Muskuloskelettale Gesundheit von Friseuren - Arbeits- und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz - Uni Europa
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Muskuloskelettale Gesundheit von Friseuren - Arbeits- und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz Medizinisches Referenzdokument
Impressum Inhalt Abstract Scoping Review........................................................................................................ 5 Einleitung.................................................................................................................................. 6 Autoren: Agnessa Kozak1 1. Friseursektor in Europa................................................................................................ 8 Claudia Wohlert1 1.1. Europäische Bestrebungen zur Stärkung des Arbeits- und Tanja Wirth1 Gesundheitsschutzes....................................................................................... 10 Olaf Kleinmüller1 1.2. Bestrebungen des sektoralen sozialen Dialogs für den Friseursektor....... 10 Miet Verhamme2 Rainer Röhr 3 2.Das Muskel-Skelett-System....................................................................................... 12 Albert Nienhaus1,4 2.1. Aufbau und Funktion........................................................................................ 12 2.2. Muskel-Skelett-Erkrankungen......................................................................... 13 1 Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Competenzzentrum Epidemiologie 2.2.1. Arbeitsbedingte Muskel-Skelett-Erkrankungen.................................. 13 und Versorgungsforschung bei Pflegeberufen (CVcare), Hamburg, Germany 2.2.2. Risikofaktoren für Muskel-Skelett-Erkrankungen............................... 15 2.2.3. Ökonomische Relevanz......................................................................... 21 2 Unie van Belgische Kappers vzw, Gent, Belgien 2.2.4. Ökonomischer Nutzen der Prävention von MSE im Unternehmen......................................................................................... 22 3 Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks Deutschland, (ehem. Hauptgeschäftsführer) Coiffure EU (ehem. Sekretär für Gesundheits- 3.Scoping Review zur muskuloskelettalen Gesundheit bei Friseuren....................... 24 und Arbeitsschutz) 3.1. Hintergrund....................................................................................................... 24 3.2. Methoden.......................................................................................................... 26 Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), 4 3.3. Ergebnisse........................................................................................................ 27 Abteilung Arbeitsmedizin, Gefahrstoffe und Gesundheitswissenschaften (AGG) 3.3.1. Prävalenz von Muskel-Skelett-Beschwerden...................................... 28 3.3.2. Gründe für den vorzeitigen Berufsausstieg........................................ 29 Design und Umsetzung: 3.3.3. Vergleichende Ergebnisse.................................................................... 29 in.signo GmbH, Hamburg 3.3.4. Arbeitsbezogene Risikofaktoren und biomechanische Untersuchungen.................................................................................... 30 Druck: 3.3.5. Präventive und rehabilitative Ansätze zur Vorbeugung / OSTERKUS[S] gGmbH, Hamburg Reduktion von MSE............................................................................. 33 3.3.6. Strategien und Hindernisse zur Vorbeugung und Reduktion von Bildnachweis: MSE........................................................................................................ 35 Fotolia/LIGHTFIELD STUDIOS (Titel), iStock/andresr (S. 4), iStock/Nastasic (S. 7), 3.4. Diskussion......................................................................................................... 36 freepik.com (S. 8-9), Fotolia/Leonid (S. 11), Fotolia/DenisProduction.com (S. 16), 3.5. Schlussfolgerung.............................................................................................. 37 iStock/robertprzybysz (S. 19), Fotolia/Jacob Lund (S. 22), iStock/dimid_86 (S. 24-25), Fotolia/JackF (S. 33, 43), Fotolia/Maksim Shebeko (S. 38-39), Fotolia/phpetrunina14 4. Ergebnisse aus den Workshops in Hamburg und Paris – ergoHair-Projekt........... 