Musikstunde Partitur des Lichts - Tiepolos Bilderwelten (3) - Von Doris Blaich - SWR
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Musikstunde Partitur des Lichts – Tiepolos Bilderwelten (3) Von Doris Blaich Sendung: 30. Juni 2021 (Erstsendung: 16. Oktober 2019) Redaktion: Dr. Bettina Winkler Produktion: SWR2 2019
… die verbringen wir heute im Treppenhaus – und zwar in einem besonders prachtvollen: dem der Würzburger Residenz. Der Maler Giovanni Battista Tiepolo hat es mit dem größten Deckenfresko der Welt ausgemalt. Ich bin Doris Blaich, kommen Sie rein. Willkommen in Tiepolos Welt! Er hat sie als Deckenfresko gemalt im Treppenhaus der Würzburger Residenz: die Kontinente, dargestellt als imposante Frauenfiguren, umringt von über 100 verschiedenfarbigen Menschen: Jäger und Dienerinnen, Musiker und Krieger; darüber ein Himmel mit antiken Göttern, Sternkreiszeichen, allegorischen Figuren der christlichen Religion, allerlei Pflanzen und Tieren vom Papagei bis zum Elefanten. Und ein Porträt des Auftraggebers: Fürstbischof Carl Philipp von Greiffenclau. Ein Riesen- Wimmelbild, atemberaubend in seiner Komposition, raffiniert in seinen Perspektiven. Typisch Tiepolo: der Himmel scheint nach oben offen, sodass die Illusion eines unendlichen Raums entsteht. Tiepolos Deckenfresko ist das größte zusammenhängende Fresko, das je gemalt wurde: 677 Quadratmeter! Wie ein begehbares Kino durchschreitet der Besucher staunend Stufe für Stufe das ausgeklügelte Bildprogramm; das Gefühl der Überwältigung, ist dabei bewusst einkalkuliert als Teil einer großen Inszenierung. Kosten wir die Magie dieses Zeremoniells also aus und gehen nochmal ein paar Meter zurück: Sie kommen an in Ihrer Kutsche, unterwegs haben schon diverse Bedienstete und Würdenträger des Würzburger Hofes Spalier gestanden und Ehrensalven abgefeuert. Sie fahren durch den prächtigen Ehrenhof (hier wie fast in jedem europäischen Barockschloss hat man sich an Versailles orientiert) und durchs Eingangstor ins Foyer – im Schlösser- Vokabular Vestibül genannt. Es ist groß genug, dass Ihr Kutscher hier drinnen bequem wenden kann. So können Sie auch bei unwirtlichem Wetter trockenen Hauptes aussteigen und die Treppe hinaufschreiten. Wer besonders blaues Blut in seinen Adern fließen hat, dem kommt jetzt der Herrscher dieses Wunderreichs persönlich auf der Treppe entgegen: der Fürstbischof von Würzburg, Carl Philipp von Greiffenclau. M0448420 01-009 3'09 Philipp Heinrich Erlebach: 1. Satz: Ouverture aus: Ouvertüre für Orchester Nr. 6 g-Moll Concerto Stella Matutina Leitung: Alfredo Bernardini
Das Ensemble Concerto Stella Matutina mit der Ouvertüre in g-Moll von Philipp Heinrich Erlebach. Die gedruckten Noten waren im Bestand des Grafen von Schönborn-Wiesentheid, dem Vorgänger des Würzburger Fürstbischofs Carl Philipp von Greiffenclau. Der hat Tiepolo 1752 mit dem Deckenfresko im Treppenhaus seines Schlosses beauftragt. Und zahlt ihm ein horrendes Honorar von 12.000 rheinischen Gulden – das ist damals ungefähr der 60-fache Jahreslohn eines Maurerpoliers und 13 Mal so viel wie der Würzburger Star-Architekt Balthasar Neumann pro Jahr verdient. Ein fürstlicher Lohn, obwohl die Tiepolos zu dritt am Werk sind: Giovanni Battista Tiepolo, damals 56 Jahre alt, und seine beiden Söhne Giandomenico und Lorenzo. Zurück ins Vestibül – das ist relativ schmucklos, dunkel und niedrig. Umso wirkungsvoller der Effekt, wenn Sie jetzt zum Fuß der Treppe gehen. Da tut sich buchstäblich eine neue Welt auf: Sie entdecken Amerika! Eine majestätische Frauenfigur, barbusig, bronzefarbene