DIE BIENE WEISS, WER SIE IST
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Dass Bienen irgendwie zum Honig finden, weiß jedes Kind. Aber abstrakt denken? Oder gar träumen? Den Bienenforscher Randolf Menzel haben sie immer wieder überrascht »DIE BIENE WEISS, WER SIE IST« Stefan Kleins Wissenschaf tsgespräche (25) In Zusammenarbeit mit einem Bienenvolk entstehen die Skulpturen des chinesischen Künstlers Ren Ri
24 Können Tiere denken? Viele Hundebesitzer sind überzeugt, dass ihr Gefährte vieles versteht und auch Gefühle empfin- det. Aber Insekten halten die meisten Menschen für Wesen ohne Geist und Verstand. Vielleicht, weil diese Tiere uns so fremd sind, oder auch, weil man sich kaum vorstellen kann, dass in einem Hirn, das kleiner ist als ein Sesamkorn, viel vorgeht. Randolf Menzel untersucht seit fünf Jahrzehnten das Gehirn der Biene. Wir trafen uns in seinem Labor am Neurobiologischen Institut der Freien Universität Berlin. Herr Menzel, Sie haben Ihr Leben mit Bienen ver- bracht. Wie kamen Sie dazu? Schon mein Urgroßvater war Zoologe und mein Großvater auch. Er hatte sich im Jahr 1900 ein Leitz-Mikroskop ge- Stefan Klein, kauft. Mein Großvater war noch Student und musste für sein Instrument lange sparen. Es war aus Messing, wunder- geboren 1965, ist Biophysiker und Autor. schön, und lag in einem herrlichen Kasten. Als die Familie Zuletzt erschien von ihm »Träume: Eine Reise in aus dem Sudetenland floh, rettete mein Großvater sein unsere innere Wirklichkeit« (S. Fischer). Mikroskop in den Westen. Er vermachte er es demjenigen Für das ZEITmagazin führt er regelmäßig Gespräche seiner Enkel, der einmal Zoologe werden sollte. Obwohl mit Wissenschaftlern. ich erst 15 war, bestand meine Mutter darauf, dass ich das Instrument erbte. Ich hatte damals einen Teich im Garten Randolf Menzel, gegraben. Und gerade als ich das Mikroskop bekommen hatte, färbte sich der ganze Teich rot. Ich betrachtete das geboren 1940, leitete von 1976 bis 2008 das Wasser durch das Mikroskop und erkannte nicht nur die Neurobiologische Institut der Freien Universität blühenden Algen darin, sondern auch Plankton und viele Berlin. Er gilt als Autorität auf dem Gebiet andere Tiere. Da war ich gefangen. der tierischen Intelligenz und zugleich als einer Wovon? der bedeutendsten Hirnforscher in Deutschland. Von dieser ganz anderen Welt. Ich studierte also Biologie und schlug meinem Professor eine Doktorarbeit darüber vor, wie Rädertierchen lernen. In deren glasklaren Körpern sehr aktives Geruchsorgan. Bienen merken auch, ob eine können Sie nämlich jede einzelne Nervenzelle erkennen. andere alt oder jung, hungrig oder satt ist. Aber der Professor hielt mich für etwas verrückt ... Was bringen Sie den Bienen nun bei? ... weil er sich nicht vorstellen konnte, dass Rädertier- Verschiedene Regeln. Zum Beispiel, ob etwas gleich oder chen ein Gedächtnis haben? verschieden ist. Die Biene fliegt durch ein Türchen und Genau. »Was sollen diese Planktonorganismen schon ler- sieht dann eine blaue oder eine gelbe Marke. Jetzt muss sie nen?«, fragte er. »Die treiben doch nur im Wasser herum.