Unser Hauptprodukt heißt Wissen.

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Unser Hauptprodukt heißt Wissen.
Interview Hartmut Mehdorn   Text: Gesine Braun, Susanne Risch   Foto: DB AG / Klimek   McK Wissen 16   Seiten: 26.27

„Unser Hauptprodukt
heißt Wissen.“
Die Deutsche Bahn AG betreibt eine der größten EDV-Anlagen der Welt, ist international die Nummer
drei in der Seefracht, Nummer zwei in der Luftfracht. Zwischen Asien und Amerika ist sie Marktführer
im Warentransport, in Europa managt sie eine Flotte mit mehr als 100 000 Fahrzeugen und ist
obendrein der größte Fahrradverleiher auf dem Kontinent. Der globale Logistik- und Mobilitätskonzern
muss den Vergleich mit Wettbewerbern nicht scheuen – und wird im eigenen Land doch immer an fünf
Minuten Verspätung gemessen.

Ein Gespräch mit Hartmut Mehdorn, Vorstandschef der Deutschen Bahn AG, über
Logistik, Mobilität, Leistung und die Großmutter aus der Provinz.
Unser Hauptprodukt heißt Wissen.
McK: Herr Mehdorn, Sie sind seit mehr als sechs Jahren dabei, aus einem
behäbigen Staatsbetrieb einen leistungsfähigen privaten Dienstleistungs-
konzern zu machen und müssen Ihre Strategie doch stets und ständig ver-
teidigen. Ist das auf Dauer nicht ermüdend?
Hartmut Mehdorn: Das stört mich nicht weiter. Wir verlangen nicht, dass
jeder auf der Straße versteht, was wir tun und warum wir das tun. Ich weiß
auch gar nicht, was daran so interessant ist. Die Leute zerbrechen sich doch
auch nicht den Kopf über die Strategie von Siemens, DaimlerChrysler oder
Toshiba. Es muss uns nicht jeder begreifen.

Vielleicht helfen Sie uns dennoch dabei.
Eigentlich ist es ganz einfach. Wir sind ein Mobilitäts-Dienstleister. Wir bie-
ten Mobilität für Menschen, Güter und Daten. In der Kombination aller
drei erzeugen wir Mehrwert für unser Bahngeschäft. Und würden wir nicht
alle drei Bereiche kontinuierlich ausbauen, würde es uns bald nicht mehr
geben. Züge von A nach B fahren zu lassen reicht schon lange nicht mehr.

Sondern?
Wir verkaufen nicht mehr bloßen Transport, sondern den sorgenfreien
Service drum herum – und das nicht nur auf die Schiene bezogen. Die Deut-
sche Bahn unterhält heute beispielsweise eines der weltweit größten Inter-
netportale in Bezug auf Mobilität. Wenn Sie einen Güterzug von Prag nach
Köln mieten wollen, der 400 Meter lang ist und 3000 Tonnen schwer,
können Sie auf unserer Website den Preis ablesen. Sie können aber auch
nachschauen, wann die schnellste Zugverbindung von Lissabon nach
Baden-Baden geht. Wer will, kann sich den Fußweg von der Theodor-
Heuss-Straße in Stuttgart bis zum dortigen Hauptbahnhof beschreiben las-
sen. Und er findet die Telefonnummer der nächsten Taxistation, die beste
Straßenbahn- und Busverbindung und die Adressen von Autovermietun-

                                                                                  5
gen und Hotels. Die Website der Deutschen Bahn gibt Auskunft über mehr
als 22 Millionen Destinationen – allein in Deutschland.

Sie meinen, ein intelligentes Service-Portal rundet das Bahnfahren ab?
Nein, es geht um viel mehr: Das Portal ist Teil unserer Kernkompetenz. Es
gibt heute keine Einzelkompetenz mehr, es gibt nur die Kompetenz einer
Prozesskette. Unser Hauptprodukt heißt nicht mehr Beförderung auf der
Schiene, sondern Mobilität – und meint all das Wissen, das damit zusam-
menhängt. Der Bahntransport selbst ist austauschbar geworden. Sie
Unser Hauptprodukt heißt Wissen.
