Mathematik und Rechnen - Test zur Erfassung von Konzepten im Vorschulalter (MARKO-D) - ein Beispiel für einen niveauorientierten Ansatz
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256 G. Ricken, A. Fritz, L. Balzer Empirische Sonderpädagogik, 2011, Nr. 3, S. 256-271 Mathematik und Rechnen – Test zur Erfassung von Konzepten im Vorschulalter (MARKO-D) – ein Beispiel für einen niveauorientierten Ansatz Gabi Ricken1, Annemarie Fritz2, Lars Balzer3 1 Universität Hamburg; 2Universität Duisburg-Essen; 3Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung (EHB) Zollikofen, Schweiz Eine prozessorientierte Diagnostik erfordert eine theoretische Dimension, anhand derer Verände- rungen beschrieben und interpretiert werden können. Für den Test zur Erfassung von Konzepten im Vorschulalter, MARKO- D, wurde eine solche Dimension bzw. Skala aus der Analyse theoretischer Aussagen und empirischer Befunde für die Entwicklung mathematischer Konzepte im Vorschulalter abgeleitet. Die fünf zentralen Konzepte sind: Zählzahl, mentaler Zahlenstrahl, Kardinalzahl, Teil-Teil- Ganzes-Konzept und Relationalzahl. Mit der empirischen Prüfung gelang der Nachweis der Gültig- keit des Modells (eindimensionales Raschmodell). Damit steht ein Testkonzept zur Verfügung, das sowohl den Vergleich mit der Sozialnorm als auch insbesondere eine Einordnung eines Kindes in ei- nen Entwicklungsverlauf und damit ein individuelles Bezugssystem erlaubt. Schlüsselwörter: mathematische Konzepte, prozessorientierte Diagnostik, Kompetenzdiagnostik, Rechenstörungen, Entwicklungsmodell Math and Calculation – A Test for Diagnosing Concepts at Pre-school Age – An Example of a Level-oriented Approach Process-oriented diagnostics require a theoretical framework which allows to describe and interpret individual competence changes. For MARKO-test, a corresponding dimension/scale of mathemati- cal achievement in preschool age was developed on the basis of theoretical assumptions and em- pirical data. Five essential concepts are: numbers as counting sequence, ordinal number line, cardi- nal understanding, part – part – whole and concept of congruent intervals. There is empirical evi- dence for the validity of the model, using a unidimensional Rasch model. Therefore, a concept of testing is available which on the one hand allows to compare individual data with a social norm and on the other hand is usable to make valid statements about individual changes and the current de- velopment status of a child. Key words: mathematical concepts, process-oriented diagnostics, specific learning disabilities, dys- calculia, competencies, developmental model
Mathematik und Rechnen – Test zur Erfassung von Konzepten im Vorschulalter 257 Grundidee der quantitativ geringere Ausprägung, eine gerin- Testkonstruktion ge Punktzahl in einem Untertest? Im Grunde kann damit ein Bereich oder ein Aufgaben- Die aktuelle Entwicklung in der pädagogi- typ benannt werden, bei dem ein Kind nur schen Diagnostik zeigt eine Veränderung der wenige richtige Lösungen erzeugt, also über Aufgabenstellung von einer Zustandserhe- kein ausreichend anwendbares Wissen ver- bung zu einer Verlaufserfassung. Damit wer- fügt, um in vergleichbarer Weise zu seiner Al- den diagnostische Verfahren benötigt, die für tersgruppe oder einem Kriterium die Anfor- Veränderungen sensibel sind: Veränderun- derungen zu bewältigen. Bei Kindern, die gen, die einerseits durch quantitative Zu- Schwierigkeiten in der Entwicklung zeigen, wächse und andererseits durch Weiterent- entsteht eine Liste von Aufgaben, die nicht wicklungen von Wissensinhalten entstehen. gut genug bewältigt werden. Im Folgenden wird mit dem Test MARKO- Damit ist der Bereich inhaltlich umrissen, D ein Beispiel für einen Ansatz vorgestellt, an dem in einem Förderprozess gearbeitet der die Abbildung qualitativer Veränderun- werden sollte. Noch nicht beantwortet ist, gen erlaubt. Inhaltlich betrachtet werden ma- wie der Aufbau von Wissen nun erfolgen thematische Konzepte erfasst, die sich be- kann, in welcher Reihenfolge Aufgaben bear- reits im Vorschul- und frühen Grundschulalter beitet werden müssen, um Kompetenzen entwickeln. Die Auswahl dieses Altersbe- oder Konzepte zu entwickeln. reichs lässt sich mit der besonderen prognos- Mit dem MARKO-D wird ein Ansatz vor- tischen Bedeutung der Entwicklung mathe- gestellt, der von einer Ordnung im Aufbau matischer Kompetenzen für das Schulalter mathematischen Wissens ausgeht (kompe- begründen (Landerl & Kaufmann, 2008). Kin- tenzorientierter Ansatz). Ausgewählt wird der mit besonders guten oder schlechten Vo- als Wissensbereich das deklarative Wissen, raussetzungen könnten so vor Schulbeginn speziell mathematische Konzepte, die sich diagnostiziert werden, um bereits zu so frü- im Vorschulalter entwickeln. Diese Wahl ist hen Zeitpunkten ihre Entwicklung angemes- damit zu begründen, dass Konzepte eine ent- sen zu unterstützen. scheidende Rolle spielen, wenn mathemati- Üblicherweise werden zwei Prinzipien sche Sachverhalte verstanden werden sollen. genutzt, um Entwicklungsstände zu erfassen: Damit wird der Aspekt der Beherrschung, ins- eine Auswahl von Aufgaben, die Curricu- besondere der Schnelligkeit der Beherr- lumsanforderungen repräsentiert (z.B. DE- schung von Rechenoperationen, der als eine MAT 4 – Gölitz, Roick & Hasselhorn, 2006) Bedingung für Rechenstörungen diskutiert oder eine Auswahl von sogenannten Basis- wird (Haffner et al, 2005), hier explizit nicht kompetenzen (Eggenberger Rechentests 1+, weiterverfolgt. Schaupp, Holz & Lenart, 2007). Tests, die so Die Konstruktion des MARKO-D erfor- konstruiert werden, enthalten meist mehrere dert zwei Arbeitsschritte: Erstens sind Kon- Untertests. Durch die Bestimmung der richti- zepte auszuwählen, die für alle Kinder eine gen Lösungen pro Untertest werden die indi- zentrale Bedeutung insofern haben, als dass viduellen Werte (richtig gelöste Aufgaben) sie erworben werden müssen, um den nächs- mit der Verteilung der Werte in der sozialen ten Entwicklungsschritt zu vollziehen. Zwei- Normgruppe verglichen. Insofern sich Unter- tens ist eine Reihenfolge der Konzepte auf tests zu Faktoren bilden, sind Stärken und der Basis theoretischer und empirischer Be- Schwächen von Kindern auch für Untertest- funde sowie auf der Grundlage einer empiri- gruppen (Faktoren) ausweisbar. Die Frage, schen Überprüfung herzustellen. Für den die sich daraufhin stellt, ist die nach der in- zweiten Arbeitsschritt wird mit einem eindi- haltlichen Interpretation. Was bedeutet eine mensionalen Raschmodell geprüft, ob sich
