März 2023 ist Equal Pay Day
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INHALT 3 Editorial Birte Siemonsen, Präsidentin BPW Germany e.V. 4 Grußwort Lisa Paus Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 5 Augenblick mal! KUNST SICHTBAR UNSICHTBAR Natascha Heinisch 6 Ein Raum für Frauen und ihre Kunst Lilly Schön 8 Blick hinter die Kulissen Lisa Jopt, Antje Thoms, Johanna Bantzer 10 Kultur muss alle Menschen repräsentieren Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien 11 Nicht anders als andere Dagmar Schmidt, Vizepräsidentin Deutscher Kulturrat 12 Statements aus dem Rampenlicht 14 Männermonotonie Christoph May 16 Der Fluch der Unsichtbarkeit Sophie Rohé 18 Aktenzeichen XY ungelöst – wo sind die Frauen im Film? Esther Gronenborn 19 Es kluftet und bremst Ines Doleschal 20 Eine Quote für die künstlerische Freiheit Heike Scharpff 21 Gesellschaftliche Relevanz Christoph Sieber 22 Mitmachen, selbermachen, andersmachen! Aktionstipps für den 7. März 2023 IMPRESSUM V.i.S.d.P.: Birte Siemonsen, Präsidentin Business and Professional Women Germany e.V. Geschäftsstelle BPW Germany e.V. · Schloßstraße 25 · 12163 Berlin · Redaktion: Uta Zech, Natascha Heinisch, Marlene Resch, Lilly Schön. Fotos: Pixabay, Bundesregierung/Steffen Kugler, Simon Hegenberg, fsk photography, Claudia Balsters, Kristian Schuller, Deutscher Kultur- rat, Stephan Pramme, Giovanni Lo Corto, Martin Herz, Kevin Lauderlein, Oliver Look, Linda Rosa Saal, Bundesstiftung Gleichstellung, Inga Sommer, Detox Masculinity Institute, B. Huckestein. Februar 2023 2 Das Journal zum Equal Pay Day 2023
EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser! Mutter zu werden ist für Künstlerinnen oft das Ende ihrer Karriere. Da sie wie die meisten Frauen einen Großteil der Erinnern Sie sich noch an den letzten Film, den Sie gesehen familiären Fürsorgeverantwortung übernehmen, können be- haben? Welchen Part haben Frauen darin übernommen? An rufliche Netzwerkkontakte zu Chancengebenden aus zeitlicher den letzten Besuch im Kunstmuseum Ihrer Stadt? Wie hoch Überlastung nicht gepflegt werden. Und dass Kunstwerke, war der Anteil von Künstlerinnen, die zu sehen waren? allein weil eine Frau sie gestaltet hat, auf dem Markt weniger Rollenstereotype, Unterrepräsentanz in leitenden Positio- wert sind, ist absurd. Das kommentiert Ines Doleschal von Fair nen, mangelnde Sichtbarkeit von Frauen und die Unvereinbar- Share. Und Christoph Sieber bringt es in seinem Beitrag auf keit von Care-Arbeit und Erwerbsarbeit – das sind die struk- den Punkt. turellen Ursachen, die für den eklatanten Gender Pay Gap von Kunst ist ein wesentliches Moment demokratischer Gesell- 30 Prozent in Kunst und Kultur verantwortlich sind. Es sind schaften, sagt Kulturstaatsministerin Claudia Roth in ihrem dieselben Strukturen, die in Deutschland gesamtgesellschaft- Artikel und macht sich dafür stark, dass Frauen hier genauso lich zu einer Lohnlücke von 18 Prozent führen. Das verdeut- vertreten sind und bezahlt werden wie Männer. Lisa Paus setzt licht das Motto der Equal Pay Day Kampagne 2023: Die Kunst sich in ihrem Grußwort für Maßnahmen ein, die den Gender der gleichen Bezahlung. Pay Gap endlich schließen. Gelingen kann es nur gemeinsam! Stereotype Annahmen in Film, Fernsehen und Theater ver- Politik, Unternehmen und Gesellschaft, Kunst und Kultur, orten Frauen häufiger im Kontext von Beziehungen und ver- Männer und Frauen. festigen so tradierte Rollenvorstellungen. Im Fernsehen zum Ich bedanke mich bei allen Mitstreiterinnen und Mitstrei- Beispiel sind Frauen nur halb so oft zu sehen wie Männer und tern, die zum Equal Pay Day die rote EPD Flagge hissen und kommen seltener als Expertinnen vor. Wie es dazu kommt, Aktionen starten. Machen wir Kunst von Frauen sichtbar. macht der Beitrag von Ester Gronenborn vom Vorstand Pro Reden wir über equal pay mit Partner:innen, Kolleg:innen, Quote Film deutlich. Was wir gewinnen, wenn wir statt männ- Freund:innen, Arbeitgeber:innen, Söhnen und Töchtern. Nur licher Monokultur weibliche, queere und diverse Perspektiven so können wir bis zum Ende des Jahrzehnts Gleichberechti- in Musik, Serien, Filmen und Büchern konsumieren, darüber gung verwirklichen. berichtet Christoph May, der sich mit kritischer Männerfor- schung auseinandersetzt. Eine horizonterweiternde Playlist Eine inspirierende Lektüre wünscht Ihnen liefert er gratis dazu. In der Kunst ist es wie beim Fußball: Die Einschaltquoten bestimmen, wer Sendezeit bekommt, gesehen und bezahlt wird. Sprich: Wer sichtbar ist, verdient. Sophie Rohé zeigt, wie das im Buchmarkt läuft und was jeder und jede beim täglichen Konsum zur gerechten Entlohnung beitragen kann. Führungspositionen werden auch im Kulturbereich selte- Birte Siemonsen ner von Frauen besetzt. Im Leitungs- oder Verwaltungsbereich, Präsidentin BPW Germany e.V. die statt einer künstlerischen eine juristische, betriebswirt- schaftliche oder Verwaltungslaufbahn voraussetzen, fehlen die Frauen. Nur 22 Prozent aller Theater werden zum Beispiel von Intendantinnen geleitet – wie das die künstlerische Frei- heit einschränkt, argumentiert Heike Scharpff vom Vorstand Pro Quote Bühne. www.equalpayday.de 3
GRUSSWORT LISA PAUS BUNDESMINISTERIN FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND Sehr geehrte Damen und Herren, kennen Sie Gabriele Münter, Berthe Morisot, Dora Maar oder Lucia Moholy? Und wissen Sie, was diese Frauen gemeinsam haben? Es sind Künstlerinnen, die zu ihren Lebzeiten und über ihren Tod hinaus als Lebensgefährtin, Muse, Schülerin oder Assistentin im Schatten von großen Künstlern standen: Die eigene Szene und fortan die Gesellschaft hatten ihnen schlichtweg das Talent und die Schaffenskraft für ein eigenes Künstlerinnenleben abgesprochen. Allmählich ist ein Umdenken in Gang gekommen! Trotzdem haben kunst- und kulturschaffen- de Frauen auch heute noch immer nicht die gleichen Chancen wie ihre männlichen Kollegen. Sie sind nach wie vor unterrepräsentiert in Galerien, Film und Fernsehen und auf der Bühne. Noch dazu klafft zwischen den Verdiensten von Frauen und Männern im Kunst- und Kulturbereich eine Lücke von unfassbaren 30 Prozent. Verantwortlich dafür sind unter anderem tradierte Rollenbilder, Geschlechterstereotypen, intransparente Gehalts- und Gagenverhandlungen sowie schwierige Be- dingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das sind exakt dieselben Strukturen, die in unserer Gesellschaft zu einer durchschnittlichen Lohnlücke zwischen Frauen und Männern von 18 Prozent führen. Dabei wurden in den letzten Jahr- zehnten bereits zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Gleichstellung von Frauen im Arbeitsle- ben und die Entgeltgleichheit zu fördern. Hier setzen wir an und machen weiter: Wir führen einen Gleichstellungscheck ein, der