Interview Hartmut Mehdorn               Text: Gesine Braun, Susanne Risch   Foto: DB AG / Neuhaus McK Wissen 16   Seiten: 28.29

können die Bahn gegen Lkw tauschen, gegen Flugzeuge, gegen Schiffe.
Alles drum herum macht den Unterschied. Dass wir in die Fabrikhalle
gehen, eine Fracht abholen, sie transportieren, zwischenlagern, verpacken,
die Zollpapiere ausfüllen, weitertransportieren, wieder lagern, zwischen-
montieren und dann verteilen, und zwar überall auf der Welt, das ist nicht
austauschbar. Würden wir all das nicht beherrschen, erginge es uns irgend-
wann wie der deutschen Maschinenbauindustrie.

Die war einst berühmt in der ganzen Welt.
Als ich ein junger Ingenieur war, hatte Deutschland eine fantastische
Maschinenbauindustrie. Wir bauten die besten Pressen der Welt, tolle
Messmaschinen, Drehmaschinen, Fräsmaschinen. Das waren Schmuck-
stücke. Aber schauen Sie sich um: Viele berühmte deutsche Maschinen-
bauer sind Pleite gegangen.
Warum? Weil es eben nicht reicht, die beste Drehmaschine der Welt zu
bauen. Wer nicht gleichzeitig dafür sorgt, dass das richtige Werkstück in
die Maschine gelangt und auf der anderen Seite wieder rauskommt; wer
sich nicht darum kümmert, wo die Späne hingespült werden, die im Arbeits-
prozess entstehen; wer sich keine Gedanken über den Materialeinkauf
macht und die Werkzeuge, die er vielleicht braucht; und wer sich nicht auch
dafür interessiert, dass das Bauteil am Ende sorgfältig verpackt wird, so
dass es ohne Kanten und Dellen beim Kunden ankommt, der hat auf
Dauer keine Chance. Fantastische Drehmaschinen können viele bauen. Der
beste Drehmaschinenanbieter ist der, der den Prozess beherrscht.

Sie haben die gestiegenen Kundenwünsche und den daraus resultierenden
Zwang zur Veränderung erst kürzlich für die Deutsche Bahn formuliert:
„Keiner braucht eine Bahn, die ihm seine Fracht von Güterbahnhof zu
Güterbahnhof transportiert.“
Genau, denn es geht um Vernetzung, auch um vernetztes Denken. Wir
müssen uns von den alten Vorstellungen lösen. Auch die Privatperson will                                                             Die Bahn ist mobil im Datenverkehr, in
heute nicht mehr von Bahnhof zu Bahnhof reisen, sie will von zu Hause                                                                der Luft, auf der Schiene, auf der
zum Ziel. Und das so bequem, so schnell und so günstig wie möglich.                                                                  Straße und auf dem Meer – wie etwa
Den reinen Transport haben wir jahrzehntelang geboten. Das ging genau                                                                beim Seetransport im Hafen von Tallin.
so lange gut, so lange Bahnfahren ein hoheitlicher Akt war. Es kommt ja
nicht von ungefähr, dass ein Kunde seine Karte nur kaufen konnte, wenn
er am Schalter durch ein Loch sprach und sich dabei bücken musste.
