Mochten die alten Römer Tiere?

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Mochten die alten Römer Tiere?
Mochten die alten Römer Tiere?
                            Franz Römer – Sonja Schreiner

Viele Leute wissen nur, dass die Römer Tiere in der Arena kämpfen ließen. Es gab aber
auch tiefe Freundschaften zwischen Menschen und Tieren. Ein „Naturwissenschaftler“
namens Plinius hat viele dicke Bücher geschrieben, in denen er spannende, lustige, traurige
und unglaubliche Dinge über Tiere und Fabeltiere erzählt.

                                       Diese „Naturgeschichte“ von Plinius dem Älteren ist
                                       eine      umfangreiche     Enzyklopädie     zu     vielen
                                       verschiedenen     Themengebieten.    Sie    umfasst    37
                                       Bücher.    Fast   das    ganze   erste    Buch   ist   ein
                                       ausführliches Inhaltsverzeichnis. Außerdem gibt Plinius
                                       auch an, aus welchen Quellen er sein Wissen bezieht.
                                       Im zweiten Buch steht die Kosmologie im Zentrum, in
                                       den Büchern 3-6 die Geographie, in Buch 7 folgt die
                                       Anthropologie und in den Büchern 8-11 schließlich die
                                       Zoologie, die für unser Thema, die Mensch-Tier-
                                       Beziehung im alten Rom, besonders wichtig ist.

In den Büchern 12-19 schreibt Plinius über Botanik, in den Büchern 20-32 über Medizin und
Pharmazie und in den Büchern 33-37 über Metall- und Steinkunde.

Plinius hat seinen Beinamen „der Ältere“ (in lateinischer Sprache heißt das maior, was so
viel wie „der Größere“ bedeutet) erst nach seinem Tod erhalten – und zwar aus einem ganz
einfachen Grund: Plinius hatte einen Neffen, der (a) fast genau so hieß wie er und (b) eine
umfangreiche Briefsammlung (10 Bücher) herausgegeben hat, in der er über verschiedene
Probleme und Besonderheiten des römischen Alltags berichtet. Um die beiden Autoren
voneinander unterscheiden zu können, haben WissenschaftlerInnen späterer Zeiten den
Onkel „Plinius den Älteren“ und den Neffen „Plinius den Jüngeren“ genannt. „Der Jüngere“
heißt auf lateinisch minor (das bedeutet eigentlich „der Kleinere“).

Plinius der Ältere ist 79 n. Chr. beim Vesuvausbruch, der Pompeji, Herculaneum und Stabiae
verschüttet hat, gestorben. Sein Forscherdrang hat ihn das Leben gekostet, weil er mit
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seinem Schiff zu nahe an die Giftgaswolken gekommen ist, die aus dem Vulkankrater
ausgetreten sind. Ob er an einer Vergiftung, einem Herzinfarkt oder Asthma gestorben ist,
kann man nicht mit Sicherheit sagen. In seiner Naturalis historia, seiner „Naturgeschichte“
(besser: „Naturkunde“) lebt er jedenfalls weiter. Aber Vorsicht! Man darf nicht alles glauben,
was er in dieser Enzyklopädie schreibt. Manches – z.B. seine Beobachtungen über
Haustiere (im 8. Buch) – ist bis heute richtig. Anderes ist falsch, ja sogar grotesk – wie z.B.
seine Behauptung (im 7. Buch), es habe sogenannte „Schattenfüßer“ gegeben. Diese
eigenartigen Wesen haben laut Plinius nur einen einzigen riesigen Fuß gehabt, den sie bei
Bedarf über ihren Körper klappen konnten und somit eine Art integrierten Sonnenschirm
hatten. Doch Plinius glaubt nicht nur an die Existenz von Fabelmenschen. Seines Erachtens
gibt es auch Fabeltiere wie z.B. das sagenumwobene Einhorn (8. Buch) oder den
„Bockshirsch“ (8. Buch), ein ganz eigentümliches Mischwesen, das lateinisch hircocervus
und griechisch tragelaphos heißt.

