März 2023 ist Equal Pay Day

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März 2023 ist Equal Pay Day
7. März 2023
ist Equal Pay Day
März 2023 ist Equal Pay Day
INHALT

     3     Editorial
           Birte Siemonsen, Präsidentin BPW Germany e.V.

    4      Grußwort
           Lisa Paus
           Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

     5     Augenblick mal! KUNST SICHTBAR UNSICHTBAR
           Natascha Heinisch

    6      Ein Raum für Frauen und ihre Kunst
           Lilly Schön

    8      Blick hinter die Kulissen
           Lisa Jopt, Antje Thoms, Johanna Bantzer

    10     Kultur muss alle Menschen repräsentieren
           Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien

    11     Nicht anders als andere
           Dagmar Schmidt, Vizepräsidentin Deutscher Kulturrat

    12     Statements aus dem Rampenlicht

    14     Männermonotonie
           Christoph May

    16     Der Fluch der Unsichtbarkeit
           Sophie Rohé

    18     Aktenzeichen XY ungelöst – wo sind die Frauen im Film?
           Esther Gronenborn

    19     Es kluftet und bremst
           Ines Doleschal

    20     Eine Quote für die künstlerische Freiheit
           Heike Scharpff

    21     Gesellschaftliche Relevanz
           Christoph Sieber

    22     Mitmachen, selbermachen, andersmachen!
           Aktionstipps für den 7. März 2023

           IMPRESSUM
           V.i.S.d.P.: Birte Siemonsen, Präsidentin Business and Professional Women Germany e.V.
           Geschäftsstelle BPW Germany e.V. · Schloßstraße 25 · 12163 Berlin · Redaktion: Uta Zech, Natascha Heinisch, Marlene Resch, Lilly Schön.
           Fotos: Pixabay, Bundesregierung/Steffen Kugler, Simon Hegenberg, fsk photography, Claudia Balsters, Kristian Schuller, Deutscher Kultur-
           rat, Stephan Pramme, Giovanni Lo Corto, Martin Herz, Kevin Lauderlein, Oliver Look, Linda Rosa Saal, Bundesstiftung Gleichstellung, Inga
           Sommer, Detox Masculinity Institute, B. Huckestein.
           Februar 2023

2        Das Journal zum Equal Pay Day 2023
März 2023 ist Equal Pay Day
EDITORIAL

  Liebe Leserin, lieber Leser!                                        Mutter zu werden ist für Künstlerinnen oft das Ende ihrer
                                                                   Karriere. Da sie wie die meisten Frauen einen Großteil der
   Erinnern Sie sich noch an den letzten Film, den Sie gesehen     familiären Fürsorgeverantwortung übernehmen, können be-
haben? Welchen Part haben Frauen darin übernommen? An              rufliche Netzwerkkontakte zu Chancengebenden aus zeitlicher
den letzten Besuch im Kunstmuseum Ihrer Stadt? Wie hoch            Überlastung nicht gepflegt werden. Und dass Kunstwerke,
war der Anteil von Künstlerinnen, die zu sehen waren?              allein weil eine Frau sie gestaltet hat, auf dem Markt weniger
   Rollenstereotype, Unterrepräsentanz in leitenden Positio-       wert sind, ist absurd. Das kommentiert Ines Doleschal von Fair
nen, mangelnde Sichtbarkeit von Frauen und die Unvereinbar-        Share. Und Christoph Sieber bringt es in seinem Beitrag auf
keit von Care-Arbeit und Erwerbsarbeit – das sind die struk-       den Punkt.
turellen Ursachen, die für den eklatanten Gender Pay Gap von          Kunst ist ein wesentliches Moment demokratischer Gesell-
30 Prozent in Kunst und Kultur verantwortlich sind. Es sind        schaften, sagt Kulturstaatsministerin Claudia Roth in ihrem
dieselben Strukturen, die in Deutschland gesamtgesellschaft-       Artikel und macht sich dafür stark, dass Frauen hier genauso
lich zu einer Lohnlücke von 18 Prozent führen. Das verdeut-        vertreten sind und bezahlt werden wie Männer. Lisa Paus setzt
licht das Motto der Equal Pay Day Kampagne 2023: Die Kunst         sich in ihrem Grußwort für Maßnahmen ein, die den Gender
der gleichen Bezahlung.                                            Pay Gap endlich schließen. Gelingen kann es nur gemeinsam!
   Stereotype Annahmen in Film, Fernsehen und Theater ver-         Politik, Unternehmen und Gesellschaft, Kunst und Kultur,
orten Frauen häufiger im Kontext von Beziehungen und ver-          Männer und Frauen.
festigen so tradierte Rollenvorstellungen. Im Fernsehen zum           Ich bedanke mich bei allen Mitstreiterinnen und Mitstrei-
Beispiel sind Frauen nur halb so oft zu sehen wie Männer und       tern, die zum Equal Pay Day die rote EPD Flagge hissen und
kommen seltener als Expertinnen vor. Wie es dazu kommt,            Aktionen starten. Machen wir Kunst von Frauen sichtbar.
macht der Beitrag von Ester Gronenborn vom Vorstand Pro            Reden wir über equal pay mit Partner:innen, Kolleg:innen,
Quote Film deutlich. Was wir gewinnen, wenn wir statt männ-        Freund:innen, Arbeitgeber:innen, Söhnen und Töchtern. Nur
licher Monokultur weibliche, queere und diverse Perspektiven       so können wir bis zum Ende des Jahrzehnts Gleichberechti-
in Musik, Serien, Filmen und Büchern konsumieren, darüber          gung verwirklichen.
berichtet Christoph May, der sich mit kritischer Männerfor-
schung auseinandersetzt. Eine horizonterweiternde Playlist           Eine inspirierende Lektüre wünscht Ihnen
liefert er gratis dazu.
   In der Kunst ist es wie beim Fußball: Die Einschaltquoten
bestimmen, wer Sendezeit bekommt, gesehen und bezahlt
wird. Sprich: Wer sichtbar ist, verdient. Sophie Rohé zeigt, wie
das im Buchmarkt läuft und was jeder und jede beim täglichen
Konsum zur gerechten Entlohnung beitragen kann.
   Führungspositionen werden auch im Kulturbereich selte-            Birte Siemonsen
ner von Frauen besetzt. Im Leitungs- oder Verwaltungsbereich,        Präsidentin BPW Germany e.V.
die statt einer künstlerischen eine juristische, betriebswirt-
schaftliche oder Verwaltungslaufbahn voraussetzen, fehlen
die Frauen. Nur 22 Prozent aller Theater werden zum Beispiel
von Intendantinnen geleitet – wie das die künstlerische Frei-
heit einschränkt, argumentiert Heike Scharpff vom Vorstand
Pro Quote Bühne.

 www.equalpayday.de                                                                                                                 3
März 2023 ist Equal Pay Day
GRUSSWORT
                                       LISA PAUS
                                       BUNDESMINISTERIN FÜR
                                       FAMILIE, SENIOREN,
                                       FRAUEN UND JUGEND

    Sehr geehrte Damen und Herren,

        kennen Sie Gabriele Münter, Berthe Morisot, Dora Maar oder Lucia Moholy? Und wissen Sie, was
    diese Frauen gemeinsam haben? Es sind Künstlerinnen, die zu ihren Lebzeiten und über ihren Tod
    hinaus als Lebensgefährtin, Muse, Schülerin oder Assistentin im Schatten von großen Künstlern
    standen: Die eigene Szene und fortan die Gesellschaft hatten ihnen schlichtweg das Talent und die
    Schaffenskraft für ein eigenes Künstlerinnenleben abgesprochen.
        Allmählich ist ein Umdenken in Gang gekommen! Trotzdem haben kunst- und kulturschaffen-
    de Frauen auch heute noch immer nicht die gleichen Chancen wie ihre männlichen Kollegen. Sie
    sind nach wie vor unterrepräsentiert in Galerien, Film und Fernsehen und auf der Bühne. Noch
    dazu klafft zwischen den Verdiensten von Frauen und Männern im Kunst- und Kulturbereich eine
    Lücke von unfassbaren 30 Prozent. Verantwortlich dafür sind unter anderem tradierte Rollenbilder,
    Geschlechterstereotypen, intransparente Gehalts- und Gagenverhandlungen sowie schwierige Be-
    dingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
        Das sind exakt dieselben Strukturen, die in unserer Gesellschaft zu einer durchschnittlichen
    Lohnlücke zwischen Frauen und Männern von 18 Prozent führen. Dabei wurden in den letzten Jahr-
    zehnten bereits zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Gleichstellung von Frauen im Arbeitsle-
    ben und die Entgeltgleichheit zu fördern.
        Hier setzen wir an und machen weiter: Wir führen einen Gleichstellungscheck ein, der künftige
    Gesetze und Maßnahmen daraufhin prüft, ob sie sich positiv auf die Gleichstellung auswirken. Zu-
    dem wollen wir Eltern dabei unterstützen, Beruf und Familie noch besser zu vereinbaren – indem
    wir zum Beispiel das Betreuungsangebot in Kita und Schule weiter ausbauen.
        Das Führungspositionengesetz-II, das neben einer Quote für Aufsichtsräte in großen Unterneh-
    men auch eine Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen vorschreibt, werden wir auf weiteren
    Handlungsbedarf überprüfen. Wenn mehr Frauen in Führungsgremien mitbestimmen, kann sich
    die ganze Unternehmenskultur modernisieren.
        Gleiches gilt für das Entgelttransparenzgesetz, das hilft, ungleiche Bezahlung von Frauen und
    Männern bei gleichwertiger Arbeit aufzudecken. Hier wissen wir schon, dass wir uns mit dem Sta-
    tus Quo nicht zufriedengeben können. Das Gesetz werden wir auf Basis der dann zweiten Evalua-
    tion und der europäischen Lohntransparenzrichtlinie weiterentwickeln.

