MENSCHENRECHTLICHE RISIKEN IN TEXTILEN LIEFERKETTEN - Sorgfaltspflichten, Verantwortung & Engagement deutscher Unternehmen - Business & Human ...
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` MENSCHENRECHTLICHE RISIKEN IN TEXTILEN LIEFERKETTEN Sorgfaltspflichten, Verantwortung & Engagement deutscher Unternehmen BRIEFING - OKTOBER 2018
INHALT 1. Einleitung: Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für die deutsche Textilwirtschaft 1 2. Menschenrechtsvorwürfe gegen deutsche Textilunternehmen (Juni 2011 bis August 2018) 3 Wo finden die Verletzungen statt? 4 Welche Menschenrechte werden am stärksten beeinträchtigt? 4 Qualität der Unternehmensantworten 5 Schwerpunktthemen bei der Berichterstattung: Moderne Sklaverei und Zwangsarbeit 7 3. Rechtliche Abhilfe bei Menschenrechtsverstößen durch Unternehmen 8 Drei Beispiele für Gerichtsverfahren gegen deutsche Unternehmen: Lidl, KiK und Adidas 10 Außergerichtliche Abhilfemechanismen 11 4. Unternehmerisches Engagement und Multi-Stakeholder-Initiativen für menschenrechtliche Verantwortung in der Textilwirtschaft 12 Im Fokus: Das Bündnis für nachhaltige Textilien 14 5. Handlungsempfehlungen für die Bundesregierung und die deutsche Textilwirtschaft 16 Dieses Briefing wurde ermöglicht durch eine Förderung der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Bildnachweis: Ishan Khosla via flickr: At a Gar- ment's Factory in Delhi (CC BY-NC-ND 2.0)
1. Einleitung: Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für die deutsche Textilwirtschaft 1. Einleitung: Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für die deutsche Textilwirtschaft Der deutsche Textil- und Bekleidungsmarkt ist der ist nicht erst seit dem Unglück in der Bekleidungs- größte Europas1 und spiegelt viele Strukturen die- fabrik Rana Plaza in Bangladeschs Hauptstadt ses stark globalisierten Wirtschaftszweiges wider. Dhaka bekannt, bei dem am 24. April 2013 1135 Deutschland ist zweitwichtigstes Importland für Menschen ihr Leben verloren und 2000 verletzt Bekleidung weltweit, gleich hinter den USA.2 Rund wurden.8 Zahlreiche multinationale Unternehmen 90% der in Deutschland gekauften Bekleidung bezogen von dort Waren, darunter auch solche mit werden importiert, größtenteils aus China, der Tür- Sitz in der Europäischen Union (EU) und Deutsch- kei und Bangladesch.3 Wie die westeuropäische land. Der Umfang und die Auswirkungen dieses und US-amerikanische Konkurrenz lassen viele Industrieunglücks machen Rana Plaza zu einem der großen deutschen Marken- und Handelsun- der bekanntesten Fälle von Menschenrechtsver- ternehmen Kleidungsstücke komplett im Ausland letzungen in der Textilindustrie, doch ist es keines- fertigen und konzentrieren sich auf die (Re-)Dis- wegs ein Einzelfall.9 Zivilgesellschaftliche Orga- tribution der zunächst als Vollimport eingeführten nisationen haben im Laufe der Jahre viele Fälle Produkte.4 Bei den Textilien5, also Garnen, Ge- von Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, weben und ähnlichem, steht Deutschland als Im- die u.a. auch mit den Aktivitäten deutscher Firmen porteur wie auch als Exporteur an weltweit vierter zusammenhängen.10 Tatsächlich beziehen sich Stelle und ist Weltmarktführer im Segment der die meisten der Stellungnahmen (Company Res- sog. technischen Textilien.6 Eine wichtige Rolle ponses), die das Business & Human Rights Re- spielen hier die vielen kleinen und mittleren Unter-source Centre seit 2011 von deutschen Unterneh- nehmen, die teils noch industriell in Deutschland men angefordert hat, auf die Textilwirtschaft (Abb. fertigen. Sie sind auch im Bekleidungssektor tätig 1). Über den Company Response-Mechanismus und tragen dazu bei, dass sich Deutschland bei bittet das Resource Centre Unternehmen, sofern den weltweiten Bekleidungsexporten direkt hinter diese sich in der Sache noch nicht öffentlich geäu- Indien, Italien, Vietnam, Bangladesch und China ßert haben, um Stellungnahme zu Vorwürfen über einreiht.7 China, dies sei noch erwähnt, exportiert Menschenrechtsverletzungen, die z.B. in einem alleine deutlich mehr Bekleidung als alle fünf vor- Bericht aus den Medien oder von Nichtregierungs- genannten Länder zusammen. organisationen (NGOs) erhoben werden. Bericht und Stellungnahme werden nach einer Frist auf Einige der europa- und weltweit umsatzstärksten der Webseite des Resource Centres veröffent- Modefirmen – bekannte Marken mit ein- bis zweistel- licht, gibt das Unternehmen keine Stellungnahme ligen Milliardenumsätzen – haben ihre Zentralen in ab, erfolgt ein entsprechender Vermerk. Deutschland. Dass mit den globalen textilen Liefer- ketten solcher Konzerne wie auch kleinerer Firmen enorme Menschenrechtsrisiken verbunden sind, 1 Bündnis für nachhaltige Textilien (2018): Factsheet, https://www.textilbuendnis.com/wp-content/uploads/2018/02/Factsheet_dt.pdf, 05.07.2018. 2 Statista (2017): Die zehn wichtigsten Importländer für Bekleidung weltweit im Jahr 2016, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/260495/um- frage/wichtigste-importlaender-fuer-bekleidung-weltweit/ [begrenzter Zugriff], 05.07.2018. 3 Statista (2018): Wichtigste Importländer für Kleidung nach Deutschland, https://de.statista.com/infografik/12540/wichtigste-importlaender-fuer-klei- dung-nach-deutschland/, 05.07.2018; Umweltbundesamt (UBA) (2014): Die Textilindustrie in Deutschland, https://www.umweltbundesamt.de/themen/ wirtschaft-konsum/industriebranchen/textilindustrie#textpart-1, 02.07.2018. 4 Ebnet, Michael (2014): Branche im Blickpunkt: Das Textil- und Bekleidungsgewerbe in Europa und Deutschland – Totgesagte leben länger, ifo Schnelldienst 5, 67. Jhg., https://www.cesifo-group.de/DocDL/ifosd_2014_05_3.pdf, 03.07.2018. 5 “Textil-”/”Textilien” wird in diesem Briefing auch als Überbegriff verwendet. Nur wenn Textilien und Bekleidung als technische Begriffe separat auf- geführt werden, so wie hier, sind unter „Textilien“ die noch nicht zu Kleidung etc. verarbeiteten Ausgangsmaterialien zu verstehen. 6 Statista (2017): Die zehn wichtigsten Exportländer für Textilien weltweit im Jahr 2016, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/209828/umfrage/ wichtigste-exportlaender-fuer-textilien/; Ibid.: Die zehn wichtigsten Importländer für Textilien weltweit im Jahr 2016, https://de.statista.com/statistik/ daten/studie/209862/umfrage/wichtigste-importlaender-fuer-textilien/ [begrenzter Zugriff], 05.07.2018; Gesamtverband textil+mode (2017): Mit jeder Faser intelligent. Die deutsche Textil- und Modeindustrie in Zahlen, https://www.verband-textil-bekleidung.de/fileadmin/Daten/Rundschreiben-Wirt- schaft/RS-2017-Wirtschaftspolitik/zahlen2017_web.pdf, 03.07.2018. 7 Statista (2017): Die zehn wichtigsten Exportländer für Bekleidung weltweit im Jahr 2016, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/260492/um- frage/wichtigste-exportlaender-fuer-bekleidung-weltweit/, 05.07.2018. 8 The Guardian (2018): Rana Plaza, https://www.theguardian.com/world/rana-plaza, 05.07.2018. 9 Business & Human Rights Resource Centre (2018): Apparel & textile, https://www.business-humanrights.org/en/sectors/apparel-textile, 05.07.2018. 10 Siehe zum Beispiel Clean Clothes Campaign (2018): Publications from the Clean Clothes Campaign, https://cleanclothes.org/resources/publicati- ons, 05.07.2018. 21
