Nicht-motorische Symptome der Parkinsonkrankheit
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CurriCulum Nicht-motorische Symptome der Parkinsonkrankheit Fabio Barontia, Toni Schmidb a KliniK BeTheSda, neurorehabilitation, Parkinson-Zentrum, epileptologie, Tschugg b allgemeine Medizin FMh, Gampelen werden. Es muss aber betont werden, dass eine fehlende Evidenz von Wirksamkeit nicht unbedingt eine fehlende Quintessenz Wirksamkeit bedeutet: Es wurden einfach zu wenige P Praktisch alle Parkinsonpatienten entwickeln im Verlauf der Krankheit Studien durchgeführt, um die Behandlungsstrategien bei nicht-motorische Symptome, die nicht selten eine signifikante Invalidisie- nicht-motorischen Symptomen zu untersuchen. Einige rung verursachen können. Diese Beschwerden verbessern sich leider nicht der folgenden Empfehlungen und Überlegungen werden mit der dopaminergen Therapie. deswegen nicht von der Literatur untermauert. P Als Erstes muss immer die Antiparkinsontherapie kritisch beurteilt werden: Deren Reduktion kann Verwirrtheit, Psychose, Orthostase und gewisse Schlafprobleme lindern. Eine Steigerung der Dosis hingegen kann Das häufigste psychiatrische Symptom: eine Depression, Schmerzen, ein Restless-Legs-Syndrom sowie einige Depression Schlafprobleme verbessern. Es wird geschätzt, dass mindestens 40% der Betroffe- P Bei den oft polymorbiden Patienten müssen auch die Neben- bzw. Wech- nen unter Depressionen leiden – und dies oft schon früh selwirkungen der Co-Medikation beachtet werden. Dies insbesondere bei im Verlauf der Parkinsonkrankheit. Die Depression ist kognitiven Problemen, Orthostase, Obstipation oder Hyposexualität. nur zum Teil im Rahmen einer Reaktion auf die Dia- P Die Vorteile einer TURP sollten bei Parkinsonismen kritisch hinterfragt gnose und auf die darauf folgenden psychosozialen Ver- werden. änderungen zu erklären. Es gibt verschiedene Hinweise darauf, dass die Depression auch eine organische Ur- P Hinweise auf eine Tagesschläfrigkeit müssen immer ernst genommen sache haben kann. Die beiden Komponenten (organische werden. und reaktive) werden durch eine Optimierung der Anti- P Kommen Neuroleptika in Frage, dürfen nur niedrig dosiertes Clozapin parkinsontherapie verbessert: Eine Reduktion der Off- und Quetiapin verabreicht werden. Zeit sollte immer angestrebt werden. Eine grosszügige Zeitplanung bei der Diagnoseeröffnung und das Mitein- P Blasenstörungen und Orthostase können oft pharmakologisch gut be- beziehen des Partners sind ebenfalls wichtig. handelt werden. Trotzdem bleiben einige Patienten auf pflegerische Mass- In den meisten Fällen ist der Einsatz von Antidepressiva nahmen angewiesen (Einlagen, Katheter, Kompressionsstrümpfe etc.). notwendig. Laut AAN-Richtlinien ist nur die Wirkung von P Eine systematische Ermittlung nicht-motorischer Beschwerden mittels Amytriptilin bei Parkinson bewiesen, für die anderen spezifischer Fragebögen kann sehr hilfreich sein. Substanzen gibt es keine kontrollierten Studien. Wie sol- len wir vorgehen? Eine Möglichkeit ist, die Nebenwir- kungen zu berücksichtigen. So können trizyklische Anti- Obschon der Morbus Parkinson über viele Jahre als depressiva vorgezogen werden, wenn ein Tremor, ein reine Bewegungsstörung angesehen wurde, muss heute Speichelfluss oder eine Detrusorhyperreflexie vorhan- dessen zahlreichen, nicht-motorischen Erscheinungen den ist. Ist hingegen eine anticholinerge Wirkung nicht zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt