MEDIUM & MESSAGE ÜBER DIE BEDEUTUNG VON MEDIEN FÜR JUGENDLICHE HEUTE

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MEDIUM & MESSAGE ÜBER DIE BEDEUTUNG VON MEDIEN FÜR JUGENDLICHE HEUTE
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ÜBER DIE BEDEUTUNG VON MEDIEN FÜR JUGENDLICHE HEUTE

VON TOBIAS BRAUNE-KRICKAU

1. EINLEITUNG: EINGEBOREN ODER                        immer wieder einen roten Faden: Man ist und
                                                      bleibt Teil seiner Generation. Über diesen Schatten
   ZUGEWANDERT?
                                                      kann man nicht springen, nur lernen zu verstehen.
„Damit begann mein letzter zögerlicher Schritt in     „… für immer 28 Jahre alt, oder besser, für immer
die Moderne: Ich gab das Schreiben mit der Hand,      1957.“ Und was ist es, was hier die Generationen-
vielmehr mit Federhalter und Tinte, auf und be-       grenze markiert? Es sind, nicht allein, aber eben
gann, alles zu tippen, Briefe, Tagebücher, Bücher.    doch zentral: Medienerfahrungen. Noch einmal
Dabei bin ich auch geblieben, für immer 28 Jahre      Dahrendorf: „Nun bin ich, wie die geneigte Leserin
alt, oder besser, für immer 1957; nicht nur habe      und sicher auch der Leser bald feststellen werden,
ich nie mit Computern umzugehen gelernt, viel-        in meinen Gewohnheiten ziemlich vormodern,
mehr machte ich sogar vor elektrischen Schreib-       ohne e-mail-Adresse, ja überhaupt vor-
maschinen Halt. Daher habe ich mehr als vierzig       elektronisch, wenn nicht sogar vor-elektrisch. In
Jahre später die größten Schwierigkeiten, die rich-   meinen Haltungen und Meinungen andererseits
tigen Farbbänder zu finden, geschweige denn funk-     bin ich entschieden modern, allerdings klassisch
tionierende mechanische oder (wie ich sie nenne)      modern, Immanuel Kant, Adam Smith, den Autoren
»Dampf«-Schreibmaschinen aus zweiter oder             der Federalist Papers und anderen des aufgeklär-
zehnter Hand, wenn bei dem vom Zweifingertip-         ten, liberalen 18. Jahrhunderts verpflichtet.“ (Dah-
pen ramponierten Gerät ein Buchstabe zerbricht        rendorf 2004, 7)
oder sonst ein Teil versagt.“ (Dahrendorf 2004, 21)
                                                      Ganz offenbar fand in den achtzig Jahren dieses
Diese Worte stammen aus der Feder – oder besser       Lebens ein enormer Wandel statt, ein Wandel der
aus der Schreibmaschine – von Lord Ralf Dahren-       MEDIENTECHNOLOGIE und damit auch ein
dorf, dem bekannten Sozialwissenschaftler und         Wandel in dem, was man Erfahrung und MENTA-
großen Liberalen, 1929 geboren, im Juni dieses        LITÄT nennen könnte. Und in der Tat: Welcher
Jahres verstorben. In seiner sehr bemerkenswerten     heute 18-Jährige kann sich vorstellen, dass erst im
Autobiographie verbindet er den sensiblen Blick       kalten Januar 1984, also vor 25 Jahren, in Ludwigs-
des Soziologen mit der feinsinnigen Ausdrucks-        hafen ein Projekt an den Start ging, das die (damals
kunst eines Literaten. Und neben vielen Themen,       ja noch west-)deutsche Medienlandschaft von
Begegnung und Beobachtungen entdeckt man              Grund auf verändern sollte: Der erste lokale Pilot