künftige Gesetze und Maßnahmen daraufhin prüft, ob sie sich positiv auf die Gleichstellung auswirken. Zu- dem wollen wir Eltern dabei unterstützen, Beruf und Familie noch besser zu vereinbaren – indem wir zum Beispiel das Betreuungsangebot in Kita und Schule weiter ausbauen. Das Führungspositionengesetz-II, das neben einer Quote für Aufsichtsräte in großen Unterneh- men auch eine Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen vorschreibt, werden wir auf weiteren Handlungsbedarf überprüfen. Wenn mehr Frauen in Führungsgremien mitbestimmen, kann sich die ganze Unternehmenskultur modernisieren. Gleiches gilt für das Entgelttransparenzgesetz, das hilft, ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern bei gleichwertiger Arbeit aufzudecken. Hier wissen wir schon, dass wir uns mit dem Sta- tus Quo nicht zufriedengeben können. Das Gesetz werden wir auf Basis der dann zweiten Evalua- tion und der europäischen Lohntransparenzrichtlinie weiterentwickeln. Wir haben viel vor, um die ökonomische Gleichstellung von Frauen und Männern voranzutrei- ben. Die Equal Pay Day Kampagne ist dabei ein wichtiger Baustein. Mein besonderer Dank gilt deshalb den Business and Professional Women als Initiatorinnen und Organisatorinnen und den vielen Mitstreiter:innen, die den Equal Pay Day jedes Jahr mit ihren originellen Aktionen und ihrem langen Atem zu einem der wichtigsten Aktionstage im gleichstel- lungspolitischen Kalender machen. Vielen Dank für Ihr Engagement – und viel Erfolg! Mit freundlichen Grüßen Lisa Paus MdB Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 4 Das Journal zum Equal Pay Day 2023
Augenblick mal! KUNST SICHTBAR UNSICHTBAR VAN GOGH Vincent, Albrecht, Keith… Hier hängen nirgends Bilder von Otterfrauen. Die großen Otterfrauen öhmmmm… in der Kunst Doch, doch. Wen denn Die Mexikanerin kennen viele ja nicht mal. Da gibt es auf jeden Fall zum Beispiel? mit der Monobraue! welche! www.equalpayday.de 5
Ein Raum für Frauen und ihre Kunst weiterhin die Verantwortung für Sorgearbeit zugeschrieben wird, wird ihnen als Mutter nicht mehr zugetraut, erfolgreich Kunst zu S chon vor beinahe hundert Jahren wusste Virginia Woolf „Eine Frau braucht Geld und ein machen. Dazu kommt: Die Auf- führung am Abend, die Reise zu Drehort oder nächstem Engage- ment ist in den existierenden Kin- Zimmer für sich allein, wenn sie Doch was steht dem heute noch derbetreuungsangeboten nicht Bücher schreiben möchte“ – diese im Weg? Ein Blick in den Kultur- vorgesehen. So wird Vereinbarkeit bereich zeigt wie durch ein Ver- von Beruf und Familie eine beson- größerungsglas die Probleme, die dere Herausforderung. auch gesamtgesellschaftlich zu All das trägt dazu bei, dass Frauen einem Gender Pay Gap von 18 Pro- weniger sichtbar sind. Wer nicht zent führen2. Rechnet man diesen gesehen wird, wird natürlich auch Wert in Tage um, arbeiten Frauen nicht gekauft, gebucht oder von vom 1. Januar an 66 Tage umsonst. der Kritik besprochen – und ver- Der nächste Equal Pay Day findet dient so am Ende weniger. deshalb am 7. März 2023 statt. Diejenigen in Führungsposi- Stereotype Zuordnungen wei- tionen, die daran etwas ändern sen Frauen bestimmte Rollen zu: könnten – und sich an vielen Frauen sind im Fernsehen selte- Stellen auch schon für Lösungen ner als Expertinnen zu sehen und engagieren –, sind weiterhin oft häufiger als die junge Frau auf der Männer. Nur 22 Prozent aller The- Suche nach Liebe oder die aufop- ater werden beispielsweise von ferungsvolle Mutter3. Das Genie, Intendantinnen geleitet5. das sich selbst verwirklichend Kunst schafft, gilt immer noch als Dass Frauen genauso wie Männer Feststellung gilt auch heute noch männlich. So verwundert es nicht, Kunst und Kultur schaffen und und über die Literatur hinaus. In dass wir zum Beispiel überdurch- gestalten können, geht uns alle Kunst und Kultur gibt es immer schnittlich häufig Solisten im Or- etwas an. Denn sie sind es, die noch einen eklatanten Gender chester zu hören bekommen4. die Musik, die Filme, die Bilder Pay Gap von 30 Prozent zwischen Sich um eine Familie zu küm- Männern und Frauen1. Und über mern, passt nicht zu diesem Bild den konkreten Raum hinaus, den des Genies, das sich allein für auch Frauen brauchen, um sich seine Kunst aufopfert. Da Frauen ungestört von Krach und Ablen- kungen des Haushalts und der Care-Aufgaben ganz und gar auf 1 Destatis, 2022. ihre Kunst einzulassen, brauchen 2 Destatis, 2022. sie auch ein „Zimmer“ in den Füh- 3 E. Prommer: Audiovisuelle Diversität? Geschlechterdarstellung in Film und Fernsehen in Deutschland, 2017. rungsetagen der Kunstwelt, um 4 Deutsches Musikinformationszentrum: Geschlechterverteilung in gleichberechtigt Kultur prägen deutschen Berufsorchestern, 2021. zu können. 5 Deutscher Kulturrat: Frauen in Kultur und Medien, 2016. 6 Das Journal zum Equal Pay Day 2023
schaffen, die wir alle konsumie- ren. Sie prägen damit unser Bild davon, was Frauen können. Sie er- zählen die Geschichten, die uns motivieren können, den Stand- punkt von ganz unterschiedli- chen Menschen einzunehmen. Wie wichtig ist es darum, dass Frauen gleichermaßen die Chan- ce bekommen, ihre Sichtweisen dem Publikum zu präsentieren. Das Beispiel Virginia Woolf zeigt: Kunst kann uns den Spiegel vor- halten, kann eine Vision einer Zu- kunft entwerfen, in der „die Kunst der gleichen Bezahlung“ Realität wird. Setzen Sie sich mit uns ge- meinsam für die gleiche Bezah- lung von Männern und Frauen in Kunst und Kultur und in der ge- samten Gesellschaft ein, indem Sie zum Equal Pay Day Aktionen organisieren und auf Social Me- dia oder mit ihren Kolleg:innen, Freund:innen und Verwandten darüber reden. Konsumieren L I L LY S C H Ö N Sie die Kunst von Frauen, lassen Lilly Schön ist Volkswirtin und Pro- Sie sich von ihnen inspirieren. jektkoordinatorin der Equal Pay Machen Sie mit uns gemeinsam Day Kampagne. Vorher hat sie als equal pay zu einer Erfolgsge- Wissenschaftliche Mitarbeiterin schichte! die Geschäftsstelle des Ökonomin- nen-Netzwerks efas koordiniert. In ihrer Freizeit liest sie leidenschaft- lich gerne feministische Literatur. www.equalpayday.de 7
