DAS MAGAZIN DER SSBL - Kultur der Selbst-bestimmung fördern - Stiftung für Schwerbehinderte Luzern SSBL

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DAS MAGAZIN DER SSBL - Kultur der Selbst-bestimmung fördern - Stiftung für Schwerbehinderte Luzern SSBL
DAS MAGAZIN DER SSBL

                             Kultur der Selbst-
                             bestimmung fördern
                             Selbstbestimmung bedeutet, eine Wahl
                             zu haben. Was heisst das im Alltag von
                             Menschen mit Behinderung? AB SEITE 4

                             ZURÜCK IN EINE                HIMMELHOCH
                             NEUE NORMALITÄT               JAUCHZEND, ZU
                                                           TODE BETRÜBT
                             Einblicke in den
                             ungewohnten Alltag            Das Recht auf Beziehung
AUSGABE 3   SEPTEMBER 2020   während Corona. SEITE 24      und Sexualität. SEITE 20
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ANSICHTEN

                                                                                                                                                                            Ein Kompass
                                                                                                                                                                            für das
                                                                                                                                                                            Handeln aller
                                                                                                                                                                            Beteiligten
                                                                                                                                                   Im Gespräch mit Regierungsrat
                                                                                                                                                   Guido Graf SEITE 18

                                                                                                          DAS MAGAZIN
                                                                                                            DER SSBL
                                                                                                                                                 EINSICHTEN

                                                                                              Editorial   SEITE 4

                                                                                              FOKUS SELBSTBESTIMMUNG
                                                                                                                                                   Himmelhoch jauchzend,
                                                                                                Kultur der Selbst-                                 zu Tode betrübt
                                                                                                bestimmung fördern                                 Drei Liebespaare unter einem Dach           SEITE 20
                                                                                                Umsetzbarkeit im Leben von Menschen
                                                                                                mit Beeinträchtigung SEITE 4                       «Lass uns gemeinsam kochen!»
                                                                                                                                                   Die Sinne anregen       SEITE 23
                                                                                                Senfschnitten und
                                                                                                Lebensmittelpyramiden                              Zurück in eine neue Normalität
                                                                                                Ausgewogene Ernährung nach                         Fünf Kurzgeschichten        SEITE 24
                                                                                                individuellen Vorlieben SEITE 7
                                                                                                                                                   Jahresbericht 2019            SEITE 28

                                                                                                                                                 AUSSICHTEN

« aussergewöhnlichen Menschen
  Wir ermöglichen                                                                               Selber sagen, was gefällt
                                                                                                Kleidung ist Geschmackssache.
                                                                                                                                                   Veranstaltungen SEITE 29

                                                                       »
                                                                                                                                      SEITE 10
                                                                                                                                                   News SEITE 30
                                                                                                                                                   Impressum SEITE 31
                                                       Gewöhnliches.                            Selbstbestimmung beginnt
                                                                                                mit Selbstwahrnehmung
                                                                                                Kinder sollen sich wohlfühlen.    SEITE 13

                                                                                                Selbstbestimmung dank
                                                                                                künstlicher Intelligenz                            TITELBILD | Annemarie Fischer, Bewohnerin
                                                                                                                                                   im Striterhof in Pfaffnau, mag praktische und
 KOMMUNIZIEREN . LERNEN . ARBEITEN . WOHNEN                                                     Ein Blick in die Zukunft   SEITE 15
                                                                                                                                                   bequeme Kleidung.

 Assistive Technologien für mehr Teilhabe und Selbstbestimmung                                  «Kann mich besser und                              QR-CODE | Zu den mit einem
                                                                                                                                                   QR-Code versehenen Artikeln
                                                                                                schneller verständigen»                            finden Sie online vertiefte
                                                                                                Ein Chatprotokoll   SEITE 16                       Informationen.

 Active Communication AG                                               CH-6312 Steinhausen
 Ein Unternehmen der Schweizer Paraplegiker-Stiftung             www.activecommunication.ch
DAS MAGAZIN DER SSBL - Kultur der Selbst-bestimmung fördern - Stiftung für Schwerbehinderte Luzern SSBL
EDITORIAL                                                                                                                                                                                                                          FOKUSTHEMA

    Das Recht auf Selbstbestimmung ist so bedeutsam,
    weil es gleichermassen das Recht auf die Entwick-
    lung des Ichs fördert. Doch wie sieht Selbstbestim-
                                                          Kultur der                                                                                                      Professionalität

                                                          Selbstbestim-
                                                                                                                                                             Wir erklären uns zuständig für Menschen mit
                                                                                                                                                           schweren geistigen und mehrfachen Behinderun-
    mung im Leben von Menschen aus, deren Selbst-
                                                                                                                                                             gen und orientieren uns dabei an fundierten
    bestimmung in manchen Lebensbereichen fast                                                                                                                  Erkenntnissen und der bestmöglichen

                                                          mung fördern
                                                                                                                                                               Anwendung. Wir leisten unseren Beitrag
    nicht wahrnehmbar angeboten und ausgeübt wird?                                                                                                               zur Umsetzung der UN-Behinderten-
    Was kann eine soziale Organisation wie die SSBL                                                                                                                rechtskonvention. Sie fordert uns
                                                                                                                                                                                                                  Lebensraum
                                                                                                                                      Mitarbeitende                 heraus, unser Handeln zu refl ek-
    unternehmen, um möglichst jenen mit sehr unter-                                                                                Die Mitarbeitenden                tieren und weiterzuentwickeln.                  Wir ermöglichen
                                                                                                                                                                                                                  verschiedene Formen
    schiedlichen Selbstbestimmungsressourcen mög-         Nationalrätin Marianne Streiff-Feller                                  übernehmen Verantwor-
                                                                                                                                                                                                                  der Betreuung und des
                                                                                                                                tung. Sie sind Botschafter/
    lichst viel Selbstbestimmung zu ermöglichen?          (Präsidentin INSOS Schweiz) und                                     -innen unserer Werte                                                                  Zusammenlebens. Wir
                                                                                                                             und der Schlüssel zum                                                                  vermitteln Orientierung
                                                          Nationalrat Laurent Wehrli (Präsident                             Erfolg. Wir pfl egen                                                                    und Schutz für ein Leben
    Selbstbestimmung bedeutet, eine Wahl zu haben.                                                                         eine Kultur der                                                                                          in Vielfalt.
                                                          CURAVIVA Schweiz) engagieren                                     Wertschätzung.
    Entscheiden zu können zwischen Passendem und
    Unpassendem, Angenehmem und Unangenehmem,             sich auch auf politischer Ebene für
    Gutem und Schlechtem. Ein selbstbestimmtes Le-        Menschen mit Behinderung. Wir                                                                                      Mission
                                                                                                                                                                  Wir gestalten Lebensraum
    ben ist auch ein anspruchsvolles Leben. Entschei-     haben die beiden gefragt, wie Selbst-
                                                                                                                                                                für Menschen mit Behinderung
    dungen brauchen Zeit, Wissen und Fähigkeiten,         bestimmung im Leben von Menschen                                                                          und schaffen Räume, in
    um mit den Konsequenzen einer Wahl umgehen            mit Beeinträchtigung umsetzbar ist.                                                                     denen sie ihre persönlichen
    zu können. Selbstbestimmung muss sich somit an                                                                                                                  Möglichkeiten leben und
                                                                                                                         Zusammenarbeit                                                                                            Gesellschaft
    den individuellen Fähigkeiten und Kompetenzen                                                                         Wir verstehen uns                           entwickeln können.                                       Wir erfüllen einen
    von Personen orientieren.                                                                                             als Teil eines Netzwerkes                                                                           gesellschaftlichen
                                                                                                                           und pfl egen den Austausch                                                                                  Auftrag.
                                                          Ein Mensch mit Behinderung muss seinen Willen                    mit Bezugspersonen,                                                                              Wir bieten Arbeits-
    Selbstbestimmung hat immer auch Grenzen: Diese        gegenüber seinen Mitmenschen direkt ausdrücken                    Organisationen und                                                                         und Ausbildungsplätze
                                                                                                                              Diensten. Wir sind                                                                           an und vermitteln
    liegen bei den individuellen Grenzen der Person,      können, sei es verbal oder nonverbal – darin sind                    Dienstleister/-innen                                                                    Fachkompetenz. Wir
                                                                                                                                und vermitteln im Interesse                                                          informieren aktiv und
    der Umgebung und dort, wo die Rechte und die          sich Marianne Streiff-Feller und Laurent Wehrli einig.                   der betreuten Personen.                                                            schaffen Räume für
    Integrität eines anderen Menschen durch ein be-       Falls nötig, brauche es Hilfsmittel wie Unterstützte                      Wir führen verbindlich                                                               Begegnungen.
                                                                                                                                      und beziehen dabei die
    stimmtes Verhalten verletzt werden. Der Auftrag       Kommunikation und die kompetente Begleitung                                   Mitarbeitenden
                                                                                                                                          mit ein.                      Selbstbestimmung
    der SSBL besteht darin, den Klientinnen und Klien-    von Bezugspersonen im Sinne von «Hilfe zur Selbst-                                                           Selbstbestimmung
                                                                                                                                                                    Mit Selbstbestimmung
                                                                                                                                                                        Engagement und Kompetenz
    ten die bestmögliche Autonomie und Selbstbe-          hilfe». «Menschen mit Behinderung müssen Wahl-                                                           Mit Engagement
                                                                                                                                                               befähigen             undmit
                                                                                                                                                                          wir Menschen     Kompetenz
                                                                                                                                                                                              Behinderung,
                                                                                                                                                                  Mit Engagement und Kompetenz
                                                                                                                                                             ihre eigenenwir
                                                                                                                                                             befähigen     Entscheidungen
                                                                                                                                                                              Menschen mitzu    treffen. Dazu
                                                                                                                                                                                              Behinderung,
    stimmung zu gewährleisten. Wir befähigen sie so       möglichkeiten haben», sagt Laurent Wehrli. Und                                                     befähigen   wirwir
                                                                                                                                                                   schaffen  Menschen   mit Behinderung,
                                                                                                                                                                                Wahlmöglichkeiten    und Dazu
                                                                                                                                                           ihre eigenen   Entscheidungen     zu treffen.
    weit wie möglich, ihre eigenen Entscheidungen zu      Marianne Streiff-Feller ergänzt: «Dabei geht es so-                                             ihre  eigenen Entscheidungen
                                                                                                                                                            Entwicklungsfelder.              zu treffen.
                                                                                                                                                                                 Diese ermöglichen       Dazu
                                                                                                                                                                                                      wichtige
                                                                                                                                                                 schaffen wir Wahlmöglichkeiten       und
                                                                                                                                                                schaffen   wir Wahlmöglichkeiten
                                                                                                                                                                  Lebenserfahrungen,                  und
    treffen, schaffen Entwicklungsfelder und Wahl-        wohl um die kleinen alltäglichen Entscheidungen                                                Entwicklungsfelder.     Diese die dabei helfen,
                                                                                                                                                                                       ermöglichen     wichtige
                                                                                                                                                         Entwicklungsfelder.    Diese ermöglichen
                                                                                                                                                                     auch Rückschläge  zu              wichtige
                                                                                                                                                                Lebenserfahrungen,     diebewältigen.
                                                                                                                                                                                            dabei helfen,
    möglichkeiten. Das beginnt schon bei alltäglichen     wie auch um grosse Entscheidungen: Wo und mit                                                        Lebenserfahrungen, die dabei helfen,
                                                                                                                                                                 auch Rückschläge zu bewältigen.
                                                                                                                                                                 auch Rückschläge zu bewältigen.
    kleinen Entscheidungen: Dort, wo das Rivella der      wem möchte ich wohnen, was möchte und kann ich
    heissen Schokolade vorgezogen wird, und dort, wo      arbeiten, wo möchte und kann ich meine Gaben
    der rote und nicht der grüne Pullover ausgesucht      und Talente einbringen?»
    wird. Auch wenn er für andere Augen nicht zu der
    orangen Hose passt.
                                                                                                                   Selbstbestimmung ist oft ein Balanceakt