Welch eigenartige Irrtümer über Tiere im Umlauf waren, mit denen man nicht vertraut war,
weil man sie nicht täglich um sich hatte, sondern nur aus Beschreibungen von Leuten
kannte, die lange Reisen unternommen hatten, zeigt eine witzige Geschichte, die Caesar in
seinem Bellum Gallicum, seinem Bericht über den Gallischen Krieg, erzählt: Elche, meint er
im 27. Kapitel des 6. Buches, könne man ganz leicht fangen. Da sie steife Gelenke hätten,
müssten sie sich zum Schlafen an Bäume anlehnen, weil es ihnen nämlich nicht möglich
wäre, sich ohne fremde Hilfe hinzulegen. Allein aufstehen könnten sie überhaupt nicht. Was
soll also der geschickte Jäger machen? Er muss nur die Bäume ansägen, an die sich die
Elche wahrscheinlich anlehnen werden. Wenn sie das dann wirklich tun, fallen die Bäume
und die Elche um; man muss letztere nur mehr abtransportieren.

Auch das, was Plinius der Ältere im 9. Buch über Delfine schreibt, ist nur bedingt richtig:
Dass der Delfin pfeilschnell ist, stimmt. Dass er sein Maul fast in der Mitte des Bauches hat
und sich daher auf die Seite oder sogar auf den Rücken drehen muss, um Fische zu fangen,
ist natürlich unrichtig. Erklärbar ist so eine Falschinformation bei einem gewissenhaften
Menschen wie Plinius nur dadurch, dass er selbst nie Delfine beim Jagen beobachten konnte
und / oder einen seiner Informanten falsch verstanden hat. Er weiß aber sehr wohl, dass
Delfine Musik sehr gerne haben, Schiffe spielend und ohne Scheu umspringen,
hochintelligente und sehr soziale Tiere sind.
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                                                                          Doch      nicht     nur    der
                                                                          Onkel, auch der Neffe
                                                                          erzählt in einem seiner
                                                                          unzähligen Briefe – es ist
                                                                          der 33. des 9. Buches –
                                                                          eine     wirklich    rührende
                                                                          Geschichte, in der ein
                                                                          Delfin     die      Hauptrolle
                                                                          spielt: In Nordafrika gab
                                                                          es      eine     Kolonie    in
                                                                          unmittelbarer Nähe des
                                                                          Meeres. Die Kinder, die
                                                                          dort lebten, nützten das
seichte Wasser einer angrenzenden Lagune gerne zum Schwimmen. Eines Tages
schwamm ein Bub aber viel zu weit hinaus. Ein Delfin brachte ihn sicher ans Ufer zurück. Die
Geschichte verbreitete sich innerhalb kürzester Zeit. Viele Leute kamen, um diese spezielle
Freundschaft zwischen Mensch und Tier zu bestaunen. Denn der Delfin kam ab jetzt jeden
Tag und spielte mit dem Buben. – Heute ist „Delfinschwimmen“ eine beliebte und höchst
erfolgreiche Therapiemethode für Kinder mit besonderen Bedürfnissen.

Der römische Schriftsteller Aulus Gellius berichtet im 5. Buch seiner Noctes Atticae („Attische
Nächte“), einer bunten Sammlung von verschiedensten eigentümlichen und gelehrten
Geschichten, von einer anderen bemerkenswerten Freundschaft zwischen Mensch und Tier:
Ein Sklave namens Androclus wurde ad bestias verurteilt. Das heißt, er sollte in der Arena
wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen werden. Der Löwe, der ihm im Zirkus gegenüberstand,
tat ihm aber nichts. Warum nicht? Androclus hatte einige Zeit davor genau diesem Löwen
einen Dorn aus der Pfote gezogen. Der Löwe erinnerte sich daran und verschonte den
Mann. Daraufhin erhielten beide, Mensch und Löwe, ihre Freiheit. Diese Geschichte klingt
beinahe wie ein Märchen oder eine Fabel.
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Franz Römer – Sonja Schreiner: Mochten die alten Römer Tiere?                     4