werden. Weil erwünscht (bei Orthostase, Obstipation, Herzrhythmus- diese Beschwerden nicht als Folge eines Dopamin- störungen, Glaukom und vor allem bei labiler kognitiver mangels auftreten, werden sie durch die üblichen (dopa- Situation), sind SSRI vorzuziehen; auf die seltene Mög- minerg wirkenden) Therapien auch kaum verbessert. lichkeit einer Verschlechterung der Parkinsonsym- So nimmt die Bedeutung von Depressionen, Schmerzen, ptomatik sollte hier aber geachtet werden. Anxiolytisch Schlaf- und autonomen Störungen im Verlauf der Krank- wirkende Antidepressiva werden auch gegen die nicht heit zu. In fortgeschrittenen Stadien verursachen nicht- seltenen Angststörungen bei Parkinsonpatienten erfolg- Fabio Baronti motorische Symptome tatsächlich eine signifikante Inva- reich eingesetzt. Die medikamentösen Interventionen lidität: Das Auftreten einer Psychose oder einer Demenz können durch eine psychotherapeutische Unterstützung korreliert z.B. mit einer häufigeren Pflegeheimeinwei- begleitet werden. Die Autoren haben sung und sogar mit einer erhöhten Mortalität. keine finanzielle Einige nicht-motorische Symptome können (müssen!) Unterstützung und keine anderen mit geeigneten Massnahmen verbessert werden. Zu die- Halluzinationen und Psychose Interessenkonflikte sem Zweck wurden von der American Academy of Neu- im Zusammenhang rology (AAN) Behandlungsrichtlinien publiziert, die die Halluzinationen und pychotische Symptome können so- mit diesem Beitrag vorhandene Literatur kritisch revidieren. Nur wenige wohl als Nebenwirkung der Antiparkinsonika wie auch deklariert. Massnahmen können heute als evidenzbasiert betrachtet krankheitsbedingt auftreten. Im Falle einer Lewy- Schweiz Med Forum 2012;12(40):768–774 768
CurriCulum Körperchen-Krankheit prägen sie den Verlauf bereits Schwache Blase: zuerst Differentialdiagnose bei Beginn. Der besondere Fall des Dopamin-Dysregu- lationssyndroms (mit Verhaltensstörungen wie patho- Es wurde bewiesen, dass die Prävalenz von Miktions- logischem Kauf- oder Spielverhalten, Tendenz zum störungen bei Parkinsonpatienten (20–60%, je nach Medikamenten-Abusus, Hypersexualität und anderen Beschwerde) signifikant höher ist als bei Gleichaltri- Manifestationen, Hypomanie) wurde bereits in einer gen ohne Parkinson – und dies bei beiden Geschlech- früheren Ausgabe des SMF beschrieben (2012;12(6): tern. Meistens handelt es sich um einen imperativen 114–8). Harndrang mit erhöhter Miktionsfrequenz im Rahmen Alle psychotischen Symptome müssen wegen potenziell einer Detrusorhyperreflexie. Aber auch eine sogenannte sehr gravierender psychosozialer Konsequenzen be- Sphinkter-Bradykinesie mit Symptomen wie Startschwie- handelt werden. Eine Sistierung der Dopaminagonisten rigkeit, schwachem Strahl, Entleerungsproblemen und ist unumgänglich, bei ungenügendem Erfolg muss eine dem Gefühl einer unvollständigen Blasenentleerung kann Levodopa-Monotherapie angestrebt werden. Dabei sollte vorhanden sein und vor allem bei Männern differential- auf Retardpräparate und auf die Kombination mit COMT- diagnostische Schwierigkeiten bereiten. Das Ausschlies- Hemmern eher verzichtet werden. Ist die darauffolgende sen eines Infekts, die Messung von Flow-Rate und Rest- Verschlechterung der Beweglichkeit inakzeptabel, müs- harn sowie gegebenenfalls der Einbezug eines Urologen sen Neuroleptika (ausschliesslich Clozapin oder Quetia- oder Gynäkologen sind immer empfehlenswert. Eine