Sommerfrische leiden Klima Allian aner ozyklisch-Veg wir unter Tropenklima und Unwettern. Und die Tiere? Sie leiden gleich mehrfach: Förderkreis Bi Anbau e.V. Qualgezüchtet fristen sie ein kurzes leidvolles Leben. Die industrielle Tierhaltung ist nis Fuchs gleichzeitig ein Brandbeschleuniger des Klimawandels, dem die Tiere wiederum mas- Aktionsbünd senhaft zum Opfer fallen. Ob „Nutz-, Haus- oder Wildtiere“ – sie ertrinken, ersticken oder verbrennen – oft ohne eine Chance auf Rettung. Betroffen war auch die Geschäftsstelle des Bundesverbandes in Zülpich, die mitten im Flutgebiet liegt. Um das Leid der Tiere bei der Jahrhundertflut zu lindern, richtete der Bundesverband kurzerhand einen Notfallfonds für die tierischen Flutopfer ein. Wir waren überwältigt von der enormen Hilfsbereitschaft. Fast 24.000 Euro Spenden kamen zusammen. Hinzu kommen 10.000 Euro, die der Bundesverband einbringt. An dieser Stelle vielen herzlichen Dank an alle Spender:innen! Mit diesem Geld leis- teten wir Nothilfe für Tiere und helfen langfristig beim Wiederaufbau von Lebens- höfen, Tierheimen und Auffangstationen. Wenn wir am Wahlsonntag unser Kreuzchen machen, sollten wir diese totbringen- den Fluten, Brände und Hitzewellen vor Augen haben. Sie zeigen uns unmissver- ständlich, dass unser aktueller Lebensentwurf die Erde zerstört. Im Interview fordert der Nachhaltigkeitsökonom Marius Rommel deswegen, an Stelle des Effizienzdog- mas der industrialisierten Landwirtschaft endlich die desaströsen Folgeschäden zu berücksichtigen. Die Journalistin Dr. Tanja Busse spricht von der globalen Dimension der Fleischkonsum-Krise und fordert eine neue Agrar- und Ernährungspolitik. Dabei muss es ökonomisch vorteilhaft sein, keinen ökologischen Schaden anzurichten. Die Landwirt:innen der Zukunft dürfen nicht nur Lebensmittelerzeuger sein, sondern auch Hüter:innen des Klimas der Biodiversität und des Grundwassers. Doch nicht nur die Die Landwirt:innen stehen vor Veränderungen. Auch wir Konsument:innen müssen bereit sein, unseren kompletten Konsum nachhaltig auszurichten. Um Ihnen eine Orientierung zu geben, welche Parteien wirksame Konzepte und Plä- ne für einen Ausstieg aus dem Tierversuch und für eine Agrar- und Ernährungswen- de vorlegen, haben wir die Parteien befragt und ihre Wahlprogramme durchforstet. In den verbleibenden Wochen vor der Bundestagswahl bieten wir Ihnen außerdem auf unserer Webseite tierrechte.de weitere Übersichten, Auswertungen sowie einen Tierschutz-Wahl-O-Mat. Für das Überleben auf diesem Planeten brauchen wir einen Paradigmenwechsel. Lassen Sie uns gemeinsam dafür streiten. Für Menschen und Tiere. Vielen Dank! Spenden-/Beitragskonto Bundesverband der Herzlichst Tierversuchsgegner e. V. Ihre Christina Ledermann Sparkasse Aachen IBAN: DE02 3905 0000 0016 007973 PS. Leider haben CDU/CSU und die FDP unsere Fragen bis zum Redaktionsschluss BIC: AACSDE33 dieser Ausgabe nicht beantwortet, obwohl wir den Drucktermin extra nach hinten verschoben haben. Deswegen konnten wir nur deren Wahlprogramme auswerten. Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e. V. ist als gemeinnützig und besonders förderungswürdig anerkannt. Spenden und Mitgliedsbeiträge sind steuerlich absetzbar. Erbschaften und Vermächtnisse sind von der Erbschaftssteuer befreit. tierrechte | Ausgabe 3/2021 3
Bundestagswahl 2021: Mensch, Tier und Umwelt brauchen die Wende Hochwasserkatastrophe Notfallfonds rettet Tierleben Die Hochwasserkatastrophe im Juli kostete viele Menschenleben. Die Zahl der Tiere, die in den Fluten Foto: AdobeStock/Worawut ertranken, ist überhaupt nicht bezifferbar. Der Bundesverband richtete kurzerhand einen Notfallfonds ein und machte einen Spendenaufruf. Die enorme Hilfsbereitschaft für die Tiere, ermöglichte nicht nur Die Zahl der tierischen Opfer, die bei der Hochwasserkatastrophe Nothilfe für Tiere, Vereine und Auffangstationen. im Juli starben, ist unbekannt. Die Spenden werden beim Wiederaufbau helfen. Die Jahrhundertflut, die Mitte Juli desaströse Verwüstun- Soforthilfe und Wiederaufbau gen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen anrichtete, Zusammen mit den vom Bundesverband selbst aufgebrach- kostete viele Leben. Bei Katastrophen wird jedoch vor allem ten Mitteln können rund 35.000 Euro an Vereine verteilt über die menschlichen Opfer berichtet und wenig von den werden, die besonders stark von der Flutkatastrophe betrof- Tieren. Dabei sind gerade sie besonders betroffen. Wildtiere, fen sind. Dies sind beispielsweise die Reptilienauffangstation „Weidetiere“, aber auch Tiere in Zoos, Ställen und Häusern Aachen, der Tierschutzverein Bad Münstereifel und der Pony- wurden von den Wassermassen überrascht. Manche konnten gnadenhof Leichlingen, der vor allem alte und blinde Tiere sich retten, viele ertranken oder werden vermisst. Als die aufnimmt. Spenden erhielten bisher außerdem der Gnaden- Menschen in Panik ihre Häuser verließen, blieben viele Haus- hof Anna, die Igelstation Bonn, die Katzenschutzfreunde tiere zurück. In einer Mastanlage in Schaffhausen fielen fast Rhein-Ahr-Eifel, die Kölner Katzenschutz-Initiative, die auch 17.000 Hühner den Fluten zum Opfer. in Erftstadt tätig ist sowie der Katzenschutz Bonn/Rhein- Sieg. Unterstützt wurden auch die Dogman Tierrettung, die Betroffen: Geschäftsstelle in Zülpich Tierrettung Unterland sowie die Notfallrettung Niederbay- Betroffen war auch die Geschäftsstelle des Bundesver- ern, die unermüdlich eingeschlossene Tiere retteten, obwohl bandes in Zülpich, die etwa 30 Minuten vom Ahrtal und nur die Häuser zeitweise nicht betreten werden durften. Weitere zehn Kilometer von Erftstadt-Blessem entfernt, mitten im Vereine, die Hilfe vor Ort leisteten, waren unter anderem der Flutgebiet liegt. Das Büro und der angeschlossene Hof der