258 G. Ricken, A. Fritz, L. Balzer auf der Basis der Lösungswahrscheinlichkei- Zu benennen sind nunmehr die ausge- ten der Items eine Skala bilden lässt, die mit wählten Konzepte, zu beschreiben ist die em- den theoretischen Vorhersagen überein- pirische Prüfung und darzustellen ist exem- stimmt. Für Items, die hinsichtlich ihrer plarisch die Testumsetzung. Erste Ergebnisse Schwierigkeit eng beieinander liegen, ist bei hinsichtlich der Beobachtung von Verände- Modellgültigkeit davon auszugehen, dass sie rungen bei Kindern entlang dieser Skala lie- je ein Konzept repräsentieren. Die Itemgrup- gen einschließlich von Interventionsbedin- pen sollten dann die angenommene Abfolge gungen vor und werden an späterer Stelle pu- der Konzepte in der Entwicklung abbilden. bliziert. Damit läge eine Skala mit Abschnitten, mit unterscheidbaren Entwicklungsniveaus vor. Ein so konstruierter Test erlaubt insgesamt Wesentliche Konzepte der Aussagen der folgenden Art: Durch die An- mathematischen Entwicklung zahl gelöster Items (Rohwertsumme) liegt ein im Vorschulalter Kind z.B. in Niveau III. Das bedeutet, das Kind entwickelt gerade das Konzept dieses Empirische Untersuchungen haben in den Niveaus. Die Items der darunter liegenden letzten Jahren gezeigt, zu welchen Leistun- Niveaus I und II werden bewältigt, was als gen Säuglinge und Kleinkinder bereits in der Vorhandensein der entsprechenden Konzep- Lage sind. Mengenveränderungen und Men- te zu interpretieren ist. Als Nächstes ist die genunterschiede werden, wenn sie deutlich Bewältigung der Items des darüber liegenden genug sind, sowohl bei kleinen als auch bei Niveaus und damit die Entwicklung dieses großen Mengen bemerkt (Butterworth, Konzepts zu erwarten. 2005). Kinder sind von Geburt an auf den Die Grundidee der Entwicklung des Test- Umgang mit Numerositäten durch einen konzeptes für MARKO-D ist wie folgt zusam- „Zahlensinn“ (number sense) vorbereitet. menzufassen: Es werden zentrale Konzepte Wesentliche Schritte im Vorschulalter der frühen mathematischen Entwicklung aus- sind die Entstehung einer festen Reihenfolge gewählt, die Annahmen zu ihrer Ordnung von Zahlworten, die einen mentalen Zahlen- hinsichtlich der Aufeinanderfolge in ihrer Ent- strahl bilden, das Aus- und Abzählen von wicklung werden empirisch und auf der Basis Mengen erlauben, indem Zahlworte und des eindimensionalen Raschmodells geprüft. Zählobjekte einander zugeordnet werden. Die erhaltene Skala ermöglicht eine Platzie- Zunächst steht das letzte Zahlwort für das zu- rung eines Kindes und damit die Aussage, letzt gezählte Objekt. Der Entwicklung des welche Entwicklungsschritte ein Kind bewäl- Zählens wird insgesamt eine große Bedeu- tigt hat, was es gegenwärtig entwickelt und tung beigemessen. Kinder erlangen im Vor- was in der Zukunft entstehen wird. Dieser schulalter erste Einsichten in die Vermehrung, Stand kann mit anderen Kindern im Sinne der Verminderung und Teilbarkeit von Mengen, Sozialnorm abgeglichen werden. Von beson- erste Einsichten hinsichtlich der Bedeutung derem Wert ist jedoch, dass der Entwick- der Anzahlen von Mengen als wesentliche lungsstand bei einer wiederholten Testung Merkmale. Zahlen bezeichnen Mengen mit durch eine Veränderung des Platzes auf der spezifischen Anzahlen, Mengen mit gleichen Skala beschrieben werden kann. Das kann Anzahlen von Elementen sind gleich groß sich als quantitativer Zuwachs innerhalb ei- und natürliche Zahlen setzen sich aus ande- nes Niveaus und als qualitativer Zuwachs ren Zahlen (Mengen) zusammen. Zahlen durch den Wechsel ins nächste Niveau aus- drücken auch Abstände zwischen den natür- drücken. lichen Zahlen aus. Ziffern und Zahlworte werden ineinander transkodierbar (Kauf-
Mathematik und Rechnen – Test zur Erfassung von Konzepten im Vorschulalter 259 mann & Nuerk, 2007). Mit dem nachfolgend Jede Zahl hat eine Position auf diesem Zah- beschriebenen Modell, das dem MARKO-D lenstrahl, ohne dass Abstände quantifiziert Test zugrunde liegt, werden diese Konzepte werden. Zahlen vor oder nach einer Zahl präzisiert und im Sinne von Niveaus aufei- können benannt werden (Vorgänger- und nander bezogen. Nachfolgerzahlen). Zahlen, die in der Reihe Da das Ziel in der Konstruktion eines Test- später kommen, sind „größer“, Vorgänger- verfahrens für Kinder ab 4 Jahren bestand, zahlen „kleiner“. Mit diesem Wissen können wurden die ganz früh entstehenden Fertigkei- Zahlen über ihre Position in der Zahlwortrei- ten nicht einbezogen. Im Folgenden werden he miteinander verglichen werden. Da Kin- die für den Test gesetzten Entwicklungsni- der das Vermehren und Vermindern von veaus expliziert. Mengen verstehen, sind Additionsaufgaben (a + b = ?) numerisch präzise zu lösen. Dies tun die Kinder, indem sie Mengen zusam- menschieben und die Zahlwortreihe jeweils Fünf Entwicklungsniveaus bei 1 beginnend den Objekten zuordnen. Mit dieser Kompetenz können Rechenopera- Niveau I: Zählzahl tionen als abstrakte (Zähl-) Handlungen voll- zogen