1. Einleitung: Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für die deutsche Textilwirtschaft Technologie, Telekommunikation & Textil Elektronik 35% 12% Finanzen & Banken 10% Chemie 8% Bau 8% Sonstige Automobil 22% 5% Abbildung 1: Anfragen an deutsche Unternehmen nach Sektor 2011-2018 Die im Juni 2011 vom Menschenrechtsrat der Ver- ihre Erwartungen an Unternehmen, insbesondere einten Nationen (UN) einstimmig verabschiedeten im Hinblick auf die Berücksichtigung und Umset- Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte zung von fünf Kernelementen menschenrechtli- (UN-Leitprinzipien) schreiben Unternehmen in all cher Sorgfaltspflicht: ihren Tätigkeitsbereichen einschließlich ihrer Lie- ferketten eine Verantwortung zu, die international Grundsatzerklärung zur Achtung der anerkannten Menschen- und Arbeitsrechte zu re- Menschenrechte spektieren, unabhängig von der Schutzpflicht des Verfahren zur Ermittlung tatsächlicher und po- Staates.11 Die Leitprinzipien etablierten das Prin- tenziell nachteiliger Auswirkungen auf die Men- zip der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht (due schenrechte diligence); um ihrer menschenrechtlichen Ver- antwortung nachzukommen, sollen Unternehmen Maßnahmen zur Abwendung potenziell demnach über ein Verfahren zur Gewährleistung negativer Auswirkungen und Überprüfung der der menschrechtlichen Sorgfaltspflicht verfügen, Wirksamkeit dieser Maßnahmen "das darauf abstellt, die Auswirkungen auf die Berichterstattung Menschenrechte zu ermitteln, zu verhüten und zu mildern sowie Rechenschaft darüber abzulegen, Beschwerdemechanismus15 wie sie diesen begegnen".12 Vor dem Hintergrund der UN-Leitprinzipien emp- In weiteren Ländern in Europa und außerhalb wer- fahl die EU allen Mitgliedstaaten, einen Nationalen den derzeit NAPs entwickelt. Einige wenige Staa- Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte ten haben in diesem Zusammenhang verbindliche (NAP) zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien auf gesetzliche Regelungen zur menschenrechtlichen nationaler Ebene zu verabschieden.13 Seitdem Sorgfaltspflicht erlassen, allen voran Frankreich haben 15 EU-Mitgliedstaaten einen NAP verab- mit dem Loi de Vigilance, mit dessen Hilfe die 100 schiedet, Deutschland im Dezember 2016.14 In bis 150 größten französischen Unternehmen unter Kapitel III des deutschen NAPs spezifiziert die bestimmten Umständen für schwere 11 United Nations Human Rights Office of the High Commissioner (2011): Guiding Principles on Business and Human Rights, http://www.ohchr.org/ Documents/Publications/GuidingPrinciplesBusinessHR_EN.pdf, 05.07.2018. 12 Deutsches Global Compact Netzwerk (2014): Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Umsetzung des Rahmens der Vereinten Nationen „Schutz, Achtung und Abhilfe“, 2. Aufl., https://www.globalcompact.de/wAssets/docs/Menschenrechte/Publikationen/leitprinzipien_fuer_wirtschaft_ und_menschenrechte.pdf, 03.07.2018. 13 European Parliament (2017): Implementation of the UN Guiding Principles on Business and Human Rights, http://www.europarl.europa.eu/RegData/ etudes/STUD/2017/578031/EXPO_STU(2017)578031_EN.pdf, 05.07.2018. 14 Business & Human Rights Resource Centre (2018): National Action Plans, https://www.business-humanrights.org/en/un-guiding-principles/imple- mentation-tools-examples/implementation-by-governments/by-type-of-initiative/national-action-plans, 05.07.2018; UN Human Rights Office of the High Commissioner (2017): State national action plans, https://www.ohchr.org/EN/Issues/Business/Pages/NationalActionPlans.aspx, 03.07.2018. 15 Auswärtiges Amt (2017): Nationaler Aktionsplan. Umsetzung der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte 2016-2020, https://www. auswaertiges-amt.de/blob/297434/8d6ab29982767d5a31d2e85464461565/nap-wirtschaft-menschenrechte-data.pdf , 03.07.2018. 2
1. Einleitung: Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für die deutsche Textilwirtschaft Menschenrechtsbeeinträchtigungen und Umwelt- Resource Centre seit 2011 anlässlich spezifischer schäden haftbar gemacht werden können, auch Menschenrechtsbeschwerden von deutschen Tex- für Vergehen von Tochter- und wirtschaftlich ab- tilunternehmen angefordert hat, u.a. mit Blick auf hängigen Subunternehmen.16 Mit dem Modern die Art, das Ausmaß und die geografische Vertei- Slavery Act hat Großbritannien eine Berichtspflicht lung mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen. für mittlere und größere Unternehmen zu Men- Das Briefing bezieht auch bedeutende Gerichts- schenhandel und moderner Sklaverei in der Lie- verfahren ein, in denen mutmaßliche Opfer unter- ferkette gesetzlich verankert. In Deutschland soll nehmerischen Fehlverhaltens Zugang zu Abhilfe laut NAP überprüft werden, ob „mindestens 50% und Wiedergutmachung such(t)en. Darüber hin- aller in Deutschland ansässigen Unternehmen mit aus werden erfolgversprechende Unternehmens- über 500 Beschäftigten bis 2020 die […] Elemente und Multi-Stakeholder-Initiativen als mögliche menschenrechtlicher Sorgfalt in ihre Unterneh- „Best-Practice“-Beispiele für Teilaspekte men- mensprozesse integriert haben.“17 Bei unzurei- schenrechtlicher Sorgfalt beleuchtet, etwa das von chender Umsetzung werde die Bundesregierung der deutschen Bundesregierung initiierte Bündnis weitere Schritte bis hin zu gesetzlichen Maßnah- für nachhaltige Textilien. Das Briefing schließt mit men prüfen. Handlungsempfehlungen an politische Entschei- dungsträger sowie Unternehmen in Deutschland, Das vorliegende Briefing orientiert sich an ähn- wie die bestehenden Herausforderungen hinsicht- lichen Fragen: Wie ist es um die Achtung der lich des Schutzes und der Achtung der Menschen- Menschrechte in den globalen Lieferketten der rechte in der deutschen Textilwirtschaft und ihren deutschen Textilwirtschaft bestellt? Kommen deut- Lieferketten überwunden werden können. Eine sche Unternehmen entlang globaler Lieferket- systematische Verankerung menschenrechtlicher ten ihren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten Sorgfaltspflichten in Unternehmensabläufen, so nach, um das nächste Rana Plaza zu verhindern? das Argument, ist ein Wettbewerbsvorteil ange- sichts zunehmender gesetzlicher Regelungen auf Da es in vielen Bereichen nach wie vor an unter- nationaler und potentiell EU-Ebene – ganz abge- nehmensspezifischen Informationen und Daten sehen von der existentiellen Bedeutung, die Men- mangelt, geht das Briefing verschiedene Wege, schenrechte in der Textilwirtschaft für benachtei- um diese Fragen zu beantworten. Zum einen wer- ligte Gruppen und Individuen rund um den Globus tet es die 62 Company Responses aus, die das haben. 