Haut, geschmückt mit einer bunten Federkrone und großen goldenen Medaillons. Lässig reitet sie auf einem Krokodil, das ebenso lässig seine furchterregenden Zähne flescht. Direkt davor: eine Gruppe muskulöser sonnengegerbter Männer, die am Feuer einen Döner- ähnlichen Fleischklos grillen. Womöglich Kannibalen, denn neben ihnen liegen ein paar wüst abgeschlagene Menschenköpfe; vielleicht von weißen Einwanderern, mit denen man kurzen Prozess gemacht hat. Amerika – so sagt Tiepolos Bild – ist reich an Tieren, Früchten und Bodenschätzen und arm an Zivilisation. Die Menschen kennen schon das Feuer, leben aber immer noch unter freiem Himmel. Immerhin spielen sie schon ein paar Rhythmus-Instrumente – zwei Musiker schlagen Tambourine. Die passende Musik mag man sich damals in Europa so vorgestellt haben wie Jean-Philippes Rameau in seiner Ballett-Oper „Les indes galantes“. Hier ist daraus „Les sauvages“ – der Tanz der Wilden. M0063072 01-015 2'17 Jean-Philippe Rameau: Danses des sauvages. Rondeau, 4. Entrée aus: Les Indes galantes, Ballet héroique in einem Prolog und 4 Entrées Les Musiciens du Louvre Leitung: Marc Minkowski 3
Marc Minkowski und Les Musiciens du Louvre mit dem Tanz der Wilden aus Jean-Philippe Rameaus Ballett-Oper Les indes galantes, die galanten Inder – und „Inder“ bezeichnet damals aus Europäischer Sicht alle Nicht-Europäer, hier speziell die Ureinwohner Amerikas. „Fresco“ heißt „frisch“ – Fresken malt man in den noch feuchten Putz der Wand oder Decke. Aber natürlich nicht ohne das Bild vorher bis ins Detail auskomponiert zu haben. Tiepolo hat alles minutiös mit dem Auftraggeber Greiffenclau diskutiert und skizziert. Für sein Deckenfresko zeichnet er jede Figur zunächst auf festes Papier, im Maßstab 1:1 und mit allen Umrissen und wesentlichen Linien. Diese Kartons heftet er auf den frischen Kalkmörtel und paust die Linien durch – mit einem Nagel oder dem spitzen Ende eines Pinsels. Jetzt sieht er alle Umrandungen und kann die Farbe auftragen. Die Ritzungen sind aus der Nähe immer noch sichtbar: Selbst Feinheiten wie Haarlocken oder karierte Stoffmuster sind akribisch von der Vorlage übertragen. In dem riesigen Treppenhaus der Würzburger Residenz sind mehrere Teams gleichzeitig an verschiedenen Stellen beschäftigt: je ein Maler, ein Putzer, der für die richtige Konsistenz des Kalkmörtels verantwortlich ist und ein Gehilfe, der die Farben anrührt, die Vorlagen anheftet, die Pinsel reinigt und für die richtige Beleuchtung sorgt. Kerzen sind damals sehr teuer, wahrscheinlich behilft man sich mit Spiegeln und mit Schusterkugeln: das sind Glaskugeln, in denen ein Docht brennt und die das Licht konzentrieren und verstärken. Das alles auf einem gigantischen und recht wackligen Holzgerüst. Auf dem man aber immerhin im Stehen arbeiten kann. Abgesehen von der künstlerischen Arbeit ist so ein Fresko auch ein Knochenjob und abends tun den Malern sicher die Schultern und Armmuskeln weh. Tiepolos Amerika-Figur ist eine echte Herrscherin; auf dem Rücken trägt sie einen Bogen, ihr cooler Blick und die muskulösen Arme lassen keinen Zweifel daran, dass sie bei der nächsten Gelegenheit Pfeile damit abfeuert. An der Spitze ihres Krokodil-Zuges tragen ein paar Muskelprotze militärische Feldzeichen und eine Fahne mit einem Drachen drauf – das Symboltier des Auftraggebers Greiffenclau. Amerikas ausgestreckter Arm deutet energisch zu diesem Wappen und darüber hinaus nach links in die Weite – Richtung Europa. Aber das können Sie noch nicht wissen, wenn Sie unten im Treppenhaus stehen. Der Europäische Kontinent rückt nämlich erst ins Blickfeld, wenn man ganz oben auf der Treppe angelangt ist: als krönender Abschluss. 4