Zys- pin) in sehr niedriger Dosierung eingesetzt werden. Die tomanometrie und eine Sphinkter-Elektromyographie Evidenz zugunsten einer Clozapin-Behandlung ist grös- können in einigen Fällen diskutiert werden. ser; wegen der dabei notwendigen regelmässigen Blut- bildkontrollen wird aber nicht selten Quetiapin vorge- zogen. Es muss betont werden, dass die Verabreichung TURP oder Medikamente anderer neuroleptischer Substanzen bei Parkinson nicht bei Prostatahyperplasie? empfohlen ist. Eine leichte Prostatahyperplasie kann meistens mit den üblichen a-Blockern und a-Reductasehemmern erfolg- Demenz reich behandelt werden. Der Stellenwert einer Operation ist hingegen kontrovers, auch weil bereits vor 20 Jah- Die Entwicklung demenzieller Symptome ist im Verlauf ren darauf hingewiesen wurde, dass eine transurethrale der Krankheit leider nicht selten, im besonderen Fall Prostataresektion (TURP) die Prävalenz der Inkontinenz der Lewy-Körperchen-Krankheit ist die Demenz sogar bei Parkinsonpatienten paradoxal erhöhen könnte. Ist bei der Diagnosestellung meist schon vorhanden. Die eine Operation also kontraindiziert? Laut derselben Stu- Konsequenzen einer Demenz auf die Lebensqualität des die ja, aber nur, wenn gleichzeitig zur Detrusorhyper- Patienten und des betreuenden Umfelds sind immer zer- reflexie eine Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie vorhanden störerisch. Was tun? Zuerst muss die bestehende Phar- ist. Das heisst, dass tatsächlich nur bei MSA-Patienten makotherapie kritisch analysiert werden, z.B. müssen grosse Vorsicht geboten ist. anticholinerg wirkende Substanzen immer abgesetzt Die neurologische Komponente der Blasenstörungen werden. Die Antiparkinsontherapie muss vereinfacht wird in der Regel durch Einsatz von «peripher» wir- und eine minimal dosierte Levodopa-Monotherapie an- kenden Anticholinergika behandelt. Wegen des trotz- gestrebt werden. Bewiesen ist, dass die Verabreichung dem bestehenden Risikos, dadurch kognitive Probleme von Rivastigmin die kognitiven Funktionen (und viel- zu verursachen (oder zu verstärken), könnte sich die leicht die eventuell vorhandenen Halluzinationen) ver- Wahl von Wirkstoffen mit niedrigerer Lipophilie (z.B. bessern kann. Auch Donezepil kann bei Parkinson- Trospium) oder niedrigerer Affinität für die zentralen demenz einen positiven Effekt ausüben. Leider ist aber M1-Rezeptoren (Darifenacin) lohnen. Es wird ab und die Wirkung dieser Substanzen meist bescheiden, zudem zu beobachtet, dass eine gute Wirkung dieser Medika- muss auf die mögliche Zunahme einer Tremorsympto- mente bereits nach wenigen Wochen verloren geht – in matik geachtet werden. einigen Fällen tritt sogar eine Verschlechterung auf. Der Restharn muss hier unbedingt bestimmt werden, um die nicht allzu seltene Nebenwirkung einer Detrusor-Atonie Dysautonomie mit Überlaufblase auszuschliessen. Kürzlich erhobene Studienergebnisse weisen darauf hin, Sehr ausgeprägte Störungen des autonomen Nervensys- dass auch Botulinumtoxin-Injektionen in den Detrusor tems sind typisch für degenerative Parkinsonismen und eine positive Wirkung haben könnten. Ferner kann die insbesondere für die Multisystematrophie (MSA). Ganz intranasale Verabreichung von Desmopressin abends die korrekt ist diese Aussage aber nicht, denn tatsächlich Nykturie positiv beeinflussen; auf das Risiko von Wasser- ist die MSA durch die variable Kombination zwischen retention, Hyponatriämie und darauffolgende