2. Menschenrechtsvorwürfe gegen deutsche Textilunternehmen (Juni 2011 bis August 2018) Zwischen Juni 2011, als die UN-Leitprinzipien angefordert. Siebenundsiebzig Prozent der Unter- verabschiedet wurden, und August 2018 hat das nehmen haben auf diese Einladungen reagiert, Resource Centre 62 Stellungnahmen (Company womit die Antwortrate von deutschen Textilunter- Responses) von deutschen Textilunternehmen zu nehmen oberhalb der weltweiten Rate von 73% Vorwürfen über Menschenrechtsverletzungen im liegt.18 Zusammenhang mit Unternehmensaktivitäten 16 Germanwatch (2018): Unternehmen haftbar machen – Beispiele aus anderen Ländern, https://www.germanwatch.org/de/15169, 03.07.2018. 17 Auswärtiges Amt (2017): Nationaler Aktionsplan. Umsetzung der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte 2016-2020, http://www.csr- in-deutschland.de/SharedDocs/Downloads/DE/NAP/nap-im-original.pdf?__blob=publicationFile&v=3, 03.07.2018. 18 Dies entspricht nicht der Gesamtzahl an Menschenrechtsvorwürfen gegenüber EU-Textilunternehmen, die in diesem Zeitraum auf der Webseite des Resource Centres veröffentlicht wurden. Das Resource Centre fordert nur dann aktiv eine Stellungnahme von Unternehmen an, wenn nicht bereits eine öffentliche Erklärung vorliegt, und holt normalerweise keine Stellungnahmen zu Berichten über Menschenrechtsklagen vor Gerichten oder regulatori- schen Sanktionen ein. Daher geben die hier analysierten Antworten nicht unbedingt regionale Schwerpunkte oder Trends der Berichterstattung wieder, noch sind sie repräsentativ für Reaktionen der Industrie auf Menschenrechtsbeschwerden. Gleichzeitig sind die Stellungnahmen in bestimmten Fällen, insbesondere solchen, über die nicht viel berichtet wird, die einzige öffentlich zugängliche Antwort auf bestimmte Vorwürfe. Die ermittelten Trends sind somit ein guter Indikator, wo noch Handlungsbedarf besteht. Weitere Informationen dazu finden Sie hier: https://www.business-humanrights.org/en/ company-response-rates. 23
2. Menschenrechtsvorwürfe gegen deutsche Textilunternehmen Wo finden die Verletzungen statt? Insgesamt betraf damit über die Hälfte der Vor- würfe die Regionen Europa (v.a. nicht-EU-Län- Nur zwei der Vorwürfe zu Menschenrechtsver- der). Die Bedingungen in den Textillieferketten letzungen aus diesem Zeitraum bezogen sich Südasiens – eine der größten bekleidungsprodu- auf Deutschland. Über 90% der Vorwürfe gegen zierenden Regionen der Welt – sind in den letzten deutsche Textilunternehmen hingegen betrafen Jahren zurecht ins Zentrum der Aufmerksamkeit mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen in gerückt. Katastrophen wie Rana Plaza in Bangla- anderen Ländern (Abb. 2). Dies verdeutlicht, wie desch haben gezeigt, dass solche Menschen- und wichtig Vorbeugungs- und Abhilfeverfahren für Arbeitsrechtsverletzungen tödliche Folgen haben solche Rechtsverletzungen im Ausland sind. Die können. Das Ausmaß der Vorwürfe gegenüber Mehrheit der Beschwerden, auf deren Grundlage deutschen Unternehmen für Menschenrechtsver- das Resource Centre Unternehmensstellungnah- gehen in Europa, besonders in nicht-EU-Ländern, men anforderte, betrafen mutmaßliche Vergehen legt jedoch nahe, dass auch hier Risiken beste- in Asien (40% der Vorwürfe), dicht gefolgt von Eu- hen. Der Türkei, das nach China und Bangladesch ropa, nicht-EU (39% darunter Serbien, Türkei und drittgrößte Herkunftsland für Textilimporte nach Ukraine), Europa, EU (13%), dem Nahen Osten Deutschland,19 sowie den aufstrebenden Märkten und Nordafrika (6%) sowie Südamerika (2%). in Osteuropa wurde in dieser Hinsicht bisher we- niger Aufmerksamkeit geschenkt – mit schwerwie- genden Folgen für die Menschenrechte. 50 40 30 20 10 0 Asien Europa (nicht-EU) Europa (EU) Naher Osten & Nordafrika Südamerika 40% 39% 13% 6% 2% Abbildung 2: Vorwürfe nach Region (Ort der mutmaßlichen Rechtsverletzung) Obwohl in dieser Stichprobe keine Menschen- Dennoch sind politische Strukturen und Zivilge- rechtsbeschwerden in der Region Subsahara-Afri- sellschaft wenig entwickelt20 – es ist daher wichtig, ka auftraten, ist dort zukünftig ganz besonders auf dass Lieferketten transparent sind, Unternehmen potenzielle Menschenrechtsrisiken zu achten. Die diese effektiv überwachen und mit Lieferanten zu Region hat als Produktionsstätte für die globale menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten kommuni- Textilwirtschaft immer mehr an Bedeutung gewon- zieren. nen. In Äthiopien, dessen Regierung sich aktiv um ausländische Direktinvestitionen zur Erhöhung Welche Menschenrechte werden am stärksten be- der Produktionskapazität im Bereich Bekleidung einträchtigt? und Textilien bemüht hat, boomt die Textilindust- rie bereits. Auch Deutschland engagiert sich und Die hier aufgeführten Themen umfassen nicht die unterstützt gemeinsam mit einigen deutschen volle Tragweite potenzieller Auswirkungen der Unternehmen im äthiopischen Textilsektor u.a. Textilwirtschaft auf die Menschenrechte, sondern die Qualifizierung von Arbeitsinspektoren und den stellen wesentliche Risikobereiche dar. Dialog zwischen Management und Beschäftigten. 19 Statista (2018): Wichtigste Importländer für Kleidung nach Deutschland, https://de.statista.com/infografik/12540/wichtigste-importlaender-fuer-klei- dung-nach-deutschland/, 05.07.2018 20 CSR News (2017): Textilproduktion in Afrika: Entwicklungshilfe oder Ausbeutung?, https://www.csr-news.net/news/2017/06/13/textilproduktion-in-af- rika/, 05.07.2018. 4
2. Menschenrechtsvorwürfe gegen deutsche Textilunternehmen Das Risiko von Menschenrechtsverstößen ist im Bereich der Arbeitsrechte besonders hoch. In un- Querschnittsrisiko: Menschenrechtsverletzungen serer Stichprobe bezogen sich über 80% der Fälle und Gender auf Vorwürfe zu Verletzungen von Arbeitsrechten in der Lieferkette. Allerdings war hier der Unter- In unserer Stichprobe bezog sich die Hälfte aller schied zwischen Verletzungen von Arbeitsrechten Vorwürfe zusätzlich auch auf geschlechtsspezi- und anderen Menschenrechtsverstößen nicht im- fische Menschenrechtsverletzungen am Arbeits- mer eindeutig. Vielmehr bezog sich fast jede Be- platz, etwa auf den geringen Anteil von Frauen schwerde in der einen oder anderen Form auf den in Vorstand, Aufsichtsrat und sonstigen Leitungs- Arbeitsplatz, was vermutlich damit zusammen- positionen, auf sexuelle Belästigung und Schwan- hängt, dass der Textilsektor auch heute noch eine gerschaftsdiskriminierung, oder auf fehlende Kin- arbeitsintensive Industrie ist und Millionen von