90 Kilometer gegen das Atom-Risiko - magazin - Ausgestrahlt
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August/September/Oktober 2017 Ausgabe 36 magazin 90 Kilometer gegen das Atom-Risiko Nach Nach der der Anti-Atom-Menschenkette: Anti-Atom-Menschenkette: Was Was die die neue neue Bundesregierung Bundesregierung tun tun könnte, könnte, um um die die AKW AKW in in Deutschland Deutschland abzuschalten abzuschalten und und die die Energiewende Energiewende voranzubringen voranzubringen Schwerpunkt Schwerpunkt Seite Seite 8–15 8–15 Foto: Frédéric Pauwels / Collectif Huma Tag X am Neckar „Mitten im Kampf“ Atom-Stadt Bielefeld Sitzblockade auf der Brücke, Strahlenmes- Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kem- Zu einem kleinen Teil gehört das AKW sung hinter Mauern: Auf das erste Castor- fert über den Versuch der fossil-atomaren Grohnde der Stadt Bielefeld. André Plümer Schiff sollen noch vier weitere folgen Lobby, die Energiewende auszubremsen kämpft für eine schnellere Stilllegung Seite 6–7 Seite 12–13 Seite 18-19
Inhalt & Impressum Editorial Inhalt 3 Editorial 12 „Mitten im Kampf“ 18 „Einfach mal losfahren“ Interview | Wirtschaftswissenschaftlerin Porträt | André Plümer, 41, organisierte 4 Anti-Atom-Meldungen Claudia Kemfert über den Versuch der zur Menschenkette von Tihange nach fossil-atomaren Lobby, die Energiewen- Aachen eine Anti-Atom-Fahrradtour quer 6 Neckar-Castor de auszubremsen, und die Gefahr einer durch NRW Rückblick & Aktion | Auf das erste erneuten Laufzeitverlängerung für längst Castor-Schiff sollen noch vier weitere überflüssige AKW 20 Rückblick folgen AKW Gundremmingen, Brennelemente- 14 Belgien – Deutschland Steuer, Kirchentag, Kulturelle Landpartie 8 An einem Strang Hintergrund | Sieben bisweilen über- Rückblick | Kettenreaktion Tihange raschende Fakten zur Atomkraft westlich 21 Atomkraft in Südafrika und östlich von Aachen Hintergrund | Das Kugelhaufenreaktor- 10 Nach der Kette ist Projekt scheiterte, den Kauf russischer vor dem Abschalten 16 Eklatante Fehler AKW stoppte ein Gericht. Präsident Zuma Einleitung | Atomkraft spielt bisher kaum Analyse | Die Bundesregierung hätte die aber setzt weiter auf Atom eine Rolle im Wahlkampf. Dabei entschei- Niederlage bei der Brennelemente-Steuer Foto: Karin Behr / PubliXviewinG det die kommende Bundesregierung, ob leicht verhindern können. Nun muss die 22 .ausgestrahlt-Shop die Energiewende wieder Fahrt bekommt neue Koalition den Milliardenschaden mit und die AKW in Deutschland tatsächlich einer verfassungskonformen Neuauflage 24 Nukleare Außen-Politik vom Netz gehen der Steuer zumindest begrenzen Infografik | Politiker*innen von CDU, FDP, SPD und Grünen fordern die Ab- schaltung von AKW hinter der Grenze – außerhalb des eigenen Einflussbereichs. Zur Atom-Gefahr im Inland hingegen schweigen sie meist Über .ausgestrahlt Neu bei .ausgestrahlt Impressum AKW überall abschalten Liebe Leserin, lieber Leser, Die „Kettenreaktion Tihange“ hat gezeigt, wie es etwa in Belgien der Fall ist. Und ob Atom- .ausgestrahlt ist eine bundesweite Anti- Angela Wolff, Jahrgang .ausgestrahlt dass dort, wo diese atomare Bedrohung zum kraftwerksbetreiber doch noch auf irgendeine Atom-Organisation. Wir unterstützen 1973, ist zwischen Braun- Große Bergstraße 189, 22767 Hamburg bis zuletzt war offen, ob das klappen würde: eine großen, öffentlich diskutierten Thema wird, Weise finanziell an den von ihnen verursachten Atomkraftgegner*innen, aus ihrer Haltung kohlekraftwerk und Atom- info@ausgestrahlt.de 90 Kilometer lange Menschenkette, durch drei Zehntausende dagegen protestieren und – buch- Schäden beteiligt werden (Seite 16/17). Der öffentlichen Protest zu machen. kraftwerk im Rheinischen www.ausgestrahlt.de Länder, mit Zigtausenden Teilnehmer*innen, stäblich – an einem Strang ziehen. Wichtig ist Kampf zwischen erneuerbaren Energien und Foto: privat Revier aufgewachsen. Heute die sich entlang der Strecke irgendwie vertei- nun, dass jeder und jede seinen und ihren Teil der fossil-atomaren Energiewirtschaft, unter- Viele nutzen die Angebote von .ausgestrahlt lebt sie an der dänischen Redaktion: Armin Simon, Jochen Stay, len müssen. Und die, jenseits des konkreten dazu beiträgt, das Atom-Risiko zu reduzieren. streicht Energieexpertin Claudia Kemfert, sei für ihr Anti-Atom-Engagement. Hinter der Grenze in Schleswig-Holstein und setzt sich Julia Schumacher Aufhängers, dem Pannen-Meiler im belgischen Schon ein Blick auf die AKW-Karte macht deut- auch in Deutschland noch nicht entschieden; Planung von .ausgestrahlt steckt ein derzeit dort ehrenamtlich gegen verfehlte Atompolitik Bildredaktion: Andreas Conradt Tihange, eine kraftvolle, unübersehbare Forde- lich, dass das nicht bedeuten kann, lediglich mit wir steckten vielmehr mittendrin (Seite 12/13). 16-köpfiges Team von Ehrenamtlichen, Ange- ein. Die Medien- und Kulturwissenschaftlerin Mitarbeit: Angela Wolff, Carolin Franta, rung erheben: AKW überall abschalten. dem Finger auf die AKW hinter der Grenze zu Bringen wir ihn zu einem guten Ende. stellten und Praktikant*innen. hat für TV- und Filmproduktionen, Info-Kampa- Helge Bauer, Julian Jenkel, Jürgen Rieger, Denn das Atom-Risiko ist noch lange nicht zeigen. Denn die Gefahr sitzt auch im eigenen www.ausgestrahlt.de/ueber-uns gnen und Magazine geschrieben. Seit Kurzem Leonie Joubert, Niklas Mohr, Sarah Lahl, passé. Nicht in Belgien, wo immer neue Lauf- Land (Seite 24). Und weil der politische Einfluss Armin Simon ist sie Redakteurin bei .ausgestrahlt. Thomas Rosa, Ute Bruckart zeitverlängerungen den formal schon zweimal dort am größten ist, lässt sie sich dort auch am und das ganze .ausgestrahlt-Team Dieses .ausgestrahlt-Magazin erscheint vier Gestaltung: Holger M. Müller beschlossenen Atomausstieg konterkarieren einfachsten und schnellsten abschalten. Mal im Jahr. Allen Interessierten schicken wir (holgermmueller.de); Entwurf: und zur Farce machen. Nicht in den Niederlan- Die kommende Bundesregierung hätte eine es gerne kostenlos zu – auch Dir. Marika Haustein, Markus von Fehrn-Stender den, wo der einstige Parlamentsbeschluss zum ganze Reihe von Möglichkeiten, die noch laufen- In eigener Sache: www.ausgestrahlt.de/magazin Spendenkonto Druck: Vetters, Radeburg, auf Recyclingpapier Ausstieg aufgehoben ist und das schon 44 Jahre den AKW sofort oder deutlich früher als derzeit Für sein langjähriges Anti-Atom-Engagement Auflage: 42.000 alte AKW weitere 16 Jahre laufen soll. Und nicht geplant vom Netz zu nehmen (Seite 10/11). Von wird .ausgestrahlt-Mitinitiator und ‑Sprecher Der .ausgestrahlt-Newsletter informiert Dich .ausgestrahlt e.V. V.i.S.d.P.: Jochen Stay in Deutschland, das trotz „Atomausstieg“ noch ihr wird zudem abhängen, ob tatsächlich, wie Jochen Stay am 15. September in Basel mit dem alle zwei bis drei Wochen kostenlos per E-Mail IBAN: DE51 4306 0967 2009 3064 00 immer fast doppelt so viel Atomstrom produziert angekündigt, spätestens 2022 die letzten Mei- Nuclear Free Future Award 2017 ausgezeichnet, über aktuelle Entwicklungen und Aktionen. BIC: GENODEM1GLS GLS Bank wie Belgien und die Niederlande zusammen ler vom Netz gehen oder ob die Laufzeiten der einem der bedeutendsten internationalen Anti- www.ausgestrahlt.de/newsletter Spenden sind steuerlich absetzbar. (Seite 14/15). Reaktoren doch noch einmal verlängert werden, Atom-Preise. 2 3
