Musikstunde Partitur des Lichts - Tiepolos Bilderwelten (3) - Von Doris Blaich - SWR

Die Seite wird erstellt Vanessa Albrecht
 
WEITER LESEN
Musikstunde
Partitur des Lichts – Tiepolos Bilderwelten (3)

Von Doris Blaich

Sendung:    30. Juni 2021 (Erstsendung: 16. Oktober 2019)
Redaktion: Dr. Bettina Winkler
Produktion: SWR2 2019
… die verbringen wir heute im Treppenhaus – und zwar in einem besonders prachtvollen:
dem der Würzburger Residenz. Der Maler Giovanni Battista Tiepolo hat es mit dem größten
Deckenfresko der Welt ausgemalt. Ich bin Doris Blaich, kommen Sie rein.

Willkommen in Tiepolos Welt! Er hat sie als Deckenfresko gemalt im Treppenhaus der
Würzburger Residenz: die Kontinente, dargestellt als imposante Frauenfiguren, umringt von
über 100 verschiedenfarbigen Menschen: Jäger und Dienerinnen, Musiker und Krieger;
darüber ein Himmel mit antiken Göttern, Sternkreiszeichen, allegorischen Figuren der
christlichen Religion, allerlei Pflanzen und Tieren vom Papagei bis zum Elefanten. Und ein
Porträt des Auftraggebers: Fürstbischof Carl Philipp von Greiffenclau. Ein Riesen-
Wimmelbild, atemberaubend in seiner Komposition, raffiniert in seinen Perspektiven. Typisch
Tiepolo: der Himmel scheint nach oben offen, sodass die Illusion eines unendlichen Raums
entsteht.

Tiepolos Deckenfresko ist das größte zusammenhängende Fresko, das je gemalt wurde: 677
Quadratmeter! Wie ein begehbares Kino durchschreitet der Besucher staunend Stufe für
Stufe das ausgeklügelte Bildprogramm; das Gefühl der Überwältigung, ist dabei bewusst
einkalkuliert als Teil einer großen Inszenierung.

Kosten wir die Magie dieses Zeremoniells also aus und gehen nochmal ein paar Meter
zurück: Sie kommen an in Ihrer Kutsche, unterwegs haben schon diverse Bedienstete und
Würdenträger des Würzburger Hofes Spalier gestanden und Ehrensalven abgefeuert. Sie
fahren durch den prächtigen Ehrenhof (hier wie fast in jedem europäischen Barockschloss
hat man sich an Versailles orientiert) und durchs Eingangstor ins Foyer – im Schlösser-
Vokabular Vestibül genannt. Es ist groß genug, dass Ihr Kutscher hier drinnen bequem
wenden kann. So können Sie auch bei unwirtlichem Wetter trockenen Hauptes aussteigen
und die Treppe hinaufschreiten.

Wer besonders blaues Blut in seinen Adern fließen hat, dem kommt jetzt der Herrscher
dieses Wunderreichs persönlich auf der Treppe entgegen: der Fürstbischof von Würzburg,
Carl Philipp von Greiffenclau.

M0448420       01-009                                                                3'09
Philipp Heinrich Erlebach:
1. Satz: Ouverture aus: Ouvertüre für Orchester Nr. 6 g-Moll
Concerto Stella Matutina
Leitung: Alfredo Bernardini
Das Ensemble Concerto Stella Matutina mit der Ouvertüre in g-Moll von Philipp Heinrich
Erlebach.

Die gedruckten Noten waren im Bestand des Grafen von Schönborn-Wiesentheid, dem
Vorgänger des Würzburger Fürstbischofs Carl Philipp von Greiffenclau. Der hat Tiepolo 1752
mit dem Deckenfresko im Treppenhaus seines Schlosses beauftragt. Und zahlt ihm ein
horrendes Honorar von 12.000 rheinischen Gulden – das ist damals ungefähr der 60-fache
Jahreslohn eines Maurerpoliers und 13 Mal so viel wie der Würzburger Star-Architekt
Balthasar Neumann pro Jahr verdient. Ein fürstlicher Lohn, obwohl die Tiepolos zu dritt am
Werk sind: Giovanni Battista Tiepolo, damals 56 Jahre alt, und seine beiden Söhne
Giandomenico und Lorenzo.

Zurück ins Vestibül – das ist relativ schmucklos, dunkel und niedrig. Umso wirkungsvoller der
Effekt, wenn Sie jetzt zum Fuß der Treppe gehen. Da tut sich buchstäblich eine neue Welt
auf: Sie entdecken Amerika! Eine majestätische Frauenfigur, barbusig, bronzefarbene Haut,
geschmückt mit einer bunten Federkrone und großen goldenen Medaillons.