Ar- derbetreuung in Fabriken sowie niedrige Löhne beitnehmer*innen weltweit Beschäftigung bietet. und fehlenden Vereinigungsfreiheiten speziell für Die große Mehrheit davon sind Frauen – Schät- Arbeitnehmerinnen. zungen zufolge liegt der Beschäftigungsanteil von Arbeiterinnen in der Bekleidungsindustrie weltweit bei über 75%21, in Ländern wie Bangladesch und Deutsche Textilunternehmen sahen sich auch mit Kambodscha sogar bei 80%22 bzw. 90%.23 Berich- Vorwürfen der Kinderarbeit, die in vielen Regionen te über Verstöße gegen Arbeitsrechte reichten von noch viel zu häufig vorkommt, konfrontiert. Men- Forderungen nach existenzsichernden Löhnen, schenrechtsverletzungen wie Gewalt, Schläge Beschwerden über Einschränkungen der Vereini- und willkürliche Inhaftierung von Arbeiter*innen, gungsfreiheit sowie Kinder- und Zwangsarbeit bis sowie Verletzungen des Rechts auf Nichtdis- hin zu Vorwürfen in Bezug auf Gewalt, Gesundheit kriminierung, insbesondere für schutzbedürftige und Sicherheit am Arbeitsplatz. Gruppen und informelle Arbeitnehmer*innen wie Migrant*innen und Flüchtlinge, waren ebenfalls Existenzsichernde Löhne, die laut der Interna- wesentliche Themen. So befragte das Resource tionalen Arbeitsorganisation (ILO)24 und Artikel 23 Centre im Jahr 2015 28 Textilunternehmen, dar- der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte25 unter acht deutsche, zu ihren Maßnahmen für den ein grundlegendes Menschenrecht sind, waren Schutz syrischer Flüchtlinge vor Diskriminierung besonders häufig Gegenstand der Stellungnah- in den Zuliefererbetrieben in der Türkei. Alle deut- men, die das Resource Centre von deutschen schen Unternehmen antworteten auf unsere An- Textilunternehmen anforderte. Ohne existenzsi- frage.27 Zwar ist diese Antwortrate ermutigend, da chernden Lohn sehen sich viele Arbeitnehmer*in- sie auf unternehmerisches Engagement und den nen gezwungen, lange Arbeitszeiten zu verrichten, Willen zum Austausch schließen lässt; die Umfra- und fühlen sich oft nicht befähigt, Überstunden ab- ge ergab aber auch, dass es teilweise noch Hand- zulehnen oder sich krank zu melden.26 Dieses Er- lungsbedarf in Richtung konkreterer und effektive- gebnis legt nahe, dass neben Gesundheits- und rer Unternehmensmaßnahmen gibt. Sicherheitsbelangen, die mit Industrieunglücken wie dem KiK-Fabrikbrand in Pakistan 2012 und Qualität der Unternehmensantworten Rana Plaza 2013 zurecht ins Zentrum der Auf- merksamkeit gerückt sind, auch andere Grund- Der folgende Abschnitt analysiert die Qualität rechte am Arbeitsplatz Beachtung finden müssen. ausgewählter Unternehmensreaktionen auf Men- schenrechtsbeschwerden am Beispiel zweier Be- richte der Kampagne für Saubere Kleidung (Clean Clothes Campaign) aus den Jahren 2016 und 2017. Das Resource Centre hatte auf Grundlage 21 Clean Clothes Campaign (2015): Facts on the Global Garment Industry, https://cleanclothes.org/resources/publications/factsheets/general-facts- heet-garment-industry-february-2015.pdf, 05.07.2018. 22 The World Bank (2017): In Bangladesh, Empowering and Employing Women in the Garments Sector, http://www.worldbank.org/en/news/fea- ture/2017/02/07/in-bangladesh-empowering-and-employing-women-in-the-garments-sector, 05.07.2018. 23 Human Rights Watch (2015): “Work Faster or Get Out”, https://www.hrw.org/report/2015/03/11/work-faster-or-get-out/labor-rights-abuses-cambodi- as-garment-industry, 05.07.2018. 24 International Labour Organisation (2018): International Labour Standards on Wages, http://www.ilo.org/global/standards/subjects-covered-by-inter- national-labour-standards/wages/lang--en/index.htm, 05.07.2018. 25 United Nations (1948): Universal Declaration of Human Rights, http://www.un.org/en/universal-declaration-human-rights/index.html, 05.07.2018. 26 Clean Clothes Campaign (2018): Living Wage = A Human Right, https://cleanclothes.org/livingwage, 05.07.2018. 27 Business & Human Rights Resource Centre (2016): Responses by garment brands to our questionnaire on the treatment of Syrian refugees in Turkish supplier factories, https://business-humanrights.org/en/responses-by-garment-brands-to-our-questionnaire-on-the-treatment-of-syrian-refu- gees-in-turkish-supplier-factories, 05.07.2018. 5
2. Menschenrechtsvorwürfe gegen deutsche Textilunternehmen dieser Berichte im Jahr 2016 fünf und ein Jahr Zwei Drittel der deutschen Unternehmen konnten darauf weitere sieben Stellungnahmen von deut- nachweisen, dass sie entsprechende Standards schen Unternehmen angefordert, die für dieses bzw. Richtlinien etabliert haben, die auch ihre Ge- Briefing jeweils hinsichtlich ihrer Qualität bewertet schäftspartner dazu verpflichten, Menschenrechte wurden.28 Die Vorgehensweise soll einen direkten zu respektieren. Punkte wurden jedoch nur ver- Vergleich der Antworten ermöglichen. geben, wenn Unternehmen in ihrer Antwort auch explizit darauf verwiesen. Ein Drittel verlor hier Pro Antwort wurden Punkte in Bezug auf drei Indi- Punkte, weil diese Unternehmen in ihren Antwor- katoren vergeben, maximal zwei pro Indikator und ten nicht explizit auf Standards oder Richtlinien maximal acht insgesamt (Punkte für den dritten verwiesen, obwohl welche existierten. Indikator zählten doppelt).29 Qualitätsindikatoren waren (1.) die Bezugnahme auf den konkreten 3. Das Unternehmen hat angemessene Maßnah- Vorwurf und der Detailgrad der Antwort, (2.) der men ergriffen, z.B. durch Abhilfe oder den Dialog Nachweis allgemeiner menschenrechtlicher Stan- mit Betroffenen, und verfügt über Management- dards und spezifischer Richtlinien und (3.) glaub- systeme, die nachteilige Auswirkungen auf die hafte Beispiele konkreter Maßnahmen, die von Menschenrechte zukünftig verhindern sollen (1 Betroffenen als angemessen empfunden wurden: Punkt). Einen weiteren Punkt gab es, wenn Unter- nehmen nachweisen konnten, dass die Betroffe- 1. Das Unternehmen hat auf die Beschwerde re- nen die Form der Abhilfe als angemessen emp- agiert: Punkte wurden vergeben, wenn die Stel- fanden und Managementsysteme überprüft und lungnahme direkt auf die Beschwerde Bezug verbessert wurden. nahm und angemessen detailliert war. Knapp über die Hälfte der deutschen Unterneh- Die untersuchten Stellungnahmen zeigen, dass men erhielt hier einen Punkt, wenn z.B. Manage- deutsche Unternehmen prinzipiell – und ange- mentsysteme aufgeführt wurden, die nachteilige messen detailliert – auf Beschwerden reagieren. Auswirkungen zukünftig verhindern sollen, und Mehr als drei Viertel der Unternehmensantworten nachgewiesen werden konnte, dass ein Dialog mit erhielten für den ersten Indikator die vollen zwei Interessensgruppen stattgefunden hatte. Keines Punkte. der deutschen Unternehmen erzielte in der dritten Kategorie jedoch die volle Punktzahl. Wenn Unter- 2. Das Unternehmen verfügt über allgemeine men- nehmen in dieser Kategorie auf