Ohne Scherz: Dieses Loch war nicht zufällig so tief gesetzt, dass man eine    ein winziges Detail, verschiebt sich das System.     raum aber nicht einmal schlappe 800 Kilometer Schiene gebaut. Unsere
gebückte Körperhaltung einnehmen musste. Wir reden hier von der könig-        Eine derartige Komplexität lässt sich mit Blick      29 000 Eisenbahnbrücken haben ein Durchschnittsalter von 80 Jahren, die
lich-kaiserlichen Eisenbahn. Ich habe kürzlich im Internet zwei alte Bahn-    auf Zuverlässigkeit und Sicherheit nur steuern,      800 Tunnel sind noch ein paar Jahre älter. Das alles bedeutet hohen Auf-
bücher ersteigert. Darin stehen Geschichten, das glauben Sie gar nicht.       wenn das gesamte System in einer Hand ist.           wand in Instandhaltung und Betrieb. Hier müssen wir dringend Ersatz
Aber so war unsere Welt. Und so ist sie nicht mehr. Wir müssen heute                                                               schaffen. Das tun wir, Schritt für Schritt. Gleichzeitig investieren wir in
liefern, was unsere Kunden wollen. Und genau das tun wir.                     Da gehen die Meinungen auseinander. Die Indus-       moderne Technologien. Wir sind gerade dabei, einen digitalen Bahnfunk
                                                                              trie ist gespalten, im Parlament wird heftig darum   einzuführen. Die Signale an den Gleisen werden verschwinden, wir werden
Aber die neuen Angebote werden offenbar nicht überall wahrgenommen.           gestritten. Zudem gibt es einen Vorreiter: Groß-     künftig alles per Funksignal steuern. Das ist der nächste Schritt. Irgend-
Es vergeht kaum eine Woche ohne Kritik und negative Schlagzeilen.             britannien hat Betrieb und Schiene getrennt.         wann werden die Bahnen sogar automatisch fahren. Das sind Wirtschaft-
Im vergangenen Jahr sind rund 1,8 Milliarden Menschen mit unseren             Genau, und mit welchem Ergebnis? Dort wird           lichkeitssprünge, die nicht von heute auf morgen zu schaffen sind. Aber
Zügen gefahren, 750 Millionen mit unseren Bussen. Und das bei jedem           der Netzbetreiber, mittlerweile wieder der Staat,    es wird sie nur in einem integrierten Betrieb geben. Denn um all das
Wetter, trotz Baustellen und allem, was sonst noch so auf uns einwirkt.       mit einer Prozesswelle überzogen, weil die           finanzieren zu können, müssen wir an anderen Stellen im Konzern Gewinne
Da kann es nicht die hundert Prozent perfekte Bahn geben. Die Kunden          schöne Idee in der Praxis eben nicht funktioniert.   erwirtschaften. Wenn wir das System zerschlagen, ist es vorbei. Wir machen
geben uns dennoch deutlich bessere Noten als früher. Die jüngste Zufrieden-   Wie auch? Der eine besitzt das Netz, der andere      heute schon die Hälfte unseres Umsatzes im Nicht-Bahn-Geschäft.
heitsuntersuchung – und die führen wir nicht selbst durch – war eindeutig:    die Züge. Derjenige, der die Züge hat, verkauft
Noch nie sind wir so gut beurteilt worden wie 2005.                           die Fahrkarten und verspricht seinem Kunden:         Gleichzeitig machen Ihnen Mineralöl- und Ökosteuer, steigende Energie-
Tatsache ist: Sowohl der Personenverkehr als auch der Güterverkehr auf        Ich fahre dich zwischen 10.35 Uhr und 11.35 Uhr      kosten und der Preisverfall, der durch die Öffnung Osteuropas eingesetzt
der Schiene sind deutlich gewachsen. Nie zuvor sind in Deutschland so         zu deinem Zielort. Wenn der Netzbetreiber das        hat, anderswo das Leben schwer. Das Gütergeschäft läuft nur mäßig.
viele Menschen Bahn gefahren wie im vergangenen Jahr. Wir haben nie           Signal – aus welchem Grund auch immer – auf          Immerhin geht inzwischen schon mehr als jeder zweite unserer Güter-
vorher in unserer Geschichte so viel auf der Schiene bewegt wie 2005. Das     Rot stellt, schaut der Kunde in die Röhre. Er hält   züge ins Ausland, wir haben durchaus zugelegt. Aber das Geschäft muss
hat nur damit zu tun, dass wir den Prozess als Ganzes optimiert haben.        sich aber natürlich an den, der ihm die Fahrkarte    wachsen. Da hoffen wir vor allem auf 2007.