Lässig reitet sie auf einem Krokodil, das ebenso lässig seine furchterregenden Zähne flescht.
Direkt davor: eine Gruppe muskulöser sonnengegerbter Männer, die am Feuer einen Döner-
ähnlichen Fleischklos grillen. Womöglich Kannibalen, denn neben ihnen liegen ein paar wüst
abgeschlagene Menschenköpfe; vielleicht von weißen Einwanderern, mit denen man kurzen
Prozess gemacht hat. Amerika – so sagt Tiepolos Bild – ist reich an Tieren, Früchten und
Bodenschätzen und arm an Zivilisation.

Die Menschen kennen schon das Feuer, leben aber immer noch unter freiem Himmel.
Immerhin spielen sie schon ein paar Rhythmus-Instrumente – zwei Musiker schlagen
Tambourine. Die passende Musik mag man sich damals in Europa so vorgestellt haben wie
Jean-Philippes Rameau in seiner Ballett-Oper „Les indes galantes“. Hier ist daraus „Les
sauvages“ – der Tanz der Wilden.

M0063072      01-015                                                                   2'17
Jean-Philippe Rameau:
Danses des sauvages. Rondeau, 4. Entrée aus: Les Indes galantes, Ballet héroique in einem
Prolog und 4 Entrées
Les Musiciens du Louvre
Leitung: Marc Minkowski

                                                                                              3
Marc Minkowski und Les Musiciens du Louvre mit dem Tanz der Wilden aus Jean-Philippe
Rameaus Ballett-Oper Les indes galantes, die galanten Inder – und „Inder“ bezeichnet
damals aus Europäischer Sicht alle Nicht-Europäer, hier speziell die Ureinwohner Amerikas.

„Fresco“ heißt „frisch“ – Fresken malt man in den noch feuchten Putz der Wand oder Decke.
Aber natürlich nicht ohne das Bild vorher bis ins Detail auskomponiert zu haben. Tiepolo hat
alles minutiös mit dem Auftraggeber Greiffenclau diskutiert und skizziert. Für sein
Deckenfresko zeichnet er jede Figur zunächst auf festes Papier, im Maßstab 1:1 und mit
allen Umrissen und wesentlichen Linien. Diese Kartons heftet er auf den frischen Kalkmörtel
und paust die Linien durch – mit einem Nagel oder dem spitzen Ende eines Pinsels. Jetzt
sieht er alle Umrandungen und kann die Farbe auftragen. Die Ritzungen sind aus der Nähe
immer noch sichtbar: Selbst Feinheiten wie Haarlocken oder karierte Stoffmuster sind
akribisch von der Vorlage übertragen.

In dem riesigen Treppenhaus der Würzburger Residenz sind mehrere Teams gleichzeitig an
verschiedenen Stellen beschäftigt: je ein Maler, ein Putzer, der für die richtige Konsistenz
des Kalkmörtels verantwortlich ist und ein Gehilfe, der die Farben anrührt, die Vorlagen
anheftet, die Pinsel reinigt und für die richtige Beleuchtung sorgt. Kerzen sind damals sehr
teuer, wahrscheinlich behilft man sich mit Spiegeln und mit Schusterkugeln: das sind
Glaskugeln, in denen ein Docht brennt und die das Licht konzentrieren und verstärken. Das
alles auf einem gigantischen und recht wackligen Holzgerüst. Auf dem man aber immerhin
im Stehen arbeiten kann. Abgesehen von der künstlerischen Arbeit ist so ein Fresko auch
ein Knochenjob und abends tun den Malern sicher die Schultern und Armmuskeln weh.

Tiepolos Amerika-Figur ist eine echte Herrscherin; auf dem Rücken trägt sie einen Bogen, ihr
cooler Blick und die muskulösen Arme lassen keinen Zweifel daran, dass sie bei der
nächsten Gelegenheit Pfeile damit abfeuert.

An der Spitze ihres Krokodil-Zuges tragen ein paar Muskelprotze militärische Feldzeichen
und eine Fahne mit einem Drachen drauf – das Symboltier des Auftraggebers Greiffenclau.

Amerikas ausgestreckter Arm deutet energisch zu diesem Wappen und darüber hinaus nach
links in die Weite – Richtung Europa.
Aber das können Sie noch nicht wissen, wenn Sie unten im Treppenhaus stehen. Der
Europäische Kontinent rückt nämlich erst ins Blickfeld, wenn man ganz oben auf der Treppe
angelangt ist: als krönender Abschluss.