38 (S. 44-45), Fotolia/pololia (S. 53), iStock/DjelicS (S. 82-83) 5.Ergonomische und organisatorische Präventionsansätze....................................... 44 Dieses Projekt wurde von der Europäischen Union finanziell unterstützt 5.1. Ergebnisse aus den Workshops des ergoHair-Projekts............................... 46 (Ref. VS/2017/0077) 5.1.1. Prävention in der Aus-, Fort- und Weiterbildung................................ 46 5.1.2. Ergonomische Gestaltung und Einrichtung......................................... 47 Für die Übernahme der Druckkosten bedanken wir uns bei der BGW 5.1.3. Ergonomisches Arbeiten....................................................................... 49 5.1.4. Allgemeine organisatorische Rahmenbedingungen........................... 50 Erscheinungsdatum: 5.1.5. Möglichkeiten der Risikobewertung..................................................... 51 04. April 2019 5.2. Muskel-Skelett-Beschwerden in der Schwangerschaft............................. 53 6. Anhang......................................................................................................................... 54 7. Literaturverzeichnis.................................................................................................... 70 3
Abstract Scoping Review Zielsetzung: Die mit dem Friseurhandwerk über Schulterhöhe angehobenen Armen, verbundenen Tätigkeiten können Muskel- häufig wiederkehrende Bewegungen, ein Skelett-Erkrankungen (MSE) verursachen großer Kraftaufwand der oberen Extremi- oder verschlimmern. Ziel dieses Scoping täten, unangenehme Rückenhaltungen und Reviews ist es, Kenntnisse über den aktu- Rückenbewegungen (z.B. Beugen und Ver- ellen Forschungsstand zu den Risiken für drehen des Oberkörpers oder statische MSE sowie zu Präventionsmaßnahmen im Haltung), hohe mechanische Belastung Friseurhandwerk zu gewinnen und mögli- und Stehen. Der Effekt dieser Risikofakto- che Forschungslücken zu ermitteln. ren kann durch fehlende angemessene Pausen, eine hohe Arbeitslast und allge- Methoden: Bis zum Mai 2017 veröffent- meine Stressbelastung verstärkt werden. lichte Studien (Update November 2018) wurden anhand einer systematischen Es wurden sechs Interventionsstudien Suche in elektronischen Datenbanken gefunden, die rehabilitative oder präventive (MEDLINE, PUBMED, CINAHL, Web of Maßnahmen untersucht haben. Lediglich Science, LIVIVO), Google Scholar und die rehabilitativen Interventionen wiesen Referenzlisten von Artikeln identifiziert. Die positive Effekte auf die Bewältigung der Studien wurden von zwei Forschenden un- physischen und mentalen Belastung auf abhängig voneinander ausgewählt sowie und führten zu einer erheblichen Schmerz- quantitativ und narrativ zusammengefasst. minderung, einer erhöhten physischen Gepoolte Effektschätzer für eine Zwölf- Belastbarkeit und zu Kenntnissen über Monats- und eine Punktprävalenz von MSE potenzielle Risikofaktoren für MSE. wurden anhand von Modellen mit zufälligen Effekten berechnet. Schlussfolgerung: Diese Daten liefern einige Hinweise zu den berufsbedingten Ergebnisse: Insgesamt wurden 44 Stu- Belastungen und Beanspruchungen im Fri- dien in das Scoping Review eingeschlos- seurhandwerk und weisen darauf hin, dass sen. 19 Studien gaben eine MSE-Prävalenz Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit an: die höchste durchschnittliche Zwölf- und Sicherheit notwendig sind. Um fun- Monats-Prävalenz wurde für den unteren dierte und nachhaltige Empfehlungen ab- Rücken mit 48 % (95 %-KI 35,5-59,5) leiten zu können, bedarf es weiterer For- ermittelt, gefolgt von dem Nacken mit 43 % schung. Es sind qualitativ hochwertige und (95 %-KI 31,0-55,1), den Schultern mit 42 % langfristige Interventionsstudien erforder- (95 %-KI 30,1-53,2) und der Hand/den lich, um die Wirksamkeit der komplexen Handgelenken mit 32 % (95 %-KI 22,2- Präventionskonzepte zu klären. 40,8). Im Vergleich zu anderen Berufsgrup- pen berichteten Friseure häufiger über MSE in allen Körperregionen und sie haben ein größeres Risiko, aus gesundheitlichen Gründen aus dem Beruf aussteigen zu müssen. Zu den Risikofaktoren, die die Arbeitsfähigkeit verringern und MSE ver- stärken können, zählen das Arbeiten mit 4 5