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MEDIUM & MESSAGE ÜBER DIE BEDEUTUNG VON MEDIEN FÜR JUGENDLICHE HEUTE
versuch mit privatem Fernsehen, genannt „Kabelpilot-        Selbstverständlichkeit derer erlangen, die hier schon
projekt Ludwigshafen“ (Schrag 2006, 170). Inzwischen        immer heimisch waren (Palfrey/Gasser 2008, 1–18).          2
haben sich aus diesen Kellerstudios jene Medienkon-
zerne des Privatfernsehens entwickelt, die mit tausen-      Worin genau aber liegen eigentlich die Unterschiede
den von Mitarbeitern jährlich Milliarden umsetzen und       zwischen den Digital Natives und den Digital Immig-
so die öffentlich rechtlichen Sendeanstalten weitge-        rants? Was macht den Erfahrungs- und Mentalitäts-
hend in den Schatten gestellt haben.                        wandel aus? Wie gravierend ist er wirklich? Und vor
                                                            allem: Was sind überhaupt Medien?
Vom Internet einmal ganz zu schweigen. Was heute –
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zumindest für junge Menschen, aber zunehmend auch           Solche Fragen füllen inzwischen Bibliotheken. Ohne
für ältere – ganz selbstverständlich ist: Email, Chat,      tiefer in die fachwissenschaftlichen Diskussionen ein-
Blogs, Twitter, Google, Wikipedia, Ebay, Amazon, MyS-       zusteigen, kann man wenigstens zwei Dinge festhalten:
pace, StudiVZ, MP3, i-Tunes … trat seinen Siegeszug         Erstens: MEDIEN SIND KOMMUNIKATIONSMITTEL
erst vor etwa 15 Jahren an (Hafner/Lyon 2000). Google       und zweitens: MEDIEN STECKEN PRAKTISCH IN
beispielsweise ging erst im Jahr 1998 als erste Testver-    ALLEM. Daher kommt auch der etwas merkwürdige
sion ins Netz, Ebay kam erst um das Jahr 2000 nach          Umstand, dass, wenn man über Medien redet, eigent-
Europa, StudiVZ entstand im Jahr 2005. Inzwischen           lich fast immer beide Seiten irgendwie recht haben: Die
werden bei Ebay alle 14 Sekunden ein Handy und alle 2       Optimisten und die Pessimisten, die Euphoriker und die
Minuten ein Notebook verkauft, im StudiVZ sind derzeit      Kritiker. So kann man beispielsweise den Abbruch von
bereits 14 Millionen Nutzer registriert und nach Selbst-    verlässlichen Beziehungen beklagen oder den Gewinn
auskunft kommen jede Woche neue im sechsstelligen           neuer Vernetzung loben. Man kann anprangern, dass
Bereich hinzu.
               1                                            der Tiefgang der Oberflächlichkeit zum Opfer fällt oder
                                                            andererseits die neuen Wissens- und Gestaltungsfor-
Die beiden Juristen und Medienwissenschaftler John          men begrüßen. Man kann die neuen Medien als Kataly-
Palfrey und Urs Gasser legen daher in ihrem Buch            sator von Gewalt beschreiben oder auch als befreien-
„Born Digital: Understanding the First Generation of        des Potential für neue soziale Bewegungen. Man kann
Digital Natives“ (dt.: Generation Internet) nahe, für die   die Religion im anonymen Individualismus des World
Generation, die seit den achtziger Jahren geboren wur-      Wide Web verschwinden sehen oder von neuem auf-
de, eine gewichtige Unterscheidung einzuführen: Die         erstehen in den Chancen von digitalen Verkündigungs-
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Unterscheidung von DIGITAL NATIVES und DIGITAL              formen.
IMMIGRANTS. Die einen, die Digital Natives, sind die
nach 1980 und damit direkt ins digitale Zeitalter hinein    Diese Diskrepanz hat damit zu tun, dass Medien – ähn-
Geborenen. Sie mussten sich Kompetenzen, wie etwa           lich wie eine Färbung in einem Bild – in praktisch allem
das Schreiben von Emails, das Einkaufen im Netz, oder       stecken: In den Formen von Beziehungen, im Suchen
die Suche nach Information im World Wide Web nicht          von Identität, in der Gestaltung von Politik, im Wohl
erst mühsam nachträglich aneignen. Sie sind in den          und Wehe der Wirtschaft… Deswegen ist es hilfreich,
selbstverständlichen Umgang mit den digitalen Medien        Medien zunächst einmal als Kommunikationsmittel zu
hineingeboren. Die Digital Immigrants dagegen sind          verstehen. Durch Medien wird kommuniziert. Das ha-
jene, die vor 1980 geboren sind und die im Land der         ben Buch, Telefon und Internet gemeinsam. Die Unter-
Bits und Bytes nur Einwanderer sind. Vielleicht mögen       schiede liegen hauptsächlich darin, wer mit wem und
sie die Sprache und die Umgangsformen dieser neuen          auf welche Art kommuniziert: Mündlich, schriftlich,
Umgebung recht gut erlernen. Nie aber werden sie die

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                                                             Überblicke bieten beispielsweise die Aufsätze Schött-
                                                            ker 2003a und 2003b.
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 Zu Ebay: http://de.wikipedia.org/wiki/Ebay Zu Stu-          Ein kurzer Abriss über die normativen Positionen zum
diVZ: http://www.studivz.net/l/about_us/1                   Thema Medien findet etwa in Süss 2004, 15–20.