Blick hinter die Kulissen Wie nehmen Sie Rollenstereotype für Künstler:innen am Theater heute wahr? Ich hätte mir weniger Steine in den Weg geht auch in vielen Punkten voran: Es gewünscht. Es ist sehr ungewöhnlich, gibt heute neue Herangehensweisen, um als erste Frau Präsidentin der Genossen- Stoffe aufzubrechen, Figuren aufzubre- schaft Deutscher Bühnen-Angehöriger, chen, Besetzungen aufzubrechen. Die LISA JOPT, 1982 in Siegen die auch noch Schauspielerin ist. Ein Debatte ist an vielen Theatern schon weit geboren, wurde 2006-2010 paar Wochen nach meiner Wahl habe fortgeschritten, stereotype Darstellungen in Leipzig zur Schauspielerin ich erfahren, dass ich schwanger bin. Als werden immer seltener. Viel Spielraum ausgebildet. Von 2014 bis 2017 mein Baby drei Monate alt war, hatten nach oben gibt es trotzdem noch beim für war sie am Oldenburgischen wir unseren großen Genossenschaftstag, mich drängendsten Thema am Theater: Staatstheater engagiert, wo sie wo die Gewerkschaft politisch aufs Gleis Mehr Diversität auf der Bühne! Mehr das ensemble-netzwerk für die gesetzt wurde. Ich hatte mein Baby dabei Menschen mit Behinderung, People of Verbesserung der Arbeitsbedin- und habe gestillt und dann böse E-Mails Colour, Trans*-Menschen! Das ist für gungen an öffentlich geförderten bekommen, ich solle nicht drehen gehen mich eines der größten Change Themen! Theatern mitbegründete. Seit Mai 2021 ist sie geschäftsführende und mich lieber um mein Kind kümmern; * Die Schreibweise Trans* (Trans-Sternchen) ist der Ver- Präsidentin der Bühnengewerk- ich würde es nur stillen, damit man mich such, einen nicht wertenden und nicht kategorisierenden schaft Genossenschaft Deutscher politisch nicht angreifen könne. Oberbegriff für das gesamte Trans*-Spektrum zu finden. Bühnenangehöriger (GDBA). Am Theater spiel(t)en Rollenklischees auch eine Rolle, denn die historische Literatur, die an Theatern gespielt wird, wurde von Männern geschrieben: aus Männerperspektiven, weißen Perspekti- ven, eurozentristischen Perspektiven, mit stereotypen Rollen. Diesen literarischen Kanon auf die Bühne zu bringen, bringt Dramaturg:innen und Theatermacher:in- nen ganz schön ins Schwitzen: Es ist ein Spagat, einen Stoff in die Moderne zu übertragen, der in ganz anderen Kontex- ten entworfen wurde. Aber das Theater 8 Das Journal zum Equal Pay Day 2023
Wie sind Ihre Erfahrungen als Frau in einer Führungsposition im Kulturbereich? Wie sind Sie dorthin gelangt? Ich würde sagen: Mit Geduld, Beharrlich- schied macht, ist mir erst so richtig klar keit, Selbstbewusstsein, durch Weiter- geworden, als ich am Mentoring-Pro- bildung, gute Berater:innen und den gramm Frauen in Kultur & Medien des A NTJE THOM S studierte Glauben an die eigenen Fähigkeiten. Eine Deutschen Kulturrat teilgenommen habe. Angewandte Theaterwissen- Führungsposition war für mich lange Da habe ich gemerkt, wie toll es ist, mal schaften in Gießen und ist seit Zeit kein avisiertes Fernziel, sondern hat nicht in der Minderheit zu sein, wie viel 2003 freiberuflich als Regisseurin sich durch verschiedene berufliche und fröhlicher, offener und freier es sich für an Stadt- und Staatstheatern im ehrenamtliche Etappen zum jetzigen mich dort angefühlt hat. Das Gegenbei- deutschsprachigen Raum tätig. Zeitpunkt als folgerichtig ergeben: Denn spiel hat mir vor Augen geführt, wie viel Ab 2014 war sie Hausregisseurin am Deutschen Theater Göttin- wenn wir uns selbst (mehr) weibliche mehr Männer in solchen Runden reden, gen und leitet seit der Spielzeit Führungskräfte wünschen, müssen wir wie selbstverständlich sie sich dort selbst 22/23 die Schauspielsparte am auch bereit sein, Verantwortung zu über- promoten, während wir Frauen eher be- Theater Regensburg. Thoms ist nehmen oder es zumindest mal eine Zeit reit sind, zuzuhören und auch mal unsere Mitbegründerin des Netzwerk lang ausprobieren! Hindernisse habe ich Meinung zu überdenken. Frauennetzwer- Regie e. V. Im Dezember 2020 er- persönlich keine wahrgenommen, außer ke sind auch deshalb so wichtig! hielt sie für ihr kulturpolitisches vielleicht die „typisch weiblichen“ (?) Engagement den erstmals verlie- Selbstzweifel. Aber natürlich fällt mir henen Bühnenheld:innen-Preis auf, wenn z.B. bei wichtigen Tagungen des Aktionsbündnis Darstellende und Diskussionsrunden, in Findungs- Künste. kommissionen und/oder Aufsichts- und Verwaltungsräten die Männer noch immer deutlich in der Überzahl sind. Was das für einen frappierenden Unter- Wie erfahren Sie die Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Beruf und Familie als Künstlerin? Ich bin in eine Künstlerfamilie hinein Horizont erweitern, dafür verlange ich geboren, ich kenne den Rhythmus, den nun aber Anerkennung. Die Mutter- die Beschäftigung am Theater erfordert. schaft erhöht meine Kompetenzen, das J O H A NNA BA NTZ E R Als Künstlerin gehöre ich zum „fahren- muss sich in angemessener Bezahlung studierte Schauspiel an der den Volk“. Die Geburt meiner Kinder hat niederschlagen, nicht als Lücke gewertet Zürcher Hochschule der Künste. mich bereichert, die Art wie ich inhalt- werden. Kindererziehung muss von der Seitdem arbeitet sie an zahlrei- lich arbeite ist seitdem vielschichtiger Gesellschaft ebenso gestützt werden wie chen Theatern und in Film- und und reifer geworden. Den Alltag mit die Wirtschaft. Darüber muss man nicht Fernsehproduktionen. Derzeit ist diesen außergewöhnlichen Arbeits- diskutieren, es ist offensichtlich. sie Ensemblemitglied am Schau- zeiten zu meistern, bedeutete jahrelang spiel Hannover. Sie ist 44 Jahre einen enormen Aufwand. Ich habe mich alt und Mutter von zwei Kindern maximal verausgabt, ohne Lohnaus- im Alter von 12 und 14 Jahren. Sie gleich. Der Vater meiner Kinder hat engagiert sich im Vorstand der immer mehr verdient als ich. Ich halte Bühnenmütter e. V., ein Verein, der sich für die Vereinbarkeit von das für absolut indiskutabel. Dennoch Beruf und Familie für Bühnen- habe ich profitiert. Inzwischen bin ich künstlerinnen einsetzt. ein Organisationstalent, konnte meinen www.equalpayday.de 9
Kultur muss alle Menschen repräsentieren W er weltweit um sich schaut, sieht: Überall, wo die De- mokratie unter Druck gerät, gerät zuerst die Freiheit der Medien, der Kunst und C L AU D I A ROTH S TAATS M I N I S TE R I N F Ü R Kultur, der Künstlerinnen und Künst- KU LTU R U N D M E D I E N ler, Kulturschaffenden sowie Journalis- Claudia Roth, geboren 1955 in Ulm, tinnen und Journalisten unter Druck. weniger vielfältig aus als sie könnten. studierte Theaterwissenschaften in Eine treffende Abbildung unserer ge- München, arbeitete als Drama- Eine lebendige Demokratie braucht sellschaftlichen Realität und unserer turgin in Dortmund und Unna, ehe eine lebendige Kunst- und Kulturland- Demokratie muss aber alle Menschen sie Managerin der Band „Ton Steine schaft. Sie braucht die Debatte, den einschließen. Demokratie bedeutet Scherben“ wurde. Sie wechsel- Dialog und die Vielstimmigkeit. In der Vielfalt. te 1985 in die Politik, war u.a. Kulturpolitik muss es deshalb darum Wir erleben eine Zeit der Krisen, wie Mitglied des Europaparlaments, gehen, die deutsche Kulturlandschaft wir sie zuvor noch nicht gekannt haben. Bundesvorsitzende von Bündnis in ihrer ganzen Vielfalt zu stärken. Gerade Kunst und Kultur können Kräfte 90/ Die Grünen und seit 1998 – mit Kultur muss alle Menschen repräsen- entfalten, die jene der Politik bisweilen Unterbrechung – Abgeordnete des tieren und die Wirklichkeit unserer übersteigen. Diese