                                                      Der römische Dichter Phaedrus hat eine
                                                      Fabel,     also    eine      lehrreiche   kleine
                                                      Geschichte,       geschrieben,      die   einen
                                                      zumindest vergleichbaren Inhalt hat: Ein
                                                      Panther fällt in eine Grube. Menschen
                                                      bemerken das und verhalten sich auf sehr
                                                      unterschiedliche       Weise.      Die    einen
                                                      bewerfen das wehrlose Tier mit Steinen
                                                      und verhöhnen es, die anderen werfen ihm
                                                      Brot hin, damit es in seiner (scheinbar)
aussichtslosen Lage wenigstens nicht hungern muss. Doch der Panther hat Glück im
Unglück. In der Nacht gelingt es ihm sich zu befreien. Etwas später kommt er wieder und
bringt die Leute um, die ihm in seiner misslichen Lage so übel mitgespielt haben. Denjenigen
aber, die Mitleid mit ihm hatten, versichert er, dass er ihnen nichts tun werde, weil er sich
genau erinnern könne, wer gut und wer böse zu ihm war.

Die Römer hatten natürlich auch Haustiere. So berichtet der römische Dichter Martial von
einem geliebten Schoßhüdchen namens Issa. Die kleine Hündin wird vermenschlicht
dargestellt – nicht anders als so manches tierische Familienmitglied heute. Von besonderer
Tierliebe zeugt überdies die Tatsache, dass man Schmuck in Tierform anfertigen ließ. Im
Römermuseum am Hohen Markt in der Wiener Innenstadt kann man einige besonders
schöne Stücke bewundern.

                                                        Es sind jedoch vor allem die typischen
                                                        Eigenschaften von Tieren, die in der
                                                        antiken Literatur eine nicht unbedeutende
                                                        Rolle spielen – z.B. die Treue von
                                                        Hunden. Am berührendsten ist vielleicht
                                                        ein Beispiel aus der altgriechischen
                                                        Literatur. Homer erzählt in der Odyssee
                                                        unter   anderem      die    Geschichte vom
                                                        uralten Hund des Odysseus. Er hieß
Argos und wartete 20 (!) Jahre auf die Rückkehr seines Herrn. Nach dem Wiedersehen stirbt
er als glücklicher Hunde-Methusalem. Wenn ein Haustier gestorben ist, war auch im alten
Rom die Trauer bisweilen groß: So erzählt der römische Dichter Catull, wie sich seine
Freundin die Augen rotweint, weil ihr zahmer Sperling gestorben ist.
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Wenn man so wahnsinnig war wie Kaiser Caligula, konnte die Tierliebe freilich extreme
Ausmaße annehmen: Er wollte, wie der römische Biograph Sueton (Vita – das bedeutet
„Lebensbeschreibung“ – des Caligula 55) mit einem gewissen Augenzwinkern berichtet, sein
Lieblingspferd Incitatus zum Konsul ernennen lassen.

Viele Römer betrachteten Tiere als Nutztiere: Esel zum Beispiel, aber auch Kamele. Plinius
der Ältere berichtet im 8. Buch über die Unterscheidung zwischen Dromedar (1 Höcker) und
Trampeltier (2 Höcker) und auch darüber, dass die „Wüstenschiffe“ auch über mehrere Tage
ohne Flüssigkeit auskommen können.
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Pferde waren für das Militär und die römische Post von großer Bedeutung. Hunde benötigte
man als Jagdhunde und als Wachhunde. Grattius hat ein ausführliches Lehrgedicht
geschrieben; darin beschreibt er eingehend die Aufzucht und den Einsatz von Jagdhunden.
Plinius der Ältere berichtet über die unglaubliche Intelligenz von Hunden (8. Buch). Er weiß,
dass sie sich an lange Wege erinnern, dass sie ihre Herren an der langen Leine zur
Jagdbeute führen und dass sie gemeinsam mit den Pferden die treuesten Begleiter des
Menschen sind. Ihm war auch schon bekannt, dass man einen Hund besänftigen kann, wenn
man sich vor ihm auf den Boden setzt. Als Wachhunde besonders beliebt waren Molosser.
Sie waren riesig, ungefähr so, wie heute ein Mastino Napoletano.