       Wir haben viel vor, um die ökonomische Gleichstellung von Frauen und Männern voranzutrei-
    ben. Die Equal Pay Day Kampagne ist dabei ein wichtiger Baustein.

        Mein besonderer Dank gilt deshalb den Business and Professional Women als Initiatorinnen
    und Organisatorinnen und den vielen Mitstreiter:innen, die den Equal Pay Day jedes Jahr mit ihren
    originellen Aktionen und ihrem langen Atem zu einem der wichtigsten Aktionstage im gleichstel-
    lungspolitischen Kalender machen.

    Vielen Dank für Ihr Engagement – und viel Erfolg!
    Mit freundlichen Grüßen

    Lisa Paus MdB
    Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

4            Das Journal zum Equal Pay Day 2023
März 2023 ist Equal Pay Day
Augenblick mal!

                 KUNST
               SICHTBAR
              UNSICHTBAR

                                                                      VAN GOGH

                                                                                           Vincent, Albrecht, Keith…
                                                                                            Hier hängen nirgends
                                                                                            Bilder von Otterfrauen.

  Die großen Otterfrauen

                                                                                 öhmmmm…
        in der Kunst                Doch, doch.             Wen denn                         Die Mexikanerin
 kennen viele ja nicht mal.   Da gibt es auf jeden Fall   zum Beispiel?                     mit der Monobraue!
                                      welche!

www.equalpayday.de                                                                                                     5
März 2023 ist Equal Pay Day
Ein Raum für Frauen
und ihre Kunst

                                                                                                         weiterhin die Verantwortung für
                                                                                                         Sorgearbeit zugeschrieben wird,
                                                                                                         wird ihnen als Mutter nicht mehr
                                                                                                         zugetraut, erfolgreich Kunst zu

    S   chon vor beinahe hundert
        Jahren wusste Virginia Woolf
    „Eine Frau braucht Geld und ein
                                                                                                         machen. Dazu kommt: Die Auf-
                                                                                                         führung am Abend, die Reise zu
                                                                                                         Drehort oder nächstem Engage-
                                                                                                         ment ist in den existierenden Kin-
    Zimmer für sich allein, wenn sie             Doch was steht dem heute noch                           derbetreuungsangeboten nicht
    Bücher schreiben möchte“ – diese             im Weg? Ein Blick in den Kultur-                        vorgesehen. So wird Vereinbarkeit
                                                 bereich zeigt wie durch ein Ver-                        von Beruf und Familie eine beson-
                                                 größerungsglas die Probleme, die                        dere Herausforderung.
                                                 auch gesamtgesellschaftlich zu                          All das trägt dazu bei, dass Frauen
                                                 einem Gender Pay Gap von 18 Pro-                        weniger sichtbar sind. Wer nicht
                                                 zent führen2. Rechnet man diesen                        gesehen wird, wird natürlich auch
                                                 Wert in Tage um, arbeiten Frauen                        nicht gekauft, gebucht oder von
                                                 vom 1. Januar an 66 Tage umsonst.                       der Kritik besprochen – und ver-
                                                 Der nächste Equal Pay Day findet                        dient so am Ende weniger.
                                                 deshalb am 7. März 2023 statt.                          Diejenigen in Führungsposi-
                                                 Stereotype Zuordnungen wei-                             tionen, die daran etwas ändern
                                                 sen Frauen bestimmte Rollen zu:                         könnten – und sich an vielen
                                                 Frauen sind im Fernsehen selte-                         Stellen auch schon für Lösungen
                                                 ner als Expertinnen zu sehen und                        engagieren –, sind weiterhin oft
                                                 häufiger als die junge Frau auf der                     Männer. Nur 22 Prozent aller The-
                                                 Suche nach Liebe oder die aufop-                        ater werden beispielsweise von
                                                 ferungsvolle Mutter3. Das Genie,                        Intendantinnen geleitet5.
                                                 das sich selbst verwirklichend
                                                 Kunst schafft, gilt immer noch als                      Dass Frauen genauso wie Männer
    Feststellung gilt auch heute noch            männlich. So verwundert es nicht,                       Kunst und Kultur schaffen und
    und über die Literatur hinaus. In            dass wir zum Beispiel überdurch-                        gestalten können, geht uns alle
    Kunst und Kultur gibt es immer               schnittlich häufig Solisten im Or-                      etwas an. Denn sie sind es, die
    noch einen eklatanten Gender                 chester zu hören bekommen4.                             die Musik, die Filme, die Bilder
    Pay Gap von 30 Prozent zwischen              Sich um eine Familie zu küm-
    Männern und Frauen1. Und über                mern, passt nicht zu diesem Bild
    den konkreten Raum hinaus, den               des Genies, das sich allein für
    auch Frauen brauchen, um sich                seine Kunst aufopfert. Da Frauen
    ungestört von Krach und Ablen-
    kungen des Haushalts und der
    Care-Aufgaben ganz und gar auf                        1 Destatis, 2022.
    ihre Kunst einzulassen, brauchen                      2 Destatis, 2022.
    sie auch ein „Zimmer“ in den Füh-                     3 E. Prommer: Audiovisuelle Diversität? Geschlechterdarstellung in
                                                          Film und Fernsehen in Deutschland, 2017.
    rungsetagen der Kunstwelt, um
                                                          4 Deutsches Musikinformationszentrum: Geschlechterverteilung in
    gleichberechtigt Kultur prägen                        deutschen Berufsorchestern, 2021.
    zu können.                                            5 Deutscher Kulturrat: Frauen in Kultur und Medien, 2016.

6           Das Journal zum Equal Pay Day 2023
März 2023 ist Equal Pay Day
schaffen, die wir alle konsumie-
       ren. Sie prägen damit unser Bild
       davon, was Frauen können. Sie er-
       zählen die Geschichten, die uns
       motivieren können, den Stand-
       punkt von ganz unterschiedli-
       chen Menschen einzunehmen.
       Wie wichtig ist es darum, dass
       Frauen gleichermaßen die Chan-
       ce bekommen, ihre Sichtweisen
       dem Publikum zu präsentieren.

       Das Beispiel Virginia Woolf zeigt:
       Kunst kann uns den Spiegel vor-
       halten, kann eine Vision einer Zu-
       kunft entwerfen, in der „die Kunst
       der gleichen Bezahlung“ Realität
       wird. Setzen Sie sich mit uns ge-
       meinsam für die gleiche Bezah-
       lung von Männern und Frauen in
       Kunst und Kultur und in der ge-
       samten Gesellschaft ein, indem
       Sie zum Equal Pay Day Aktionen
       organisieren und auf Social Me-
       dia oder mit ihren Kolleg:innen,
       Freund:innen und Verwandten
       darüber reden. Konsumieren
                                            L I L LY S C H Ö N
       Sie die Kunst von Frauen, lassen
                                            Lilly Schön ist Volkswirtin und Pro-
       Sie sich von ihnen inspirieren.
                                            jektkoordinatorin der Equal Pay
       Machen Sie mit uns gemeinsam
                                            Day Kampagne. Vorher hat sie als
       equal pay zu einer Erfolgsge-        Wissenschaftliche Mitarbeiterin
       schichte!                            die Geschäftsstelle des Ökonomin-
                                            nen-Netzwerks efas koordiniert. In
                                            ihrer Freizeit liest sie leidenschaft-
                                            lich gerne feministische Literatur.

www.equalpayday.de                                                                   7
März 2023 ist Equal Pay Day
Blick hinter die Kulissen

                                        Wie nehmen Sie Rollenstereotype für
                                        Künstler:innen am Theater heute wahr?
                                        Ich hätte mir weniger Steine in den Weg     geht auch in vielen Punkten voran: Es
                                        gewünscht. Es ist sehr ungewöhnlich,        gibt heute neue Herangehensweisen, um
                                        als erste Frau Präsidentin der Genossen-    Stoffe aufzubrechen, Figuren aufzubre-
                                        schaft Deutscher Bühnen-Angehöriger,        chen, Besetzungen aufzubrechen. Die
    LISA JOPT, 1982 in Siegen           die auch noch Schauspielerin ist. Ein       Debatte ist an vielen Theatern schon weit
    geboren, wurde 2006-2010            paar Wochen nach meiner Wahl habe           fortgeschritten, stereotype Darstellungen
    in Leipzig zur Schauspielerin       ich erfahren, dass ich schwanger bin. Als   werden immer seltener. Viel Spielraum
    ausgebildet. Von 2014 bis 2017      mein Baby drei Monate alt war, hatten       nach oben gibt es trotzdem noch beim für
    war sie am Oldenburgischen          wir unseren großen Genossenschaftstag,      mich drängendsten Thema am Theater:
    Staatstheater engagiert, wo sie     wo die Gewerkschaft politisch aufs Gleis    Mehr Diversität auf der Bühne! Mehr
    das ensemble-netzwerk für die
                                        gesetzt wurde. Ich hatte mein Baby dabei    Menschen mit Behinderung, People of
    Verbesserung der Arbeitsbedin-
                                        und habe gestillt und dann böse E-Mails     Colour, Trans*-Menschen! Das ist für
    gungen an öffentlich geförderten
                                        bekommen, ich solle nicht drehen gehen      mich eines der größten Change Themen!
    Theatern mitbegründete. Seit Mai
    2021 ist sie geschäftsführende
                                        und mich lieber um mein Kind kümmern;
                                                                                    * Die Schreibweise Trans* (Trans-Sternchen) ist der Ver-
    Präsidentin der Bühnengewerk-       ich würde es nur stillen, damit man mich
                                                                                    such, einen nicht wertenden und nicht kategorisierenden
    schaft Genossenschaft Deutscher     politisch nicht angreifen könne.            Oberbegriff für das gesamte Trans*-Spektrum zu finden.