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durch Bilder oder Filme; Einzelne untereinander oder       2.1 DAS EIGENE LEBEN LERNEN: MEDIEN
Gruppen mit Einzelnen, Institutionen mit Gruppen usw.                                                                  3
                                                           ALS SOZIALISATIONSFAKTOR
Ein solches Verständnis von Medien führt zu einer
Grundeinsicht, die im Gerangel zwischen Medieneu-          These: Medien sind in unserer heutigen Gesellschaft zu
phorie und –kritik manches mal unterzugehen droht:         einem ungemein prägenden Faktor beim Erwachsen-
Als „Gebrauchsgegenstand zur Kommunikation“ sind           werden geworden. Sie haben sich in den vergangenen
Medien zunächst einmal – wie alle anderen Gebrauchs-       Jahren und Jahrzenten einen Platz neben Elternhaus,
gegenstände auch – neutral. Erst der konkrete Ge-          Schule, Gemeinde, Verein, Freundeskreis etc. erarbeitet,
brauch lässt aus dem neutralen Medium etwas Gutes          der kaum überschätzt werden kann. Um sich in unserer
oder Schlechtes entstehen: Mit Hilfe der Medien kann       Welt zu Recht zu finden, brauchen junge Menschen
die NPD neue Mitglieder anwerben und ihr altbackenes       deshalb Medienkompetenz.
Image abschütteln und mit denselben Medien können
christliche Hilfswerke Spenden und Mitarbeiter dafür       Um für einen Moment etwas weiter auszuholen: Im
gewinnen, dem Elend in aller Welt abzuhelfen.              Unterschied zu Tieren kommt der Mensch bekanntlich
                                                           relativ „unvollkommen“ zur Welt. Da er sich weit weni-
Will man nun über „Jugendarbeit im digitalen Zeitalter“    ger durch Instinkte in der Welt zu Recht finden kann, ist
nachdenken, dann hilft es daher wenig, mit pauschalen      er von Anfang an auf die Zuwendung seiner menschli-
Schwarz-Weiß-Beschreibungen zu hantieren. Eine An-         chen Umgebung angewiesen. Lange Jahre verbringt der
näherung an das Thema kann nur so gelingen, dass           Mensch damit, all die Feinheiten zu erlernen, die es
man jeweils einzelne Bereiche betrachtet, in denen         braucht, um sich eines Tages in der Welt der Erwachse-
durch Medien kommuniziert wird und dort jeweils neu        nen – man könnte sagen: in der Gesellschaft – sicher
überlegt, welche Gebrauchsweisen von Medien hilf-          bewegen zu können. Den Prozess, in dem der Mensch
reich und weniger hilfreich sind. So kann in der Jugend-   durch Anschauung und Erklärung lernt, wie das Leben
arbeit eine sowohl konstruktive als auch kritische Be-     funktioniert, nennt man auch Sozialisation (Tillmann
gleitung von Heranwachsenden aus christlicher Pers-        2007). Dabei kann man noch einmal zwischen den „So-
pektive gelingen.                                          zialisatoren“ (manchmal auch: „Sozialisationsfakto-
                                                           ren“) auf der einen Seite, also jenen, die die heran-
                                                           wachsende Person mit den Normen, Werten, Um-
                                                           gangsweisen, Rollen usw. der Gesellschaft vertraut
2. WARUM MEDIEN FÜR JUGENDLICHE
                                                           machen, und den „Sozialisanden“ auf der anderen
   ÜBERHAUPT SO BEDEUTSAM SIND
                                                           Seite, also den „Neuankömmlingen“ unterscheiden. Die
                                                           Sozialisatoren kann man wiederum noch einmal in zwei
Wenn eine Unterscheidung wie die zwischen Digital
                                                           Gruppen aufteilen: „Sozialisationsinstanzen“ nennt
Natives und Digital Immigrants überhaupt einen Sinn
                                                           man Personen oder Institutionen, die sich die Gestal-
haben soll, dann muss man angeben können, warum
                                                           tung von Sozialisation explizit zum Ziel gemacht haben,
die neuen Medien für Jugendliche überhaupt so eine
                                                           also z.B. Eltern, Schulen, Jugendeinrichtungen etc. Sie
Bedeutung haben. Was sind die Knotenpunkte, an
                                                           verfügen mit ihrem Auftrag zur Sozialisation auch über
denen die medialen Möglichkeiten ihre Wirkungen im
                                                           Sanktionsmittel, d.h. Möglichkeiten zur Bestrafung
Leben der jungen Generation entfalten? Erst von daher
                                                           oder Belohnung. „Sozialisationsagenten“ nennt man
kann dann deutlich werden, warum es zu so einem
                                                           hingegen Personen oder Institutionen, die sozialisie-
gewichtigen Unterschied zwischen denen kommt, die in
                                                           rend wirken, ohne dass sie dazu einen speziellen Auf-
das digitale Zeitalter hineingeboren wurden und denen,
                                                           trag hätten. Das ist z.B. die Wirtschaft, insbesondere
die erst nachträglich eingewandert sind. Zumindest drei
solcher Knotenpunkte lassen sich hier ausmachen.

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durch die Werbung, die Gruppe der Gleichaltrigen,            Beziehungen? Durch Popsongs, die ganz ähnliche The-
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Freundeskreise und nicht zuletzt die Medien.                 men verhandeln usw.                                         4