« sich entscheiden, ob sie zu einer weiteren blauen oder zu Immerhin schickte er mich zu einem Kollegen nach Frank- einer gelben Marke hinfliegen will. Wenn die Farben der furt. Der erklärte, Plankton interessiere ihn nicht. Aber nacheinander gesehenen Marken verschieden sind, be- wenn ich über Lernen und Gedächtnis arbeiten wolle, kommt sie Zuckerwasser, sonst nicht. Das findet sie schnell könne ich es ja mit Bienen versuchen. heraus. Jetzt können Sie grüne und violette Marken neh- Nun vermuten wohl die wenigsten Menschen in Bienen men, und wieder wird sich die Biene richtig entscheiden. Intelligenz. Sie hat die Regel verstanden. Oder man lässt die Farben FOTO FRANZISKA LENTES Bienen sind verdammt gescheit. Sie lernen ungeheuer ganz weg und verwendet stattdessen verschiedene Muster. schnell. Und sie sind zuverlässig. Sie sind eigentlich die Oder Düfte. Denn hat die Biene die logische Operation idealen Versuchstiere für eine Dressur. Einmal habe ich drei »gleich oder ungleich« erst einmal mit Farben oder Mus- Wochen lang mit einer einzigen Biene gearbeitet. In der tern gelernt, überträgt sie ihr Wissen sogar auf Gerüche. Zeit hat sie etwa 25 000 Entscheidungen getroffen. Es kommt also gar nicht mehr darauf an, was gleich Woher wissen Sie, dass es immer dieselbe Biene war? oder ungleich ist. Die Biene schließt von dem, was sie Wir kleben ihnen Nummern auf den Rücken. Sonst könn- konkret gesehen hat, auf ein Prinzip. ten wir sie nicht auseinanderhalten. Eine interessante Frage Sie kann abstrakt denken: Diesen Schluss muss man zie- ist übrigens, ob sie sich gegenseitig erkennen. hen, wenn man die in der Tierpsychologie übliche Termi- Glauben Sie das? In einem Bienenstaat leben 50 000 nologie verwendet. und mehr Tiere zusammen. Mich erinnert Ihr Versuch daran, wie Schüler Mathe- Ich weiß es nicht. Bestimmte Holzwespen erkennen einan- matik lernen. Erst zählen sie Bonbons und Äpfel. der. Im Bienenstaat kennt sicher nicht jedes Tier jedes. Dann ersetzen sie die Dinge, die sie anfassen können, Aber das Volk gliedert sich in einige Hundert Gruppen. durch eine Zahl. Und irgendwann führt der Lehrer Und die Gruppen können einander ganz eindeutig an ih- Variable ein, Buchstaben, die für irgendeine Zahl ste- rem Duft unterscheiden. Der Oberkörper jeder Biene ist hen können. Jetzt müssen die Schüler logische Prinzi- mit einer Wachsschicht überzogen, die Duftstoffe enthält. pien verstehen. Können auch Bienen Mathe lernen? Und wenn die Bienen einander betasten, nehmen sie diese In einem Versuch haben wir ihnen Zelte auf die Flugstrecke Information auf. Sie haben vorne an ihren Antennen ja ein gestellt. Wenn sie Nektar sammeln, fliegen Bienen ja auf
25 möglichst geradem Weg zwischen Futterquelle und ihrem ... andererseits ist überhaupt nicht klar, worin genau Stock hin und her. Wir gewöhnten sie daran, dass es nach Intelligenz bei Tieren besteht. dem dritten Zelt Zucker gibt. Also suchten sie bald nach Eben. Darum sind auch alle Versuche, die Intelligenz ver- dem dritten Zelt nach Futter – auch wenn wir die Zelte aus- schiedener Tierarten zu vergleichen, gescheitert. Die Arten einanderrückten oder den Abstand verringerten. leben ja ganz unterschiedlich, und jede nimmt die Welt Sie behaupten, die Bienen können zählen? anders wahr. Bienen sehen weniger Details, dafür zehnmal Bis drei vielleicht. Sie entwickeln jedenfalls eine Vorstel- mehr Bilder pro Sekunde als wir. Oder nehmen Sie eine lung von Mengen – so ähnlich wie ein Kleinkind. Über- schnelle Auffassungsgabe: Ist sie wirklich ein Zeichen be- haupt haben sie erstaunlich viele unserer geistigen Fähig- sonderer Intelligenz? Sie nützt nur, wenn Sie sich in einer keiten. Wenn Sie zwischen der Lernfähigkeit der Bienen Umgebung durchschlagen müssen, die sich dauernd ver- und unserer eigenen grundlegende Unterschiede finden ändert. Ist Ihre Umwelt dagegen stabil, haben