Mitgliedermagazin des BVF - HEILPÄDAGOGISCHE FRÜHERZIEHUNG IM WANDEL - DIGITALISIERUNG

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Mitgliedermagazin des BVF - HEILPÄDAGOGISCHE FRÜHERZIEHUNG IM WANDEL - DIGITALISIERUNG
Mitgliedermagazin des BVF
                 NR. 105 – JANUAR 2022

   SCHWERPUNKT

HEILPÄDAGOGISCHE
 FRÜHERZIEHUNG
   IM WANDEL –
 DIGITALISIERUNG

     SEITE 9

                               FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 1/2022
Mitgliedermagazin des BVF - HEILPÄDAGOGISCHE FRÜHERZIEHUNG IM WANDEL - DIGITALISIERUNG
2      Inhaltsverzeichnis

Was wir diesmal zum
Thema machen:

Editorial................................................................................................   3
Aktuelles aus dem BVF....................................................................... 5

HFE im Wandel – Digitalisierung

Wie digital sind wir eigentlich?.......................................................... 9

Messenger, E-Mail, Cloud, Videocall und Co.
als digitale Brücke zur Familie............................................................ 12

Bildschirmmedien –
mit Kleinkindern einen Umgang finden.............................................. 20

Datenschutz im Arbeitsalltag leben .................................................. 26

Digitale Bildung mit analogen Freispielmaterialien:
Bei jungen Kindern im So-tun-als-ob eine aktive Auseinander-
setzung zu Themen der Digitalisierung anregen............................... 29

parentu – die App für informierte Eltern........................................... 34

Kontakt auf Distanz und die App Könnerklick.................................. 37

Bundesgesetz zur Entlastung für Eltern von schwer
beeinträchtigten Kindern. Solche Gesetze klingen zwar schön,
doch wie sieht es mit der Umsetzung aus?....................................... 41

Abkürzungsverzeichnis.......................................................................              46
Vorstand...............................................................................................   48
Geschäftsstelle /Vorschau..................................................................               49
Vorankündigung..................................................................................          50
Cartoon................................................................................................   51
Impressum...........................................................................................      52

FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 1/2022
Editorial   3

               Liebe Leserinnen und Leser
                                         Sarah Wabnitz

«Digitale Transformation» den Begriff las ich      jetzigen Kinder. «Kindheit ist Kindheit in der
in der ersten Woche des Lockdowns im März          digitalen Welt. Die Erfahrungen, die Kinder
2020 auf LinkedIn. Sicher habe ich ihn auch        mit den Blumen auf der Wiese und beim Bud-
schon zuvor dort oder an anderen Orten ge-         deln im Sand machen, sind nicht abgekoppelt
lesen, aber wie das Gehirn das macht, als          von den Erfahrungen, die sie mit Filmen auf
nicht relevant für mich herausgefiltert. Doch      dem Smartphone und beim Selfiemachen mit
mit Covid-19 traf uns alle die Digitalisierung     dem Opa machen. Digitale Kindheit resultiert
mit einer enormen Wucht, auch die Heilpäd-         aus neuen medialen Formen von Kindsein und
agogische Früherziehung.                           Familiesein.» (Wiesmann et al., 2020, S. 4)
Wir erinnern uns, wie in kürzester Zeit ver-       Digitale Medien sind für die Kinder ebenso
schiedenste Lebensbereiche von uns digitali-       «neu» wie alle weiteren Erfahrungen, die sie
siert wurden, zu denen wir auch zuvor schon        in ihrem ersten Lebensjahr machen. So lernen
Zugang gehabt hätten, aber diesen Zugang für       sie z.B. An- und Abwesenheit im analogen,
uns nicht gewählt haben. Die «digitale Trans-      wie auch im digitalen Modus. Was für sie
formation» – jetzt war sie da, aber was heisst     gleichbedeutend «neu» ist (vgl. auch Greschke,
das eigentlich? Was bedeutet dieser Begriff,       2015).
wenn er auf unseren Fachbereich der Heilpä-        Wenn wir hier von «digitalen Medien» spre-
dagogischen Früherziehung (HFE) übertragen         chen, so sind diese mittlerweile «Haushalts-
wird? Welcher neuen Kompetenzen bedarf es          geräte» (Wiesemann und Fürtig, 2018, S. 197)
für diesen Wandel von Seiten der HFE und in        die sich als Kooperations- und Kommunika-
welchen Fachbereichen der HFE wird diese           tionssysteme im Familienalltag etabliert haben
Transformation relevant? Ein grosses Schlag-       und einen zentralen Gestaltungsraum und
wort, das nicht nur die Transformation der         Kontext von Kindern abbilden. Es entwickeln
Arbeitswelt einschliesst, sondern auch die         sich individuelle, familiale Medienpraktiken in
«digitale Transformation» der gesamten Ge-         denen digitale und analoge Praktiken neben-
sellschaft. Dies erleben wir bereits im (Ar-       einanderstehen und als Ergänzung gesehen
beits-)alltag: Nicht nur unser «Working Habi-      werden können (Wiesmann et al., 2020).
tus» verändert sich, sondern auch der Habitus      Dieser bestehende Digitalisierungsprozess
unserer Klientel, der Eltern, Familien und Kin-    und der damit einhergehende gesellschaftli-
der, die wir begleiten (Wiesemann, Eisen-          che Wandel lassen sich nicht aufhalten und
mann, Fürtig, Lange, Mohn, 2020). Es bilden        somit lassen sich «digitale Medien» nicht aus
sich neue Realitäten ab, die einer Anpassung       dem Familienalltag ausschliessen. Eltern wir-
oder «neuen» Handlungsformen der Pädago-           ken auch hier als Modelle. Kinder wollen das
gik bedürfen.                                      Handeln ihrer Eltern nachahmen und somit
Was von uns als Fach- oder Privatpersonen          auch die Aktivitäten ihrer Eltern mit «digitalen
nun als fortlaufender Neuerungsprozess erlebt      Medien» kopieren, aber wie können wir als
wird beschreiben Wiesmann et al. (2020) so,        Fachpersonen sie und ihre Eltern dabei unter-
dass das «neu» geschaffene für unsere Gene-        stützen und ein gesundes Aufwachsen mit
ration «neu» ist, nicht für die Kindheit unserer   «digitalen Medien» begleiten?

                                                      FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 1/2022
4     Editorial

Tilmann und Eder (2019) schreiben in ihrem                     gen sowie Fachleute Medienbildung als ihre
Bericht («Frühkindliche Medienwelten im di-                    Aufgabe anerkennen und ein passendes und
gitalen Zeitalter») für die EKKJ (Eidgenössi-                  ineinandergreifendes Medienangebot für das
sche Kommission für Kinder- und Jugendfra-                     gesamte Bildungscurriculum des Kindes
gen): «Medien bieten so auch für Kinder wich-                  schaffen (Blömeke, 2000).
tige Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung                    Digitale Transformation erreicht, wie hier dar-
und zur kulturellen und gesellschaftlichen                     gestellt wird, nicht nur unseren Arbeitsalltag
Teilhabe, da sie Identifikations-, Orientie-                   an der Oberfläche, durch neue Abrechnungs-
rungs- und Handlungsräume und weitere Bil-                     und Dokumentationssysteme, smarte Autos,
dungsmöglichkeiten schaffen.» Sie weisen                       dem Tablet in der Tasche und vielem mehr,
darauf hin, dass «digitale Medien» aus dem                     sondern grundlegend unsere pädagogischen
Alltag der Kinder nicht ausgeschlossen wer-                    Kompetenzen und unser Handlungsrepertoire.
den sollen/können, da sie die normale Le-                      Dieser breiten Spanne von Themen wird an-
benswirklichkeit der Familie abbilden. Es soll-                satzweise versucht in der vorliegenden Fo-
te vielmehr die Diskussion um den Medien-                      rumsnummer Rechnung zu tragen. Schaut rein
umgang und dessen Begleitung in den Fokus                      und scrollt euch durch.
gerückt werden. Sie verstehen «Medienerzie-
hung» als eine Aufgabe «von Anfang an» und                     Mit herzlichen Grüssen
meinen damit, «dass Kinder in einer von Me-
dien geprägten Welt gut begleitet werden und
dabei einen kompetenten Umgang mit Medi-
en entwickeln können.» (Tilemann und Eder
2019, S. 59)

Dabei wird darauf verwiesen, dass ein syste-
matischer Aufbau von Medienkompetenzen
bei Kindern nur dann möglich ist, wenn neben                          Sarah Wabnitz
den Eltern auch Pädagoginnen und Pädago-                              Geschäftsleiterin BVF