Die Geschichte der Modernisierung ist nun unter ande-        Wer Kinder und Jugendliche vor Medien abschotten
rem davon geprägt, dass neben dem engen Kreis der            möchte, der unterschätzt nicht nur die Gewitzheit, mit
(Groß-)Familie immer mehr Sozialisationsfaktoren hin-        der sie sich am Ende ohnehin das verschaffen, was sie
zukommen: Zunächst der außerfamiliäre Betrieb, dann          wollen, er übersieht auch, dass Sozialisation keine Ein-
mit Etablierung der Schulpflicht immer stärker auch die      bahnstraße ist. Das erkennt man schon am Beispiel der
Bildungseinrichtungen. Genauso dann auch Vereine             Eltern: Natürlich sind sie ein ganz entscheidender Sozia-
und andere Einrichtungen des öffentlichen Lebens, mit        lisationsfaktor. Aber das heißt noch lange nicht, dass
dem größer werdenden Eigengewicht der Jugendkultur           die Kinder am Ende genauso werden, wie ihre Eltern.
auch die Gruppe der Gleichaltrigen. Und schließlich mit      Im Gegenteil: Sozialisation bedeutet, das Leben in Aus-
der massenhaften Verbreitung der neuen Medien                einandersetzung mit den vielfältigen Sozialisationsfak-
ebendiese. JUGENDLICHE KÖNNEN UND MÜSSEN                     toren zu lernen. Man kann als Jugendlicher Dieter Boh-
SICH ALSO AN IMMER MEHR SOZIALISATIONS-                      len & Co. durchaus negativ beurteilen. Entscheidend
FAKTOREN ORIENTIEREN, UM DAS LEBEN IN DER                    wichtig ist aber, sie immerhin zu kennen, weil sie – egal
GEGENWÄRTIGEN WELT ZU LERNEN.                                was man von ihnen hält – ein wichtiger Teil unserer
                                                             Gesellschaft sind.
Man kann heute davon ausgehen, dass die Medien für
Heranwachsende ein immer bedeutenderer Sozialisati-
onsfaktor werden (Süss 2004). Hier lernt man Entschei-
dendes darüber, wie die Welt funktioniert. Das müssen        2.2 DIE EIGENE JUGEND AUSLEBEN: MEDIEN
nicht einmal die großen Nachrichten sein oder die            UND DIE ENTSTEHUNG DER JUGENDPHASE
Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten. Soziali-
sation durch Medien funktioniert viel subtiler: Durch        These: Die Lebensphase Jugend, wie wir sie heute ken-
Talkshows, in denen man lernen kann, was angesagt ist        nen, besteht noch nicht lange. Sie hat mittlerweile eine
und was nicht; durch Talentshows, in denen man sieht,        Eigenständigkeit erlangt, wie sie in der Geschichte wohl
was man drauf haben muss, um bestehen können;                noch nie da war: Eigene Fernsehsender, Modelabels,
durch Filme, die dem Zuschauer suggestive Rollenan-          Einkaufsketten usw. Die Medien haben einen großen
gebote machen. Was heißt es ein Mann zu sein? Was            Anteil an dieser Entwicklung. So gesehen haben sie das
ist heute weiblich? Was heißt Erfolg? Wie führt man          Bild von Jugend, das wir heute haben, entscheidend mit
                                                             geprägt.

                                                             Die Jugend als eigenständige Lebensphase ist letztlich
                                                             eine Erfindung der Neuzeit (Hornstein 1965; Gillis
4
  Es gibt natürlich auch ganz andere Einteilungen. Der       1994). Natürlich gab es schon immer einen Übergang
bekannte Jugendforscher Klaus Hurrelmann unter-              vom Kind zum Erwachsenen. Dieser war jedoch früher
scheidet beispielsweise nicht zwischen Instanzen und         recht kurz oder sogar manchmal ein nur durch ein Ri-
Agenten, sondern nach der Bedeutung der unterschied-         tual abgegrenzter Übertritt von Kindheit ins Erwachse-
lichen – wie er sich ausdrückt: Sozialisationsinstanzen.
                                                             nenalter. Vieles deutet z.B. darauf hin, dass zu bibli-
Demnach sind die primären Sozialisationsinstanzen
Familie, Verwandtschaft, Freunde, sekundäre sind Kin-        schen Zeiten die Kindheit mit der Heirat endete, d.h.
dergarten, Schule, weitere Bildungseinrichtungen und         mit der Loslösung vom Elternhaus und der Gründung
tertiäre Gleichaltrige, Freizeitorganisationen und Me-       einer eigenen Familie. Das fand in der Regel zwischen
dien (Hurrelmann 2006, 32ff.). Es stellt sich bei dieser     12 und 14 Jahren statt. In nachexilischer Zeit kommt
Einteilung aber die Frage, ob es heute tatsächlich so ist,   mit dem heute im Judentum „Bar Mizwa“ genannten
dass die Bedeutung etwa der Medien noch nach der
                                                             Brauch zusätzlich ein Übergangsritual hinzu: Mit drei-
Schule kommt. Von daher bevorzuge ich die etwas
neutralere Aufteilung von Tillmann 2007, die eher nach       zehn Jahren werden die Kinder in die Synagoge ge-
der Funktion als nach der Bedeutung fragt.                   bracht und gesegnet. Fortan waren sie voll für ihre