Klepperstall und die Reptilienauffangstation in der Eifel, die Geschäftsführerin Judith Reinartz kamen glücklicherweise Flutopfer aufnahm sowie das Notpfote Federheim in Neuss. mit Wasserschäden davon. Doch viele Tierschützer und Verei- Der Notfallfonds wird in den kommenden Wochen an wei- ne im Flutgebiet traf es hart. Teilweise dauerte es tagelang, tere betroffene oder engagierte Tierschutzorganisationen bis sie überhaupt erreicht werden konnten, da weder Strom ausgezahlt. noch Internet funktionierten. Als Judith Reinartz das ganze Ausmaß der Katastrophe sah, brach sie kurzerhand ihren Todesfalle Massentierhaltung Sommerurlaub ab und begann zu helfen. Die totbringenden Fluten, die besonders Massentierhal- tungsanlagen zu Todesfallen machen, sollten uns daran Notfallfonds für Tierrettung erinnern, dass auch die Ausbeutung der Tiere in der indust- Sie brachte Sachspenden zur Reptilienauffangstation in riellen Tierhaltung maßgeblich zum Klimawandel und damit Stolberg, die völlig zerstört wurde. Sie nahm Tiere auf und zu Extremwetterereignissen beiträgt. Die Tiere leiden dabei kaufte säckeweise Futter und lieferte es dorthin, wo es gleich mehrfach: Sie sind Opfer eines perfiden Ausbeutungs- gebraucht wurde. Benötigt wurden auch Spritzen, Medika- systems, dass sie zu Fleisch-, Eier- oder Milchproduzenten mente, Desinfektionsmittel und Handschuhe sowie Zaun- ohne Eigenwert degradiert und sie leiden und sterben bei material und Zubehör für Terrarien, denn es fehlte an allem. Überschwemmungen und Bränden, Ende März allein 55.000 Der Vorstand des Bundesverbandes beschloss kurzfristig beim Großbrand der riesigen Schweinezuchtanlage in Alt einen Notfallfonds aufzulegen und stellte selbst 10.000 Euro Tellin. Immer wieder sterben tausende von Hühnern, Puten Soforthilfe bereit. Der spontan gestartete Spendenaufruf oder Schweinen qualvoll, weil beispielsweise die Belüftungs- hatte eine unerwartete Resonanz: Bis zur Drucklegung dieser anlagen in den Megaställen ausfallen. Dieser Wahnsinn muss Ausgabe kamen mehr als 24.000 Euro allein an externen enden. Wir brauchen eine Wende. Für Menschen und Tiere – Spenden zusammen. und für das Überleben auf diesem Planeten. Vielen Dank für Ihre Hilfe! Christina Ledermann 4 tierrechte | Ausgabe 3/2021
Bundestagswahl 2021: Rückblick: Tiernutz- statt Tierschutzbilanz Die scheidende Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöck- te und sie deswegen nur noch für eine Übergangszeit zuließ. ner (CDU) feiert ihre Tierschutzinitiativen gern selbst als Doch auch dieses Verbot ist nur ein Scheinerfolg. Denn die „große Schritte“ oder „Meilensteine“. Die neuen Vergabere- aktuell verfügbaren Verfahren zur Geschlechtsbestimmung geln für die immensen EU-Agrarsubventionen bezeichnete im Ei funktionieren erst nach dem neunten Bebrütungs- sie gar als „Systemwechsel“. In Wahrheit ist die Tierschutzbi- tag. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Embryonen lanz der Großen Koalition eher eine „Tiernutzbilanz“. bereits ab dem siebten Bruttag Schmerz empfinden kön- nen. Zudem ändert dies nichts am Ausbeutungssystem. Die Betrachtet man die Liste der Tierschutzthemen, mit denen sogenannten Legehennen werden weiterhin nach einem Jahr sich die seit 2017 regierende Große Koalition beschäftigt getötet, wenn ihre Legeleistung nachlässt. hat, entsteht fast der Eindruck, dass sich in den letzten vier Jahren in Sachen Tierschutz viel getan hätte. Doch weit ge- Never-Ending Story „Tierwohl-Label“ fehlt. Beispiel Ferkelkastration: Obwohl es viel früher möglich Seit fünf Jahren diskutiert die GroKo die Einführung eines gewesen wäre, verschob der Bundesrat Ende 2018 ein Verbot staatlichen Tierschutzlabels. Doch Klöckners Großprojekt der betäubungslosen Ferkelkastration auf 2021. Die Verschie- wird in dieser Legislaturperiode nicht mehr kommen. So wie bung bedeutete, dass 55.000 Tausend Ferkel täglich weiter- Klöckner das Label geplant hatte, stieß es ohnehin weder hin völlig unnötige Qualen erleiden mussten. Und warum? bei den Tierschutzverbänden, den Bürger:innen, der Oppo- sition, noch beim Koalitionspartner SPD und dem Bundes- Armutszeugnis Ferkelkastration rechnungshof auf Gegenliebe. Hauptkritikpunkte waren die Weil Schweinezüchter, Bauernverband und Fleischindustrie viel zu niedrigen Anforderungen für die unteren Labelstufen billig produzieren wollen und diesen Druck offenbar erfolg- und die Tatsache, dass das Label nicht verpflichtend, sondern reich an die Politik weitergaben. Berlins grüner Senator Dr. nur freiwillig sein sollte. Klöckner begründete dies mit dem Dirk Behrendt erklärte nach der Abstimmung: „Der Bundes- EU-Rechtsrahmen, der nationale verbindliche Kennzeichnun- rat hat den Tierschutz in Deutschland mit Füßen getreten“. gen nicht erlaube. Da stellt sich die Frage, wieso die Ministe- Folgerichtig reichte Berlin 2019 Normenkontrollklage beim rin Jahre auf ein freiwilliges Label verschwendete, statt eine Bundesverfassungsgericht ein. Begründung: Die Schweinehal- effektive und EU-rechtskonforme Lösung zu finden. Und die tung sei verfassungswidrig und unvereinbar mit dem Tier- hätte es geben können. Bei der vierstufigen Eierkennzeich- schutzgesetz. Ähnlich ging es beim Thema Kastenstand zu. nung ist dies beispielsweise gelungen. Es wird sich zeigen, ob Im Juli 2020 stimmte der Bundesrat einer Gesetzesänderung es der nächsten Bundesregierung gelingen wird, endlich ein zu, nach der Muttersauen weitere zehn Jahre in sogenannten verpflichtendes stattliches Label mit strengen Kriterien ein- Kastenständen fixiert werden können. Der Kompromiss, um zuführen. Doch auch ein besseres Label ist kein Allheilmittel den monatelang gerungen wurde, enthielt zwar auch Ver- für die systembedingten Missstände in der industrialisierten besserungen für