Kurze Verschnaufspause mit dem Largo aus Dvoraks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“. M0565136 01-008 5'48 Antonin Dvoràk: 2. Satz: Largo, bearbeitet für Vokalensemble a cappella aus: Sinfonie Nr. 9 e-Moll op. 95 (B 178) (Arr. Jürgen Parison) Ensemble Encore Auch ein Versuch, den amerikanischen Kontinent in Kunst zu verwandeln: Das Largo aus Antonin Dvoraks Sinfonie „Aus der neuen Welt“; Jürgen Parison hat es für das Ensemble Encore arrangiert und gerade frisch auf CD eingespielt. Über Tiepolos Amerika schwebt eine dicke Schlechtwetter-Wolke – ein imposanter Thron für den Kriegsgott Mars und seine Gattin Venus, die Göttin der Liebe, strahlend und leichtbekleidet kauert sie auf einem Brokatteppich. Direkt darüber: Apollon, der Gott des Lichts und der Künste, in schönster weltumarmender Siegerpose, umgeben vom leuchtenden Strahlenkranz der Sonne. Die Farben, Formen und Körperhaltungen wirken erstaunlich jugendstil-haft und kaum wie ein Fresko von 1752! Umgeben ist Apollon von einer Landschaft aus aprikosenfarbenen, rosaroten und ockergelben Wolken, zwischen denen schmetterlingsgeflügelte Lichtwesen flattern – die Horen, die die Stunden des Tages symbolisieren. Eine von ihnen trägt – beinahe versteckt – das Zifferblatt einer Uhr: im Götterhimmel sind sie etwas früher dran als wir hier auf Erden, es ist kurz vor acht Uhr morgens. Zeit für die Horen, Apollons Feuerrosse vor den Sonnenwagen zu spannen, mit dem er gleich seine Tagestour durch die Welt antreten wird, um sie mit seinem Licht zu erleuchten. Jean-Baptiste Lully hat ihm dafür die passende Musik komponiert: M0405618 01-019 2'37 Jean-Baptiste Lully: Air d'Apollon Café Zimmermann Das Ensemble Café Zimmerman mit einem Air d’Apollon von Jean-Baptiste Lully. Bei einem Fresko fängt man an der höchsten Stelle an und arbeitet sich dann Stück für Stück nach unten, sonst riskiert man Farbtropfen und Gipsflecken auf dem bereits Gemalten. 5
Tiepolo begann also mit Apollon und seinem Götterhimmel, denn die riesige Decke im Treppenhaus der Würzburger Residenz ist leicht gewölbt. Sie hat übrigens keine stützenden Pfeiler. Tiepolo hat die Fläche wie ein Puzzle in Tages-Abschnitte zerlegt. 219 solcher „Giornate“ – Tagwerke sind es insgesamt. Nur auf diesen Stellen brachte man morgens den Feinputz an, der dann im Lauf des Tages bemalt wurde. Die Grenzen zwischen den Tagwerken sieht man genau, da ist eine ziemlich tiefe Furche im Putz. Mal schaffte man an einem Tag ein großes Himmelsstück von mehreren Quadratmetern oder eine der prächtig aufgebauschten Tiepolo-Wolken, mal war es nur ein kleiner Putto, eine Göttin mit aufwendig-faltigem Gewand oder ein Orientale mit kunstvoll verziertem Turban. Ein gutes Jahr malen die Tiepolos und ihre Helfer an diesem Fresko – ein stupendes Tempo, auch wenn man bedenkt, dass die kalten Wintermonate ungeeignet sind für die Freskenmalerei, da trocknet der Gips nicht schnell genug. Sie haben die erste Etappe des Treppenhauses hinter sich und sind auf dem Wendepodest angelangt – jetzt eröffnet sich Ihnen die ganze Raumfülle; und Tiepolos Welt wird um zwei Kontinente reicher: auf der linken Seite erblicken Sie Asien, rechts (im Osten) Afrika. Dort hat sich ein riesiges Dromedar niedergelassen, die Personifikation Afrikas gleitet von seinem Rücken: eine selbstbewusste Fürstin, vielleicht aus Äthiopien. Samtschwarze Haut, strahlend weißes Kopftuch, Schmuck aus Gold und Perlen, ausdrucksstarke