Literaturverzeichnis
Blömeke, S. (2000). Medienpädagogische Kompetenz. Theoretische und empirische Fundierung
eines zentralen Elements der Lehrerausbildung. München: KoPäd
Greschke, H. (2015). «Mama bist Du da?» Zum prekären Status von Anwesenheit in mediatisierten familialen
Lebenswelten. In Zeitschrift für Medien + Erziehung. 59 (6): S. 70-80. München: Kopaed Verlagsgmbh
Tilemann, F. und Eder, S. (2019). Frühkindliche Medienwelten im digitalen Zeitalter. In EKKJ (Hrsg.), Aufwachsen im
digitalen Zeitalter. S. 58-65. Online: file:///C:/Users/49176/OneDrive/Desktop/Bibliothek/Digitalisierung/d_2019_EK-
KJ_Bericht_Digitalisierung.pdf.
Wiesemann, J. und Fürtig, I. (2018). Kindheit zwischen Smartphone und pädagogischem Schulalltag.
In T. Betz et al. (Hrsg.), Institutionalisierungen von Kindheit. Childhood studies zwischen Soziologie und
Erziehungswissenschaft. Reihe Kindheiten – Neue Folge (S. 196-212). Weinheim/München: Beltz Juventa.
Wiesemann, J., Eisenmann, C., Fürtig, I., Lange, J. und Mohn, B. (2020). Digitale Kindheiten. Kinder – Familien – Medien.
In Wiesemann, J., Eisenmann, C., Fürtig, I., Lange, J. und Mohn, B. (Hrsg.), Digitale Kindheit. S. 1-19.
Wiesbaden: Springer Verlag

FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 1/2022
Aktuelles    5

                     Aktuelles aus dem BVF
                          Franziska Brüngger und Sarah Wabnitz

                                                  Spiels aufgezeigt – auch als Instrument zur
                                                  Entwicklungsförderung in der Heilpädagogi-
                                                  schen Früherziehung. «Spielen ist eine der
                                                  bedeutsamsten Lernmöglichkeiten für Kin-
                                                  der», schreiben Christina Koch und Kolja Ernst
                                                  (SZH, Jg. 27, 10/2021, S. 23). Oder wie es Sa-
                                                  rah Wabnitz formuliert: «Das Spiel ist der
                                                  Dreh- und Angelpunkt der Heilpädagogischen
BVF Retraite                                      Früherziehung» (SZH, Jg. 27, 10/2021, S. 44).
Ende August traf sich der Vorstand zusammen       Was in der Heilpädagogischen Früherziehung
mit der Geschäftsleitung zur jährlichen Retrai-   schon lange bekannt ist und tagtäglich gelebt
te. Dieses Jahr setzte sich der Vorstand mit      und umgesetzt wird, wurde in dieser sehr ge-
der verbandseigenen Zeitschrift «Forum» aus-      lungenen Zeitschrift nochmals aufgezeigt und
einander. Was gefällt an unserer Zeitschrift?     fachlich vertieft dargestellt. Wir danken allen
Was ist uns wichtig und soll weiterhin beste-     Autorinnen und Autoren aus dem Feld der
hen bleiben? Was könnte man allenfalls ver-       Heilpädagogischen Früherziehung, die ihr
ändern? Was wäre wünschenswert und inno-          Fachwissen in diese Zeitschrift haben einflies-
vativ? Aber auch Fragen bezüglich ressour-        sen lassen. Die Arbeit und das Wirkungsfeld
censchonenden Abläufen und optimierbaren          der HFE konnte dadurch einem breiten Pub-
Prozessen stellten sich. In einer kreativen       likum der Heil- und Sonderpädagogik präsen-
Auseinandersetzung wurden nebst Anpassun-         tiert werden.
gen der Prozessgestaltung vor allem auch
neue Ideen und Möglichkeiten für inhaltliche      Flyer «Was ist Heilpädagogische
Weiterentwicklungen und gestalterische Ver-       Früherziehung»
änderungen diskutiert und entworfen mit dem       Endlich ist er da – unser neuer Flyer «Heilpä-
Ziel, weiterhin eine attraktive und fachlich      dagogische Früherziehung – Begleitung von
kompetente Zeitschrift der Heilpädagogi-          Geburt an»! Ihr könnt den neuen Flyer auf der
schen Früherziehung bieten zu können.             Homepage herunterladen oder in gedruckter
                                                  Form bestellen. Der Flyer richtet sich in erster
Edition SZH – Frühe Bildung: Spiel                Linie an Fachpersonen aus angrenzenden Dis-
In Kooperation mit der SZH entstand dieses        ziplinen oder aus der Politik. Zusätzlich zum
Jahr erneut eine gemeinsame Zeitschrift zum       Flyer haben wir unsere Graphik zu den «Auf-
Thema «Frühe Bildung: Spiel». In unterschied-     gabenfeldern und Schnittstellen der HFE»
lichen Artikeln wurde die Wichtigkeit des         passend zu unserem neuen Karten-Set eben-

                                                     FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 1/2022
6   Aktuelles

falls in Kartenformat drucken lassen. Nun sind     2021, um ein neues Austauschgefäss für den
wir bereit, das Feld der HFE in neuen Farben       BVF ins Leben zu rufen.»
und Formen in die Öffentlichkeit zu tragen.        Wie ihr bereits im November in einem Mail
                                                   erfahren habt, möchte der Verband eine Ver-
Öffentlichkeitsarbeit                              netzungsgruppe zum überkantonalen Aus-
Der Verband setzt weitere Massnahmen um,           tausch im Berufsfeld der HFE gründen. Ziel
die er sich im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit   des Organs ist der Austausch über aktuelle
für das Jahr 2021 gesetzt hat. In einer Koope-     Themenfelder in den Kantonen und das Bilden
ration mit parentu wurde den Leistungsanbie-       von Synergien, um so eine engere Vernetzung,
tenden der Heilpädagogischen Früherziehung         mehr Wissenstransfer und eine politische
das Angebot gemacht, ihre Institution in der       Stärkung der HFE zu schaffen. Dieses Organ
App erfassen zu lassen. Was noch alles mit         wird sich einmal im Jahr online treffen, orga-
parentu möglich ist, lest ihr auf Seite 34.        nisiert durch den Verband. Der Wunsch des
                                                   Verbandes wäre, dass jeder Kanton durch ein
Austauschtreffen VHDS (22.09.2021)                 Mitglied des BVF vertreten ist, um einen flä-
und IGFF (05.11.2021)                              chendeckenden Austausch sicher zu stellen.
Im Herbst fanden die Austauschgespräche mit        Einige von euch haben sich bereits bei uns
den Verbänden des VHDS und der IGFF Bern           gemeldet. Herzlichen Dank! Wir sind aber
und Zürich statt.                                  nach wie vor auf der Suche nach weiteren
Die bereichernden Gespräche zeigen immer           Interessierten! Du möchtest Teil dieser Ver-
wieder, wie wichtig es ist, unsere Ressourcen      netzungsgruppe werden? Dann melde dich
zu bündeln und den Wandel im Feld gemein-          bei unserer Geschäftsstelle (geschaeftsstel-
sam zu beschreiten. Wir danken den Verbän-         le@frueherziehung.ch)!
den für den wertvollen Austausch.
                                                   Zooméro
                                                   Am 08.11.2021 fand wieder ein Zooméro statt.
                                                   Dieses Mal entschieden wir uns für eine etwas
                                                   andere Form mit einem Inputreferat von Mat-
                                                   thias Lütolf zum Thema «Inklusion in der Kita:
                                                   Gelingensfaktoren und Umsetzung aus Sicht
                                                   der HFE». Ein herzliches Merci an Matthias
                                                   Lütolf für den interessanten Input. Und ein
                                                   weiteres grosses Dankeschön an alle, die da
                                                   waren und zu einer sehr angeregten Diskussi-
                                                   on beigetragen haben. Es hat uns sehr gefreut,
Austausch und kantonale Vernetzung                 dass der Zooméro dieses Mal so grossen An-
«Mehr Vernetzung, mehr Austausch, mehr             klang gefunden hat. Wir sind überzeugt, dass
Stärkung von gemeinsamen politischen und           der Zooméro eine gute und einfache Form ist,
inhaltlichen Themen. Das war der Ausgangs-         um sich interkantonal über wichtige und aktu-
punkt des Vorstandes der letzten Retraite          elle Themen in der HFE austauschen zu kön-

FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 1/2022
Aktuelles    7

nen. Der nächste Zooméro findet am
28.04.2022 um 20.00 Uhr statt. Genauere Infos
werdet ihr zu gegebenem Zeitpunkt erhalten.
Wir freuen uns, wenn ihr mit dabei seid!

