Multiprofessionalität: Ziele, Bedingungen, Herausforderungen - Univ.-Prof. Dr. Ulrike Höhmann Universität Witten/Herdecke

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Multiprofessionalität: Ziele, Bedingungen, Herausforderungen - Univ.-Prof. Dr. Ulrike Höhmann Universität Witten/Herdecke
Multiprofessionalität:
Ziele, Bedingungen, Herausforderungen

                                    Univ.-Prof. Dr. Ulrike Höhmann
                                     Universität Witten/Herdecke

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Multiprofessionalität: Ziele, Bedingungen, Herausforderungen - Univ.-Prof. Dr. Ulrike Höhmann Universität Witten/Herdecke
Agenda

       Bezugspunkt: Gesundheits- „Versorgung“

Vorbemerkung zur Perspektive

0. Multiprofessionalität: Begriffliche Annäherung

1. Multiprofessionalität: Zentrale Felder

2. Strukturelle Ambivalenzen: Hindernisse und Chancen

3. Herausforderungen und Gestaltungsaufgaben
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Multiprofessionalität: Ziele, Bedingungen, Herausforderungen - Univ.-Prof. Dr. Ulrike Höhmann Universität Witten/Herdecke
Perspektive: Demenz als exemplarische Problemstellung
                     in der Akut- und Langzeitversorgung

                                       pathophysiologische
                                            Prozesse
komplexes
gesellschaftliches
sozio-psychisches
medizinisch-pflegerisches
Syndrom
                            psychosoziale                  versorgungs-
                              Prozesse                  bezogene Prozesse

               Gestaltungsanforderungen sind auch für viele andere
              Menschen mit chronischen Einschränkungen bedeutsam
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Multiprofessioneller Masterstudiengang
   „Versorgung  von Menschen
              Gemeinsam        mit Demenz“
                             Lösungen   finden

berufs- und sektorübergreifende GESELLSCHAFTLICHE! Herausforderungen in der
                        Akut- und Langzeitversorgung
                       über Gesundheitsberufe hinaus!

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Wo muss wer multi…/inter…/trans… zusammenarbeiten?

Verhaltens-                          und                  Verhältnisebene
Individuen---------------------Einrichtungen-----------------Gesellschaft
direkte Unterstützungs-       „Transmissionsriemen“       Rahmenbedingungen: materielle, soziale,
Versorgungskonzepte           Ermöglichungsstrukturen     ökonomische

                          multi…/inter…/transprofessionelle
                          Zusammenarbeit als Innovation
0 Multiprofessionalität : Begriffliche Annäherung

Multiprofessionalität
• spezialisierte Perspektiven / Funktionen
• gemeinsamer „Gegenstand“
• parallele Praxis, koordinierte „Anschlussfähigkeit“
• Kooperation

meint oft sehr weit reichend: Interprofessionalität
integriert ineinandergefügtes Wissen, Methoden, gemeinsame
Problembeschreibung, aufgeteilte Verantwortung, gemeinsamer
Orientierungsrahmen

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Transprofessionalität
• Wissen und Problembeschreibung unsicher, Disziplingrenzen anerkannt

• kein additiver Reparaturmechanismus: Rückgewinnung komplexer
   Wahrnehmung, überschreitet -am Gegenstand- enge Diszi-/Berufsgrenzen

   durch offenen Dialog, verschiedene Perspektiven auf Wirklichkeit:

   Aushandlungsprozess

• im Arbeitsalltag: Infofülle, verschiedene Begriffe:

   Umgang damit muss erlernt werden!!

• kein Rationalisierungsmodell oder Verschiebebahnhof

Voraussetzung für: Multi-/Inter-/Trans-: sichere eigene disziplinäre Verortung
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1. Multiprofessionalität: Zentrale Felder
Gesundheitsbedarfe der Bevölkerung sprengen Disziplin-/Professionsgrenzen

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                       Interessen und Ideen

                       • politisch
                       • ökonomisch-rechtlich
                       • sozio-kulturell

     1. Wissenschaft – Forschung
     2. „Ausbildung“ und Lehrende
     3. Berufspraxis

in jedem Feld eigene Ziele, Bedingungen, Herausforderungen
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2. Strukturelle Ambivalenzen: Hindernisse und Chancen

In fast allen Bereichen: Multi-…/ Inter-…als „Qualitätsmerkmal“ gefordert zur
Bearbeitung „komplexer“ Fragen (= oft unklare Problemdefinitionen / -lösungen)