Gebärde gen Himmel (und auch ihr Zeigefinger deutet Richtung Europa). Wie eine Insignie hält sie ein Schilfbündel im Arm. Tiepolo hat dafür Malachit verwendet, ein besonders kostbares Farbpigment. Überhaupt ist rund um diese afrikanische Herrscherfigur alles teuer und edel: ein Diener kniet vor ihr nieder und würzt die Luft mit Weihrauch, in der anderen Hand hält er schon den aufgespannten Sonnenschirm parat. Ihr zu Füßen liegt ein Stillleben aus kostbaren Stoffen, Elfenbein und schönen Gefäßen. Kaufleute mit skeptischem Blick prüfen Waren und stapeln Stoffballen und Fässer. Afrika – so sagt Tiepolo hier – ist auf einem höheren Entwicklungsstand als Amerika. Man lebt nicht mehr unter freiem Himmel, sondern schon etwas zivilisierter in Zelten, der Handel mit den Europäern bringt Geld in die Kassen. Eines von Tiepolos vielen witzigen Details: ein kleines Äffchen reißt einem Straußenvogel eine Feder raus und fällt dabei auf seinen Affenpo. Auch Straußenfedern gehörten an den europäischen Höfen zu den Exportschlagern aus dem fernen Afrika. Und so klingt der schwarze Kontinent in der Fantasie von Camille Saint-Saens. 6
M0509288 01-021 9'55 Camille Saint- Saëns: Afrika op. 89 für Klavier und Orchester g-Moll Louis Lortie (Klavier) Bergen Philharmonic Orchestra Leitung: Neeme Järvi „Afrika“ für Klavier und Orchester op. 89 von Camille Saint- Saëns. Louis Lortie war der Pianist, Neeme Järvi dirigierte das Bergen Philharmonic Orchestra. Tiepolo hat im April 1752 ein Bozetto angefertigt, eine genaue Ölskizze für das Würzburger Treppenhaus-Fresko. Daneben gibt es etliche Detailstudien mit Rötelstift auf wunderschönem blauen Papier: Kleider, Gesichter, Mäntel und Tiere. Und: Tiepolos Sohn Giandomenico malte viele Figuren und Szenen nach Vollendung des Freskos nochmals ab – als „Ricordi“, Gedächtnisstützen für das familieneigene Musterbuch. Heute würde man davon kurz ein Handy-Foto machen…. Viele dieser Skizzen gehören der Graphischen Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart – die sie natürlich bei ihrer großen Tiepolo-Ausstellung zeigt und dazu noch eine Sonderausstellung mit den lichtempfindlichen Zeichnungen veranstaltet. [Letzte Woche wurden beide Ausstellungen eröffnet, sie gehen noch bis zum 2. Februar und prägen auch unsere Programm-Woche hier in SWR2. Sie finden alle unsere Tiepolo- Aktivitäten multimedial gebündelt unter swr2.de/tiepolo.] In der Musikstunde schauen wir uns heute Tiepolos Hauptwerk an: das Treppenhausfresko in der Würzburger Residenz. Wenn Sie jetzt auf die andere Seite schauen, nach Westen, landen Sie in Asien. Wieder repräsentiert durch eine fürstliche Frauenfigur: Asia, eingehüllt in ein sündhaft teures Gewand aus leuchtendem Blau, sie reitet im Damensitz erhobenen Hauptes auf einem Elefanten. Der hat – natürlich – prächtige Stoßzähne und imponiert mit seiner Masse und dem kunstvoll geschwungenen Rüssel. 30 Meter lang ist Asiens Wandfläche. Tiepolo hat sie mit mehreren Nebenszenen untergliedert, die die verschiedenen Qualitäten des Kontinents repräsentieren: links die wilde, unzivilisierte Seite mit einer barbarischen Tigerjagd und angeketteten Galeerensklaven, die vielleicht von Seeräubern entführt wurden. Ein Prachtexemplar von einem Papagei flattert darüber hinweg. Und rechts eine Szene, die Asien als die Wiege der Kultur zeigt: ein Obelisk, ein steinernes Relief mit Schriftzeichen, eine Gruppe von fackeltragenden Menschen, die einen sehr gelehrten Eindruck machen. 7