Anti-Atom-Meldungen Aktionen Atommüll-Export in die USA 7.–16. August: 33 hochradioaktive abgebrannte Brennelemente Widerstandscamp im Wendland aus dem Forschungsreaktor BER‑II in Berlin- Zu einem internationalistischen Anti-Atom- Wannsee sind Ende Juni mit Lkw nach Norden- Widerstandscamp lädt die BI Lüchow-Dan- ham gebracht und von dort per Schiff in die nenberg vom 7. bis 15. August nach Gedelitz USA exportiert worden. Das enthaltene Uran ins Wendland. Das vielfältige Programm – in- war niedrig angereichert und also nicht waf- klusive Free Flow Festival am Wochenende fentauglich. Das Bundesumweltministerium 11.–13. August – findest Du unter verwies dennoch auf ein „Abkommen mit den www.bi-luechow-dannenberg.de USA zur Nichtverbreitung von waffenfähigem Uran“. Nach Angaben des Ministeriums „be- steht keine Verpflichtung zur Rücknahme“ der Foto: Helmholtz-Zentrum Berlin in die USA verbrachten Abfälle. Das seit Mitte Mai geltende angebliche Exportverbot für 9. September: Anti-Atom-Demo in Lingen Foto: US Department of Defense Atommüll kam nicht zum Tragen, da die Geneh- migung schon zuvor erteilt worden war. Der Für die Abschaltung des AKW Ems- Foto: energy-net.org entsprechende Paragraf im Atomgesetz lässt land und die Schließung der Uranfabri- zudem auch künftig riesige Hintertüren für den ken in Lingen und Gronau sowie einen Export radioaktiver Abfälle offen. BER-II: etwa 13 abgebrannte Brennelemente pro Jahr Stopp der Brennelement-Exporte werden Atomkraftgegner*innen am Samstag, den US-Atomtest 1952, aktuelle US-Atomrakete Minuteman-III: Bald sorgt Urenco mit für die Sprengkraft 9. September in Lingen/Emsland auf die Atom-Fonds startet mit Negativzinsen Urenco liefert Uran für US-Atomwaffen Straße gehen. Die Demo startet um 13 Uhr. Der frisch gegründete Atommüllfonds muss in den ersten Monaten seines Bestehens unter www.lingen-demo.de Umständen Strafzinsen von bis zu 270.000 Euro pro Tag zahlen. Grund ist der Negativzins Die deutsch-niederländisch-britische Atomfirma „Urenco“ versorgt nach WDR-Recherchen die USA Ärzte warnen vor AKW-Schutt von 0,4 Prozent, den die Europäische Zentralbank (EZB) derzeit für Guthaben verlangt. Die mit angereichertem Uran, das zur Herstellung von Tritium für das US-Atomwaffen-Arsenal genutzt Der Deutsche Ärztetag 2017 hat in einer AKW-Betreiber haben dem Atommüllfonds am 3. Juli 24.147.852.702 Euro überwiesen – wird. Demnach soll die US-Tochter der Urenco die AKW Watts Bar und Sequayah des US-Staatskon- Entschließung den Landesatomaufsichten 17,9 Milliarden Euro Rückstellungen plus 6,2 Milliarden Euro „Risikozuschlag“. Der Staat zerns TVA bis 2030 mit Brennstoff im Wert von 500 Millionen Dollar beliefern. Die vier Reaktoren vorgeworfen, die Gefahren durch radioaktiv übernimmt im Gegenzug die kompletten Kosten für die jahrtausendelange Lagerung der 11.–15. Oktober: dort sind mit Zusatzeinrichtungen ausgestattet, um neben Strom auch das für militärische Zwecke belastetes Abrissmaterial aus AKW zu ver- strahlenden Abfälle. Uranium-Filmfestival Berlin dringend benötigte Tritium zu erzeugen. Damit werde dem größten Kernwaffenstaat der Welt ga- harmlosen und den AKW-Betreibern einen In den Verhandlungen über den Fonds hatten die Betreiber stets behauptet, ihre Rück- Mehr als zwei Dutzend Spiel-, Dokumentar-, rantiert, dass sein Atomwaffenprogramm „dauerhaft weiterexistieren kann“, kritisierte der Nicht- „Blankoscheck“ im Umgang mit diesem stellungen für die Atommülllagerung seien ausreichend, weil diese in den kommenden Jahr- Kurz- und Trickfilme aus der ganzen Welt weiterverbreitungsexperte Wolfgang Liebert von der Uni Wien. Atommüll auszustellen. Damit stellt sich zehnten jedes Jahr 4,58 Prozent Zinsen erwirtschaften würden. Die Atom-Finanz-Kommissi- sind vom 11. bis 15. Oktober auf dem In- Laut dem Vertrag von Almelo darf Urenco nur Uran für friedliche Zwecke anreichern. Der „Ge- auch die deutsche Ärzteschaft gegen die on verzichtete auf eine Nachschusspflicht der Konzerne und begnügte sich mit dem kleinen ternationalen Uranium Filmfestival in der meinsame Ausschuss“, das Aufsichtsgremium, in dem auch die Bundesregierung mit Veto-Recht sogenannte „Freimessung“ und Verteilung Risikoaufschlag. Mit den 24,1 Milliarden seien die zu erwartenden Kosten „sehr umfassend KulturBrauerei Prenzlauer Berg sowie im sitzt, hatte sich allerdings schon 2005 auf den Standpunkt gestellt, dass es sich bei dem Waffen- von schwach radioaktivem Material. Um gedeckt“, beteuerte Jürgen Trittin (Grüne), einer der Vorsitzenden der Kommission. Zeiss-Großplanetarium in Berlin zu sehen. Tritium lediglich um ein „Beiprodukt“ der Stromproduktion handele, für das diese Zivilklausel Strahlenschäden in der Bevölkerung zu ver- Wie lange der Fonds brauchen wird, um das Geld anzulegen, ist ebenso unklar wie wo Alle widmen sich den Opfern von nuklea- nicht gelte. Das geht aus einem Bericht des US-Rechnungshofs von 2014 hervor. Demzufolge hat meiden, müsse dieses stattdessen nach dem er es gewinnbringend unterbringen wird. Die gesetzlichen Kriterien dazu sind nach einem ren und radioaktiven Katastrophen – ob in Urenco schon 2006 und 2010 Lieferverträge mit TVA abgeschlossen; die Bundesregierung bestrei- bestmöglichen technischen Stand sicher Bericht der „Welt“ so vage, dass selbst ein Investment in Aktien der AKW-Betreiber nicht Fukushima, Tschernobyl oder Hiroshima, ob tet bisherige Lieferungen. „Der Fall zeigt einmal mehr, dass eine Trennung zwischen ziviler und verwahrt werden, am besten auf dem Kraft- ausgeschlossen ist. Unter Umständen könnten die Milliarden so gerade wieder bei den Kon- durch Uranabbau, Atommüll, Atombomben- militärischer Nutzung von Uran nicht möglich ist“, sagte Alex Rosen von den Ärzten gegen den werksgelände selbst. zernen landen, etwa in deren Netzbetriebsgesellschaften. Diese erwirtschaften derzeit noch tests oder den Cäsium-Unfall von Goiânia Atomkrieg (IPPNW). üppige Garantierenditen – bezahlt von den Bürger*innen über die Netzgebühren. vor genau 30 Jahren. www.uraniumfilmfestival.org Hackerangriff auf US-AKW-Betreiber Computernetzwerke mehrerer Betreiber von Atomkraftwerken in den USA und anderen Ländern sind nach einem internen Bericht des US- Heimatschutzministeriums in den vergangenen Monaten Opfer von spe- zialisierten Hackerangriffen geworden. Ziel der Attacken waren vor allem Mitarbeiter*innen, die auch Zugriff auf die Steuerungssysteme der Atom- Foto: Wichita Eagle anlage haben. In Deutschland war zuletzt 2016 ein Computervirus im Foto: RWE AKW Gundremmingen entdeckt worden. Die Sicherheitsbehörden warnten damals intensiv vor Attacken auf Atomanlagen. Im Visier von Hackern: AKW Wolf Creek, Kansas Zwischenlager beim AKW Gundremmingen, inzwischen mit mindestens 42 Castoren befüllt 4 5