                                                                              verkauft hat – obwohl der auf den Netzbetrieb
Aber auch das, gerade das, werfen Ihnen die Kritiker vor. Ihr strategisches   keinerlei Einfluss hat.                              Dann wird Europa die Grenzen für den Güterverkehr öffnen …
Ziel, der integrierte Konzern, wird Ihnen als Wettbewerbsverhinderungs-                                                            … und wir werden endlich die Verantwortung für unsere Transporte bis
instrument ausgelegt. Ohne die Trennung von Netz und Betrieb, heißt es,       Sie unterstellen, dass Netz- und Zugbetreiber        zum Ziel übernehmen können. Und damit Einfluss auf die Qualität haben.
sei auch die private Bahn ein Quasi-Monopolist.                               unterschiedliche Interessen verfolgen. Aber beide    Im Moment ist für uns an der Grenze Schluss.
Die Schiene ist keine Straße. Man kann nicht einfach einen Zug nehmen,        wollen zufriedene Kunden.
ihn aufs Gleis setzen und losfahren lassen. Infrastruktur und Zug müssen      Ich unterstelle durchaus dasselbe Ziel, zufriedene   Sehr zum Ärger einiger Ihrer Kunden.
aufeinander abgestimmt sein. In jedem Detail: Weichenstellung, Signale,       Kunden, aber wir reden hier über unterschiedli-      Klar, und das kann ich bestens verstehen. Wir haben beispielsweise gerade
Schranken, Geschwindigkeiten. Ein Zug von Hamburg nach München                che Geschäfte. Der Netzbetreiber muss die Inte-      einen Riesenärger mit Frankreich. Wir fahren für Volkswagen nach Bilbao,
erhält auf seinem Weg gut 1400 Befehle der unterschiedlichsten Art.           ressen aller Verkehrsunternehmen berücksichtigen     das heißt, wir müssen durch Frankreich durch. Die Franzosen geben ihren
Wir koordinieren täglich 32 000 Personenzüge und 7000 Güterzüge, die          und hat dabei andere Probleme zu bewältigen als      eigenen Zügen aber den Vorrang. Unsere Transporte werden dann schon
mit verschiedenen Geschwindigkeiten fahren. Da gibt es welche mit 90,         die Bahnbetreiber. Damit sind wir beim Thema         mal an den Rand gestellt. Und wir können nichts dagegen tun.
mit 120, mit 160, mit 200, 230, 250 oder sogar 300 Stundenkilometern –        Innovation. Hier zu Lande sind nach dem Krieg
und alle fahren auf ein und demselben Schienennetz. Dazwischen gibt es        ungefähr 340 000 Kilometer Straße gebaut wor-        Den anderen Bahnen geht es im Ausland aber doch nicht anders.
dann auch noch Güterzüge, die aus Rotterdam kommen. Die sind mit              den. Neuer, größer, breiter. Deutschland ist das     In Frankreich gibt es faktisch keinen Wettbewerb, da gibt es erst zwei
Eisen beladen und 5000 Tonnen schwer, das heißt, sie haben einen enor-        Land der Automobile, jeder fünfte Arbeitsplatz       kleine Wettbewerber zur großen Staatsbahn, in Deutschland fahren mehr
men Bremsweg. Verschiebt sich an irgendeiner Stelle im Gesamtsystem           hängt vom Auto ab. Wir haben im selben Zeit-         als 300 Bahnen – mehr als im restlichen Europa zusammen.
Interview Hartmut Mehdorn                Text: Gesine Braun, Susanne Risch   Foto: DB AG / Kranert   McK Wissen 16            Seiten: 30.31

Die Europäische Gemeinschaft …                                                   Und der nächste Schritt der Diversifizierung heißt    ten sind nicht überall gleich ausgebildet. In Europa sind wir sehr stark im
… hat die Bahn schlicht vergessen. Das heutige Eisenbahnrecht ist ein sehr       dann: Einstieg in die Schifffahrt?                    Landverkehr, in den USA bewegen wir uns vor allem in der Luft. In Asien
nationales Recht. Und das bekommen wir heftig zu spüren. Tatsächlich             Ich will das künftig nicht ausschließen. Momen-       ist unsere Stärke dagegen Lagerhaltung und Distribution. Wir unterhalten
ist es so, als wenn ein Lkw an jeder Grenze, die er passiert, ein anderes        tan mieten wir den Fracht- und Containerraum.         in Singapur beispielsweise riesige Lager, von wo aus wir für Konzerne wie
Benzin bräuchte. Der Fahrer bräuchte einen anderen Führerschein, den er          Die Deutsche Bahn AG ist inzwischen der dritt-        Bosch oder VW die gesamte Ersatzteilversorgung für den asiatischen Raum
im Übrigen nur bekommt, wenn er die jeweilige Landessprache perfekt              größte Seetransporteur der Welt. In der Luftfracht    organisieren.