werden, wobei alle (Teil-) Mengen ein- Zahlen werden zunächst nur als Wortreihe zeln ausgezählt werden müssen. gelernt. Ganz allmählich wird die Bedeutung von Zahlen als Zähl- und später als Kardinal- zahl konstruiert. Zunächst werden kleine Niveau III: Kardinalität und Mengen aus- und abgezählt, indem jedem Zerlegbarkeit Objekt ein Zahlwort zugeordnet wird. Die Frage danach, wie viele Elemente die Menge Haben die Kinder gelernt, die Mächtigkeit enthält, wird mit dem letzten Zahlwort beant- von Mengen aus- und abzuzählen sowie die wortet. Aus den Befunden von Le Corre et al. Gesamtmenge mit dem letzten Zahlwort zu (2006) und Wynn (1990, 1992) lässt sich benennen (last-word-rule, Fuson, 1988), heißt schlussfolgern, dass sich das Aus- und Abzäh- das noch nicht, dass sie verstanden haben, len kleiner Mengen von Zahlwort zu Zahl- dass das letzte Zahlwort für alle Elemente der wort entwickelt: Zuerst wird zuverlässig nur Menge steht, unabhängig davon, von wo (or- ein Objekt, später werden zwei Objekte, da- der irrelevance-principle) und was (Repräsen- nach drei und schließlich vier Objekte ausge- tation) ausgezählt wird. Das Konzept kardina- zählt. Wenn vier Objekte sicher ab- und aus- ler Einheiten, die durch bestimmte Zahlworte gezählt werden können, ist das Zählprinzip benannt werden, entwickelt sich erst auf dem erworben. Niveau III. Das Kardinalzahlkonzept ermöglicht Ad- ditionen und Subtraktionen, bei denen eine Niveau II: Repräsentation eines Anzahl von Elementen als Teilmenge betrach- mentalen Zahlenstrahls tet wird. Das bedeutet, die Bearbeitung der Aufgaben erfordert nicht mehr das sukzessi- In einer nächsten Phase wird das Wissen ve Auszählen aller Elemente oder das Abzäh- über Ordnungen von Zahlen differenzierter. len an den Fingern, jeweils bei eins begin- Zahlworte sind geordnet und werden allmäh- nend, sondern erfolgt durch das Bilden einer lich “größer”. Es wird angenommen, dass Kin- Gesamtmenge aus zwei Teilmengen bzw. der Zahlenrepräsentationen in der Form ei- das Herstellen von zwei Teilmengen aus ei- nes mentalen Zahlenstrahls repräsentieren. ner Gesamtmenge. Bei Additionsaufgaben
260 G. Ricken, A. Fritz, L. Balzer zählen Kinder von der ersten Teilmenge aus Niveau V: Relationalität weiter. Die Zahlwortreihe wird als Sequenz grö- Mit der Erkenntnis, dass Zahlworte für zu- ßer werdender kardinaler Einheiten verstan- sammengesetzte („united“, Fuson, 1992) den. Das bedeutet, Größenvergleiche zwi- Mächtigkeiten stehen und die Zahlwortreihe schen zwei Zahlen finden nun nicht mehr auf eine Sequenz aufeinander folgender Mäch- der Ebene des Rangplatzes in der Zahlwort- tigkeiten darstellt, ist noch nicht verstanden, reihe statt (die 5 ist größer als die 4, da sie wie genau sich die Mächtigkeiten der Men- später in der Zahlwortreihe auftaucht), son- gen in der Zahlfolge unterscheiden. Kinder dern auf der Ebene des Vergleichs der Mäch- erkennen größer-als/kleiner-als-Beziehungen tigkeit zweier Mengen (die 5 ist größer als zwischen Mengen. Aber erst mit der Erweite- die 4, da sie mehr Elemente enthält). rung dieses Wissens um ordinale Relationen und die Kenntnis der Mächtigkeit der Zahlen entwickeln Kinder ein Verständnis dafür, dass Niveau IV: Enthaltensein jedes nachfolgende Zahlwort sich von sei- nem Vorgänger um die Mächtigkeit + 1 un- Im nächsten Schritt erfolgt eine Differenzie- terscheidet. rung des Wissens über Verhältnisse zwischen Das bedeutet, dass die Intervalle zwi- Mengen. Auf der Basis des Prinzips der Klas- schen aufeinander folgenden Zahlen gleich seninklusion (Piaget, 1964) entwickelt sich groß, nämlich eins sind und damit eine Art die Einsicht, dass Zahlen andere Zahlen ent- Maßstab zur Verfügung steht, um zwei Men- halten. Jede Zahl der Zahlenreihe enthält alle gen exakt miteinander zu vergleichen. So vorangegangenen Zahlen. Wird nun eine werden Differenzen zwischen Mengen unter- Teilmenge aus einer Zahl herausgelöst (die schiedlicher Größe bestimm- und vergleich- Zahl 7 aus der Zahl 12), kann sie als Teilmen- bar (die Differenz zwischen 7 und 9 Elemen- ge in Beziehung zu ihrer Gesamtmenge be- ten sowie 43 und 45 Elementen ist je 2). Zah- trachtet werden. len stehen in diesem Sinne folglich auch für Auf früheren Entwicklungsniveaus zerle- die Zählschritte zwischen zwei Zahlen. Da- gen Kinder Mengen bereits handelnd und fü- mit kommt ihnen eine neue Bedeutung zu, gen Teilmengen wieder zu einer Gesamt- nämlich die Abstände bzw. Relationen zwi- menge zusammen. Zerlegen und Zusam- schen anderen Zahlen zu bezeichnen (Stern, menfügen sind hier noch sequentielle Prozes- 2003). Berechnungen von Aufgaben, die un- se, in deren Abfolge je neue Mengen herge- abhängig vom Nullpunkt das Addieren oder stellt und für sich ausgezählt werden. Dass Subtrahieren um eine bestimmte Zahl erfor- die Teilmengen Teile der Gesamtmenge sind, dern, werden nun lösbar. Dass der Erwerb in der sie enthalten sind, wird aber eben erst des relationalen Zahlbegriffs deutlich schwie- auf dem Niveau IV verstanden. Die Kenntnis riger und für die meisten Kinder erst ab dem zweier Mengen reicht folglich aus, um die 2. Schuljahr zu erwarten ist, zeigen wieder- dritte zu bestimmen. Mit diesem Verständnis um die Studien von Riley et al. (1983). Erst- können Sachaufgaben zur Addition und Sub- klässlern gelang die Bewältigung entspre- traktion gelöst werden, bei denen nach der chender Textaufgaben zur Bestimmung der Endmenge, einer Austausch- oder der Aus- Differenzmenge (Selina hat 8 Murmeln. Fritz gangsmenge gefragt wird. Nach Riley et al. hat 5 Murmeln. Wie viele Murmeln hat Seli- (1983) können ca. 50% der Erstklässler diese na mehr?) nur zu 33% bzw. 28% und zur Be- Aufgaben lösen. stimmung der Referenzmenge (Selina hat 9 Murmeln. Sie hat 4 Murmeln mehr als Fritz.