    Bühnenangehöriger (GDBA).           Am Theater spiel(t)en Rollenklischees
                                        auch eine Rolle, denn die historische
                                        Literatur, die an Theatern gespielt wird,
                                        wurde von Männern geschrieben: aus
                                        Männerperspektiven, weißen Perspekti-
                                        ven, eurozentristischen Perspektiven, mit
                                        stereotypen Rollen. Diesen literarischen
                                        Kanon auf die Bühne zu bringen, bringt
                                        Dramaturg:innen und Theatermacher:in-
                                        nen ganz schön ins Schwitzen: Es ist ein
                                        Spagat, einen Stoff in die Moderne zu
                                        übertragen, der in ganz anderen Kontex-
                                        ten entworfen wurde. Aber das Theater

8             Das Journal zum Equal Pay Day 2023
März 2023 ist Equal Pay Day
Wie sind Ihre Erfahrungen als Frau in
                                                 einer Führungsposition im Kulturbereich?
                                                 Wie sind Sie dorthin gelangt?
                                                 Ich würde sagen: Mit Geduld, Beharrlich-     schied macht, ist mir erst so richtig klar
                                                 keit, Selbstbewusstsein, durch Weiter-       geworden, als ich am Mentoring-Pro-
                                                 bildung, gute Berater:innen und den          gramm Frauen in Kultur & Medien des
           A NTJE THOM S studierte               Glauben an die eigenen Fähigkeiten. Eine     Deutschen Kulturrat teilgenommen habe.
           Angewandte Theaterwissen-             Führungsposition war für mich lange          Da habe ich gemerkt, wie toll es ist, mal
           schaften in Gießen und ist seit
                                                 Zeit kein avisiertes Fernziel, sondern hat   nicht in der Minderheit zu sein, wie viel
           2003 freiberuflich als Regisseurin
                                                 sich durch verschiedene berufliche und       fröhlicher, offener und freier es sich für
           an Stadt- und Staatstheatern im
                                                 ehrenamtliche Etappen zum jetzigen           mich dort angefühlt hat. Das Gegenbei-
           deutschsprachigen Raum tätig.
                                                 Zeitpunkt als folgerichtig ergeben: Denn     spiel hat mir vor Augen geführt, wie viel
           Ab 2014 war sie Hausregisseurin
           am Deutschen Theater Göttin-          wenn wir uns selbst (mehr) weibliche         mehr Männer in solchen Runden reden,
           gen und leitet seit der Spielzeit     Führungskräfte wünschen, müssen wir          wie selbstverständlich sie sich dort selbst
           22/23 die Schauspielsparte am         auch bereit sein, Verantwortung zu über-     promoten, während wir Frauen eher be-
           Theater Regensburg. Thoms ist         nehmen oder es zumindest mal eine Zeit       reit sind, zuzuhören und auch mal unsere
           Mitbegründerin des Netzwerk           lang ausprobieren! Hindernisse habe ich      Meinung zu überdenken. Frauennetzwer-
           Regie e. V. Im Dezember 2020 er-      persönlich keine wahrgenommen, außer         ke sind auch deshalb so wichtig!
           hielt sie für ihr kulturpolitisches   vielleicht die „typisch weiblichen“ (?)
           Engagement den erstmals verlie-       Selbstzweifel. Aber natürlich fällt mir
           henen Bühnenheld:innen-Preis
                                                 auf, wenn z.B. bei wichtigen Tagungen
           des Aktionsbündnis Darstellende
                                                 und Diskussionsrunden, in Findungs-
           Künste.
                                                 kommissionen und/oder Aufsichts- und
                                                 Verwaltungsräten die Männer noch
                                                 immer deutlich in der Überzahl sind.
                                                 Was das für einen frappierenden Unter-

Wie erfahren Sie die Möglichkeiten
der Vereinbarkeit von Beruf und
Familie als Künstlerin?
Ich bin in eine Künstlerfamilie hinein           Horizont erweitern, dafür verlange ich
geboren, ich kenne den Rhythmus, den             nun aber Anerkennung. Die Mutter-
die Beschäftigung am Theater erfordert.          schaft erhöht meine Kompetenzen, das
                                                                                                         J O H A NNA BA NTZ E R
Als Künstlerin gehöre ich zum „fahren-           muss sich in angemessener Bezahlung
                                                                                                         studierte Schauspiel an der
den Volk“. Die Geburt meiner Kinder hat          niederschlagen, nicht als Lücke gewertet
                                                                                                         Zürcher Hochschule der Künste.
mich bereichert, die Art wie ich inhalt-         werden. Kindererziehung muss von der
                                                                                                         Seitdem arbeitet sie an zahlrei-
lich arbeite ist seitdem vielschichtiger         Gesellschaft ebenso gestützt werden wie                 chen Theatern und in Film- und
und reifer geworden. Den Alltag mit              die Wirtschaft. Darüber muss man nicht                  Fernsehproduktionen. Derzeit ist
diesen außergewöhnlichen Arbeits-                diskutieren, es ist offensichtlich.                     sie Ensemblemitglied am Schau-
zeiten zu meistern, bedeutete jahrelang                                                                  spiel Hannover. Sie ist 44 Jahre
einen enormen Aufwand. Ich habe mich                                                                     alt und Mutter von zwei Kindern
maximal verausgabt, ohne Lohnaus-                                                                        im Alter von 12 und 14 Jahren. Sie
gleich. Der Vater meiner Kinder hat                                                                      engagiert sich im Vorstand der
immer mehr verdient als ich. Ich halte                                                                   Bühnenmütter e. V., ein Verein,
                                                                                                         der sich für die Vereinbarkeit von
das für absolut indiskutabel. Dennoch
                                                                                                         Beruf und Familie für Bühnen-
habe ich profitiert. Inzwischen bin ich
                                                                                                         künstlerinnen einsetzt.
ein Organisationstalent, konnte meinen

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März 2023 ist Equal Pay Day
Kultur muss alle Menschen
repräsentieren

     W            er weltweit um sich schaut,
                  sieht: Überall, wo die De-
     mokratie unter Druck gerät, gerät zuerst
     die Freiheit der Medien, der Kunst und
                                                                                               C L AU D I A ROTH
                                                                                               S TAATS M I N I S TE R I N F Ü R
     Kultur, der Künstlerinnen und Künst-
                                                                                               KU LTU R U N D M E D I E N
     ler, Kulturschaffenden sowie Journalis-
                                                                                               Claudia Roth, geboren 1955 in Ulm,
     tinnen und Journalisten unter Druck.          weniger vielfältig aus als sie könnten.     studierte Theaterwissenschaften in
                                                   Eine treffende Abbildung unserer ge-        München, arbeitete als Drama-
         Eine lebendige Demokratie braucht         sellschaftlichen Realität und unserer       turgin in Dortmund und Unna, ehe
     eine lebendige Kunst- und Kulturland-         Demokratie muss aber alle Menschen          sie Managerin der Band „Ton Steine
     schaft. Sie braucht die Debatte, den          einschließen. Demokratie bedeutet           Scherben“ wurde. Sie wechsel-
     Dialog und die Vielstimmigkeit. In der        Vielfalt.                                   te 1985 in die Politik, war u.a.
     Kulturpolitik muss es deshalb darum               Wir erleben eine Zeit der Krisen, wie   Mitglied des Europaparlaments,
     gehen, die deutsche Kulturlandschaft          wir sie zuvor noch nicht gekannt haben.     Bundesvorsitzende von Bündnis
     in ihrer ganzen Vielfalt zu stärken.          Gerade Kunst und Kultur können Kräfte       90/ Die Grünen und seit 1998 – mit
     Kultur muss alle Menschen repräsen-           entfalten, die jene der Politik bisweilen   Unterbrechung – Abgeordnete des
     tieren und die Wirklichkeit unserer           übersteigen. Diese Kräfte brauchen wir      Deutschen Bundestags, dessen
     Gesellschaft abbilden – nur so finden         mehr denn je, und dafür brauchen wir        Vizepräsidentin sie von 2013-2019
     wir auch die Wirklichkeit in unseren          alle. Deshalb müssen wir dafür sorgen,      war. Seit Dezember 2021 ist sie
     kulturellen Erzählungen, nur so kann          dass in der Arbeitswelt auf die Bedürf-     Staatsministerin für Kultur und
     die Kultur Machtstrukturen aufzeigen          nisse von Frauen Rücksicht genommen         Medien.
     und gesellschaftliche Veränderungen           wird, dass die Entscheidungsebenen
     anstoßen.                                     in Kultureinrichtungen paritätisch be-
         Wenn weiterhin überwiegend Män-           setzt werden, dass Frauen sichtbarer
     ner Kultur sichtbar schaffen, auswäh-         werden, dass Förderungen gleichbe-
     len und fördern, orientiert sich die          rechtigt vergeben werden.
     Kultur an ihren eigenen – männlichen              Der Gender Pay Gap ist keine bloße
     – Bedürfnissen und Erfahrungswelten,          Lücke, er ist ein Abgrund, der nicht nur
     und kulturelle Inhalte und Formen             das kulturelle Potenzial und die kultu-
     des künstlerischen Ausdrucks fallen           relle Vielfalt beschränkt, sondern auch
                                                   unseren demokratischen Grundsätzen
                                                   widerspricht. Demokratische Kultur-
                                                   politik muss die gesellschaftliche Rea-
                                                   lität abbilden.