Kräfte brauchen wir Deutschen Bundestags, dessen Gesellschaft abbilden – nur so finden mehr denn je, und dafür brauchen wir Vizepräsidentin sie von 2013-2019 wir auch die Wirklichkeit in unseren alle. Deshalb müssen wir dafür sorgen, war. Seit Dezember 2021 ist sie kulturellen Erzählungen, nur so kann dass in der Arbeitswelt auf die Bedürf- Staatsministerin für Kultur und die Kultur Machtstrukturen aufzeigen nisse von Frauen Rücksicht genommen Medien. und gesellschaftliche Veränderungen wird, dass die Entscheidungsebenen anstoßen. in Kultureinrichtungen paritätisch be- Wenn weiterhin überwiegend Män- setzt werden, dass Frauen sichtbarer ner Kultur sichtbar schaffen, auswäh- werden, dass Förderungen gleichbe- len und fördern, orientiert sich die rechtigt vergeben werden. Kultur an ihren eigenen – männlichen Der Gender Pay Gap ist keine bloße – Bedürfnissen und Erfahrungswelten, Lücke, er ist ein Abgrund, der nicht nur und kulturelle Inhalte und Formen das kulturelle Potenzial und die kultu- des künstlerischen Ausdrucks fallen relle Vielfalt beschränkt, sondern auch unseren demokratischen Grundsätzen widerspricht. Demokratische Kultur- politik muss die gesellschaftliche Rea- lität abbilden. 10 Das Journal zum Equal Pay Day 2023
Nicht anders als andere (Wort, Bildende Kunst, Musik, Darstel- E lende Kunst) betrachtet, zeigt sich ein ähnliches Bild, d.h. mit steigendem Jah- igentlich will der Kulturbereich stets reseinkommen steigt der Gender Pay Gap. anders als andere gesellschaftliche Wesentlich für alle Selbstständigen Bereiche sein. Moderner, diskursiver, di- in allen künstlerischen Arbeitsfeldern ist DAGMAR S C H M I DT verser, offener, avantgardistischer – kurz: die Sichtbarkeit der Werke. Wenn Kunst Seit dem Abschluss als Diplom- einfach anders. Mit Blick auf Einkommens- von Künstlerinnen nicht gezeigt, nicht Künstlerin und einem unterschiede zwischen Frauen und Män- aufgeführt, nicht ausgestellt, nicht be- Graduierten-Studium an nern kann der Kulturbereich allerdings sprochen wird, fehlt die Wahrnehmung, der Burg Giebichen- keinerlei Avantgardefunktion für sich in entsteht der Gender Show Gap, bleibt das stein Kunsthochschule Anspruch nehmen. Einkommen aus. Ein wesentliches Instru- Halle (Saale) ist Dagmar Sicher, bei den abhängig Beschäftig- ment den Gender Pay Gap zu bezwingen, Schmidt freischaffende ten gibt es durchaus Berufe, bei denen ist es daher, den Gender Show Gap anzu- Künstlerin und Kurato- von einem nennenswerten Gender Pay gehen. Darum zeigt Kunst von Frauen! rin und vor allem mit Kunst im Gap nicht gesprochen werden kann. Das Weiter muss die Teilhabe von Künst- öffentlichen Raum und Kunst im gilt beispielsweise für die Angestellten im lerinnen an der öffentlichen Künstlerin- Stadtumbau befasst. Sie ist Vize- Buchhandel, für Bibliotheken, aber auch nen- und Künstlerförderung verbessert präsidentin des Deutschen Kultur- für abhängig Beschäftigte in der Kamera- werden. Der Deutsche Kulturrat setzt sich rates und seit 2014 Vorsitzende und Tontechnik. Aber in anderen Kultur- daher dafür ein, dass des BBK Niedersachsen, wo sie berufen wie z.B. der Theater-, Film- oder Jurys und Auswahlgremien, die durch sich für eine transparente, flexible Fernsehproduktion liegt der Gender Pay öffentliche Mittel finanziert werden, ge- Verbandsstruktur mit Dienstleis- Gap bei 25 Prozent und damit auf der all- schlechtergerecht besetzt werden; Ziel ist tungscharakter für die Mitglieder gemein üblichen Höhe. Dieser Befund ist es, Parität herzustellen, eingesetzt. Sie leitet insbesondere erstaunlich in einem Arbeitsbereich, der Maßnahmen der individuellen Künst- das Pilotprojekt Künstlerdaten- für sich oft in Anspruch nimmt, besonders lerinnen- und Künstlerförderung mit Blick bank/Nachlässe Niedersachsen. innovativ und avantgardistisch zu sein. auf die Vereinbarkeit von Familie und Be- Seit 2017 ist sie zudem Vorsitzende Noch gravierender sind die Unter- ruf sowie hinsichtlich von Altersgrenzen des BBK Bundesverbands. schiede bei den selbstständigen Künstle- flexibilisiert werden, rinnen und Künstlern, die in der Künstler- Auswahlverfahren, sofern möglich, ano- sozialversicherung (KSK) versichert sind. nymisiert erfolgen, Beispiele hierfür sind Hier muss als erstes festgehalten werden, das musikalische Vorspiel hinter dem Vor- dass je höher das Einkommen in einem hang oder die anonymisierte Bewerbung, Bundesland ist, desto größer ist der Gen- Förderprogramme für den künstle- der Pay Gap, je geringer der Verdienst, rischen Wiedereinstieg nach einer Fa- desto kleiner der Gender Pay Gap. Oder milienphase entwickelt werden, diese um es an zwei Beispielen zu verdeutlichen: Programme sollen sich an Frauen und In Hamburg erzielen die KSK-Versicherten Männer richten. die höchsten Einkommen, der Gender Pay Gap liegt bei mehr als 30 Prozent, in Thü- ringen erreichen die KSK-Versicherten im Durchschnitt die geringsten Einkommen, der Gender Pay Gap beträgt rund 10 Pro- zent. Werden die einzelnen Berufsgruppen www.equalpayday.de 11
Statements aus dem Rampenlicht Aus dem Teufelskreis Gender Pay Gap können wir nur ausbrechen, wenn es mutige Frauen gibt, die ihre Rechte einfordern, und Män- ner, die bereit sind, Privilegien abzugeben. Es braucht einen ge- sellschaftlichen Konsens, um ihn Ungerechtigkeit muss sichtbar loszuwerden. Und zwar jetzt! gemacht werden, sonst ändert CHRISTOPH SIEBER sich nichts. Deshalb lasst uns Kabarettist über das Thema „Gender Pay Gap“ sprechen, schreiben, erzählen und zeichnen. Meinetwegen auch singen. Hauptsache es kommt auf den Tisch. FRANZISKA WILHELM Autorin und Moderatorin Bei Gagenverhandlungen gilt für mich: ich bin so teuer, wie ich sein möchte. Und auf keinen Fall billiger als Männer. PETRA ZIESER Schauspielerin Kunst und Kultur zeigen, wie Gleichberechtigung muss auf al- Männer und Frauen auf die Welt len Ebenen stattfinden und inter- blicken. Umso wichtiger ist, dass sektional gedacht werden. Das ist Frauen und Männer auch gerecht ebenso komplex wie wichtig. Beim und fair für ihre Kunst bezahlt Gender Pay Gap jedoch liegen werden – und erst recht den Raum die Dinge einfach: Gleiche Arbeit bekommen, gesehen und gehört muss auch gleich bezahlt werden. zu werden. Deswegen müssen wir Punkt. den Gender Pay Gap überwinden. SEBASTIAN 23 LISA PAUS Ich bin erschüttert, dass es in Tei- Bundesministerin für Familie, Slampoet, Buchautor und Comedian len der Kulturbranche einen sol- Senioren, Frauen und Jugend chen Gap gibt. Bei den Indie-Buch- verlagen ist es undenkbar, nicht die gleichen Honorare zu zahlen. Und genau so muss es sein! VOLKER SURMANN Verleger Satyr Verlag 12 Das Journal zum Equal Pay Day 2023