                                                              INSOS UND CURAVIVA
                                                                                                                   «Bedeutend ist die Haltung», sagt Marianne Streiff-
                                                                                                                   Feller. «Letztendlich wissen wir nicht, was für
                                                                                                                                                                                                           «Bedeutend ist
                                                              Die beiden Verbände streben eine verbes-             einen anderen Menschen das Richtige und gut                                             die Haltung.»
                                                              serte und intensivierte Zusammenarbeit               ist – auch wenn wir diesen zu kennen glauben.» Was
                                                              mit den Behindertenorganisationen an. Sie            es auch brauche, sind Wahlmöglichkeiten
                                                              setzen sich auf politischer Ebene für gute,          für Menschen mit Behinderung. Menschen, die
                                                              zielführende Rahmenbedingungen für ihre              sich nicht verbal äussern können und allein nicht                        abgestimmte Dienstleistungen anbietet und finan-
                                                              Mitglieder ein, damit diese sich ganz direkt         die gleiche Vielfalt an Erfahrungen machen können,                      zierbar ist.» Er sieht aber auch die Grenzen der
                                                              der konkreten und gewollten Unterstüt-               brauchen die Unterstützung von anderen Men-                             Selbstbestimmung: Sie höre einerseits da auf, wo
                                                              zung widmen können.                                  schen. Laurent Wehrli ist überzeugt: «Wenn Wohn-                         der nächste Mensch beginnt, und andererseits im-
                                                                                                                   und Unterstützungsangebote stärker an den indi-                          mer dann, wenn eine Selbst- oder Fremdgefähr-
                                                                             Details zur Informations- und         viduellen Bedürfnissen ausgerichtet werden, lassen                       dung besteht. Wenn Menschen mit Unterstützungs-
                                                                             Sensibilisierungsarbeit der           sich die Möglichkeiten für ein selbstbestimmtes                          bedarf in Organisationen begleitet werden, sei
                                                                             beiden Verbände finden Sie auf
                                                                                                                   Leben weiter verbessern. So beispielsweise mit                           immer ein sorgender und begleitender Auftrag zu
                                                                             der Website:
    Pius Bernet                                                              www.aktionsplan-un-brk.ch             ganz konkreten Wohnangeboten wie betreutem                               erfüllen. «Das ist oft ein Balanceakt, der viel Finger­
    Geschäftsführer                                                                                                Wohnen, das auf die individuellen Bedürfnisse                           spitzengefühl erfordert.»        WEITER AUF SEITE 6

4   EDITORIAL                                                                                                                                                                                                           FOKUS SELBSTBESTIMMUNG        5
DAS MAGAZIN DER SSBL - Kultur der Selbst-bestimmung fördern - Stiftung für Schwerbehinderte Luzern SSBL
Marianne Streiff-Feller betont, dass es hilfreich sei,   zu ermöglichen, braucht es vielfältige, durchlässige
     sich immer wieder die Frage zu stellen, wo sich         und Gemeinwesen-basierte Angebote, die gemein-
    Menschen nach dem institutionellen Rahmen rich-          sam mit Menschen mit Beeinträchtigung (weiter)
    ten und nicht entsprechend ihren Bedürfnissen            entwickelt werden», sagt Marianne Streiff-Feller.
    ­leben können. «Es ist zu prüfen, wo und wie dieser      «Flexible Rahmenbedingungen und geeignete Fi-
    Rahmen ausgeweitet werden kann, und wir müssen           nanzierungssysteme, die nicht primär von einer
     immer auch nach Wegen suchen, damit die Men-            ‹Kassenlogik› ausgehen, sind notwendig.» Damit
     schen ausserhalb des institutionellen Rahmens           dies gelingt, ist die konstruktive Zusammenarbeit
    Kontakte knüpfen, Beziehungen erleben und viel-          der verschiedenen Player wie Bund, Kantone, Ver-
    fältige Erfahrungen machen können.» Und Laurent          sicherungen, Behinderten­   organisationen, Dienst-
    Wehrli ergänzt: «Institutionen sind in der Pflicht,      leister und Menschen mit Beeinträchtigungen not-
     die Kultur der Selbstbestimmung zu fördern und          wendig. «Und es braucht unabdingbar den
     diese in der Praxis mit entsprechenden Angeboten        politischen Willen und die Überzeugung, dass eine
     inner- und ausserhalb der Institution im Sozialraum     Gesellschaft nur dann lebenswert für alle ist, wenn
     umzusetzen.»                                            sich auch alle Menschen beteiligen und einbringen
                                                             können.» ELISABETH GEBISTORF KÄCH
    Flexible Bedingungen, geeignete Finanzierung
    Der Paradigmenwechsel vom «Umsorgtwerden» zum
    «selbstbestimmten Unterwegssein» gelinge nicht von
    heute auf morgen, betont Laurent W    ­ ehrli. Dazu         AUSFÜHRLICHE FASSUNG

    braucht es nicht nur die Dienstleistungs­ anbieter,
                                                                              Die ausführlichen Antworten von
    sondern auch Bund und Kantone als verantwortli-                           ­M arianne Streiff-Feller und Laurent                            Adrian Stalder isst gerne alleine.
    che Partner in der Umsetzung einer kohärenten                              Wehrli auf unsere Fragen finden Sie
    Behindertenpolitik sowie diverse Sozialpartner für                         auf unserer Website:
                                                                              www.ssbl.ch/KulturderSelbstbestimmung
    die Integration in die Arbeitswelt. «Um Menschen
    mit Beeinträchtigung ein selbstbestimmtes Leben