10            Das Journal zum Equal Pay Day 2023
Nicht anders als andere

                                                (Wort, Bildende Kunst, Musik, Darstel-

E
                                                lende Kunst) betrachtet, zeigt sich ein
                                                ähnliches Bild, d.h. mit steigendem Jah-
       igentlich will der Kulturbereich stets   reseinkommen steigt der Gender Pay Gap.
       anders als andere gesellschaftliche           Wesentlich für alle Selbstständigen
Bereiche sein. Moderner, diskursiver, di-       in allen künstlerischen Arbeitsfeldern ist   DAGMAR S C H M I DT
verser, offener, avantgardistischer – kurz:     die Sichtbarkeit der Werke. Wenn Kunst       Seit dem Abschluss als Diplom-
einfach anders. Mit Blick auf Einkommens-       von Künstlerinnen nicht gezeigt, nicht              Künstlerin und einem
unterschiede zwischen Frauen und Män-           aufgeführt, nicht ausgestellt, nicht be-               Graduierten-Studium an
nern kann der Kulturbereich allerdings          sprochen wird, fehlt die Wahrnehmung,                   der Burg Giebichen-
keinerlei Avantgardefunktion für sich in        entsteht der Gender Show Gap, bleibt das                stein Kunsthochschule
Anspruch nehmen.                                Einkommen aus. Ein wesentliches Instru-                 Halle (Saale) ist Dagmar
     Sicher, bei den abhängig Beschäftig-       ment den Gender Pay Gap zu bezwingen,                  Schmidt freischaffende
ten gibt es durchaus Berufe, bei denen          ist es daher, den Gender Show Gap anzu-             Künstlerin und Kurato-
von einem nennenswerten Gender Pay              gehen. Darum zeigt Kunst von Frauen!          rin und vor allem mit Kunst im
Gap nicht gesprochen werden kann. Das                Weiter muss die Teilhabe von Künst-     öffentlichen Raum und Kunst im
gilt beispielsweise für die Angestellten im     lerinnen an der öffentlichen Künstlerin-     Stadtumbau befasst. Sie ist Vize-
Buchhandel, für Bibliotheken, aber auch         nen- und Künstlerförderung verbessert        präsidentin des Deutschen Kultur-
für abhängig Beschäftigte in der Kamera-        werden. Der Deutsche Kulturrat setzt sich    rates und seit 2014 Vorsitzende
und Tontechnik. Aber in anderen Kultur-         daher dafür ein, dass                        des BBK Niedersachsen, wo sie
berufen wie z.B. der Theater-, Film- oder          Jurys und Auswahlgremien, die durch       sich für eine transparente, flexible
Fernsehproduktion liegt der Gender Pay          öffentliche Mittel finanziert werden, ge-    Verbandsstruktur mit Dienstleis-
Gap bei 25 Prozent und damit auf der all-       schlechtergerecht besetzt werden; Ziel ist   tungscharakter für die Mitglieder
gemein üblichen Höhe. Dieser Befund ist         es, Parität herzustellen,                    eingesetzt. Sie leitet insbesondere
erstaunlich in einem Arbeitsbereich, der           Maßnahmen der individuellen Künst-        das Pilotprojekt Künstlerdaten-
für sich oft in Anspruch nimmt, besonders       lerinnen- und Künstlerförderung mit Blick    bank/Nachlässe Niedersachsen.
innovativ und avantgardistisch zu sein.         auf die Vereinbarkeit von Familie und Be-    Seit 2017 ist sie zudem Vorsitzende
     Noch gravierender sind die Unter-          ruf sowie hinsichtlich von Altersgrenzen     des BBK Bundesverbands.
schiede bei den selbstständigen Künstle-        flexibilisiert werden,
rinnen und Künstlern, die in der Künstler-         Auswahlverfahren, sofern möglich, ano-
sozialversicherung (KSK) versichert sind.       nymisiert erfolgen, Beispiele hierfür sind
Hier muss als erstes festgehalten werden,       das musikalische Vorspiel hinter dem Vor-
dass je höher das Einkommen in einem            hang oder die anonymisierte Bewerbung,
Bundesland ist, desto größer ist der Gen-          Förderprogramme für den künstle-
der Pay Gap, je geringer der Verdienst,         rischen Wiedereinstieg nach einer Fa-
desto kleiner der Gender Pay Gap. Oder          milienphase entwickelt werden, diese
um es an zwei Beispielen zu verdeutlichen:      Programme sollen sich an Frauen und
In Hamburg erzielen die KSK-Versicherten        Männer richten.
die höchsten Einkommen, der Gender Pay
Gap liegt bei mehr als 30 Prozent, in Thü-
ringen erreichen die KSK-Versicherten im
Durchschnitt die geringsten Einkommen,
der Gender Pay Gap beträgt rund 10 Pro-
zent. Werden die einzelnen Berufsgruppen

 www.equalpayday.de                                                                                                              11
Statements
aus dem
Rampenlicht

                                                                                           Aus dem Teufelskreis Gender Pay
                                                                                           Gap können wir nur ausbrechen,
                                                                                           wenn es mutige Frauen gibt, die
                                                                                           ihre Rechte einfordern, und Män-
                                                                                           ner, die bereit sind, Privilegien
                                                                                           abzugeben. Es braucht einen ge-
                                                                                           sellschaftlichen Konsens, um ihn
        Ungerechtigkeit muss sichtbar                                                      loszuwerden. Und zwar jetzt!
        gemacht werden, sonst ändert                                                       CHRISTOPH SIEBER
        sich nichts. Deshalb lasst uns                                                     Kabarettist
        über das Thema „Gender Pay Gap“
        sprechen, schreiben, erzählen
        und zeichnen. Meinetwegen auch
        singen. Hauptsache es kommt auf
        den Tisch.
        FRANZISKA WILHELM
        Autorin und Moderatorin

                                                      Bei Gagenverhandlungen gilt für
                                                      mich: ich bin so teuer, wie ich
                                                      sein möchte. Und auf keinen Fall
                                                      billiger als Männer.
                                                      PETRA ZIESER
                                                      Schauspielerin

                                                                                                         Kunst und Kultur zeigen, wie
Gleichberechtigung muss auf al-                                                                          Männer und Frauen auf die Welt
len Ebenen stattfinden und inter-                                                                        blicken. Umso wichtiger ist, dass
sektional gedacht werden. Das ist                                                                        Frauen und Männer auch gerecht
ebenso komplex wie wichtig. Beim                                                                         und fair für ihre Kunst bezahlt
Gender Pay Gap jedoch liegen                                                                             werden – und erst recht den Raum
die Dinge einfach: Gleiche Arbeit                                                                        bekommen, gesehen und gehört
muss auch gleich bezahlt werden.                                                                         zu werden. Deswegen müssen wir
Punkt.                                                                                                   den Gender Pay Gap überwinden.
SEBASTIAN 23                                                                                             LISA PAUS
                                                    Ich bin erschüttert, dass es in Tei-
                                                                                                         Bundesministerin für Familie,
Slampoet, Buchautor und Comedian                    len der Kulturbranche einen sol-                     Senioren, Frauen und Jugend
                                                    chen Gap gibt. Bei den Indie-Buch-
                                                    verlagen ist es undenkbar, nicht
                                                    die gleichen Honorare zu zahlen.
                                                    Und genau so muss es sein!
                                                    VOLKER SURMANN
                                                    Verleger Satyr Verlag