In der Kunstbranche, die perma- nent gesellschaftliche Ungleich- heiten ins Rampenlicht stellt, existiert eine geschlechtsspezifi- Kunst machen ist kein Hobby – sche Bezahlung. Finde den Fehler nicht mal für eine Mutter mit – und lass ihn uns mit Solidarität Behinderung aus dem Osten mit für die Schlechterverdienenden jüdischem Familienhintergrund und Unterrepräsentierten sofort wie mich – es ist verdammt harte beheben!. Arbeit! Und die muss anständig VOLKMAR LEIF GILBERT bezahlt werden! (Wir retten die Schauspieler Welt. Jeden Tag aufs Neue.) LEA STREISAND Schriftstellerin Der Gender Pay Gap ist keine bloße Lücke, er ist ein Abgrund. Er beschränkt nicht nur das kulturelle Potenzial und die Viel- falt, sondern widerspricht auch unseren demokratischen Grund- sätzen. Eine lebendige Demokratie braucht alle: Künstlerinnen und Künstler, alle Kreative. CLAUDIA ROTH Es wird in unseren Diskussionen Staatsministerin für Kultur und Medien grundsätzlich darum gehen, dass im Ziel wohl die Chance für alle Geschlechter gleich groß sein muss, den künstlerischen Beruf Der Gender Pay Gap ist ein hartnä- hauptberuflich ausüben zu kön- ckiges Überbleibsel einer Gesell- nen, aber im Nahziel der Fokus schaft aus der Vergangenheit. In der Zukunft werden wir Frauen auf die Situation der Künstlerin darüber den Kopf schütteln, dass gerichtet bleibt.“ es jemals so eine himmelschrei- EVA HÜBNER Ohne gleiche Bezahlung keine ende Ungerechtigkeit gab. Wir Leiterin Inselgalerie Berlin und Gleichstellung. 30 Prozent Gender wollen die Zukunft JETZT. Kulturmanagerin Pay Gap in Kunst und Kultur, 18 ANNIKA SOPHIE MENDRALA Prozent gesamtgesellschaftlich Sängerin, Gründerin und Vorstand Bühnenmütter e. V. – es ist Zeit, dass in Deutschland Frauen und Männer für gleiche und gleichwertige Arbeit den glei- chen Lohn erhalten! LISI MEIER UND ARN SAUER Direktorin und Direktor der Bundesstiftung Gleichstellung www.equalpayday.de 13
Männermonotonie I ch bereue jeden Tag, in männlichen Monokulturen aka Patriarchat so- zialisiert worden zu sein, und nicht in einer diversen, gleichgestellten Welt. Mae aus Kanada in die bisher hetero- sexuelle Lehrerin George aus London. Ich freue mich jeden Tag, noch vierzig, Während Gentleman Jack (Regie: Sally fünfzig Jahre weibliche, queere und Wainwright) auf den Tagebüchern der nicht-männliche Perspektiven in Mu- Ebene solltet ihr sämtliche Männerrun- englischen Gutsbesitzerin, Industriel- sik, Film, Serien, Literatur und Sport den hinter euch lassen. Sobald der Män- len, Bergsteigerin und ersten moder- erleben zu können, zu dürfen. neranteil in Kultur, Sport, Wirtschaft, nen Lesbe Anne Lister basiert. Verpasst Politik und Medien über 20 Prozent auf keinen Fall die neue Reality Show Die ersten 30 Jahre meines Lebens habe liegt, einfach nicht mehr hingehen, Watch out for the Big Grrrls von Liz- ich mich weitgehend unbewusst und aussteigen, absagen. Die gewonnene zo. Und gebt euch die großartige Doku unreflektiert in männlich dominier- Quality Time könnt ihr sogleich pri- Disclosure von Laverne Cox über 100 ten Umgebungen bewegt, männliche ma nutzen, um euren Medienkonsum Jahre trans representation on screen. Actionfilme, Superheroes und Fantasy- (repräsentative Ebene) auf weibliche, Epen geschaut, Männermusik gehört, queere und diverse Produktionen um- Zum Schluss möchte ich euch unse- Männer gelesen, männlicher Freundes- zustellen. Hier ein paar erstklassige re ongoing Detox Masculinity You- und Kollegenkreis. Zwölf Jahre später Empfehlungen vom Institut für Kriti- tube-Playlists ans Herz legen, wo wir bin ich feministischer Männlichkeits- sche Männerforschung für euch: feministische Musik, Serien, Filme forscher mit dem Schwerpunkt Film- und Video Essays für euch sammeln. und Serienanalyse. Männerbilder und Die beste Serie über Toxic Masculinity Denn wer seinen Medienkonsum erst männliche Erzählungen von House of heißt Bad Sisters (Drehbuch: Sharon einmal auf divers umgestellt hat, will the Dragon über Star Wars, Disney, Horgan). Vier Schwestern versuchen, garantiert nicht mehr zurück, sondern DC und Marvel bis zu The Rings of die fünfte von ihrem hochtoxischen mehr davon (auffindbar auf Youtube Power zeigen eindrucksvoll, wie die Ehemann zu erlösen. Bei Ginny & über den Kanal Detox Masculinity, übermächtige Fantasielosigkeit von Georgia (Idee: Sarah Lampert) stehen https://www.youtube.com/channel/ Männerfantasien in Drehbüchern und eine alleinerziehende Mom und ihre UCrAo6Cq5jVm2afg8C6oYtlA/playlists). Romanen aktuell wieder so richtig Fahrt Tochter im Mittelpunkt, denen kein aufnimmt. Mann jemals gewachsen sein Für alle, die davon genauso unterfor- wird. Echoes (Idee: Vanessa dert und abgestoßen sind wie ich, sich Gazy) zeigt, wie zwei ein- nicht repräsentiert sehen und keine eiige Schwestern einmal im Lust mehr haben auf Gewalt-, Macht- Jahr unbemerkt komplett ihre und Männermonotonie in Realität und Rollen, Männer und Jobs tau- Fiktion, gibt es zwei sehr wirksame und schen. Nicht zu vergessen das simple Optionen. Auf der strukturellen wahnwitzige Spiel zwischen der Verlegerin Sofie und ihrem Praktikanten Max in Love & Anarchy (Drehbuch/ Regie: Lisy Langseth). In Feel Good (Idee/Dreh- buch: Mae Martin) verliebt sich die gen- derfluide Comedian 14 Das Journal zum Equal Pay Day 2023
Vorbildlich Gentleman Jack: Anne Lister reist, investiert und liebt frei und unabhän- gig. Finanziell eigenständig braucht sie keinen Mann, der für sie sorgt. Anne ist furchtlos und selbstbe- stimmt – und dabei charismatisch. Ihrer Zeit in jederlei Hinsicht weit voraus, heiratet sie eine Frau. All- female Power Couple. Selbst die vierte Wand hin zu den Zuschauen- den durchbricht sie immer wieder. Anne Lister, 1791-1840; Mit drei Frauen (Sally Wainwright, Porträt von Joshua Horner Sally Harding, Jennifer Perrott) in der Regie und Intimacy Koordinatorin Ita O‘Brien kommen die erotischen Szenen ganz ohne den Voyeurismus des male gaze aus. So lieber nicht House of the Dragon (Stand: Epi- sode 7) zeigt männliche Könige in Männermonarchien, rein männliche Heere, männliche Erbfolge, extreme Anne-Marie Duff und Sharon Horgan in männermonotone Fantasielosigkeit Bad Sisters (2022) in der Handlung, billigen Pathos plus Gewalt und Intrigen - das Übliche. Protagonistin Rhaenyra kommt nicht ohne Daemon (Onkel und Ehemann C H R I S TO P H M AY gleichzeitig) weiter. Ohne den Rück- Christop May ist Männerforscher, halt eines Mannes erfolgreich zu Berater und Dozent. Er hat 2016 sein - sei es der Vater, der sie (im gemeinsam mit der Schriftstelle- Endeffekt nur aus Trotz, um seinem rin Stephanie May das Institut für Bruder eins auszuwischen) zu seiner Kritische Männerforschung (Detox Nachfolgerin erklärt hat oder der Masculinity Institute) gegründet. Gatte - ist in dem Männerepos nicht Ihr Ziel ist es, die feministische vorgesehen. Kritik an männlichen Monokultu- In Die Ringe der Macht sind die ren und Toxischer Männlichkeit Monarchiefantasien noch heftiger. zu beschleunigen. Der Literatur- Blutsverwandschaft über alles, wissenschaftler hält Vorträge und Prinzessinnen, Männerorks, Trolle, gibt Seminare über Männerbünde, Magier, Männerzwerge im Bergbau Männerbilder und Kritische Männ- (Frau kocht und erzieht), keine Elfen- lichkeit. Sein Forschungsschwer- queens, aber Elfenprinzessinnen. punkt liegt auf der Analyse von Fremdenfeindlichkeit (unser Reich, Männerbildern und männlich do- deren Reich, klare „Rassen“trennung, minierten Erzählungen in Serien meist weiße Protagonist:innen), und Filmen. Er lebt seit einem Jahr orders and demands, archaische und idealisierte Naturparadiese. im Pfälzer Wald. Das Böse immer männlich. Das ewig simple Gut gegen Böse: Schwarzweißdenken, Populismus, Infantilisierung. Die reaktionäre und kulturelle Armut dieser Produktionen wird uns noch viele Jahrhunderte erheblich prägen und schaden. www.equalpayday.de 15