Sie bessere wollen, dann müssen Sie schon sehr genau hinschauen. Chancen, wenn Sie sich langsamer anpassen. Sie vergleichen Ihren eigenen und meinen Verstand René Descartes, der große Philosoph der französischen mit dem einer Biene? Üblicherweise heißt es doch, nur Aufklärung, nannte Tiere Automaten. Das war im Menschen denken. Insekten sieht man eher als Robo- 17. Jahrhundert. Nicht einmal Affen wollte Descartes terchen. Was antworten Sie auf den Vorwurf, die Bie- Gefühle und Verstand zugestehen: »Sie fressen ohne nen zu vermenschlichen? Freude, weinen ohne Schmerz, wachsen, ohne es zu wis- Natürlich sind Insekten in vieler Hinsicht anders als wir. sen. Sie wollen nichts, fürchten nichts, wissen nichts.« Zum Beispiel würde ich nie sagen, die Bienen hätten eine Ich kann seine Sichtweise nachvollziehen. Mir selbst war »Sprache«. Wenn sie ihren Schwänzeltanz aufführen, geben zwar immer klar, wie gut Bienen lernen. Trotzdem sah ich sie sie zwar Flugziele bekannt ... lange Zeit sehr mechanisch. Ich hatte keine Vorstellung von ... indem sie vor ihren Schwestern liegende Achten der Tiefe ihrer Gehirntätigkeit. Vor zwanzig Jahren wäre mir laufen und dabei mit dem Hinterteil wackeln. Die das Wort »Bienengeist« nicht über die Lippen gekommen. Ausrichtung der Acht zeigt die Flugrichtung zur Fut- Gab es ein Schlüsselerlebnis? terquelle an, und je schneller die Tiere laufen, umso Das war, als wir ihre Navigation untersuchten. Ich dachte, näher ist das Ziel. die Bienen finden ihren Weg nach einem einfachen Auto- Der Tanz der Bienen ist symbolisch. Trotzdem gebrauchen matismus, wie Roboter. So haben wir das dann auch ver- sie keine Sprache, denn der Schwänzeltanz hat keine öffentlicht. Doch in den nächsten Versuchen ging uns auf, Grammatik. Aber bedeuten solche Unterschiede, dass Tie- dass die Bienen etwas viel Intelligenteres machen – dass sie re grundsätzlich nicht denken können? planen können. All das hatten wir bis dahin nicht gesehen. Leider haben wir nur einen Maßstab für Intelligenz – Mir fehlten die geistige Offenheit, aber auch die richtigen unseren eigenen. Je mehr unserer Fähigkeiten ein Ge- Methoden für die Experimente. Jedenfalls musste ich alles schöpf hat, desto klüger finden wir es. Aber warum widerrufen, was ich geschrieben hatte. sollte es keine ganz anderen Formen der Intelligenz Was genau war denn die neue Erkenntnis? geben? Und wenn es sie gibt: Könnten wir sie über- Dass Bienen ziemlich komplexe Entscheidungen treffen. Sie haupt erkennen? folgen keineswegs nur stur einem Programm, sondern haben Ja, wir tun so, als ob Geist nur Menschengeist sein kann. Absichten und Pläne. Wir haben das erkannt, als wir einmal Und das ist falsch. Aber da stecken wir in einem Dilemma. ihre gewohnte Futterquelle versiegen ließen. Sobald die Bie- Einerseits müssen wir annehmen, dass sich unsere Intelli- nen das herausfinden, fliegen sie zum Stock zurück. Manche genz in der Evolution nur allmählich aus jener der Tiere Tiere brechen dann erneut zu der gewohnten Futterstelle auf entwickelt haben kann ... und werden natürlich wieder enttäuscht. Andere folgen den