12             Das Journal zum Equal Pay Day 2023
In der Kunstbranche, die perma-
                                                                                               nent gesellschaftliche Ungleich-
                                                                                               heiten ins Rampenlicht stellt,
                                                                                               existiert eine geschlechtsspezifi-
                          Kunst machen ist kein Hobby –                                        sche Bezahlung. Finde den Fehler
                          nicht mal für eine Mutter mit                                        – und lass ihn uns mit Solidarität
                          Behinderung aus dem Osten mit                                        für die Schlechterverdienenden
                          jüdischem Familienhintergrund                                        und Unterrepräsentierten sofort
                          wie mich – es ist verdammt harte                                     beheben!.
                          Arbeit! Und die muss anständig                                       VOLKMAR LEIF GILBERT
                          bezahlt werden! (Wir retten die                                      Schauspieler
                          Welt. Jeden Tag aufs Neue.)
                          LEA STREISAND
                          Schriftstellerin

                                                                      Der Gender Pay Gap ist keine
                                                                      bloße Lücke, er ist ein Abgrund.
                                                                      Er beschränkt nicht nur das
                                                                      kulturelle Potenzial und die Viel-
                                                                      falt, sondern widerspricht auch
                                                                      unseren demokratischen Grund-
                                                                      sätzen. Eine lebendige Demokratie
                                                                      braucht alle: Künstlerinnen und
                                                                      Künstler, alle Kreative.
                                                                      CLAUDIA ROTH
   Es wird in unseren Diskussionen                                    Staatsministerin für Kultur und Medien
   grundsätzlich darum gehen, dass
   im Ziel wohl die Chance für alle
   Geschlechter gleich groß sein
   muss, den künstlerischen Beruf                                                                       Der Gender Pay Gap ist ein hartnä-
   hauptberuflich ausüben zu kön-                                                                       ckiges Überbleibsel einer Gesell-
   nen, aber im Nahziel der Fokus                                                                       schaft aus der Vergangenheit. In
                                                                                                        der Zukunft werden wir Frauen
   auf die Situation der Künstlerin
                                                                                                        darüber den Kopf schütteln, dass
   gerichtet bleibt.“
                                                                                                        es jemals so eine himmelschrei-
   EVA HÜBNER                                       Ohne gleiche Bezahlung keine                        ende Ungerechtigkeit gab. Wir
   Leiterin Inselgalerie Berlin und
                                                    Gleichstellung. 30 Prozent Gender                   wollen die Zukunft JETZT.
   Kulturmanagerin
                                                    Pay Gap in Kunst und Kultur, 18                     ANNIKA SOPHIE MENDRALA
                                                    Prozent gesamtgesellschaftlich                      Sängerin, Gründerin und Vorstand
                                                                                                        Bühnenmütter e. V.
                                                    – es ist Zeit, dass in Deutschland
                                                    Frauen und Männer für gleiche
                                                    und gleichwertige Arbeit den glei-
                                                    chen Lohn erhalten!
                                                    LISI MEIER UND ARN SAUER
                                                    Direktorin und Direktor der
                                                    Bundesstiftung Gleichstellung

www.equalpayday.de                                                                                                                         13
Männermonotonie

     I   ch bereue jeden Tag, in männlichen
         Monokulturen aka Patriarchat so-
     zialisiert worden zu sein, und nicht in
     einer diversen, gleichgestellten Welt.
                                                                                             Mae aus Kanada in die bisher hetero-
                                                                                             sexuelle Lehrerin George aus London.
     Ich freue mich jeden Tag, noch vierzig,                                                 Während Gentleman Jack (Regie: Sally
     fünfzig Jahre weibliche, queere und                                                     Wainwright) auf den Tagebüchern der
     nicht-männliche Perspektiven in Mu-           Ebene solltet ihr sämtliche Männerrun-    englischen Gutsbesitzerin, Industriel-
     sik, Film, Serien, Literatur und Sport        den hinter euch lassen. Sobald der Män-   len, Bergsteigerin und ersten moder-
     erleben zu können, zu dürfen.                 neranteil in Kultur, Sport, Wirtschaft,   nen Lesbe Anne Lister basiert. Verpasst
                                                   Politik und Medien über 20 Prozent        auf keinen Fall die neue Reality Show
     Die ersten 30 Jahre meines Lebens habe        liegt, einfach nicht mehr hingehen,       Watch out for the Big Grrrls von Liz-
     ich mich weitgehend unbewusst und             aussteigen, absagen. Die gewonnene        zo. Und gebt euch die großartige Doku
     unreflektiert in männlich dominier-           Quality Time könnt ihr sogleich pri-      Disclosure von Laverne Cox über 100
     ten Umgebungen bewegt, männliche              ma nutzen, um euren Medienkonsum          Jahre trans representation on screen.
     Actionfilme, Superheroes und Fantasy-         (repräsentative Ebene) auf weibliche,
     Epen geschaut, Männermusik gehört,            queere und diverse Produktionen um-       Zum Schluss möchte ich euch unse-
     Männer gelesen, männlicher Freundes-          zustellen. Hier ein paar erstklassige     re ongoing Detox Masculinity You-
     und Kollegenkreis. Zwölf Jahre später         Empfehlungen vom Institut für Kriti-      tube-Playlists ans Herz legen, wo wir
     bin ich feministischer Männlichkeits-         sche Männerforschung für euch:            feministische Musik, Serien, Filme
     forscher mit dem Schwerpunkt Film-                                                      und Video Essays für euch sammeln.
     und Serienanalyse. Männerbilder und           Die beste Serie über Toxic Masculinity    Denn wer seinen Medienkonsum erst
     männliche Erzählungen von House of            heißt Bad Sisters (Drehbuch: Sharon       einmal auf divers umgestellt hat, will
     the Dragon über Star Wars, Disney,            Horgan). Vier Schwestern versuchen,       garantiert nicht mehr zurück, sondern
     DC und Marvel bis zu The Rings of             die fünfte von ihrem hochtoxischen        mehr davon (auffindbar auf Youtube
     Power zeigen eindrucksvoll, wie die           Ehemann zu erlösen. Bei Ginny &           über den Kanal Detox Masculinity,
     übermächtige Fantasielosigkeit von            Georgia (Idee: Sarah Lampert) stehen      https://www.youtube.com/channel/
     Männerfantasien in Drehbüchern und            eine alleinerziehende Mom und ihre        UCrAo6Cq5jVm2afg8C6oYtlA/playlists).
     Romanen aktuell wieder so richtig Fahrt       Tochter im Mittelpunkt, denen kein
     aufnimmt.                                     Mann jemals gewachsen sein
     Für alle, die davon genauso unterfor-         wird. Echoes (Idee: Vanessa
     dert und abgestoßen sind wie ich, sich        Gazy) zeigt, wie zwei ein-
     nicht repräsentiert sehen und keine           eiige Schwestern einmal im
     Lust mehr haben auf Gewalt-, Macht-           Jahr unbemerkt komplett ihre
     und Männermonotonie in Realität und           Rollen, Männer und Jobs tau-
     Fiktion, gibt es zwei sehr wirksame und       schen. Nicht zu vergessen das
     simple Optionen. Auf der strukturellen        wahnwitzige Spiel zwischen
                                                   der Verlegerin Sofie und
                                                   ihrem Praktikanten Max in
                                                   Love & Anarchy (Drehbuch/
                                                   Regie: Lisy Langseth). In
                                                   Feel Good (Idee/Dreh-
                                                   buch: Mae Martin)
                                                   verliebt sich die gen-
                                                   derfluide Comedian

14            Das Journal zum Equal Pay Day 2023
Vorbildlich

                                      Gentleman Jack: Anne Lister reist,
                                      investiert und liebt frei und unabhän-
                                      gig. Finanziell eigenständig braucht
                                      sie keinen Mann, der für sie sorgt.
                                      Anne ist furchtlos und selbstbe-
                                      stimmt – und dabei charismatisch.
                                      Ihrer Zeit in jederlei Hinsicht weit
                                      voraus, heiratet sie eine Frau. All-
                                      female Power Couple. Selbst die
                                      vierte Wand hin zu den Zuschauen-
                                      den durchbricht sie immer wieder.
                                                                                Anne Lister, 1791-1840;
                                      Mit drei Frauen (Sally Wainwright,        Porträt von Joshua Horner
                                      Sally Harding, Jennifer Perrott) in der
                                      Regie und Intimacy Koordinatorin
                                      Ita O‘Brien kommen die erotischen
                                      Szenen ganz ohne den Voyeurismus
                                      des male gaze aus.