die Tiere, dennoch sind die Sauen weiterhin Tierhaltung. zu wochenlanger Bewegungsunfähigkeit verdammt. Tiertransporte: Entdeckt Klöckner ihr Herz für Scheinerfolg: Ausstieg aus dem Kükentöten Tiere? Nach dem Koalitionsvertrag hätte das millionenfache Töten Ende Juni gerierte sich Klöckner beim EU-Agrarrat als der männlichen Küken eigentlich bereits 2019 beendet sein Tierschutzministerin. Auf der Agenda stand ein Antrag, der müssen. Doch auch dieses Verbot kam erst mit großer Verzö- ein EU-weites Verbot von Langstreckentransporten lebender gerung. Am 20. Mai diesen Jahres beschloss die Bundesregie- Tiere in Nicht-EU-Länder forderte. Dieses soll bei der Überar- rung, das Kükentöten ab 2022 zu verbieten. Mit dem Verbot beitung der EU-Verordnung umgesetzt werden. Der Vorstoß reagierte Klöckners Ministerium auf das Urteil des Bundes- ist natürlich zu begrüßen. Skandalös ist jedoch, dass Klöckner verwaltungsgerichts von 2019, das die barbarische Praxis auf ein Export-Verbot auf nationaler Ebene bisher konsequent Basis des Staatsziels Tierschutz als verfassungswidrig einstuf- blockiert – obwohl sich der Bundesrat noch Anfang des Jah- Fotos: Pixabay/Roy Buri (Ferkel), Fotolia/Jose Manuel Gelpi (Küken), tierrechte (Sau mit Ferkeln) tierrechte | Ausgabe 3/2021 5
Bundestagswahl 2021: Mensch, Tier und Umwelt brauchen die Wende res für ein Verbot ausgesprochen hatte und mehrere unab- den Tierschutz“ am 25. Juni 2021 eine überraschende Abfuhr, Fotos: Colin Goldner (Elefantendressur), Fotolia/Kara (Kuh mit Kalb), iStock/artisteer (Maus) hängige Gutachten belegen, dass es mit EU-Recht vereinbar weil die Länder (und auch die Tierschutzverbände) das Ge- ist. setz als unwirksam betrachteten, um die Leiden von Wildtie- ren in Zirkussen zu beenden. EU-Agrarwende bleibt aus Nach monatelangen Verhandlungen einigten sich die Die GroKo hinterlässt „Tiernutzbilanz“ EU-Agrarminister:innen kürzlich auf neue Vergaberegeln in Die GroKo hinterlässt also eher eine „Tiernutzbilanz“. der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) bis 2027. Danach sollen Dabei war die Zeit noch nie so reif für die überfälligen Sys- 25 Prozent der jährlich 270 Milliarden Euro Direktsubventio- temwechsel hin zu einer tierversuchsfreien Wissenschaft und nen an Umweltprogramme – sogenannte Eco-Schemes – ge- einer tierleidfreien Lebensmittelproduktion. Die Signale sind knüpft werden. Aus Sicht des Tier-, Arten- und Klimaschutzes überdeutlich. Dies zeigen unter anderem der überwältigende ist dies mehr als enttäuschend. Es bedeutet, dass weiterhin Erfolg der EU-Bürgerinitiative zum Verbot der Käfighaltung dreiviertel der Direktzahlungen pauschal an die Fläche ge- und der Abschlussbericht der Zukunftskommission Landwirt- knüpft sind. Die industrielle Tierhaltung wird damit weiter schaft (ZKL), der sich für eine durchgreifende Transformation begünstigt – ein Systemwechsel sieht anders aus. Auch hier der Landwirtschaft und des Ernährungssystems ausspricht. stand Klöckner auf der Lobbybremse. Konkret fordert das Gremium eine Ökologisierung der Landwirtschaft, eine Halbierung des Fleischkonsums, weniger Lobbyerfolg bei Tierversuchen Tiere in den Ställen sowie mehr Klimaschutz. Nun kommt es Acht Jahre ließ sich Deutschland Zeit, um seine Regelun- darauf an, dass sich diese positiven Ergebnisse im nächsten gen zu Tierversuchen EU-konform zu machen. Doch auch Koalitionsvertrag wiederfinden. Die Hoffnungen richten sich hier zeigt sich, dass die Bundesregierung versucht, strengere auf die nächste Bundesregierung. Ob diese dem Tierschutz EU-Vorgaben zum Schutz der Tiere in den Laboren zu umge- einen höheren Stellenwert einräumt, liegt am 26. September hen (siehe Seite 18). Enttäuschend war auch Klöckners Wild- in den Händen der Wählerinnen und Wähler. tierverbot im Zirkus, das sie überraschend im November 2020 vorlegte. Doch der Bundesrat erteilte ihrem „Meilenstein für Christina Ledermann, Carolin Spicher Wende für Tiere und Klima? Die Positionen der Parteien Zur Bundestagswahl am 26. September Weltklimarates sollte allen Wähler:innen mobilisiert, um dem Ausstiegskonzept haben wir die Parteien zu den zentralen klar sein, dass wir einen grundlegenden einen Platz in den Wahlprogrammen tierschutzpolitischen Themen befragt1. Systemwechsel brauchen. Elementarer der etablierten Parteien zu sichern – mit Dies sind die dringend notwendige Bestandteil eines effektiven Klimaschut- Erfolg. Der Ausstiegsplan findet sich in Agrar- und Ernährungswende sowie zes ist eine Agrar- und Ernährungswen- den finalen Wahlprogrammen der Grü- der Ausstieg aus dem Tierversuch. Um de. Deswegen bezieht sich die Mehrzahl nen, der Linken und der SPD. Alle drei Ihnen einen umfassenden Überblick zu der acht Fragen, die Nichtregierungsor- wollen den Tierversuch schnellstmög- geben, haben wir zusätzlich die Wahl- ganisationen – wie der Bundesverband – lich ersetzen und dazu die Entwicklung programme analysiert. Es zeigt sich, den Parteien stellen konnten, auf diesen innovativer tierversuchsfreier Verfahren dass die Grünen – unter den etablierten Bereich. Neben den anderen Dauerbren- fördern. Parteien – die weitreichendsten Tier- nern Tierschutzrecht und Vollzug haben schutzpläne verfolgen, dicht gefolgt wir den zweiten Fokus auf den Bereich Tierversuche: Ausstieg ist von den Linken und der SPD. Tierversuche gelegt. Im Rahmen unserer Programm Gemeinschafts-Kampagne „Ausstieg Ergänzend planen die Grünen, die Zu- Spätestens nach dem Unwettersom- aus dem Tierversuch. JETZT!“ hatten wir lassung tierversuchsfreier Verfahren zu mer und dem aktuellen Bericht des bereits Anfang des Jahres alle Kräfte beschleunigen sowie eine retrospektive 6 tierrechte | Ausgabe 3/2021 1) CDU/CSU und FDP haben unsere Wahlprüfsteine bis Redaktionsschluss nicht beantwortet.