Verwirrt- therapieresistentem Parkinsonismus, cerebellären Sym- heit muss aber geachtet werden. Viele mit Desmopressin ptomen, pyramidalen Zeichen und schweren autonomen behandelte Patienten sind auch durch das Auftreten einer Störungen gekennzeichnet. Aber auch die Mehrheit der frühmorgendlichen Polyurie gestört. Patienten mit der idiopathischen Parkinsonkrankheit ent- Die pharmakologischen Massnahmen sollten von einer wickeln eine Dysautonomie; diese tritt jedoch meistens Beratung über Verhaltensstrategien begleitet werden im späteren Verlauf in den Vordergrund. (Verzicht auf koffein-, tein- oder alkoholhaltige Ge- Schweiz Med Forum 2012;12(40):768–774 769
CurriCulum tränke abends; regelmässige, präventive Blasenentlee- Orthostase: die Medikamente analysieren rung usw.). Verfehlen alle Massnahmen das Ziel, ist der Einsatz eines Katheters (am ehesten ein extern liegen- Orthostatische Beschwerden treten meist spät im Ver- des Urinalkondom) oder von Windeln unumgänglich. lauf auf. Sie betreffen bis 60% aller Patienten, wobei sie nur bei 20% der Fälle symptomatisch (bis invalidisie- rend) sind. Angaben wie «Mir wird sturm», «Schwarz Sexuelle Probleme: immer noch ein Tabu vor den Augen», «Schwäche» oder «Schwindel» sind häufige Hinweise auf eine Präsynkope. Wichtig ist auch, Sexuelle Probleme sind häufig, die Prävalenz liegt je die oft im Zusammenhang mit der Hypotension stehen- nach Studie bei 30–85%. Sie werden aber selten thema- den «Kleiderbügel-Schmerzen» zu erkennen. Die Ver- tisiert. Meistens sind eine Reduktion des sexuellen Ver- dachtsdiagnose wird bestätigt, wenn nach drei Minu- langens sowie der Häufigkeit und Qualität des Orgasmus ten Stehen der Blutdruck immer noch um mindestens vorhanden. Bei Männern kann auch eine Störung der 20 mm Hg systolisch oder 10 mm Hg diastolisch gesenkt Erektion oder eine reduzierte Kontrolle der Ejakulation ist. Meist fehlt dabei die kompensatorische Zunahme der beklagt werden, bei Frauen eine Reduktion der vagina- Pulsfrequenz. Bei unklaren Fällen kann ein Tilt-Test, len Empfindung oder ein Vaginismus, wobei es zu einem eine Messung der Blutdruckveränderungen bei Valsalva- Urinverlust während des Akts kommen kann. Diese Stö- Manöver oder eine Bestimmung des Blutdruck-Intervalls rungen sind zum Teil im Rahmen der fehlenden Wirkung veranlasst werden. des Dopamins auf die Gehirnareale, die das sexuelle Ver- Bei Orthostase müssen Antihypertensiva, Nitrate, Tri- halten steuern, zu erklären. Zum grossen Teil sind sie zyklika und Alphablocker nach Möglichkeit abgesetzt aber eine Folge der reduzierten Beweglichkeit, des an- oder niedriger dosiert werden. Auch eine Vereinfachung geschlagenen sexuellen Selbstbilds und der Depression: der Antiparkinsontherapie ist wünschenswert, da diese Eine Optimierung der Antiparkinsontherapie und even- Medikamente, und besonders die Dopaminagonisten, tuell eine Depressionsbehandlung sind deshalb empfeh- eine Hypotension verstärken oder gar verursachen kön- lenswert. nen. Um deren Wirkung zu reduzieren, kann Motilium Auch an einen möglichen Testosteronmangel bei Män- (als peripher wirkendes Antidopaminergikum) eingesetzt nern muss gedacht werden: Falls vorhanden, kann des- werden. sen Korrektur erfreuliche Resultate erbringen. Letztlich Ebenfalls sehr wichtig ist die Korrektur einer eventuellen darf nicht vergessen werden, dass viele Substanzen, Dehydratation. Eine salzangereicherte Diät und die Ver- welche die oft polymorbiden