Gleichzeitig:
keine einheitliche Politikstrategie zur Förderung erkennbar
Hürden für Zusammenarbeit bei Problemdefinitionen und –lösungen,
Rationalisierungserwartungen, USP- Ideologie meist = Spezialisierung

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2. Strukturelle Ambivalenzen: Hindernisse und Chancen

Berufsgruppen: unterschiedliche Vorstellungen / Notwendigkeiten

Grundmuster:(vgl. Lützenkirchen 2005)

Ökonomie:              formales Mittel um Marktprinzipien gerecht werden zu können

Soziale Arbeit:        Vermittlungscharakter zwischen verschiedenen Interessen

Medizin:               auf eigene Fachgebiete bezogen, sonst eher Delegation

Pflege:                Arbeitsgrundlage: Rückbesinnung auf Patientenorientierung

Multi…/Inter…/Trans… bleibt oft gegentendentiell !!!

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2 Strukturelle Ambivalenzen: Hindernisse und Chancen
Wissenschaft- und Forschung
• Atomisierung der Gegenstandsbereiche, Phänomenzugriffe, Fächer:
    Abgrenzung, Identitätsbildung, Spezialisierung des Wissens
• Spezialisierung / Schulenbindung als Aufstiegskanal
• Förderung immer spezialisierter Forschungsansätze und Methodiken
• Spezialisierte Veröffentlichungsorgane, Zitierkartelle
• „Impactisierung“ als rückwärtiger Forschungs- / Wissenschaftsanreiz
•   Ausschreibungen fordern oft „Interprofessionalität“      „Verbrämungs“kreativität
ABER:
• neue Wissenschaftskonglomerate entstehen: z.B. life sciences, Motologie….
• Leitungsstellen oft explizit mit „breit“ Qualifizierten besetzt
• Freude am Gegenstand, relevant, Rückgewinnung des Praxisbezuges

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2 Strukturelle Ambivalenzen: Hindernisse und Chancen

„Ausbildung“ und Lehrende
•   enge Berufsbilder z.T. „Kampfbegriffe“ zur Ressourcensicherung
•   Lehrende: meist monodisziplinär, auf spezialisierte Phänomene, fachliche Zugriffe
     trainiert, kaum didaktische Regelkonzepte bekannt
•   schwierig eigene Fachsprache zu relativieren, ohne Inhalt zu trivialisieren
•   es gibt keine „breiten“ Qualifikationswege
ABER:
•   Lehrende: Freude, Anregungen und „Neuem Lernen“ in multi…/inter…trans…
    Zusammenhängen
•   Studierende/ Auszubildende: Aha-Erlebnisse, Problem- und Praxisbezug
•   polit. Teilforderungen nach Revision der Spezialisierung in Ausbildung / Studium
•   im Berufsalltag auf allen Ebenen: multi-/inter-/trans-… Kompetenzen erforderlich
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2 Strukturelle Ambivalenzen: Hindernisse und Chancen

Berufspraxis
• disziplinäre / professionelle Abgrenzungsstrategien im Geflecht von parallelen
   Professionalisierungs- und Deprofessionalisierungstendenzen
• fehlende Infrastruktur für systematische Kooperationen / Abstimmungen
• praktische Hierarchie- und Zuständigkeitsprobleme perpetuiert

ABER:
• an allen Arbeitsplätzen wird multi-/inter-/trans-… gearbeitet
• viele Basis - Initiativen zur Zusammenarbeit
• problemlösende Zusammenarbeit oft beruflicher Zufriedenheitsfaktor

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3. Herausforderungen und Gestaltungsaufgaben

Ausgangsbedingungen:
multi-/inter-/trans… Entwicklungswege sind oft innovativ,
ebenso wie die „Produkte“.
Beide können im Sinne R.K. Mertons als abweichendes Verhalten verstanden
werden und unterliegen damit immer Routinen, die sie schwächen und
versuchen, sie zu unterbinden!

Probleme: multi…/inter… /trans…Problemlösung: oft fluide, phänomenabhängig,
schwierig als „Mehrgewinn“ zu verordnen!

Jeweilige Fachstandards müssen eingehalten werden, keine Produktion von
„light“ Versionen der jeweiligen Fachlichkeit.