beherrscht. Daneben gilt in jedem Land auch eine komplett andere Stra-           sind wir Nummer zwei. Auch das Mietwagenge-
ßenverkehrsordnung, alle Schilder sind anders, alle Funkfrequenzen – das         schäft läuft. DB Rent, die Firma, die wir vor eini-   Ihre Kundschaft besteht aber nicht nur aus Global Playern.
heißt, der Fahrer muss bei jedem Grenzübergang sein Walkie-Talkie aus-           gen Jahren gegründet haben, managt heute mehr         Nein, das nicht. Aber beim Schienengüterverkehr machen wir rund 80 Pro-
tauschen oder sein Handy. Natürlich ändern sich auch die Sicherheits-            als 100 000 Fahrzeuge. Wir betreiben den nicht-       zent unseres knapp drei Milliarden-Euro-Umsatzes mit etwa 200 Kunden,
bestimmungen, also packt der Fahrer in jedem Land einen anderen Feuer-           militärischen Fuhrpark der Bundeswehr und den         die zum großen Teil auch international operieren. Die verbleibenden 20 Pro-
löscher ins Führerhaus. Und nicht zu vergessen: Er meldet den exakten            der Schweizer Post. Und wir sind profitabel.          zent Umsatz machen wir mit einigen tausend Kunden. Wenn wir die
Zeitpunkt, an dem er die Grenze passieren will, mindestens vierzehn Tage                                                               Großen verlieren, ist unser Geschäft kaputt.
vorher an und holt sich seine Fahrerlaubnis ein. So geht Bahnfahren in           Mit Stinnes/Schenker und Bax Global sorgt das
Europa. Wie gut würden unter derartigen Bedingungen wohl die Trans-              Frachtgeschäft außerhalb des Schienenverkehrs         Wen betrachten Sie angesichts dieses Dienstleistungsspektrums eigentlich
portgeschäfte auf der Straße laufen?                                             inzwischen für rund ein Drittel des Gesamtum-         als Wettbewerber? An wem messen Sie sich?
                                                                                 satzes. Können Sie sich für die Deutsche Bahn AG      Es gibt eigentlich niemanden, mit dem wir uns direkt vergleichen. Aber in
Wie gut kann die Deutsche Bahn im Europa-Geschäft unter derartigen               auch eine Zukunft ohne Schiene vorstellen? Anders     Ausschnitten können wir uns durchaus an anderen orientieren. Im Perso-
Bedingungen überhaupt sein?                                                      gefragt: Wo sind die Grenzen der Diversifizierung?    nenverkehr messen wir uns mit Japan. Die Japaner haben keine Fracht auf
Wir versuchen die Qualität zu steigern, so gut es geht. In Italien haben wir     Die Bahn muss machen, was ihre Kunden ver-            der Schiene, das machen sie mit Schiffen. Inländischen Flugverkehr gibt
zwei kleine Bahnen gekauft, in der Schweiz halten wir eine Beteiligung,          langen. Und unsere Kunden sind global tätig.          es eigentlich auch nicht. Dafür aber eine unglaubliche Effizienz auf der
damit können wir zunächst einmal bis Mailand durchfahren und laden               Wir können zu VW nicht sagen: „Wir haben dich         Schiene. Da lohnt es sich für uns, genau hinzuschauen.