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Taten verantwortlich und durften – sofern sie männli-      Jugendliche hindurchmüsse, um schließlich die Identi-
chen Geschlechts waren – an allen religiösen Vollzügen     tät und Moral zu entwickeln, die dem modernen Bürger      5
teilnehmen (Kunz-Lübcke 2006; Blenkinsopp 1997;            zukommen sollte. Einer von Eriksons Nachfolgern, J.E.
Stemberger 2002).                                          Marcia, nannte das etwas pathetisch die „erarbeitete
                                                           Identität“, im Gegensatz zu den wertlosen Formen
Die Lebensphase Jugend ist aber heute nicht nur länger     einer bloß „übernommenen“ oder „diffusen Identität“
als früher, auch ihre Funktion hat sich bedeutend ver-     (Marcia 1993).
ändert. Das, was wir heute gemeinhin unter dem Be-
griff Jugend verstehen, findet sich prototypisch ers-      Das Recht auf eine solche „Sinn- und Orientierungskri-
tmals in Jean-Jacque Rousseaus Bildungsroman „Emile“       se“ wird den Jugendlichen heute (d.h. spätestens seit
aus dem Jahr 1762. Darin bricht er mit dem bis dahin       1968) weitestgehend selbstverständlich zugesprochen.
gültigen ständischen Ideal von Erziehung. Dieses funk-     Jugendliche müssen sich ausleben, auch mal über die
tionierte grob gesagt nach dem Modell „Blaupause“:         Strenge schlagen, sollen sich ausprobieren. Auf der
Die Heranwachsenden sollten möglichst genau die            Grundlage eines solchen gesellschaftlichen Common
Fertigkeiten, Ideale und Verhaltensregeln des jeweili-     Sense konnte die Jugend als eigenständige Lebenspha-
gen Standes erlernen, um sie später einmal sicher rep-     se prächtig gedeihen. So prächtig, dass es heute mehr
roduzieren können (Lenhart/Stohner 1983). Demgege-         oder weniger normal ist, dass schon junge Erwachsene
nüber bringt Rousseau ein Erziehungsideal in Anschlag,     zugeben müssen, im Grunde nicht mehr richtig zu ver-
das vielfach als bürgerlich und aufklärerisch bezeichnet   stehen, was in den aktuellen Jugendkulturen und –
wurde: Ihm geht es darum, dass der junge Mensch sein       szenen so vor sich geht. Jugendliche haben heute eine
volles Potential entfaltet und zu sich als einzigartiger   ganz eigene Lebenswelt zur Verfügung, in der sie sich
Persönlichkeit findet. Es geht weniger um den Erhalt       nach Belieben austoben und ausprobieren können.
der Großgruppe und ihrer Normen, sondern vielmehr
um das Individuum und seine Entfaltung. Der Nutzen         Möglich machen das nicht zuletzt die Medien, die gera-
der Jugend für die Gesellschaft liegt sogar in ihrem       dezu wie geschaffen sind für Bedürfnisse der jungen
Anderssein. Denn jeder Jugendliche trägt nach Rous-        Menschen. Durch sie können sie sich untereinander
seau den Keim des Neuen bereits in sich und soll ein       vernetzen und einen gemeinsamen Lebensstil pflegen.
Erneuerer werden zum Fortschritt der Gesellschaft.         Durch sie werden die jeweils aktuellen Stars und Stern-
                                                           chen der Unterhaltungsindustrie live in die Kinder- und
Hier bricht sich das Bahn, was in der heutigen Fachlite-   Jugendzimmer gebracht. Durch sie entsteht ein ganzes
ratur gerne „Jugend als Moratorium“ genannt wird. Das      Universum aus Zeichen, Bildern und Klängen, in dem
heißt: Jugend als eine Schonzeit vor und außerhalb der     sie ihre Jugend ausleben und eigenständig gestalten
                                                                   5
Gesellschaft zur Entwicklung, Selbstfindung, Erprobung     können.
und Identitätsentwicklung. Der Jugendliche hat nun ein
Anrecht darauf, dass ihm belastende Erfahrungen und        Ein gutes Beispiel dafür ist der Musiksender MTV. 1981
Zwänge des Erwachsenenlebens erspart bleiben. Der          gegründet, ist die Sendergruppe nach eigenen Angaben
bekannt Entwicklungspsychologie Erik H. Erikson gibt zu    „heute das größte TV-Network der Welt und die füh-
dieser Sicht der Jugendphase die klassische Definition:
„Ein Moratorium ist eine Aufschubperiode, die jeman-
dem zugebilligt wird, der noch nicht bereit ist, eine      5
                                                             Dass die Medien schon in der frühsten Phase der
Verpflichtung zu übernehmen, oder die jemandem             Jugendkultur eine bedeutende Rolle spielt, zeigen bei-
aufgezwungen wird, der sich selbst Zeit zubilligen soll-   spielsweise die Ausführungen von Savage 2008, S. 56-
te. Unter einem psychosozialen Moratorium verstehen        64, über die Entstehung der Hooligans in England und
                                                           Amerika in den Jahren nach 1870. Ihr provokantes
wir also einen Aufschub erwachsener Verpflichtungen
                                                           Auftreten war für die Zeitungen ein gefundenes Fres-
oder Bindungen…“ (Erikson 1974, 161) Erikson betonte
                                                           sen und ihre reißerischen Beschreibungen wirkten
in seinen Schriften zur Jugendphase die Notwendigkeit      ihrerseits zurück auf die Selbstwahrnehmung und
einer Identitäts- und Orientierungskrise, durch die der    schließlich Selbstinszenierung einer ganzen Jugendge-
                                                           neration.