                                                                                                                                               Senfschnitten
    GRATWANDERUNG ZWISCHEN                                   Im Leitbild der SSBL steht zum Leitsatz der Selbst-
                                                                                                                                               und Lebensmittel-
    FÜRSORGE, SICHERHEIT
    UND SELBSTBESTIMMUNG
                                                             bestimmung, dass wir mit Engagement und Kom-
                                                             petenz Menschen mit Behinderung befähigen, ihre                                   pyramiden
                                                             eigenen Entscheidungen zu treffen. Damit dies
    Die Klientinnen und Klienten der SSBL brauchen –         gelingt, schaffen wir Wahl- und Entwicklungsmög-                                  Eine ausgewogene Ernährung soll gleich-
    wie jeder Mensch – ihren individuellen Raum für          lichkeiten, die sowohl positive Erfahrungen als                                   zeitig auch dem individuellen Geschmack
    Selbstbestimmung. Wir haben den Auftrag, ihnen im        auch die Bewältigung von Rückschlägen ermögli-                                    entsprechen. Damit das auch bei Menschen
    Alltag die bestmögliche Autonomie und Selbstbe-          chen. Das Prinzip der Selbstbestimmung fliesst
                                                                                                                                               mit einer Beeinträchtigung gelingt, braucht
    stimmung zu gewährleisten, was auch beinhaltet,          massgeblich in alle Grundlagendokumente sowie
    dass sie positive wie kritische Lernerfahrungen ma-      Betreuungskonzepte der SSBL ein.
                                                                                                                                               es Fingerspitzengefühl. Und Fachwissen.
    chen dürfen. Wir haben jedoch auch einen Fürsorge­
    auftrag – wir sind verantwortlich dafür, dass sie und    Die Gratwanderung liegt darin, dass dies in der
    die Mitbewohner/-innen sicher leben können.              Umsetzung nicht immer möglich ist und Entschei-          Mit einer roten Strickmütze auf dem Kopf steht                nicht auf m
                                                                                                                                                                                              ­ einer Wunschliste, aber essen tu ich es
                                                             dungen darüber zu fällen nicht immer einfach ist.        ­ drian Stalder vor seiner Wohngruppe Linden-
                                                                                                                      A                                                             schon», gibt er Auskunft über seine Vorlieben und
    Mit der diesen Aufträgen innewohnenden Verant-           In der Zusammenarbeit unserer Fachpersonen ist           berg 1 in Rathausen und ist bestens gelaunt. Es ist           Abneigungen. Das bespricht er auch regelmässig
    wortung einher gehen immer auch Entscheidungen           das Prüfen unserer Leistungen ein wesentlicher           neun Uhr, sein Tag ist gut gestartet: Gerade ist ihm          mit der Ernährungsberaterin Brigitte Christen-
    darüber, welche konkreten Leistungen wir erbrin-         Bestandteil der Reflexionsprozesse. Dies führt zu        seine Freundin begegnet, sie hatten Zeit für einen            Hess (siehe Kasten auf Seite 8): Zusammen hecken
    gen. Eine Gratwanderung, die die Mitarbeitenden          einer hohen Lebensqualität für die Klientinnen und       kurzen Flirt. «So hübsch ist sie! Ich bin ein verlieb-        sie Ideen und Tipps aus, wie Adrian gesund essen
    in der Begleitung und Betreuung von Klientinnen          Klienten der SSBL.                                       ter Mann!», ruft der 29-Jährige übermütig. Jetzt              kann und trotzdem nicht auf seine Lieblingsspei-
    und Klienten tagtäglich machen. Damit diese Grat­                                                                 geht es ins Atelier, er hat nur kurz Zeit für Fragen.         sen und Süssigkeiten verzichten muss.
    wanderung gelingt, prüfen wir immer wieder, ob                                                                    «Was ich zum Zmorge esse? Das weiss doch jeder:
                                                              DR. ISABELLE EGGER TRESCH (Leiterin Leistungs­
    das, was wir machen, das Richtige ist, und ob die        management) MANUELA SCHLECHT-HUBER (Leiterin             eine Senfschnitte!» Und ja: Auf das Mittagessen               Der junge Mann will bei den Mahlzeiten ausserdem
    Lebens­qualität dabei im Fokus steht.                    Wohnen und Arbeiten)                                     freue er sich auch. Am liebsten wäre ihm, wenn es             alleine sein. «Das ist mir zu viel, mit den anderen
                                                                                                                      Kartoffelstock oder Schnitzel und Pommes geben                am Tisch zu sitzen», erklärt er. Solche und andere
                                                                                                                      würde. Mit Ketchup. «Rüebli und Spinat stehen                                                WEITER AUF SEITE 9

6   FOKUS SELBSTBESTIMMUNG                                                                                                                                                                             FOKUS SELBSTBESTIMMUNG             7
DAS MAGAZIN DER SSBL - Kultur der Selbst-bestimmung fördern - Stiftung für Schwerbehinderte Luzern SSBL
INTERVIEW MIT                                  Bedürfnisse werden in der Stiftung für Schwerbe-         Aufgabe des Teams sei es, gute Rahmenbedingun-
                                                                    BRIGITTE CHRISTEN-HESS                         hinderte SSBL ernst genommen und individuell             gen zu schaffen, damit es allen wohl ist – das betrifft
                                                                                                                   umgesetzt. Zu einer guten Ernährung tragen viele         unter anderem den Lärmpegel oder den individuell
                                                                    Brigitte Christen-Hess ist Ernährungs-         Komponenten bei – dazu gehört auch eine stimmi-          bevorzugten Sitzplatz. Bis das funktioniere, sei es
                                                                    beraterin SVDE mit eigener Praxis in           ge Atmosphäre beim Essen. Und diese sieht nicht          ein langer Prozess, der auch immer wieder hinter-
                                                                    Luzern. Die erfahrene Fachfrau wird            für alle gleich aus: Manche essen lieber alleine, wie    fragt und angepasst werde. Essen ist auch ein
                                                                    bei Fragen rund ums Thema Ernährung            Adrian, andere wollen gemeinsam am Tisch sitzen.         emotionales Thema: Jede und jeder hat seine eige-
                                                                    und Essverhalten zugezogen. Auch von                                                                    nen Ideen von gesunder Ernährung, Essrituale oder
                                                                    einzelnen Wohngruppen der Stiftung             Breite Palette an Auswahlmöglichkeiten                   Hausrezepte bei Beschwerden. «Die Mitarbeiten-
                                                                    für Schwerbehinderte Luzern SSBL.              An erster Stelle stillt Nahrung ein Grundbedürfnis       den müssen diesbezüglich ihre eigenen Vorstellun-
                                                                                                                   und hat entsprechend für alle ihre Wichtigkeit. Wie      gen zurückstellen. Eine professionelle Haltung
                                                                                                                   bei vielen Leuten liegt bei Menschen mit einer           rund um das Thema Selbstbestimmung und Ernäh-
                                                                                                                   Beeinträchtigung häufig auch ein medizinischer           rung zu entwickeln, ist eine grosse Herausforde-
                                                                                                                   Befund oder ein auffälliges Essverhalten vor. «Die-      rung», sagt Kalbhenn und betont, dass sich die
                                                                                                                   sen individuellen Voraussetzungen wird natürlich         fachliche Expertise durch eine Ernährungsberaterin
                                                                                                                   Rechnung getragen», sagt Peter Kalbhenn, Grup-           in mancherlei Hinsicht positiv auswirke und eine
                                                                                                                   penleiter Lindenberg 1, und betont, dass nichts­         gute Unterstützung sowohl für das Team wie die
                                                                                                                   desto­trotz alle Bewohnenden in die Menüplanung          Bewohnerinnen und Bewohner sei.
                                                                                                                   einbezogen werden: Im Turnus können Essens­
                                                                                                                   wünsche gemacht werden, Vorlieben und Abnei-
    INTERVIEW VON CHRISTINE WEBER                           macht und sich damit auch neue Lebenswelten            gungen werden so gut wie möglich berücksichtigt.
    Frau Christen-Hess, welche spezifischen Themen
    gibt es rund um das Thema Ernährung bei Men-
                                                            eröffnen können. Wenn jemand zum Beispiel seine
                                                            Süssigkeiten aus schlechtem Gewissen heimlich
                                                                                                                   «Eine grosse Herausforderung ist das insbesondere
                                                                                                                   bei jenen, die sich verbal nicht mitteilen können»,               An erster Stelle
    schen mit einer Beeinträchtigung/Behinderung?
    Ich werde unter anderem beigezogen, wenn ein
                                                            isst, suchen wir nach selbstbestimmten Lösungen:
                                                            Eine Box, wo er oder sie sich selber in einem
                                                                                                                   sagt Kalbhenn und erklärt, wie Unterstützende
                                                                                                                   Kommunikation eingesetzt wird: mit Piktogrammen,
                                                                                                                                                                                     stillt Nahrung ein
    ärztlicher Befund vorliegt, etwa Herz-/Kreislauf-       gewissen Rahmen bedienen kann. Oder die Cerve-         Bildern, Kochbüchern, Gestik und Mimik. Als Basis                 Grundbedürfnis und
    störungen, Untergewicht /Übergewicht oder eine          lats, anstatt auf die Schnelle im Zimmer zu ver-       für eine ausgewogene Ernährung orientiert man
    Lebensmittelunverträglichkeit. Unterschiedlicher En-    schlingen, mit den anderen beim Zvieri teilen oder     sich an der Lebensmittelpyramide, auch diese wird                 ist für alle wichtig.
    ergiebedarf und auffälliges Essverhalten sind eben-     in einer geeigneten Form ins Nachtessen zu integ-      zur Verdeutlichung visuell eingesetzt. Wichtig sei es,
    falls bestimmende Themen. Mein professionelles          rieren. Die Ernährungsberatung gibt ein positives      mit unterschiedlichen Hilfsmitteln eine möglichst
    Fachwissen im Bereich Ernährung und Diätetik un-        Erlebnis: Sie bricht Muster auf und zeigt auf eine     breite Palette an Wahlmöglichkeiten aufzuzeigen.
    terstützt die Bewohner/-innen sowie die Mitarbei-       gute Art a­ ndere/erweiterte Möglichkeiten punkto      Statt einfach «Kartoffeln» werde die Auswahl erwei-      Das sieht auch Adrian Stalder so: Die Einzelgesprä-
    tenden auf den Wohngruppen bei der gemeinsamen          Ernährung und Essverhalten.                            tert, zum Beispiel mit Bildern von Rösti, Bratkartof-    che mit Brigitte Christen-Hess tragen dazu bei,
    Suche nach kreativen Lösungs­   ansätzen, Abläufen                                                             feln oder Kartoffelstock. Auf offene Fragen wie          dass er selbst mitbestimmt, welches Essen ihm in
    und Strukturen, die dann gemeinsam ausprobiert          Wie arbeiten Sie konkret an den jeweiligen The-        etwa: «Was magst du heute essen?», komme sonst           welcher Menge und zu welchem Zeitpunkt gut tut –
    und stetig weiterentwickelt werden.                     men? Zuerst werden die Eckdaten bezüglich des          oft eine Standardantwort von dem, was am besten          zum Beispiel das Zmittag, das soeben im Wägeli
                                                            medizinischen Befunds/des anstehenden Themas/          bekannt ist: Pizza, Spaghetti oder Wurst.                vom Restaurant pro nobis an Adrian vorbei gerollt
    Können Sie das an einem Beispiel konkretisieren?        Problemfeldes sowie die individuellen Kommuni-                                                                  wird. Bis zur Essenszeit dauert es allerdings noch
    Im Einzelnen kann durch kleine Anpassungen viel er-     kationsmöglichkeiten und -wege geklärt und im          Das Mittagessen für die neun Bewohnerinnen und           eine Weile. «Zuerst muss ich jetzt sowieso noch
    reicht werden: Kaffeerähmli anstelle einer Milch-/      Anschluss entsprechende Ziele und Lösungsansät-        Bewohner wird an vier Tagen in der Woche vom             schaffe, schaffe, Häusle bauen!», ruft er fröhlich
    Kaffeerahmflasche, kleinere oder grössere Teller/       ze angedacht. Danach arbeite ich – wenn möglich –      SSBL-internen Restaurant pro nobis bezogen, alle         und macht sich eilig auf ins Atelier.
    Tassen, auf dem Teller direkt oder mit Bildern sicht-   direkt mit den Betroffenen im Einzelsetting, aber      anderen Mahlzeiten und Zwischenverpflegungen               CHRISTINE WEBER
    bar machen, wo welche Nahrung drauf kommt.              auch mit dem Team selbst: Gemeinsam entwickeln         werden auf der Gruppe zubereitet. Auch das sei ein
    Überhaupt ist das Sichtbarmachen wichtig: Mit Mo-       wir die angedachten Ansätze und Umsetzungs-            wichtiges Ritual, sagt Kalbhenn: «Viele sind sehr
    dellen, Bildern oder Attrappen – es gibt tausend        schritte weiter. In einem nächsten Schritt probieren   gerne aktiv oder passiv beim Kochen dabei: Ge-
    kleine Sachen, die ein gesundes und angepasstes         die Mitarbeitenden, diese zusammen mit den Klien-      müse schneiden, Einkaufen oder einfach in die
    Essen unterstützen und die Selbstbestimmung trotz-      ten/-innen im Alltag anzuwenden. Nach einer            Kochtöpfe schauen.» Die Küche ist darum auch of-
    dem garantieren.                                        mehrwöchigen Zeitspanne erfolgt die Auswertung.        fen und für alle einsehbar.
                                                            Es ist wichtig, dass dabei alle am gleichen Strick
    Sie sind also keine Gesundheitspolizistin, die einem    ziehen und die Mitarbeitenden sensibilisiert sind:     Fachliche Unterstützung als Bereicherung
    die Pommes klaut? Überhaupt nicht! Aber ich be-         Eine Fachexpertise durch die Ernährungsberaterin       Die Essenszeiten geben zudem automatisch eine
    wege mich ganz klar im Spannungsfeld zwischen           klärt Fragen und Unsicherheiten und unterstützt        Tagesstruktur vor, das ist auf der Wohngruppe
    Selbstbestimmung und Schutz. Dabei ist es wichtig,      damit das Team in seinem professionellen Handeln,      Lindenberg 1 besonders gefragt. «Die Abläufe sind
    dass das Essen lustvoll und vielfältig bleibt, Spass    das sie täglich auf den Gruppen anwenden.              Rituale, die den Bewohner/-innen Sicherheit und
                                                                                                                   Orientierung geben», sagt ­Kalbhenn.                     Auf Essenswünsche eingehen mit Hilfe von Piktogrammen.

