Mit Gelegenheitsladung unterwegs - Bulletin.ch

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           Mit Gelegenheitsladung
           unterwegs
           Elektrobus-Systeme | E-Busse bieten eine effiziente Mobilität bei gleichzeitiger
           Minimierung unerwünschter Emissionen. Der Industriestandard OppCharge für
           E-Bus-Systeme reduziert mit seiner Gelegenheitsladung auf der Linie die Batterie-
           kapazität der Fahrzeuge und damit das Eigengewicht und den Rohstoffeinsatz.
           Zudem können Busdepots damit einfach elektrifiziert werden.

           B E AT W I N T E R F LO O D, C H R I STO P H R U F L E

           D
                    ie Fachwelt ist sich einig, dass es             d. h. im Winter, bis zu 200 kWh/100 km     Fahrzeug eingebaut werden, was eine
                    nicht nur heute, sondern auch                   benötigt, so müsste seine Batteriekapa-    Reichweite von rund 100 km ergibt. Die-
                    in zehn Jahren nötig sein wird,                 zität mindestens 600 kWh betragen.         ser Richtwert passt perfekt zu einer nach
           Batteriebusse bei Fahrleistungen von                     Unter Berücksichtigung der nicht nutz-     OppCharge gebauten E-Bus-Linie mit
           täglich 300 bis 350 km auf der Strecke                   baren Reservekapazität und der Alte-       einer Länge von 20 bis 30 km. Das Fahr-
           nachzuladen. Dies geschieht mit Gele-                    rung der Batterie ergibt sich eine nomi-   personal kann bei Verspätungen bis zu
           genheitsladungen in wenigen Minuten                      nale Kapazität der neuen Batterie von      zwei Ladevorgänge auslassen und so
           vorzugsweise an Endhaltestellen. «Für                    rund 1000 kWh. Dies entspricht heuti-      ohne Zusatzstress pünktlich verkehren.
                                                                                                                                                           Bild: Walker Architekten AG / Swiss Interactive AG

           eine einmalige tägliche Aufladung der                    gen Batterie-Paketen mit einem
           Batterien im Depot während der nächt-                    Gesamtgewicht von 7 bis 8 t. Bei einem     Auch morgen wirtschaftlich
           lichen Betriebspause kann ein Stan-                      gesetzlich zugelassenen Gesamtgewicht      unterwegs
           dard- oder Gelenkbus in den nächsten                     des Fahrzeugs von 19,5 t ergibt sich mit   «Im Zeithorizont 2030 kann angenom-
           fünf bis zehn Jahren aus Gewichtsgrün-                   dieser Batterie eine Nutzlast von maxi-    men werden, dass sich die spezifischen
           den nicht ausgelegt werden», so Prof.                    mal 2 bis 3 t. Um die erwünschten 100      Kapazitäten der Batterien um Faktor 2
           Andrea Vezzini von der Berner Fach-                      Personen in einem 12-m-Standardbus         verbessern», so Experte Vezzini. «D. h.
           hochschule in Biel und Leiter des                        transportieren zu können, darf das Leer-   mit rund 4 t an Batterien im Fahrzeug
           BFH-Zentrum Energiespeicherung.                          gewicht des Fahrzeugs höchstens 12 t       wird es in diesem Falle möglich sein,
              Geht man davon aus, dass ein Stan-                    betragen. Das heisst, es können maxi-      eine Reichweite von 300 km zu errei-
           dardbus unter Extrembedingungen,                         mal 250 kWh an Batteriekapazität ins       chen.» Ein solcher Bus mit nur rund 60