Mathematik und Rechnen – Test zur Erfassung von Konzepten im Vorschulalter 261 Wie viele Murmeln hat Fritz?) gar nur zu 11% wahrscheinlichkeiten. Diese Prüfung erfolgt bzw. 22%. mit dem Gesamtantwortmuster im Daten- satz. Die Outfit-Statistik ist hingegen sensitiv gegen Ausreißerpersonen, die unerwartet Empirische Prüfung richtig bei eher schweren Items (z. B. Raten) bzw. unerwartet falsch bei eher leichten Die Operationalisierungen dieser fünf Ni- Items (z. B. Leichtsinnsfehler) antworten. Bei- veaus wurden in mehreren Studien entwi- de Werte sind Maße für die Passung der Da- ckelt und geprüft. Mit ca. 3000 Kindern wur- ten zum Modell und seinen Annahmen. den verschiedene Itemversionen und -zusam- Nach Linarce (2002) sind schlechte Outfit- mensetzungen erprobt. Dabei wurden Kor- Werte für das Modell weniger bedeutsam als rekturen hinsichtlich der Präzision der Aufga- auffällige Infit-Werte (vgl. auch Adams & Wu, benstellung, der Bewertung und der Niveau- 2002). zuordnung der Items erforderlich. Im We- Im Weiteren sind Grenzwerte für die Prüf- sentlichen konnte das Modell in seinem Auf- statistiken festzulegen. Ein durchschnittlicher bau repliziert werden (Ricken, Fritz & Balzer, MNSQ (= standardisierter Fitwert) in der Nä- im Druck). he von 1 (Einheit: logit) entspricht einem gu- Für die Konstruktion des Tests ist die Prü- ten Modellfit, also einer guten Passung zwi- fung von Annahmen über den Zusammen- schen Daten und Modell. Ein zu hoher hang zwischen der durch den Test bestimm- MNSQ-Wert spricht für eine zu niedrige baren Testleistung und der eigentlich interes- Trennschärfe, ein zu niedriger für redundante sierenden, aber nicht direkt beobachtbaren Items im Test. Als Grenzwerte für MNSQ de- latenten Personenfähigkeit (hier: erworbene finieren Wright & Stone (1979) den Bereich Konzepte) relevant. Die empirische Modell- 1±0.5. Die strengste Vorgabe liefern Wright prüfung ist auf der Grundlage der Item-Re- & Linacre (1994) mit 1±0.2; sie sprechen sponse-Theory (IRT) und dem dichotomen aber auch Werten zwischen 1±0.3 Modell- Raschmodell möglich (z. B. Rasch, 1960; gültigkeit zu. Rost, 2004). Nachfolgend wird das Ergebnis der empi- Eine zentrale Voraussetzung für die Gül- rischen Modellprüfung unter Verwendung tigkeit dieses Raschmodells ist die Raschho- des Statistikprogramms WINSTEPS 3.66 auf mogenität. Gilt diese, besteht ein Zusammen- der Basis der Normierungsdaten zu MARKO- hang zwischen der Itemschwierigkeit und der D dargestellt. Der Normierungsdatensatz be- Personenfähigkeit und beide sind auf dersel- steht aus Daten von 1095 Kindern im Alter ben latenten Dimension gemeinsam darstell- zwischen 48 und 87 Monaten (M = 64.6; SD bar. Ist die Itemschwierigkeit niedriger als die = 7.2). 567 Kinder (51.8%) sind Jungen und Personenfähigkeit ist es wahrscheinlicher, 528 (48.2%) sind Mädchen. Die Normdaten dass das Item gelöst wird, und umgekehrt. Je wurden von Februar 2009 bis Februar 2010 höher die Differenz zwischen Itemschwierig- erhoben und über Kindergärten rekrutiert, da keit und Personenfähigkeit, desto wahr- 91.2% der Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren scheinlicher ist das Lösen bzw. Nicht-Lösen in Kindereinrichtungen (Kindertagesstätten, eines Items. Kitas) betreut werden (Statistisches Bundes- Zur Prüfung der Modellgültigkeit stehen amt, 2010, S. 232). Weitere Stichproben- diverse Prüfstatistiken zur Verfügung (Lina- merkmale sind im Testmanual (Ricken, Fritz & cre, 2002). Mit der Infit-Statistik vergleicht Balzer, im Druck) dargestellt. man die tatsächlich beobachteten Lösungs- Die Modellprüfung ergab für alle 55 häufigkeiten mit den auf Grundlage des an- Items einen MNSQ Infit im Bereich von genommenen Modells berechneten Lösungs- 1±0.3; für 53 Items gilt sogar das strengste
262 G. Ricken, A. Fritz, L. Balzer Kriterium 1±0.2. Als Schwellenwerte für die schließlich korrekten Lösungen. Somit existie- logit-Konvergenz-Einstellungen wurde sowohl ren weder ein Decken- noch ein Bodeneffekt. für die Item- als auch für die Personenschät- Die Grenzen zwischen den Niveaus wer- zung (RCONV und LCONV) das eher stren- den gebildet, indem die Items theoriegeleitet ge .00001 festgelegt. Diese Schwellenwerte dem jeweiligen Niveau, für das sie konstruiert stellen die obere Grenze für logit-Verände- worden waren, zugeordnet werden. In der rungen dar. Erst wenn diese unterschritten Abbildung 1 ist der Wechsel von einem Ni- werden, ist eine hinreichende Konvergenz veau zum nächst höheren mit einer Trennli- zum Modell erreicht und es benötigt keine nie gekennzeichnet. Empirisch ist die Grenz- weiteren Iterationen mehr. Das Modell kon- ziehung mit Bezug zu den Item-Schätzfehlern vergiert mit diesen Einstellungen in 150 Itera- zu kontrollieren. Bei einem mittleren Item- tionen. Schätzfehler von 0.10 logit ergibt sich ein Die Anforderungen an ein eindimensio- 95%-Konfidenzintervall von ± 0.2 logit um nales Raschmodell können damit als erfüllt die jeweilige Itemschwierigkeit. Das bedeu- angesehen werden. Bringt man Personen tet, dass Items, die mehr als 1 Zeile voneinan- und Items in die für das eindimensionale der entfernt sind (1 Zeile entspricht 0.2 logit), Raschmodell typische Darstellung, so resul- zuverlässig voneinander trennbar sind. Damit tiert die Abbildung 1. gibt es lediglich zwischen Niveau 2 und 3 ge- Auf der gemeinsamen intervallskalierten ringfügige Überlappungen der Konfidenzin- Fähigkeits-/Schwierigkeitsskala mit einer tervalle im Grenzbereich der Niveaus. Eine Bandbreite von -5 bis +6 sind im weitere Statistik des Raschmodells bestätigt „ Person/Item MAP“ jeweils links die Perso- diesen Befund. Der sogenannte Separation- nen (das Zeichen ’#’ repräsentiert 6 Perso- Index gibt an, wie viele Niveaugrenzen im nen; das Zeichen ’.’ repräsentiert 1-5 Perso- Modell empirisch belegbar sind. Mit einem nen) und rechts die direkt benannten Items Wert von 3.26 werden 3-4 Niveaugrenzen, abgetragen. Je höher die Position einer Per- also 4-5 verschiedene Niveaus nahe gelegt. son, desto höher ihre Fähigkeit – und je hö- Eine starke theoretische Untermauerung un- her die Position eines Items, desto schwieri- terstützt einen solchen empirischen Befund. ger ist es. Je höher die Position einer Person Tabelle 1 enthält die Itemkennwerte für die im Vergleich zu einem Item, desto höher ist Normierungsstichprobe. die Wahrscheinlichkeit, dass die Person das Dargestellt sind die Schwierigkeit der Item richtig löst. Liegen Person und Item auf Items in logit und das resultierende Kompe- gleicher Höhe, liegt die Wahrscheinlichkeit tenzniveau. Count gibt an, wie viele Kinder einer richtigen Lösung bei 50%. Die auf der der Normierungsstichprobe ein Item bearbei- Y-Achse angegebenen Intervalle werden in tet haben. Score gibt an, wie viele Kinder das logit ausgegeben. M, S und T (links der Trenn- Item richtig gelöst haben. Infit ist das Maß da- linie für die Personen und rechts der Trennli- für, wie gut ein Item dem eindimensionalen nie für die Items) repräsentieren den Mittel- Raschmodell folgt. Mit dem Schätzfehler wert sowie 1 bzw. 2 Standardabweichungen kann pro Item ein Konfidenzintervall be- der entsprechenden Verteilung. Per Konventi- stimmt werden, dessen untere (KI unten) und on wird der Itemmittelwert auf 0 logit fixiert. obere (KI oben) Grenzen bei einer angenom- Die „Person/Item MAP“ zeigt, dass es menen Irrtumswahrscheinlichkeit von 95% mit Hilfe der eingesetzten Items gelingt, die jeweils angegeben sind. Dimension der Konzepte in ihrer ganzen Insgesamt können damit die Modellie- Breite abzudecken. Es gibt kein Kind ohne rung der unterschiedlichen Konzepte und die richtige Lösung und lediglich 1 Kind mit aus- Abfolge in Form aufeinanderfolgender Ni-
Mathematik und Rechnen – Test zur Erfassung von Konzepten im Vorschulalter 263 Abb. 1: Rasch-Skala mit Niveaugrenzen, Personen und Items
264 G. Ricken, A. Fritz, L. Balzer Tab. 1: Itemkennwerte für die Normierungsstichprobe Item- Schwie- Niveau Count Score Infit Schätz- KI KI nummer rigkeit fehler unten oben 46 3.34 5 555 42 1.05 0.18 2.99 3.69 26 3.27 5 555 44 1.02 0.17 2.94 3.60 33 3.18 5 555 47 1.16 0.17 2.85 3.51 22 3.07 5 220 16 0.87 0.28 2.52 3.62 32 2.87 5 555 59 1.22 0.15 2.58 3.16 24 2.85 5 221 19 0.84 0.27 2.32 3.38 34 2.45 5 555 79 1.07 0.14 2.18 2.72 20 2.39 5 555 82 1.04 0.14 2.12 2.66 35 2.32 5 555 86 1.16 0.13 2.07 2.57 31 2.08 5 1095 183 0.99 0.09 1.90 2.26 39 1.85 5 1095 212 0.93 0.09 1.67 2.03 29 1.85 5 1095 212 1.15 0.09 1.67 2.03 38 1.6 4 1095 246 0.9 0.08 1.44 1.76 45 1.58 4 1095 249 0.85 0.08 1.42 1.74 44 1.53 4 1095 256 0.82 0.08 1.37 1.69 47 1.21 4 1095 306 1.03 0.08 1.05 1.37 43 1.13 4 1095 318 0.88 0.08 0.97 1.29 49 0.96 3 1095 348 1.03 0.08 0.80 1.12 30 0.95 3 1095 349 1.2 0.08 0.79 1.11 55 0.83 3 1095 370 0.97 0.08 0.67 0.99 18 0.7 3 1095 393 1.04 0.07 0.56 0.84 54 0.68 3 1095 398 1.03 0.07 0.54 0.82 17 0.57 3 1095 417 0.9 0.07 0.43 0.71 7 0.56 3 1044 394 1.14 0.08 0.40 0.72 14 0.31 3 1095 466 0.83 0.07 0.17 0.45 12 0.31 3 1095 467 1.08 0.07 0.17 0.45 16 0.24 3 1095 480 1.15 0.07 0.10 0.38 13 0.19 3 1095 490 0.91 0.07 0.05 0.33 15 0.18 3 1095 491 0.95 0.07 0.04 0.32 10 0.14 2 1095 500 1.03 0.07 0.00 0.28 5 0.1 2 1095 508 0.88 0.07 -0.04 0.24 37 0.07 2 1095 514 0.87 0.07 -0.07 0.21
Mathematik und Rechnen – Test zur Erfassung von Konzepten im Vorschulalter 265 Tab. 1: Fortsetzung Item- Schwie- Niveau Count Score Infit Schätz- KI KI nummer rigkeit fehler unten oben 36 0.07 2 1095 514 0.89 0.07 -0.07 0.21 28 0.02 2 1095 524 1.25 0.07 -0.12 0.16 2 -0.04 2 1095 534 0.91 0.07 -0.18 0.10 11 -0.12 2 1094 549 1.13 0.07 -0.26 0.02 4 -0.19 2 1095 565 0.91 0.07 -0.33 -0.05 48 -0.32 2 1095 589 0.96 0.07 -0.46 -0.18 3 -0.73 2 1095 669 0.97 0.07 -0.87 -0.59 53 -1.7 1 1095 837 0.95 0.08 -1.86 -1.54 6 -2.08 1 1095 890 1.16 0.09 -2.26 -1.90 50 -2.22 1 1095 908 1.01 0.09 -2.40 -2.04 41 -2.23 1 1095 909 0.89 0.09 -2.41 -2.05 9 -2.31 1 1050 884 1.02 0.09 -2.49 -2.13 51 -2.41 1 1095 930 1.05 0.09 -2.59 -2.23 52 -2.54 1 1095 945 0.9 0.1 -2.74 -2.34 42 -2.63 1 1095 954 0.85 0.1 -2.83 -2.43 8 -2.72 1 1065 936 1 0.1 -2.92 -2.52 1 -2.93 1 1095 982 0.99 0.11 -3.15 -2.71 27 -3.03 1 1095 990 1.01 0.11 -3.25 -2.81 40 -3.23 1 1095 1005 0.87 0.12 -3.47 -2.99 25 -3.26 1 1095 1007 0.89 0.12 -3.50 -3.02 23 -3.51 1 1095 1023 1.05 0.13 -3.76 -3.26 19 -3.51 1 1095 1023 0.86 0.13 -3.76 -3.26 21 -3.73 1 1095 1035 0.97 0.14 -4.00 -3.46 veaus aus theoretischer und empirischer Per- Testaufbau spektive als erfolgreich bezeichnet werden. Im nächsten Abschnitt wird sodann der Der Test besteht aus 55 Items, die Kindergar- Aufbau des Tests beschrieben. tenkindern zwischen 4;0 und 6;5 Jahren prä- sentiert werden. Für einen unkomplizierten Zugang zu den Kindern und in die Testsitua- tion wurden die Items in eine Geschichte ein- gebettet. Zwei Eichhörnchen – Ben und Lisa – zählen, vergleichen und bestimmen Men-