Patienten in reichlicher mittlung von Verhaltensstrategien (langsam aufstehen, Menge einnehmen, eine Hyposexualität verursachen keine warmen Bäder, kleine Mahlzeiten) können vorteil- können (Tab. 1 p). Die Frage ist hier, ob die Therapie haft sein. Die Verabreichung von Fludrocortison (Ach- vereinfacht werden kann resp. darf. tung Hypokaliämie), Midrodrin, Etilefrin oder (in Fällen Bei fehlender Kontraindikation kann die Anwendung von postprandialer Hypotonie) Indometacin ist üblich. Die Phosphodiesterase-5-Hemmern zu einer Verbesserung erwähnten Substanzen können aber alle eine Hyper- der Erektionsstörungen führen. Andere Möglichkeiten tonie im Liegen verursachen. Dies wird durch die Anwen- sind die intrakavernöse oder intrauretrale Applikation dung von Pyridostigmin vermieden, das nur die sym- von Prostaglandin E1, die parenterale Verabreichung von pathische Aktivität verstärkt, die reflektorisch (z.B. beim Apomorphin oder mechanische Mittel wie Prothesen, Aufstehen) entsteht – der sympathische Tonus bleibt Vakuumgeräte oder Penisringe. Sporadisch wird über sonst unverändert. Es handelt sich hier um eine Off-La- eine mögliche Wirksamkeit von Pseudoephedrin auf Eja- bel-Indikation, die unbedingt durch einen Spezialisten kulationsstörungen berichtet. gestellt werden muss. Es darf nicht vergessen werden, dass auch eine Hyper- Die Wirkung der Medikamente ist leider meistens be- sexualität bei Parkinsonpatienten auftreten kann – in scheiden, so dass viele Patienten auf mechanische diesem Fall meistens als dopaminerge Nebenwirkung. Massnahmen angewiesen bleiben, in erster Linie Kom- Sie muss ähnlich wie das Dopamindysregulationssyn- pressionsstrümpfe Grad III bis zur Leiste, evtl. Stütz- drom angegangen werden. strumpfhose. Tabelle 1 Weitere dysautonome Beschwerden Substanzen, welche die sexuelle Funktion beeinträchtigen können. Alkohol, Rauch, Marihuana, Opiate, Barbiturate Eine Verminderung der gastroenterischen Motilität ver- Antiandrogenika, Östrogene, LHRH-Analoga ursacht sehr häufig eine subjektiv störende Obstipation a- und b-Blocker, Ca-Blocker, ACE-Hemmer, Clonidin, Reserpin, Thiazide, Spironolacton und kann selten auch die regelmässige Resorption der Medikamente beeinträchtigen. Regelmässige Bewegung, Antidepressiva (SSRI +), Benzodiazepine ballaststoffreiche Ernährung und vor allem eine ausrei- Anticholinergika chende Hydratation müssen angestrebt werden. Der Ein- Digoxin, Lipidsenker satz von Macrogol oder anderen osmotischen Laxantien Cimetidin ist in den meisten Fällen trotzdem notwendig, sollte aber Indometacin mit Zurückhaltung erfolgen. Baclofen Der Fatigue wird immer mehr Aufmerksamkeit ge- schenkt. Diese Beschwerde ist zum grossen Teil un- Schweiz Med Forum 2012;12(40):768–774 770
CurriCulum abhängig von anderen Parkinsonsymptomen oder von Depression, entsprechend wird sie durch die übliche Medikation kaum verbessert. Methylphenidat kann hel- fen, auf das Risiko eines Abusus muss aber unbedingt geachtet werden. Der Speichelfluss wird indirekt verursacht durch eine Schluckstörung. Die Speichelproduktion ist nicht erhöht, trotzdem kann die Hemmung der Speicheldrüsen durch Anticholinergika eine Linderung erbringen. Diese Medi- kamente sind aber schlecht verträglich; nebenwirkungs- frei ist hingegen eine Logotherapie mit Schlucktraining. Für Beschwerden wie Seborrhoe und Schweissausbrü- che gibt es leider, mit der Ausnahme von pflegerischen und lebenshygienischen Massnahmen, keine