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                                       zugelassenen Personen weist aber
                                       gegenüber dem wesentlich leichteren
                                       und auch günstigeren Bus mit 1-t-Batte-
                                       rie eine eingeschränkte Nutzlast auf. Zu
                                       diesem betrieblichen Nachteil kommen
                                       die höheren Beschaffungskosten von
                                       CHF 400 000 pro Fahrzeug für die
                                       zusätzlichen 800 kWh dazu. Dies unter
                                       der optimistischen An­     nahme, dass
                                       2030 die Batteriepreise um die Hälfte
                                       auf CHF 500/kWh sinken werden.
                                       «Eine intelligente Kombination von
                                       Gelegenheitsladung auf der Strecke
                                       und einer Nachladung zu Betriebs-
                                       schluss wird auch längerfristig die
                                       betrieblich und wirtschaftlich optimale
                                       Lösung sein. Dies weil beim Depotla-
                                       de-Konzept zusätzliche Fahrzeuge für
                                       die gleiche Tagesleistung benötigt wür-
                                       den», so Vezzini. OppCharge-Ladesta-         Auch für die zukünftige Ausbaustrategie gut positioniert: Die erste Ladestation der
                                       tionen im Leistungsbereich zwischen          RVBW vor dem Depot in Wettingen.
                                       300 und 450 kW kosten mit den bausei-
                                       tigen Vorbereitungen rund CHF
                                       300 000 bis 350 000. Zudem entfallen
                                       bei einem Konzept mit Gelegenheitsla-
                                       dung die hohen und teuren Leistungs-
                                       bezüge, wie sie bei einer nur im Depot
                                       geladenen E-Bus-Flotte unvermeidbar
                                       sind. Besteht diese z. B. aus 20 Fahrzeu-
                                       gen, so sind bei einer reinen Depotlö-
                                       sung mindestens 20 x 100 kW = 2 MW
                                       während 6 h nötig, um pro Fahrzeug die
                                       600 kWh für eine Tagesleistung zu
                                       laden. Mittels Gelegenheitsladung fal-
                                       len die Leistungsbezüge dezentral über
                                       den ganzen Tag verteilt an.

                                       OppCharge als Standard
                                       Bei der Entwicklung von Ladesystemen
                                       spielt die Interoperabilität eine zentrale
                                       Rolle. Der internationale OppChar-           Multifunktional: Elektrisches Laden, Reinigen und Garagieren im E-Bus-Servicemodul.
                                       ge-Industriestandard (Opportunity
                                       Charging) für konduktive Ladesys-
                                       teme trägt dem Rechnung. Damit kann          tion im urbanen Umfeld. Der oft schwie-       ge-Standard für uns eine interessante
                                       der Betreiber von E-Bus-Systemen zwi-        rige Bau eines separaten Containers für       Option», so Jamie Wilson, Head of
                                       schen den Busherstellern frei wählen.        die Leistungselektronik erübrigt sich.        Concepts & Advanced Engineering
                                       Die Ladekontakte, die Anordnung des          Die Ladestation mit Leistungen zwi-           beim britischen Bushersteller Alexan-
                                       Pantographen als Teil der Ladestation,       schen 150 und 450 kW und ihrer freien         der-Dennis. «Dies, da die Batteriepa-
                                       die Fahrzeugpositionierung sowie das         Durchfahrtshöhe von 5 m ist so ausge-         kete nicht einfach aufs Dach des Fahr-
                                       Kommunikationsprotokoll zwischen             legt, dass selbst Doppeldeckerbusse           zeugs gepackt werden können.» Sie
                                       Bus und Ladestation sind im OppChar-         ohne Anpassungen geladen werden               müssen im knappen Hüllraum des Bus-
                                       ge-Standard festgelegt. Viele Busher-        können.                                       ses untergebracht werden.
                                       steller in Europa und in Nordamerika            Doppeldeckerbusse sind auf Land-
Bilder: RVBW / Walker Architekten AG