Neckar-Castor Aktionen Castor-Alarm 2–5 Mit dem zweiten der fünf geplanten Castortransporte auf dem Neckar ist schon Foto: Tim Christensen / Robin Wood Ende Juli – nach Redaktionsschluss dieses Magazins – zu rechnen, eventuell auch erst Anfang August. Die dritte Atommüll- Foto: .ausgestrahlt fuhre könnte demnach Mitte/Ende August auf die Reise gehen. Das „Bündnis Neckar castorfrei“ wird jeweils Mahnwachen und Demonstrationen organisieren, für Trans- port Nr. 2 in Lauffen am Neckar. Bei Bedarf vermittelt das Bündnis auch Schlafplätze Foto: Angela Berger / www.beobachternews.de in der Region. Aktuelle Informationen zu den Trans- porten und Protesten gibt’s online, per Foto: Heilbronner Stimme E-Mail-Newsletter, per SMS-Alarm, am Info- telefon (0151-4677 6229) oder per Twitter Foto: Janis Grosse über den Hashtag #NeckarXCastor. www.neckar-castorfrei.de Atommüll-Verladung beim AKW Obrigheim am 28. Juni: Über eine Rampe rollen die Tieflader mit den Castor-Behältern in eine Art Garage auf dem Schiff Begleitet von Pfiffen passiert die Atomfracht am Ufer protestieren schon am 21. Mai etwa Atommüll stößt die Großstadt. Zuvor muss die Polizei an der 150 Atomkraftgegner*innen gegen die geplante nächsten Schleuse, im Stadtteil Horkheim, schon Atommüll-Verschiebung –wenige Tage zuvor hat wieder den Weg freiräumen. Auch hier haben sich das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungs- Atomkraftgegner*innen überm Wasser abgeseilt. sicherheit (BfE) die Transportgenehmigung für auf Widerstand In Lauffen säumen vor allem Schaulustige den hochradioaktiven Müll erteilt. Organisiert das Ufer, die Smartphones gezückt, die Kinder hat die Wasser- und Land-Demo ebenso wie an der Hand: Selfie mit Castor. „Das ist gefähr- die Mahnwachen und Demonstrationen an den licher, radioaktiver Müll“, warnt eine Frau, „der Transporttagen das „Bündnis Neckar castorfrei“ l strahlt wirklich“. Ein paar Eltern gucken komisch, mit Unterstützung von .ausgestrahlt. ke en J a n schließlich schnappen sie ihre Kinder und lau- www.ausgestrahlt.de/neckar-castor uli :J Rückblick & Aktion | Auf das erste Castor-Schiff sollen noch vier folgen F oto fen die Gasse hoch. Der Schubverband zieht im Schritttempo vorbei, keinen Steinwurf entfernt. H ier unter dieser Brücke, auf der fast alle Vorfeld beteuert, die Polizei hat ein Großaufge- Erst als jemand eine Anti-Atom-Fahne aus der stehen oder sitzen, die Anti-Atom-Fahnen bot an Land, zu Wasser und in der Luft aufge- Tasche zieht, traben Polizist*innen herbei. in der Hand, hier muss er durch, der Atom- fahren. Bloß unter die Brücke in Bad Wimpfen 14 Stunden braucht das Schiff am Ende für die müll, wenn er vom AKW Obrigheim zum AKW Ne- hat offenbar niemand einen Blick geworfen: Die 52 Kilometer. „Castor-Transport mit Hindernis- ckarwestheim soll, so viel steht fest. Doch das Kletterer*innen haben dort bereits die ganze sen“, titelt die „Stuttgarter Zeitung“ am nächsten Schiff mit der strahlenden Fracht kommt nicht. Es Nacht verbracht. Morgen. Da sind die Castoren gerade ins Neckar- ankert in Bad Wimpfen. Hängt vor einer Brücke Der grüne Umweltminister verkündet, die westheimer Zwischenlager gerollt: zwei Tunnel, fest, an der Kletterer*innen von Robin Wood mit Strahlenwerte des Transports seien unauffällig. die vor 17 Jahren in den Steilhang des ehema- einem Transparent hängen: „Atommüll verhindern .ausgestrahlt enthüllt: Das Messgerät in Neckar- ligen Kalksteinbruchs gegraben wurden. Im kal- statt verschieben“, fordern sie. zimmern war hinter einer Betonwand positio- kigen Untergrund des AKW-Geländes wäscht das An diesem Mittwoch, dem 28. Juni, schiebt niert, an der vom Schiff am weitesten entfern- Grundwasser jedes Jahr bis zu 1.000 Kubikme- sich der erste von fünf geplanten Atommüll- ten Seite des Flusses. ter neue Hohlräume aus. Der Bau der Atommüll- Transporten neckaraufwärts. Drei Tieflader mit je In Heilbronn demonstrieren Atomkraft- Stollen musste einst wochenlang unterbrochen einem Castor voller abgebrannter Brennelemente gegner*innen zunächst in der Stadt und am werden, weil das oberhalb gelegene Verwal- sind in der Nacht beim AKW Obrigheim auf den Ufer des Neckarkanals, dann besetzen sie zwei tungsgebäude des AKW abzusacken drohte. Die Schubleichter gerollt. Das Schiff hat damit unter von sechs Fahrstreifen über die Schiffahrtsrin- Genehmigung des Zwischenlagers läuft 2046 aus. Foto: Jürgen Hellgardt anderem 150 Kilogramm Plutonium an Bord, ge- ne. Die Polizei trägt und führt die Protestie- Foto: .ausgestrahlt nug für mehr als 20 Nagasaki-Bomben. renden schließlich von der Brücke, einschließ- Schwimmend gegen Atommüll Höchste Sicherheitsanforderungen erfülle der lich der großen gelben Plastikente, von acht Mit Paddelbooten, Surfbrettern, Piratenenten Transport, haben EnBW und die Behörden im Beamt*innen umzingelt. und anderen Wassergefährten sowie begleitend 6 7
Titel | 90 Kilometer gegen das Atom-Risiko An einem Strang Anti-Atom-Fahnen am Maas-Ufer, La-Ola- Wellen auf den Straßen und von Dorf zu Dorf: Foto: Sara Lima / Collectif Huma 50.000 Menschen bilden am 25. Juni eine Menschenkette vom belgischen AKW Tihange nach Aachen. Das 90 Kilometer lange Protest- band reicht durch drei Länder, die Botschaft geht noch weiter: Atomkraft überall abschal- ten! Denn nicht nur in Deutschland, Belgien und den Niederlanden stehen gefährliche Foto: Michaela Mügge / PubliXviewinG Atomkraftwerke, die Leben und Gesundheit von Millionen Menschen bedrohen. Ein ausgeklügeltes Konzept sorgt dafür, dass sich die Zehntausenden Atomkraftgegner*innen einigermaßen gleichmäßig entlang der Stre- cke verteilen und jeder Abschnitt von Protes- tierenden aus mehreren Ländern gemeinsam besetzt ist. Die „Kettenreaktion Tihange“ ist damit nicht nur eine der größten Anti-Atom- Demonstrationen in Belgien und Deutschland seit den Mega-Protesten nach Fukushima. Sie Foto: Michaela Mügge / PubliXviewinG bringt auch all jene in Zugzwang, die zwar die Abschaltung der Meiler in Belgien fordern, den Weiterbetrieb von acht AKW in Deutschland hingegen klaglos hinnehmen. Maßgeblich organisiert haben die aufse- Foto: Andreas Conradt / PubliXviewinG Foto: Andreas Conradt / PubliXviewinG henerregende Großaktion Anti-Atom-Aktive aus Aachen, Belgien und den Niederlanden. .ausge- strahlt hat sie mit Know-How und bei der Ver- waltung der Finanzen unterstützt, die Aktion bundesweit beworben und mit Kettenbändern und „Hausaufgabenheften“ für die Protestie- renden dafür gesorgt, dass die Aktion möglichst großen Druck für die Abschaltung aller AKW entfalten kann. In der heißen Schlussphase vor dem 25. Juni, als jede Hand gebraucht wird, verlegt das halbe .ausgestrahlt-Team seinen Ar- beitsplatz für eine Woche ins Menschenketten- Büro nach Aachen oder arbeitet von Hamburg aus der Aktion zu. www.kettenreaktion-tihange.de Foto: Andreas Conradt / PubliXviewinG Foto: Karin Behr / PubliXviewinG Foto: Karin Behr / PubliXviewinG Foto: Georg Maria Vormschlag 8 9
