Mehr Autonomie oder neue Herausforderung? Arbeiten im Homeoffice aus der Sicht der Beschäftigten
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Mehr Autonomie oder neue Herausforderung? Arbeiten im Homeoffice aus der Sicht der Beschäftigten Prof. Dr. Andreas Zimber & Prof. Dr. Danica Hundt Fachbereich Wirtschaftspsychologie, Hochschule der Wirtschaft für Management (HdWM), Mannheim Zurzeit erleben wir einen Paradigmenwechsel in der Einstellung gegenüber dem Arbeitsort und dem Büro. Bedingt durch die Corona-Krise, ist die Nutzung von Homeoffice schlagartig angestiegen und wird wohl auch künftig auf einem hohen Niveau bleiben. Doch wie gut hat das Arbeiten im Homeoffice aus der Sicht der Beschäftigten bisher funktioniert? Welche Auswirkungen hat es auf das psychische Wohlbefinden und auf die Teamarbeit? Passen sich Beschäftigte unterschiedlich gut an das Arbeiten zuhause an? Studierende des Masterstudiengangs Wirtschaftspsychologie an der Hochschule der Wirtschaft für Management (HdWM) in Mannheim befragten hierzu knapp zweihundert Erwerbstätige ausführlich in einer online-Befragung. Die Studienergebnisse geben zum Teil überraschende Antworten bezüglich der Belastungen im Homeoffice, den Auswirkungen auf Teamarbeit und Wohlbefinden und der Rolle, die individuellen Kompetenzen dabei zukommt. Aus den Erfahrungen der Beschäftigten werden Konsequenzen für den Arbeitsschutz und die Personalentwicklung abgeleitet. Aus Studien zur Telearbeit bereits vor der Zeit der Pandemie wissen wir, dass diese Arbeitsform mit einer Reihe von Vorteilen verbunden sein kann: Neben einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie wurden von den Beschäftigten mehr Autonomie- und Kontrollmöglichkeiten berichtet (Allen at al., 2015; Gajendran & Harrison, 2007). Die Produktivität scheint aufgrund kürzerer Pausen, weniger Krankheitstage und effizienterem Arbeiten zuzunehmen, die Fluktuationsneigung abzunehmen (Kelliher & de Menezes, 2019; Martin & MacDonnell, 2012). Arbeiten im Homeoffice birgt aber auch eine Reihe von Gefahren (siehe Buomprisco et al., 2021; Gajendran & Harrison, 2007; JOEM, 2020): Vorher bestehende Grenzen bzgl. Arbeitszeit und -ort verschwimmen zunehmend („Entgrenzung“). Das Wegfallen von festen Arbeitsabläufen und Zeitvorgaben kann in Mehrarbeit und Überstunden münden. Ebenfalls berichtet werden Gewichtszunahme aufgrund mangelnder Bewegung, Nacken-, Schulter- und Rückenschmerzen durch langes Sitzen und ergonomische Mängel, soziale Isolation, Nicht-Abschalten-Können und Schlafstörungen. Während der Pandemie stellte die Überlagerung der Heimarbeit durch Familienaufgaben eine spezifische Belastung dar. 1 Untersuchungsfragen und -ziele Der Fokus der Untersuchungen war darauf ausgerichtet, folgende Fragen zu beantworten, die in der bisherigen Forschung zur Telearbeit weitgehend offen geblieben sind: Welche Anforderungen und Belastungen im Homeoffice sind für das Wohlbefinden besonders relevant, und in welchen Reaktionen äußert sich dies? Welche Auswirkungen hat Arbeiten im Homeoffice auf die Teamarbeit und die soziale Identität? Gehen durch den reduzierten Kontakt soziale Bindungen verloren (siehe Golden, 2006; Toscano & Zappalà, 2020)? 1
Welche Kompetenzen unterstützen die Bewältigung der Anforderungen im Homeoffice? Kommen z.B. Selbstorganisierte, Resiliente oder Erholungsfähige damit besser klar? Vor dem Hintergrund, dass Arbeiten im Homeoffice wohl auch künftig eine große Rolle spielen wird, haben die Antworten auf diese Fragen Bedeutung für den betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz, das Personalmanagement die Personalentwicklung. 2 Wer wurde befragt? Im Fokus dieses Kurzberichts steht eine insgesamt 161 Fragen umfassende online-Befragung, die von Mai bis Juni 2021 durchgeführt wurde. N=183 Erwerbstätige, davon 117 (63,9%) Frauen und 66 (36,1%) Männer, beantworteten die Fragen vollständig. Die Teilnehmenden waren im Durchschnitt 38,1 (SD=12,7) Jahre alt. Männer und ältere Beschäftigte waren damit unterrepräsentiert. 