8   FOKUS SELBSTBESTIMMUNG                                                                                                                                                                       FOKUS SELBSTBESTIMMUNG               9
DAS MAGAZIN DER SSBL - Kultur der Selbst-bestimmung fördern - Stiftung für Schwerbehinderte Luzern SSBL
Individuell
  Selber sagen, was gefällt                                                                                             von der Socke
  Kleidung muss bequem und praktisch sein. Kleidung ist                                                                 bis zum
  aber auch Geschmackssache und betont die individuelle
  Persönlichkeit. Auf eine selbstbestimmte Kleiderwahl
                                                                                                                        Haarschnitt.
  wird in der Stiftung für Schwerbehinderte Luzern SSBL
  Wert gelegt.

                                                                                                                 Wünsche der Bewohnerinnen und Bewohner akzep-
  Annemarie Fischer trägt Jeans, bequeme Schuhe                                                                  tiere. «Es muss ja ihnen gefallen und nicht mir», sagt
  und ein knalliges Shirt in Pink. «Aber meine Lieb-                                                             Jasmin Huber. Die individuelle und selbstbestimmte
  lingsfarbe ist Blau. Und Grau auch», sagt sie. Röcke                                                           Auswahl gilt nicht nur für Kleider und Haarschnitt,
  mag sie nicht und am liebsten sind ihr bequeme                                                                 sondern auch für Pflegeprodukte. «Wenn zum Bei-
  Sachen wie eben die Bluejeans. Die 57-Jährige lebt                                                             spiel bei jemandem das Duschmittel aufgebraucht
  in der Wohngruppe Striterhof in Pfaffnau, wo neun                                                              ist, machen wir nicht einfach den Schrank auf und
  Menschen mit einer Beeinträchtigung daheim sind.                                                               stellen irgendeine neue Tube hin, sondern gehen
  Welche Kleider ihnen gefallen, was sie anziehen                                                                zusammen in den Dorfladen und kaufen eines nach
  und kaufen, bestimmen sie selbst. «Ist ja logisch!                                                             Wahl», erklärt die Sozialpädagogin an einem Bei-
  Wenn mir etwas nicht gefällt, würde ich es gar nicht                                                           spiel. Das ist punkto Selbstbestimmung gut und
  anziehen und das bringt’s ja überhaupt nicht», sagt                                                            zudem ein schönes Einkaufserlebnis.
  Annemarie Fischer und erklärt, wie das mit dem
  Kleiderkaufen funktioniert: Wenn sie etwas Neues                                                               Unterwegs mit Stiefeln und Regenmantel
  braucht, fährt sie mit einer Betreuerin entweder                                                               Wie oft neue Kleider gekauft werden und wie viel
  nach Langenthal oder Oftringen. In den Kleider­                                                                Budget dafür vorhanden ist, sei unterschiedlich.
  läden schaut sie sich um und probiert die Sachen                                                               «In der Regel gehen wir dann zum Einkaufen, wenn
  an. «Ich muss immer probieren, ob es passt, weil                                                               der Bedarf für eine Neuanschaffung vorhanden ist.
  ich Übergrösse brauche», sagt sie. Die Sachen aus-                                                             Das Budget dafür wird jährlich mit der jeweiligen
  wählen und anprobieren sei anstrengend, es mache                                                               Vertretung überprüft und variiert leicht von Bewoh-
  sie müde und darum sei es gut, dass sie alleine mit     Annemarie Fischer kauft nur, was ihr gefällt.          nerin zu Bewohner», sagt Jasmin Huber. Auch die
  der Betreuerin unterwegs ist. «Mit andern zusam-                                                               Angehörigen kümmern sich teils um das Thema
  men wäre mir das zu viel», sagt sie.                    Entspannt geht es hingegen beim Coiffeur zu und        Kleidung und kaufen mit manchen Bewohnerinnen
                                                          her, dort lässt sie sich alle zwei Monate die Haare    und Bewohnern ein oder bringen Pullover & Co. bei
                                                          schneiden. «Ganz kurz. Das gefällt mir und ist         Besuchen mit. Apropos Besuch: ­Annemarie Fischer
                                                          praktisch.»                                            serviert nach dem Gespräch rund um Kleider einen
      GRENZEN DER SELBSTBESTIMMUNG                                                                               Kaffee mit Milch. «Eigentlich ist mir nicht wichtig,
      Die SSBL hat den Auftrag, die Bewoh-                Selbstbestimmung fängt bei kleinen Dingen an           was ich für Sachen anhabe», sagt sie. Ausser
      nerinnen und Bewohner zu schützen.                  Nicht alle auf der Wohngruppe können so eigen-         dienstags, wenn sie jeweils das Beschäftigungs-
                                                                                                                 ­
      Um diesen Auftrag zu erfüllen, braucht              ständig und verständlich wie Annemarie Fischer         programm im Wald habe. «Dann muss ich mich
      es auch Grenzen der Selbstbestimmung.               sagen, welche Kleider ihnen gefallen. «Dann macht      warm anziehen. Manchmal auch Stiefel und Regen-
      Beispielsweise wenn es draussen schneit             es Sinn, eine Vorauswahl zu treffen», erklärt Jasmin   mantel. Dort arbeiten wir nämlich auch, wenn es
      und jemand eine kurze Hose Hosen                    Huber, Sozialpädagogin und Ressortverantwortli-        nicht schönes Wetter ist.» CHRISTINE WEBER
      und Sandalen anziehen möchte. Ebenso                che Agogik in der Wohngruppe Striterhof. Zum
      gehört es beispielsweise zu unserer                 Beispiel mehrere Pullis in verschiedenen Farben
      Aufgabe, die Klientinnen und Klienten               zusammenstellen und den Bewohner oder die Be-
      zu unterstützen, wenn sie sich vor dem              wohnerin auswählen lassen – verbal, mit Zeichen            FÜNF TONNEN WÄSCHE PRO WOCHE
      Gang in halböffentliche oder öffentliche            oder Mimik. Das gelte für alle Kleidungsstücke bis         Die Stiftung für Schwerbehinderte Luzern
      Bereiche gar nicht anziehen möchten.                hin zu den Socken: Manche mögen sie mit Punkten            SSBL sorgt auch für frisch gewaschene
                                                          drauf, andere geringelt. «Selbstbestimmung fängt           Kleider sowie Bett- und Frotteewäsche.
      Beachten Sie dazu auch den Artikel                  bei kleinen Dingen an. Gerade Kleidung ist ein Be-         Dazu gehören ebenfalls 1100 Garnituren
      «Gratwanderung zwischen Fürsorge,                   reich, in dem die Leute – teils mit Unterstützung –        Bett­wäsche. Lesen Sie auf der Folgeseite
      Sicherheit und Selbstbestimmung»                    gut wählen und bestimmen können», sagt Jasmin              das Interview mit Ursina Schürmann,
      auf Seite 6.                                        Huber. Wichtig sei dabei, dass man nicht vom eige-         Leiterin Hauswirtschaft.
                                                          nen Stil und Geschmack ausgehe, sondern die