gar keine Punkte schenrechtliche Standards (1 Punkt). Ein weiterer kamen, lag es häufig daran, dass kein Dialog mit Punkt wurden vergeben, wenn die Antwort eine den Betroffenen selbst stattgefunden hatte. spezifische Richtlinie (policy) nannte, die darauf abzielt, ein erneutes Auftreten der entsprechen- den Menschenrechtsverletzung zu verhindern. Jahr Antworten Nicht- Deutsche Qualität Qualität Qualität Durch- Durchschnitt ingesamt Antworten Firmen niedrig mittel hoch schnitt dt. aller insgesamt (0-2) (3-5) (6-8) Antworten Antworten 2016 27 14 5 1 2 2 4,2 3,6 2017 50 32 7 2 4 1 4,4 3,1 Total 77 46 12 3 6 3 4,3 3,4 Tabelle 1: Qualität der deutschen Unternehmensantworten 28 Es wurden nur die vom Resource Centre angeforderten Antworten bewertet, weitere Stellungnahmen von Unternehmen hingegen nicht berück- sichtigt. Die faktische Richtigkeit der Menschenrechtsvorwürfe selbst wurde ebenfalls nicht beurteilt. Die vollständigen Antworten können auf der Webseite des Resource Centres abgerufen werden. Die Bewertung erfolgte anhand von drei Indikatoren (Measurement Theme E), die vom Corporate Human Rights Benchmark (CHRB) entwickelt wurden. Der CHRB ist ein öffentlich zugängliches Ranking zur Menschenrechtsperformance der nach Börsenwert 100 größten Unternehmen aus den Sektoren Textil, Rohstoffe sowie Nahrungsmittel und Getränke. Einen Überblick über die Methodik sowie Einzelheiten zu den Indikatoren finden Sie hier: https://www.corporatebenchmark.org/sites/default/files/CHRB%202018%20Methodology%20 Web%20Version.pdf. 29 Corporate Human Rights Benchmark (2018): Corporate Human Rights Benchmark Methodology 2018, https://www.corporatebenchmark.org/sites/ default/files/CHRB%202018%20Methodology%20Web%20Version.pdf, 05.07.2018. 6
2. Menschenrechtsvorwürfe gegen deutsche Textilunternehmen Insgesamt erzielten die deutschen Unternehmen, Schwerpunktthemen bei der Berichterstattung: die für diese Analyse berücksichtigt wurden, durch- Moderne Sklaverei und Zwangsarbeit schnittlich vier Punkte (verglichen mit durchschnitt- lich drei Punkten auf alle Antworten bezogen, also Nach Schätzungen der ILO sind weltweit 40,3 Mil- auch auf die von Unternehmen aus anderen Län- lionen Menschen Opfer von moderner Sklaverei, dern, siehe Tabelle 1). Keines der Unternehmen 24,9 Millionen von ihnen als Zwangsarbeiter*in- erhielt die volle Punktzahl von acht. Die höchste nen.31 Das Risiko in der Textilindustrie ist beson- Punktzahl, die vergeben wurde, war sechs, z.B. ders hoch – Zwangsarbeit kann in der Lieferkette an Adidas. Adidas hatte in seiner Stellungnahme von Textilunternehmen sowohl bei der Herstellung auf seine allgemeinen Workplace Standards und von Ausgangsmaterialien als auch bei der Konfek- seine spezifische Fair Compensation Strategy tionierung von Kleidung auftreten. Der UK Modern hingewiesen, die auch für Lieferanten, Hersteller Slavery Act ist die derzeit weitreichendste Gesetz- und Fabriken gelten und diese nicht nur auf das gebung zu moderner Sklaverei. Demzufolge muss Prinzip existenzsichernder Löhne verpflichten, jedes Unternehmen, das in Großbritannien tätig ist sondern darüber hinaus auch vorschreiben, dass und einen Jahresumsatz von mehr als 36 Millionen Löhne regelmäßig und pünktlich bezahlt werden, GBP hat, jährlich über Maßnahmen zur Bekämp- die Fähigkeiten der Arbeiter*innen widerspiegeln fung moderner Sklaverei in seinen Betrieben und und ihnen dies klar und formal korrekt mitgeteilt Lieferketten berichten. wird. Das Unternehmen beschrieb außerdem, wie es in Zusammenarbeit mit der Regierung und an- Wir haben die Statements der drei umsatzstärks- deren Partnern in seinen Zuliefererfabriken in der ten unter den Modern Slavery Act fallenden deut- Ukraine ein Lohn-Benchmarking durchgeführt hat- schen Bekleidungsunternehmen (Adidas, Puma, te um sicherzustellen, dass der Lohn gleichauf mit Hugo Boss32) aus dem Jahr 2017 daraufhin unter- oder über dem branchenüblichen Lohn (prevailing sucht, ob sie die drei vom Gesetz festgelegten wage) liegt. Adidas verlor jedoch Punkte, weil es in Mindestanforderungen erfüllen:33 seiner Antwort keinen Nachweis darüber erbringen konnte, dass der Lohn auch von den Arbeiter*in- 1. Das Statement muss vom Aufsichtsrat gutge- nen selbst als angemessen empfunden wurde.30 heißen und genehmigt werden. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass viele 2. Das Statement muss von der Geschäftsführung Unternehmen mittlerweile zwar über menschen- oder einer äquivalenten Person unterzeichnet rechtliche Standards und Richtlinien verfügen, werden. aber weiterhin eine Diskrepanz besteht zwischen der Abgabe einer öffentlichen Stellungnahme zu 3. Auf der Startseite der Unternehmenspräsenz im Vorwürfen und dem Ergreifen von angemessenen Internet muss ein Link zum Statement bestehen. Maßnahmen in Bezug auf diese Missstände. Das legt wiederum nahe, dass Unternehmen mehr Die drei o.g. Statements wurden explizit vom Auf- Ressourcen bereitstellen müssen für die Wieder- sichtsrat abgesegnet und von der Geschäftsfüh- gutmachung und Beendigung von Menschen- rung unterschrieben. Allerdings besteht für keines rechtsverletzungen. Unternehmen sollten be- der drei Statements ein Link auf der Startseite. So- sonders darauf achten, alle betroffenen Akteure, mit erfüllen weder Adidas noch Puma oder Hugo insbesondere die Opfer (Arbeiter*innen, Gemein- Boss alle drei Mindestanforderungen. Die in der schaften) und die Zivilgesellschaft, in Konsultation vom Resource Centre betriebene Modern Slavery auch wirklich miteinzubeziehen (siehe oben, Indi- kator 3). 30 Adidas Group (2017): adidas response to BHRRC request, via https://www.business-humanrights.org/sites/default/files/documents/adidas%20res- ponse%20BHRRC%20request_6December2017.pdf, 05.07.2018. 31 International Labour Organisation (2018): Forced labour, modern slavery and human trafficking, http://www.ilo.org/global/topics/forced-labour/lang- -en/index.htm, 05.07.2018. 32 TextilWirtschaft (2017): Die 10 größten europäischen Modemarken-Anbieter 2016, https://www.textilwirtschaft.de/news/media/10/Rang- liste-2016-pdf-95380.pdf, 27.08.2018; Puma (2017): Puma verbessert sich im Jahr 2016, https://about.puma.com/de-de/newsroom/corpora- te-news/2017/02-09-2017-puma-improves, 31.08.2018. 33 Anmerkung: Es wurden nur Statements analysiert, die auf der Webseite der Modern Slavery Registry gelistet sind. Wie wir die Erfüllung der Kriterien bewertet haben, können Sie hier nachvollziehen: http://www.modernslaveryregistry.org/pages/numbers_explained. Die Informationen in der Modern Slavery Registry spiegeln nicht die Gesamtzahl aller Unternehmen wider, die Statements ausgearbeitet haben. Das britische Innenministerium schätzt, dass zwischen 9000 und 11.000 Unternehmen verpflichtet sind, zu berichten, wohingegen die Anzahl an Unternehmen, die mit Statement(s) im Re- gister vertreten sind, lediglich halb so groß ist. 7