37 Prozent der Befragten hatten Kinder, bei 23 Prozent lebten Personen unter 18 Jahren im gleichen Haushalt. Die Befragten waren seit 15,7 (SD=13,1) Jahren berufstätig und 9,5 (SD=10,8) Jahre beim aktuellen Arbeitgeber beschäftigt. Etwa 74 Prozent der Befragten waren vollzeitbeschäftigt, 26 Prozent arbeiteten in Teilzeit. 62 Prozent waren in einem größeren Unternehmen, 23 Prozent in einem Kleinunternehmen und 15 Prozent in einem mittelgroßen Unternehmen beschäftigt. Erwerbstätige in Großunternehmen waren damit überrepräsentiert. Fast alle Wirtschaftsbranchen waren in der Stichprobe vertreten: 16% waren in der Metall- und Elektronikbranche, 15% im Gesundheits- und 14% im Bildungssektor tätig. Beschäftigte aus Dienstleistung und Handwerk (6%), Handel und Konsum (4%), Baugewerbe (2%) sowie Tourismus und Gastronomie (1%) waren in der Stichprobe unterrepräsentiert. 3 Angaben zur Arbeit im Homeoffice 141 (77%) der Befragten gaben an, dass ihr Unternehmen Homeoffice eingeführt habe, in neun von zehn Fällen aufgrund der Pandemie und bei knapp zwei Dritteln (65%) als verbindliche Vorgabe. Darüber hinaus fragten wir die Beschäftigen, wie häufig sie zuhause arbeiteten. Während die Befragten vor der Pandemie im Durchschnitt einmal oder seltener pro Woche im Homeoffice tätig waren, stieg die Häufigkeit während der Pandemie auf mehrmals pro Woche an (siehe Abb. 1). 92 Personen (50%) arbeiteten in der Pandemie täglich von zuhause. Wie häufig arbeiten Sie im Homeoffice? … vor der Pandemie … aktuell 1,00 1,50 2,00 2,50 3,00 3,50 4,00 seltener als einmal jeden Tag pro Woche Abb. 1: Häufigkeit im Homeoffice vor und während der Pandemie 2
Aufgrund dieser Angaben ließen sich die Befragten vier Untergruppen zuordnen: Die größte Gruppe arbeitete vor der Pandemie nicht oder selten und während der Pandemie regelmäßig zuhause (Abb. 2). Mit großem Abstand folgte eine Gruppe von Beschäftigten, die weder vor noch während der Pandemie zuhause arbeiteten. Dauer-Telearbeit sowie flexibles Arbeiten im Homeoffice unabhängig von Corona waren ebenfalls vertreten. In der zuletzt genannten Gruppe waren jüngere und Teilzeitbeschäftigte stark repräsentiert. Zwischen den Gruppen gab es sonst keine Unterschiede bezüglich Alter, Geschlecht, Beschäftigungsumfang und Verweildauer im Unternehmen. Untergruppen 10,9 22,4 9,3 57,4 kein Homeoffice vor und während Corona neu im Homeoffice seit Corona schon immer Telearbeiter/in flexibel im Homeoffice unabhängig von Corona Abb. 2: Aufteilung nach Arbeit im Homeoffice In dieser Stichprobe hatten 142 Personen (78%) Homeoffice-Erfahrung und 41 Personen (22,4%) keine Homeoffice-Erfahrung. 4 Belastungen, Arbeitsleistung und Wohlbefinden im Homeoffice 4.1 Wie unterschieden sich die im Homeoffice Beschäftigten von denen, die nicht im Homeoffice arbeiten? Ein breites Spektrum standardisierter Skalen wurde herangezogen, um Anforderungen und mögliche Belastungen im Homeoffice zu untersuchen. Die Betroffenen berichteten eine signifikant höhere Belastung durch die Arbeitsmenge, tendenziell mehr Belastung durch die Entgrenzung der Arbeit und deutlich mehr soziale Isolation (siehe Abb. 3). Bei den anderen Anforderungen und Belastungen waren keine Unterschiede zwischen den Gruppen erkennbar. Wir überprüften darüber hinaus, ob diese Anforderungen und Belastungen in Abhängigkeit von der Häufigkeit des Homeoffice unterschiedlich stark erlebt wurden. Dabei stellte sich heraus: Je häufiger im Homeoffice gearbeitet wurde, desto höhere Belastungen durch die Arbeitsmenge (r = .14; p
Arbeitsbelastungen (Skalen: 1-5) 3,5000 p