27 Tänzen von Schwestern im Schwarm, die ihnen eine andere nisse ihres eigenen Handelns voraus. Dazu braucht sie zum Futterstelle anzeigen. Aber wir hatten dafür gesorgt, dass es Beispiel ein Erleben und eine Simulation des eigenen Kör- dort auch nichts gab. Nun hätten wir erwartet, dass die frus- pers. Die Biene weiß, wer sie ist. trierten Bienen zum Stock zurückfliegen. So hätte es ein ein- Hat die Biene eine Seele? fach programmiertes Wesen gemacht – Versuch und Irrtum. Sie hat eine innere Welt. Sie können auch Seele dazu sagen. Aber die Bienen handelten viel klüger: Die Tiere, die es noch Tiere sind jedenfalls nicht bewusstlos – auch wenn ihnen einmal an der alten Futterstelle versucht hatten, steuerten natürlich unser Sprachbewusstsein oder die Erinnerung an auf kürzestem Weg den Ort an, den ihnen ihre tanzenden eine Biografie fehlt. Aber verstehen Sie mich nicht falsch. Schwestern mitgeteilt hatten. Ich bin kein Pantheist. Ich glaube nicht, dass Steine oder Sie konnten sich erinnern. Pflanzen ein Bewusstsein haben. FOTOS SEITEN 2223, 26 ARTWORK REN RI, FOTOS ALESSANDRO DE TONI Mehr noch: Sie konnten die Information, die ihnen im Warum eigentlich nicht? Pflanzen sind zu erstaunlich Stock mitgeteilt worden war, jetzt an einem neuen Ort komplexen Reaktionen imstande. sinnvoll verwenden. Dabei war die Flugrichtung zwischen Aber sie haben kein Gehirn. Und das brauchen Sie, um die alter und neuer Futterstelle eine ganz andere als bei dem Welt abzubilden. Weg vom Stock aus, der ihnen vorgetanzt wurde. Eine Qualle hat auch kein Gehirn. Da beherrschen die Bienen etwas, was meiner zehnjäh- Einverstanden, es gibt ein Quallenbewusstsein. Rippenqual- rigen Tochter noch immer schwerfällt. Sie weiß zwar len besitzen ein dezentrales Nervensystem, das die Sinneser- die Wege von unserem Haus zu ihren Freundinnen, fahrung mit der Information über die eigenen Bewegungen aber von der Wohnung der einen Freundin zu einer verbindet. Sie haben eine primitive Selbstwahrnehmung. anderen findet sie nicht. Dann frage ich mich, warum es keine bewussten Ro- Meine norwegischen Kollegen May-Britt und Edvard Mo- boter geben soll. Das Bienengehirn besteht aus gut ei- ser haben gezeigt, dass Säugetiere und wir Menschen für ner Million Neuronen. Dieselbe Rechenleistung diese Art der Orientierung so etwas wie eine Landkarte im brachten die Computer schon vor gut 20 Jahren. Und Kopf besitzen. Dafür haben die Mosers, in deren Labor ich in jedem Baumarkt bekommen Sie heute Mähroboter, Gastprofessor war, in diesem Jahr den Medizinnobelpreis die sich, von Sensoren gesteuert, autonom durch Ihren bekommen. Ich bin überzeugt, dass auch Bienen eine solche Garten bewegen. Und wenn sich eine Katze nähert, innere Landkarte haben. Aber das ist nicht alles. Die Tiere stoppt der Roboter seine Messer. So intelligent wie sind überdies in der Lage, ganz unterschiedliche Informa- eine Qualle handelt der allemal. tionen miteinander zu verbinden: die Erfahrung, dass der Sie haben recht, künftige Maschinen werden auch alle geis- gewohnte Futterplatz leer ist, die Erinnerung an den Tanz tigen Fähigkeiten einer Biene besitzen. Doch Sie müssen der Kundschafterinnen, das Wissen aus der Landkarte. das Ding eben erst programmieren. Die Maschine tut nur Sie machen sich eine Vorstellung von der Welt – wie das, worauf ihr Erbauer sie angelegt hat. ich, wenn ich mir jetzt überlege, wie ich später nach Für sie ist der Ingenieur, der sie schuf, Gott. unserem Gespräch nach Hause komme. Das Tier dagegen ist autonom. Es vermehrt sich selbst und Genau. So funktioniert unser Denken. Wir malen uns ver- hat ein phylogenetisches Gedächtnis ... schiedene Möglichkeiten aus, und die verhandeln wir dann ... angeborenes Wissen, das die Tierart im Lauf der in unserer inneren Welt. Und so scheint auch die Biene zu Evolution erworben hat. denken. Offenbar kann sie sich etwas vergegenwärtigen, Dieses Wissen ist in der DNA verschlüsselt, und die gibt was gar nicht da ist. Und dabei hat sie nicht nur eine Vor- das Tier weiter. Das kann der Rasenmäher nicht. stellung von der Welt, sondern auch von sich selbst. Wenn Aber schon die Bienen sind nicht nur von der Evolu- sie sich für oder gegen etwas entscheidet, sagt sie Ergeb- tion programmiert. Ihre Versuche zeigen doch, wie