2. Nationaler Autismus-Kongress in Bern
                           Dieses Jahr fand im
                           November in Bern
                           der zweite Nationa-    Alliance Enfance: «Wissenstransfer
                           le Autismus-Kon-       in der frühen Kindheit»
                           gress statt. Der BVF   Im Rahmen des Jahrestreffens der Swiss So-
                           war mit einem          ciety for early childhood research (SSECR) an
                           Stand vor Ort, um      der HfH Zürich organisierte die Alliance Enfan-
                           auf die Wichtigkeit    ce eine Session zum Thema «Wissenstransfer
                           der HFE im Bereich     in der frühen Kindheit: Wie Forschung, Praxis
                           Autismus aufmerk-      und Politik gemeinsam Wissen mobilisieren
sam zu machen und um uns zu vernetzten.           können». Es wurden drei aktuelle Forschungs-
Neben Gesprächen mit anderen Fachperso-           projekte aus dem Bereich der Frühen Förde-
nen fanden auch spannende Begegnungen mit         rung vorgestellt und anschliessend in Gruppen
Eltern von Kindern mit Autismus sowie mit         Chancen, Nutzen und Möglichkeiten für einen
Erwachsenen mit Autismus statt. Immer wie-        gelingenden Wissenstransfer zwischen For-
der kam dabei die hohe Bedeutung der frühen       schung, Praxis und Politik diskutiert. Abgerun-
Förderung bei Autismus zur Sprache. Zusätz-       det wurde die Session mit einem Referat von
lich konnten wir aus den verschiedenen Re-        Oskar Jenni (Universitäts-Kinderspital Zürich)
feraten interessante Inputs mitnehmen, die wir    und einem Podiumsgespräch mit Flavia Was-
gerne in nächster Zeit in unterschiedlicher       serfallen, Simon Sommer, Benjamin Roduit
Form – sei dies im Newsletter, auf der Home-      und Andrea Lanfranchi. Der Vorstand und die
page oder in einem kommenden «Forum» – an         Geschäftsleiterin nahmen aktiv an dieser Ses-
euch weitergeben.                                 sion teil, um die Heilpädagogische Früherzie-
                                                  hung im Feld der Frühen Förderung zu vertre-
                                                  ten. Einen spannenden Einblick in eines der
                                                  Forschungsprojekte erhaltet ihr hier in diesem
                                                  Heft auf Seite 29 im Artikel zum Forschungs-
                                                  projekt «Spielend IT-Probleme lösen: Konzep-
                                                  te digitaler Transformation im Freispiel im Kin-
                                                  dergarten erkunden».

                                                  Studie «Frühe Sprachförderung»
                                                  Im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung,
                                                  Forschung und Innovation (SBFI) wird die Stu-

                                                     FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 1/2022
8   Aktuelles

die «Frühe Sprachförderung» erarbeitet. Diese    die Einschätzungen und Erfahrungen von
trägt zur Diskussion der Motion von National-    Heilpädagogischen Früherzieher*innen und
rat Christoph Eymann bei, die anregte zu prü-    Heilpädagog*innen. Für den ersten Teil des
fen, «wie die frühe Sprachförderung vor Ein-     Projektes werden Interviewteilnehmer*innen
tritt in den Kindergarten mithilfe des Bundes    gesucht. Voraussetzung für die Teilnahme ist
im ganzen Land umgesetzt werden kann». Die       die Tätigkeit in der HFE und Erfahrung in der
Studie soll die wissenschaftlichen Grundlagen    heilpädagogischen Förderung und Unter-
und die Umsetzungen in Kantonen und Ge-          stützung von Kindern mit ASS. Bei Interesse
meinden darstellen. Weiter sollen auch die       freut sie sich über die Kontaktaufnahme via
Perspektiven von Verbänden und Organisati-       Mail (katrin.siegwolf@gsr.ch) oder Telefon
onen der frühen Kindheit eingeholt und skiz-     (076 603 13 77)!
ziert werden. Der BVF hat als Interviewpartner
in der Vorstudie mitgewirkt und den Verband
in einem der Workshops vertreten.
                                                 Kommende Termine
                                                 04.03.–05.03.2022:
Promotionsprojekt zum Thema HFE von
                                                 Münchner Symposium Frühförderung
Kindern mit Autismus-Spektrum-Störung
                                                 (online): Zutrauen-Vertrauen:
in der deutschsprachigen Schweiz
                                                 Kernressourcen in der Frühförderung
Zielsetzung des Promotionsprojektes von
Katrin Siegwolf (Heilpädagogin, GSR Autis-       31.03.–02.04.2022:
muszentrum Aesch (BL)) ist es, die Anforde-      Jahrestagung GAIHM (Potsdam und online):
rungen an die heilpädagogische Förderung         Kinderrechte! Kindgerecht von Anfang an.
und Unterstützung von Kindern mit ASS und        28.04.2022: Zooméro BVF
ihrem Umfeld zu erfassen. Im Zentrum stehen      20.05.2022: Mitgliederversammlung BVF

FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 1/2022
HFE im Wandel – Digitalisierung    9

           Wie digital sind wir eigentlich?
             Den digitalen Wandel im Team aufarbeiten,
                ausrichten und professionalisieren
                                         Sarah Wabnitz

So viel wie nötig und so wenig wie möglich?        Schule aufgearbeitet (Zentrum Medienbil-
Digitalisierung wirkt auf allen Ebenen der Ar-     dung und Informatik, PHZH) und es dem Feld
beitswelt der Heilpädagogischen Früherzie-         zur Anpassung auf ihre Bedürfnisse zur Ver-
hung mit. Aber das, was so schleichend in          fügung gestellt. Es ist ein Kartenset mit an-
unser tägliches Leben getreten ist - ganz          sprechenden Bildern und Fragen. Diese Kar-
nach dem Motto: vom Analogen zum Digita-           ten wurden auf die Heilpädagogische Frü-
len -, haben wir das in unserer Arbeitsstelle,     herziehung angepasst. Sie stehen zum Down-
unserem Team oder der Institution konzep-          load in unserem internen Bereich des BVF
tionell aufgearbeitet? Wie strukturell und         zur Verfügung und sollen dem anregenden
strategisch wird das Thema im Feld der Heil-       Austausch über Digitalisierung im Feld die-
pädagogischen Früherziehung angegangen?            nen. Hier ein erster Auszug als Diskussions-
Oder wie sehr sind wir nur Reakteure auf den       anregung, also schnapp dir dein Team in der
äusseren Wandel und damit einhergehende            Kaffeepause und lasst die digitalen Gedanken
neue Anforderungen, die an uns als Berufs-         kreisen.
gruppe gestellt werden? Andrea Kern und
Thomas Staub haben dieses Thema in ihrem           (Mehr Antworten und Ideen finden sich auch
«Kompass für den digitalen Wandel» für die         hier: https://www.schultools.net/)

Lernplattformen, Tools

› Welche digitalen Tools nutzen wir für die
  individuelle Begleitung der Kinder und Fa-
  milien?
› Welche digitalen Angebote nutzen wir für
  den Aufbau von reproduzierbarem Wissen
  und Grundfertigkeiten?
› Welche Tools nutzen wir, um den Entwick-
  lungsprozess zu dokumentieren und reflek-
  tieren?
› Welche digitalen Werkzeuge nutzen wir für
  kreative Aktivitäten und fürs Experimentieren?
› Welche digitalen Materialien stehen uns für
  den Wissenserwerb zur Verfügung?

                                                      FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 1/2022
10   HFE im Wandel – Digitalisierung

Führung

› Wie kann die Leitungsperson den digitalen
  Wandel stützen?
› Wie werden Mitarbeitende bei Verände-
  rungsprozessen miteinbezogen, beteiligt
  und informiert?
› Wie werden die Entwicklungsprozesse der
  einzelnen Personen unterstützt?
› Wie werden Schwerpunkte für die Weiter-
  bildung festgelegt und kommuniziert?
› Wie kann Innovation gefördert werden?

                                              Förderarrangements

                                              › Wie werden Medien im Fördersetting ein-
                                                gesetzt? Gibt es digitale Programme, die als
                                                Ganzes eingesetzt werden (z. B. dob)?
                                              › Wie werden Medien in der Zusammen-
                                                arbeit mit den Eltern eingesetzt?
                                              › An welchem Modell orientieren wir uns bei
                                                der Planung, Durchführung und Auswer-
                                                tung unserer Nutzung der digitalen Me-
                                                dien? (Schulbezogen, kann aber angepasst
                                                werden: SAMR, Bloom’sche Taxonomie ...)