10 FOKUS SELBSTBESTIMMUNG                                                                                                             FOKUS SELBSTBESTIMMUNG              11
DAS MAGAZIN DER SSBL - Kultur der Selbst-bestimmung fördern - Stiftung für Schwerbehinderte Luzern SSBL
INTERVIEW MIT URSINA SCHÜRMANN
  Ursina Schürmann ist Leiterin Hauswirt-
  schaft und erklärt, wie die Bewohnerinnen
  und Bewohner bei der Auswahl von Mustern
  und Designs der Bettwäsche mitbestimmen.

  INTERVIEW VON CHRISTINE WEBER    
  Frau Schürmann, wie viel Bettwäsche braucht es              nun eingeführt. Zudem werden wir alle Garnituren
  in der SSBL? Es braucht Bettwäsche für 370 Liege-,          in Doubleface – eine Seite gemustert, die andere
  Entspannungs- und Schlafmöglichkeiten. Um einen             uni – herstellen lassen. Und damit noch mehr Indivi-
  regelmässigen Wechsel zu ermöglichen, benöti-               dualität möglich ist, gibt es Kissen und Fixleintuch
  gen wir drei komplette Garnituren pro Bett – das            in verschiedenen Unifarben. So kann man immer
  bedeutet also mehr als 1100 Bettgarnituren.                 wieder neu zusammenstellen.

                                                                                                                                              Selbstbestimmung
  Werden alle Gruppen beliefert oder schaffen eini-           Wichtig ist nebst dem Design auch, dass das Mate-
  ge Bettwäsche individuell an? Es ist vorgesehen,            rial pflegeleicht und robust ist – die Beanspruchung
  dass alle Bewohnerinnen und Bewohner damit aus-             ist viel grösser als bei normalem Hausgebrauch.
  gestattet werden – ausser im Kinderhaus Weid-
  matt, dort sind die Bedürfnisse ganz anders. Damit          Worauf muss geachtet werden? Die verwendeten                                    beginnt mit Selbst-
  diese Textilien und auch die Kleider der Klienten/-
  innen richtig zugeordnet werden können, müssen
  wir sie mit Namen und Wohngruppe kennzeich-
                                                              Textilien müssen chlor- und bleichecht sein. Wir ver-
                                                              wenden im Waschprozess einen Anteil Chemie, da-
                                                              durch werden Keime abgetötet. Allerdings ist nur
                                                                                                                                              wahrnehmung
  nen – das ist unumgänglich bei rund fünf Tonnen             so viel Chemie drin, wie wirklich notwendig ist – wir                           Die Heilpädagogin Céline Zwyssig sorgt wie
  Wäsche, die wir nur schon hier in Rathausen pro             wollen ja Sorge zur Umwelt tragen. Praktisch sind
                                                                                                                                              alle Fachpersonen im Kinderhaus Weidmatt
  Woche verarbeiten.                                          an Duvets und Kissen auch Reissverschlüsse. Aller-
                                                              dings müssen sie mangeltauglich sein, damit sie bei
                                                                                                                                              mit Empathie und Respekt dafür, dass sich
  Haben alle die gleiche Bettwäsche – oder wer                den hohen Temperaturen nicht schmelzen.                                         die Kinder mit einer (schweren) Beeinträchti-
  wählt Material und Muster aus? Natürlich gibt es                                                                                            gung wohlfühlen können. Das hat viel mit
  eine Auswahl: Bei einer Umfrage mit Bildern* und                                                                                            Selbstbestimmung zu tun.
  visuellen Beispielen haben die Bewohnenden mit-
  bestimmt, was ihnen gefällt. Wir haben für eine
  Umfrage mit Unterstützung aus dem Fachbereich                                                                       Es knistert. Die kleine Alina* (Name geändert)         Beeinträchtigung genau artikuliert, ist selbst für
  Begleiten und Betreuen total neun Muster ausge-                                                                     horcht auf und dreht ihren Kopf. Sie liegt auf eine    die Betreuerinnen nicht immer leicht zu erkennen.
  sucht. Die fünf meistgenannten Designs werden                                                                       weiche Decke gebettet. Ihr Körper ist in Bewegung,     «Immer wieder müssen wir interpretieren. Und eine
                                                                                                                      aber das Knistern scheint ihn kurz innehalten zu       Situation mehrmals wiederholen, bis eine Reaktion
                                                                                                                      lassen. Jetzt nimmt das Mädchen mit den Augen          klarer wird und eingeordnet werden kann.»
                                                                                                                      Kontakt auf. Céline Zwyssig, die Heilpädagogin,
                                                                                                                      sitzt bei ihr und raschelt nochmals mit der Knister-   Ein Recht auf Selbstverwirklichung
         Bildumfragen helfen,                                                                                         folie. Etwas passiert. Was empfindet Alina? Céline     Im Heilpädagogischen Kinderhaus Weidmatt wer-

         die Wünsche der                                                                                              Zwyssig kann es nicht sicher sagen, sie weiss nur:
                                                                                                                      Sie ist mit dem Kind in Kontakt. Es reagiert. Es
                                                                                                                                                                             den ungefähr 30 Kinder über das Jahr in unter-
                                                                                                                                                                             schiedlicher Intensität betreut und gefördert. Es
         Bewohner/-innen                                                                                              scheint sich wohlzufühlen. Vertrauen baut sich auf.    gibt Kinder, die 365 Tage in der Weidmatt in Wol-
                                                                                                                                                                             husen zuhause sind. Andere kommen regelmässig
         zu ergründen.                                                                                                Es sind manchmal winzige Schritte, die in der Be-      für ein paar Tage oder einmal die Woche. In drei
                                                                                                                      treuung von Kindern mit teils schweren mehr­           Wohngruppen, die maximal je sechs Kinder auf-
                                                                                                                      fachen Beeinträchtigungen so etwas wie eine Ver-       nehmen, finden die Kinder eine vertrauensvolle
                                                                                                                      ständigung signalisieren. «Eine positive Beziehung     Umgebung und zahlreiche Förderangebote, durch
  *Mit derartigen Umfragen (hier ist ein Auszug abgebildet)                                                           ist die Grundlage, dass ein Kind sich wohlfühlt.       die ihre Entwicklung auch unter schwierigen Um-
   ermöglichen wir auch wichtige Lernerfahrungen:                                                                     Dann getraut es sich auch, aktiv zu werden und         ständen Schritt für Schritt unterstützt werden kann.
   Die Klientinnen und Klienten lernen, dass bei Mehrheits-
                                                                                                                      zu zeigen, was es möchte», sagt Céline Zwyssig.
   entscheidungen manchmal nicht ihre persönliche Wahl
   berücksichtigt werden kann.                                                                                        Welche Bedürfnisse ein Kind mit einer schweren                                      WEITER AUF SEITE 14

12 FOKUS SELBSTBESTIMMUNG                                                                                                                                                                        FOKUS SELBSTBESTIMMUNG 13
DAS MAGAZIN DER SSBL - Kultur der Selbst-bestimmung fördern - Stiftung für Schwerbehinderte Luzern SSBL
EIN BLICK IN DIE TECHNIKABTEILUNG DER FIRMA