                                                                                                                     5
6
rende Multimedia-Marke für 12- bis 34-Jährige.“ MTV        wege zu kennen, wird daher für Jugendliche zur unab-
erreicht sage und schreibe 481,5 Mio. Haushalte in 179     dingbaren Voraussetzung, später einmal den eigenen         6
Ländern – und das mit einem Format, das speziell auf       Platz in der Gesellschaft zu finden.
Jugendliche zugeschnitten ist (Vgl. dazu Kurp et al.
2002). Ähnliches gilt für das auflagenstärkste deutsche    Nicht zuletzt in beruflicher Hinsicht wachsen Jugendli-
Jugendmagazin „Bravo“, das mit einer wöchentlichen         che heute in einer ganz anderen Situation auf, als es
Auflage von ca. 464.000 Exemplaren unter die Leute         noch für die Generation ihrer Eltern der Fall war. Viele
gebracht wird und damit einen ähnlichen Verbrei-           von ihnen hatten noch den Schwung der Aufbaujahre
tungsgrad besitzt wie die Wochenzeitung „Die ZEIT“. In     nach dem Krieg im Rücken. Der Wohlstand stieg be-
solchen Jugend-Medien – und natürlich genauso in den       trächtlich an und immer größere Bevölkerungsgruppen
weniger am Mainstream orientierten Organen – wird          konnten davon profitieren. Zugleich waren die Arbeits-
die jugendliche Lebenswelt als eigenständiger Kosmos,      verhältnisse zwar nicht unbedingt einfach, aber doch
abgegrenzt sowohl von der Kinderzeit als auch von der      zumindest noch recht übersichtlich. Heute leben Ju-
Welt der Erwachsenen, etabliert.                           gendliche zwar immer noch in dem Wohlstand, den die
                                                           vorangegangenen Generationen erarbeitet haben,
Auf das Thema dieses Newsletters zugespitzt: EIN           merken aber zunehmend, wie fragil und zerbrechlich
WICHTIGER GRUND FÜR DIE GROßE BEDEUTUNG                    dieser ist. Neue Formen von Verunsicherung machen
DER MEDIEN FÜR JUGENDLICHE LIEGT DARIN,                    sich breit angesichts von konstant hohen Arbeitslosig-
DASS IN UNSERER GESELLSCHAFT DIE JUGEND-                   keitszahlen, immer neuen Unternehmenspleiten und
PHASE ALS MORATORIUM VERSTANDEN WIRD                       zuletzt der Finanz- und Wirtschaftskrise (Braune-
UND DIE MEDIEN MAßGEBLICH DARAN MITWIR-                    Krickau 2008).
KEN, EINE JUGENDLICHE LEBENSWELT ZU ER-
RICHTEN, IN DER EBEN DIES AUSGELEBT WERDEN                 Damit hängt ein Trend zusammen, den viele Soziologen
KANN. Auch hier liegt es auf der Hand, dass Jugendli-      unter dem Stichwort fassen: von der Industrie- zur
che um den aktiven Gebrauch von Medien kaum herum          Informationsgesellschaft (Krücken 2007). Lebte der
kommen, wenn sie die Aufgabe, die die Gesellschaft         Aufschwung nach dem Krieg noch maßgeblich von dem
ihnen stellt – nämlich die Erarbeitung einer eigenen       Florieren bestimmter exportträchtiger Industriezweige,
Identität – nachkommen wollen.                             geraten gerade diese in den letzten Jahrzehnten mehr
                                                           und mehr in die Krise. Selbst Hochtechnologiefirmen
                                                           wie Nokia schließen ihre Produktionsstandorte in
                                                           Deutschland und ziehen weiter in Länder, in denen sich
DEN EIGENEN PLATZ FINDEN: JUGENDLICHE                      die Produktion auf Grund von niedrigeren Löhnen und
IN DER INFORMATIONSGESELLSCHAFT                            Sozialabgaben wesentlich billiger realisieren lässt. Da-
                                                           mit droht ein Großteil des wirtschaftlichen Sektors
These: Die westlichen Gesellschaften sichern ihren         wegzubrechen, in dem Menschen mit eher geringer
Wohnstand inzwischen in hohem Maße durch wissens-          beruflicher Qualifikation angestellt werden. Was den
basierte Berufe. Sie verdrängen mehr und mehr die          hoch entwickelten westlichen Gesellschaften in der
alten Industrie- und Handwerksbetriebe. Schon in der       internationalen Konkurrenz bleibt, ist die Konzentration
Schule wird deshalb darauf wert gelegt, bestimmte          auf die Wirtschaftsbereiche, die ein hohes Maß an
Kernkompetenzen zu erwerben, die es einem ermögli-         Wissen voraussetzen. Hier haben Sie nach wie vor
chen, sich flexibel in verschiedensten Wissensfeldern zu   enorme Standortvorteile, während die Kosten für die
Recht zu finden. Auch diese Entwicklung haben die          Produktion zum Beispiel von Textilien, Möbeln etc. im
Medien entscheidend befördert. Ihre Kommunikations-        internationalen Vergleich nicht mehr konkurrieren
                                                           können. Denn in Bezug auf die einfache Arbeitskraft
                                                           haben westliche Gesellschaften kaum Chancen, sich
6                                                          gegen Länder zu behaupten, in denen Dumpinglöhne
http://www.mtvnetworks.de/scripts/contentbrowser.p         zur Normalität gehören. Und gleichzeitig haben in zu-
hp3?ACTION=showSub&SubID=27&plugin=