28 flexibel die Tiere in ihrem Verhalten sein können. Und offenbar hat die Biene eine eigene innere Welt. Aber was sie ich würde vermuten, sie können sich nicht nur ihrer wirklich empfindet, kann sie uns leider nicht sagen. Umwelt anpassen, sondern lernen auch von ihren Essen Sie Fleisch? Stammesgenossen. Möglicherweise haben Bienen so Ja. Mir erschiene es auch nicht sinnvoll, wie diese Jain- etwas wie eine Kultur. Priester in Indien bei jedem Schritt den Boden vor mir zu Bei den Bienen ist das nicht so klar. Es gibt zwar verschiede- kehren, damit ich kein Insekt zertrete. ne Dialekte in der Tanzkommunikation, und die Völker Wenn Sie durch Unachtsamkeit ein menschliches Le- missverstehen einander. Das könnte aber auch genetische ben zerstören, kommen Sie vor Gericht. Wenn aber Ursachen haben. Ich habe allerdings einmal eine Wüsten- auch Tiere empfinden und denken, scheint mir der ameise untersucht, die in Israel lebt. Da haben wir beobach- Unterschied, den Sie machen, schwer zu erklären. tet, wie erfahrene Läuferinnen junge Tiere packen und sie Unsere Moral ist zuerst eine für die menschliche Gemein- von einem Eingang der Kolonie zum nächsten schleppen – schaft. Erst im zweiten Schritt stellt sich die Frage: Inwie- als wollten sie die jüngeren belehren, indem sie ihnen diese weit müssen wir diese Regeln auf andere Wesen übertragen, in der Hitze lebensrettenden Eingänge zeigen. weil sie uns ähneln? Deshalb diskutieren wir intensiv, was Noch erstaunlicher ist, wie manche Tintenfische von- wir uns gegenüber Affen herausnehmen dürfen. einander lernen. Ein Oktopus kann einem anderen Weil sie uns ganz offensichtlich ähneln. Aber diese Er- abschauen, wie man Gurkengläser aufschraubt. fahrung machen wir doch mit anderen Tieren genau- Bienen lernen noch viel mehr voneinander. Sie können so: Je besser wir sie erforschen, umso mehr Ähnlich- sich über einen symbolischen Code verständigen. keiten entdecken wir. Wenn Bienen ihr Wissen austauschen, beeinflussen sie Allerdings auch mehr Unterschiede. Ich glaube, dass wir sich gegenseitig. Man könnte sagen: Nicht nur das Ge- zwischen dem Erlaubten und dem Verbotenen keine zu hirn jedes einzelnen Tiers, sondern der ganze Schwarm starren Grenzen setzen sollten. Es gibt da einen gleitenden denkt. Übergang. Und Sie haben recht: Früher haben Menschen Manche Kollegen sprechen vom ganzen Bienenvolk als Su- zwischen sich selbst und den Tieren ein sehr steiles Gefälle perorganismus. So trifft der ganze Schwarm zum Beispiel gesehen. Heute erscheint uns dieser Niveauunterschied die Entscheidung, wo ein neues Nest errichtet werden soll. geringer. Und folglich erweitern wir den Geltungsbereich Dabei verfügen nur wenige Bienen, die die Gegend erkun- unserer Moral. det haben, über das nötige Wissen. Aber diese Kundschafte- Bemerken Sie diese Veränderung auch an sich selbst? rinnen werben mit ihrem Tanz für ihren bevorzugten Ort. Ja. Ich sehe Bienen heute stärker als verständige Wesen. Für Je besser ein Nistplatz erscheint, desto länger tanzt eine viele Versuche ist es nach wie vor nötig, sie zu fixieren oder in