Titel | 90 Kilometer gegen das Atom-Risiko Nach der Kette ist Foto: Michaela Mügge / PubliXviewinG vor dem Abschalten Einleitung | Atomkraft spielt bisher kaum eine Rolle im Wahlkampf. Dabei vom „Ausstieg aus der Kernenergienutzung“ Stromproduktionsrechte („Reststrommengen“) Die jährlichen Investitionen in diese haben entscheidet die kommende Bundesregierung, ob die Energiewende wieder in der Vergangenheit, als ob dieser schon Re- bereits abgeschalteter Reaktoren auf noch lau- sich im Vergleich zu 2010 halbiert, der jährliche Fahrt bekommt und die AKW in Deutschland tatsächlich vom Netz gehen alität sei, plädiert aber gleichzeitig für einen fenden Anlagen übertragen und deren Laufzeit Zuwachs bei der Solarstromerzeugung ist gar auf „vielfältigen Energiemix“. Und die AfD fordert damit „heimlich“ verlängern. ein Fünftel eingebrochen. Unter solchen Voraus- offen, die AKW bis zum Ende ihrer „technischen Eine verfassungskonforme Brennelemente- setzungen ist selbst eine erneute Laufzeitverlän- D er FDP-Bundestagskandidat grinst in die So weit sind die meisten Parteipoliti- Nutzungsdauer“ zu betreiben – eine kaum ver- steuer oder Ähnliches würde den Weiterbetrieb gerung der AKW nicht auszuschließen. Firmieren Kamera, er hat das Foto selbst gepostet: ker*innen in Berlin noch lange nicht. Was AKW holene Umschreibung für eine Laufzeitverlän- der Reaktoren ökonomisch unattraktiv machen. würde auch dies sicher unter „Atomausstieg“ – Frank Schniske am 25. Juni in Aachen, angeht, herrscht dort ein schwarz-rot-gelb-grü- gerung. Einzig die Linkspartei will alle noch Überfällig ist zudem eine Regelung, die den dauert eben einfach länger. Eine entsprechende das Anti-Atom-Kettenband in der Hand: „Atom- ner Parteienkonsens, der in etwa lautet: Atom- laufenden AKW „unverzüglich“ abschalten, Einspeisevorrang der erneuerbaren Energien Änderung des Atomgesetzes kann jede Regierung kraft überall abschalten“, darunter exemplarisch kraftwerke sind gefährlich und gehören abge- hängt das Thema aber nicht sehr hoch. wiederherstellt – bei zu großem Stromangebot mit einfacher Mehrheit beschließen. die Namen von neun Reaktoren aus vier Ländern, schaltet, aber nur, wenn sie im Ausland stehen Die Abschaltung der AKW würde den Strom- müssen nicht die erneuerbaren Energien, son- vom niedersächsischen AKW Grohnde bis zum oder, schlimmer noch, im Ausland und nahe der markt entspannen. Sie würde die Netzgebühren den die Atomkraftwerke ihre Leistung drosseln! Vorgeschmack aus NRW niederländischen AKW Borssele. deutschen Grenze stehen. Inländische Meiler reduzieren, weil weniger Überschussstrom für Und natürlich könnte die Bundesregierung auch Bei der „Sonntagsfrage“ Anfang Juli kam die Atomkraft überall abschalten – dafür gehen hingegen dürfen noch viele Jahre weiterlaufen. den Export produziert würde, der nicht abge- das Atom-Risiko an sich neu bewerten und die Union auf 39, die FDP auf 9 Prozent. Dass eine an diesem Sonntag 50.000 Menschen auf die führt werden kann und deshalb teure Eingriffe Laufzeiten der Reaktoren verkürzen. Dieses oder beide Parteien der neuen Koalition ange- Straße. Der von Rissen durchzogene Pannen- Gefährlicher Parteienkonsens in die Stromerzeugung („Redispatch“) erfor- Recht hat das Verfassungsgericht erst im ver- hören, wäre bei einem solchen Wahlergebnis meiler im belgischen Tihange, Luftlinie 65 „Schrottreaktoren wie Tihange und Doel in Bel- dert. Sie würde die EEG-Umlage entlasten und gangenen Jahr ausdrücklich bestätigt. sehr wahrscheinlich. Was das energiepolitisch Kilometer von der Landesgrenze entfernt, ist gien oder Fessenheim und Cattenom in Frank- unterm Strich sogar einen zügigen Kohleaus- Laut dem derzeitigen Atomgesetz verlieren bedeuten könnte, davon liefert der druckfrische Aufhänger der Aktion. Aber er ist nicht die ein- reich müssen sofort vom Netz“, fordern etwa stieg erleichtern, weil Atom- und Kohleausstieg nur zwei der acht Meiler in der kommenden Le- schwarz-gelbe Koalitionsvertrag aus Nordrhein- zige Atom-Gefahr für Nordrhein-Westfalen: Die die Grünen in ihrem Bundestagswahlprogramm. dann nicht mehr gegeneinander ausgespielt gislatur ihre Betriebsgenehmigung: Gundrem- Westfalen einen Vorgeschmack: Erneuerbare- niedersächsischen AKW Lingen/Emsland und Inländische AKW hingegen müssen demselben werden könnten. mingen B Ende dieses Jahres, Philippsburg‑2 Energien-Gesetz (EEG) abschaffen; Ökostrom Grohnde stehen beide nicht mal 20 Kilometer Wahlprogramm zufolge lediglich „höchsten Si- Möglichkeiten für die nächste Bundesregie- Ende 2019. Alle anderen sechs Reaktoren dür- abregeln, wenn Kohle- und Atomstrom die Net- hinter der Landesgrenze. cherheitsstandards entsprechen“. Abschalten ist rung, AKW früher vom Netz zu bekommen oder fen bis nach der nächsten Wahl weiterlaufen. ze verstopfen; Windkraftausbau bremsen. Dafür Neben dem Städteregionsrat der Städtere- damit – mit Ausnahme des AKW Gundremmingen – für unbestimmte Zeit auszuschalten, gäbe es Ob sie 2022 dann tatsächlich vom Netz gehen, ein deutliches Bekenntnis zu konventionellen gion Aachen, einem CDU-Mann, und der von nicht gemeint. (Für die AKW Brokdorf und Lingen/ einige. So könnte der Bund etwa die bayerische wie es das Atomgesetz seit 2011 verspricht, Großkraftwerken, die als „Brückentechnologie“ einem Jamaika-Bündnis unterstützten Kölner Emsland strebt die Partei immerhin etwas frühere Atomaufsicht anweisen, beide Reaktoren des wird allerdings zu großen Teilen von der Ener- bis auf Weiteres „unverzichtbar“ seien. Oberbürgermeisterin ist auch der Aachener Abschalttermine an, weil sie die für Windstrom AKW Gundremmingen wegen der gravierenden giepolitik der kommenden vier Jahre abhängen. Auch zu Atomkraft steht in der NRW-Koali- CDU-Oberbürgermeister Schirmherr der „Ketten- benötigten Stromleitungen besonders verstop- Mängel im Notkühlsystem stillzulegen. Ebenso Zwar könnten schon heute alle acht Meiler tionsvereinbarung ein Satz drin: „Wir setzen reaktion Tihange“. Dass „trotz Atomausstiegs- fen.) „Wir werden bei anderen Staaten aktiv könnte sie den Betrieb eines jeden Meilers un- sofort wegfallen – siehe auch Interview Seite uns (…) mit Nachdruck für die Abschaltung der Beschluss auch in Deutschland noch acht Meiler dafür werben, aus der Atomenergie auszustei- tersagen, solange dieser keinen Schutz gegen 12/13. Politisch wird der Druck, sie länger lau- Kernkraftwerke in Tihange und Doel ein.“ Zu den in Betrieb sind“, schreibt die Stadt auf ihrer gen“, verspricht die SPD; was Deutschland an- den Absturz großer Passagierflugzeuge nachge- fen zu lassen, jedoch umso größer ausfallen, je AKW Grohnde und Lingen/Emsland sowie zu allen Webseite, sei „ein weiterer guter Grund, bei der geht: Weiterbetrieb der AKW bis Ende 2022. Das wiesen hat. Mit einer einfachen Gesetzesände- profitabler sie sind und je langsamer der Ausbau anderen AKW in Deutschland steht nichts drin. Menschenkette mitzumachen!“ schreiben auch CDU und CSU. Die FDP spricht rung ließe sich unterbinden, dass AKW-Betreiber der erneuerbaren Energien vorankommt. Armin Simon 10 11