                                                                                          4
Kurze Verschnaufspause mit dem Largo aus Dvoraks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“.

M0565136        01-008                                                                 5'48
Antonin Dvoràk:
2. Satz: Largo, bearbeitet für Vokalensemble a cappella aus: Sinfonie Nr. 9 e-Moll op. 95 (B
178) (Arr. Jürgen Parison)
Ensemble Encore

Auch ein Versuch, den amerikanischen Kontinent in Kunst zu verwandeln: Das Largo aus
Antonin Dvoraks Sinfonie „Aus der neuen Welt“; Jürgen Parison hat es für das Ensemble
Encore arrangiert und gerade frisch auf CD eingespielt.

Über Tiepolos Amerika schwebt eine dicke Schlechtwetter-Wolke – ein imposanter Thron für
den Kriegsgott Mars und seine Gattin Venus, die Göttin der Liebe, strahlend und
leichtbekleidet kauert sie auf einem Brokatteppich. Direkt darüber: Apollon, der Gott des
Lichts und der Künste, in schönster weltumarmender Siegerpose, umgeben vom
leuchtenden Strahlenkranz der Sonne.

Die Farben, Formen und Körperhaltungen wirken erstaunlich jugendstil-haft und kaum wie
ein Fresko von 1752! Umgeben ist Apollon von einer Landschaft aus aprikosenfarbenen,
rosaroten und ockergelben Wolken, zwischen denen schmetterlingsgeflügelte Lichtwesen
flattern – die Horen, die die Stunden des Tages symbolisieren. Eine von ihnen trägt –
beinahe versteckt – das Zifferblatt einer Uhr: im Götterhimmel sind sie etwas früher dran als
wir hier auf Erden, es ist kurz vor acht Uhr morgens. Zeit für die Horen, Apollons Feuerrosse
vor den Sonnenwagen zu spannen, mit dem er gleich seine Tagestour durch die Welt
antreten wird, um sie mit seinem Licht zu erleuchten.
Jean-Baptiste Lully hat ihm dafür die passende Musik komponiert:

M0405618        01-019                                                                 2'37
Jean-Baptiste Lully:
Air d'Apollon
Café Zimmermann

Das Ensemble Café Zimmerman mit einem Air d’Apollon von Jean-Baptiste Lully.

Bei einem Fresko fängt man an der höchsten Stelle an und arbeitet sich dann Stück für
Stück nach unten, sonst riskiert man Farbtropfen und Gipsflecken auf dem bereits Gemalten.

                                                                                              5
Tiepolo begann also mit Apollon und seinem Götterhimmel, denn die riesige Decke im
Treppenhaus der Würzburger Residenz ist leicht gewölbt. Sie hat übrigens keine stützenden
Pfeiler.
Tiepolo hat die Fläche wie ein Puzzle in Tages-Abschnitte zerlegt. 219 solcher „Giornate“ –
Tagwerke sind es insgesamt.

Nur auf diesen Stellen brachte man morgens den Feinputz an, der dann im Lauf des Tages
bemalt wurde. Die Grenzen zwischen den Tagwerken sieht man genau, da ist eine ziemlich
tiefe Furche im Putz. Mal schaffte man an einem Tag ein großes Himmelsstück von
mehreren Quadratmetern oder eine der prächtig aufgebauschten Tiepolo-Wolken, mal war
es nur ein kleiner Putto, eine Göttin mit aufwendig-faltigem Gewand oder ein Orientale mit
kunstvoll verziertem Turban. Ein gutes Jahr malen die Tiepolos und ihre Helfer an diesem
Fresko – ein stupendes Tempo, auch wenn man bedenkt, dass die kalten Wintermonate
ungeeignet sind für die Freskenmalerei, da trocknet der Gips nicht schnell genug.