Angekündigte Maßnahmen1) CDU FDP SPD Die Die Grünen Linke Tierschutz-Verbandsklage auf Bundesebene k.A.2) k.A. k.A. Ja Ja Verbesserter Strafvollzug tierschutzrechtlicher Vergehen k.A. k.A. k.A. Ja Ja Überarbeitung von Tierschutzgesetz und Verordnungen k.A. k.A. k.A. Ja Ja Abkehr von der Massentierhaltung k.A. Nein k.A. Ja Ja Stall-Genehmigungen erschweren k.A. k.A. k.A. Ja Ja Mehr Tierschutz bei Transporten Ja k.A. Ja Ja Ja Tiertransporte in Drittstaaten beenden Ja k.A. k.A. Ja Ja Mehr Tierschutz bei der Schlachtung k.A. k.A. k.A. Ja Ja Verbot der Käfighaltung in der Landwirtschaft k.A. k.A. k.A. Ja Ja Verbot der Anbindehaltung k.A. eher Ja k.A. Ja Ja Amputations-Verbote (Ringelschwänze, Schnäbel, etc.) k.A. k.A. k.A. Ja Ja Flächenbindung der Tierhaltung k.A. k.A. Ja Ja Ja Förderung von ökologischem Landbau Ja k.A. Ja Ja Ja Subventionen streng an Tier-/Klima-/Umweltschutz koppeln Nein k.A. Ja Ja Ja Förderung der pflanzlichen Ernährung und Produkte k.A. k.A. k.A. Ja k.A. Pestizide reduzieren k.A. k.A. Ja Ja Ja Reduzierung von Tierversuchen k.A. k.A. Ja Ja Ja Förderung von Alternativmethoden k.A. k.A. Ja Ja k.A. Beschleunigung der Zulassung tierfreier Verfahren k.A. k.A. k.A. Ja k.A. Verbot von Tierversuchen mit Schweregrad „schwer“ k.A. k.A. k.A. k.A. Ja Verbot von Patenten auf Tiere k.A. k.A. k.A. Ja Ja Verbot bestimmter Wildtierarten in Zirkussen k.A. k.A. k.A. Ja Ja Verbot der Pelztierhaltung k.A. k.A. k.A. Ja Ja Bekämpfung des illegalen Wildtierhandels k.A. k.A. k.A. Ja Ja Mehr Schutz für Wiedereinwanderer (Bsp. Wolf) Nein Nein k.A. Ja k.A. 1) Diese Maßnahmen wurden in den Wahlprogrammen explizit angekündigt 2) k.A. = keine Angabe. Dies bedeutet, dass sich die Partei hierzu nicht äußert. Bewertung von Tierversuchsvorhaben die Etablierung einer:es unabhängigen echte Agrar- und Ernährungswende als Teil der Genehmigungs-Regularien. Bundestierschutzbeauftragten. sucht man jedoch vergeblich. Die Linke fordert unter anderem eine ausnahmslose Genehmigungspflicht Tierschutz mit Handbremse Grüne und Linke: Klare Ansagen aller Tierversuche sowie die Erarbei- Viel Raum wird dem Tierschutz im ab- Ganz anders bei den Grünen und den tung eines Handbuchs mit einheitli- gespeckten Wahlprogramm der Sozial- Linken, die eine Anhebung der Tier- chen Kriterien zur Genehmigung von demokraten leider nicht gegeben. Dies schutzstandards und eine flächenge- Versuchen. Tierversuche der Kategorie fällt besonders im Vergleich zum vorhe- bundene Tierhaltung verfolgen. Außer- „schwerst“ und „schwer“ wollen die rigen „Regierungsprogramm“ auf, das dem wollen beide die tierquälerische Linken sofort verbieten. In den Wahl- deutlich mehr tierschutzrelevante Pläne Hochleistungszucht, Amputationen, programmen der CDU/CSU und der und Ziele enthielt. Die SPD setzt im qualvolle Betäubungsmethoden sowie FDP hingegen kommen die Themen Bereich Landwirtschaft auf „die Verbes- Käfig- und Anbindehaltung beenden. Tierversuche, Ausstiegsplan oder die serung des Tierwohls“ und betont, dass Bezüglich der EU-Agrarpolitik sprechen Förderung von tierfreien Verfahren Tierleid nicht zu rechtfertigen sei, „auch sich Grüne und Linke dafür aus, die Ver- überhaupt nicht vor. nicht aus wirtschaftlichem Interesse“. gabe von Subventionen an Leistungen Verbesserungen für sogenannte Nutz- wie Klima-, Umwelt- und Tierschutz zu Tierschutzrecht stärken tiere sollen durch eine flächenbezogene koppeln. Ziel der Linken ist ein Ausbau Aufgedeckte Tierschutzskandale be- Haltungsobergrenze erreicht werden. des Ökolandbaus bis 2030 auf mindes- legen immer wieder, dass unser Rechts- Im Hinblick auf den Klimawandel wollen tens 25 Prozent, die Grünen streben 30 staat die Tiere nicht zuverlässig schützt. die Sozialdemokraten weg von der Sub- Prozent an. Die SPD will zwar beson- Sowohl bei Gesetzgebung und Kontrol- ventionierung nach Fläche, hin zu einer ders klein-bäuerliche und agrarökologi- le als auch bei der Strafverfolgung gibt „Förderung, die an Kriterien für Klima, sche Betriebe fördern, benennt jedoch es eklatante Defizite. Für eine bessere Natur- und Umweltschutz und Tierwohl keine konkreten Ziele. Strafverfolgung von Tierschutzverstö- gebunden ist“. Investitionen in Klima-, ßen setzt sich die SPD für die Einfüh- Umwelt und Artenschutzprogramme Dauerbrenner Tiertransporte rung von Schwerpunktstaatsanwalt- sollen die Klimakrise lösen. Ähnliche Beim Thema Tiertransporte überra- schaften für Tierschutz ein. Die Grünen Formulierungen finden sich auch in den schen die Konservativen mit der Ankün- wollen unter anderem wirkungsvolle Programmen von CDU/CSU und FDP: digung, zukünftig Fleisch statt lebender Sanktionen im Strafrecht verankern und Ökosysteme sollen geschützt, Pestizide Tiere transportieren zu wollen. Bis dahin den Vollzug effizienter machen. Dazu reduziert und klimaschonende Produk- sollen die Regeln für Lebendtransporte fordern sie, ebenso wie die Linke, das tionsprozesse gefördert werden. Kon- verschärft werden. Diese Forderung bundesweite Verbandsklagerecht und krete Maßnahmen und Ziele für eine deckt sich mit der Entschließung des tierrechte | Ausgabe 3/2021 7
Bundestagswahl 2021: Mensch, Tier und Umwelt brauchen die Wende EU-Parlaments von 2019 – ein Hinweis Gerichte setzen. Die Grünen planen Thematik den meisten Raum, besonders darauf, dass CDU/CSU weiter vor allem zudem, die Entwicklung und Marktein- im Hinblick auf pflanzliche Ernährung die EU in der Pflicht sehen. Die SPD will führung pflanzlicher Nahrungsmittel und Agrarwende. Ihnen folgen die Lin- Tiertransporte auf acht Stunden begren- zu fördern und wollen sie steuerlich ken, die dem Tierschutz deutlich mehr zen, während Grüne und Linke eine besserstellen. Während Grüne und SPD Raum einräumen als in der Vergangen- maximale Dauer von 4 Stunden und ein eine Halbierung des Fleischkonsums als heit, und die SPD. Im Gegensatz dazu Verbot für Transporte in Drittstaaten klimarelevante Maßnahme verfolgen, enttäuschen CDU/CSU und FDP. Außer fordern. Einig sind sich Grüne und Linke spricht sich die Linke lediglich für eine „Tierwohl-Allgemeinplätzen“ enthalten auch bezüglich des Schutzes bedrohter Reduktion