Titel | 90 Kilometer gegen das Atom-Risiko „Mitten im Kampf“ Interview | Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert über den Ver- such der fossil-atomaren Lobby, die Energiewende auszubremsen, und die Gefahr einer erneuten Laufzeitverlängerung für längst überflüssige AKW Frau Kemfert, neun von zehn Bürger*innen Worum geht es in diesem Kampf? halten die Energiewende für „sehr wichtig“ Um Marktanteile und Einflussmöglichkeiten – oder „wichtig“. Sie jedoch sehen sie in Ge- schlichtweg darum, wer in Zukunft im Ener- fahr – warum? giemarkt eine tragende Rolle spielen kann. Foto: Andreas Conradt / PubliXviewinG Claudia Kemfert: Die Energiewende ist mit Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) hat einem Sprint gestartet. Aber in den letzten den ja sehr stark aufgebrochen, es sind viele Jahren wird sie von Seiten derer, die mit den Bürgerenergien und mittelständische, klei- konventionellen Energien ihr Geld verdienen, nere Unternehmen dazugekommen. Die alten systematisch schlecht gemacht und ausge- großen Energieversorger verlieren immer mehr bremst. Die Akzeptanz der Energiewende ist ihre Basis. Deshalb versuchen sie, die Ener- glücklicherweise nach wie vor hoch, sonst giewende zu stoppen oder zumindest zeitlich Foto: Daniel Morsey würde sie noch mehr behindert als ohnehin zu verzögern: Sie wollen ihr Konventionelles- schon. Energien-Geschäft möglichst lange konservie- ren. Wir Bürgerinnen und Bürger, Verbraucher, die Netze nutzen – und nicht zur künstlichen Obwohl die neuen Mega-Stromleitungen am Ende des Jahres. Für wie wahrscheinlich Der Kampf zwischen erneuerbaren Energien Unternehmer, Wissenschaftlerinnen und Wis- Verlängerung des konventionellen Energiesys- noch nicht gebaut sind? Der grüne baden- halten Sie es, dass es dann heißt: Das geht und der fossil-atomaren Energiewirtschaft senschaftler müssen die Energiewende des- tems! württembergische Umweltminister Franz nun leider nicht, weil Leitungen oder Spei- ist also auch in Deutschland noch nicht ent- halb jetzt verteidigen, alle gemeinsam, und Untersteller hat diese als „unverzichtba- cher fehlen? schieden? dafür sorgen, dass ihre Ziele auch umgesetzt Zumindest auf dem Papier steht aber doch res Element der Energiewende“ bezeichnet, Dies ist durchaus wahrscheinlich, wie man Claudia Nein. Wir sind mitten im Kampf, ich bezeichne werden. ein Einspeisevorrang der erneuerbaren Ener- sein schleswig-holsteinischer Kollege Robert heute an den geführten Diskussionen und es sogar als Krieg um Energie. In den USA kön- gien im Gesetz … Habeck, ebenfalls ein Grüner, sieht ohne Gespensterdebatten sehen kann. Weder man- Kemfert nen wir sehen, wie weit das gehen kann, wenn Geht der Ausbau der erneuerbaren Energien … das 2009 so geändert wurde, dass auch Kohle- „SuedLink“ gar die Versorgungssicherheit in gelnde Stromleitungen noch fehlende Spei- das fossil-atomare Kapital seinen Handlan- zu schnell? und Atomkraftwerke diesen Vorrang nutzen dür- Süddeutschland in Gefahr. cher behindern derzeit die Energiewende. Man Prof. Dr. Claudia Kemfert, 48, leitet ger als Präsidenten gefunden hat und dieser Ein weiterer Mythos. Der Ausbau der erneu- fen – zu Ungunsten der erneuerbaren Energien. Das ist ein immer wieder verbreiteter Mythos, hat allen lange genug eingeredet, wir hätten die Abteilung Energie, Verkehr, dann nicht nur den Klimaschutz torpediert, erbaren Energien geht nicht zu schnell, son- Wenn jemand mit abgeschriebenen Kohle- oder weil man vom jetzigen Stromsystem ausgeht, keine ausreichenden Stromleitungen und – Umwelt am Deutschen Institut für sondern auch den Markt für neue innovative dern deutlich zu langsam. Sie werden derzeit Atomkraftwerken preisgünstig Strom produ- mit einem gleichbleibend hohen Kohlestrom- aufgrund des Ausbremsens der Energiewende Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Energietechnologien behindert. Die Gefahr ist künstlich ausgebremst, der Zubau massiv be- ziert, speist er diesen seither auch als erstes anteil, wo man dann zusätzlich die zuneh- – vor allem in Süddeutschland nicht genügend Der einstige Bundesumweltminister hierzulande auch da. Wir beobachten seit vie- grenzt. Das Ziel ist ja, 2050 einen Anteil von ins Netz ein. Die Kohlekraftwerke laufen fast menden erneuerbaren Energien einspeisen Strom, um die Atomkraftwerke abzuschalten. und CDU-Spitzenkandidat in NRW len Jahren, wie gut die PR-Kampagnen gegen 80 Prozent aus erneuerbaren Energien zu ha- dauerhaft durch und werden in den seltens- will. Und weil man den Modellsimulationen Die Mythen werden geglaubt, auch wenn das Norbert Röttgen berief sie 2012 als die erneuerbaren Energien laufen: Permanent ben. Wenn wir aber so weitermachen wie zu- ten Fällen abgeregelt, auch bei wenig Be- der Netzbetreiber, mit denen sie diese neu- Gegenteil richtig ist. Energieministerin in sein Schattenka- geht es um Stromleitungen, die angeblich erst letzt, werden wir das sicher nicht erreichen. darf und gigantischem Stromüberschuss. Den en Leitungen rechtfertigen, uneingeschränkt binett, die schwarz-rote Bundesregie- gebaut werden müssten, oder um Speicher, überschüssigen Strom exportieren wir dann zu vertraut. Man geht weiterhin von erheblichen Welche Folgen für den Strommarkt hätte ein rung 2016 in den Sachverständigenrat die erst eingeführt werden müssten, bevor die Schon heute werden aber, wenn in Nord- niedrigen Preisen ins Ausland – das ist wider- Überkapazitäten im Stromsystem aus. Unsere Abschalten aller AKW? für Umweltfragen (SRU). Zudem ist sie erneuerbaren Energien ausgebaut werden kön- deutschland viel Wind weht, immer häufiger sinnig. Modellrechnungen zeigen, dass man, wenn Es würde den Markt bereinigen – derzeit ha- Mitglied der High Level Expert Group nen – alles Gespensterdebatten, um die Ener- Windkraftanlagen abgeregelt – weil die Lei- man Atom- und Kohlekraftwerke runterfahren ben wir ja massive Kraftwerks-Überkapazi- des EU-Umweltkommissars und der giewende auszubremsen oder ganz zu stoppen. tungen angeblich nicht ausreichen. Die Umweltminister der Länder haben vor würde, ausreichend Leitungskapazitäten hät- täten. Die erneuerbaren Energien würden so Advisory Group on Energy der Und das teilweise sehr erfolgreich: Die Politik Die Ursache dieses Problems liegt darin, einigen Wochen gefordert, die Einspeisung te, zumal wenn wir die erneuerbaren Energien mehr Platz im System bekommen. Das rasche Europäischen Kommission. Vor Kurzem hat bereits einige Entscheidungen getroffen, dass wir noch immer sehr viel Kohle- und von Atomstrom in den sogenannten Netz- samt Speicher dezentral ausbauen, nutzen und Abschalten der AKW wäre ein erster wichtiger erschien ihr Buch „Das fossile die die Energiewende eher behindern. Der Zu- Atomstrom im System haben. Der belegt die engpassgebieten in Norddeutschland zu re- speichern. Es ist schade, dass wir permanent Schritt für den Komplettumbau