266 G. Ricken, A. Fritz, L. Balzer Abb. 2: Beispiel für dekorative Bilder-Instruktion: "Ben und Lisa sind damit beschäftigt, die Vor- räte für den Winter zu ordnen. Sie wollen Zahlen an die Gläser schreiben. Lisa macht kleine Kno- belaufgaben draus." gen und Zahlen. Die Rahmenhandlung wird ten, ohne dass es zu Überforderungssituatio- durch dekorative Bilder illustriert (Abb. 2). nen oder Testabbrüchen kommt, wodurch Das Arbeitsgedächtnis wird durch die Ge- sich die Zuverlässigkeit für die Schätzung des schichte und die Bilder nicht zusätzlich belas- individuellen Entwicklungsniveaus ver- tet (Ehlert et al., submitted). Die Kinder benö- schlechtern würde. tigen insgesamt etwa 20 bis 30 Minuten, um alle Aufgaben zu bearbeiten. Die Bilder und die Geschichte dienen zur Auswertungsaspekte Vorbereitung der Items. Einige Items werden mit instruktiven Bildern und mit Plättchen Neben der Einordnung in die Normstichpro- präsentiert (Abb. 3). Die Inhalte wurden auf be ist in MARKO-D vor allem die inhaltliche wesentliche Informationen reduziert. Beschreibung des erworbenen Entwicklungs- Tabelle 2 enthält Aufgabenbeispiele für standes wesentlich. Die Zuordnung Rohwert- die Niveaus und die Angabe der Anzahl der summe zum Entwicklungsniveau erfolgt auf Items, die das jeweilige Niveau repräsentie- Basis der Informationen, die in Abbildung 1 ren. abgebildet sind. Da Rohwertsummen und Die Itemreihenfolge entspricht nicht den Personenfähigkeiten direkt miteinander kor- Niveaus. Vielmehr wechseln sich Items mit respondieren, die Personenfähigkeiten im unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad ab. Raschmodell wiederum auf einer gemeinsa- Dieser Aufbau wurde gewählt, um zu errei- men Dimension mit den Itemschwierigkeiten chen, dass alle Kinder alle Aufgaben bearbei- liegen und die Entwicklungsniveaus bezüg- Abb. 3: Instruktion: "Hier siehst Du 4 Sterne (auf Sterne zeigen), und unter der Wolke (zeigen) sind noch 3 Sterne. Wie viele Sterne sind das zusammen?"
Mathematik und Rechnen – Test zur Erfassung von Konzepten im Vorschulalter 267 Tab. 2: Beispiele für Operationalisierungen von Items pro Niveau Niveau Konzepte Itemanzahl Itembeispiele pro Niveau Niveau I Zählen 16 Gib mir 5 Plättchen. Kannst Du die Beeren für die Eichhörnchen so aufteilen, dass jeder gleich viele hat? Lege die Plättchen unter Ben und Lisa. Niveau II Mentaler Zahlen- 10 Wie heißt die Zahl, die zwischen der 5 und strahl der 7 kommt? Sein Bruder hat heute Morgen 2 Nüsse ge- funden und dann hat ihm der Biber noch 2 geschenkt. Wie viele hat er jetzt? Kannst du mir die Aufgabe mit diesen Plättchen legen? Niveau III Kardinalität und 12 Hier (links) hat Ben hingemalt, wie viele Zerlegbarkeit Nüsse er hat. Lege bitte hier (rechtes Käst- chen) genau so viele Punkte hin, dass es ge- nau so viele sind wie hier (auf das linke Käst- chen zeigen). Niveau IV Enthaltensein 5 Jetzt möchte der Biber 6 Blumen haben - mehr blaue als rote. Gib mir bitte 6 Plätt- chen, davon sollen mehr blau als rot sein. Niveau V Rationaler Zahl- 12 Und jetzt bring mir 8 Blumen. Es sollen 2 begriff mehr blaue als rote sein. Ben und Lisa haben Erdbeeren entdeckt. (In welcher Reihe sind weniger?) Und wie viele sind es weniger? lich ihrer Lage zu den Items und ihren nicht möglich. Aus dem Raschmodell resultie- Schwierigkeiten eindeutig bestimmt sind, ren im Unterschied zu Messfehlern in der kann man diese Verbindung direkt herstellen. klassischen Testtheorie Schätzfehler für indi- Eine punktgenaue Einschätzung der ma- viduelle Fähigkeitswerte. thematischen Leistungsfähigkeit auf statisti- Im ersten Schritt wird auf diese Weise das scher Basis ist aufgrund von Fehlereinflüssen Entwicklungsniveau aufgrund des Gesamt-
268 G. Ricken, A. Fritz, L. Balzer wertes (Rohwertsumme) bestimmt. Dies ist tern erzeugt. Dies ist der Fall für das Kriteri- immer dann eine zuverlässige Variante, wenn um: Das Niveau gilt als bewältigt, wenn 75% die Items zu niedrigeren Niveaustufen kom- der Items richtig gelöst werden. plett gelöst wurden. Schwieriger wird die In- Nach dieser Regel können von den 1095 terpretation, wenn nur einige Items zu niedri- Kindern der Normierungsstichprobe 993 ein- geren, dafür aber einige Items zu höheren Ni- deutig einem Niveau zugeordnet werden, veaustufen korrekt bearbeitet wurden. Dies was einer Quote von 90.7% entspricht. Im kommt aufgrund der Gültigkeit des eindi- Detail befinden sich 75 dieser Kinder auf Ni- mensionalen Raschmodells nur selten vor, veau 5 (haben also Niveau 4 gemeistert), 50 muss aber für eine individuelle Interpretation Kinder auf Niveau 4, 114 Kinder auf Niveau in Betracht gezogen werden. Damit erfordert 3, 592 Kinder auf Niveau 2 und 162 Kinder eine Niveauzuordnung eine differenzierte auf Niveau 1. Betrachtung der gelösten Items pro Niveau Interessant ist dann, wie viele Items eines und eine Analyse der Lösungsmuster. Niveaus von Kindern auf unterschiedlichen Für die Daten der Normierungsstichpro- Niveaus im Durchschnitt gelöst werden. So be wurde die Analyse mit folgenden Ergeb- haben Kinder auf Niveau 4 durchschnittlich nissen durchgeführt. Eine Zuordnung zu ei- 98% aller Items auf Niveau 1, 90% auf Ni- nem Niveau schließt nicht gelöste Items ein, veau 2 und 84% auf Niveau 3 gelöst. Auf ih- die durch andere Faktoren im Testverlauf als rem Niveau 4 lösen sie durchschnittlich 38% durch die Fähigkeiten der Kinder entstanden aller Items, auf Niveau 5 nur noch 29%. Die- sind. Die Festlegung einer Anzahl nicht gelös- se Häufigkeiten belegen die Annahme, dass ter Items ist aus inhaltlicher Perspektive nicht jeweils Items unter dem aktuellen Niveau ge- zu leisten, deshalb wurde der empirische löst und in den drüber liegenden Niveaus Weg gewählt und auf der Basis der Norm- eher nicht gelöst werden (Abb.4). stichprobe das Kriterium gesucht, das die In der Normierungsstichprobe stimmt die besten Verhältnisse zwischen interpretierba- Auswertung der Rohwertsumme und der Lö- ren und nicht interpretierbaren Lösungsmus- sungsmuster für 717 Kinder überein. Das be- korrekte Lösungen in % 100 90 80 Items auf Niveau 5 70 Items auf Niveau 4 60 Items auf Niveau 3 50 Items auf Niveau 2 40 Items auf Niveau 1 30 20 10 Kinder auf Kinder auf Kinder auf Kinder auf Kinder auf Niveau 1 Niveau 2 Niveau 3 Niveau 4 Niveau 5 Abb. 4: durchschnittlich gelöste Items je Niveau in Prozent pro Niveau