                                                                                                                      6
nehmend globalisierten Zeiten die nationalen Regie-         und gerne beklagt wird, für die Jugendlichen selbst
rungen kaum effektive Mittel in der Hand, um Unter-         auch eine wichtige Funktion: Er ist ein Teil der Vorbe-    7
nehmen dazu zu bewegen, im eigenen Land zu bleiben          reitung darauf, einmal den eigenen Platz in der Infor-
und nicht mit ihren Arbeitsplätzen in die günstigeren       mations- oder Wissensgesellschaft zu finden. Die Ju-
Regionen abzuwandern.                                       gendlichen wissen intuitiv, dass der kompetente Um-
                                                            gang mit Medien für ihren späteren beruflichen Wer-
Was zurückbleibt ist eine Gesellschaft, die ihren Wohl-     degang von entscheidender Bedeutung ist. Das fängt an
stand mehr und mehr durch stark wissensbasierte             bei der ansprechenden grafischen Gestaltung der eige-
Berufe sichern muss. Nicht zuletzt deshalb legt die         nen Bewerbungsunterlagen, geht über den gekonnten
Politik so viel Wert darauf, dass möglichst viele junge     Einsatz von PowerPoint für Präsentationen aller Art
Menschen ihr Abitur machen und Zugang zum Studium           und reicht bis hin zu dem weiter wachsenden Stellen-
erhalten. Gleichzeitig konzentriert man die schulischen     markt in den Bereichen Computertechnik, Software-
Lehrpläne bereits immer früher auf die sogenannten          und Internetentwicklung, sowie Mediengestaltung.
Kernkompetenzen. Die Schülerinnen und Schüler sollen        Dass in einer solchen Situation Leute wie der Apple-
weniger einen festen Kanon von Wissensbeständen             Gründe Steve Jobs oder der Facebook-Gründer Mark
vermittelt bekommen, sondern in erster Linie die me-        Zuckerberg zu Vorbildern werden, verwundert wenig.
thodischen Fähigkeiten, die es braucht, um sich selbst-     Sie hatten eine zündende Idee und machten aus ihrer
ständig in immer neue Wissensgebiete einzuarbeiten.         Medienkompetenz bares Geld. Letztgenannter Mark
So ist etwa der Umgang mit Literatur längst kein Selbst-    Zuckerberg, ein gerade einmal 25jähriger Studienabb-
zweck mehr, sondern ein Beispiel, an dem Basiskompe-        recher, verkaufte 2007 für 240 Millionen Dollar 1,6% (!)
tenzen wie Textverstehen und –reproduktion gelernt          seines Unternehmens an Microsoft und gilt mit einem
werden können. Entsprechend geben die westlichen            geschätzten Privatvermögen von 1,5 Milliarden Dollar
Regierungen recht hektisch reihenweise wissenschaftli-      als jüngster Milliardär der Welt.
che Untersuchungen in Auftrag, die solche Kernpoten-
zen überprüfen und international vergleichen sollen.        Von solchen Extrembeispielen einmal abgesehen zeigt
Die bekannten, aber nicht unumstrittenen PISA-Studien       aber schon dieser kurze Gedankengang einen weiteren
sind nur ein Beispiel unter vielen.                         wichtigen Grund, warum Medien für Jugendliche eine
                                                            große Bedeutung haben: SIE WISSEN, DASS EIN
Nicht zuletzt wird im Rahmen dessen auch auf Medien-        KOMPETENTER UMGANG MIT MEDIEN ENT-
kompetenzen wert gelegt. Schon früh sollen die Kinder       SCHEIDENDE BEDEUTUNG FÜR IHREN SPÄTEREN
lernen, mit Computern umzugehen, Vorträge mit vi-           BERUFLICHEN WERDEGANG HAT. So gesehen ist die
suellen Medien zu unterstützen usw. Nicht selten ent-       intensive Beschäftigung mit Medien aller Art auch ein
steht dabei die etwas absurde Situation, dass sich die      Teil der Bemühung, einmal den eigenen Platz in der
Schülerinnen und Schüler in diesen Bereichen als „Digi-     Welt zu finden.
tal Natives“ bereits viel besser auskennen als die Lehre-
rinnen und Lehrer, die ihnen eben dies eigentlich bei-
bringen sollen.
                                                            MEDIUM UND MESSAGE – EINE CHRISTLI-
Aus dieser Perspektive betrachtet, erfüllt der ohne
                                            7
                                                            CHE PERSPEKTIVE
Frage hohe Mediengebrauch der Jugendlichen, der viel
                                                            Wie gesehen ist für die „Digital Natives“ der Umgang
                                                            mit Medien nicht nur längst selbstverständlich gewor-
7
                                                            den. Medien spielen eine wichtige Rolle, wenn es dar-
  Die klassische Quelle für alle, die sich hier genauer
                                                            um geht, das eigene Leben zu lernen, die eigene Jugend
informieren möchten ist die so genannte Jim-Studie,
die vom Medienpädagogischen Forschungsverbund               auszuleben und später einmal den eigenen Platz zu
Südwest herausgegeben wird und im Internet unter            finden.
http://www.mpfs.de/index.php?id=117 zur Verfügung
steht.