des Energie- Imperium schlägt zurück. Warum wir bau der Erneuerbaren geht drastisch zurück. Leitungen – und deswegen werden die Wind- duzieren. Nähme man das ernst, müsste man nur die Diskussion über Stromautobahnen füh- systems, der nächste muss dann ein Kohleaus- die Energiewende jetzt verteidigen Zugleich genehmigt der Wirtschaftsminister kraftanlagen abgeregelt. Übrigens auch, weil die AKW Brokdorf und Emsland doch sofort ren, ohne die eigentlichen Herausforderungen stieg sein. Je weniger konventionelle Energien müssen“. Abwrackprämien für Kohlekraftwerke, die den Atom- und Kohlekraftwerke so unflexibel sind. abschalten … auf dezentraler Ebene zu lösen. wir haben, desto eher kann der Markt auch in Strompreis ebenso nach oben treiben wie die Das ist natürlich widersinnig, es müsste genau Das wäre auch problemlos möglich. Man könn- Richtung erneuerbaren Energien umstruktu- überdimensionierten Stromleitungen – und umgekehrt sein: Kohle- und Atomkraftwerke te sogar alle AKW schon heute abschalten, Laut Atomgesetz sollen 2022 die sechs riert werden. das schiebt man dann wieder der Energiewen- müssten vom Netz, die Erneuerbaren müs- ohne dass es nennenswerte Probleme im deut- größten Reaktoren binnen zwölf Monaten de in die Schuhe. sen Vorrang bekommen. Für sie müssen wir schen Stromsystem gäbe. abgeschaltet werden: drei am Anfang, drei Interview: Armin Simon 12 13
Titel | 90 Kilometer gegen das Atom-Risiko Belgien – 5 Wo stehen Oldtimer-Reaktoren? 6 Sind nur die belgischen Meiler unsicher? Deutschland Nein. In beiden Reaktoren des bayerischen AKW Gundremmingen Hintergrund | Sieben bisweilen überraschende Fakten entspricht das Notkühlsystem seit Inbetriebnahme nicht den ge- zur Atomkraft westlich und östlich von Aachen In beiden Ländern. Doel‑1 gehört mit seinen bald 43 Jahren zu den setzlichen Anforderungen und kann bei schweren Erschütterungen ältesten Reaktoren weltweit, dicht gefolgt von Tihange‑1 und Doel‑2. versagen. Das AKW Philippsburg‑2 zwischen Karlsruhe und Mann- Doch auch Tihange‑2 und Doel‑3 haben schon jeweils 35 Jahre auf heim verfügte mehr als drei Jahrzehnte nicht einmal über den dem Buckel. Gundremmingen B und C, Grohnde sowie Philippsburg‑2 gesetzlich vorgeschriebenen Schutz gegen kleine Flugzeugabstür- 1 Wo fällt mehr Atommüll an? 2 Wo sind mehr Reaktoren am Netz? sind oder werden dieses Jahr 33. Doel‑4 und Tihange‑3 kommen auf ze und Erdbeben. Im AKW Brokdorf unweit von Hamburg und im 32 Jahre. Autos diesen Alters zählen längst als Oldtimer – einen AKW Grohnde in Niedersachsen kam es vergangenes Jahr aus bisher Status, den auch die vier jüngsten Reaktoren in Deutschland in ungeklärter Ursache zu starken Oxidationen an Brennelementen. spätestens zwei Jahren alle erreicht haben werden. Und im kalkigen Untergrund des AKW Neckarwestheim bei Stuttgart wäscht das Grundwasser jedes Jahr bis zu 1.000 Kubikmeter neue Hohlräume aus. Kein AKW in Deutschland und Belgien ist gegen den Absturz eines großen Passagierflugzeugs geschützt. In jedem kann es jeden Tag zu einem schweren Unfall kommen, der weite Landstri- che auf Jahrzehnte unbewohnbar machen würde. Die AKW in Deutschland produzierten 2016 mit 80,1 Terawattstun- In Deutschland. Hier erzeugen sechs Jahre nach Fukushima noch den (TWh) doppelt so viel Atomstrom wie die Atommeiler in Belgien immer acht Reaktoren Strom, zusammen haben sie eine Leistung 7 Welches Land hat häufiger einen „Atomausstieg“ beschlossen? (41,3 TWh). Entsprechend wächst der Atommüllberg in Deutschland von 10,8 Gigawatt. In Belgien laufen noch sieben Atommeiler, die immer noch etwa doppelt so schnell wie der in Belgien. aber zusammen bloß auf 6,2 Gigawatt Leistung kommen. 3 Welches Land hat die größere AKW-Dichte? 4 Wo ist der Atomstromanteil höher? Beide je zweimal. In Deutschland legte die rot-grüne Bundesregierung Reaktoren sollen bis Ende 2022 folgen, allerdings nur, sofern keine Re- 2002 für jeden der damals 19 Reaktoren eine maximale „Reststrommenge“ gierung bis dahin etwas anderes beschließt – Belgien lässt grüßen! fest, die dieser noch produzieren darf. In welchem Zeitraum das ge- Im benachbarten Königreich nämlich stimmte 2002 eine liberal- schehen soll, ließ sie allerdings offen, legte also kein Abschaltdatum sozialistisch-grüne Parlamentsmehrheit ebenfalls für eine Begrenzung für die Meiler fest. Bis auf das sowieso unwirtschaftliche AKW Stade der AKW-Laufzeiten: Alle Reaktoren sollten nach jeweils 40 Jahren vom 2003 und das AKW Obrigheim 2005 ging deshalb kein Reaktor wegen Netz gehen, der erste also 2015, der letzte 2025. Dazu kam es jedoch In Belgien. Selbst 2015, als etliche Reaktoren monatelang stillla- dieser „Atomkonsens“ genannten Regelung vom Netz. 2010 beschloss nicht. Eine Nachfolgeregierung beschloss 2009 vielmehr eine Laufzeit- gen, deckte die Stromproduktion der verbliebenen Meiler dort im- die schwarz-gelbe Bundesregierung dann eine Laufzeitverlängerung von verlängerung für alle Meiler um 10 Jahre. Nach Fukushima folgte, ähnlich Belgien. Bezogen auf die Fläche stehen hier zehnmal mehr Reak- mer noch gut 30 Prozent des Verbrauchs; in Deutschland lag der acht beziehungsweise 14 Jahren, indem sie allen 17 noch laufenden Mei- wie in Deutschland, eine erneute Wende. Nun sollte der ursprüngliche toren als in Deutschland und sogar zweieinhalbmal mehr als im Atomkraft-Anteil am Bruttostromverbrauch im selben Jahr noch bei lern zusätzliche Reststrommengen zusprach. Nach dem Super-GAU von Ausstiegsplan wieder gelten. Allerdings erhielt das AKW Tihange‑1 schon Atomstromland Frankreich: alle 4.362 Quadratkilometer einer, das gut 15 Prozent. 2016 stieg der Atomstromanteil in Belgien dann Fukushima strich sie diese wieder, zudem legte sie erstmals für jeden wenige Monate später erneut eine Laufzeitverlängerung um 10 Jahre. dürfte europaweiter Rekord sein. Deutschland kommt (inzwischen) wieder auf rund 50 Prozent. In Deutschland sank er unter anderem Reaktor ein Datum fest, zu dem dieser seine Betriebsgenehmigung spä- 2014 folgte dasselbe für die von der Abschaltung bedrohten Uralt-Meiler auf 44.672 Quadratkilometer pro Reaktor, Frankreich auf 11.100. infolge der Abschaltung des AKW Grafenrheinfeld auf 14 Prozent, testens verlieren soll. Aufgrund dieser Regelung gingen von den 17 AKW Doel‑1 und Doel‑2. Formal gilt bis heute das Ausstiegsgesetz von 2003. wobei der Stromproduktionsüberschuss insgesamt weiter anstieg. zunächst acht, 2015 dann ein neuntes vom Netz. Die acht verbliebenen Real sind noch alle sieben Reaktoren am Netz … 14 15