Biene, und umso mehr schließen sich ihr andere an. Und den Kühlschrank zu stellen. Wenn wir ein Tier für ein elek- nun beginnen diese Gruppen der Tänzerinnen, miteinander trophysiologisches Experiment heranziehen, müssen wir sein zu verhandeln. Die Tiere versuchen nicht nur, Anhängerin- Gehirn freilegen, und das überlebt es nicht. Aber ich treffe nen zu gewinnen, sondern auch, konkurrierende Tänze zu solche Entscheidungen heute sehr viel bewusster als früher. stoppen, indem sie den Rivalinnen ein Stoppsignal zubrum- Können Sie sich eigentlich vorstellen, wie es sein mag, men. Irgendwann setzt sich eine Gruppe durch. Nun bege- eine Biene zu sein? ben sich Kundschafterinnen in das Innere des Schwarms Ich erfahre das vor allem in meinen Träumen. Darin kann und verkünden die Entscheidung. Sie erhitzen die anderen ich fliegen wie ein Insekt. Ich spüre: Das ist kein Vogelflug, mit ihren Muskelkontraktionen bis auf 40 Grad. Und sondern es rüttelt. Ich schwebe zwischen Zweigen hindurch, dann, tschuuu!, geht der Schwarm hoch. die Blüten sind riesig. Und ich nehme die Farben so wahr Eine einzelne Biene könnte gar nicht entscheiden, wo wie eine Biene: Es gibt kein Rot, dafür wunderbare Schat- das Nest gebaut werden soll. Sie weiß zu wenig. Viel- tierungen von Blau. Die reifen Früchte leuchten bunt zwi- leicht wirken die Tiere im Schwarm ja so ähnlich zu- schen den grauen Blättern. Ich meine sogar, dass ich Ultra- sammen wie die Neuronen im Gehirn. Sie erregen und violett sehen kann: Die Blüten tragen Muster in dieser hemmen einander, und am Ende kommt eine Ent- Farbe! Gelegentlich begegne ich auch seltsamen Bienen, die scheidung heraus. Vierbeiner geworden sind. Ihre vorderen Beine haben sich Ja. Der Superorganismus hat sogar Gefühlszustände. Der zu Scheren und Messern weiterentwickelt. Damit zerklei- Schwarm kann aggressiv sein oder auch glücklich, zum Bei- nern sie Früchte und stopfen das Mus in ihre Flügelsäcke. spiel, wenn er das Pheromon seiner Königin wahrnimmt. Vielleicht würde eine Biene so träumen. Aber Insekten Im Kopf jeder einzelnen Biene kann die Erregung nur we- träumen nicht. niger Nervenzellen das ganze Gehirn beeinflussen und Meinen Sie? Ich bin mir da neuerdings nicht mehr so sicher. Emotionen auslösen. Im Bienenvolk gibt es ähnliche Kop- Sie schlafen. Und wie wir Menschen und andere Säugetiere, pelungen. Pheromone wirken darin so wie Botenstoffe im so verbessern sie ihr Gedächtnis im Schlaf. Wir machen ge- Gehirn: Sie verändern den Zustand des ganzen Systems. rade Versuche dazu. Interessanterweise brauchen Bienen Und wenn die informierten Tiere immer wieder durch den umso mehr Schlaf, je kompliziertere Dinge sie sich einprä- Schwarm hindurchschießen, können sie die eigene Erre- gen sollen. Wir haben gesehen, dass Bienen auch verschiede- gung auf die anderen übertragen. Dasselbe erledigen Neu- ne Schlafphasen haben. Wenn wir Menschen besonders in- ronen mit langen Ausläufern im Gehirn. tensiv träumen, bewegen wir unter den geschlossenen Lidern Hat auch jede einzelne Biene Gefühle? Empfindet sie die Augen schnell hin und her. Bei den Bienen beobachten zum Beispiel Schmerz? wir etwas Ähnliches: Plötzlich fangen sie im Schlaf an, wild Wir wissen, dass es in ihrem Kopf spezielle Neuronen für mit ihren Antennen zu schlagen. Wollen Sie es sehen? Belohnung, also Freude, oder auch Aggression gibt. Und Oh ja. Lassen Sie uns in Ihr Bienen-Schlaflabor gehen. ZEITMAGAZIN NR . XX
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