                                                                                                                                                                                        ACTIVE COMMUNICATION
                                                                                                                    Selbstbestimmung
  «Jedes Kind hat ein Recht auf Unterstützung, wo          Computern. Auch «Ursache-Wirkung-Spiele» brin-
  Hilfe notwendig ist. Aber genauso auch ein Recht         gen Austausch in Gang. Durch einen Tastendruck
  auf Freiraum für Entscheidungen, Selbstverwirkli-        können Kinder ein Ereignis oder eine Reaktion des
  chung und Selbstständigkeit», fasst Céline Zwyssig
  ein Grundprinzip ihrer Arbeit zusammen. Die Heil-
                                                           Gegenübers auslösen und so mit der Zeit die
                                                           Selbstwirksamkeit erfahren. Céline Zwyssig: «Sie
                                                                                                                    dank künstlicher Intelligenz
  und Sozialpädagogin arbeitet seit fast neun Jahren       merken mit diesen Geräten, dass sie etwas machen
  im Kinderhaus Weidmatt. Seit sieben Jahren ist sie       und signalisieren können: Ich will etwas. Das ist        Assistive Technologien tragen massgeblich zur Selbstbestimmung
  für die Einzelförderung der Kinder zuständig, im         eine Grundlage für Selbstbestimmung.»                    von Menschen mit Beeinträchtigung bei. Je länger, je mehr. Im Zentrum
  Team mit Janine Jost. In ihrem Alltag spielt die                                                                  stehen die individuellen Bedürfnisse dieses Menschen – es gilt heraus­
  Selbstbestimmung eine grosse Rolle. Sie offenbart        Bei allen Interaktionen mit den Kindern steht das        zufinden, wie er oder sie ein Signal auslösen und damit seinen/ihren
  Facetten, die in der herkömmlichen Betriebsamkeit        Wohlbefinden im Vordergrund. Auch Kinder mit
                                                                                                                    Willen kundtun kann. Damit gewinnt dieser Mensch die Kontrolle über
  des Lebens oft vergessen gehen.                          schwersten und mehrfachen Einschränkungen
                                                                                                                    sein Umfeld – die Lebensqualität steigt nachhaltig.
                                                           erfahren eine liebevolle Aufmerksamkeit. Mit der
  In der Begleitung und Betreuung von Kindern mit          Unterstützung von Kinaesthetics, Klangschalen,
  teils schwersten mehrfachen Beeinträchtigungen           Vibrationskissen, Klangwiege oder auch einer Mas-
  ist es in erster Linie die Kommunikation, die am An-     sage lernen sie, ihren Körper und die Umgebung           Mit Hilfe assistiver Technologien lässt sich schon
  fang jeder Selbstbestimmung steht. «Wir unter-           wahrzunehmen und auszudrücken, wie sie empfin-           heute die allergrösste Mehrheit an motorischen
  stützen die Kinder mit verschiedenen Methoden,           den. «Selbstbestimmung beginnt mit der Selbst-           Einschränkungen so weit kompensieren, als dass
  damit sie ausdrücken können, was sie wollen und          wahrnehmung», sagt Céline Zwyssig.                       ein Computer bedient werden kann. Auch mit kog-
  wie sie sich fühlen. Andererseits müssen auch die                                                                 nitiven Einschränkungen ist dies je nach Situation
  Betreuungspersonen spüren und deuten können,             Die Selbstbestimmung ist zentral. Die Kinder wäh-        möglich. Mit Umfeldsteuerungssystemen können
  was ein Kind für Bedürfnisse äussert und ihm             len selber aus, welche Kleider sie tragen wollen.        Telefon, Licht, Türen, Fenster oder Unterhaltungs-
  gleichzeitig auch Möglichkeiten dazu bieten», sagt       «Stärkere Kinder gehen selbstständig zum Kleider-        elektronik bedient werden und Personenrufsysteme
  Céline Zwyssig. Erst wenn diese kommunikativen           schrank und nehmen sich ein T-Shirt oder eine            erhöhen die Sicherheit.
  Brücken gebaut sind, kann das selbstbestimmte            Hose, die ihnen gefällt. Den Kindern mit schwere-
  Wahrnehmen und Handeln zum Ausdruck kommen.              ren Einschränkungen zeigen wir zwei oder drei            Umfeldsteuerungen können je nach Anforderung
                                                           Kleidungsstücke und schauen, auf welches sie wie         und Grad der Beeinträchtigung über grosse, leicht-
  Ein breites Ausdrucksrepertoire                          reagieren.» Das gleiche Prozedere erfolgt bei den        gängige und übersichtliche Tasten, per Sprach­
  Entsprechend den unterschiedlichen Einschrän-            Spielsachen. «Wir probieren verschiedene Sachen          befehl, mit einem Saug-Blas-Schalter oder direkt
  kungen, mit denen die Kinder leben, werden spezi-        aus und beobachten, worauf ein Kind eingeht oder         über den Rollstuhljoystick bedient werden. So nut-
  fisch angepasste und vor allem nonverbale Kom-           nicht.» Auch beim Essen können sie mit ihren Ge-         zen auch Menschen mit stark eingeschränkter Fein-
  munikationsformen eingesetzt. Mimik und Gestik           bärden und Signalen zu verstehen geben, ob sie           motorik diese Hilfsmittel problemlos.
  spielen eine grosse Rolle, aber auch Weinen, La-         etwas gerne haben oder nicht.
  chen, bestimmte Laute oder das Wahrnehmen der                                                                     Es gibt auch schon erste Systeme in der Testphase,
  Körperspannung. Weitere Verständigungsmög-               Beziehung ist das Elementare                             die Benutzern/-innen helfen, eine Auswahl zu tref-
  lichkeiten erfolgen mit den PORTA-Gebärden, mit          Aussenstehende staunen oft, mit welcher Hingabe          fen. Der Betreuer/die Betreuerin fragt jemanden
  Piktogrammen, Fotos, iPad und teils speziellen           und Sorgfalt die Fachpersonen im Kinderhaus ihre         beispielsweise: «Willst du Cola oder Fanta?» Das
                                                           Aufgaben wahrnehmen. Wo steht das Kind? Was              Gerät versteht die Frage und zeigt automatisch die
                                                           kann es? Was ist der nächste Schritt für seine Ent-      Bilder von Cola und Fanta. Der beeinträchtigte
                                                           wicklung und wie kann ich es dabei unterstützen          Mensch muss somit nur noch das gewünschte Feld
                                                           und begleiten? Das sind für Céline Zwyssig die Leit-     anwählen – und es nicht mehr, wie bislang, mühsam
                                                           linien in ihrem Arbeitsalltag. «Jeder Schritt zählt.     in der Symbolsammlung suchen.
                                                           Egal, wie gross er ist. Schon der kleinste Fortschritt                                                            MEHR TEILHABE UND SELBSTBESTIMMUNG
                                                           bereitet Freude.»                                        Blick in die Zukunft
                                                                                                                    In fünf bis zehn Jahren wird künstliche Intelligenz                    Ein konkreter Einblick, wie assistive
                                                                                                                                                                                           Technologien das Leben erleichtern
                                                           Mit diesen Erfahrungen finde sie eine grosse Erfül-      (KI) mehr und mehr zum Einsatz kommen und
                                                                                                                                                                                           können.
                                                           lung in ihrer Arbeit, sagt die Heilpädagogin. Der        vieles erleichtern. KI wird immer stärker in die
                                                           Blickwinkel verändere sich, andere Wichtigkeiten         Syste­me eingebunden und macht deren Nutzung                           youtu.be/7QhD37-8duE
                                                           des Lebens rückten in den Vordergrund. «In unse-         einfacher, weil das System schon vieles weiss.
                                                           rer Gesellschaft wollen wir immer mehr, so dass wir      Steht man vor einer Türe fragt es beispielsweise:
                                                           manchmal zu vergessen scheinen, was wir wirklich         «Soll ich die Türe öffnen?» Fällt jemand um, merkt    indem sie automatisch Dingen ausweichen. Geräte
                                                           brauchen. Die Beziehung ist wichtig, das Miteinan-       das System das und fordert selbstständig Hilfe an.    werden Alltägliches – wie beispielsweise die Reser-
                                                           der. Es ist für mich das Elementare.» Im Kinderhaus      Es wird künftig auch einfache Systeme geben, die      vationen eines Coiffeurtermins – selbstständig er-
                      Unterstützung Schritt für Schritt.   Weidmatt wird das nicht nur postuliert, sondern          Gebärdensprache in Lautsprache umsetzen und           ledigen können. FIORE CAPONE (Geschäftsführer
                                                           auch so gelebt. PIRMIN BOSSART                           umgekehrt. Rollstühle werden immer intelligenter,     Active Communication)

14 FOKUS SELBSTBESTIMMUNG                                                                                                                                                                     FOKUS SELBSTBESTIMMUNG 15
DAS MAGAZIN DER SSBL - Kultur der Selbst-bestimmung fördern - Stiftung für Schwerbehinderte Luzern SSBL
«Kann mich                                                          Sie verstehen mich gut, wenn ich spreche. Zum Antworten benutzen Sie Hilfsmittel. Welche sind das?

    IHRE GARAGE                                        besser und                                                                                      Ich verwende die Unterstützte Kommunikation (UK), die Piktogramme von
                                                                                                                                                       dieser Kommunikationsform befinden sich auf meinem Sprachcomputer. Auf
    IN EMMEN.                                                                                                                                          meiner Sprachtafel befinden sich mir bekannte Wörter. Auf meinem Tablet

                                                       schneller                                                                                       schreibe ich mit Hilfe des Sprachcomputers, da ich selbst nicht gut schreiben kann.

    DIE ZUSAMMENARBEIT MIT
    DER SSBL ERFÜLLT UNS                               verständigen»                                               Was brauchen Sie am liebsten: Das iPad, den Sprachcomputer oder die Sprachtafel?

    MIT STOLZ UND FREUDE.                                                                                                Am liebsten die Sprachtafel, da ich mit dieser Form von UK begonnen
                                                       Unterstützte Kommunikation, Pikto­                                habe zu kommunizieren. Mit dieser bin ich am geübtesten und kann
                                                       gramme, Gebärden und Sprachcomputer                               auch mehr Zeit und Geduld einsparen, da ich mich schneller verständigen
                                                                                                                         kann, und die anderen mich schneller verstehen.
                                                       sind in der Stiftung für Schwer­behinderte
                                                       Luzern SSBL alltäglich. Der Einsatz der                                                     Sie haben mir bei einem Besuch gezeigt, wie Ihr Sprachcomputer funktioniert. Das
                                                       optimalen Hilfsmittel hängt von den vor-                                                    ist gar nicht so einfach! Wer hat Ihnen geholfen, den Sprachcomputer einzurichten?
                                                       handenen Ressourcen der Klienten/-innen
                                                       ab. Das Erreichen einer grösstmöglichen                                                                        Die Heilpädagogische Schule Rodtegg half mir, meine
                                                                                                                                                                      Hilfsmittel einzurichten und auf mich abzustimmen.
                                                       und vielfältigen Kommunikationskompe-
                                                       tenz ist dabei höchstes Ziel.                                                   Verstehen die Betreuer/-innen, was Sie mit dem Sprachcomputer oder der Sprachtafel sagen?