Einleitung Mit dem Projekt zur „Förderung von gesun- heitsfördernden Verhaltens am Arbeits- schulischen Maßnahmen zum Arbeits- und Im Kapitel 5 werden anschließend Anre- den und sicheren Arbeitsbedingungen im platz zu vermitteln. Dies betrifft sowohl die Gesundheitsschutz ge-nommen werden gungen und Vorschläge zur Förderung von Friseurhandwerk durch die Gestaltung von Beschaffung der Produkte, die Organisa- muss. gesunden und sicheren Arbeitsbedingun- ergonomischen Arbeitsplätzen und -abläu- tion der Arbeitsabläufe als auch den Um- gen im Friseurhandwerk durch die ergono- fen“ (ergoHair) wird die einheitliche Umset- gang mit den Beschäftigten. Mit diesem Im Kapitel 4 werden weitere Forschungs- mische Gestaltung von Arbeitsplätzen und zung der im Sozialpartnerabkommen fest- medizinischen Referenzdokument wird ergebnisse zusammengetragen, die in den -abläufen zusammengetragen. gelegten Kernbereiche zur Förderung von beabsichtigt, den Akteuren in der Friseur- Workshops (Hamburg und Paris) vorge- gesunden und sicheren Arbeitsplätzen in branche eine Anleitung zur Verfügung zu stellt wurden. der Friseurbranche angestrebt [1, 2]. Dabei stellen, welche Kriterien bei der Entwick- sollen Synergien gestärkt und der gemein- lung eines gesunden Arbeitsumfelds zu same Austausch zwischen europäischen beachten sind. Ausschüssen für den sektoralen sozialen Dialog gefördert werden. So soll ein Bei- Im Kapitel 1 wird der Friseursektor in trag zur Harmonisierung des Arbeits- und Europa beschrieben und die allgemeinen Gesundheitsschutzes unter besonderer Ansätze zur Stärkung des Arbeits- und Berücksichtigung der ergonomischen Gesundheitsschutzes seitens der Europä- Arbeitsplatzgestaltung und -ausstattung ischen Union und der sektoralen Sozial- sowie zur Förderung von effektiven ergo- partner aufgezeigt. nomischen Arbeitsweisen geleistet wer- den. Das übergeordnete Ziel ist es, durch Kapitel 2 beschäftigt sich mit dem anato- zielgruppenspezifische Ausarbeitung und mischen Aufbau und den Funktionen des Verbreitung von präventiven ergonomi- Muskel-Skelett-Systems sowie den berufs- schen Empfehlungen und Standards, das bedingten Schädigungen des Bewegungs- Bewusstsein für die Belastungen und apparats. Im Einzelnen werden die Verbrei- Beanspruchungen bei der Friseurtätigkeit tung von berufsbedingten MSE, die multi- zu schärfen und als Konsequenz die Zahl faktoriellen Risikofaktoren sowie die Kosten berufsbezogener Muskel-Skelett-Erkran- des Gesundheitsproblems dargestellt. Au- kungen (MSE) und -Beschwerden (MSB) in ßerdem wird der ökonomische Nutzen von dieser Branche europaweit zu reduzieren. Präventionsmaßnahmen zur Vorbeugung von MSE im Betrieb erörtert. Das Projekt knüpft an die 2016 unterzeich- nete europäische Rahmenvereinbarung Im Kapitel 3 wird die im Rahmen des ergo- zum Arbeits- und Gesundheitsschutz in der Hair-Projekts verfasste systematische Lite- Friseurbranche an. Die darin vereinbarte raturarbeit – Scoping Review – dargestellt. Zielsetzung soll zur Entwicklung eines kon- Mit den zusammengetragenen Studien sentierten, wissenschaftlich begründeten wurde gemäß den Zielen des Projekts die europäischen Standards zum Schutz der wissenschaftliche Grundlage geschaffen. Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz Die hier aufgezeigten epidemiologischen beitragen. Eines der fünf postulierten Erkenntnisse lassen Rückschlüsse auf die Handlungsfelder ist die Prävention von berufliche und gesundheitliche Belastung MSE. Es ist ein besonderes Anliegen der und Beanspruchung der Friseure zu und Sozialpartner, möglichst frühzeitig die Not- verdeutlichen, dass diese Berufsgruppe wendigkeit eines präventiven und gesund- stärker in den Fokus von betrieblichen und 6 7