Sie haben die erste Etappe des Treppenhauses hinter sich und sind auf dem Wendepodest
angelangt – jetzt eröffnet sich Ihnen die ganze Raumfülle; und Tiepolos Welt wird um zwei
Kontinente reicher: auf der linken Seite erblicken Sie Asien, rechts (im Osten) Afrika. Dort hat
sich ein riesiges Dromedar niedergelassen, die Personifikation Afrikas gleitet von seinem
Rücken: eine selbstbewusste Fürstin, vielleicht aus Äthiopien. Samtschwarze Haut, strahlend
weißes Kopftuch, Schmuck aus Gold und Perlen, ausdrucksstarke Gebärde gen Himmel
(und auch ihr Zeigefinger deutet Richtung Europa). Wie eine Insignie hält sie ein Schilfbündel
im Arm. Tiepolo hat dafür Malachit verwendet, ein besonders kostbares Farbpigment.
Überhaupt ist rund um diese afrikanische Herrscherfigur alles teuer und edel: ein Diener
kniet vor ihr nieder und würzt die Luft mit Weihrauch, in der anderen Hand hält er schon den
aufgespannten Sonnenschirm parat. Ihr zu Füßen liegt ein Stillleben aus kostbaren Stoffen,
Elfenbein und schönen Gefäßen. Kaufleute mit skeptischem Blick prüfen Waren und stapeln
Stoffballen und Fässer. Afrika – so sagt Tiepolo hier – ist auf einem höheren
Entwicklungsstand als Amerika. Man lebt nicht mehr unter freiem Himmel, sondern schon
etwas zivilisierter in Zelten, der Handel mit den Europäern bringt Geld in die Kassen.

Eines von Tiepolos vielen witzigen Details: ein kleines Äffchen reißt einem Straußenvogel
eine Feder raus und fällt dabei auf seinen Affenpo. Auch Straußenfedern gehörten an den
europäischen Höfen zu den Exportschlagern aus dem fernen Afrika.
Und so klingt der schwarze Kontinent in der Fantasie von Camille Saint-Saens.

                                                                                              6
M0509288       01-021                                                                                9'55
Camille Saint- Saëns:
Afrika op. 89 für Klavier und Orchester g-Moll
Louis Lortie (Klavier)
Bergen Philharmonic Orchestra
Leitung: Neeme Järvi

„Afrika“ für Klavier und Orchester op. 89 von Camille Saint- Saëns. Louis Lortie war der
Pianist, Neeme Järvi dirigierte das Bergen Philharmonic Orchestra.

Tiepolo hat im April 1752 ein Bozetto angefertigt, eine genaue Ölskizze für das Würzburger
Treppenhaus-Fresko.       Daneben       gibt     es     etliche   Detailstudien   mit   Rötelstift     auf
wunderschönem blauen Papier: Kleider, Gesichter, Mäntel und Tiere. Und: Tiepolos Sohn
Giandomenico malte viele Figuren und Szenen nach Vollendung des Freskos nochmals ab –
als „Ricordi“, Gedächtnisstützen für das familieneigene Musterbuch. Heute würde man davon
kurz ein Handy-Foto machen…. Viele dieser Skizzen gehören der Graphischen Sammlung
der Staatsgalerie Stuttgart – die sie natürlich bei ihrer großen Tiepolo-Ausstellung zeigt und
dazu noch eine Sonderausstellung mit den lichtempfindlichen Zeichnungen veranstaltet.
[Letzte Woche wurden beide Ausstellungen eröffnet, sie gehen noch bis zum 2. Februar und
prägen auch unsere Programm-Woche hier in SWR2. Sie finden alle unsere Tiepolo-
Aktivitäten multimedial gebündelt unter swr2.de/tiepolo.]

In der Musikstunde schauen wir uns heute Tiepolos Hauptwerk an: das Treppenhausfresko
in der Würzburger Residenz. Wenn Sie jetzt auf die andere Seite schauen, nach Westen,
landen Sie in Asien. Wieder repräsentiert durch eine fürstliche Frauenfigur: Asia, eingehüllt in
ein sündhaft teures Gewand aus leuchtendem Blau, sie reitet im Damensitz erhobenen
Hauptes auf einem Elefanten. Der hat – natürlich – prächtige Stoßzähne und imponiert mit
seiner Masse und dem kunstvoll geschwungenen Rüssel.

30 Meter lang ist Asiens Wandfläche. Tiepolo hat sie mit mehreren Nebenszenen
untergliedert, die die verschiedenen Qualitäten des Kontinents repräsentieren: links die
wilde,   unzivilisierte   Seite   mit    einer        barbarischen    Tigerjagd   und    angeketteten
Galeerensklaven, die vielleicht von Seeräubern entführt wurden. Ein Prachtexemplar von
einem Papagei flattert darüber hinweg. Und rechts eine Szene, die Asien als die Wiege der
Kultur zeigt: ein Obelisk, ein steinernes Relief mit Schriftzeichen, eine Gruppe von
fackeltragenden Menschen, die einen sehr gelehrten Eindruck machen.