    Grünmattstrasse 2 | 6032 Emmen                                                                                                               Ja, aber manchmal brauche ich viel Zeit und Geduld mit den Betreuer/-innen. Wenn ich
                                                       Der 38-jährige Stefan Duner hat keine aktive Laut-                                        nicht verstanden werde, warte ich auf jemanden, der mich besser kennt und versteht.
    Tel. 041 260 80 38 | info@unterdorf-garage-ag.ch
    www.unterdorf-garage-ag.ch                         sprache und nutzt darum technische/multimediale
                                                       Hilfsmittel. Dieses Interview wurde daher nicht                        Gibt es auf Ihrer Gruppe auch andere Bewohner/-innen, die
                                                       mündlich, sondern per E-Mail-Chat geführt.                             mit dem Sprachcomputer oder einer Sprachtafel sprechen?
                                                        CHRISTINE WEBER                                                                                                                                Ja, eine andere Person,
                                                                                                                                                                                                       die nicht sprechen kann.
                                                                                                                   Mit dem iPad können Sie E-Mails schreiben. Ist das schwierig?

     Unsere Dienstleistungen:                               Stefan Duner, ich bin Journalistin und möchte
                                                            Ihnen ein paar Fragen stellen. Ist das gut für Sie?                                    Früher war es einfacher, nun merke ich mein «Alter», und es funktioniert nicht mehr
                                                                                                                                                   so gut, wie ich es möchte. Solange es noch geht, möchte ich es weiterhin machen.

                                                                                                 Ja, gerne.
                                                                                                                                         Von welchen Leuten bekommen Sie Nachrichten?
                                                             Für dieses Interview möchten wir gerne
                                                                                                                                                                          Hauptsächlich von meiner Familie. Ich hatte aber auch
          Besuchs- und                  Hilfsmittel          ein Foto von Ihnen. Finden Sie das gut?
          Begleitdienst
                                                                                                                                                                          mit dem Fachbereich der SSBL per E-Mail Kontakt.

                                                                       Ja, ich mache eines und schicke es Ihnen.
                                                                                                                   Schreiben Sie mir doch, was Ihnen auf der Wohngruppe Mythen 3 besonders gut gefällt.

                                                                                                                            Mir gefällt, dass ich einen Schlüssel habe, mit dem ich die Türen selbst
                                                                                                                            öffnen kann. Im Mythen 3 hat es auch mehr gleichartige Bewohner, mit
       Entlastungsdienste            Kinderbetreuung
                                         zu Hause                                                                           denen ich mich mehr identifizieren kann. Mein Zimmer gefällt mir sehr gut.

                                                                                                                   Beim Tagesplan sehen Sie auf Bildern, was Sie für ein Programm haben.
                                                                                                                   Können Sie mir zwei Bilder schicken und sagen, was das bedeutet?

                                                                                                                                              Ich habe Ihnen im Anhang ein Bild von meinem Plan
           Fahrdienste               Rotkreuz-Notruf                                                                                          geschickt. Ich denke, die Bilder sind selbsterklärend.

                                                                                                                             Super, dass Sie meine Fragen
    www.srk-luzern.ch
    041 418 70 10
                                                        IM CHAT MIT                                                          beantwortet haben. Vielen Dank!               Gern geschehen, bei Fragen können Sie mir gerne
                                                        STEFAN DUNER                                                                                                       noch eine E-Mail schreiben. Gruss von Stefan Duner

16 FOKUS SELBSTBESTIMMUNG                                                                                                                                                                              FOKUS SELBSTBESTIMMUNG 17
DAS MAGAZIN DER SSBL - Kultur der Selbst-bestimmung fördern - Stiftung für Schwerbehinderte Luzern SSBL
INTERVIEW | Im Gespräch mit Regierungsrat Guido Graf, Vorsteher des Gesundheits- und Sozialdepartements des Kantons Luzern

  Ein Kompass für das
                                                                                                                               Das Kantonsparlament hat am 21. Oktober 2019 zu       bedarfs­gerechter Lösungen zum Wohle von Men-
                                                                                                                               null Stimmen das teilrevidierte Gesetz über soziale   schen mit Behinderungen in der Schweiz beitragen.
                                                                                                                               Einrichtungen gutgeheissen. In der Botschaft da-

  Handeln aller Beteiligten                                                                                                    zu wird der Grundsatz «ambulant und stationär»
                                                                                                                               stipuliert. Ist der Kanton Luzern in der Vorreiter-
                                                                                                                                                                                     Die Behindertenrechtskonvention der UNO (UN-
                                                                                                                                                                                     BRK) stipuliert auch Wahlfreiheit für Menschen
                                                                                                                               rolle für zeitgerechte Lösungen und Angebote für      mit Behinderungen – das heisst dass ihnen diverse
  Das Verständnis von Behinderung verändert sich von einer                                                                     Menschen mit Behinderungen?                           Angebote zur Abdeckung ihrer Bedürfnisse offen-
  defizit- zu einer ressourcenorientierten Betrachtung.                                                                        Es freut mich sehr, dass das Parlament die Vorlage    stehen müssten. Wie schafft der Kanton Luzern
  Ist der Kanton Luzern in der Vorreiterrolle für zeitgerechte                                                                 einstimmig verabschiedet hat. In diesem Ergebnis      die Balance zwischen Angebotsvielfalt und Opti-
  Lösungen und Angebote für Menschen mit Behinderung?                                                                          zeigt sich der breit getragene Konsens zum Para-      mierung der Sozialkosten?
                                                                                                                               digmenwechsel. Das Verständnis von Behinderung        Bedarfsgerechte Angebote und Leistungen müs-
  Regierungsrat Guido Graf nimmt Stellung.
                                                                                                                               verändert sich von einer defizit- zu einer ressour-   sen nicht per se zu Mehrkosten führen. Wahlfreiheit
                                                                                                                               cenorientierten Betrachtung. Das bedeutet auch,       ist vielmehr im Rahmen der individuellen Bedürf-
                                                                                                                               dass der Mensch mit seinen Fähigkeiten und            nisse und Fähigkeiten zu verstehen. Die staatlich
                                                                                                                               Bedürfnissen im Zentrum steht.                        finanzierten Leistungen werden sich auch zukünf-
                                                                                                                                                                                     tig nach dem Bedarf der einzelnen Menschen orien-
  INTERVIEW VON ELISABETH GEBISTORF KÄCH                                                                                                                                             tieren. Heute weiss man, dass der Bedarf an Unter-
  Herr Regierungsrat Graf, Mitte 2018 haben Sie die                                                                                                                                  stützung für ein selbstbestimmtes Leben noch nicht
  Informationsbroschüre «Leben mit Behinderun-                                                                                                                                       gedeckt ist. Es ist im Interesse von uns allen, dass
  gen – Leitbild für das Zusammenleben im Kanton                                                                                                                                     jede/r Einzelne im Rahmen seiner, ihrer Fähigkeiten
  Luzern» publiziert. Was waren die Rückmeldungen                                                                                                                                    zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beiträgt und
  und welche Massnahmen wurden in der Zwischen­                                                                                                                                      Verantwortung übernimmt. Wenn es uns gelingt,
  zeit bereits erfolgreich gestartet beziehungsweise                                                                                                                                 die Angebote besser auf die Ressourcen der Men-
  abgeschlossen?
  Das Leitbild entstand in engem Dialog mit sozialen                   «Wahlfreiheit ist                                                                                             schen mit Behinderungen abzustimmen, werden
                                                                                                                                                                                     wir auch eine wirtschaftlich optimale Lösung fin-
  Einrichtungen und Behindertenorganisationen und
  ist breit abgestützt. Die Rückmeldungen sind posi-
                                                                       im Rahmen der                                                                                                 den. Alle vier Jahre zeigt der Regierungsrat in ei-
                                                                                                                                                                                     nem Planungsbericht die Entwicklung des Bedarfs
  tiv. Das Leitbild hat die Funktion, als Kompass für                  individuellen                                                                                                 und zieht Schlüsse zur Angebotsentwicklung.
  das Handeln aller Beteiligten zu dienen. Die Ver-
  netzung und Koordination ist bei Querschnitts­                       Bedürfnisse und                                                                                               Wie sehen Sie die Weiterentwicklung der Angebo-
  themen ein Erfolgsfaktor, damit bedarfsgerechte
  und zielgerichtete Massnahmen ergriffen werden
                                                                       Fähigkeiten zu                                                                                                te für Menschen mit Beeinträchtigung im Kanton
                                                                                                                                                                                     Luzern? Mehr Staat oder mehr Markt?
  können. Seit der Veröffentlichung des Leitbildes
  «Leben mit Behinderungen» arbeiten die Stellen
                                                                       verstehen.»                                                                                                   Zwei Entwicklungen prägen die zukünftige Ange-
                                                                                                                                                                                     botsentwicklung: Einerseits steigt die Nachfrage
  innerhalb und ausserhalb der Verwaltung intensi-                                                                                                                                   nach intensiver Betreuung und andererseits nach
  ver zusammen. Auf der Website der Dienststelle                                                                                                                                     Angeboten, welche selbstbestimmte Lebensformen
  Soziales und Gesellschaft finden Sie gesammelt                                                                                                                                     unterstützen. Stationäre Wohn- und Tagesstruktur-
  Best-Practice-Beispiele, die das vielseitige Enga-                                                                                                                                 angebote für Menschen mit hohem Betreuungs­
  gement für und mit Menschen mit Behinderungen                                                                                                                                      bedarf zählen somit ebenso zur Weiterentwicklung
  aufzeigen. Ein wichtiger Meilenstein zur Förderung                                                                                                                                 wie die ambulanten Fach- und Unterstützungs­
  der Selbstbestimmung ist die Revision des Geset-                                                                                                                                   leistungen. Die Förderung oder der Erhalt der
  zes über soziale Einrichtungen.                                                                                                                                                    Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen
                                                                                                                                                                                     erfordern eine Balance zwischen staatlicher Regu-
                                                                                                                                                                                     lierung und unternehmerischem Handeln. Der Staat
                                                                                    Gesund
                                                                                             heits- und
                                                                                                                               Der Grundsatz «ambulant und stationär» trägt dem      hat die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass
                                                                                                          Sozialdepa
                                                                                    Leben m
                                                                                                                               personenzentrierten Ansatz Rechnung. Bereits ei-      bedarfs­gerechte, wirkungsvolle und finanzierbare
                                                                                                     rtement