dann um auf Lkw – Lieferteilung. Unsere Züge durch Frankreich statten            lieb, aber wir bieten dir nur Transportservice in     Was die Japaner im Personenverkehr sind, das sind die Amerikaner im
wir neuerdings mit Sendern aus, so dass wir schneller eingreifen können,         Deutschland. Wenn du ins Ausland willst, musst        Güterverkehr. Die haben natürlich auch tolle Bedingungen: Ihre kürzeste
wenn sie mal wieder irgendwo abgestellt werden.                                  du dir jemand anderen suchen.“ VW sucht sich          Strecke beträgt 1500 Meilen. Und weil sie keine Brücken haben, können
                                                                                 denjenigen, der die Welt bedienen kann.               sie die Container übereinander stapeln, es gibt keine Höhenbegrenzung für
In welchen Bereichen könnte die Bahn besser sein, wenn man sie ließe?            Oder Dell. Der Konzern produziert in fast allen       die Züge. In Deutschland haben wir dagegen viele Tunnel, Brücken, alles
Überall da, wo wir den Prozess verantworten, haben wir zufriedene Kun-           Ländern dieser Welt – liefert aber auch überall       ist eng. Wir müssen allein gut 23 000 Bahnübergänge mit Schranken pas-
den. Da können wir auch kreativ sein. Nehmen wir Porsche. Wir fahren             hin. Amerika – Asien, Amerika – Europa, Europa        sieren und fahren die Berge rauf und runter. Das müssen trotz ihrer geo-
jede Nacht drei Züge von Stuttgart nach Emden, wo wir 700 bis 800                – Asien. Das ist unser Geschäft.                      grafischen Bedingungen nicht mal die Franzosen: Der französische Zug
Autos auf Fährschiffe in die USA verladen. Wir fahren sie inzwischen rück-                                                             fährt nicht durch Tunnel. Das ist eine Grundsatzentscheidung. Ins tiefste
wärts auf den Zug, damit sie vorwärts auf die Fähre gelangen, auf eine           Für eine weltweite Wachstumsstrategie benötigen       Tal fährt die Bahn in Frankreich eben nicht. So einfach ist das dort.
spezielle Fähre, von der sie vorwärts auch wieder entladen werden. Das           Sie Kapital. Noch ist die Deutsche Bahn AG aber
spart eine Menge Zeit. Gleichzeitig haben wir Züge konstruiert, die wir          nicht an der Börse. Wie gut sind Sie für das glo-     Die Deutsche Bahn fährt ins tiefste Tal, aber die Großmutter aus der Pro-
über ein Vakuum-Verfahren luftdicht abschließen können. Damit sparen wir         bale Geschäft heute schon aufgestellt?                vinz ist trotzdem sauer, weil der Zug mit Verspätung ankommt.
das mühsame und teure Einwachsen, das den Wagen bisher auf der Reise             Wir sind einer der wenigen Anbieter, der Konti-       Aber immer seltener. Außerdem ist der Wagen heute klimatisiert, bietet ei-
vor Schmutz und Feuchtigkeit geschützt hat.                                      nente verbinden kann, aber unsere Fähigkei-           nen bequemen Einstieg, moderne Sitze und auch sonst alle möglichen
Annehmlichkeiten. Was wir der Großmutter und allen anderen Kunden                  stadt will, wird auf einen Parkplatz gewunken.
allerdings nicht mehr bieten, ist an allen 5700 Stationen den Stationsvor-         Dort stehen Menschen Schlange, die dann zu-
steher. Diese Bahn gibt es nicht mehr, sie wäre auch viel zu teuer.                steigen dürfen. Die Pkw müssen ausgenutzt wer-
                                                                                   den. Irgendwann werden sie dort nur noch Bus-
Und trotzdem klagen viele über zu hohe Bahn-Preise und nehmen für län-             se in die Stadt lassen …
gere Strecken lieber den Billigflieger.
Transport und Mobilität sind oftmals zu billig. Da stimmt etwas grund-             Das ist hier zu Lande noch Zukunftsmusik. Was
sätzlich nicht – auf europäischer Ebene, aber auch speziell in Deutschland.        ist mit Blick auf den geplanten Börsengang Ihr
Wir lassen Milch aus Schleswig-Holstein nach Bayern fahren, wo dann                nächster Schritt? Wo werden Sie wachsen?