                                      So lieber nicht

                                      House of the Dragon (Stand: Epi-
                                      sode 7) zeigt männliche Könige in
                                      Männermonarchien, rein männliche
                                      Heere, männliche Erbfolge, extreme
                                                                                Anne-Marie Duff und Sharon Horgan in
                                      männermonotone Fantasielosigkeit          Bad Sisters (2022)
                                      in der Handlung, billigen Pathos plus
                                      Gewalt und Intrigen - das Übliche.
                                      Protagonistin Rhaenyra kommt nicht
                                      ohne Daemon (Onkel und Ehemann
C H R I S TO P H M AY
                                      gleichzeitig) weiter. Ohne den Rück-
Christop May ist Männerforscher,
                                      halt eines Mannes erfolgreich zu
Berater und Dozent. Er hat 2016
                                      sein - sei es der Vater, der sie (im
gemeinsam mit der Schriftstelle-      Endeffekt nur aus Trotz, um seinem
rin Stephanie May das Institut für    Bruder eins auszuwischen) zu seiner
Kritische Männerforschung (Detox      Nachfolgerin erklärt hat oder der
Masculinity Institute) gegründet.     Gatte - ist in dem Männerepos nicht
Ihr Ziel ist es, die feministische    vorgesehen.
Kritik an männlichen Monokultu-       In Die Ringe der Macht sind die
ren und Toxischer Männlichkeit        Monarchiefantasien noch heftiger.
zu beschleunigen. Der Literatur-      Blutsverwandschaft über alles,
wissenschaftler hält Vorträge und     Prinzessinnen, Männerorks, Trolle,
gibt Seminare über Männerbünde,       Magier, Männerzwerge im Bergbau
Männerbilder und Kritische Männ-      (Frau kocht und erzieht), keine Elfen-
lichkeit. Sein Forschungsschwer-      queens, aber Elfenprinzessinnen.
punkt liegt auf der Analyse von       Fremdenfeindlichkeit (unser Reich,
Männerbildern und männlich do-        deren Reich, klare „Rassen“trennung,
minierten Erzählungen in Serien       meist weiße Protagonist:innen),
und Filmen. Er lebt seit einem Jahr   orders and demands, archaische
                                      und idealisierte Naturparadiese.
im Pfälzer Wald.
                                      Das Böse immer männlich. Das
                                      ewig simple Gut gegen Böse:
                                      Schwarzweißdenken, Populismus,
                                      Infantilisierung. Die reaktionäre und
                                      kulturelle Armut dieser Produktionen
                                      wird uns noch viele Jahrhunderte
                                      erheblich prägen und schaden.

 www.equalpayday.de                                                                                                    15
Der Fluch der Unsichtbarkeit

                                                 Ein Schlupfloch gegen das marktabhän-
                                                 gige Einkommen scheinen Plattformen
                                                 wie Amazon Kindle, Audible, Deezer

     D                                           oder Spotify zu sein, die E-Books und
              er Buchhandel boomt. Nimmt Hörbücher oft mit einem abrufzent-
              man neben Printprodukten rierten Entlohnungsmodell platzieren4.
     auch digitale Produkte und Vertriebs- Würde es helfen, den Algorithmus der
     wege hinzu, kann der Deutsche Buch- Plattformen auszutricksen, indem die selbstständig sind. Uschtrin schlägt
     handel im Jahr 2021 einen Anstieg des Nutzer:innen bewusst weiblich gelese- eine Art selbstauferlegten Verhaltens-
     Gesamtumsatzes von 3,5 Prozent verbu- ne Autor:innen hören                                          kodex vor: „Die Firmen
     chen. Bei den Autor:innen bleibt jedoch und lesen? „Theore-                                         könnten sagen, wir be-
                                                                              Mehr Raum für
     nur wenig hängen – und das liegt am tisch kann ein anderes                                          zahlen die Leute gleich
                                                                              Männer, die über
     komplexen und variablen Entlohnungs- Nutzer:innenverhalten                                          und wir legen das auch
                                                                              Männer schreiben.
     modell der Branche, das gerade weiblich etwas bewegen. Aber                                         offen. Nur machen sie
                                                                              Die von Männern ver-
     gelesene Autorinnen vor große Heraus- vermutlich müsste sich                                        es nicht, weil sie höhere
                                                                              fassten Besprechun-
     forderungen stellt2. So kam der Suhr- auch am System etwas                                          Entlohnungsmodelle mit
                                                                              gen sind deutlich
     kamp Verlag bei seinen Publikationen ändern. Da müsste es                                           Blick auf ihre Gewinnmar-
                                                                              ausführlicher als die
     auf einen Frauen-Anteil von nur 36 Pro- eine richtige Revoluti-                                     ge nicht wollen.“ Bei der
                                                                              von Frauen. Zudem
     zent und war damit noch klarer Spitzen- on geben“, wirft Sandra                                     derzeitigen Schieflage im
                                                                              räumen Kritiker auch
     reiter der deutschen Verlagsbranche3.       Uschtrin vom Online-                                    Auftragsvolumen würde
                                                                              den Werken von Au-
     Ein System, das den Aufstieg für mar- buchhandel Autoren-                                           aber auch die angegliche-
                                                                              toren einen größeren
     ginalisierte Gruppen äußerst schwer welt ein .      5
                                                                                                         ne Entlohnung nur einen
                                                                              Raum ein7.
     macht. „Wer nicht sichtbar ist, findet Aber was sind die Stell-                                     Teil des systematischen
     nicht statt und wer nicht verlegt wird, schrauben im System?                                        Problems lösen. Es bleibt
     bleibt unsichtbar“, beschreibt Marianne Die Antwort ist so einfach wie kom- der Fluch der Unsichtbarkeit.
     Eppelt von den BücherFrauen, einem pliziert: Es sind die gleichen Lösungen              Hier können Konsument:innen wirk-
     Netzwerk von Frauen in der Buchbran- wie für den restlichen Arbeitsmarkt – sam eingreifen, indem sie gezielt Bü-
     che, den Teufelskreis                                   Transparenz. Das Entgelt- cher weiblich gelesener Autor:innen
     der Unsichtbarkeit.                                     transparenzgesetz gilt für kaufen, zu deren Lesungen gehen und
     Doch wie kann es ge-         Auf  zwei Männer           Autor:innen nicht, da sie als Bezugsquelle Verlage und Shops
     lingen, diese struktu-       kommt eine Frau.                                          wählen, die gleichwertige, transparen-
     rellen Hindernisse aus       In allen Medien,                                          te Bezahlung fördern – so wie den Shop
     dem Weg zu räumen            mit Ausnahme von                                          Autorenwelt oder die Hörbuchplattform
     und Künstlerinnen die        Frauenzeitschriften,                                      BookBeat6. „Wir zahlen Lizenzerlöse an
     gleiche Sichtbarkeit zu      werden   männliche
     geben wie Künstlern?         Autoren häufiger
                                  und ausführlicher
                                  besprochen7.

     1 Deutsches Börsenblatt, 2022. (https://www.boersenblatt.net/home/die-offiziellen-zahlen-fuer-den-buchmarkt-2021-sind-da-245433#:~:text=Der%20Gesamtumsatz%20
     der%20Branche%20bewegte,und%20wichtigste%20Vertriebsweg%20f%C3%BCr%20B%C3%BCcher.)
     2 Hierzu gehören all jene Autor:innen, die die Konsument:innen nach Namen als „weiblich“ einordnen, auch Publikationen mit Pseudonym.
     3 Universität Rostock, Zur Sichtbarkeit von Frauen in Medien und im Literaturbetrieb, 2018.
     4 Leider haben sich Spotify und Amazon Kindle als größte Plattformen für Musik und Buch auf unsere Interviewanfrage nicht zurückgemeldet bzw. eine Interviewzusage
     zurückgezogen.
     5 Als erste und einzige Online-Buchhandlung beteiligt die Autorenwelt Schreibende am Umsatz und zahlt Autor:innen das doppelte an Tantiemen.
     6 Die Plattform transportiert den Festpreisgedanken aus dem physischen Buchhandel in die Welt der Hörbücher: „Bei uns wird ähnlich wie bei Verträgen zwischen
     Verlagen und Buchhandlungen ein Fixpreis festgesetzt und die genaue Abrechnung erfolgt dann je nach gehörten Stunden“, erklärt Kathrin Rüstig von BookBeat.
     7 http://www.frauenzählen.de/studientext.html

16                 Das Journal zum Equal Pay Day 2023
die Verlage nach den gehörten Hörbuch-             SOPHIE ROHÉ
Stunden aus – unabhängig davon, ob es              ist seit 2019 Mitglied im BPW Club
männliche oder weibliche Autor:innen               München, wohnt inzwischen aber
sind. Übrigens stammten sechs der                  in Neustrelitz. Zwei Bachelor-
Top10 Titel 2021 von weiblichen Auto-              abschlüssen an der Uni Mainz
rinnen“, erklärt Geschäftsführerin Ka-             (Film-Kultur-Theater und Literatur
thrin Rüstig. Ein Lichtblick – es bleibt           sowie Publizistik und Filmwissen-
dennoch ein langer Weg bis zur Revo-               schaft) folgte 2018 ein Master-
lution. Den Weg in die Zukunft kann                abschluss an der renommierten
nur ein ganzheitlicher                             Birmingham City University in
Ansatz weisen, der eine                            Filmmarketing und -verleih. Seit
                             Männer schreiben
diversere Besetzung der                            2021 ist sie außerdem staatlich
                             mehr über Männer.
Verlagsbranche, neue                               geprüfte Grafik-Designerin. Mehr
                             Und Frauen? Meis-
Rezeptionsformate jen-                             als zehn Jahre lang war sie als
                             tens auch.
seits des etablierten                              freie Journalistin, Chefredakteurin
                             Die Kritiken werden
Feuilletons, familien-                             und Bloggerin in der Kulturbran-
                             überwiegend, im
freundliche Stipendien                             che tätig, neben verschiedenen
                             Verhältnis vier zu
und Arbeitsstrukturen                              Engagements in der deutschen
                             drei, von Männern
sowie profunde Daten-                              und internationalen Kinobranche
                             verfasst. Männer
erhebungen zum Ist-                                im Bereich Marketing und PR. Als
                             besprechen darüber
Stand der Branche um-                              Presse- und Social Media Mana-
                             hinaus vor allem
fasst.                                             gerin des BPW Germany e.V. hilft
                             Männer7.
                                                   ihr Know-how nun, ein gesamt-
                                                   gesellschaftlich relevantes Thema
                                                   voranzutreiben.

 www.equalpayday.de                                                                      17
Aktenzeichen XY ungelöst –
wo sind die Frauen
im Film?