                                       bieten E-Busse mit OppCharge an.             Stadt-Linien auch in der Schweiz eine         Vom Pilotprojekt zum E-Bus-Netz
                                          Die All-In-One-Ladestation von Fur-       interessante Lösung. Postauto und TL          Die Regionalen Verkehrsbetriebe
                                       rer+Frey AG zeichnet sich durch ihre         Lausanne setzen deshalb seit vielen           Baden-Wettingen (RVBW) haben 2018
                                       einfache Konzeption aus: Alle Kompo-         Jahren diesen Bustyp ein. Der elektri-        beschlossen, künftig auf elektrische
                                       nenten sind in der Ladestation integ-        sche Doppeldecker stellt aber für den         Stadtbusse zu setzen. Um Erfahrungen
                                       riert. Dadurch ergeben sich Kostenvor-       Konstrukteur eine grosse technische           zu sammeln, erfolgt die Einführung
                                       teile im Bau und im Betrieb sowie eine       Herausforderung dar. «Deshalb ist die         schrittweise mit zwei Innovationsli-
                                       einfachere architektonische Integra-         Gelegenheitsladung nach OppChar-              nien. Die Linie 8 von Wettingen, Bus-

                                                                                                                                                         bulletin.ch 8 / 2020     57
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           depot, nach Neuenhof ist die erste auf       nen danach im bestehenden Busdepot          Umstellung der Busflotte auf Elektro-
           dem RVBW-Liniennetz, welche seit             wie ein Dieselbus garagiert werden,         mobilität meist schrittweise erfolgt.
           Dezember 2019 komplett elektrifiziert        denn moderne E-Busse benötigen zum          Durch vorausschauende Planung kön-
           ist. Das neue E-Bus-System besteht aus       sog. Ausbalancieren der Batterien keine     nen bei Vergrösserung der Flotte die
           einem Elektrobus des schwedischen            Langsamladung.                              Ladestationen problemlos erweitert
           Unternehmens Scania sowie einer                 Das Servicemodul hat jedoch nicht        werden.
           All-In-One-Schnellladestation. Mit           nur die Funktion des Ladens der Batte-
           einer Reichweite von 80 bis 150 km und       rien: Während der Ladezeit kann auch        Netzbaustein «E-Bus-Terminal»
           der Möglichkeit des schnellen Zwi-           das Innere und die Frontscheibe des         So wie sich die Benzin-Tankstelle zum
           schenladens ist der E-Bus mit seinem         Fahrzeugs gereinigt werden. Versuche        Tankstellen-Shop mit Bistro und Banco­
           150-kWh-Batteriepaket für den zuver-         haben gezeigt, dass sich die Front-         mat entwickelt hat, kann auch die End-
           lässigen Betrieb ausgerüstet. Der Lade-      scheibe mittels Dampfreiniger effizient     haltestelle einer Buslinie zu einer archi-
           vorgang ist kurz: In 4 Minuten kann          und ohne Wasser am Boden (Winter!)          tektonischen Einheit mit einem
           Traktionsenergie für mindestens 12 km        reinigen lässt.                             erweiterten Dienstleistungsangebot
           Fahrstrecke geladen werden. Im Hin-                                                      entwickelt werden. Während der E-Bus
           blick auf den zukünftigen Einsatz von        Bautechnische                               geladen wird, erhalten Fahrpersonal
           E-Gelenkbussen verfügt die Ladesta-          Herausforderungen                           und Passagiere im Terminal ein attrak-
           tion über eine maximale Leistung von         Bei der Integration dieser Technik in       tives Angebot, der Betreiber damit
           450 kW. Mit der Wahl des Ladestan-           bestehende Busdepotareale sind logis-       Zusatzeinnahmen. Da Infrastruktur-
           dards «OppCharge» kann der Ausbau            tische, energetische, baurechtliche         bauten vom Rollmaterial getrennt
           des E-Bus-Systems auch markenunab-           sowie planerische Gegebenheiten zu          beschafft und betrieben werden, erge-
           hängig vorangetrieben werden.                beachten. Deshalb ist zu Beginn eine        ben sich mit der Idee des Terminals
                                                        detaillierte Standortanalyse unerläss-      neue Geschäftsmodelle für EVUs: Das
           Depot-Retrofit                               lich. Die Auslegung der Flotte und das      EVU erstellt und finanziert den Termi-
           Die Komplettumrüstung eines beste-           Lademanagement unter Berücksichti-          nal und stellt die darin generierten
           henden Busdepots und die Ausstattung         gung des Fahrplans sowie der Reich-         Dienstleistungen wie die Ladevorgänge
           jedes Stellplatzes mit einer entspre-        weiten sind wichtige Indikatoren für        für E-Busse und E-Lastwagen und Ver-
           chenden Ladeinfrastruktur erscheint          eine Modernisierung und Umrüstung           kaufs- und Werbeflächen den Nutzern
           aufgrund von kostenintensiven Instal-        des bestehenden Betriebs. Neben den         gegen Entgelt zur Verfügung.
           lationen unwirtschaftlich oder bei älte-     logistischen Komponenten wie Linien-
           ren Depots technisch gar nicht möglich.      simulationen sind Abklärungen im            Autoren
           Um dennoch in die Elektromobilität zu        Bereich der Energieversorgung und des       Beat Winterflood ist Senior Consultant Ladesysteme.