Der Fluch der Unsichtbarkeit Ein Schlupfloch gegen das marktabhän- gige Einkommen scheinen Plattformen wie Amazon Kindle, Audible, Deezer D oder Spotify zu sein, die E-Books und er Buchhandel boomt. Nimmt Hörbücher oft mit einem abrufzent- man neben Printprodukten rierten Entlohnungsmodell platzieren4. auch digitale Produkte und Vertriebs- Würde es helfen, den Algorithmus der wege hinzu, kann der Deutsche Buch- Plattformen auszutricksen, indem die selbstständig sind. Uschtrin schlägt handel im Jahr 2021 einen Anstieg des Nutzer:innen bewusst weiblich gelese- eine Art selbstauferlegten Verhaltens- Gesamtumsatzes von 3,5 Prozent verbu- ne Autor:innen hören kodex vor: „Die Firmen chen. Bei den Autor:innen bleibt jedoch und lesen? „Theore- könnten sagen, wir be- Mehr Raum für nur wenig hängen – und das liegt am tisch kann ein anderes zahlen die Leute gleich Männer, die über komplexen und variablen Entlohnungs- Nutzer:innenverhalten und wir legen das auch Männer schreiben. modell der Branche, das gerade weiblich etwas bewegen. Aber offen. Nur machen sie Die von Männern ver- gelesene Autorinnen vor große Heraus- vermutlich müsste sich es nicht, weil sie höhere fassten Besprechun- forderungen stellt2. So kam der Suhr- auch am System etwas Entlohnungsmodelle mit gen sind deutlich kamp Verlag bei seinen Publikationen ändern. Da müsste es Blick auf ihre Gewinnmar- ausführlicher als die auf einen Frauen-Anteil von nur 36 Pro- eine richtige Revoluti- ge nicht wollen.“ Bei der von Frauen. Zudem zent und war damit noch klarer Spitzen- on geben“, wirft Sandra derzeitigen Schieflage im räumen Kritiker auch reiter der deutschen Verlagsbranche3. Uschtrin vom Online- Auftragsvolumen würde den Werken von Au- Ein System, das den Aufstieg für mar- buchhandel Autoren- aber auch die angegliche- toren einen größeren ginalisierte Gruppen äußerst schwer welt ein . 5 ne Entlohnung nur einen Raum ein7. macht. „Wer nicht sichtbar ist, findet Aber was sind die Stell- Teil des systematischen nicht statt und wer nicht verlegt wird, schrauben im System? Problems lösen. Es bleibt bleibt unsichtbar“, beschreibt Marianne Die Antwort ist so einfach wie kom- der Fluch der Unsichtbarkeit. Eppelt von den BücherFrauen, einem pliziert: Es sind die gleichen Lösungen Hier können Konsument:innen wirk- Netzwerk von Frauen in der Buchbran- wie für den restlichen Arbeitsmarkt – sam eingreifen, indem sie gezielt Bü- che, den Teufelskreis Transparenz. Das Entgelt- cher weiblich gelesener Autor:innen der Unsichtbarkeit. transparenzgesetz gilt für kaufen, zu deren Lesungen gehen und Doch wie kann es ge- Auf zwei Männer Autor:innen nicht, da sie als Bezugsquelle Verlage und Shops lingen, diese struktu- kommt eine Frau. wählen, die gleichwertige, transparen- rellen Hindernisse aus In allen Medien, te Bezahlung fördern – so wie den Shop dem Weg zu räumen mit Ausnahme von Autorenwelt oder die Hörbuchplattform und Künstlerinnen die Frauenzeitschriften, BookBeat6. „Wir zahlen Lizenzerlöse an gleiche Sichtbarkeit zu werden männliche geben wie Künstlern? Autoren häufiger und ausführlicher besprochen7. 1 Deutsches Börsenblatt, 2022. (https://www.boersenblatt.net/home/die-offiziellen-zahlen-fuer-den-buchmarkt-2021-sind-da-245433#:~:text=Der%20Gesamtumsatz%20 der%20Branche%20bewegte,und%20wichtigste%20Vertriebsweg%20f%C3%BCr%20B%C3%BCcher.) 2 Hierzu gehören all jene Autor:innen, die die Konsument:innen nach Namen als „weiblich“ einordnen, auch Publikationen mit Pseudonym. 3 Universität Rostock, Zur Sichtbarkeit von Frauen in Medien und im Literaturbetrieb, 2018. 4 Leider haben sich Spotify und Amazon Kindle als größte Plattformen für Musik und Buch auf unsere Interviewanfrage nicht zurückgemeldet bzw. eine Interviewzusage zurückgezogen. 5 Als erste und einzige Online-Buchhandlung beteiligt die Autorenwelt Schreibende am Umsatz und zahlt Autor:innen das doppelte an Tantiemen. 6 Die Plattform transportiert den Festpreisgedanken aus dem physischen Buchhandel in die Welt der Hörbücher: „Bei uns wird ähnlich wie bei Verträgen zwischen Verlagen und Buchhandlungen ein Fixpreis festgesetzt und die genaue Abrechnung erfolgt dann je nach gehörten Stunden“, erklärt Kathrin Rüstig von BookBeat. 7 http://www.frauenzählen.de/studientext.html 16 Das Journal zum Equal Pay Day 2023
die Verlage nach den gehörten Hörbuch- SOPHIE ROHÉ Stunden aus – unabhängig davon, ob es ist seit 2019 Mitglied im BPW Club männliche oder weibliche Autor:innen München, wohnt inzwischen aber sind. Übrigens stammten sechs der in Neustrelitz. Zwei Bachelor- Top10 Titel 2021 von weiblichen Auto- abschlüssen an der Uni Mainz rinnen“, erklärt Geschäftsführerin Ka- (Film-Kultur-Theater und Literatur thrin Rüstig. Ein Lichtblick – es bleibt sowie Publizistik und Filmwissen- dennoch ein langer Weg bis zur Revo- schaft) folgte 2018 ein Master- lution. Den Weg in die Zukunft kann abschluss an der renommierten nur ein ganzheitlicher Birmingham City University in Ansatz weisen, der eine Filmmarketing und -verleih. Seit Männer schreiben diversere Besetzung der 2021 ist sie außerdem staatlich mehr über Männer. Verlagsbranche, neue geprüfte Grafik-Designerin. Mehr Und Frauen? Meis- Rezeptionsformate jen- als zehn Jahre lang war sie als tens auch. seits des etablierten freie Journalistin, Chefredakteurin Die Kritiken werden Feuilletons, familien- und Bloggerin in der Kulturbran- überwiegend, im freundliche Stipendien che tätig, neben verschiedenen Verhältnis vier zu und Arbeitsstrukturen Engagements in der deutschen drei, von Männern sowie profunde Daten- und internationalen Kinobranche verfasst. Männer erhebungen zum Ist- im Bereich Marketing und PR. Als besprechen darüber Stand der Branche um- Presse- und Social Media Mana- hinaus vor allem fasst. gerin des BPW Germany e.V. hilft Männer7. ihr Know-how nun, ein gesamt- gesellschaftlich relevantes Thema voranzutreiben. www.equalpayday.de 17