Mathematik und Rechnen – Test zur Erfassung von Konzepten im Vorschulalter 269 deutet, dass beide Auswertungen zur glei- dieser Entwicklungsniveaus beherrscht und chen Niveauzuordnung führen. aktuell das Konzept des nächsten Niveaus, Für 102 Kinder ist die Niveauzuordnung das Teile-Ganze-Konzept entwickelt (Niveau über die 75%-Regel nicht möglich, womit IV). In diesem Fall würde eine Zuordnung der auch keine Diskrepanz prüfbar ist. Bei 276 Leistung zu Niveau III möglicherweise eine Kindern führen beide Methoden der Niveau- Unterschätzung darstellen. Auch hier müssen zuordnung zu Diskrepanzen in der Größen- weitere Beobachtungen hinzugezogen wer- ordnung von einem Niveau. Nur für 8 Kinder den, um zu verifizieren, ob das Kardinalzahl- beträgt der Unterschied mehr als ein Niveau. konzept eventuell nicht schon vorhanden ist. Die Interpretation wird in Fällen der Dis- krepanz in der folgenden Weise vorgeschla- Fall C & D: Werte in den Randbereichen gen: Für besonders schwache und besonders star- ke Leistungen sind folgende Interpretationen Fall A: Gesamtwert fällt besser als das Lö- vorzunehmen: sungsmuster aus Kind C erreicht insgesamt 11 Punkte und Kind A erreicht insgesamt 30 Punkte, nach wird mit diesem Gesamtwert dem Niveau I der Rohwertsummen-Auswertung entspricht zugeordnet. Die Analyse des Lösungsmusters dies dem Niveau III. Eine Betrachtung des Lö- zeigt, dass das Kind 8 Punkte im Niveau I und sungsmusters zeigt, dass sich die Punkte fol- 3 Punkte im Niveau II erreicht. Für beide Ni- gendermaßen verteilen: Auf Niveau I werden veaus wird das 75%-Kriterium unterschritten. 100% der Punkte, auf Niveau II nur 57% und Hier stimmen die Angaben überein, das Kind auf Niveau III 75% erreicht. Damit wird das befindet sich auf Niveau I, d.h. es ist dabei zu 75%-Kriterium von Niveau II unterschritten. verstehen, dass Zahlen Objekten zugeordnet Entgegen der Erwartung löst das Kind aller- und mit Hilfe von Zahlen Mengen aus- und dings so viele Aufgaben von Niveau III, dass abgezählt werden können (Zählzahlkon- dieses als bewältigt gelten kann (Kriterium er- zept). reicht). Eine Zuordnung der Leistung des Kin- Kind D: Mit einer Gesamtpunktzahl von des zu Niveau III kann jedoch aufgrund der mehr als 40 Punkten wird dem Rohsummen- geringen Anzahl richtiger Lösungen von Ni- wert zufolge die Leistung dem Niveau V zu- veau II nicht sicher erfolgen. Da das Kind geordnet. Zeigt das Lösungsmuster, dass das aber bereits viele Aufgaben, die ein kardina- 75%-Kriterium auf allen Niveaus erfüllt ist, so les Verständnis erfordern, bewältigt, könnte kann davon ausgegangen werden, dass das eine Zuordnung zu Niveau II eine Unter- Kind auch alle Konzepte bereits verstanden schätzung seines Entwicklungsstandes dar- hat. Für dieses Kind tritt somit ein Deckenef- stellen. Insgesamt ist die Aussage hier durch fekt ein, da die Zone seiner aktuellen Ent- weitere Beobachtungen zu stützen, da eine wicklung mit dem vorhandenen Modell nicht eindeutige Interpretation nicht möglich ist. mehr korrekt angegeben werden kann. Fall B: Gesamtwert fällt schlechter aus als das Für weitere Validierungsmerkmale des Lösungsmuster Verfahrens wird auf das Manual verwiesen, Der Gesamtwert des Kindes B liegt mit 28 da sie für den hier vorgestellten Konstrukti- Punkten auf dem Niveau III. Dieses Kind löst onsansatz nur am Rand eine Rolle spielen. alle 12 Aufgaben aus dem Niveau I, 75% der Aufgaben aus Niveau II und 78% der Aufga- ben auf Niveau III. Damit ist das 75%-Kriteri- um auf allen drei Niveaus erfüllt und es ist da- von auszugehen, dass das Kind die Konzepte
270 G. Ricken, A. Fritz, L. Balzer Fazit Haffner, J., Baro, K., Parzer, P. & Resch, F. (2005). Heidelberger Rechentest – HRT Die Annahmen zur Ordnung der Konzepte 1–4. Göttingen: Hogrefe. Kaufmann, L. & Nuerk, H.C. (2007). Zahlverar- bewähren sich in der empirischen Prüfung. beitung: typische und atypische Entwick- Dies zeigt sich insgesamt in einer guten Inter- lungsverläufe. In L. Kaufmann, L., H.C. Nu- pretierbarkeit der Entwicklungsniveaus, die erk, K. Konrad & K. Willmes (Hrsg.), Kogniti- nur für wenige Kinder zu nicht eindeutigen ve Entwicklungsneuropsychologie (S. 383- Ergebnissen führt. Zwischenbefunde, die in 398). Göttingen: Hogrefe. aktuellen Studien validiert werden, legen die Landerl, K. & Kaufmann, L. (2008). Dyskalkulie: Annahme nahe, dass sich individuelle Ent- Modelle, Diagnostik, Intervention. Mün- wicklungsprozesse als Verschiebung auf der chen: Reinhardt. Skala darstellen lassen und für rechenschwa- Le Corre, M., van de Walle, G., Brannon, E.M. & che Kinder ein längeres Verweilen auf unte- Carey, S. (2006). Re-visiting the compe- ren Niveaus anzunehmen ist. Diese Daten tence/performance debate in the acquisiti- on of the counting principles. Cognitive Psy- sind durch umfangreichere Längsschnittda- chology, 52, 130-169. ten zu vervollständigen. Des Weiteren schei- Linacre, J.M. (2002). What do Infit and Outfit, nen gezielte Fördermaßnahmen zu gezielten Mean-square and Standardized