     D       ie Filmindustrie, so sagt man,
             ist ein „People Business“. Wie-
     viel Sichtbarkeit eine Person hat, ent-
     scheidet über die Projekte, die sie an-
                                                                                                     Der Umbau der Branche zu einer di-
                                                                                                     versen und geschlechtergerechten Er-
                                                                                                     zähl- und Beschäftigungskultur führt
     geboten bekommt und damit über die            In diesem Zusammenhang ist beson-                 nicht nur zu gerechten (Lohn-)Verhält-
     Entlohnung. Frauen erhalten zwar oft          ders die gestaffelte Bezahlung man-               nissen. Filme von Frauen erhalten im
     schon in den Filmhochschulen mehr             cher Sender zu kritisieren. Anhand                Verhältnis mehr Filmpreise, sie laufen
     Preise als ihre männlichen Kollegen,          eines Punktesystems steigt die Entloh-            erfolgreicher auf Festivals und am Box
     werden aber trotzdem übersehen, wenn          nung mit der Anzahl der für den Sen-              Office1. Das Publikum will sich selbst
     es um die entscheidenden Schritte zu          der umgesetzten Projekte. Dieses ver-             in seiner Vielfältigkeit repräsentiert
     einer erfolgreichen Filmkarriere geht.        meintlich gerechte System klammert                wissen und neue, überraschende Per-
     Laut der diesjährigen Erhebung des            aus, dass weibliche Filmschaffende ins            spektiven und Geschichten sehen. Es
     „European Audiovisual Observatory“            Hintertreffen gelangen, weil sie weni-            gibt also viele gute Gründe, endlich zu
     bleiben Frauen mit 24 Prozent eine Min-       ger beschäftigt werden. Sie rutschen              handeln.
     derheit in der Filmindustrie.                 automatisch unter das Lohnniveau der
                                                   Männer.                                           Eine längere Version dieses Artikels fin-
     Der aktuelle Diversitätsbericht des                                                             den Sie auf unserem Blog (https://www.
     Bundesverband Regie zeigt, dass die           Doch wie kann das geändert werden?                equalpayday.de/blog/)
     Regisseurinnenquote in den letzten            Neben einer Quote sind verbindliche
     Jahren einen Anstieg von 20 Prozent           Schulungen für die Entscheidungsträ-
     auf 29 Prozent erfahren hat. Diese posi-      ger:innen der Filmbranche, ob in Film-
     tive Tendenz hat sich leider meist in         fördergremien, Redaktionsstuben oder
     den schlechter bezahlten Formaten             Produktionsfirmen notwendig, damit
     abgespielt. Die besser budgetierten           sie für ihre blinden Flecken und die              1. E. Prommer, S. Loist: Wer dreht deutsche Kinofilme?
                                                                                                     Gender Report: 2009–2013, 2015.
     Eventfilme, Blockbuster oder Serien-          strukturellen Ausschlussmechanis-
     highlights werden meist immer noch            men sensibilisiert werden. Große Pro-
     unter den männlichen Regisseuren              duktionsfirmen, die Sendeanstalten
     ausgemacht, mit unmittelbarem Ein-            und Streamingplattformen könnten
     fluss auf das Lohnniveau. Aber auch           mit einem Klick zeigen, wie die Team-
     indirekt hat dies Auswirkungen: Von           besetzung und Bezahlung vor und hin-
     einem niedrigeren Niveau startend ge-         ter der Kamera bei ihren Filmen aus-
     lingt es Regisseurinnen seltener, sich        sehen und so Transparenz herstellen.
     in besser bezahlte Formate hochzu-
     arbeiten. Auch sinkt die Regisseurin-
     nenquote ab einem Alter von 49 Jahren
     auf nur 16 Prozent, mit fatalen Aus-
     wirkungen auf das Lohnniveau bis hin
     zur Altersarmut. Diese Mechanik kann
     man auf fast alle anderen Filmgewerke                  ESTHER GRONENBORN
     übertragen.                                            ist Filmregisseurin und Gründungsmitglied von
                                                            Pro Quote Regie. Sie initiierte den BVR Diversitäts-
                                                            bericht. Von 2014 bis 2017 war sie Mitglied des Vorstands von Pro Quote
                                                            Regie, seit 2021 ist sie Mitglied des Vorstands von Pro Quote Film.

18            Das Journal zum Equal Pay Day 2023
Es kluftet und bremst …

                                             als Frauen, bestimmen sie auch heute
                                             noch, wer oder was gezeigt, gesammelt

D
                                             und angekauft wird. Das hat Einfluss
                                             auf die staatlich subventionierten Ins-
         er Kunstbetrieb gibt sich gerne
                                             titutionen, wo Kurator:innen mit „ob-
         avantgardistisch, zukunftswei-
                                             jektivem“ Blick hochkarätige Ankäufe        Von der Individualkünstlerin bis zur
send und divers. Doch auf dem kom-
                                             tätigen und Ausstellungsprogramme           wichtigsten Interessensvertretung der
merziellen Kunstmarkt und in Museen
                                             zusammenstellen – in enger Koope-           Bildenden Künstler:innen, dem Bun-
und Ausstellungshäusern sind Künst-
                                             ration mit dem Markt. Dass es Werke         desverband Bildender Künstlerinnen
lerinnen und ihre Werke deutlich in der
                                             von Künstlerinnen auch bei Galeris-         und Künstler (BBK), sind in den letzten
Minderheit.
                                             tinnen, Kustodinnen und Museums-            Jahren Forderungen- und Maßnahmen-
Das Berliner Aktionsbündnis fair share!
                                             leiterinnen, die seit einigen Jahren        kataloge erarbeitet worden. Lösungs-
Sichtbarkeit für Künstlerinnen zählt
                                             zunehmend in Chefpositionen kom-            vorschläge (Quote!) und Best Practice
Kunstwerke von Frauen in Sammlun-
                                             men, schwer haben, ist Erfolgsdruck,        Beispiele liegen vor. Doch außer einer
gen, auf Messen und in Galerien: Selbst
                                             Prestigedenken und Kanongläubig-            Sensibilisierung für das Thema hat sich
im besten Fall ist das notorische Drittel
                                             keit geschuldet. Den Mut, die Karten        wenig getan. Es müssen endlich beherz-
nicht zu überwinden. Der Gender Show
                                             zugunsten von Künstlerinnen neu zu          te strukturinvasive Taten folgen!
Gap im zeitgenössischen Bereich liegt
                                             mischen, haben die wenigsten.
stabil bei 30 Prozent, obwohl 60 Prozent
der Absolvent:innen von Kunsthoch-
                                             Das hat Folgen für die Existenz vie-
schulen weiblich sind. In der histori-
                                             ler kunstschaffender Frauen: Da ihre
schen Kunst ist die Kluft sehr viel höher:
                                             Werke weniger sichtbar sind und zu
Die Alte Nationalgalerie, Sammlung des
                                             wesentlich günstigeren Preisen ange-                          INES DOLESCHAL
19. Jahrhunderts in Berlin, stellt gera-
                                             boten werden (Gender Discount), ist                           studierte Kunstgeschichte, Freie
de einmal 1,5 Prozent Werke von Frau-
                                             auch der Gender Pay Gap mit 30 Pro-                           Kunst und Englisch in Tübingen,
en aus. Seit der Wiedereröffnung 2001
                                             zent (Quelle: Destatis) weit höher als in                         London, Münster und Berlin.
wurde noch nie eine Einzelausstellung
                                             anderen Berufszweigen. Da das durch-                                   Seit 2001 als freischaf-
einer Künstlerin gezeigt. Die Frau als
                                             schnittliche Einkommen der Künstle-                                      fende Künstlerin tätig,
Dargestellte ist dagegen stark vertreten
                                             rinnen in Deutschland laut Angaben                                        stellt sie im In- und
– vielfach nackt.
                                             der Künstlersozialkasse ohnehin weit                                      Ausland aus und
Der Kunstbetrieb – privat wie institu-
                                             unter der Armutsgrenze liegt, und –                                       erhielt Förderungen
tionell – wird seit Jahrhunderten von
                                             wie immer – sorgearbeitende und al-                                     u.a. durch den Berliner
Männern dominiert. Da Männer nicht
                                             leinerziehende Frauen besonders be-                                  Senat. 2019 initiierte sie die
nur mehr Macht, sondern auch deut-
                                             troffen sind, ist hier rasches Handeln                        Schau „KLASSE DAMEN! 100 Jahre
lich mehr Geld zur Verfügung haben
                                             dringend geboten.                                             Öffnung der Berliner Kunstaka-
                                                                                                           demie für Frauen“ und engagiert
                                                                                                           sich seitdem für mehr Genderge-
                                                                                                           rechtigkeit und Familienfreund-
                                                                                                           lichkeit im Kunstbetrieb. Sie ist
                                                                                                           Mitgründerin der Aktionbündnisse
                                                                                                           kunst+kind berlin und fair share!.
                                                                                                           Doleschal lebt mit ihrer Familie in
                                                                                                           Berlin und Dessau.