           investieren, ist in Zusammenarbeit zwi-      Baurechts zu tätigen. Aus planerischer      JJFurrer+Frey AG, 3000 Bern
                                                                                                    JJbwinterflood@furrerfrey.ch
           schen Furrer+Frey AG und Walker              Sicht ist ein Erschlies­sungs- und Zirku-
           Architekten AG das Pilotprojekt «E-Bus       lationskonzept zu entwickeln, das           Christoph Rufle ist Kadermitglied mit Fachverantwortung.

           Servicemodul» als Annex-Baute ent-           einen reibungslosen Betriebsablauf          JJWalker Architekten AG, 5201 Brugg
                                                                                                    JJchristoph.rufle@walker.ch
           standen. Der Leitgedanke: eine zen­          garantiert. Weiterhin sind zukünftige
           trale Schnell-Ladestation im Busdepot.       Entwicklungen bei der Standortwahl          Wir danken Prof. Dr. Andrea Vezzini und Christian Ochsen-

           Die im Servicemodul in 5 bis 10 Minu-        des «E-Bus Servicemodul» einzuschät-        bein, BFH-Zentrum Energiespeicherung, sowie der RVBW
                                                                                                    für die Unterstützung bei der Erarbeitung dieses Beitrags.
           ten elektrisch geladenen E-Busse kön-        zen und zu berücksichtigen, da die

             RÉSUMÉ
                            Avec des opportunités de recharge en cours de route
                            Systèmes de bus électriques

           Les bus électriques permettent de disposer d’une mobilité          lement d’électrifier facilement les dépôts de bus. Afin de
           efficace tout en minimisant les impacts sur l’environne-           pouvoir transporter les 100 passagers prévus dans un bus
           ment. Toutefois, dans les 5 à 10 prochaines années, il ne sera     standard de 12 m, le poids à vide du véhicule ne doit pas dé-
           pas possible de concevoir un bus électrique pour lequel une        passer 12 t. Selon l’état actuel de la technologie des véhicules
           seule recharge quotidienne, de nuit au dépôt, sera suffi-          et des batteries, une capacité maximale de batteries de
           sante : la batterie requise à cette fin pèserait environ 7 à 8 t   250 kWh peut être installée dans le véhicule, ce qui corres-
           et réduirait considérablement la charge utile.                     pond à une autonomie d’environ 100 km. Cette valeur indi-
              C’est là qu’intervient le standard industriel OppCharge         cative s’accorde parfaitement avec une ligne de bus élec-
           pour les systèmes de bus électriques : avec les opportunités       trique d’une longueur de 20 à 30 km, construite conformé-
           de recharge qu’il offre sur la ligne, il permet de réduire la      ment au standard OppCharge. En cas de retard, le conduc-
           capacité des batteries des véhicules, et donc le poids à vide      teur peut sauter jusqu’à deux processus de recharge et ainsi
           ainsi que l’utilisation de matières premières. Il permet éga-      respecter l’horaire sans stress supplémentaire.              NO

    58     bulletin.ch 8 / 2020
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