                     Doch Tiere sind im alten Rom nicht nur in zoologischer Fachliteratur
                     oder in Lehrgedichten von Bedeutung, auch aus der Fabel sind sie nicht
                     wegzudenken. Dort hat ein bestimmtes Tier meistens (fast klischeehaft)
                     entweder nur gute oder nur schlechte Eigenschaften: Ein Fuchs ist
                     immer listig, ein Hund immer wachsam, ein Schaf ist überhaupt arm:
                     Denn es ist der geborene Verlierer. Phaedrus, ein Freigelassener, hat
                     eine    Unzahl     von    solchen     kleinen    lehrreichen   Tiergeschichten
                     geschrieben. Von seinen Lesern erwartete er, dass sie hinter den
                     Tiermasken bestimmte Menschentypen erkennen.

                     Eine der schönsten Fabeln, die Phaedrus geschrieben hat, ist die von
                     Hund und Wolf: Ein magerer Wolf trifft einen gut genährten Hund und
fragt ihn hungrig, wo und wie er lebe, weil es ihm augenscheinlich an nichts fehle. Der Hund
erzählt dem Wolf, dass er nur ein wenig auf das Haus seines Herrn aufpassen müsse. Dafür
würde er mit reichlich Futter belohnt werden. Der Wolf will wissen, ob er diese Funktion auch
übernehmen könne. Der Hund zweifelt nicht daran. Also wandern die beiden ein Stück
gemeinsam. Doch da sieht der Wolf das am Hals abgewetzte Fell des Hundes und fragt,
woher das komme. Der Hund berichtet, dass er tagsüber an der Kette hänge. Nur in der
Nacht dürfe er sich frei bewegen. Da wünscht ihm der Wolf alles Gute und geht wieder
seiner Wege: Er will lieber weiter ein entbehrungsreiches Leben führen, dafür aber frei sein.
Gleichzeitig gesteht er dem Hund tolerant zu, dass jeder selbst wissen müsse, mit welchem
Lebensstil er glücklich wird.

Besondere Symbolkraft hat ein Tier, von dem man es zunächst nicht zwingend annehmen
würde: das Stachelschwein. Es ist cominus et eminus, also aus der Nähe und auch noch in
der Ferne, ein Meister der Selbstverteidigung. Wer ein Stachelschwein berührt, sticht sich.
Bei besonderer Gefahr kann es seine Stacheln aber auch über eine gewisse Distanz
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schleudern. Das berichtet bereits Plinius im 8. Buch der Naturalis historia. In der Emblematik,
einer hochentwickelten Kombination aus Bild und Text, die besonders im 16. und 17.
Jahrhundert sehr beliebt war, also ca. 1500 Jahre nach Plinius, ist das Stachelschwein
(lateinisch hystrix) ein absolut positiv besetztes tierisches Symbol für einen guten, starken
und erfolgreichen Feldherrn, König oder Kaiser.

Literarische Bedeutung hat aber noch ein          weiteres Tier erlangt, bei dem man das aus
heutiger Sicht für völlig unmöglich halten würde: Ein unbekannter römischer Autor hat ein
lustiges Gedicht über eine Stechmücke (Culex) geschrieben. Der Text ist erhalten. Über den
Verfasser weiß man nichts: Ein Hirte schläft, eine riesige hässliche Schlange (draco) will sich
auf den jungen Mann stürzen. Doch im richtigen Moment sticht ihn eine Mücke in die Nase.
Der Bursch erwacht, erschlägt in einem Reflex das Insekt, sieht das ihn bedrohende Monster
noch rechtzeitig, kann es töten und sich retten. Dann plagt ihn das schlechte Gewissen, hat
er doch seine Lebensretterin, die Stechmücke, erschlagen. Als kleine Wiedergutmachung
baut er ein wunderschönes Grab für das Insekt und sichert ihm damit, dass auch spätere
Generationen wissen, was es geleistet hat.