wirksame Behandlung. Beinödeme sind oft eine Nebenwirkung von Dopamin- agonisten und verbessern sich nach deren Reduktion. Sonst bleiben nur symptomatische Massnahmen. Abbildung 1 Wadenverspannungen mit Krallenstellung der Zehen treten oft frühmorgens auf. Sensorische Symptome aber keine Seltenheit. Welche Schmerzen sind krank- Sensorische Beschwerden sind bei Parkinson häufig. So heitsbedingt? Sicher typisch für Parkinson sind die haben fast alle Betroffenen Riechstörungen, die oft be- krampfartigen, lang dauernden Wadenverspannungen reits Jahre vor dem Ausbruch motorischer Krankheits- mit Krallenstellung der Zehen, unter denen einige Pa- zeichen vorhanden sind, im Alltag aber nur wenig stören tienten frühmorgens oder tagsüber beim Abklingen und deswegen kaum wahrgenommen werden. Dagegen der Medikamentenwirkung leiden (Abb. 1 x). Diese gibt es leider keine wirksame Massnahme. Andere Be- schmerzhaften Dystonien werden in der Regel durch schwerden können wir hingegen lindern. eine gezielte Anpassung der Medikamente verbessert, zum Beispiel häufigere Verabreichung, Einsatz von Re- tardpräparaten oder COMT-Hemmern. Ist deren Auftre- Schmerzen: Antiparkinsonika anpassen ten hingegen unvorhersehbar, kann die parenterale Verab- reichung von Apomorphin zu rascher Linderung führen. In einer Studie der Universität Lausanne beklagten Eine Optimierung der Antiparkinsonika lohnt sich zwei Drittel von knapp 400 Patienten Schmerzen, die bei immer – auch wenn die Dystonien nicht im Vorder- einem Viertel der Patienten bereits bei Krankheitsbe- grund stehen: Eine Verbesserung von Muskeltonus, Hal- ginn vorhanden waren. Im Alter, in dem die Parkinson- tung, Mobilität sowie einer eventuell dyskinesiebeding- beschwerden üblicherweise auftauchen, sind Schmerzen ten Gelenkbelastung wirkt auch schmerzlindernd. Die Tabelle 2 Epworth Sleepiness Scale. Patienten werden aufgefordert, folgende Frage (unter Berücksichtigung ihres normalen Alltagslebens in der letzten Zeit) zu beantworten: «Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass Sie in einer der folgenden Situationen einnicken oder einschlafen würden, sich also nicht nur müde fühlen?» Mögliche Antworten sind: 0 = würde niemals einnicken 1 = geringe Wahrscheinlichkeit einzunicken 2 = mittlere Wahrscheinlichkeit einzunicken 3 = hohe Wahrscheinlichkeit einzunicken Punktzahlen ab 9 weisen auf eine interventionsbedürftige Situation hin. Situation Wahrscheinlichkeit einzunicken Wenn Sie im Sitzen lesen Wenn Sie fernsehen Wenn Sie passiv (als Zuhörer) in der Öffentlichkeit sitzen (z.B. im Theater oder bei einem Vortrag) Als Beifahrer im Auto während einer einstündigen Fahrt ohne Pause Wenn Sie sich am Nachmittag hingelegt haben, um auszuruhen Wenn Sie sitzen und sich mit jemandem unterhalten Wenn Sie nach dem Mittagessen (ohne Alkohol) ruhig dasitzen Wenn Sie als Fahrer eines Autos verkehrsbedingt einige Minuten halten müssen Total Schweiz Med Forum 2012;12(40):768–774 771
CurriCulum Tabelle 3 Non-Motor Symptom assessment scale for Parkinson’s Disease. Symptoms assessed over the last month. Each symptom scored with respect to: Severity: 0 = None; 1 = Mild: symptoms present but caused little distress or disturbance to patient; 2 = Moderate: some distress or disturbance to patient; 3 = Severe: major source of distress or disturbance to patient. Frequency: 1 = Rarely (