Arbeitsgeräte

› Welche Arbeitsgeräte stehen den Familien
  zur Verfügung? Welche den Mitarbeiten-
  den?
› Wie verteilen/verwalten wir Software?
› Welche Apps und Dienste stehen den Fa-
  milien zur Verfügung?
› Wie zufrieden sind wir mit der bisherigen
  Infrastruktur?
› Benötigt es einen Wechsel? Können Syste-
  me zusammengefügt werden (Abrech-
  nungssystem und Dokumentationssystem)?

FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 1/2022
HFE im Wandel – Digitalisierung           11

Konzept

› Existiert ein Medien- und ICT-Konzept?
  Ist es aktuell? Ist es im Team bekannt
  und wie wird es gelebt?
› Was soll das ICT-Konzept bewirken?
› Wer beteiligt sich an der Konzept-
  entwicklung? Wer hat welche Rolle?
› Wie kann ein «Papiertiger» verhindert
  werden?

                                           Grundangebot

                                           › Gehört Medienbildung zu unserem Grund-
                                             angebot für die Eltern?
                                           › Verwenden wir dafür standardisiertes Ma-
                                             terial und haben wir eine gemeinsame Hal-
                                             tung, die wir den Eltern mitgeben?
                                           › Wie treffen wir eine Auswahl von Empfeh-
                                             lungen wie z. B. von Apps?
                                           › Haben wir gemeinschaftliche Grundlagen
                                             dazu im Team? Empfehlen und arbeiten wir
                                             mit den gleichen Materialien?

                                           Quelle, Inhalt und Bilder
                                           A. Kern, T. Staub 2020: Kompass für den digitalen
                                           Wandel. Zentrum Medienbildung und Informatik,
                                           PHZH (online)

                                                       Sarah Wabnitz
                                                       MA Sonderpädagogin
                                                       Geschäftsleiterin BVF

                                               FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 1/2022
12   HFE im Wandel – Digitalisierung

Messenger, E-Mail, Cloud, Videocall und Co.
     als digitale Brücke zur Familie
                    Inspirierende Praxisimpulse für eine
                  zeitgemässe Zusammenarbeit mit Eltern

                                        Petra Ulshöfer

Der direkte Kontakt mit dem familiären
Umfeld des Kindes ist ein zentraler Aspekt
unserer Arbeit. Dieser kann aus verschie-
densten Gründen erschwert sein und dem-
entsprechend alternative Lösungen erfor-
dern, um die regelmässige Zusammen-
arbeit mit der Familie gewährleisten zu
können. Hierbei rückt die Relevanz der
Digitalität in den Vordergrund, die es mit-
tels verschiedener Methoden und Medien
möglich macht mit der Familie in Verbin-
dung zu bleiben und sie am Förderprozess
partizipieren zu lassen.                          Abb. 1: «Traversinersteg» in Graubünden

Eine kleine Exkursion in die Natur als Einstieg
Dieses Foto scheint mir als Sinnbild zum The-     • Distanz zur gegenüberliegenden Seite – An-
ma der «digitalen Brücke» passend zu sein,          näherung nur durch eine behutsame Über-
assoziiert mit einzelnen Gedanken zur Zusam-        querung möglich
menarbeit mit Eltern:                             • ... und was kommt Dir dazu noch in den
• Ein filigranes Netzwerk in einem verfloch-        Sinn?
   tenen System
• Stabilität und Tragfähigkeit durch stark ver-   Die Zusammenarbeit mit Eltern lebt von der
   bundene Knotenpunkte                           persönlichen Begegnung, das ist unumstritten.
• Ein Mix aus Materialien, je nach Vorausset-     Diese kann jedoch erheblich eingeschränkt
   zung eine andere Konstruktion                  sein. Das haben wir in der Praxis spätestens
• Beweglichkeit und doch solide durch ein         seit der Pandemie im letzten Jahr live erleben
   stabiles Fundament                             müssen, nachdem sich von einem Tag auf den
• Möglichkeiten für Weitblick, Ausblick und       anderen die üblichen Kommunikationswege
   Einblick                                       drastisch eingeschränkt haben und die digi-

FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 1/2022
HFE im Wandel – Digitalisierung    13

talen Kanäle in unserer Arbeit deutlich in den    len Weg für eine zuverlässige Kommunikation
Fokus gerückt sind. Die Umstellung auf digi-      mit den Eltern auf digitaler Ebene passend zu
tale Methoden sowohl in der Arbeit mit dem        gestalten. Die Kunst besteht darin, kreativ
Kind als auch in der Kommunikation mit den        nach abgestimmten Lösungen zu suchen, um
Eltern war in der Pandemie zwar eine grosse       mit Hilfe von digitalen Medien und Tools mit
Herausforderung, aber auch Chance, Neues          den Eltern in Beziehung zu bleiben, auch oh-
daraus entstehen zu lassen, nachhaltig vor        ne den regelmässigen Kontakt vor Ort. Je-
allem in der Zusammenarbeit mit Eltern. Ne-       doch ist zu bedenken, dass die digitalgestütz-
ben der Pandemie gibt es noch andere viel-        te Form der Zusammenarbeit auf keinen Fall
fältige Erfahrungen aus der Praxis, die ein       den direkten Kontakt ersetzt, sondern ledig-
Umdenken in der Zusammenarbeit mit Eltern         lich als Ergänzung und Alternative der Pflege
verlangen oder aufzeigen, dass diese in einer     und Aufrechterhaltung der Beziehung zum
veränderten Form stattfinden müsste. So den-      familiären Umfeld des Kindes gesehen werden
ke man beispielsweise an Familien, in denen       kann.
beide Eltern voll berufstätig sind und das Kind
fünf Tage pro Woche in der Krippe ist oder        Digitale Medien bestimmen zunehmend un-
Situationen, in denen die Unterstützung des       seren Alltag sowohl im Privaten wie auch in
Kindes nicht im Beisein der Familie stattfinden   unserem beruflichen Bereich. Die «neuen Me-
kann und es daher ein anderes Gefäss für die      dien» ermöglichen uns unsere sozialen Kon-
Kommunikation mit den Eltern braucht. Aus-        takte zu pflegen und miteinander in Verbin-
gehend von diesen Situationen, wenn Fa-           dung zu bleiben. Ein Grossteil der Kommuni-
ce-to-Face Kontakte mit den Eltern nicht          kation mit den Eltern läuft heute, ganz selbst-
möglich oder eingeschränkt sind, gilt es an-      verständlich, auf dem digitalen Weg ab und
dere passende Möglichkeiten und Gefässe zu        mobile Endgeräte sind dabei unsere ständigen
finden, um den gemeinsamen Prozess umset-         Begleiter. Wer kennt sie nicht, die Beispiele,
zen zu können.                                    die tagtäglich Teil unserer heilpädagogischen
Wie also kann der Austausch mit den Eltern        Arbeit sind und so die digitalen Medien ins
über die physischen Grenzen hinaus gelingen,      Zentrum setzen. Da schreibt beispielsweise
wie können sie als Mitwirkende in die Förde-      Frau Hecht* am Morgen eine kurze SMS,
rung des Kindes eingebunden werden und            dass ihre Tochter heute krank ist und die För-
eine Brücke zwischen der Fachperson Heil-         derstunde nicht stattfinden kann, Herr Bär*
pädagogische Früherziehung und der Familie        fragt per WhatsApp nach, wie das Telefonat
geschlagen werden?                                mit der Schulpsychologin gelaufen ist, die
Und hier kommt die Digitalität ins Spiel, als     Mutter von Leila* präsentiert per Message
mögliche alternative Form der «Beziehungs-        stolz ein kleines Video, wie ihre Tochter das
pflege auf Distanz», die dank zunehmender         erste Mal ein Puzzle zusammensetzt und Fa-
Verbreitung und Weiterentwicklung neuer di-       milie Miller* schickt per Mail das Bildschirm-
gitaler Wege möglich ist. Die Umsetzung er-       foto eines amtlichen Formulars, das sie nicht
fordert von uns als Fachpersonen der HFE          verstehen und von mir übersetzt haben möch-
erweiterte Kompetenzen, um den individuel-        ten. Auch die Einbindung der Eltern in die

                                                     FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 1/2022
14   HFE im Wandel – Digitalisierung