Für Plinius den Älteren sind Insekten ein Wunder der Natur. An ihnen demonstriert er im 11.
Buch die Perfektion der Natur im ganz Kleinen und schreibt über die Vielfalt der
Insektenarten. Es gibt solche mit Füßen, wie den Tausendfüßler, solche mit Flügeln, wie die
Bienen, solche, die beides haben, wie die Ameisen (die Königin hat Flügel, die Arbeiter und
Soldaten nicht), und solche, die weder Flügel noch Beine haben. Insekten heißen sie laut
Plinius, weil ihr Körper aussieht, als wäre er an einigen Stellen abgebunden bzw.
eingeschnitten (auf lateinisch heißt das insectus). Damit beschreibt Plinius nichts anderes als
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die sprichwörtliche Wespentaille. Den Menschen wirft er im selben Atemzug vor, immer nur
die mächtigen Schultern von Elefanten, das Aufbäumen von Stieren und die gewaltige Kraft
von Raubkatzen zu bewundern und im Gegenzug kein Auge für kleine Tiere zu haben.

In der römischen Literatur ist es öfter so, dass keineswegs immer nur starke und edle Tiere
wahre Helden sein müssen. Der römische Historiker Titus Livius berichtet z.B. im 5. Buch
seiner mit 142 Büchern monumentalen römischen Geschichte ab urbe condita (= „von der
Gründung der Stadt an“) davon, wie die kapitolinischen Gänse mit ihrem verängstigten
Schnattern Rom vor den Galliern gerettet haben. Letztlich hat Rom selbst seine Existenz
dem Beschützerinstinkt eines wilden Tieres zu verdanken: In der römischen Gründungssage
gilt die kapitolinische Wölfin als Ziehmutter der Zwillinge Romulus und Remus.

                                                           Tiere sind in Rom aber nicht nur als
                                                           Freunde,           Weggefährten          oder
                                                           Arbeitskräfte         geschätzt      worden.
                                                           Manchmal        gelten     sie    auch    als
                                                           Inspirationsquelle für Menschen: So
                                                           berichtet der römische Dichter Martial
                                                           davon, dass Palamedes nach dem
                                                           Vorbild      der      Flugformation      von
                                                           Kranichen die Buchstaben U und V
                                                           entwickelt         habe.     Obwohl        er
Palamedes als Erfinder erwähnt, fehlt bei Plinius dem Älteren diese Detailinformation im 7.
Buch, in dem er unter anderem die Schriftentwicklung als menschliche Errungenschaft
thematisiert.

                                                           Ein        sehr          trauriges       und
                                                           verabscheuungswürdiges Kapitel in
                                                           der       römischen             Mensch-Tier-
                                                           Beziehung sind die sogenannten
                                                           venationes.           venatio        bedeutet
                                                           „Tierhetze“, mehrere davon nannte
                                                           man venationes. Diese grausamen
                                                           Veranstaltungen fanden in der Arena
                                                           statt, also dort, wo auch Gladiatoren
                                                           gegeneinander kämpfen mussten.
Mochten die alten Römer Tiere?
Franz Römer – Sonja Schreiner: Mochten die alten Römer Tiere?          9

Die Römer waren erstaunlich erfindungsreich: Entweder mussten Tiere jeder Art
gegeneinander kämpfen oder Menschen mussten sich gegen Raubtiere verteidigen. Ein
sinnloses Blutbad war die traurige Folge.

Nachvollziehbar und ethisch vertretbar erscheinen hingegen Dressurnummern. Man
dressierte Elefanten genauso wie Antilopen. Martial berichtet vor allem in seinem liber
spectaculorum, dem „Buch der Schauspiele“, in dem die mehrere Monate dauernden
Eröffnungsspiele im Kolosseum (80 n. Chr.) beschrieben werden, von erstaunlichen
Dressurakten. Gleich mehrere Gedichte widmet Martial einer ungewöhnlichen Begegnung
zwischen einem Löwen und einem Hasen: Der Dompteur hat den Löwen dazu gebracht, das
Maul zu öffnen, den Hasen aber, in das Löwenmaul hineinzulaufen. Der Löwe frisst den
Hasen nicht, sondern Meister Lampe hoppelt munter wieder heraus.

Tragischer (allerdings mit Absicht) endete das Nachspielen des Mythos von Orpheus. Der
berühmte mythische Sänger Orpheus konnte mit seiner Musik wilde Tiere friedlich um sich
versammeln. Doch im Kolosseum funktionierte das nicht. Ein Bär riss Orpheus in Stücke.
Das Publikum war zufrieden. Der bemitleidenswerte Darsteller des Orpheus, ein verurteilter
Verbrecher, war aber tot.