                                                                                                                       7
So gesehen kann es in der christlichen Jugendarbeit         Wirklichkeitsgehalt hin prüft: Inwiefern trifft das Ver-
nicht darum gehen, irgendwelche Vermeidungsstrate-          sprechen, das hier gemacht wird, wirklich zu? Inwiefern    8
gien zu fahren oder bloß über „schwarze Listen“ gute        ist derjenige, der dieses Versprechen macht, überhaupt
von schlechten Inhalten zu scheiden und für die Ju-         in der Lage, es auch einzulösen? Christliche Verheißun-
gendlichen vorzusortieren. Wenn Medien tatsächlich in       gen haben ja genau an dieser Stelle ihren entscheiden-
praktisch allem stecken und wir es mit einem so unge-       den Punkt: Sie versprechen nichts, was sie nicht selbst
mein vielschichtigen Feld zu tun haben, dann kann der       auch einlösen (und nicht der Mensch einlösen muss!),
Weg zu einer christlich inspirierten Medienkompetenz        weil der, der die Verheißungen macht, selbst dafür
nur darin zu suchen sein, sich MIT CHRISTLICHEN             sorgt.
WERTEN AUF DIE AKTIVE AUSEINANDERSETZUNG
MIT DEN UNTERSCHIEDLICHEN MEDIENGEHAL-                      Bleibt man also beim Beispiel der Casting-Shows, so
TEN UND –GEBRAUCHSWEISEN EINZULASSEN.                       fällt schnell auf, dass ihre Versprechen kaum die Reali-
                                                            tät in unserer Gesellschaft widerspiegeln. Erfolg und
Ein kurzes Beispiel soll das verdeutlichen und zum ei-      Anerkennung sind eben nicht prinzipiell für jeden mög-
                                  8
genen Weiterdenken anregen. Man braucht gegen-              lich. Stattdessen finden selbst begabte junge Menschen
wärtig nicht einmal allzu lange fernzusehen, um auf         inzwischen häufig keinen Arbeitsplatz mehr. Hier liegt
eine der zahlreichen Castings- und Wettbewerbsshows         im Grunde ein ungeheurer Skandal in unserer Gesell-
zu stoßen. Das Schema ist immer dasselbe: Da ist auf        schaft offen zu Tage, der durch die fraglichen Verhei-
der einen Seite die Jury, der auf Grund irgendwelcher       ßungen der Medienlandschaft vielfach überspielt wird.
Erfolge die Kompetenz zugesprochen wird, über die           Denn nach der Logik der Castingshows ist ja nicht nur
andere Seite, d.h. die Teilnehmer und ihre Fähigkeiten,     Erfolg für jeden möglich – wenn dann „zufällig“ jemand
zu entscheiden. Der Reiz dieser Sendungen besteht in        dennoch keinen Erfolg hat, dann ist er auch noch selbst
erster Linie darin, dass hier nicht irgendwelche Promis     daran Schuld… Der Faden ließe sich ohne weiteres
um die Anerkennung kämpfen, die sie ohnehin schon           weiterspinnen!
innerhaben, sondern dass es „normale“ Leute sind, für
die der Traum von der großen Karriere ganz plötzlich        Solche Überlegungen, die hier natürlich nur exempla-
Wirklichkeit werden könnte. Es braucht keine großen         risch angedeutet werden können, müssen wiederum
analytischen Fähigkeiten um zu erkennen, dass hier          nicht dazu führen, dass man solche Sendungen einfach
den Zuschauerinnen und Zuschauern permanent impli-          schon prinzipiell von den Jugendlichen fernhält. Auch
zite Verheißungen gemacht werden: Die da oben sind          dass sie durchaus sehr unterhaltsam sind, braucht gar
gar nicht so anders als wir alle hier unten; jeder kann     nicht geleugnet zu werden. Jugendarbeit hätte aber die
alles erreichen, wenn er nur will; die ganz große Karrie-   Chance, das, was implizit in den Medien geschieht,
re und das ganz große Glück sind für einen jeden von        immer wieder im Gespräch mit den Jugendlichen expli-
uns zum Greifen nahe usw.                                   zit zu machen, um es so gemeinsam bearbeiten zu
                                                            können. So könnte sie ihrem Auftrag nachkommen,
Das Stichwort „Verheißungen“ wiederum dürfte Chris-         „Medium und Message“ kritisch in Bezug zu einander
ten keineswegs fremd sein. Mit der Verwendung sol-          zu setzen und würde zugleich für Jugendliche im digita-
cher impliziten Verheißungen bewegen sich die Fern-         len Zeitalter an Relevanz gewinnen.
sehsender gewissermaßen ungewollt auf quasi-
religiösem Gebiet. Aus einer christlichen Sicht kann hier
sehr gut angeknüpft werden, indem man die impliziten
Verheißungen, die z.B. in Castingshows – aber bei wei-
tem nicht nur dort – gemacht werden, einmal auf ihren

8
 Wichtige Impulse für den folgenden Gedanken ver-
danke ich dem Aufsatz Gutmann 2000.

                                                                                                                       8
BIBLIOGRAPHIE                                                   Beiträge zur Kindheit im alten Israel und in seinen
                                                                Nachbarkulturen, hg. von Andreas Kunz-Lübcke und        9
                                                                Rüdiger Lux, Leipzig: Evang. Verl.-Anst., S. 165–195.
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Initiative für werteorientierte Jugendforschung am Institut für Ethik &
                                 Werte.
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