2. Menschenrechtsvorwürfe gegen deutsche Textilunternehmen Registry hinterlegten Informationen weisen dar- Schuhhersteller sowie Markenunternehmen hin- auf hin, dass dies ohnehin nur für 19% aller dort sichtlich der Transparenz ihrer Bemühungen zur registrierten Statements gilt.34 Auch wenn die Er- Verhinderung von Zwangsarbeit in ihren globalen füllung der drei Mindestanforderungen noch kein Lieferketten bewertet. Zwei davon (Adidas und substantielles Ziel ist – letztendlich geht es um die Hugo Boss) waren deutsche Unternehmen. Mit Maßnahmen, die ein Unternehmen in der Praxis einer Gesamtbewertung von 46 von 100 Punkten trifft – sind diese Kriterien dennoch wichtig: Eine schnitt der Textilsektor im Vergleich zu anderen Genehmigung durch den Aufsichtsrat erfordert Sektoren relativ gut ab (39/100 für Informations- unternehmensweite Maßnahmen zur Bekämpfung und Kommunikationstechnologie und 30/100 in von Risiken moderner Sklaverei; die Unterschrift der Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie). Wäh- der Geschäftsführung (oder einer äquivalenten rend Hugo Boss mit 45 von 100 Punkten knapp Person) schafft klare Verantwortung; und ein Link unter dem Durchschnitt lag, führte Adidas die Lis- auf der Startseite der Unternehmenspräsenz im te mit 81 von 100 an. Die Firma wies eine Reihe Internet erleichtert es Verbraucher*innen und In- von „Best Practices“ nach, u.a. Schulungen seiner vestoren, sich zu den Maßnahmen des Unterneh- Second-Tier-Zulieferer zum Thema Zwangsarbeit. mens zu informieren. Wir bedauern daher, dass Adidas sorgt außerdem dafür, dass Arbeiter*innen Stand August 2018 keines der o.g. deutschen Un- Verträge direkt mit den Zulieferern unterschreiben, ternehmen das Statement auf der Startseite ver- um eine mögliche Ausbeutung durch Personal- linkt hat.35 agenturen zu umgehen, und stellt sicher, dass Ar- beitnehmer*innen, deren Rechte verletzt wurden, Im Jahr 2016 hat KnowTheChain (KTC), eine ge- Zugang zu Abhilfe erhalten.36 Öffentliche Rankings meinsame Initiative von Humanity United, dem wie KTC spielen eine wichtige Rolle im Bereich Resource Centre, Sustainalytics, Verité und der Wirtschaft und Menschenrechte, da sie ein Repu- Thomson Reuters Foundation, 20 der weltweit tationsrisiko für wenig engagierte Unternehmen größten öffentlich gelisteten Bekleidungs- und darstellen. 3. Rechtliche Abhilfe bei Menschenrechtsverstößen durch Unternehmen Der Zugang zu Abhilfe und Wiedergutmachung Rechtsmitteln geltend zu machen, sind ausführlich für Menschenrechtsverstöße ist, neben der Ver- dokumentiert.37 Unser Corporate Legal Accounta- pflichtung des Staates zum Schutz der Mensch- bility Team hat lediglich drei Gerichtsverfahren ge- rechte und der Verantwortung des Unternehmens gen deutsche Textilunternehmen registriert, zwei zur Achtung derselben, eine tragende Säule der davon vor deutschen Gerichten und eines vor ei- UN-Leitprinzipien und des deutschen NAPs. Eine nem US-amerikanischen Gerichtshof. Zu Gerichts- der beschriebenen Möglichkeiten ist dabei der verfahren gegen deutsche Unternehmen in den Weg über nationale Gerichte, sprich, die rechtliche Ländern, in denen sich die meisten mutmaßlichen Abhilfe. Sie steht im Mittelpunkt dieses Abschnitts.Rechtsverletzungen tatsächlich ereignet haben (siehe Auswertung der Unternehmensantworten Die juristischen, praktischen und finanziellen Hür- in Abschnitt 2), ist nichts bekannt. Gerade in der den, mit denen Opfer von Menschrechtsverletzun- Textilindustrie wird die Produktion oft an Zulieferer gen bei dem Versuch konfrontiert sind, in den Hei- in Ländern vergeben, in denen Arbeitskräfte bil- matstaaten transnationaler Konzerne Zugang zu lig sind und innerstaatliches Recht nur lückenhaft 34 Business & Human Rights Resource Centre (2018): Modern Slavery Registry, http://www.modernslaveryregistry.org/, 05.07.2018. 35 Ein Statement unter dem UK Modern Slavery Act findet sich bei Adidas und Hugo Boss im Nachhaltigkeitsbereich der Unternehmenswebseite. 36 KnowTheChain (2016): Apparel & Footwear Benchmark Findings Report, https://knowthechain.org/wp-content/plugins/ktc-benchmark/app/public/ images/benchmark_reports/KTC_A&F_ExternalReport_Final.pdf, 05.07.2018. 37 ICAR et al (2013): The Third Pillar, https://static1.squarespace.com/static/583f3fca725e25fcd45aa446/t/58657dfa6a4963597fed598b/1483046398204/ The-Third-Pillar-FINAL1.pdf, 05.07.2018. 8
3. Rechtliche Abhilfe bei Menschenrechtsverstößen durch Unternehmen umgesetzt wird oder nicht den internationalen Risiken – auch bei Subunternehmen und Zuliefer- Menschrechtsstandards (die laut UN-Leitprinzi- betrieben – zu identifizieren und ihnen vorzubeu- pien von Unternehmen aber unabhängig von na- gen. Die Einhaltung der Sorgfaltspflicht kann auf tionalem Recht respektiert werden müssten) ent- Antrag gerichtlich überprüft werden und eine Ver- spricht. Fehlende Rechtsmittel und unzureichende letzung zur Haftung führen.41 Die Schweizer Kon- außergerichtliche Abhilfemöglichkeiten vor Ort zernverantwortungsinitiative sieht ähnliches vor.42 zwingen Opfer von Menschenrechtsverletzungen 2017 hat auch das niederländische Parlament dazu, Abhilfe dort zu suchen, wo Auftraggeber ein Gesetz über eine unternehmerische Sorg- ihren Hauptsitz haben. Es ist daher maßgeblich, faltspflicht zur Vermeidung von Kinderarbeit be- dass inländische und in diesem Fall deutsche Ge- schlossen. Dem niederländischen Entwurf zufolge müssten Firmen im Falle des Verdachts auf Kin- richte ihre Zuständigkeit für extraterritoriale Men- schenrechtsvergehen akzeptieren. Allerdings er- derarbeit ein Sorgfaltskonzept (action plan) erstel- geben sich auch dann noch Hürden. So ist es oft len und umsetzen. Der Senat entscheidet derzeit schwierig, den Unternehmen am Ende der Liefer- noch darüber, ob das Gesetz in Kraft treten wird.43 kette eine direkte Verantwortung für die Vergehen Solche gesetzlichen Entwicklungen sind ein we- nachzuweisen. Laut einer gemeinsam mit Amnes- sentlicher Schritt auf dem Weg hin zu neuen Ver- ty International verfassten Studie des Resource haltensstandards für Unternehmen in Bezug auf Centres von 2017 hängt die unternehmerische Menschenrechte. Dennoch liegt der Fokus dieser Haftbarkeit für die von Zulieferern etc. begange- Gesetze stärker auf Prävention als auf wirksamen nen Rechtsverletzungen im Wesentlichen davon Abhilfemaßnahmen und es bestehen weiterhin di- ab, ob das Unternehmen diese hätte verhindern verse Hürden für Rechtssuchende, trotz o.g. und können.38 weiterer rechtsverbindlicher Regelungen zu men- schenrechtlichen Sorgfaltspflichten, die es auf Herausforderungen beim Zugang zu Abhilfemaß- internationaler und europäischer Ebene teilweise nahmen ergeben sich darüber hinaus oft im Zu- schon gibt.44 Zusammenfassend gehören zu den sammenhang mit Einschränkungen von bürger- Herausforderungen rechtlicher Abhilfe:45 lichen Freiheiten. Dazu gehören strategische Begründung der Gerichtsbarkeit für extraterrito- Klagen gegen die Beteiligung der Öffentlichkeit riale Ansprüche (SLAPPs), die zunehmend gegen Menschen- rechts-NGOs und -Aktivist*innen geführt werden,39 Haftbarkeit von Firmen für Menschenrechtsver- sowie administrative Hürden, etwa das Gesetz letzungen, die durch Tochtergesellschaften oder über Verbände und NGOs (LANGO) in Kambod- Zulieferer in Lieferketten begangen wurden scha. Dieses verpflichtet NGOs in Kambodscha noch vor der Aufnahme von Aktivitäten zur Umset- Zugang zu Informationen, um u.a. Beweise für zung aufwändiger Registrierungsanforderungen, die negativen Auswirkungen von Unterneh- einschließlich der Unterzeichnung eines Memo- mensaktivitäten ausreichend dokumentieren zu randum of Understanding mit der Regierung. 