Im alten Rom gab es vielfältige Beziehungen zwischen Menschen und Tieren. Einige davon
lehnen wir heute aus guten Gründen ab. Andere können wir gut nachvollziehen. Zu den
schwer verständlichen Mensch-Tier-Beziehungen gehört auch das Tieropfer. Zu besonderen
Anlässen fanden sogenannte „Suovetaurilien“ statt. In diesem Wort stecken drei Tiernamen.
Den Göttern wurden ein Schwein (sus), ein Schaf (ovis) und ein Stier (taurus) geopfert. –
Außerdem hatte jede Gottheit ein eigenes Symboltier: Jupiter den Adler, Juno den Pfau,
Venus die Taube und Neptun das Pferd.

Viel harmloser war ein Aberglaube, in dem heilige Hühner die Hauptrolle spielen: Man
glaubte, in den verschiedensten Situationen aus ihrem Fressverhalten Schlüsse auf die
Zukunft ziehen zu können. So versuchte man vor einer Schlacht, aus dem Appetit des
Geflügels abzulesen, ob man das Schlachtfeld als Sieger oder als Verlierer verlassen würde.
Je mehr die Hühner fraßen, desto besser fiel die Prognose aus. Der Haken an der Sache
war, dass man das sehr leicht steuern konnte: Wollte man die Soldaten in Sicherheit wiegen,
gab man den Hühnern vor dem „Test“ einfach 1-2 Tage nichts zu fressen. – Doch leider
funktionierte das nicht immer. Als vor der Schlacht von Drepanum (249 v. Chr. im Ersten
Punischen Krieg zwischen Rom und Karthago) die an Bord eines Schlachtschiffes
mitgeführten heiligen Hühner nicht fressen wollten und die Motivation der Soldaten
Mochten die alten Römer Tiere?
Franz Römer – Sonja Schreiner: Mochten die alten Römer Tiere?             10

dramatisch sank, brüllte der römische Kommandant Claudius Pulcher: „Wenn sie nicht
fressen wollen, dann sollen sie wenigstens saufen!“ und warf die armen Tiere ins Meer. Die
Hühner ertranken, die Römer verloren die Schlacht. Sueton berichtet die grausige
Geschichte im 2. Kapitel seiner Biographie (Lebensbeschreibung) des Kaisers Tiberius.

Die Mensch-Tier-Beziehung vor 2000 Jahren war entschieden vielgestaltiger als sie aus
purer Sensationslust oft dargestellt wird. Für einen Römer konnte ein Tier – nicht anders als
heute auch – einen hohen individuellen Wert haben oder einfach Teil seiner Nahrung sein.
Ein Tier konnte den Stellenwert einer Ware haben oder denjenigen eines Freundes.
Industrielle Massentierhaltung wie im 21. Jahrhundert hat es ebensowenig gegeben wie die
Diskussion über Tierschutz oder Tierrechte. Tierliebe war individuell, im kollektiven
Bewusstsein war sie sicher nicht verankert.

Wenn ein Tier eine Kapitalanlage war, hatte es wenigstens eine etwas bessere Position.
Nutztiere wie Pferde fallen in diese Kategorie. Das garantierte ihnen eine im Rahmen der
Möglichkeiten gute Behandlung. Nicht umsonst ist die antike Tiermedizin (im griechischen
wie im römischen Bereich) zu weiten Teilen Pferdeheilkunde. Kleintierheilkunde ist im alten
Rom – leider – kein Thema.

Zum Abschluß noch etwas Erstaunliches: Soweit Menschenaffen den antiken Menschen
bekannt waren, hielt man sie für Menschen mit Fell. Plinius der Ältere berichtet im 6. Buch
der Naturalis historia, dass der Karthager Hanno solche behaarten Menschen gesehen hat.
Mit großer Wahrscheinlichkeit handelte es sich um Gorillas, und die gehören, wie wir heute
wissen, tatsächlich zu unseren nächsten Verwandten.

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