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Eine Quote für die
künstlerische Freiheit

     D       as Theater nimmt für sich oft-
             mals den Anspruch, gesell-
     schaftskritisch, hochreflektiert und
     innovativ zu sein. Aber hinter der Fas-
                                                     Dort werden wesentlich geringere Ga-
                                                     gen gezahlt. 76 Prozent der gezeigten
                                                     Stücke wurden von cis-männlichen
                                                     Autoren verfasst, die damit Themen
     sade sind die Strukturen verkrustet.            setzen und ihre Sprache vorgeben. Da-                          Quote die volle Gleichberechtigung in
     Von der Mehrheit der Führungskräfte             bei kann es an mangelnder Begabung                             den Führungspositionen der Theater
     wird hingenommen, dass cis-Männer1              nicht liegen, da in fast allen Genres                          erreichen lässt. Nur so erhalten Frauen
     in gleicher Position mehr verdienen als         mehr Frauen die künstlerischen Hoch-                           bzw. FLINTA*-Personen2 die gleichen
     alle anderen Geschlechter. So fand die          schulen mit erfolgreichem Abschluss                            Chancen in Theaterinstitutionen und
     Studie „Frauen in Kultur und Medien“            verlassen. Die Strukturen der Institu-                         können die notwendigen Erfahrungen
     des Deutschen Kulturrates von 2016 ei-          tionen allerdings liegen von jeher in                          machen, um selbstbewusst Leitungs-
     nen Gender Pay Gap von 46 Prozent bei           Männerhand, immer noch werden                                  positionen auszufüllen. Die Quote
     freischaffenden Schauspielerinnen und           78 Prozent der Theater von cis-Män-                            stellt keinen Eingriff in die künstleri-
     von 36 Prozent bei der Regie. Nur 30 Pro-       nern geleitet. Neben den bekannten                             sche Freiheit dar, sondern ermöglicht
     zent der Inszenierungen stammen von             Ursachen der Familienunverträglich-                            ganz im Gegenteil viel mehr Menschen
     Regisseurinnen, die zudem häufig nur            keit verstecken sich im Theaterbereich                         ihre künstlerische Freiheit zu entfal-
     auf den Nebenbühnen und im Kinder-              die Leitungen bei der Vergabe von Re-                          ten.
     und Jugendtheater inszenieren dürfen.           giearbeiten hinter dem Mantel der
                                                     Kunstfreiheit und missbrauchen ihn
                                                     damit. Tatsächlich werden Intendan-
                                                     zen und Regiearbeiten viel zu oft in
                                                     gewohnt patriarchaler Haltung inner-
                                                     halb von Männer-Cliquen vergeben.
                                                     Die von uns als Pro Quote Bühne ange-
                                                     stoßene und von der Linken gestellte
                                                     Kleine Anfrage in Hamburg zeigt bei-
        HEIKE SCHARPFF
                                                     spielhaft den eklatanten Gender Pay
        ist Regisseurin und Diplom-Psy-
                                                     Gap und die unzureichende Gender-
        chologin. Ihre Ausbildung zur
                                                     diversität an den Theatern:
        Theaterregisseurin machte sie
        an der Schule des „Theater der               Anzahl Musiktheaterregie                           Gagen Musiktheaterregie:
        Keller“ Köln und am Staatstheater
                                                     weiblich: 31 Arbeiten (41%)                        196.000€ Gagen (13%)
        Darmstadt. Sie ist Mitgründerin
                                                     divers: 0 (0%)                                     divers: 0,00€ (0%)
        des freien Theaterhauses Waggon-
                                                     männlich: 45 Regiearbeiten (59%)                   1.264.300€ Gagen (87%)
        halle Marburg und der Theater-
                                                     (Zahlen von 2016-2021 für: Hamburgische Staatsoper, Opernloft, Hamburger Kammeroper,
        Label „klimaelemente“, „Scharpff
                                                     Hamburger Engelsaal).
        & Team“, „KANALTHEATER“ und
        „kahmann & scharpff“. Von 2013 bis
                                                     Da sich die extreme Ungleichheit im
        2018 war sie Vorstandsmitglied des
                                                     Theater in den letzten 20 Jahren nur
        Bundesverband freier darstellender
                                                     minimal verbessert hat, ist es unsere
        Künste BFDK. 2010 bis 2018 war sie
                                                     Überzeugung, dass sich nur mit einer
        Projektleiterin der Stiftung TANZ-
        Transition Zentrum Deutschland
        und seit 2022 ist sie im Vorstand
        von Pro Quote Bühne.                        1 Der Begriff cis-Männer bezeichnet Männer, denen bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen
                                                    wurde und die sich damit identifizieren.
                                                    2 Die Abkürzung FLINTA* steht für Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans* und agender Personen
                                                    und damit für alle, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität diskriminiert werden.

20             Das Journal zum Equal Pay Day 2023
Gesellschaftliche Relevanz

                                                                                        Rechte einfordern, aber auch Männer,
                                                                                        die bereit sind, Privilegien abzugeben.

                                            E      ine Schande, dass wir im Jahr
                                                   2023 immer noch über gleiche
                                            Bezahlung von Mann und Frau reden
                                            müssen. Über eine Selbstverständlich-
                                                                                        Und es braucht einen gesellschaftlichen
                                                                                        Konsens, der darüber hinausgeht, eine
                                                                                        solche Ungerechtigkeit nur zu bedau-
                                                                                        ern. Es muss sich etwas ändern. Und
                                                                                        zwar jetzt!
       CHRISTOPH SIEBER
       ist Kabarettist und moderiert        keit!                                       Ich will aber noch einen weiteren Aspekt
       die älteste Satiresendung im         Frauen verdienen im Schnitt 18 Prozent      ansprechen, der eine ganz entscheiden-
       deutschen Fernsehen „Die Mitter-     weniger als Männer. Und es erschreckt       de Rolle spielt in der Diskussion, wa-
       nachtsspitzen“ im WDR. Außerdem      besonders, dass der Gender Pay Gap im       rum Frauen oft weniger verdienen als
              ist er seit annähernd 20      Bereich Kunst und Kultur besonders          Männer. Frauen arbeiten viel häufiger in
                  Jahren auf Tournee        groß ist. Kunstwerke von Frauen wer-        sozialen Berufen als Männer. Während
                    durch Deutschland,      den auf internationalen Auktionen im        Männer eher was mit Aktien, Maschi-
                     Österreich und die     Schnitt zu 47 Prozent günstigeren Prei-     nen oder Computern machen, kümmern
                     Schweiz. Er setzt      sen versteigert als jene von Männern.       sich Frauen um Menschen. Als Pflege-
                     sich seit Jahren für   Nun, könnte man einwenden, die Män-         rinnen, Krankenschwestern, Erzieherin-
                   einen funktionieren-     ner malen halt schöner. Legt man aber       nen und Grundschullehrerinnen. Und:
                den Sozialstaat ein.        einer Gruppe von Studienteilnehmer:in-      Während Männer Unternehmen mana-
       Er lebt in Köln und trinkt gerne     nen die Fotos von ihnen unbekannten         gen, leiten Frauen Familien und pflegen
       Apfelsaftschorle.                    Kunstwerken vor, können sie nicht un-       Angehörige.
                                            terscheiden, ob diese von einem Mann        Und es zeigt sich da eine alte Regel:
                                            oder einer Frau gestaltet wurden.           Gesellschaftlich relevante Berufe sind
                                            Entscheidend für den Preis ist also nicht   schlechter bezahlt als Jobs, die ge-
                                            nur das Kunstwerk selbst, sondern auch,     sellschaftlich irrelevant sind. Männer
                                            ob es von einer Frau oder einem Mann        neigen dazu, ihr eigenes Vermögen zu
                                            stammt. Das zeigt die ganze Perversion      mehren, während Frauen das Vermö-
                                            eines Systems, denn der Preis eines         gen einer Gesellschaft mehren. Diesen
                                            Kunstwerkes wird vor allem darüber          grundsätzlichen Missstand gilt es zu be-
                                            definiert, wie bekannt und begehrt der      seitigen. Wer an das Wohl aller denkt,
                                            Künstler oder die Künstlerin ist. Und Be-   sollte finanziell bessergestellt sein als
                                            kanntheit erlangt man durch Einzelaus-      jemand, der nur an sein eigenes Wohl
                                            stellungen in Museen und Galerien, me-      denkt. Schade, dass wir im Jahr 2023 im-
                                            diale Aufmerksamkeit und Erwähnung          mer noch darüber diskutieren müssen.
                                            in der Fachliteratur. Und dort dominie-
                                            ren in entscheidenden Positionen meist
                                            immer noch Männer. Und Männer be-
                                            vorzugen und fördern halt gerne Ihres-
                                            gleichen. Der Teufel scheißt immer auf
                                            den größten Haufen. Ein Teufelskreis,
                                            aus dem wir nur ausbrechen können,
                                            wenn es mutige Frauen gibt, die ihre

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