40 können Frankreich hat 2017 ein Gesetz zur Unterneh- menshaftung bei Menschenrechtsverletzungen verabschiedet. Demnach sind große französische Unternehmen verpflichtet, menschenrechtliche 38 Business & Human Rights Resource Centre & Amnesty International (2017): Creating a paradigm shift: Legal solutions to improve access to remedy for corporate human rights abuse, https://www.business-humanrights.org/sites/default/files/documents/AI_BHRRC_Paradigm_Shift_print_version.pdf, 05.07.2018. 39 The Guardian (2018): MEPs call for power to tackle ‘vexatious lawsuits’ targeting journalists, via https://www.business-humanrights.org/en/meps- call-on-eu-to-act-against-vexatious-lawsuits-brought-by-companies-against-journalists-as-a-way-of-silencing-criticism, 05.07.2018. 40 The International Center for Not-for-Profit Law (2018): Civic Freedom Monitor: Cambodia, http://www.icnl.org/research/monitor/cambodia.html, 02.05.2018. 41 Brabant and Savourey (2017): A Closer Look at the Penalties Faced by Companies, Revue Internationale de la Compliance et de l’Éthiquedes Af- faires, via https://www.business-humanrights.org/sites/default/files/documents/French%20Corporate%20Duty%20of%20Vigilance%20Law%20-%20 Penalties%20-%20Int%2527l%20Rev.Compl_.%20%26%20Bus.%20Ethics_.pdf, 05.07.2018. 42 Business & Human Rights Resource Centre (2018): Schweiz: Nationalrat nimmt Gegenvorschlag zur Konzernunternehmensinitiative an, https:// www.business-humanrights.org/de/schweiz-debatte-um-konzernverantwortungsinitiative-nach-erreichen-von-140000-unterschriften, 05.07.2018. 43 CSR and the law (2017): Proposed Dutch Legislation on Child Labor Due Diligence: What You Need to Know, http://www.csrandthelaw. com/2017/08/24/proposed-dutch-legislation-on-child-labor-due-diligence-what-you-need-to-know/, 05.07.2018. 44 For an overview of developments at the international level see Business & Human Rights in Law (2018): Key developments, http://www.bhrinlaw. org/key-developments, 05.07.2018. 45 Mehr Informationen zu den rechtlichen Hürden finden Sie im Bericht: ICAR et al (2013): The Third Pillar, https://static1.squarespace.com/sta- tic/583f3fca725e25fcd45aa446/t/58657dfa6a4963597fed598b/1483046398204/The-Third-Pillar-FINAL1.pdf, 05.07.2018. 9
3. Rechtliche Abhilfe bei Menschenrechtsverstößen durch Unternehmen in einer historischen Entscheidung den Fall zu- Mangel an kollektiven Abhilfemaßnahmen für gelassen und den Opfern und ihren Familien Pro- Opfer von Menschenrechtsverletzungen zesskostenhilfe gewährt. gesetzliche Verjährungsfristen in den Im Januar 2018, über fünf Jahre nach Ausbruch Produktionsländern des Brandes, erklärte KiK sich nach von der ILO finanzielle, rechtliche und praktische Faktoren, unterstützen Verhandlungen bereit, monatliche etwa die Dauer, die die Fortführung eines Renten an die Familien der Opfer zu zahlen. Der Verfahrens erschweren. eigentliche Prozess hingegen läuft noch; KiK lehnt weiterhin die Verantwortung für das Feuer ab und Drei Beispiele für Gerichtsverfahren gegen deut- weigert sich, Haftung zu übernehmen und den Op- sche Unternehmen: Lidl, KiK und Adidas fern eine Entschädigung zu zahlen. Derzeit ent- scheidet das Gericht darüber, ob der Fall bereits Eine deutsche Verbraucherschutzbehörde (Ham- verjährt ist. Ein Rechtsgutachten geht davon aus, burg) hat 2010 eine Klage gegen den Discounter dass dies nach pakistanischem Recht der Fall sein Lidl gewonnen, in der vorgebracht wurde, dass könnte. Dem widerspricht das European Center die Arbeitsbedingungen in Zuliefererfabriken in der for Constitutional and Human Rights (ECCHR), da Lieferkette in Bangladesch nicht den internationa- die Ansprüche nach deutschem Recht nicht ver- len Arbeitsnormen entsprächen und u.a. gegen das jährt seien.47 Der Fall sendet zwar ein wichtiges Recht auf Vereinigungsfreiheit und Tarifverhand- Signal an Textilunternehmen, dass sie für die Ar- lungen sowie das Recht auf Freiheit vor sexueller beitsbedingungen in ihren Lieferketten verantwort- Diskriminierung verstießen. Die Klage berief sich lich gemacht werden können, zeigt jedoch auch, auf eine Werbekampagne des Unternehmens, in dass der rechtliche Zugang zu Abhilfe für die Op- der Lidl behauptete, sich für faire Arbeitsbedin- fer von Menschenrechtsverletzungen derzeit noch gungen einzusetzen und seine Non-Food-Bestel- zu langwierig und ineffektiv ist. lungen nur von einer ausgewählten Gruppe von Lieferanten zu beziehen. Lidl musste schließlich Im Jahr 2012 haben Treuhänder der University eine öffentliche Behauptung zurückziehen, dass of Wisconsin vor einem US-Bundesgericht eine Waren gemäß den Standards für menschenwürdi- Klage gegen Adidas wegen Vertragsverletzung ge Arbeit hergestellt würden, und der Firma wurde eingereicht. Die Universität warf Adidas vor, die untersagt, in Werbematerialien auf die Mitglied- vertraglichen Bestimmungen über Arbeitsrechte schaft in der Business Social Compliance Initiative in Sponsoring- und Lizenzvereinbarungen nicht (BSCI) zu verweisen.46 Allerdings führen Fälle, die einzuhalten, die Adidas dazu verpflichten würden, sich auf das Verbraucherschutzrecht beziehen, Arbeiter*innen, die Waren mit dem Logo der Uni- in der Regel weder zu Abhilfe und Wiedergutma- versität herstellten, gesetzlich vorgeschriebene chung für die Opfer noch zur Haftung des Unter- Leistungen zu gewähren. Der Klage zufolge for- nehmens für das ihnen zugefügte Leid. Dennoch derten Fabrikarbeiter*innen von PT Kizone, einem können solche Klagen Druck auf Konzerne aus- Adidas Zulieferer in Indonesien, Abfindungen in üben, menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten ent- Höhe von insgesamt 3 Millionen US-Dollar. PT lang ihren Lieferketten besser nachzukommen. Kizone hatte den Arbeiter*innen seit 2010 keinen Lohn gezahlt und die Fabrik 2011 geschlossen. Im Jahr 2015 haben Überlebende und Angehöri- Die Kläger*innen von der University