                                                                                                            7
Und auf einem weiteren Steinquader: Tiepolos Signatur mit der Jahreszahl 1753. Asien, das
ist hier auch die Heimat der christlichen Religion: ein Pilger in orientalischem Gewand kauert
auf seinem Pilgerstab, den Blick nach Golgatha gewandt (wo allerdings nur zwei Kreuze zu
sehen sind statt drei).

Und es gibt noch eine Fülle von symbolträchtigen Details in diesem Bildabschnitt, über deren
Bedeutung man viel rätseln und reininterpretieren kann – Tiepolo wollte hier ein bisschen
Schwung in die Gedanken des Betrachters bringen und ihm ein paar Rätsel aufgeben,
sowas macht er immer wieder gerne. Eindeutig ist allerdings: In Asien wohnen die Menschen
in Hütten – Stufe 3 auf der Skala der menschlichen Zivilisation.

M0016626 01-001                                                                         2'04
Jean-Baptiste Lully:
Marche pour la cérémonie Turque (Instrumentalensemble)
Le Concert des Nations
Leitung: Jordi Savall

Marche pour la cérémonie Turque von Jean-Baptiste Lully, gespielt von Le Concert des
Nations, Leitung: Jordi Savall.

Auf Tiepolos Treppenhaus-Fresko deuten alle Herrscherfiguren der Kontinente nach Europa
– dorthin geht alle Bewegung; ein Euro-zentrierter Triumphzug. Und auch Sie als Besucher
haben jetzt auf dem Wendepodest dieser Pracht-Treppe die Richtung gewechselt und gehen
schnurstraks auf Europa zu. Die Herrscherin stammt aus der antiken Mythologie: Europa auf
dem Stier, der tierischen Gestalt von Göttervater Zeus. Bei Europas goldenem Brokat-
Gewand hat niemand auf den immensen Stoff-Verbrauch geachtet. Selbstbewusst,
überlegen ihr Blick und ihre Körperhaltung. Krone und Szepter unterstreichen ihren
Herrschafts-Anspruch, sie ist umringt von Pagen und geistlichen Würdenträgern, ihr zu
Füßen liegt der Erdball. Europa ist das Zentrum der menschlichen Zivilisation, sagt Tiepolos
Fresko. Die Szene ist eingerahmt in eine repräsentative Architektur und alle Künste
versammeln sich hier auf einem Fleck: die Figur der Malerei mit Farbpalette und Pinsel, die
Architektur in Gestalt des Architekten der Würzburger Residenz, Balthasar Neumann (der
lehnt an einer Kanone, denn seine Karriere begann mit einer Ausbildung zum
Glockengießer). Tiepolo hat hier auch den Stuckateur des Treppenhauses, Antonio Bossi, im
Porträt verewigt. Den Faltenwurf seines weißen, weitschwingenden Mantels hat er zuvor in
etlichen Skizzen ausgetüftelt. Bossi schaut dem Besucher, der hier die Treppe hochkommt,
forschend ins Gesicht. Neben ihm: ein Philosoph, ganz in sein Buch versunken. Und in

                                                                                               8
sicherer Distanz des Beobachters, hinter einem von Bossis Stuck-Giganten: ein
Doppelporträt von Giovanni Battista Tiepolo und seinem Sohn Giandomenico.
Der Vater streng, mit klarem und entspanntem Blick, einfach bekleidet mit Kappe und Schal.
Ganz anders der Sohn: ein hübscher Jüngling mit rosigen Backen, die gepuderte Perücke
eines Höflings tragend. Zwei Temperamente, zwei verschiedene Gesellschaftsmodelle.

Natürlich hat Tiepolo in diesem Fresko auch seinen Auftraggeber verewigt, den Würzburger
Fürstbischof Carl Philipp Greiffenclau. Auf seine Person ist letztlich alles ausgerichtet. Aber
das bewahren wir uns für den Schluss auf. Jetzt erst noch ein Blick auf die Musiker-Gruppe:
zwei Sängerinnen, begleitet von einem Blockflötisten, einem Geiger und einem Violone-
Spieler.

Einer der beiden Streicher ist wahrscheinlich der Würzburger Hofkapellmeister Giovanni
Benedetto Platti – belegen lässt sich das leider nicht, weil wir von Platti keine einzige andere
Darstellung kennen. Aber begegnet sind sich Tiepolo und Platti ganz sicher!

Ein Ausschnitt aus Plattis Cembalokonzert F-Dur, gespielt von Philippe Grisvard und dem
Ensemble Diderot.