Und auf einem weiteren Steinquader: Tiepolos Signatur mit der Jahreszahl 1753. Asien, das ist hier auch die Heimat der christlichen Religion: ein Pilger in orientalischem Gewand kauert auf seinem Pilgerstab, den Blick nach Golgatha gewandt (wo allerdings nur zwei Kreuze zu sehen sind statt drei). Und es gibt noch eine Fülle von symbolträchtigen Details in diesem Bildabschnitt, über deren Bedeutung man viel rätseln und reininterpretieren kann – Tiepolo wollte hier ein bisschen Schwung in die Gedanken des Betrachters bringen und ihm ein paar Rätsel aufgeben, sowas macht er immer wieder gerne. Eindeutig ist allerdings: In Asien wohnen die Menschen in Hütten – Stufe 3 auf der Skala der menschlichen Zivilisation. M0016626 01-001 2'04 Jean-Baptiste Lully: Marche pour la cérémonie Turque (Instrumentalensemble) Le Concert des Nations Leitung: Jordi Savall Marche pour la cérémonie Turque von Jean-Baptiste Lully, gespielt von Le Concert des Nations, Leitung: Jordi Savall. Auf Tiepolos Treppenhaus-Fresko deuten alle Herrscherfiguren der Kontinente nach Europa – dorthin geht alle Bewegung; ein Euro-zentrierter Triumphzug. Und auch Sie als Besucher haben jetzt auf dem Wendepodest dieser Pracht-Treppe die Richtung gewechselt und gehen schnurstraks auf Europa zu. Die Herrscherin stammt aus der antiken Mythologie: Europa auf dem Stier, der tierischen Gestalt von Göttervater Zeus. Bei Europas goldenem Brokat- Gewand hat niemand auf den immensen Stoff-Verbrauch geachtet. Selbstbewusst, überlegen ihr Blick und ihre Körperhaltung. Krone und Szepter unterstreichen ihren Herrschafts-Anspruch, sie ist umringt von Pagen und geistlichen Würdenträgern, ihr zu Füßen liegt der Erdball. Europa ist das Zentrum der menschlichen Zivilisation, sagt Tiepolos Fresko. Die Szene ist eingerahmt in eine repräsentative Architektur und alle Künste versammeln sich hier auf einem Fleck: die Figur der Malerei mit Farbpalette und Pinsel, die Architektur in Gestalt des Architekten der Würzburger Residenz, Balthasar Neumann (der lehnt an einer Kanone, denn seine Karriere begann mit einer Ausbildung zum Glockengießer). Tiepolo hat hier auch den Stuckateur des Treppenhauses, Antonio Bossi, im Porträt verewigt. Den Faltenwurf seines weißen, weitschwingenden Mantels hat er zuvor in etlichen Skizzen ausgetüftelt. Bossi schaut dem Besucher, der hier die Treppe hochkommt, forschend ins Gesicht. Neben ihm: ein Philosoph, ganz in sein Buch versunken. Und in 8
sicherer Distanz des Beobachters, hinter einem von Bossis Stuck-Giganten: ein Doppelporträt von Giovanni Battista Tiepolo und seinem Sohn Giandomenico. Der Vater streng, mit klarem und entspanntem Blick, einfach bekleidet mit Kappe und Schal. Ganz anders der Sohn: ein hübscher Jüngling mit rosigen Backen, die gepuderte Perücke eines Höflings tragend. Zwei Temperamente, zwei verschiedene Gesellschaftsmodelle. Natürlich hat Tiepolo in diesem Fresko auch seinen Auftraggeber verewigt, den Würzburger Fürstbischof Carl Philipp Greiffenclau. Auf seine Person ist letztlich alles ausgerichtet. Aber das bewahren wir uns für den Schluss auf. Jetzt erst noch ein Blick auf die Musiker-Gruppe: zwei Sängerinnen, begleitet von einem Blockflötisten, einem Geiger und einem Violone- Spieler. Einer der beiden Streicher ist wahrscheinlich der Würzburger Hofkapellmeister Giovanni Benedetto Platti – belegen lässt sich das leider nicht, weil wir von Platti keine einzige andere Darstellung kennen. Aber begegnet sind sich Tiepolo und Platti ganz sicher! Ein Ausschnitt aus Plattis Cembalokonzert F-Dur, gespielt von Philippe Grisvard und dem Ensemble Diderot. M0571632 01-003 5'01 Giovanni Benedetto