Brennelemente-Steuer 2010, als Schwarz-Gelb sich diese Konstruk- einzelner Konzerne so niedrig festgelegt worden. tion ausdachte, hatten Eon, RWE und Co noch Als Gegenleistung sollten die AKW-Betreiber nichts dagegen. Zwar wurde die Einführung der eigentlich alle Klagen, die sie gegen den Staat Steuer offiziell damit begründet, Subventionen laufen hatten, zurücknehmen. Darauf drängte für die Atomkraft abzubauen und die Kosten besonders das Bundesfinanzministerium. für die Sanierung des maroden Atommüll-La- Doch die Regierung setzte dieses Junktim gers Asse II eintreiben zu wollen. Doch schon nicht durch. Zwar ließen die Konzerne einige damals war klar, dass es Klagen fallen, die gegen sich eigentlich um einen Bei den Verhandlungen die Brennelementesteuer Deal zwischen Staat und über den Atommüll- aber nicht. Mit der durch Wirtschaft handelte: Wir Fonds kam die Politik das Karlsruher Urteil nun verlängern euch die AKW- Laufzeiten, dafür gebt ihr den Konzernen weit entgegen ausgelösten Überweisung von sieben Milliarden Euro 6 uns was von den zusätzli- an die Konzerne reduziert Jahre chen Gewinnen ab. sich deren Aufwand für die Atommüll-Lagerung Als dann nach Fukushima 2011 die Lauf- von 24 auf 17 Milliarden Euro. Und weil die Re- Die schwarz-gelbe Bundesregierung zeitverlängerungen zum größten Teil wieder zu- gierung im entsprechenden Gesetz auch für den führte die Brennelemente-Steuer Foto: Andreas Conradt / PubliXviewinG rückgenommen wurden, blieb die Steuer beste- Fall, dass es Eon, RWE und Co wirtschaftlich wie- 2011 ein, befristete sie allerdings hen und die Stromkonzerne klagten. Jetzt hat der besser gehen sollte, keine Nachschusspflicht – anders als alle anderen Steuern Karlsruhe zu ihren Gunsten entschieden. an den Fonds festgelegt hat, können diese – auf ganze sechs Jahre, also bis Das Urteil ist nur rückwirkend relevant, das Geld nun einfach einstreichen und an ihre Ende 2016. denn Ende 2016 ist die Steuer ausgelaufen. Ob- Aktionär*innen ausschütten und müssen keinen wohl es im Bundestag eigentlich fraktionsüber- Cent mehr für ihren Atommüll bezahlen. greifend eine Mehrheit für die Beibehaltung der Unterm Strich ist das ein riesiges Geschäft 145 Erst ließ die Regierung die Brennelemente-Steuer Ende 2016 auslaufen. Nun verdoppelt ihr Dilettantismus das Milliardengeschenk Steuer gab, entschied sich die SPD – anders als für die Stromkonzerne. Sie kommen in Sachen jüngst bei der „Ehe für alle“ – für die Koali- Atommüll-Lagerung billig davon und sind die Eklatante Fehler tionsdisziplin und stimmte den Anträgen der Verantwortung für ihre strahlenden Abfälle für Euro Opposition auf Verlängerung der Steuer nicht immer los. zu. Inzwischen, nach der Entscheidung des Ge- Unterm Strich ist es aber auch ein weiteres Pro Gramm Uran oder Plutonium, das richtes, ist diese Debatte so oder so obsolet. Argument, die noch laufenden AKW schon jetzt in einem AKW zum ersten Mal zum abzuschalten: Dann produzieren sie wenigstens Einsatz kam, waren 145 Euro fällig. Schlecht verhandelt keine weiteren Kosten für die Allgemeinheit. Das CDU-geführte Bundesfinanzmi- Analyse | Die Bundesregierung hätte die Niederlage bei der Brenn- Allerdings hätte es auch ganz anders laufen Für den Fall, dass sie trotzdem noch weiterlau- nisterium hatte 2010 zunächst sogar elemente-Steuer leicht verhindern können. Nun muss die neue Koalition können – und damit komme ich zum Fehler der fen, braucht es schleunigst eine verfassungs- einen Steuersatz von 220 Euro pro den Milliardenschaden mit einer verfassungskonformen Neuauflage der Großen Koalition vergangenen Herbst: Bei den konforme Besteuerung oder Abgabe, damit die Gramm Atombrennstoff vorgeschla- Steuer zumindest begrenzen Verhandlungen über die Betreiber an den Kosten gen, um die Wettbewerbsvorteile der Folgekosten der Atomkraft Die Regierung bestand beteiligt werden, die etwa Atomkraft auf dem Strommarkt zu kam die Politik den Konzer- nicht auf Rücknahme in der Atommüllkippe kompensieren. D ie Bundeskanzlerin und ihre Minister*- die Stromkonzerne auf Kosten der Allgemein- nen weit entgegen. Gegen der Verfassungsklagen Asse II weiter entstehen. innen haben einen Amtseid geleistet. In heit sechs Milliarden Euro Brennelementesteuer eine einmalige Zahlung von Vertreter*innen von diesem heißt es: „Ich schwöre, dass ich plus eine Milliarde Euro Zinsen zurück. rund 24 Milliarden Euro sollten die AKW-Betrei- SPD, Grünen und Linkspartei haben dies nach meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von Dilettantisches Steuergesetz ber sich von der Haftung für ihren Atommüll dem Karlsruher Urteil vehement gefordert. Mal freikaufen können – inzwischen haben sie das sehen, ob sie es bei einer künftigen Regie- 500.000 ihm wenden (…) werde.“ Mal davon abgesehen, Das Bundesverfassungsgericht hat am 7. Juni getan. Die Summe war aufgrund der angeblich rungsbeteiligung auch umsetzen. Euro dass ich mit dem Begriff „deutsches Volk“ nicht entschieden, dass diese Steuer – erhoben von prekären wirtschaftlichen Situation zumindest Jochen Stay sonderlich viel anfangen kann und finde, dass 2011 bis 2016 immer dann, wenn neue Brenn- Der rückwirkende Wegfall der sich Regierungshandeln in einer vernetzten elemente in einen Reaktor eingesetzt wurden Brennelemente-Steuer aufgrund der Welt auf den Nutzen aller Menschen auf diesem – nicht verfassungsgemäß war. Die Karlsruher Entscheidung des Bundesverfas- Planeten beziehen muss, halte ich die in der Richter*innen begründeten ihre Entscheidung sungsgerichts am 7. Juni 2017 Eidesformel festgeschriebene Verpflichtung auf damit, dass die Regierung die Steuer als Ver- beschert den AKW-Betreibern eine das Allgemeinwohl für eine gute Sache. brauchssteuer eingeführt habe, diese aber gar Steuerrückzahlung von insgesamt Doch die beiden letzten Bundesregierun- nicht von den Verbraucher*innen gezahlt wur- rund 7 Milliarden Euro. Von 2011 bis gen haben diesen Eid nicht eingehalten. Durch de, sondern mit den Brennstäben quasi die 2016 hat damit jeder Reaktor eklatante Fehler der schwarz-gelben Regierung Produktionsmittel der AKW-Betreiber mit der nachträglich jeden Tag etwa 2010 und der großen Koalition 2016 bekommen Steuer belegt waren. 500.000 Euro mehr verdient. . 16 17
Bielefeld steigt aus Atom-Stadt Bielefeld „Einfach mal und sich mit Leuten von anderen Initiativen trifft, sie abgelehnt und die Grünen haben wortreich die man sonst nur aus dem Internet kennt. Ich begründet, warum sie zwar persönlich gegen kann nur jeden ermutigen: Macht auch sowas, AKW sind, aber als Miteigentümer und wegen des Initiiert von der „Regionalkonferenz überlegt euch was, macht zur nächsten Demo Atomgesetzes keine schnellere Stilllegung fordern Grohnde abschalten“ haben in den losfahren“ eine Fahrrad-Sternfahrt und schreibt die Initiati- könnten. Unglaublich. vergangenen sieben Monaten 15 ven unterwegs an. Trefft euch und tauscht euch Auch wenn das gerade gescheitert ist – wir Kommunen und Gebietskörperschaften über Sichtweisen und Pläne aus! Da kann man viel machen weiter. Es ist einfach für deutsche Poli- Anträge für eine beschleunigte lernen und wer weiß, was daraus entsteht. tiker, die Abschaltung von AKW im Ausland zu Abschaltung des AKW Grohnde Ich bin ja aktiv im „Aktionsbündnis Bielefeld fordern; selbst die CDU sagt, dass die gefährlich verabschiedet, darunter die Stadt steigt aus“. Es wurde kurz vor der schwarz-gelben sind und sofort abgeschaltet werden müssen. Gütersloh und der Landkreis