Diagnostik via Vademecum-App, die gemein-           sehr früh beginnt und sie erst spätabends
same Auswahl von wichtigen Gebärden für             zuhause sind. Aus dieser Ausgangslage her-
das Kind mit der Porta App oder die Erstel-         aus musste die Durchführung der Heilpäda-
lung von kleinen Comic Strips und Tagesab-          gogischen Früherziehung in der Kindertages-
läufen über verschiedene Apps, sind weitere         stätte stattfinden, was zur Folge hatte, dass
Beispiele für digitale Wege mit der Familie.        ein regelmässiger Kontakt mit der Mutter
Die Liste des Einsatzes von digitalen Tools und     schwer zu bewerkstelligen war. Zusammen
Medien in der Praxis der HFE könnte endlos          mit ihr wurden die individuellen Bedürfnisse
weitergeführt werden und zeigt deren mittler-       geklärt, wie die Elternzusammenarbeit in die-
weile hohen Stellenwert in unserer Arbeit auf.      sem Kontext stattfinden kann. Die Mutter
Gewachsen ist dieser Einsatz mit der sich ent-      wünschte sich vor allem Informationen, wie
wickelnden Technologie, die in pädagogi-            die wöchentlichen Förderstunden mit ihrer
schen wie auch heilpädagogischen Berufsfel-         Tochter ablaufen, und was wir dort zusam-
dern zahlreiche neue Möglichkeiten für eine         men machen. Um dies umsetzen zu können,
wechselseitige Kommunikation mit den Fami-          bedarf es den Einsatz von digitalen Medien.
lien eröffnet.                                      Die Überlegung, unsere gemeinsamen För-
Digitalität, was eigentlich nichts weiter bedeu-    derstunden nur mit Fotos zu dokumentieren,
tet als den Einsatz von Technik und den             schien mir bei dieser Familie zu wenig aus-
Wechsel von analog zu digital, lädt zu einem        sagekräftig und zu statisch. Daher fiel die
Perspektivenwechsel ein. Es ist im Berufsfeld       Wahl auf Videos und so ging ich jede Wo-
der HFE ein Umdenken unserer Kommunika-             che, ausgerüstet mit einer Videokamera und
tion im Sinne einer zeitgemässen Elternzu-          einem Stativ in die Krippe von Anora. Am
sammenarbeit, via digitale Medien, gefragt.         Anfang war sie etwas irritiert von der Kame-
Wie das konkret in der Praxis aussehen könn-        ra, gewöhnte sich aber schnell daran, dass
te, veranschaulichen die folgenden vier Bei-        diese unsere ständige «Begleiterin» in der
spiele.                                             Stunde war und zu unserer «Ausrüstung» ge-
                            * alle Namen geändert
                                                    hörte. Aus den Videos wählte ich einzelne
                                                    schöne Momente aus, die ich der Mutter von
«Good Practice»                                     Zeit zu Zeit auf die Vimeo Plattform (https://
digitaler Zusammenarbeit mit Eltern                 vimeo.com ) hochgeladen habe. Die einzel-
                                                    nen Sequenzen habe ich mit kurzen Be-
1. Digitale Entwicklungsdokumentation               schreibungen zum Film versehen. Per Link
    und Einblick in die Förderstunde                und Passwort konnte die Mutter an unserer
Anora* ist ein 3,5 Jahre altes Mädchen mit          gemeinsamen Stunde teilhaben und sich die-
der Diagnose Autismus-Spektrum-Störung.             se Sequenzen zusammen mit ihrer Tochter in
Ihre Mutter ist alleinerziehend und daher voll      Ruhe anschauen. Ergänzend zum Austausch
erwerbstätig, was zur Folge hat, dass Anora         der Videos fanden punktuelle persönliche
fünf Tage pro Woche in eine Krippe geht.            Treffen mit der Mutter statt um den gemein-
Das intensive Arbeitspensum der Mutter              samen Prozess mit Anora und Anliegen der
führt dazu, dass der Tag der beiden bereits         Mutter zu besprechen.

FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 1/2022
HFE im Wandel – Digitalisierung   15

Wie dieses Beispiel zeigt, sind digitale Medi-     heit des Bruders. Daher wurde mit der Mut-
en in der heilpädagogischen Arbeit Werkzeu-        ter vereinbart, dass mit ihr und Simons
ge und Möglichkeiten, um über das Lernen           Bruder zusammen das Begrüssungsritual
und die Entwicklung des Kindes zunächst            stattfindet und sie beide dann Simon am
einmal zu informieren, diese zu dokumentie-        Ende der Stunde wieder abholen. Um die
ren und schliesslich mit den Eltern zu teilen.     Mutter bzw. die Eltern dennoch an der För-
Das Fördergeschehen wird für sie dadurch           derstunde teilhaben zu lassen, werden ein-
transparenter und vorstellbarer. Digitale Me-      zelne besondere Momente der Stunde als
dien dienen quasi als «Transportmittel» der        Foto oder kleines Video festgehalten und
Inhalte der Förderung in den familiären Alltag.    den Eltern auf dem digitalen Weg über den
Das Ziel daraus ist, wie es das Beispiel zeigt,    sicheren Messenger «Threema» (https://
den Eltern mit Hilfe verschiedener digitaler       threema.ch/de ) geschickt. Ein paar kurze
Instrumente und Kanäle Einblick zu geben in        Zeilen, formuliert aus der Perspektive des
die heilpädagogische Förderstunde und sie          Kindes, ergänzen die Bilder. Und so ist mit
ein Stück weit am Entwicklungsprozess ihres        der Zeit eine Art «digitales Tagebuch» ent-
Kindes teilhaben zu lassen. Partizipation von      standen, das auf einem gemeinsam zugäng-
Eltern meint noch eine weitere Komponente,         lichen Dropbox-Ordner (https://www.drop-
neben nur «dabei zu sein», sollte die Familie      box.com ) abgelegt ist. Die Idee dahinter
auch die Möglichkeit haben, die Förderung          war zum einen, die Familie über die Inhalte
mitgestalten zu können, beteiligt und einge-       der Förderstunde zu informieren und zum
bunden zu sein (vgl. Spreer, Fink & Gebhard,       anderen sie darin zu beteiligen, in dem die
2019). Hierzu das folgende Beispiel von Si-        Eltern mit Simon zuhause die einzelnen Bil-
mon*.                                              der besprechen und so mit ihm gemeinsam
                           * alle Namen geändert
                                                   die Stunde reflektieren können. Simons
                                                   Mutter nutzt die Inputs, um einzelne Ideen
2. Digitales «Tagebuch» zum Transfer               im Alltag zuhause umzusetzen. Ein kleiner
    in den Alltag der Familie                      Tipp dazu: Um die digitale Kommunikation
Bei Simon*, einem 2,5-jährigen Jungen, ist         wechselseitig zu gestalten, schreibe ich im-
der Grund für eine vorwiegend digitale El-         mer am Ende der Nachricht eine kurze Fra-
ternzusammenarbeit ein anderer. Bei ihm            ge an die Mutter wie beispielsweise «Wel-
findet, auf Wunsch der Eltern und aufgrund         ches Bilderbuch schaut sich Simon denn
der aktuellen Familiensituation, die wö-           zuhause gerne an?». Damit lade ich die
chentliche Förderstunde in meinem Praxis-          Eltern ein, sich mit der Beantwortung der
raum statt. Simons jüngerer Bruder kam am          Frage zu beteiligen. Vereinzelt nutzte dies
Anfang mit der Mutter zur Förderstunde             die Mutter auch und fotografierte die Akti-
mit. Es gab häufig sehr schnell Streitereien       onen mit Simon zuhause und schickte sie
zwischen den beiden Jungen und Simon               an mich, so konnte ich in der nächsten
zeigte deutlich durch Hin- und Herrennen,          Stunde mit ihm daran anknüpfen. So ent-
Schreien oder Umherwerfen der Spielge-             stand mit der Zeit ein kleines «Foto-Ping
genstände seinen Unmut über die Anwesen-           Pong».

                                                      FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 1/2022
16   HFE im Wandel – Digitalisierung

Beispiele der Einträge in das
«digitale Tagebuch» von Simon:
Eine kleine Anmerkung vorab: Die Bilder
wurden zur Anonymisierung für diesen Bei-
trag zugeschnitten. Im Original ist das Foto
des Kindes im Ganzen zu sehen. (alles eige-
ne Fotos)

Abb. 2: «Es macht mir grossen Spass mit den
bunten Stiften ein Bild zu malen und Klebeband-   Abb. 3: «Heute waren meine Autos in der
stückchen, die wir zusammen mit der Schere        Chriesistei-Kiste versteckt. Ich freue mich,
geschnitten haben, auf das Papier zu kleben.»     dass ich sie alle finden konnte.»