um ein Viertel aus. Die FDP ihre Programme keine überzeugenden Arten sowie Verboten von Wildtieren in will sich für eine zügige Zulassung von Pläne, Maßnahmen und Instrumente, Zirkussen, Patenten auf Tieren und dem In-vitro-Fleisch einsetzen. Eine Förde- um den Paradigmenwechsel in unserem Handel mit Pelz, Exoten und Wildtieren. rung der bio-veganen Landwirtschaft Umgang mit Tieren, Klima und Umwelt Kontrastierend dazu wollen CDU/CSU ist hingegen bei keiner der etablierten einzuleiten. Ihr wirtschaftsfreundlicher und FDP den Schutzstatus des Wolfes lo- Parteien zu finden. Kurs macht sie eher zu Bremsern in ckern und seine Bejagung vereinfachen. diesem Prozess. Es ist zu hoffen, dass Zeit für einen sich die Wähler:innen für den dringend Ernährungswende im Paradigmenwechsel benötigten Wandel aussprechen. Denn Schleichtempo In der Summe legen die Grünen es geht schon lange nicht mehr nur Um den Fleischkonsum zu reduzieren, und die Linke – unter den etablierten um ethische Erwägungen. Es geht um wollen Grüne, Linke und SPD besonders Parteien – die konkretesten Pläne und nichts weniger als unsere Zukunft. bei der öffentlichen Gemeinschafts- Maßnahmen in Sachen Tier- und Kli- verpflegung mehr auf vegetarische maschutz vor. Die Grünen widmen der Carolin Spicher Zentrale Tierschutz-Projekte – das antworten die Parteien CDU/CSU FDP SPD Bündnis 90/Die Grünen Die Linke Ausstieg aus dem Tierversuch 2010 haben die EU-Staaten vereinbart, Tierversuche vollständig zu ersetzen, sobald dies wissenschaftlich möglich ist. Wird ihre Partei einen Ausstiegsplan entwickeln und verfolgen? Für den perspektivischen Ausstieg aus Die Grünen streben die weitere konse- Die Linke setzt sich dafür ein, einen den Tierversuchen wird die SPD eine quente Reduktion von Tierversuchen an verbindlichen Zeitplan für den schnellst- Keine Keine Gesamtplanung aufsetzen und die und wollen sie mit einer klaren Ausstiegs- möglichen und vollständigen Übergang Antwort Antwort Entwicklung von tierversuchsfreien strategie und innovativen Forschungs- zur tierversuchsfreien Forschung zu Verfahren stärker fördern. methoden schnellstmöglich ersetzen. erarbeiten. (Auszug aus dem Wahlprogramm) (Auszug aus dem Wahlprogramm) Tierversuchsanträge: standardisierte Prüfregeln Zur Genehmigung eines Tierversuchs wird die ethische Vertretbarkeit bisher nach subjektiven Einschätzungen festgestellt. Wird Ihre Partei sich für standardisierte Prüfregeln einsetzen? Keine klare Antwort. Verweis auf die vor- Keine klare Antwort. Entscheidungen Die Linke fordert die Erarbeitung eines handenen Regeln. Für die SPD ist wichtig, über Tierversuche sollen nachvollzieh- Handbuchs für Genehmigungsbehör- Keine Keine dass die Unabhängigkeit der Prüfbehör- bar und transparent sein. Tierversuche den mit einheitlichen Kriterien für die Antwort Antwort den gewahrt bleibt und dass genehmigte sollen zudem einer prospektiven und Zulassung von Tierversuchen und eine Versuchsvorhaben regelmäßig und unan- retrospektiven Bewertung, unabhängig ausnahmslose Genehmigungspflicht für gekündigt kontrolliert werden. vom Schweregrad, unterliegen. Um die alle Versuche. Des Weiteren muss der Durchführung doppelter Versuche künf- Antragsteller angeben, was er unter- tig zu vermeiden, soll es eine Datenbank nommen hat, um die wissenschaftliche zur Speicherung aller rückblickenden Fragestellung so zu verändern, dass sie Bewertungen geben. ohne oder mit deutlich weniger lebenden Tieren bzw. mit weniger Belas- tungen beantwortet werden kann. Förderung tierversuchsfreier Verfahren Um Tierversuche für Regulatorische Sicherheitstests beenden zu können, müssen etliche Tests entwickelt und anerkannt werden (Langzeit-, Inhalations-, Reproduktions- und Entwicklungstoxizität). Dazu sind spezielle Förderprogramme nötig. Wird Ihre Partei diese auflegen? Die SPD will allgemein die Entwicklung Die Grünen wollen Investitionen in tier- Die Linke fordert, die Fördergelder des von tierversuchsfreien Verfahren noch freie Innovationen sowie die Weiterent- Bundes mit der Auflage zu verbinden, zu- Keine Keine stärker fördern. wicklung von verbesserten Medikamen- nehmend tierfreie Methoden anzuwen- Antwort Antwort ten- und Sicherheitsprüfungen fördern den, die tierexperimentelle Forschung zu und die Zulassung tierversuchsfreier reduzieren und dies nachzuweisen sowie Verfahren beschleunigen. die Erforschung und Anwendung von Alternativmethoden stärker zu fördern. 8 tierrechte | Ausgabe 3/2021
Zentrale Tierschutz-Projekte – das antworten die Parteien CDU/CSU FDP SPD Bündnis 90/Die Grünen Die Linke Tierschutzrecht stärken Trotz des Staatsziels Tierschutz und einem umfangreichen Tierschutzrecht schützt unser Rechtsstaat die Tiere nicht zuverlässig. Sowohl bei Gesetzgebung und Kontrolle als auch in der Strafverfolgung gibt es eklatante Defizite. Welche Maßnahmen plant Ihre Partei, um diese Missstände abzustellen? Die Tierschutz-Nutztierhaltungsverord- Die Grünen wollen die gesetzlichen Die Linke verfolgt die gesetzliche Veran- nung soll zukünftig alle Nutztierarten Regelungen zur Tierhaltung verbessern kerung und vollumfängliche Ausweitung Keine Keine sowie alle Haltungsformen umfassen. Für und bestehende Lücken schließen. Sie der Verbandsklagerechte für Tierschutz- Antwort Antwort die Strafverfolgung bei Tierschutzverstö- wollen wirkungsvolle Sanktionen bei vereine im Sinne der Aarhus-Konvention ßen setzt sich die SPD für mehr Schwer- Tierschutzvergehen im Tierschutz- und sowie eine bessere Ausstattung der punktstaatsanwaltschaften ein. Strafrecht verankern sowie ein umfassen- Behörden zur Durchsetzung des Tier- des Verbandsklagerecht für anerkannte schutzrechts. Weitere Pläne umfassen Tierschutzorganisationen sowie eine/n verbesserte Standards in der Tierhaltung, Bundestierschutzbeauftragte/n einfüh- u. a. Verbote für: Amputationen, Qual- ren. zuchten, Tiertransporte in EU- Drittländer. Umschichtung von EU-Agrarsubventionen Um Klimawandel, Artensterben und Zerstörung der Ökosysteme zu begegnen, müssen die EU-Agrarsubventionen von der ersten in die zweite Säule zugunsten von Tier-, Natur- und Klimaschutz umgeschichtet und ein Ausbau des ökologischen Landbaus vorangetrieben werden. Welche Maßnahmen und Ziele plant Ihre Partei? Die SPD will die Umschichtung in die Die Grünen wollen die öffentlichen Die Linke setzt sich für eine grundlegende Zweite Säule in den kommenden Jahren EU-Agrargelder künftig an öffentliche Reform der EU-Agrarpolitik ein, damit Keine Keine weiter erhöhen. Den Ausbau des ökologi- Leistungen wie Klima-, Umwelt- und öffentliches Geld konsequent an Um- Antwort Antwort schen Landbaus hätte die SPD gefordert, Tierschutz binden. Sie wollen den welt- und Sozialkriterien sowie an Klima- sie sieht einen weiteren Ausbau aber Ökolandbau fördern, damit mehr und Tierschutz gebunden werden. Den stark an die Nachfrage gekoppelt. Betriebe umstellen. Nächstes Ziel sind 30 Ökolandbau will die Linke auf mindestens Prozent Ökolandbau bis 2030. 