CurriCulum Tabelle 3 (Fortsetzung) Non-Motor Symptom assessment scale for Parkinson’s Disease. Severity Frequency Frequency x Severity Domain 8: Sexual function 25. Does the patient have altered interest in sex? (Very much increased or decreased, please underline) 26. Does the patient have problems having sex? Score Domain 9: Miscellaneous 27. Does the patient suffer from pain not explained by other known conditions? (Is it related to intake of drugs and is it relieved by antiparkinson drugs?) 28. Does the patient report a change in ability to taste or smell? 29. Does the patient report a recent change in weight (not related to dieting)? 30. Does the patient experience excessive sweating (not related to hot weather)? Score TOTAL SCORE Developed by the International Parkinson’s Disease Non-Motor Group1. Antiparkinsonika können auch eine direkte analgetische z.B. bei Akinesie oder Tremor, Reduktion z.B. bei Un- Wirkung ausüben. Es ist bewiesen, dass die Schmerz- ruhe). Benzodiazepine können mit Vorsicht (Verwirrt- schwelle bei Parkinsonpatienten tiefer liegt und dass heit!) angewendet werden. Neuroleptika dürfen nur bei diese durch die Gabe von Levodopa normalisiert wird. einer klaren Indikation eingesetzt werden, es kommen Neurogene Schmerzen und andere neuropathische Be- nur Clozapin oder Quetiapin in Frage. Erwähnenswert schwerden wie Parästhesien können durch Trizyklika ist, dass bereits kleine Dosierungen trizyklischer Anti- (auf deren Nebenwirkungen wurde bereits hingewiesen) depressiva (z.B. Amitrypitilin 10 mg) Erfolg bringen oder Pregabalin verbessert werden – diese Medikamente können. zeigen oft eine synergistische Wirkung. Bei muskuloske- Einschlafschwierigkeiten können in Folge eines Restless- lettalen Schmerzen müssen die Gabe von Antirheuma- Legs-Syndroms auftreten. Die Betroffenen spüren den tika, die Notwendigkeit der Konsultation eines Spezialis- dringenden Bedarf, durch aktives Bewegen ein unan- ten oder eine Physiotherapie individuell beurteilt werden. genehmes Gefühl in den Beinen zu unterdrücken. Diese Symptome sprechen auf Dopaminergika an, eine An- passung der Medikation führt oft zu einer raschen Lin- Viele Arten von Schlafstörungen derung. Die meistens nur im Rahmen einer Schlafpoly- graphie eruierbaren periodischen Beinbewegungen im Der Schlaf von Parkinsonpatienten ist oft durch das Schlaf, PLMS (periodic limb movements in sleep), verur- nächtliche Wiederauftreten der motorischen Symptome, sachen nur selten subjektive Beschwerden. Sie sprechen durch Nebenwirkungen der Therapie (wie Unruhe und in der Regel gut auf Levodopa an. Albträume) oder durch die Zuspitzung des Harndrangs Sehr wichtig ist das Früherkennen einer Tagesschläfrig- gestört. Häufig ist aber auch eine primäre Störung der keit, vor allem bei Autofahrern. Sie kann sowohl krank- Schlafhomöostase vorhanden. heitsbedingt wie auch (und vor allem) als Nebenwirkung REM-Schlaf-Verhaltensstörungen können bereits Jahre der Medikamente auftreten. Insbesondere die Dopamin- vor Ausbruch der motorischen Symptome auftreten. Die agonisten Pramipexol und Ropinirol sind diesbezüglich Betroffenen bewegen sich im Einklang mit dem Inhalt zu beachten. Die verantwortliche Substanz muss ab- ihrer Träume, was zur Selbst- oder sogar Fremdverlet- gesetzt werden. Modafinil kann einen positiven Effekt zung führen kann – oder was der Partner irrtümlicher- haben, dieser kann aber hauptsächlich subjektiv sein weise als Ausdruck einer latenten Aggressivität wahr- und sollte kritisch beurteilt werden. Eventuell ist eine nimmt, was