Aktenzeichen XY ungelöst – wo sind die Frauen im Film? D ie Filmindustrie, so sagt man, ist ein „People Business“. Wie- viel Sichtbarkeit eine Person hat, ent- scheidet über die Projekte, die sie an- Der Umbau der Branche zu einer di- versen und geschlechtergerechten Er- zähl- und Beschäftigungskultur führt geboten bekommt und damit über die In diesem Zusammenhang ist beson- nicht nur zu gerechten (Lohn-)Verhält- Entlohnung. Frauen erhalten zwar oft ders die gestaffelte Bezahlung man- nissen. Filme von Frauen erhalten im schon in den Filmhochschulen mehr cher Sender zu kritisieren. Anhand Verhältnis mehr Filmpreise, sie laufen Preise als ihre männlichen Kollegen, eines Punktesystems steigt die Entloh- erfolgreicher auf Festivals und am Box werden aber trotzdem übersehen, wenn nung mit der Anzahl der für den Sen- Office1. Das Publikum will sich selbst es um die entscheidenden Schritte zu der umgesetzten Projekte. Dieses ver- in seiner Vielfältigkeit repräsentiert einer erfolgreichen Filmkarriere geht. meintlich gerechte System klammert wissen und neue, überraschende Per- Laut der diesjährigen Erhebung des aus, dass weibliche Filmschaffende ins spektiven und Geschichten sehen. Es „European Audiovisual Observatory“ Hintertreffen gelangen, weil sie weni- gibt also viele gute Gründe, endlich zu bleiben Frauen mit 24 Prozent eine Min- ger beschäftigt werden. Sie rutschen handeln. derheit in der Filmindustrie. automatisch unter das Lohnniveau der Männer. Eine längere Version dieses Artikels fin- Der aktuelle Diversitätsbericht des den Sie auf unserem Blog (https://www. Bundesverband Regie zeigt, dass die Doch wie kann das geändert werden? equalpayday.de/blog/) Regisseurinnenquote in den letzten Neben einer Quote sind verbindliche Jahren einen Anstieg von 20 Prozent Schulungen für die Entscheidungsträ- auf 29 Prozent erfahren hat. Diese posi- ger:innen der Filmbranche, ob in Film- tive Tendenz hat sich leider meist in fördergremien, Redaktionsstuben oder den schlechter bezahlten Formaten Produktionsfirmen notwendig, damit abgespielt. Die besser budgetierten sie für ihre blinden Flecken und die 1. E. Prommer, S. Loist: Wer dreht deutsche Kinofilme? Gender Report: 2009–2013, 2015. Eventfilme, Blockbuster oder Serien- strukturellen Ausschlussmechanis- highlights werden meist immer noch men sensibilisiert werden. Große Pro- unter den männlichen Regisseuren duktionsfirmen, die Sendeanstalten ausgemacht, mit unmittelbarem Ein- und Streamingplattformen könnten fluss auf das Lohnniveau. Aber auch mit einem Klick zeigen, wie die Team- indirekt hat dies Auswirkungen: Von besetzung und Bezahlung vor und hin- einem niedrigeren Niveau startend ge- ter der Kamera bei ihren Filmen aus- lingt es Regisseurinnen seltener, sich sehen und so Transparenz herstellen. in besser bezahlte Formate hochzu- arbeiten. Auch sinkt die Regisseurin- nenquote ab einem Alter von 49 Jahren auf nur 16 Prozent, mit fatalen Aus- wirkungen auf das Lohnniveau bis hin zur Altersarmut. Diese Mechanik kann man auf fast alle anderen Filmgewerke ESTHER GRONENBORN übertragen. ist Filmregisseurin und Gründungsmitglied von Pro Quote Regie. Sie initiierte den BVR Diversitäts- bericht. Von 2014 bis 2017 war sie Mitglied des Vorstands von Pro Quote Regie, seit 2021 ist sie Mitglied des Vorstands von Pro Quote Film. 18 Das Journal zum Equal Pay Day 2023
Es kluftet und bremst … als Frauen, bestimmen sie auch heute noch, wer oder was gezeigt, gesammelt D und angekauft wird. Das hat Einfluss auf die staatlich subventionierten Ins- er Kunstbetrieb gibt sich gerne titutionen, wo Kurator:innen mit „ob- avantgardistisch, zukunftswei- jektivem“ Blick hochkarätige Ankäufe Von der Individualkünstlerin bis zur send und divers. Doch auf dem kom- tätigen und Ausstellungsprogramme wichtigsten Interessensvertretung der merziellen Kunstmarkt und in Museen zusammenstellen – in enger Koope- Bildenden Künstler:innen, dem Bun- und Ausstellungshäusern sind Künst- ration mit dem Markt. Dass es Werke desverband Bildender Künstlerinnen lerinnen und ihre Werke deutlich in der von Künstlerinnen auch bei Galeris- und Künstler (BBK), sind in den letzten Minderheit. tinnen, Kustodinnen und Museums- Jahren Forderungen- und Maßnahmen- Das Berliner Aktionsbündnis fair share! leiterinnen, die seit einigen Jahren kataloge erarbeitet worden. Lösungs- Sichtbarkeit für Künstlerinnen zählt zunehmend in Chefpositionen kom- vorschläge (Quote!) und Best Practice Kunstwerke von Frauen in Sammlun- men, schwer haben, ist Erfolgsdruck, Beispiele liegen vor. Doch außer einer gen, auf Messen und in Galerien: Selbst Prestigedenken und Kanongläubig- Sensibilisierung für das Thema hat sich im besten Fall ist das notorische Drittel keit geschuldet. Den Mut, die Karten wenig getan. Es müssen endlich beherz- nicht zu überwinden. Der Gender Show zugunsten von Künstlerinnen neu zu te strukturinvasive Taten folgen! Gap im zeitgenössischen Bereich liegt mischen, haben die wenigsten. stabil bei 30 Prozent, obwohl 60 Prozent der Absolvent:innen von Kunsthoch- Das hat Folgen für die Existenz vie- schulen weiblich sind. In der histori- ler kunstschaffender Frauen: Da ihre schen Kunst ist die Kluft sehr viel höher: Werke weniger sichtbar sind und zu Die Alte Nationalgalerie, Sammlung des wesentlich günstigeren Preisen ange- INES DOLESCHAL 19. Jahrhunderts in Berlin, stellt gera- boten werden (Gender Discount), ist studierte Kunstgeschichte, Freie de einmal 1,5 Prozent Werke von Frau- auch der Gender Pay Gap mit 30 Pro- Kunst und Englisch in Tübingen, en aus. Seit der Wiedereröffnung 2001 zent (Quelle: Destatis) weit höher als in London, Münster und Berlin. wurde noch nie eine Einzelausstellung anderen Berufszweigen. Da das durch- Seit 2001 als freischaf- einer Künstlerin gezeigt. Die Frau als schnittliche Einkommen der Künstle- fende Künstlerin tätig, Dargestellte ist dagegen stark vertreten rinnen in Deutschland laut Angaben stellt sie im In- und – vielfach nackt. der Künstlersozialkasse ohnehin weit Ausland aus und Der Kunstbetrieb – privat wie institu- unter der Armutsgrenze liegt, und – erhielt Förderungen tionell – wird seit Jahrhunderten von wie immer – sorgearbeitende und al- u.a. durch den Berliner Männern dominiert. Da Männer nicht leinerziehende Frauen besonders be- Senat. 2019 initiierte sie die nur mehr Macht, sondern auch deut- troffen sind, ist hier rasches Handeln Schau „KLASSE DAMEN! 100 Jahre lich mehr Geld zur Verfügung haben dringend geboten. Öffnung der Berliner Kunstaka- demie für Frauen“ und engagiert sich seitdem für mehr Genderge- rechtigkeit und Familienfreund- lichkeit im Kunstbetrieb. Sie ist Mitgründerin der Aktionbündnisse kunst+kind berlin und fair share!. Doleschal lebt mit ihrer Familie in Berlin und Dessau. www.equalpayday.de 19