mean? Veränderungen von Konzepten zu führen Rasch Measurement Transactions, 16 (2), (MARKO-T: Gerlach, Fritz & Leutner, im 878. Druck). Piaget, J. (1964). Rechenunterricht und Zahlbe- griff. Die Entwicklung des kindlichen Zahl- begriffes und ihre Bedeutung für den Re- Literatur chenunterricht. Braunschweig: Wester- mann. Adams, R.J. & Wu, R. (Eds.) (2002). PISA 2000 Rasch, G. (1960). Probabilistic models for some technical report. Paris: OECD. intelligence and attainment tests. Copenha- Butterworth, B. (2005). The development of gen: Nielsen & Lydiche. arithmetical abilities. Journal of Child Psy- Resnick, L B. (1983). A developmental theory of chology and Psychiatry, 46 (1), 3-18. number understanding. In H. Ginsburg Ehlert, A., Fritz, A., Ricken, G. & Leutner, D. (Ed.), The development of mathematical (submitted). Besser rechnen mit Bildern? thinking (pp. 109-151). New York, NY: Aca- Zum Einfluss dekorativer Bilder auf die Re- demic Press. chenleistung. Ricken, G. & Fritz, A. (2009). Diagnostik mathe- Fuson, K.C. (1988). Children´s counting and matischer Kompetenzen, In A. Fritz, G. Ri- concepts of number. New York: Springer. cken & S. Schmidt (Hrsg.), Handbuch Re- Fuson, K.C. (1992). Research on learning and chenschwäche. Lernwege, Schwierigkeiten teaching addition and subtraction of whole und Hilfen, 2. überarbeitetet Aufl. (S. 292- numbers. In G. Leinhardt, R. Putnam & R.A. 321). Weinheim: Beltz. Hattrup (Eds.), Analysis of arithmetic for ma- Ricken, G., Fritz, A. & Balzer, L. (im Druck). thematics teaching (pp. 53-187). Hillsdale, MARKO-D – Mathematik und Rechnen – NJ: Erlbaum. Test zu Erfassung von Konzepten im Vor- Gerlach, M., Fritz, A. & Leutner, D. (i. Dr.). MAR- schulalter. Göttingen: Hogrefe. KO-T. Mathematik und Rechnen – Training Riley, M.S., Greeno, J.G. & Heller, J.H. (1983). zur Förderung von Konzepten im Vorschul- Development of children´s problem-solving und frühen Grundschulalter. Göttingen: Ho- ability in arithmetic. In: H.P. Ginsburg (Ed.), grefe. The development of mathematical thinking Gölitz, D., Roick, T. & Hasselhorn, M. (2006). (pp. 153-196). New York: Academic Press. DEMAT 4 Deutscher Mathematiktest für vierte Klassen. Göttingen: Hogrefe.
Mathematik und Rechnen – Test zur Erfassung von Konzepten im Vorschulalter 271 Rost, J. (2004). Lehrbuch Testtheorie – Testkon- struktion (2. Auflage). Göttingen: Hans Hu- Pia Anna Weber ber. Schaupp, H., Holzer, N. & Lenart, F. (2007). Eg- Das große NEIN zur Schule: genberger Rechentest 1+. Göttingen: Ho- Trennungsangst und Schulphobie – grefe. Ursachenforschung, soziale Wahrnehmung in der Schule und Maßnahmen der Intervention Statistisches Bundesamt (2009). 30% der be- treuten Kinder von 3 bis 5 Jahren in Ganz- Kinder und Jugendliche ver- tagsbetreuung. Pressemitteilung Nr.010 weigern aus unterschiedli- vom 09.01.2009. chen Gründen die Schule. Ei- Stern, E. (2003). Früh übt sich – Neuere Ergeb- ne Erscheinungsform ist die nisse aus der LOGIK-Studie zum Lösen ma- Schulphobie. Hierbei han- thematischer Textaufgaben. In A. Fritz, G. delt es sich um ein durch Ricken & S. Schmidt (Hrsg.), Handbuch Re- Trennungsangst begründetes chenschwäche (S. 116-130). Weinheim: Fernbleiben von der Schule. Beltz. Auf den ersten Blick er- scheint das schulische Fern- Wright, B.D. & Linacre, J.M. (1994). Reasonable bleiben als Ausdruck einer "Null-Bock-Einstellung". mean-square fit values. Rasch Measurement Bei näherer Betrachtung haben wir es mit einer kli- Transactions, 8 (3), 370. nischen Angststörung zu tun. Wright, B.D. & Stone, M.H. (1979). Best Test Ziel dieser Arbeit ist, die Störungsbilder Schulpho- Design. Chicago: MESA Press. bie und Trennungsangst multiperspektivisch zu be- Wynn, K. (1990). Children´s understanding of trachten. Erkrankt ein Schüler an einer emotiona- counting. Cognition, 36, 155-193. len Störung mit Trennungsangst, hat dies Auswir- kungen auf den häuslichen, den schulischen und den therapeutischen Bereich. Drei wissenschaftliche Untersuchungen werden im Rahmen dieser Arbeit durchgeführt: (1) zur Ur- Anschriften der Autoren sachenforschung, (2) zur sozialen Wahrnehmung in der Schule und (3) zu den Möglichkeiten einer PROF. DR. GABI RICKEN gezielten Intervention. Im Rahmen der ersten Un- tersuchung werden die Ursachen zum Störungs- Fakultät EPB der Universität Hamburg bild empirisch erforscht. Dabei wird auf die er- Sedanstr. 19 krankten Kinder und Jugendliche selbst und auf 20146 Hamburg deren Familie eingegangen. In Studie zwei wird gabriele.ricken@uni-hamburg.de der Fragestellung nachgegangen, welche Alltags- vorstellungen Lehrer und Schüler zu einer Tren- nungsangst und Schulphobie haben. Die Fragestel- PROF. DR. ANNEMARIE FRITZ lung wird anhand selbst konzipierter Fragebögen FB Bildungswissenschaften der überprüft. Universität Duisburg-Essen Untersuchung 3 dokumentiert vier Fallstudien in Campus Essen Hinblick auf die Interventionsmöglichkeiten schul- Universitätsstr. 1 vermeidender Schüler mit dem Ziel einer erfolgrei- chen Wiedereingliederung von der Klinikschule in 45117 Essen die Regelschule. fritz-stratmann@uni-due.de 312 Seiten, ISBN 9783-389967-710-2, DR. LARS BALZER Preis: 30,- Euro Eidgenössisches Hochschulinstitut für PABST SCIENCE PUBLISHERS Berufsbildung (EHB) Eichengrund 28, 49525 Lengerich, Kirchlindachstr. 79 Tel. ++ 49 (0) 5484-308, Fax ++ 49 (0) 5484-550, CH-3052 Zollikofen E-Mail: pabst.publishers@t-online.de Schweiz www.pabst-publishers.de evaluation@lars-balzer.info www.psychologie-aktuell.com
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