für die Beziehung eher ungesund ist. Ein Abklärung durch einen Spezialisten angebracht. anamnestischer Verdacht kann durch eine Schlafpoly- Der Verdacht auf ein Schlafapnoe-Syndrom muss abge- graphie bestätigt werden. Hilfe verspricht die Reduk- klärt und allenfalls mittels CPAP behandelt werden. tion der abendlichen Antiparkinsonika-Dosis oder die Verabreichung von Clonazepam. Sporadische Beobach- tungen weisen auf eine mögliche Wirksamkeit von Mela- tonin hin; oft ist aber der Erfolg der Medikamente nur partiell, und praktische Massnahmen (Entfernen von ge- 1 Goetz CG, Tilley BC, Shaftman SR, Stebbins GT, Fahn S, Martinez- fährdenden Gegenständen, getrennte Schlafzimmer) blei- Martin P, et al. Movement Disorder Society-sponsored revision of ben unumgänglich. the Unified Parkinson’s Disease Rating Scale (MDS-UPDRS): Scale Viele Betroffene leiden unter einer Insomnie: Auch hier presentation and clinimetric testing results. Mov Disord. hilft oft eine Anpassung der Antiparkinsonika (Erhöhung 2008;23:2129–70. Schweiz Med Forum 2012;12(40):768–774 773
CurriCulum Fazit Korrespondenz: dr. med. Fabio Baronti Die nicht-motorischen Symptome des M. Parkinson KliniK BeTheSda Ch-3233 Tschugg entsprechen dem versteckten Teil des Eisbergs und baronti.f[at]klinik-bethesda.ch verbessern sich leider kaum durch die herkömmliche Antiparkinson-Medikation. Trotzdem führen zahlreiche Massnahmen zu deren Linderung, die notwendigen Weiterführende Literatur – Aarsland D, Larsen JP, Tandberg E et al. Predictors of nursing home pharmakologischen Interventionen und deren Neben- placement in Parkinson’s disease: a population-based, prospective und Wechselwirkungen müssen aber individuell evaluiert study. J Am Geriatr Soc. 2000;48:938–42. – Shulman LM, Taback RL, Rabinstein AA, Weiner WJ. Non-recognition werden. Zudem ist der Einsatz nicht-medikamentöser of depression and other non-motor symptoms in Parkinson’s disease. Massnahmen oft von grossem Vorteil. Parkinsonism Related Disord. 2002;8:193–7. Diese Beschwerden werden aber leider oft kaum oder gar – Miyasaki JM, Shannon K, Voon V et al. Practice parameter: Evalua- tion and treatment of depression, psychosis and dementia Parkinson nicht angesprochen, weil in der Konsultation die Zeit disease (an evidence-based review). Report of the Quality Standard fehlt. Sehr empfehlenswert ist für diesen Zweck die An- Subcomittee of American Academy of Neurology. Neurology. 2006;66: wendung von Skalen, die der Patient oder die Angehöri- 996–1002. – Zesiewicz TA, Sullivan KI, Arnulf I et al. Practice parameter: Treatment gen bereits im Wartezimmer ausfüllen können. Beson- of nonmotor symptoms of Parkinson disease. Report of the Quality ders wertvoll für die Erkennung einer Tagesschläfrigkeit Standard Subcomittee of American Academy of Neurology. Neurology. ist die EDSS (Tab. 2 p). Die gängigen Skalen zur Erfas- 2010;74:924–31. sung nicht-motorischer Symptome (Tab. 3 p) wurden – Storch A, Odin P, Trender-Gerhard I et al. Non-motor Symptoms Ques- tionnaire und Scale für das idiopatische Parkinson-Syndrom. Interkul- vor kurzem auf Deutsch übersetzt und validiert. Wir turell adaptierte Versionen in deutscher Sprache. Nervenarzt. 2010;81: sollten diese Instrumente zunehmend anwenden: Eine 980–5. erfolgreiche Behandlung ist ja nur möglich, wenn die Ziele klar identifiziert werden können. Schweiz Med Forum 2012;12(40):768–774 774
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