                                                  3. Beratung im
                                                      «Blended Counseling» Format
                                                  Ein anderes Beispiel aus meiner Praxis bezieht
                                                  sich auf die Nutzung digitaler Möglichkeiten
                                                  der Beratung, das mit dem fachlichen Begriff
                                                  des «Blended Counseling» bezeichnet wird.
                                                  Auf der Website der Fachhochschule Nord-
                                                  westschweiz https://www.blended-counse-
                                                  ling.ch wird dieser wie folgt definiert: Blended
                                                  Counseling «umfasst die systematische, kon-
                                                  zeptionell fundierte, passgenaue Kombination
Abb. 4: «Das Bilderbuch mit den Liedern finde     verschiedener digitaler und analoger Kommu-
ich toll, vor allem das Bild mit dem grossen      nikationskanäle in der Beratung». Somit be-
Walfisch möchte ich immer wieder anschau-         zieht sich «Blended Counseling» auf einen Mix
en. Immer wenn ich den Knopf drücke, kommt        der Beratung aus direkter Begegnung mit den
wieder das lustige Lied, das mir so gefällt.»     Eltern kombiniert mit verschiedenen Möglich-

FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 1/2022
HFE im Wandel – Digitalisierung       17

keiten der Online-Beratung, die beispielswei-      4. Digitale Pinnwand und andere
se über Mail, Chat oder via Videocall stattfin-        Möglichkeiten
den kann. Wie dieser bunte digitale Bera-          Eine vierte Möglichkeit, die in meiner Praxis
tungs-Mix in der Praxis konkret aussieht,          immer wieder Anwendung findet, ist die Nut-
möchte ich mit dem folgenden Beispiel von          zung von digitalen Medien als Wissens- und
Familie Winter* ,aufzeigen:                        Informationsquelle beispielsweise in Form
                                                   einer digitalen Pinnwand. Die Idee dahinter ist
Familie Winter wurde mir vor ca. einem Jahr        es, ergänzend zu Gesprächen mit den Eltern
als reines «Beratungsmandat» zugewiesen.           passende Ideen und Vorschläge, beispielswei-
Die Eltern von Mirko*, einem fast 4-jährigen       se zu Aktivitäten für zu Hause, Literaturtipps,
Jungen mit der Verdachtsdiagnose ASS, wa-          Fotos von Materialien etc., der Familie zu-
ren damals recht belastet und regelrecht am        gänglich zu machen.
Anschlag mit ihrer herausfordernden Erzie-         Auch hierzu ein Beispiel von Familie Jürgens*:
hungssituation. Sie hatten diesbezüglich viele     Die Eltern der 3-jährigen Belinda* meldeten
Fragen zur Bewältigung der oftmals eskalie-        sich bei mir, da sie gerne die Floortime Me-
renden Alltagssituationen mit Mirko. Da beide      thode, über die sie bei der Autismusabklärung
Eltern beruflich hoch engagiert und voll ein-      informiert wurden und meine Adresse erhalten
gespannt sind, war schnell klar, dass neben        haben, in der praktischen Anwendung zuhause
einzelnen persönlichen Treffen weitere digita-     kennenlernen möchten. Da die Familie nicht in
le Formen der Beratung zum Einsatz kommen          meinem Einzugsgebiet wohnt, finden die Tref-
müssen. Neben Mails, in denen die Eltern           fen mit den Eltern ausschliesslich online, via
schriftlich die schwierigen Momente mit Mir-       Skype (https://www.skype.com/de/) und Zoom
ko im Alltag mit mir diskutierten, fanden          statt. Inhalte dieser Treffen sind Informationen
punktuell Zoom-Meetings (https://zoom.us )         über die Theorie von DIRFloortime® (via Pow-
mit beiden Eltern statt, um diese zu bespre-       er Point Präsentationen), gemeinsame Erstel-
chen. Mirkos Eltern waren beide durch ihren        lung eines individuellen Profils für ihre Tochter
beruflichen Hintergrund technisch sehr ver-        als Grundlage der Förderung und Analyse der
siert. Dies erleichterte die digitale Zusammen-    Videoausschnitte von herausfordernden All-
arbeit enorm. Oftmals luden mir die Eltern         tagsszenen mit Belinda. Auf einem gemeinsa-
vorab kleine Videos der Alltagssituationen auf     men Dropbox Ordner kann ich oder können
einen freigegebenen Ordner ihrer Dropbox           die Eltern einzelne Unterlagen ablegen. Ergän-
(https://www.dropbox.com ), sodass ich diese       zend wünschten sich die Eltern noch konkrete
zur Besprechung in unserem nächsten virtu-         Informationen über die Diagnose ASS und
ellen Meeting vorbereiten konnte. Gemeinsam        suchten noch nach Ideen für die spezifische
analysierten wir in der Online-Sitzung via         Unterstützung von Belinda im Alltag zuhause.
Bildschirmfreigabe die Videosequenzen und          Dazu erstellte ich eine Pinnwand mit dem Pad-
erarbeiteten gemeinsam Ideen zur Unterstüt-        let Programm (https://padlet.com ), die ich
zung von Mirko in den anspruchsvollen All-         immer wieder ergänzte und den Eltern so hilf-
tagssequenzen.                                     reiche Informationen zur Verfügung stellen
                           * alle Namen geändert   konnte.                       * alle Namen geändert

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18   HFE im Wandel – Digitalisierung

Beispiel für eine digitale Pinnwand:             ist, mit all den verschiedenen Kanälen, Medi-
                                                 en und Tools. Geradezu passend für den
                                                 hochagilen und dynamischen HFE Alltag. Di-
                                                 gitale Medien entsprechen der hohen Flexibi-
                                                 lität unserer Arbeit und durch die Orts- und
                                                 Zeitunabhängigkeit kann die Zusammenarbeit
                                                 mit Eltern und deren Partizipation im Förder-
                                                 prozess quasi überall, zu jeder Zeit, stattfin-
                                                 den. Wie die Beispiele zeigen, können digita-
                                                 le Medien und Tools in der Zusammenarbeit
                                                 mit Eltern hilfreich und unterstützend sein.
                                                 Dennoch ist es gut zu überlegen, wie man
                                                 diese in die Begleitung von Kind und Familie
                                                 sinnvoll integriert und nutzt. Daher ist deren
                                                 zielgerichteter Einsatz immer gut zu prüfen. Es
                                                 gibt nicht das eine Konzept, sondern es muss
Abb. 5                                           für beide Seiten, sowohl für die Fachperson
                                                 wie auch für die Familie, stimmig sein und
Mit Hilfe von Padlets können ganz verschie-      individuell auf die Bedürfnisse, Rahmenbe-
dene Infowände erstellt werden, beispielswei-    dingungen und Voraussetzungen angepasst
se bietet es sich auch an Fotos und/oder Vi-     werden.
deos des Kindes einzubeziehen und damit          Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die Ge-
anhand eines «Storyboards» kleine Entwick-       währleistung des Datenschutzes und der Si-
lungsgeschichten zu erzählen. Eine weitere       cherheit. Es ist enorm wichtig mit den Eltern
Möglichkeit wäre die Erstellung einer Fo-        die Kriterien dafür klar abzusprechen, ihnen
to-Dokumentation der Inhalte und des Ablau-      sichere Varianten der Datenübermittlung, wie
fes einer Förderstunde. Die Pinnwände kön-       beispielsweise die Messenger Threema oder
nen beispielsweise mit den Eltern geteilt wer-   Signal anstatt WhatsApp, aufzuzeigen und
den, so können sie sich an der Erstellung des    sinnvollerweise sogar als eine Art kurze
Boards beteiligen und eigene Ergänzungen         schriftliche Vereinbarung dies alles zu Papier
machen. Dementsprechend ist diese Form           zu bringen.
geeignet als interaktive Möglichkeit der digi-   Es ist ohne Frage, dass es von Seiten der
talen Elternzusammenarbeit.                      Fachperson erweiterte Kompetenzen und
                                                 Ressourcen braucht. Die professionelle Nut-
Abschliessende Gedanken und Anstösse             zung digitaler Medien und Tools ist sicherlich
für die Praxis                                   mit einem erheblichen Mehraufwand verbun-
Mit dem Einsatz digitaler Werkzeuge öffnen       den, vor allem in der Kennenlern- und Erpro-
sich neue Wege und Möglichkeiten. Aus den        bungsphase. Es benötigt zu Beginn hohe zeit-
vier Beispielen wurde deutlich, dass deren       liche Ressourcen, sich mit der Handhabung
Anwendung vielfältig und fast unerschöpflich     und Technik vertraut zu machen und selbst-

FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 1/2022
HFE im Wandel – Digitalisierung   19

kritisch zu prüfen, ob diese den persönlichen        Meines Erachtens wäre zu überlegen, digitale
Fähigkeiten, Möglichkeiten und Arbeitsme-            Tools und Medien für die Elternzusammenar-
thoden entsprechen. Ohne Zweifel braucht es          beit in das Curriculum von Aus- und Weiter-
daneben auch Mut, etwas Neues auszupro-              bildung der Heilpädagogischen Früherziehung
bieren und sich darauf einzulassen. Ob im            zu nehmen, um so «fit» zu werden für eine
Selbststudium oder in Form von Kursen emp-           zeitgemässe Zusammenarbeit mit Eltern.
fiehlt es sich zu:
                                                     Digitale Zusammenarbeit kann nur gelingen,
                                                     wenn beide Seiten, sowohl die Fachperson
                                                     wie auch die Eltern, sich darauf einlassen
                                                     können. Nicht zu vergessen ist, dass es neben
                                                     der digitalen Welt auch eine analoge gibt, das
                                                     heisst, dass das Altbewährte, die persönliche
                                                     Begegnung und die menschliche Beziehung
                                                     zu den Eltern durch elektronische Geräte nicht
                                                     ersetzt werden können. Nicht nach dem Ent-
                                                     weder-Oder-Prinzip handeln, sondern nach
                                                     dem Motto «Das eine tun und das andere
                                                     nicht lassen»!
Abb. 6: üben

Literaturverzeichnis
FHNW (o. J.). Blended Counseling Verfügbar unter
https://www.blended-counseling.ch
Spreer, M., Fink, A. & Gebhard, B. (2019).
Partizipation. Frühförderung interdisziplinär, 38,
214-217.
Abb. 1–5: Bilder von Petra Ulshöfer
Abb. 6: https://seelenbalancieren.de/wp-content/
uploads/2015/03/%C3%BCben%C3%BCben%C3%
BCben-e1427311834158.jpg.                                       Petra Ulshöfer
Heruntergeladen am 3.01.2022                                    Heilpädagogin MA
                                                                Erziehungswissenschaftlerin Msc
                                                                praxis 67, Zürich
                                                                praxis67.ulshoefer@hin.ch

                                                        FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 1/2022
20   HFE im Wandel – Digitalisierung

  Bildschirmmedien – mit Kleinkindern
          einen Umgang finden
                                 Gabriela Hofer, Julia Rüdiger

Smartphones, Tablets und Fernseher sind             sich herum entdecken können. So lernen sie:
heute fester Bestandteil unseres Alltags.           das Gras ist weich und feucht, wenn ich es
Schon die Kleinsten beobachten, wie                 anfasse, der Löffel schmeckt kalt und hart im
Eltern und Geschwister Bildschirmmedien             Mund. Diese Erfahrungen in der realen Welt
nutzen. Wie alles, was sie nicht kennen,            können durch keine App und kein Filmchen
wecken diese Geräte ihre Neugier. Auch              ersetzt werden. Im zweiten Lebensjahr lernt
sie wollen entdecken, was so spannend ist           das Kind sprechen, wobei Sprache vor allem
und so viel Aufmerksamkeit bekommt.                 in der Interaktion mit anderen Menschen er-
Wie gehen Eltern damit um? Ab wann ist              lernt wird.
die Nutzung dieser Geräte für Kleinkinder           Fühlen sich Kleinkinder wohl, können sie
überhaupt sinnvoll?                                 auch ihre Kompetenzen erweitern. Sie wollen
                                                    ihre Umwelt entdecken. Dazu brauchen sie
Gesunde Entwicklung in der frühen Kindheit          eine anregende Umgebung, die ihrem Alter
Kinder lernen täglich Neues, Schritt für Schritt.   und Entwicklungsstand angepasst ist und sie
Bereits ab Geburt haben sie eine Vorliebe für       nicht überfordert. Kleinkinder lernen in den
Gesichter und die menschliche Stimme. Ab            ersten Monaten und auch später vor allem
dem zweiten Monat zeigen sie ihr erstes so-         von ihren Bezugspersonen. Dank den Spie-
ziales Lächeln, laden ihre Mitmenschen zu           gelneuronen haben schon Babys die Fähig-
einer Interaktion ein und sind zunehmend            keit, Verhalten und Worte nachzuahmen.
frustriert, wenn niemand auf sie reagiert. Eine
sichere Bindung und stabile Beziehungen zu          Voraussetzungen für Medienkompetenz
Erwachsenen bilden die Grundlage für das            Damit sich Kinder in der digitalen Welt kom-
kindliche Lernen. Die ersten Lebensjahre sind       petent und sicher bewegen können, brauchen
dabei von zentraler Bedeutung für eine gesun-       sie eine Vielzahl von Fähigkeiten, die sie lau-
de Entwicklung.                                     fend lernen müssen. Diese Kompetenzen bau-
Kleine Kinder brauchen eine Vielzahl von Er-        en aufeinander auf, wie die Stockwerke eines
fahrungen, damit die neuronalen Vernetzun-          Turms.
gen im Gehirn geknüpft werden können. Im            Dabei bilden das Zusammenführen von Sin-
ersten Lebensjahr ist es besonders wichtig,         neseindrücken (Sensorik) und Bewegung
dass Kinder mit all ihren Sinnen die Welt um        (Motorik) das Fundament. Im zweiten Stock-

FORUM Mitgliedermagazin des BVF, 1/2022
HFE im Wandel – Digitalisierung    21

                                                    Auswirkungen von Bildschirmmedien auf
                                                    die Entwicklung von Kleinkindern
                                                    Immer mehr Studien belegen, dass sich der
                                                    Konsum von Bildschirmmedien bei den ganz
                                                    Kleinen negativ auf ihre Entwicklung auswirkt.
                                                    Im ersten Lebensjahr können Kinder selbst
                                                    einfachste Videos noch nicht erfassen, weil
                                                    die Bilder viel zu schnell wechseln. Das Gehirn
                                                    eines einjährigen Kindes ist mit den digitalen
                                                    Reizen schlicht überfordert. Gleichzeitig wer-
                                                    den andere Sinne, wie das Tasten, das Schme-
                                                    cken oder das Riechen zu wenig stimuliert,
                                                    was zu Defiziten führen kann. Hinzu kommt,
                                                    dass Kleinkinder Inhalte von Filmen nicht von
                                                    der Wirklichkeit unterscheiden können. Bis zu
                                                    einem Alter von ca. fünf Jahren identifizieren
Turm der Medienmündigkeit im Bau                    sich Kinder voll und ganz mit den Figuren am
(Quelle: P. Bleckmann, Medienmündig, 2014)          Bildschirm. Fiktion und Realität verschmelzen.
                                                    Dies kann zu Ängsten und Verunsicherung
                                                    führen.
werk geht es um die Fähigkeit, andere Men-
schen wahrzunehmen und sich mit ihnen zu            Diverse Studien, die zwischen 2005 und 2012
verständigen (Kommunikationsfähigkeit). Auf         durchgeführt wurden, belegen zudem, dass
der nächsten Ebene geht es um die Fähigkeit,        sich der Konsum von Bildschirmmedien bei
selbst zu gestalten (Produktionsfähigkeit) und      Kleinkindern negativ auf ihre körperliche, so-
das vierte Stockwerk ermöglicht, zu verarbei-       zio-emotionale sowie kognitive Entwicklung
ten und zu verstehen (Reflexionsfähigkeit). Der     auswirkt. Dies umso eindeutiger, je jünger die
oberste Baustein des Turms stellt die Medi-         Kinder sind. Die kindliche Nutzung von Bild-
enkompetenz dar. Sie ist gegeben, wenn In-          schirmmedien ist ein eigenständiger, aber
halte reflektiert und kritisch hinterfragt werden   nicht der einzige Erklärungsfaktor für später
können.                                             auftretende negative Folgen. Eindeutig nach-
Je höher der Turm werden soll, desto breiter        gewiesen sind Auswirkungen wie Sprachent-
und stabiler muss das Fundament sein. Der           wicklungsstörungen, Hyperaktivität, Überge-
Bau dieses Turms dauert ein Leben lang,             wicht, eine tiefe Frustrationstoleranz und
auch Erwachsene lernen in den oberen                Einschlafstörungen. Letztere kommen nicht
Stockwerken ständig dazu. Das Fundament             zuletzt vom Blauanteil im Lichtspektrum, wel-
jedoch, muss in den ersten Lebensjahren ge-         ches von den Bildschirmen ausgeht. Dieses
baut werden. Die sensomotorischen Fähig-            Licht unterdrückt die Ausschüttung des Kör-
keiten können später nur erschwert nachge-          perhormons Melatonin, welches den Schlaf
holt werden.                                        bestimmt.