Platti: 3. Satz: Presto aus: Konzert für Cembalo und Streicher F-Dur Philippe Grisvard (Cembalo) Ensemble Diderot Violine und Leitung: Johannes Pramsohler Ein Satz aus dem Cembalokonzert F-Dur von Giovanni Benedetto Platti. Philippe Grisvard war der Cembalist, Johannes Pramsohler leitete von der ersten Geige aus das Ensemble Diderot. Eine ganz neue Aufnahme, die beim SWR entstanden ist, als Co-Produktion mit dem Label audax und speziell zur Begleitung der Tiepolo-Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart. Die verwendet Auszüge daraus auf ihrem Audioguide. Jetzt hab‘ ich die ganze Zeit von vier Kontinenten gesprochen – und Sie fragen sich sicher, wo der fünfte bleibt. Australien war damals, 1752/53 nämlich von den Europäern längst entdeckt. Tiepolo hat es schlicht unter den Tisch fallen lassen. 9
Alles in diesem Treppenhaus-Fresko ist auf Europa ausgerichtet. Dort bündelt sich die Macht der Zivilisation, der Künste, der Wissenschaften, der militärischen und geistlichen Macht. Genauer gesagt: der Nabel der Welt ist hier nicht das ganze Europa, sondern speziell Würzburg, und mit ihm der gelehrte Fürstbischof Carl Philipp von Greiffenclau. Sein Profilbild schwebt über der Europa-Szene: strahlender Blick, elegante Allongeperücke, würdevoll schwarz-gerüschtes Ornat des Geistlichen. Ein goldener Lorbeerkranz umrundet das Porträt, daran klammert sich Greiffenclaus Wappentier, eine Mischung aus Greifvogel und Drache. Virtus, die Göttin der Tugend, hält den Rahmen, gemeinsam mit Fama, der Göttin des Ruhms, die gerade einen beherzten Tusch aus ihrer Posaune loslässt. Greiffenclaus hermelingefütterter Purpurmantel dient als wolkenähnlicher Hintergrund und legt sich wie ein Baldachin über die Figur der Europa. Mit weit aufgerissenen Augen fängt die Allegorie der Malerei dieses Spektakel ein, das inszeniert ist wie die Himmelfahrtszene einer Madonna; mit Engeln und allem Drum und Dran. Greiffenclaus absolutistisches Selbstverständnis kommt hier zum Ausdruck, oder man könnte auch sagen: eine ziemlich größenwahnsinnige Allmachtsfantasie. Der Fürstbischof, erhoben und erhaben über alle Menschen und Zeiten, als Pendant einer Madonna und in genauer Symmetrie zum Lichtbringer Apollon, dessen Symbolkraft einer Christusfigur gleicht. Genau das nimmt der Besucher wahr, der die Zeremonie dieses Treppenhauses mit Augen und Füßen durchschritten hat. Und der seiner Exzellenz dem Fürstbischof in der Audienz gleich mit umso größerer Demut begegnen wird. M0571632 01-015 1'35 Antonio Vivaldi: Nr. 4: Alleluia aus: In furore iustissimae irae RV 626, Motette für Sopran, Streicher und Basso continuo Diana Haller (Sopran) Ensemble Diderot Violine und Leitung: Johannes Pramsohler Das Alleluja aus Antonio Vivaldis Motette In furore iustissimae irae. Diana Haller war die Sopranistin, sie wurde begleitet vom Ensemble Diderot. Apollon und die Kontinente – und über allem schwebt der Würzburger Fürstbischof in diesem prächtigen Treppenhaus der Würzburger Residenz. In der Musikstunde morgen bleiben wir noch ein bisschen im Obergeschoss, hier hat Giovanni Battista Tiepolo nämlich noch den 10
Kaisersaal mit Fresken ausgestattet – das ist DER repräsentative Raum des Schlossses, das großartige Treppenhaus dient eigentlich nur als Präludium zu diesem Prunkstück. Wenn Sie die Sendung nachhören wollen, werden Sie auf der SWR2 App fündig. [Oder (mit gekürzten Musiken) auf unserer Tiepolo-Sonderseite: swr2.de/tiepolo.] Für heute verabschiedet sich Doris Blaich. Salve! 11
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