25 Prozent der Agrarfläche bis 2030 ausbauen. Abbau der Tierbestände Die Produktion tierischer Produkte verursacht 28 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen. Diese bestehen insbesondere aus Lachgas und Methan aus der Tierhaltung. Wissenschaftler halten den Abbau der Tierbestände für unumgänglich, um die Klimaziele zu erreichen. Was plant Ihre Partei diesbezüglich? Die Tierproduktion muss an die vor Ort Die Grünen wollen, dass deutlich weniger Die Linke strebt eine an die Fläche gebun- vorhandene Fläche geknüpft werden. Tiere gehalten werden als bisher und dene, auf die Nachfrage bezogene und Keine Keine Ziel der SPD ist eine Begrenzung auf zwei diesen ein wesentlich besseres Leben tiergerechte Tierhaltung an. Sie hält eine Antwort Antwort Großvieheinheiten je Hektar. ermöglichen. Die Tierhaltung soll an die Bemessungsgröße von 1,5 Großviehein- Fläche und an Obergrenzen pro Stall heiten pro Hektar für notwendig und will gebunden werden. Bestandsobergrenzen einführen. Zudem setzt sie sich für ein Umbauprogramm ein, das den Betrieben den Aus- oder Umstieg finanziert. Ernährungsstrategie Zur Erreichung der Klimaziele ist neben der Transformation der Landwirtschaft die Erarbeitung einer Strategie für tier- und klimafreundliche, insbesondere pflanzliche, Ernährungsformen nötig. Was plant Ihre Partei? Die SPD kündigt die Entwicklung eines Vegetarisches und veganes Essen soll Die Linke fordert eine gesunde und nach- einheitlichen Nachhaltigkeitslabels an, zum täglichen Angebot in öffentlichen haltige Gemeinschafts- sowie eine kos- Keine Keine das den Griff zu pflanzlichen Alternati- Kantinen gehören, auch bei der tenlose Kita- und Schulverpflegung, die Antwort Antwort ven erleichtern soll. In der öffentlichen Gemeinschaftsverpflegung in Kitas auf regionale und ökologisch nachhaltige Gemeinschaftsverpflegung sollen mehr und Schulen. Die Markteinführung Lebensmittel setzt. Die Mehrwertsteuer vegetarische Gerichte angeboten wer- von pflanzlichen Alternativen und auf frisches Obst und Gemüse als Haupt- den. Ein vegetarisches Gericht sollte in Fleischersatzprodukten sollen gefördert bestandteil nachhaltiger Ernährung soll der Regel günstiger sein als ein Fleisch- und steuerlich begünstigt werden. auf null reduziert werden. Vegetarische gericht. Zur einheitlichen Kennzeichnung von Essensangebote sollen der Standard in pflanzlichen Lebensmitteln fordern allen öffentlichen Einrichtungen sein. sie eine EU-weite rechtsverbindliche Definition von „vegetarisch“ und „vegan“. Reduktion des Fleischkonsums Eine Reduzierung des Fleischkonsums um 48 Prozent könnte insgesamt 7,3 Mio. t CO2 einsparen, deswegen wird dies von führenden Wissenschaftlern und Gremien empfohlen. Was plant Ihre Partei, um den Konsum von tierischen Produkten zu reduzieren und welches Reduktionsziel verfolgt sie? Die SPD will die Menschen mit Bildungs- Die Grünen richten sich nach Die Linke setzt sich für eine (freiwillige) und Informationskampagnen zum Ernährungsempfehlungen und schlagen Reduzierung des Fleischkonsums um Zusammenhang ihrer Ernährung mit eine Halbierung des Fleischkonsums vor. mindestens ein Viertel bis 2030 ein. Die Keine Keine dem Klimawandel aufklären. Sie erwähnt Sie wollen die vegetarische und vegane Verbraucher*innen sollen durch positive Antwort Antwort eine Halbierung des Fleischkonsums. Der Ernährung attraktiver und zugänglich für Anreize dazu motiviert werden, weni- Zugang zu veganen und vegetarischen alle machen. ger, aber dafür hochwertigere tierische Produkten soll erleichtert werden, z.B. Produkte zu konsumieren. durch ein erweitertes Angebot in der Gemeinschaftsverpflegung. tierrechte | Ausgabe 3/2021 9
Bundestagswahl 2021: Mensch, Tier und Umwelt brauchen die Wende Was erwarten wir von der neuen Regierung? Wir fordern für die 20. Legislaturperiode die Einleitung eines bei der Überfrachtung der Natur mit Nährstoffen. Die Land- echten Paradigmenwechsels im Umgang mit Tieren und wirtschaft trägt einen entscheidenden Teil zu diesen gefähr- Umwelt. Dieser umfasst eine konsequente Transformation lichen Entwicklungen bei. Die Erzeugung tierischer Produkte unserer Landwirtschaft und einen Ausstiegsplan aus dem verursacht fast ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemis- Tierversuch. In Anbetracht des planetaren Notstands, in sionen2. Damit das anvisierte Zwei-Grad-Ziel noch erreicht dem wir uns befinden, sind aus Sicht des Bundesverbandes werden kann, rufen auch der Weltklimarat (IPCC) und die am 26. September nur die Parteien wählbar, die bereit sind, Wissenschaft zu einem schnellen Wandel bei Lebensmittel- diesen überlebenswichtigen Wandel einzuleiten. produktion und der Ernährung auf3. Um die Abschaffung der Tierversuche endlich entschlossen Entscheidender Hebel: Ernährung anzugehen, erwarten wir von der Politik die Erstellung einer Wenn wir die Erde und damit unsere Lebensgrundlagen Gesamtstrategie, die klare Zielsetzungen, ein Umsetzungs- retten wollen, bedeutet das Abschied von der zerstörerischen management und eine Qualitätssicherung umfasst. Dieser Wachstumsphilosophie zu nehmen. Dies heißt für uns alle, Ausstiegsplan sollte unter Federführung der Bundes- und unsere Konsum- und Lebensgewohnheiten nachhaltig und Länderregierungen unter Beteiligung aller Stakeholder aus klimafreundlich auszurichten. Dazu gehört auch, dass wir un- Wissenschaft, Industrie, Behörden und Tierschutz erstellt und sere Ernährung schnellstmöglich auf pflanzliche Eiweißträger umgesetzt werden. Einen ersten Erfolg gibt es: Nach inten- umstellen. Denn gerade die Ernährung ist ein entscheidender siver Lobbyarbeit im Rahmen unserer Gemeinschafts-Kam- Hebel, um den menschengemachten Klimawandel zumindest pagne „Ausstieg aus dem Tierversuch. JETZT!