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Der Medienkonsum der Eltern hat ebenfalls         wachsenen die Grundlage für eine gesunde
Auswirkungen auf die Gesundheit der Kinder.       Entwicklung. Das Kleinkind braucht vertraute
Die BLIKK-Studie von 2017 zeigt, dass Säug-       Menschen, die ihm die volle Aufmerksamkeit
linge Fütterungs- und Einschlafstörungen auf-     schenken, mit ihm sprechen und sich mit ihm
weisen, wenn die Mutter während dem Stillen       beschäftigen. Es geht darum, direkte Kontak-
zu oft am Smartphone ist oder der Vater beim      te mit anderen Menschen, realen Dingen und
Schoppen geben Bildschirmmedien konsu-            der Natur zu ermöglichen. Die spielerische
miert.                                            Entdeckung der Welt mit allen Sinnen, in der
Die erwähnten Daten beziehen sich allerdings      Kinder hören, riechen, ertasten, schmecken
mehrheitlich auf Kinder zwischen vier und         und sehen, kann keine App ersetzen. Von An-
sechs Jahren oder älter. Dass Kleinkinder         fang an sollten Kinder die Möglichkeit be-
Bildschirmmedien konsumieren, ist ein eher        kommen, sich frei zu bewegen. Damit werden
jüngeres Phänomen, welches erst wenig er-         der Gleichgewichtssinn und ein gutes Körper-
forscht ist. Nach dem heutigen Stand der For-     gefühl gefördert.
schung haben Kinder unter drei Jahren lang-
fristig keinen Nutzen, wenn sie Bildschirmme-     Verantwortungsbewusste Medienerziehung
dien konsumieren. Die Erfahrungen in der          Grundsätzlich empfehlen Fachpersonen in
realen Welt, die sie in dieser Anfangszeit ma-    den ersten zwei bis drei Lebensjahren auf
chen können, sind viel wertvoller und können      Bildschirmmedien möglichst zu verzichten.
in späteren Jahren kaum nachgeholt werden.        Danach können Erwachsene ihr Kind mit ge-
Kinder lernen sehr schnell mit digitalen Gerä-    zielten, kurzen Sequenzen an die digitale Welt
ten umzugehen. Sie verpassen nichts, wenn         heranführen. Dies geschieht mit Medien, die
sie erst später damit konfrontiert werden. Ge-    dem Alter und dem Entwicklungsstand des
rade für die Sprachentwicklung ist die Inter-     Kindes entsprechen. Geeignet für das erste
aktion mit nahen Bezugspersonen unersetz-         Entdecken sind zum Beispiel Bilder oder Fil-
bar. Die digitale Umgebung kann diese Person      me des Kindes, die man gemeinsam anschaut.
und die Beziehung zu ihr nicht ersetzen. Dies     So bietet sich die Gelegenheit, darüber zu
wird ebenfalls in Studien betont.                 sprechen, sich an schöne, gemeinsame Mo-
                                                  mente zu erinnern und so einen Bezug zum
Empfehlungen – Was bedeutet das für den           Kind und zur realen Welt herzustellen. Da das
Umgang mit Bildschirmmedien?                      Kind selbst erlebt hat, was es sieht, ist der
Es ist schwierig, Empfehlungen zur Nutzung        Inhalt nicht fremd und für das Kind gut zu
von Bildschirmmedien zu machen, welche für        verarbeiten.
jedes Alter und jeden Entwicklungsstand des       Doch wie oft und wie lange soll ein Kleinkind
Kindes gelten. Es gibt jedoch ein paar allge-     in den Bildschirm schauen? Es ist schwierig,
meine Grundsätze, die zu beachten sind.           allgemeingültige Empfehlungen für Bild-
                                                  schirmzeiten zu machen, da jedes Kind indi-
Erfahrungen in der realen Welt                    viduell ist. Vielmehr geht es darum, es Schritt
In der frühen Kindheit bilden eine sichere Bin-   für Schritt an die digitalen Medien heranzu-
dung und verlässliche Beziehungen zu Er-          führen. Dies bedeutet in erster Linie, dass Er-

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HFE im Wandel – Digitalisierung    23

wachsene kleine Kinder begleiten und sie          nachgeben oder standhaft bleiben? Hier hilft
nicht allein vor dem Bildschirm lassen. So        vor allem eines, sich bewusst Zeit nehmen
haben Erwachsene die Möglichkeit, das Kind        und den Kleinen die volle, ungeteilte Aufmerk-
zu beobachten. Wirkt es verängstigt, nervös,      samkeit schenken. Dazu gehört auch, das
unkonzentriert oder abgelenkt ist dies ein Zei-   Smartphone vermehrt auf die Seite zu legen.
chen, das Gerät auszuschalten. Gerade bei         Wird dem Kind auf eine liebevolle und den-
Kindern mit besonderen Bedürfnissen ist dies      noch bestimmte Art klargemacht, dass es
speziell wichtig. Bei Kleinkindern unter drei     nicht damit spielen darf, lernt das Kind, das
Jahren sollten Bildschirmmedien eine Aus-         Gerät gehört Mami oder Papi. Weil Kinder
nahme bleiben. Werden sie ab und zu genutzt,      sehr viel durch Nachahmen lernen, ist es
sollte dies nicht länger als eine halbe Stunde    wichtig, dass Bezugspersonen selbst einen
sein. Generell eignen sich Bildschirme nicht      bewussten Medienkonsum vorleben. Dies er-
als Babysitter.                                   leichtert es den Eltern auch, später gemein-
                                                  sam Regeln auszuhandeln, wenn der Nach-
Eltern sind Vorbilder                             wuchs älter ist und selbst ein Smartphone
Viele Eltern sind sich nicht bewusst, dass die    besitzt.
Art und Weise, die Häufigkeit und die Inten-
sität ihrer Mediennutzung einen direkten Ein-     Die Rolle der Fachpersonen
fluss auf die Entwicklung ihres Kindes haben.     Die Zusammenarbeit mit Eltern ist ein wichti-
Es ist deshalb wichtig, dass junge Eltern in-     ges Aufgabenfeld der Heilpädagogischen Frü-
formiert und über den Stand der Forschung         herziehung. Ressourcen und Kompetenzen
aufgeklärt werden. Es ist sinnvoll, den eigenen   der Kinder, Familien und des Umfeldes wer-
Medienkonsum zu reflektieren und den Um-          den genutzt und erweitert. Pädagogische
gang mit dem Smartphone in der Paarbezie-         Fachpersonen sind damit verlässliche und
hung zu thematisieren. Abmachungen, wie           unterstützende Bezugspersonen von Eltern
zum Beispiel das Smartphone nicht im Bett zu      und Kindern. Sie fördern positive Eltern – Kind
nutzen und nachts auszuschalten oder wäh-         – Interaktionen und erweitern die Möglichkei-
rend Essenszeiten darauf zu verzichten, kön-      ten der Eltern, die Bedürfnisse ihres Kindes
nen helfen, einen bewussteren Umgang zu           wahrzunehmen und einen entwicklungsunter-
entwickeln. Hilfreich kann es auch sein, sich     stützenden Alltag zu gestalten.
zu überlegen, welche Apps wirklich wichtig        Genau hier setzt die Unterstützung bei der
sind und welche besonders viel Zeit fressen       Medienerziehung an. Fachpersonen der Heil-
ohne zu befriedigen.                              pädagogischen Früherziehung kennen das
Kleinkinder interessieren sich schon früh für     Kind und seinen Entwicklungsstand und sind
digitale Geräte. Wenn sich Eltern mit ihrem       in regelmässigem Austausch mit den Eltern.
Smartphone beschäftigen, weckt das die            Dadurch haben sie die Möglichkeit, Eltern
Neugierde der Kleinen. Was so interessant zu      für einen kompetenten Umgang mit Bild-
sein scheint, möchten sie ebenfalls erfor-        schirmmedien zu sensibilisieren und zu un-
schen. Soll man dem Verlangen des Kindes          terstützen.

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