M0571632      01-003                                                                     5'01
Giovanni Benedetto Platti:
3. Satz: Presto aus: Konzert für Cembalo und Streicher F-Dur
Philippe Grisvard (Cembalo)
Ensemble Diderot
Violine und Leitung: Johannes Pramsohler

Ein Satz aus dem Cembalokonzert F-Dur von Giovanni Benedetto Platti. Philippe Grisvard
war der Cembalist, Johannes Pramsohler leitete von der ersten Geige aus das Ensemble
Diderot.

Eine ganz neue Aufnahme, die beim SWR entstanden ist, als Co-Produktion mit dem Label
audax und speziell zur Begleitung der Tiepolo-Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart. Die
verwendet Auszüge daraus auf ihrem Audioguide.

Jetzt hab‘ ich die ganze Zeit von vier Kontinenten gesprochen – und Sie fragen sich sicher,
wo der fünfte bleibt. Australien war damals, 1752/53 nämlich von den Europäern längst
entdeckt. Tiepolo hat es schlicht unter den Tisch fallen lassen.

                                                                                                9
Alles in diesem Treppenhaus-Fresko ist auf Europa ausgerichtet. Dort bündelt sich die Macht
der Zivilisation, der Künste, der Wissenschaften, der militärischen und geistlichen Macht.
Genauer gesagt: der Nabel der Welt ist hier nicht das ganze Europa, sondern speziell
Würzburg, und mit ihm der gelehrte Fürstbischof Carl Philipp von Greiffenclau. Sein Profilbild
schwebt über der Europa-Szene: strahlender Blick, elegante Allongeperücke, würdevoll
schwarz-gerüschtes Ornat des Geistlichen. Ein goldener Lorbeerkranz umrundet das Porträt,
daran klammert sich Greiffenclaus Wappentier, eine Mischung aus Greifvogel und Drache.
Virtus, die Göttin der Tugend, hält den Rahmen, gemeinsam mit Fama, der Göttin des
Ruhms, die gerade einen beherzten Tusch aus ihrer Posaune loslässt. Greiffenclaus
hermelingefütterter Purpurmantel dient als wolkenähnlicher Hintergrund und legt sich wie ein
Baldachin über die Figur der Europa. Mit weit aufgerissenen Augen fängt die Allegorie der
Malerei dieses Spektakel ein, das inszeniert ist wie die Himmelfahrtszene einer Madonna;
mit Engeln und allem Drum und Dran.
Greiffenclaus absolutistisches Selbstverständnis kommt hier zum Ausdruck, oder man
könnte auch sagen: eine ziemlich größenwahnsinnige Allmachtsfantasie.

Der Fürstbischof, erhoben und erhaben über alle Menschen und Zeiten, als Pendant einer
Madonna und in genauer Symmetrie zum Lichtbringer Apollon, dessen Symbolkraft einer
Christusfigur gleicht.
Genau das nimmt der Besucher wahr, der die Zeremonie dieses Treppenhauses mit Augen
und Füßen durchschritten hat. Und der seiner Exzellenz dem Fürstbischof in der Audienz
gleich mit umso größerer Demut begegnen wird.

M0571632       01-015                                                                   1'35
Antonio Vivaldi:
Nr. 4: Alleluia aus: In furore iustissimae irae RV 626, Motette für Sopran, Streicher und
Basso continuo
Diana Haller (Sopran)
Ensemble Diderot
Violine und Leitung: Johannes Pramsohler

Das Alleluja aus Antonio Vivaldis Motette In furore iustissimae irae. Diana Haller war die
Sopranistin, sie wurde begleitet vom Ensemble Diderot.

Apollon und die Kontinente – und über allem schwebt der Würzburger Fürstbischof in diesem
prächtigen Treppenhaus der Würzburger Residenz. In der Musikstunde morgen bleiben wir
noch ein bisschen im Obergeschoss, hier hat Giovanni Battista Tiepolo nämlich noch den

                                                                                           10
Kaisersaal mit Fresken ausgestattet – das ist DER repräsentative Raum des Schlossses,
das großartige Treppenhaus dient eigentlich nur als Präludium zu diesem Prunkstück.

Wenn Sie die Sendung nachhören wollen, werden Sie auf der SWR2 App fündig. [Oder (mit
gekürzten Musiken) auf unserer Tiepolo-Sonderseite: swr2.de/tiepolo.]

Für heute verabschiedet sich Doris Blaich. Salve!

                                                                                      11
Sie können auch lesen