                                                                                              it
                                                                                    – Leitbild Behinderungen
                                                                                                für das
                                                                                   Zusamm
                                                                                             enleben                           nige Kantone richten ihre Behindertenpolitik an       Leistungen erbracht werden. Die sozialen Einrich-
                                                                                   Luzern                 im Kanto
                                                                                                                   n
                                                                                                                               diesem Grundsatz aus.                                 tungen sind ebenso gefordert, die gesellschaftli-
      LEITBILD «LEBEN MIT BEHINDERUNGEN»
                                                                                                                               Mit der gesetzlichen Verankerung der Subjekt­         chen und wirtschaftlichen Veränderungen zu er-
                                                                                                                               finanzierung ambulant erbrachter Leistungen in        kennen und auf die höhere Lebenserwartung oder
                     Hier kann das Leitbild als PDF herunter­geladen
                                                                                                                               den Bereichen Wohnen und Arbeit gehört der            die zunehmende Erwerbstätigkeit von privaten
                     oder als Broschüre bestellt werden. Auch ein
                     Video in Gebärden­sprache steht zur Verfügung.                                                            Kanton Luzern zu den Vorreitern. Der Kanton           Bezugs­ personen von Menschen mit Behinderun-
                     disg.lu.ch/themen/Menschen_mit_Behinderungen/                                                             Luzern darf einerseits von den Erkenntnissen in       gen zu reagieren. Es handelt sich um einen ge-
                     Gleichstellung/Leitbild                                                                                   anderen Kantonen profitieren und andererseits         meinsamen Auftrag von öffentlicher Hand und
                                                                                                                               mit eigenen Erfahrungen zur Weiterentwicklung         Leistungs­erbringer.
                                                                               1

                                                                                             Soziale       Dien
                                                                                                    s und Ges ststelle
                                                                                                              ellschaft

18 ANSICHTEN                                                                                                                                                                                                               ANSICHTEN 19
«Es ist immer
                                                                                                                                                                   sofort sehr intensiv
                                                                                                                                                                   und emotional.»

                                                                                                             verbringen, bestimmten sie selber. Voraussetzung      je nach Situation intensiv.» Dazu gehöre etwa, die
                                                                                                             dafür sind zwei Sachen: Die Vertretung muss           eigenen Gefühle zu erforschen und zu benennen:
                                                                                                             grundsätzlich ihr Einverständnis dazu geben und       Bin ich wütend? Traurig? Eifersüchtig? Und wie

                              Himmelhoch                                                                     die Verhütung muss geklärt sein. «Andernfalls
                                                                                                             könnte ich kein Auge mehr zu tun», sagt Myriam
                                                                                                                                                                   gehe ich damit um? Zudem wird das Wissen rund
                                                                                                                                                                   um Körperlichkeit und Sexualität mit anschaulichen

                              jauchzend, zu                                                                  Harries, die für das Thema eine grosse Sensibilität
                                                                                                             und viel fachliches Know-how hat. Noch gibt es
                                                                                                             nämlich eher wenige Erfahrungen mit Paarbezie-
                                                                                                                                                                   Hilfsmitteln vermittelt (siehe Kasten).

                                                                                                                                                                   Rasantes Tempo in der Liebe
                              Tode betrübt                                                                   hungen auf den Gruppen, Harries hat viele Ideen
                                                                                                             und Inputs in Eigenregie, mit ihrem Team und und
                                                                                                                                                                   Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung
                                                                                                                                                                   würden oft ein rasantes Tempo und einen grossen
                                                                                                             durch fachliche Unterstützung erarbeitet. «Wir        Enthusiasmus an den Tag legen, das sei auch rund
                              Auf der Wohngruppe Titlis 3 der                                                haben einen Bildungsauftrag rund um die an-           um die Liebe so – allerdings ohne sich immer der
                              Stiftung für Schwerbehinderte Luzern                                           spruchsvollen Themen Beziehung, Sexualität und        Konsequenzen bewusst zu sein, erzählt die Grup-
                              SSBL leben neun Bewohnerinnen und                                              Körper. Das nehmen wir sehr ernst und daran ar-       penleiterin.
                              Bewohner. Speziell ist, dass hier gleich                                       beiten wir mit den Bewohnerinnen und Bewohnern                                    WEITER AUF SEITE 22

                              drei Liebespaare daheim sind.

                                                                                                             DAS RECHT AUF BEZIEHUNG UND SEXUALITÄT                nebst den interessierten Bewohnerinnen und Be-
  Turbulent sei es manchmal, die Dynamik grösser        Dass Liebespaare in der SSBL unter einem Dach        Jede und jeder soll seine Wünsche und Bedürfnisse     wohnern auch von Mitarbeitenden zur internen
   als auf anderen Gruppen. «Es fliegen auch mal die    zusammenleben können, ist nicht neu und war aus-     im Bereich Liebe selbstbestimmt leben dürfen. In      Schulung und von Gruppierungen, die sich vertieft
  Fetzen, im positiven wie im negativen Sinn», sagt     drücklicher Wunsch und Bedürfnis der Betroffe-       der Stiftung für Schwerbehinderte Luzern SSBL         mit einem Thema rund um den Körper auseinan-
  ­Myriam Harries, Gruppenleiterin Titlis 3. «Die Be-   nen. Nach einer sorgfältigen Konzeptphase woh-       gibt man den Themen Körper, Liebe, Sexualität da-     dersetzen wollen.
  wohnerinnen und Bewohner äussern Gefühle sehr         nen nun seit 2017 auch drei Paare in der             rum wortwörtlich Raum. Den Menschen mit einer
   direkt, es ist immer sofort sehr intensiv und emo-   Wohngruppe Titlis 3. Und es funktioniere gut, sagt   Behinderung stehen zwei spezielle Zimmer zur Ver-     Das Erlebniszimmer bietet Einzelpersonen oder
  tional. Oder anders gesagt: himmelhoch jauchzend,     Harries und betont: «Wichtig ist eine enge agogi-    fügung, die sie benutzen können: das Wissenszim-      Paaren eine Rückzugsmöglichkeit: Das gemütliche
  zu Tode betrübt.»                                     sche Betreuung der Liebenden, damit es für alle      mer und das Erlebniszimmer.                           und zugleich praktisch ausgestattete Zimmer kann
                                                        Betroffenen stimmt.» Gemeint sind damit nicht nur                                                          für intime Begegnungen gebucht werden. Genutzt
  Kein Wunder, hier leben die Leute 365 Tage im Jahr    die Verliebten selbst, sondern auch die ande-        Im Wissenszimmer dreht sich alles darum, was          wird es beispielsweise von Paaren, die auf unter-
  zusammen, man ist sich sehr nahe und bekommt          ren Gruppenmitglieder. Öffentliches Knutschen        und wie der Körper und die Gefühle funktionieren –    schiedlichen Gruppen leben, oder von Männern
  alles mit: Der Partner muss beispielsweise zum        nervt zum Beispiel. Darum haben alle gemeinsam       insbesondere, wenn es um Zärtlichkeiten, Berüh-       und Frauen, die sich im Erlebniszimmer mit einer
  Arzt, das kann Angst auslösen. Die Freundin flirtet   Regeln ausgearbeitet, an die man sich halten muss:   rungen und Sex geht. Vermittelt und erfahrbar         Berührerin oder einem Berührer treffen. Das Erleb-
  beim Essen mit jemand anderem, das kann eifer-        Händchen halten im Gemeinschaftsraum ist ok, ein     gemacht, wird dieses Wissen mit anschaulichen         niszimmer kann aber auch von Einzelpersonen be-
  süchtig machen. Darum sei ein eingespieltes Team      Küsschen geht auch noch – aber alles andere          Hilfsmitteln, die verschiedene Sinne ansprechen.      ansprucht werden, die sich einfach mal in ungestör-
  wichtig, sagt Harries. «Wir wissen, wo die Brenn-     ­punkto Intimität spielt sich im Zimmer ab. Damit    Dazu gehören Fototafeln und anatomische Pup-          ter Atmosphäre einen Film anschauen wollen.
  punkte sind, und können viele Gefühlsschwankun-       die Rückzugsmöglichkeit dort garantiert ist, kann    pen genauso wie plastische Modelle einer Brust
  gen rechtzeitig auffangen oder in andere Bahnen       eine «Stopp-Tafel» an der Tür angebracht werden.     oder eines Penis. Genutzt wird das Wissens­zimmer
  lenken.»                                              Ob und wann die Paare die Nacht gemeinsam

20 EINSICHTEN                                                                                                                                                                                           EINSICHTEN 21
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