4.2 Welche Arbeitsanforderungen im Homeoffice sind für das Wohlbefinden besonders relevant? Irritation, emotionale Erschöpfung und Erholungsmangel wiesen sehr enge Korrelationen auf und wurden daher zu einem Gesamtwert zusammengefasst. Die statistischen Zusammenhänge mit den berichteten Belastungen wurden nach Homeoffice vs. nicht im Homeoffice differenziert . Es zeigte sich, dass den Anforderungen und Belastungen eine unterschiedlich große Bedeutung für Beeinträchtigungen des Wohlbefindens zukam. Letztere korrelierten sehr hoch mit dem Work-Privacy- Konflikt und den quantitativen Anforderungen (siehe Abb. 5). Die Zusammenhänge fielen bei den im Homeoffice Tätigen deutlich geringer aus als bei Beschäftigten, die weiterhin im Unternehmen arbeiteten. Einzige Ausnahme war das Gemeinschaftsgefühl, überraschenderweise im Homeoffice eine größere Bedeutung zukam. Aus diesen Ergebnissen kann vorsichtig geschlossen werden, dass die Arbeitsanforderungen im Homeoffice etwas in den Hintergrund treten. Vermutlich kommt anderen Faktoren, z.B. der familiären oder privaten Situation, mehr Bedeutung für das Wohlbefinden zu. Zusammenhänge zwischen Belastungen und Beeinträchtigungen des Wohlbefindens 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 nicht im Homeoffice (N=41) im Homeoffice (N=142) Abb. 5: Korrelationen mit dem Wohlbefinden(von 0 = kein Zusammenhang bis 1 = maximaler Zusammenhang; sämtliche Korrelationen sind statistisch bedeutsam) 4.3 Hat sich das Wohlbefinden im Laufe der Pandemie verändert? Vergleichsdaten zum psychischen Wohlbefinden lagen aus zwei online-Befragungen aus der ersten Corona-Welle mit N=165 bzw. N=421 erwerbstätigen Teilnehmer/innen vor. Die Stichproben setzten sich vergleichbar mit jener zur dritten Corona-Welle zusammen. Während sich die Vitalität gar nicht und das Stressempfinden nur tendenziell veränderte, zeigte sich bei der dritten Welle eine hochsignifikante Zunahme der emotionalen Erschöpfung und des Erholungsbedarfs (siehe Abb. 6). Demnach hat die fortschreitende Pandemie an den psychischen Ressourcen der Beschäftigten gezehrt. 5
Diese Ergebnisse lassen sich allerdings nicht auf die Erwerbsbevölkerung verallgemeinern, da es sich um nicht-repräsentative Querschnitterhebungen handelt. Veränderungen während der Pandemie 5,5000 5,0000 4,5000 4,0000 3,5000 p < .10 3,0000 p < .01 2,5000 p < .01 2,0000 1,5000 1,0000 Vitalität (Skala: 1-7) Irritation (Skala: 1-7) emotionale Erholungsmangel Erschöpfung (Skala: (Skala: 1-4) 1-4) Mai/Juni 2020 (1. Welle) Mai/Juni 2021 (3. Welle) Abb. 6: Veränderungen des Wohlbefindens (N=165 bzw. N=421 zur 1. Welle vs. N=183 zur 3. Welle) 4.4 Welche Auswirkungen hat das Arbeiten im Homeoffice auf die Teamarbeit? Die Bedeutung der Anforderungen und Belastungen wurde analog zum Wohlbefinden auch für die Teamarbeit überprüft. Subjektive Teamleistung und affektive Teambindung wurden aufgrund der hohen Korrelation wiederum zu einem Gesamtwert zusammengefasst. Quantitative Anforderungen, Work-Privacy-Konflikt und Entgrenzung standen im Homeoffice in keinem nennenswerten Zusammenhang mit der Teameffektivität. Dagegen zeigten sich enge Beziehungen zu den sozialen Stressoren im Homeoffice, allen voran dem Mangel an Gemeinschaftsgefühl (siehe Abb. 7). Wie beim Wohlbefinden waren diese Zusammenhänge im Vergleich zu Beschäftigten, die nicht im Homeoffice arbeiteten, weniger eng, aber dennoch statistisch bedeutsam. 6
Zusammenhänge zwischen Belastungen und Beeinträchtigungen der Teameffektivität 0,45 0,4 0,35 0,3 0,25 0,2 0,15 0,1 0,05 0 Abb. 7: Abb. 5: Korrelationen mit der Teameffektivität (von 0 = kein Zusammenhang bis 1 = maximaler Zusammenhang; die vier letzten Korrelationen sind statistisch bedeutsam) 4.5 Welche Rolle spielten Stimmungslage und Persönlichkeitsmerkmale der Beschäftigten? Aus früheren Untersuchungen wissen wir, dass die Wahrnehmung der Arbeits- und Gesundheitssituation von persönlichen Bewertungstendenzen abhängt. Menschen mit der Neigung, stärker auf negative Reize zu achten („dispositionelle negative Affektivität“) berichteten auch in dieser Studie signifikant mehr Belastung und Beanspruchung durch ihre Arbeit (r=.26 bis r=.51; p
statistischer Kontrolle der Arbeitsbelastungen ein hochsignifikant (p
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