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3 Herausforderungen und Gestaltungsaufgaben

Wissenschaft und Forschung:

1. Exemplarität, Phänomen-/Problembezug in reflexivem Abgleich : i.S.
  transdisziplinärer Ideale: Phänomen zentral = „Grenzobjekt des Verstehens“
2. Beteiligte: Gelassenheit im Umgang mit kurzfristigen (akademischen)
  Statusversprechen
3. Freude an Erkenntnissen problemorientierter Forschung / Lehre
4. Einflussnahme auf Journals / Rahmenbedingungen
5. keine „Verbrämungsstrategien“ zulassen, Forschungsethik kritisch beleuchten
6. organisatorische Zusammenschlüsse von Gleichgesinnten, Projekte
7. Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen in diese Ideale nötig!

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3 Herausforderungen und Gestaltungsaufgaben
Ausbildung und Lehre

1. strukturierte übergreifende aufbauende Bildungsangebote:
   fundierte, reflexive Fachlichkeit als Vorbedingung
   Ort: Erstausbildung exemplarisch, aufbauend,
   z.B. Masterprogramm systematisch einüben

2. „Change Agents“ qualifizieren wollen: Kooperationen einüben, Sozial- und
   Personalkompetenz fördern, phänomenzentrierte disziplinäre Perspektive stärken
   und relativieren

3. „De-“ und „Re-“ freezing in spezifischen Lehr-/Lernformen
  (z.B. Herstellen gemeinsamer Wissensbasis; Perspektivabgleich - „Kooperative Selbstqualifikation“;
  reflexive, problemorientierte Fallbearbeitung mit strukturierte Diskussion, Explikation
  spez. Berufswissens; produktive Verunsicherung; Teamteaching; Praxisexperten; Fachtagungen

4. Begleitung und Diskussion unter Lehrenden – Zentrierung auf „gemeinsame
   Phänomene“ die multiperspektivisch beleuchtet werden, Lernen wollen

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3 Herausforderungen und Gestaltungsaufgaben

Berufspraxis: bei komplexen Problemen!
1. institutionalisierte Räume für strukturierte, dialogische Kooperationen schaffen
2. betriebliche Kooperations-, Abstimmungs- und Diskussionskultur stärken: keine
  „Schwäche“, sondern Bereicherung, nicht bei Umstrukturierung beginnen!
3. on the job: Regeln /Formen im Umgang mit unterschiedlichen Hierarchien und
  Deutungsdominanzen einüben
4. Akteure schulen: Bewußtwerdung der eigenen fachlichen
  Selbstverständlichkeiten und Training diese zu explizieren
5. Akzeptanz / Einfordern der andern Problemlösungsbeiträge
6. strukturelle Möglichkeiten, gemeinsam erarbeitete Lösungen umzusetzen
7. Personal- und Sozialkompetenz: mal zu führen , mal zuzuarbeiten

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Qualifikationsbeitrag des Studiengangs 1
multi-/inter-/transdisziplinäre Bildung – Multi-/Inter-/Transprofessionalität in Praxis

                      Change Agents im Beruf

   • wissenschaftlich verankerte Schlüsselkompetenzen
   • Entwicklung und Umsetzung transdisziplinär abgestimmter Konzepte / Strategien
      Gestaltung der Bedingungen und der Praxis der Versorgung von MmD
   • auf Ebenen
                     • Personen
                     • Organisationen
                     • Gesellschaftlichen Rahmenbedingungen

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Qualifikationsbeitrag des Studiengangs 2

                Versorgungsfragen für MmD

   „exemplarisches Grenzobjekt des Verstehens“
für disziplinäre und transdisziplinäre Phänomenwahrnehmung
Voraussetzungen:
 sichere eigene Professionalität
 Flexibilität: je nach Problem „Haupt“- oder „Hilfs-“ funktionen zu
 übernehmen;
 Übersetzungs- und Beurteilungsfähigkeit der Lösungen anderer!
 nicht Übernahme fremder Expertise

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Rahmenbedingungen einer veränderten Praxis

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                       Auftrag, Strukturbedingungen,
                       Führung, Arbeitsorganisation,
                       -abläufe, -kultur…

Gesellschaftlicher
Rahmen:
Recht, Finanzen,               Berufsgruppen:            multi-, inter-,
Zweckbestimmung        Aufgaben, Wissenskörper, prof.    transprofessionelle
der Versorgungs-       Phänomenverständnisse,            Zusammenarbeit
einrichtungen,         Sozialisation, Territorialität,
(Aus)Bildungssystem,   Status…
Anreizsysteme,
Forschungsförderung
…                               Person / Profi:
Denk-…kultur….          Soziale, personale Kompetenz
                        Fachkompetenz, Respekt
                        Vertrauen, Aushandlungs-/
                        Kooperationsbereitschaft…
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Frust und Lust:

Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man
etwas schönes Bauen (Goethe)

             Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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