“ haben von zu begrenzen. den großen Parteien die Grünen, die Linke und die SPD die Erstellung eines Ausstiegskonzepts in ihre Wahlprogramme Ernährungswende: Strategie nötig aufgenommen. Doch diesen Worten müssen nach der Wahl Für eine Ernährungswende brauchen wir eine breit ange- auch Taten folgen. Das heißt zunächst, dass die Pläne auch in legte Informations- und Bildungskampagne für pflanzliche den Koalitionsvertrag der nächsten Bundesregierung aufge- Ernährungsformen und die Erhöhung des Angebotes veganer nommen werden. Mahlzeiten in öffentlichen Einrichtungen. Wichtig ist zu- dem mehr Forschungsförderung für pflanzliche Alternativen Plakataktion „Tierversuche abwählen!“ sowie steuerliche Vergünstigungen für klimafreundliche Um im Vorfeld der Bundestagswahl auf den wichtigen Lebensmittel. Außerdem brauchen wir eine verpflichtende Ausstiegsplan aufmerksam zu machen, werben und umfassende Produkt-Kenn- im Zeitraum vom 30. August bis 13. Septem- zeichnung, die die Kaufent- ber unter dem Motto „Tierversuche abwäh- scheidung im Sinne pflanzlicher len“ 190 imposante Plakate in 23 Städten Alternativen fördert. Tierische Deutschlands für den Ausstieg aus dem Produkte sollten dagegen durch Tierversuch. Mit diesen Hinguckern wollen die Steuererhöhungen und spezielle Beteiligten unserer Gemeinschafts-Kampagne Abgaben verteuert werden. vor der Wahl darüber informieren, welche Par- teien sich für den Ausstieg aussprechen. 10-Punkte für eine Agrar und Ernährungswende Bezüglich des Umbaus der Landwirtschaft stellte der Bundesverband bereits im Mai seine zehn Forderungen für eine Agrar- und Ernäh- rungswende vor. Klimawissenschaftler schätzen, dass der Menschheit noch zehn Jahre bleiben, um zu verhindern, dass das System Erde irrever- hüre sibel aus dem Lot gerät1. Dabei geht es nicht nur r 10 -s eitigen Brosc gswende um den Klimawandel: Dramatisch ist die Situation Downlo a d d e in e Agra r- und Ernährun für e auch bezüglich des Verlusts an Biodiversität und Forderungen te.de P D F u n te r www.tierrech als 10 tierrechte | Ausgabe 3/2021
190 Plakate hängen und leuchten vom 30. August bis 13. September an viel frequentierten Orten wie U-Bahn-Stationen. Sie weisen auf das verborgene Leid von Millionen Tieren in deutschen Laboren hin und sollen die Wahlentscheidung erleichtern. Die zehn Forderungen in Kürze Milliarden schweren EU-Agrarsubventionen muss in eine kon- 1. Strategie für tier- und klimafreundliche sequente Transformation unserer Landwirtschaft fließen. Die Ernährungsformen Landwirtschaft muss künftig nachhaltig pflanzliche Lebens- 2. Tierbestände drastisch reduzieren mittel erzeugen und im Sinne des Gemeinwohls Ökosysteme renaturieren und pflegen. 3. Weg von der Tierhaltung: Umstiegswillige LandwirtInnen fördern Tiere effektiv schützen 4. Forschungsförderung für tierlose Anbausysteme Da in absehbarer Zeit (leider) noch Tiere für die Produktion 5. Tierschutzrecht, Vollzug und Gerichtsbarkeit tierischer Produkte gehalten werden, muss endlich sicherge- stärken stellt werden, dass sie zumindest effektiv geschützt werden. 6. Agrarsubventionen ökologisieren Dies ist momentan nicht gegeben: Trotz des Staatsziels 7. Schädliche Subventionen beenden Tierschutz im Grundgesetz und einem scheinbar umfang- reichen Tierschutzrecht schützt unser Rechtsstaat die Tiere 8. Ökosysteme renaturieren und pflegen nicht zuverlässig. Sowohl bei Gesetzgebung und Kontrolle 9. Schluss mit der Exportorientierung als auch in der Strafverfolgung gibt es eklatante Defizite. 10. Regionaler Anbau statt Soja-Importe Diese müssen endlich behoben werden, beispielsweise indem strafrechtliche Bestandteile aus dem Tierschutzgesetz in das Strafgesetzbuch übernommen werden sowie durch eine deutliche Erhöhung der Strafen für Tierschutzvergehen. Wei- tere Maßnahmen sind: das Verbot jeglicher Haltungsformen Ausstieg aus der Tierhaltung fördern und Zuchtformen, die gegen das Tierschutzgesetz verstoßen, Die Einnahmen aus den Abgaben auf tierische Lebensmittel mehr Tierschutzkompetenz bei Staatsanwaltschaften und Ge- sollten in Umstiegsförderungen für Landwirt:innen fließen, richten, umfassende und regelmäßige veterinärmedizinische die aus der Tierhaltung aussteigen. Weitere Maßnahmen sind Kontrollen sowie eine optimale Ausstattung von Veterinär- eine Ökologisierung der Agrarsubventionen, eine drastische sowie Lebensmittelüberwachungsämtern. Auf Bundesebene Reduzierung der Tierbestände und Forschungsförderung für sollte zudem eine effektive Tierschutz-Verbandsklage und tierlose Anbausysteme. Außerdem sollten schädliche Subven- ein:e Bundesbeauftragte:r für Tierschutz eingeführt werden. tionen, Soja-Importe und die Exportorientierung beendet werden. Die Landwirtschaft sollte in erster Linie für den Sie haben die Wahl! heimischen Markt produzieren. Wir hoffen, dass die neue Regierung ihre Tier- schutz-Scheuklappen ablegt und im Angesicht des planetaren Gemeinwohlorientierte Lebensmittelerzeugung Notstands, in dem wir uns befinden, endlich wirkungsvolle Die Welt um uns herum steht in Flammen. Gleichzeitig för- Maßnahmen ergreift. Der Bundesverband wird sich mit aller dern wir noch immer die industrielle Tierhaltung mit all ihren Kraft dafür einsetzen, dass dieser Paradigmenwechsel ge- furchtbaren Folgen für Tiere, Klima und Umwelt. Dies muss lingt. Am Wahltag liegt diese Richtungsentscheidung in den sich dringend ändern. Jeder Steuer-Cent aus den über 400 Händen der Wähler:innen. Bitte informieren Sie sich und ihre Mitmenschen, damit möglichst viele für Parteien stimmen, die bereit sind, den überlebenswichtigen Wandel einzuleiten. 1) https://www.spiegel.de/wissenschaft/klima-erdsystemforscher-johan-rockstroem-warnt-vor-einer-men- schenfeindlichen-heisszeit-a-22711d6f-0002-0001-0000-000177514662 (abgerufen am 27.05.2021) 2) Poore, J., Nemecek, T. (2018): Reducing food’s environmental impacts through producers and consumers. Carolin Spicher Science Vol. 360, Issue 6392, pp. 987-992 DOI: 10.1126/science.aaq0216 3) Masson-Delmotte, V., Zhai, P., Pörtner, H.-O., et al. (eds.) (2019). Climate Change and Land. IPCC Special Report on Climate Change, Desertification, Land Degradation, Sustainable Land Management, Food Se- curity, and Greenhouse gas fluxes in Terrestrial Ecosystems. August 2019. https://www.ipcc.ch/site/assets/ uploads/2019/11/SRCCL-Full-Report-Compiled-191128.pdf (abgerufen am 27.05.2021) tierrechte | Ausgabe 3/2021 11