Jogurt daraus gemacht wird, der anschließend wieder nach Schleswig-                Wir werden in allen Geschäftsbereichen zulegen.
Holstein fährt. Und die Jogurtbecher lassen wir aus Polen oder aus der             Vor allem auch in denen, die man momentan gar
Ukraine rankarren, um sie wiederum woanders zu bedrucken. Und dann                 nicht mit uns in Verbindung bringt. Die Leute den-
kostet dieser Jogurt, der in Teilen tausende von Kilometern zurückgelegt           ken bei der Bahn ja immer noch an die Schiene.
hat, im Norden wie im Süden das gleiche Geld, ein paar Cent. Wir müs-              Wir dürften in Europa aber beispielsweise eines
sen uns doch nicht wundern, wenn jedes Jahr bei uns Fabriken geschlos-             der wenigen Unternehmen sein, das in der Lage
sen werden, weil wir unsere Produkte anderswo so billig ordern können.             ist, große Netzwerke zu betreiben. Wir halten das
Mobilität kostet zu wenig.                                                         für eine Fähigkeit, mit der man Geld verdienen
                                                                                   kann. Wir betreiben auch eine der größten EDV-
Sie hat ihren Preis, aber anderswo ist die Arbeitskraft billiger.                  Infrastrukturen der Welt. Zwei riesige Rechen-
Der Vater meiner Sekretärin wohnt in der Priegnitz und ist kürzlich 80             zentren rechnen unseren Fahrplan, liefern alle
geworden. Um ihm einen besonderen Tag zu schenken, hat sie ihn mit fünf            Reiseinformationen, koordinieren den Verkauf der
Freunden eingeladen. Sie hat die ganze Truppe ins Flugzeug gepackt und             Fahrkarten, jeden Automaten. In ein, zwei Jahren
ist mit ihr nach Palma de Mallorca geflogen. Dort haben sie in der Sonne           werden wir dieses Know-how auch Dritten an-
zu Mittag gegessen, die Kathedrale besichtigt und sind nachmittags wie-            bieten können.
der entspannt zurück. Fünf alte Herren waren happy – und für sie war es            Auch unser Wissen in Bezug auf Planung und
billiger, als wenn sie alle in ein ordentliches Berliner Restaurant zum Es-        Betrieb großer Bahnstrecken kann sich sehen las-
sen eingeladen hätte. Das ist doch nicht normal. Da stimmen doch einfach           sen. Damit sind wir zurzeit in China und Saudi-
einige Rahmenbedingungen für Auto, Bahn und Flugzeug nicht.                        Arabien unterwegs. Mit dem deutschen Innen-
                                                                                   minister stehen wir über die Einrichtung eines
Auch der Markt Ihrer globalen Kunden ist die Welt und sie nutzen die               Sicherheitsfunks für Behörden in Verhandlungen
Transportmittel, die am günstigsten sind – nicht zuletzt zu Ihrem Vorteil.         und machen uns berechtigte Hoffnung, dass wir
Ja klar, im Prinzip ist das für uns natürlich prima. Je mehr transportiert wird,   da ins Geschäft kommen können.
desto besser. Aber irgendwann werden wir uns alle ein paar grundsätzli-
che Fragen stellen müssen. Über die Umwelt, die Energievorräte. Irgend-            Gibt es eigentlich irgendetwas, das die Bahn sich
wann werden wir es uns als Gesellschaft nicht mehr leisten können, leere           nicht als Geschäftsfeld vorstellen kann?
Lkw auf die Autobahn zu schicken. Die müssen dann eben so lange war-               Letztlich dreht es sich bei uns immer um Logis-
ten, bis sie eine Fracht haben. In Singapur hat Mobilität schon heute eine         tik und Mobilität. Und in diesen Bereichen tun
ganz andere Bedeutung als bei uns. Wer da allein im Auto in die Innen-             wir für unsere Kunden eigentlich alles.
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