Eine Quote für die künstlerische Freiheit D as Theater nimmt für sich oft- mals den Anspruch, gesell- schaftskritisch, hochreflektiert und innovativ zu sein. Aber hinter der Fas- Dort werden wesentlich geringere Ga- gen gezahlt. 76 Prozent der gezeigten Stücke wurden von cis-männlichen Autoren verfasst, die damit Themen sade sind die Strukturen verkrustet. setzen und ihre Sprache vorgeben. Da- Quote die volle Gleichberechtigung in Von der Mehrheit der Führungskräfte bei kann es an mangelnder Begabung den Führungspositionen der Theater wird hingenommen, dass cis-Männer1 nicht liegen, da in fast allen Genres erreichen lässt. Nur so erhalten Frauen in gleicher Position mehr verdienen als mehr Frauen die künstlerischen Hoch- bzw. FLINTA*-Personen2 die gleichen alle anderen Geschlechter. So fand die schulen mit erfolgreichem Abschluss Chancen in Theaterinstitutionen und Studie „Frauen in Kultur und Medien“ verlassen. Die Strukturen der Institu- können die notwendigen Erfahrungen des Deutschen Kulturrates von 2016 ei- tionen allerdings liegen von jeher in machen, um selbstbewusst Leitungs- nen Gender Pay Gap von 46 Prozent bei Männerhand, immer noch werden positionen auszufüllen. Die Quote freischaffenden Schauspielerinnen und 78 Prozent der Theater von cis-Män- stellt keinen Eingriff in die künstleri- von 36 Prozent bei der Regie. Nur 30 Pro- nern geleitet. Neben den bekannten sche Freiheit dar, sondern ermöglicht zent der Inszenierungen stammen von Ursachen der Familienunverträglich- ganz im Gegenteil viel mehr Menschen Regisseurinnen, die zudem häufig nur keit verstecken sich im Theaterbereich ihre künstlerische Freiheit zu entfal- auf den Nebenbühnen und im Kinder- die Leitungen bei der Vergabe von Re- ten. und Jugendtheater inszenieren dürfen. giearbeiten hinter dem Mantel der Kunstfreiheit und missbrauchen ihn damit. Tatsächlich werden Intendan- zen und Regiearbeiten viel zu oft in gewohnt patriarchaler Haltung inner- halb von Männer-Cliquen vergeben. Die von uns als Pro Quote Bühne ange- stoßene und von der Linken gestellte Kleine Anfrage in Hamburg zeigt bei- HEIKE SCHARPFF spielhaft den eklatanten Gender Pay ist Regisseurin und Diplom-Psy- Gap und die unzureichende Gender- chologin. Ihre Ausbildung zur diversität an den Theatern: Theaterregisseurin machte sie an der Schule des „Theater der Anzahl Musiktheaterregie Gagen Musiktheaterregie: Keller“ Köln und am Staatstheater weiblich: 31 Arbeiten (41%) 196.000€ Gagen (13%) Darmstadt. Sie ist Mitgründerin divers: 0 (0%) divers: 0,00€ (0%) des freien Theaterhauses Waggon- männlich: 45 Regiearbeiten (59%) 1.264.300€ Gagen (87%) halle Marburg und der Theater- (Zahlen von 2016-2021 für: Hamburgische Staatsoper, Opernloft, Hamburger Kammeroper, Label „klimaelemente“, „Scharpff Hamburger Engelsaal). & Team“, „KANALTHEATER“ und „kahmann & scharpff“. Von 2013 bis Da sich die extreme Ungleichheit im 2018 war sie Vorstandsmitglied des Theater in den letzten 20 Jahren nur Bundesverband freier darstellender minimal verbessert hat, ist es unsere Künste BFDK. 2010 bis 2018 war sie Überzeugung, dass sich nur mit einer Projektleiterin der Stiftung TANZ- Transition Zentrum Deutschland und seit 2022 ist sie im Vorstand von Pro Quote Bühne. 1 Der Begriff cis-Männer bezeichnet Männer, denen bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wurde und die sich damit identifizieren. 2 Die Abkürzung FLINTA* steht für Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans* und agender Personen und damit für alle, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität diskriminiert werden. 20 Das Journal zum Equal Pay Day 2023
Gesellschaftliche Relevanz Rechte einfordern, aber auch Männer, die bereit sind, Privilegien abzugeben. E ine Schande, dass wir im Jahr 2023 immer noch über gleiche Bezahlung von Mann und Frau reden müssen. Über eine Selbstverständlich- Und es braucht einen gesellschaftlichen Konsens, der darüber hinausgeht, eine solche Ungerechtigkeit nur zu bedau- ern. Es muss sich etwas ändern. Und zwar jetzt! CHRISTOPH SIEBER ist Kabarettist und moderiert keit! Ich will aber noch einen weiteren Aspekt die älteste Satiresendung im Frauen verdienen im Schnitt 18 Prozent ansprechen, der eine ganz entscheiden- deutschen Fernsehen „Die Mitter- weniger als Männer. Und es erschreckt de Rolle spielt in der Diskussion, wa- nachtsspitzen“ im WDR. Außerdem besonders, dass der Gender Pay Gap im rum Frauen oft weniger verdienen als ist er seit annähernd 20 Bereich Kunst und Kultur besonders Männer. Frauen arbeiten viel häufiger in Jahren auf Tournee groß ist. Kunstwerke von Frauen wer- sozialen Berufen als Männer. Während durch Deutschland, den auf internationalen Auktionen im Männer eher was mit Aktien, Maschi- Österreich und die Schnitt zu 47 Prozent günstigeren Prei- nen oder Computern machen, kümmern Schweiz. Er setzt sen versteigert als jene von Männern. sich Frauen um Menschen. Als Pflege- sich seit Jahren für Nun, könnte man einwenden, die Män- rinnen, Krankenschwestern, Erzieherin- einen funktionieren- ner malen halt schöner. Legt man aber nen und Grundschullehrerinnen. Und: den Sozialstaat ein. einer Gruppe von Studienteilnehmer:in- Während Männer Unternehmen mana- Er lebt in Köln und trinkt gerne nen die Fotos von ihnen unbekannten gen, leiten Frauen Familien und pflegen Apfelsaftschorle. Kunstwerken vor, können sie nicht un- Angehörige. terscheiden, ob diese von einem Mann Und es zeigt sich da eine alte Regel: oder einer Frau gestaltet wurden. Gesellschaftlich relevante Berufe sind Entscheidend für den Preis ist also nicht schlechter bezahlt als Jobs, die ge- nur das Kunstwerk selbst, sondern auch, sellschaftlich irrelevant sind. Männer ob es von einer Frau oder einem Mann neigen dazu, ihr eigenes Vermögen zu stammt. Das zeigt die ganze Perversion mehren, während Frauen das Vermö- eines Systems, denn der Preis eines gen einer Gesellschaft mehren. Diesen Kunstwerkes wird vor allem darüber grundsätzlichen Missstand gilt es zu be- definiert, wie bekannt und begehrt der seitigen. Wer an das Wohl aller denkt, Künstler oder die Künstlerin ist. Und Be- sollte finanziell bessergestellt sein als kanntheit erlangt man durch Einzelaus- jemand, der nur an sein eigenes Wohl stellungen in Museen und Galerien, me- denkt. Schade, dass wir im Jahr 2023 im- diale Aufmerksamkeit und Erwähnung mer noch darüber diskutieren müssen. in der Fachliteratur. Und dort dominie- ren in entscheidenden Positionen meist immer noch Männer. Und Männer be- vorzugen und fördern halt gerne Ihres- gleichen. Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen. Ein Teufelskreis, aus dem wir nur ausbrechen können, wenn es mutige Frauen gibt, die ihre www.equalpayday.de 21
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