Bundestagswahl 2021: Mensch, Tier und Umwelt brauchen die Wende Kosten desaströser Produktion müssen konsequent eingepreist werden! Marius Rommel ist Vater von zwei Kindern und lebt in Flegessen bei Hameln. Foto: privat Derzeit erforscht er als Nachhaltigkeitsökonom die Gelingensbedingungen Solidarischer Landwirtschaft (SoLawi) mit dem Fokus auf resiliente Ernährungssysteme im Forschungs- projekt nascent an der Universität Siegen. Im CSX-Netzwerk verbindet ihn mit weiteren Engagierten die Vision, lebendige und lokale Wirtschaftsstrukturen auf Basis gemein- schaftsgetragener Wertschöpfung zu realisieren. Außerdem ist er Dorf- und Regional- entwickler und engagiert sich für die Gestaltung ländlicher Zukunftsfähigkeit. Sie haben im Rahmen Ihres Forschungs- rigen Zahlungsbereitschaft als auch in turieren müssen. Bio allein ist nicht die projekts „nascent“ das Potenzial der stillen Akzeptanz zerstörerischer Lösung, das wird immer deutlicher, es transformativer Wirtschaftsformen im Produktionsformen. muss vor allem darum gehen, lokale bis Ernährungssektor untersucht, was ist regionale Wertschöpfung zu steigern. der Ausgangspunkt Ihrer Forschung? Lassen Sie uns den Fokus erweitern: Gleichzeitig gilt es, diejenigen Bereiche Auf einen Punkt: Wachse oder Wei- Prognosen gehen davon aus, dass die zu subventionieren, die Ökosystemleis- che! Dieser häufig so verniedlicht mit Weltbevölkerung bis 2050 auf rund tungen erbringen und gleichzeitig die „Strukturwandel“ bezeichnete Prozess zehn Milliarden anwachsen wird. Zu- wahren Kosten ökologisch und sozial ist zum Leitslogan einer Agrarentwick- sätzlich steigern die sich verändernden desaströser Produktion, wie beispiels- lung geworden, in welcher kleinbäu- Ernährungsgewohnheiten die weltwei- weise intensive Massentierhaltung, erliche Strukturen keinen Platz mehr te Fleischproduktion. Welche Chancen konsequent einzupreisen. finden. Dieser Prozess wurde nun über haben nachhaltige Wirtschaftsformen Jahrzehnte durch aus meiner Sicht vor diesem Hintergrund? In wenigen Wochen wählen wir einen falsche Förderpolitik vorangetrieben Ich würde sagen, dass sie der ein- neuen Bundestag. Die nächste Regie- und verschärft sich durch die Tatsache, zige Ausweg aus diesem Dilemma rung wird maßgeblich darüber entschei- dass Externalisierung, also die Abwäl- sind. Denn hinsichtlich der Frage nach den, wie die Landwirtschaft der Zukunft zung von ökologischen Schäden durch Flächenproduktivität oder Ressource- in Deutschland und in Europa aussehen betriebliche Prozesse, von der Allge- neffizienz ist industrialisierte Landwirt- wird. Welche Maßnahmen würden Sie meinheit zu tragen sind. Gleichermaßen schaft kleinstrukturierten, regenerativ der nächsten Bundesregierung in den problematisch ist das Nichtbeachten po- und arbeitsintensiveren Ansätzen ja Koalitionsvertrag schreiben? sitiver externer Effekte (Ökosystemleis- himmelweit unterlegen. Zahlreiche Allgemein ist es dringend geboten, tungen) in der Kostenkalkulation der Studien belegen, dass agrarökologische Bodenspekulation zu verhindern, um Erzeuger. Marktwirtschaftlich werden Bewirtschaftung auf weniger Fläche bei die Preissteigerungen zu unterbinden. also weder ökologische Schäden noch geringerem Ressourceneinsatz einen Dazu könnte dienlich sein, als Staat nachhaltig gerichtetes Handeln ausrei- größeren Ertrag liefert und gleichzeitig Land zurückzukaufen, wo immer es chend berücksichtigt. Unternehmen, Humus aufbaut, Biodiversität steigert, Landgrabbing von Spekulanten zum die sich nachhaltigen, regenerativen CO2 bindet, sprich Ökosysteme regene- Opfer gefallen ist und gesetzlich zu Produktionsweisen verschreiben, bringt riert. Die Mär der Effizienzsteigerungen regulieren, das Land und Boden nicht das in betriebswirtschaftliche Engpässe. der industrialisierten Landwirtschaft Spekulationsobjekt sein darf. Die Flä- Darüber hinaus münden global vernetz- verpufft sofort, wenn die externen chenprämie sollte weichen und Platz te und kleinteilig spezialisierte Wert- Folgeschäden berücksichtigt werden machen für ökologische Punktesystem schöpfungsketten, wie sie mittlerweile und offenkundig wird, dass diese sowie die Berücksichtigung der Anzahl auch in der Lebensmittelproduktion zu „Effizienz“ die ökologische Plünderung an Beschäftigten und Wertschöpfungs- sehen sind, nicht nur in der Notwen- unseres Planeten voraussetzt. tiefe der jeweiligen Betriebe. Generell digkeit zusätzlicher Infrastrukturen die Streichung aller Subventionen für und Produktionsmittel (Maschinen für Anfang Juli veröffentlichte die Zu- große und industrielle Agrarbetriebe, Transport und Abpackprozesse, Lager- kunftskommission Landwirtschaft weil sie zu einer volkswirtschaftlich hallen, Logistikunternehmen, ...), son- (ZKL) ihren Abschlussbericht. Wie schädlichen Marktverzerrung zulasten dern steigern gleichermaßen die soziale bewerten Sie die Ergebnisse? dezentraler und ökologischer Versor- Entfremdung zwischen Verbrauchern Durchaus positiv. Es ist deutlich gungseinheiten führen. und Produkten. Die „moralische Indif- erkennbar, dass an vielen Stellen die ferenz“ durch physische und psychische Erkenntnis wächst, dass wir unser Er- der re Versionen Distanz zeigt sich sowohl in der nied- nährungssystem grundlegend umstruk- Ausführliche r tierrechte.d e sen Sie unte Interviews le 12 tierrechte | Ausgabe 3/2021
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