of Wiscon- ge von Opfern des Brandes in der Fabrik von Ali sin argumentierten, dass Adidas vertraglich zu Enterprises in Pakistan, der 260 Menschen das Zahlungen von bis zu 2 Millionen US-Dollar ver- Leben kostete und Dutzende Verletzte hinterließ, pflichtet sei. Adidas gab zu, dass den Arbeitneh- eine Schadensersatzklage gegen KiK, den Haupt- mer*innen Leistungen zustünden, wandte jedoch abnehmer der Fabrik, vor dem Landgericht Dort- ein, dass der Vertrag die Firma nicht verpflichte, mund eingereicht. Sie argumentierten, dass KiK für unbezahlte Löhne seines Auftragnehmers auf- mitverantwortlich für die Toten und Verletzten sei, zukommen. Im April 2013 gab Adidas bekannt, da es in der Fabrik keine Brandschutzmaßnah- dass es 2700 indonesischen Arbeitnehmer*innen men gegeben habe. Im Jahr 2016 hat das Gericht Abfindungen auszahlen werde.48 46 Business & Human Rights Resource Centre (2010): Lidl-Gerichtsverfahren (bez. Arbeitsbedingungen in Bangladesch), https://www.business-hu- manrights.org/de/lidl-gerichtsverfahren-bez-arbeitsbedingungen-in-bangladesch, 05.07.2018. 47 Business & Human Rights Resource Centre (2018): KiK lawsuit (re Pakistan), https://www.business-humanrights.org/en/kik-lawsuit-re-pakistan, 05.07.2018. 48 Business & Human Rights Resource Centre (2013): adidas lawsuit (re University of Wisconsin), https://www.business-humanrights.org/en/adi- das-lawsuit-re-university-of-wisconsin, 05.07.2018. 10
3. Rechtliche Abhilfe bei Menschenrechtsverstößen durch Unternehmen Außergerichtliche Abhilfemechanismen Hersteller im Rana-Plaza-Fabrikkomplex Men- schenrechtsverletzungen wie Kinderarbeit, Dis- Gerichte spielen eine entscheidende Rolle beim kriminierung von Frauen und das Fehlen von Zugang zu Abhilfe und Wiedergutmachung, doch Gewerkschaften sowie Risiken bei der Gebäude- blieben rechtliche Schritte gegen Unternehmen in sicherheit außer Acht gelassen zu haben. Am 2. der Textilwirtschaft abgesehen von wenigen Fäl- Juli 2018 veröffentlichte die im Bundeswirtschafts- len bislang oft aus. Tatsächlich ist der gerichtliche ministerium angesiedelte NKS ihre Abschlusser- Weg für Opfer von Menschenrechtsverletzungen klärung und stellte darin u.a. Verbesserungsbedarf durch Unternehmen nicht immer der beste. Eine beim System der Kontrollen zu Sicherheits- und Alternative und Ergänzung sind staatliche wie Arbeitsbedingungen (Sozialaudits) in den globalen nichtstaatliche außergerichtliche Verfahren, inklu- Lieferketten der Textilindustrie fest. Eine Einigung sive unternehmenseigener Mechanismen.49 zwischen TÜV Rheinland und den Beschwerde- führern um ECCHR konnte jedoch nicht erzielt wer- Die Nationalen Kontaktstellen (NKS) für die den. In einer Company Response an das Resour- OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen ce Centre reagierte TÜV Rheinland u.a. auf den zählen zu den bekanntesten staatlichen außer- Vorwurf der am NKS-Verfahren beteiligten NGOs, gerichtlichen Beschwerdeverfahren.50 Im März der Dienstleister habe die Verhandlungen vorzei- 2018 reichte die Kampagne für Saubere Kleidung tig abgebrochen. Die Teilnahme daran sei freiwil- eine Beschwerde bei der deutschen Kontaktstelle lig gewesen, so TÜV Rheinland, und mit dem Ziel gegen Adidas ein. Sie bezieht sich auf die Entlas- erfolgt, ein gemeinsames Grundverständnis mit sung von 1300 Mitarbeiter*innen, die 2012 gegen den Beschwerdeführern zu erreichen. Hinsichtlich schlechte Arbeitsbedingungen in der Panarub der Vorwürfe zum Rana-Plaza-Prüfbericht merkte Dwikarya Benoa (PDK)-Zuliefererfabrik in Indone- der Dienstleister an, dass die Untersuchung von sien protestiert hatten. Sechs Jahre später hätten Baumängeln nicht Gegenstand der Audits gewe- 327 Arbeitnehmer*innen noch immer keine Ab- sen sei. FEMNET und ECCHR reagierten auf die findung erhalten, so die Kampagne für Saubere Stellungnahme mit Kritik.52 Kleidung. Sie wirft Adidas vor, nicht genügend Druck auf seinen Lieferanten ausgeübt zu haben, Abhilfe kann viele Formen annehmen, von finan- den Arbeiter*innen eine Abfindung zu zahlen. In zieller Entschädigung über Rehabilitation und die einer Company Response an das Resource Cen- Bitte um Entschuldigung bis hin zu Präventions- tre erklärte Adidas, man erachte die Beschwer- maßnahmen, um ähnliche Schäden in Zukunft de als ungerechtfertigt, werde aber trotzdem auszuschließen. Sowohl gerichtliche als auch am NKS-Verfahren mitwirken. Der Fall ist noch außergerichtliche Beschwerdemechanismen soll- nicht abgeschlossen.51 Bereits im Mai 2016 hatte ten die Grundlage dafür bilden.53 Allerdings sind ECCHR gemeinsam mit bangladeschischen Part- auch außergerichtliche Verfahren oft langwierig nern und den deutschen NGOs FEMNET und me- und die ausgehandelten Abhilfemaßnahmen un- dico international eine OECD-Beschwerde gegen zureichend. Zudem können außergerichtliche Me- das Zertifizierungsunternehmen TÜV Rheinland chanismen weder Haftbarkeit noch Sanktionen eingereicht. Die Organisationen warfen TÜV festlegen, noch sind die Entscheidungen rechtlich Rheinland vor, in seinem Prüfbericht über einen bindend. 49 Berichte zeigen jedoch, dass in weniger als 1% der Fälle, den Opfern wirklich Abhilfe zugesprochen wird, siehe OECD Watch (2015): Remedy Remain Rare, https://www.oecdwatch.org/publications-en/Publication_4201, 05.07.2018. 50 Die OECD-Richtlinien schreiben OECD-Staaten vor, nationale Kontaktstellen (NKS) einzurichten, „um Anfragen zu bearbeiten und zur Lösung von Problemen beizutragen, die im Zusammenhang mit der Umsetzung der Leitlinien in bestimmten Fällen auftreten“ [Übersetzung der Autoren]. Von einer Einzelperson oder Organisation können spezifische Beschwerden in Bezug auf ein Unternehmen, das in oder aus dem Zuständigkeitsgebiet des Staates operiert und mutmaßlich gegen die Richtlinien verstößt, eingereicht werden – weitere Einzelheiten finden Sie hier: https://mneguidelines.oecd. org/specificinstances.htm. 51 Business & Human Rights Resource Centre (2018): Clean Clothes Campaign to file complaint against adidas to German National Contact Point for allegedly breaching OECD guidelines in Indonesia; incl. co response, https://www.business-humanrights.org/en/clean-clothes-campaign-to-file-com- plaint-against-adidas-to-german-national-contact-point-for-allegedly-breaching-oecd-guidelines-in-indonesia-incl-co-response, 05.07.2018. 52 Business & Human Rights Resource Centre (2018): Wirtschaftsministerium erkennt Reformbedarf bei Kontrollen in Textillieferketten, https://www. business-humanrights.org/de/wirtschaftsministerium-erkennt-reformbedarf-bei-kontrollen-in-textillieferketten, 27.08.2018. 53 The Danish Institute for Human Rights (2018): Non-judicial grievance mechanisms, https://globalnaps.org/issue/non-judicial-grievance-mecha- nisms/, 05.07.2018. 11
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