Göttin- Porträt | André Plümer, 41, kämpft mit dem Aktionsbündnis „Bielefeld Laufzeitverlängerung 2010 gegründet. Damals Bei uns in Bielefeld laufen wir hingegen schon gen. Bielefeld hingegen nicht – obwohl steigt aus“ für die Stilllegung des AKW Grohnde. Zur trinationalen Menschen- hielt die Stadt über ihre Beteiligung an den Stadt- bei SPD und Grünen immer wieder gegen Wände, hier die zuständige Katastrophen- kette von Tihange nach Aachen organisierte er eine Anti-Atom-Fahrradtour werken acht Prozent Anteile am AKW Grohnde wenn wir konkrete Anti-AKW-Schritte fordern. Es schutzbehörde sitzt und die kommuna- quer durch NRW und es wurde gefordert, diese zu verkaufen. Nach ärgert mich, dass Leute aus falsch verstandenem len Stadtwerke Miteigentümer des AKW Fukushima lehnte der Stadtrat das ab mit dem Lokalpatriotismus keine Kritik am eigenen AKW sind. Eine entsprechende, vom I ch bin Fan von Themenradtouren zu Events Auch Polizei, Objektschutz und ein Kernforscher Hinweis, der Strombezug der Stadtwerke aus dem äußern. Aber dieser Ärger gibt mir Energie für „Aktionsbündnis Bielefeld steigt aus“ und habe mich inspirieren lassen – bei- schauten – ohne Einladung – vorbei. AKW würde ohnehin 2018 enden. Stattdessen neue Aktionen. initiierte Bürgeranregung wurde am spielsweise, als 2016 Klima-Aktivisten bei Wir hatten schon vorher den Medien Bescheid kaufte die Stadt durch die Rekommunalisierung Protokoll: Julia Schumacher 6. Juli im städtischen Hauptausschuss der Aktion „Ende Gelände“ auch durch Bielefeld gesagt. In Grohnde war die Presse dabei, in Bie- der Stadtwerke sogar noch AKW-Anteile dazu. abgelehnt. geradelt sind. Damals hatte ich leider keine Zeit lefeld kam sogar das Fernsehen, über unseren Laut Atomgesetz darf das AKW Grohnde bis Impressionen von der Radtour: www.bielefeld-steigt-aus.de/notaus mitzumachen. Aber jetzt, im Vorfeld zur Anti- Besuch in Hamm-Uentrop erschien ebenfalls ein Ende 2021 laufen. Die Stromproduktionsrechte www.grohnde-tihange.apgw.de www.grohnde-kampagne.de Atom-Menschenkette, wollte ich die Gelegenheit Zeitungsartikel. In Duisburg hatten wir ein Tref- („Reststrommengen“) des Reaktors reichen aber Anzeige nutzen. Ich habe also mal geguckt, wie das wäre, fen mit Initiativen-Leuten an der GNS-Anlage und voraussichtlich nur bis 2019. Dann müsste also wenn man eine Radtour nach Tihange unterneh- men würde. haben Fotos für unsere Webseite gemacht. Und in Belgien haben wir dann mit französischspra- schon Schluss sein – es sei denn, Eon überträgt überschüssige Stromproduktionsrechte bereits ab- Anti-Atomstrom Foto: privat Mit ist aufgefallen: Auf den rund 430 Kilo- chigen Flugblättern über unser Anliegen und über geschalteter Reaktoren auf Grohnde. Nach Tschernobyl haben Schönauer Bürger ihr Stromnetz metern zwischen den AKWs Grohnde und Tihange die bevorstehende Menschenkette informiert. Neben der Beteiligung an großen Demos or- freigekauft und einen bundesweiten Ökostromversorger in gibt es viele Orte, die im Zusammenhang mit der Unsere Räder waren gut zu erkennen mit den ganisieren wir auch lokale Aktionen und Kampag- Bürgerhand aufgebaut. Die EWS fördern Ökokraftwerke Atomindustrie oder einer verfehlten Energiepoli- Anti-Atom-Fahnen und dem Tour-Hinweisschild; nen. Konkret für mehr Energiewende und die Still- und unterstützen genossenschaftliche Energieprojekte. tik stehen: Zum Beispiel der stillgelegte Thorium- es war ein toller Moment, als uns andere Rad- legung des AKW Grohnde. 2014 forderten wir als Hochtemperaturreaktor (THTR) in Hamm-Uentrop, fahrer fotografiert haben. Übernachtungsplätze Initiative „Bielefeld steigt ein“ Ökostrom für die das Kohlekraftwerk in Datteln und die Atommüll- zu finden war zum Teil abenteuerlich. Wir hatten Stadtbahn. Das kam durch. 2016, dass die städti- Konditionierungsanlage der Gesellschaft für Nuk- vorher Initiativen angeschrieben, die es entlang schen Gebäude auf Ökostrom umsteigen (Teiler- lear-Service (GNS) in Duisburg. Mir war es wichtig, der Strecke gibt, auch Kirchengemeinden, so nach folg) und dass die Stadtwerke keinen Graustrom bevor wir in Belgien demonstrieren, auf diese bei- dem Motto: Wir machen eine Anti-Atom-Pilger- mehr handeln (abgelehnt). spielhaften Punkte in Deutschland aufmerksam zu tour, stellt uns doch eure Gemeindesäle zur Ver- Mehrfach waren wir bei großen städti- machen. Dazu war die Tour fügung. Gelandet sind wir dann meist bei anderen schen Events wie dem „Run ’n’ Rollday“ und den „Mich ärgert, dass Leute eine gute Gelegenheit. Anti-Atom-Aktiven. Einmal haben wir bei einem „Nachtansichten“ dabei, da sind die Stadtwerke aus falsch verstandenen Wir wussten erstmal Grünen Stadtratsmitglied übernachtet, der gesagt Hauptsponsor. Wir sind dann verkleidet als Cas- Lokalpatriotismus keine gar nicht, wie viele Leute hat, ja, notfalls könnt ihr bei mir unterkommen. tor mit „Bielefelder“-Atommüll und Wasserwer- Kritik am eigenen AKW wir sein würden, wir hatten Bei der Menschenkette sollten wir zum Stre- fer auf der Stadtautobahn mitgejoggt. Bei den äußern.“ über unsere Website, Twit- ckenabschnitt 38, radelten also morgens vom „Nachtansichten“ Ende April haben wir das AKW ter und Presse dazu aufge- AKW Tihange los in Richtung Maastricht und samt Not-Aus-Schalter auf einem beleuchteten rufen, mitzuradeln. Am AKW Grohnde ging es los, sahen unterwegs die ganzen Vorbereitungen für Fahrradanhänger in die Innenstadt geholt und da starteten zehn Leute, mobilisiert von der Re- die Aktion. Am Ziel in Oupeye anzukommen, war an Kunstgalerien und Event-Orten Unterschriften gionalkonferenz „Grohnde abschalten“. Am nächs- ten Tag in Bielefeld standen um zehn Uhr 20 Leu- erstmal komisch, nachdem wir tagelang unter- wegs gewesen waren. Dort trafen wir aber un- für unsere „Not-Aus“-Forderungen gesammelt: Erstens soll die Stadt von der Atomaufsicht die Auf nach Schönau! te am Rathaus und verabschiedeten uns. Das war sere Leute von zu Hause wieder, die hatten zwei Stilllegung einfordern, sich zweitens gegen die Wechseln Sie zum 5-Sterne-Ökostrom unerwartet! Ich bin nach der Kundgebung meine Busse aus Ostwestfalen-Lippe organisiert. Echte Übertragung von Stromproduktionsrechten ein- Die Erzeuger unseres 100 % regenerativen Stroms erste Etappe mitgeradelt. Dann stießen immer Teamarbeit also. setzen und drittens der Klage von Bürger*innen haben keine Kapitalbeteiligungen von Atom- wieder Leute zu uns: Am Forschungszentrum Jü- Ich kann auf jeden Fall sagen, das war eine gegen den Weiterbetrieb des AKW beitreten. Wir und Kohlekraftwerksbetreibern oder deren lich trafen wir einen Kölner Radler und es gab Eis sehr gute Erfahrung. Ich habe viele Einblicke ge- haben diese Forderungen bei der Stadt einge- und Waffeln von lokalen Atomkraftgegner*innen. wonnen, einfach dadurch, dass man mal losfährt reicht, WDR 2 hat darüber berichtet. Jetzt wurden Tochterunternehmen. 18 19 Elektrizitätswerke Schönau Vertriebs GmbH . Fon: 07673/88850 . www.ews-schoenau.de
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