1 1 Friseursektor in Europa Die Friseurbranche in Europa besteht überwiegend aus Klein- und Kleinstunter- nehmen. Es gibt schätzungsweise 400.000 Friseursalons mit näherungsweise 1 Mio. Friseuren, das entspricht ungefähr 0,4-0,8 % der Beschäftigten eines Lan- des [3, 4]. In der Friseurbranche ist die Selbstständigkeit weit verbreitet. Einer Untersuchung von acht EU-Mitgliedsstaaten1 zufolge, werden circa 50-60 % aller Friseursalons von Selbstständigen ohne Angestellte geführt. Die Wachstumsrate bei Friseurbetrieben liegt zwischen 12 % und 149 % in den meisten EU-Ländern. Die meisten Betriebe gibt es in Italien, Deutschland und Frankreich. Neben den Ein-Personen-Salons steigt auch die Anzahl von Unternehmen, die Friseurketten betreiben oder als Franchiseanbieter auftreten [4]. In Deutschland wird ihr Anteil auf 15 % an allen Friseurunternehmen geschätzt [5]. Ein Großteil der Beschäftigten sind Frauen, die in den meisten Ländern neun von zehn Friseuren ausmachen. Ver- glichen zu anderen Branchen arbeiten vor allem junge Leute als Friseure; mehr als die Hälfte der Beschäftigten sind jünger als 34 Jahre [4]. Charakteristisch für diese Branche ist auch der hohe Anteil an Teilzeitkräften (circa 40 %) [3]. Allerdings gibt es hier große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern. In den Niederlanden arbeiten beispielsweise 70 % in Teilzeit, in Ungarn hingegen nur 9 %. Ebenfalls charakteristisch ist die hohe Fluktuation unter den Beschäftigten. In den Nieder- landen und im Vereinigten Königreich verlassen circa 16 % beziehungsweise 14 % der Beschäftigten ihre Stelle innerhalb eines Jahres [4]. In Dänemark bleiben Fri- seure durchschnittlich 8,4 Jahre im Beruf (inklusive Ausbildungszeit) [6]. Dänemark, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Italien, Niederlande, Slowenien, Großbritannien. 1 8 9
1.1. Europäische Bestrebungen 1.2. Bestrebungen des sekto- 1 zur Stärkung des Arbeits- und ralen sozialen Dialogs für den 2012 wurde dieses Abkommen im Beisein des damaligen Kommissars für Beschäfti- auf nationaler Ebene umsetzen können. Dazu führte die Universität Osnabrück von 1 Gesundheitsschutzes Friseursektor gung, Soziales und Integration, László 2009 bis 2012 die Projekte Safehair 1.0 und Andor, unterzeichnet. Es umfasst folgende 2.0 im Auftrag der Sozialpartner und der Das Vorbeugen oder Minimieren von phy- Der soziale Dialog ist Grundbestandteil des Bereiche: Europäischen Kommission durch. Wesent- sischen Gefährdungen am Arbeitsplatz ist europäischen Sozialmodells, dessen • Verwendung von Arbeitsstoffen, liches Ergebnis war die in der Deklaration für die EU-Mitgliedsstaaten ein fester Be- Rechtsgrundlage in den Artikeln 151-156 Produkten und Werkzeugen von Dresden vereinbarte Selbstverpflich- standteil ihrer Gesundheits- und Arbeits- des Vertrags über die Arbeitsweise der • Schutz der Haut und der Atemwege tung der Sozialpartner, sich für die gemein- schutzpolitik. Artikel 153 des Vertrags über Europäischen Union niedergelegt ist [7]. • Prävention von Muskel-Skelett-Erkran- sam erarbeiteten Schutzmaßnahmen ein- die Arbeitsweise der Europäischen Union Verschiedene europäische Organisationen kungen zusetzen und deren Kenntnis in der Fri- (EU) bevollmächtigt den Europäischen Rat, des Friseurhandwerks haben sich an die- • Arbeitsumfeld und Arbeitsorganisation seurausbildung sowie in den beruflichen Mindestvorschriften in Form von Richt- sem Dialog beteiligt. Auf der Seite der • Mutterschutz Tests und Abschlussprüfungen zu verlan- linien zu erlassen, um Maßnahmen zur Arbeitgeber waren dies Coiffure EU und auf • Mentale Gesundheit gen [10]. In Folge der gemeinsamen Bemü- Verbesserung der Sicherheit und des der Seite der Arbeitnehmer Uni Europa Hair hungen ist die Zahl der im Friseurhandwerk Gesundheitsschutzes der Beschäftigten and Beauty. Im Mittelpunkt des sozialen Die Europäische Kommission wurde aufge- gemeldeten Hauterkrankungen nach Aus- zu gewährleisten. Die gesetzlichen Anfor- Dialogs standen im Wesentlichen zwei fordert, dieses Abkommen in eine europä- sagen der Teilnehmer des sozialen Dialogs derungen sind innerhalb der EU-Mitglieds- Themen: die Harmonisierung der Berufs- ische Richtlinie zu überführen, die für alle stark zurückgegangen. staaten verschieden. Jeder Staat hat ausbildung und der Gesundheitsschutz. Betriebe des Friseurhandwerks verbindlich Handlungsspielräume und kann bei der werden sollte. Diese Forderung ist bislang Außerdem entwickelten die EU-OSHA und Umsetzung von Richtlinien in nationales Der Gesundheitsschutz im Friseurhand- nicht erfüllt worden, da einige Mitglieds- die Sozialpartner im Jahr 2014 mit dem Recht striktere Vorschriften für den Schutz werk entwickelte sich bereits in den 90er staaten Einwände gegen Teile des Abkom- OIRA-Tool eine online verfügbare Gefähr- der Beschäftigten und ihrer Interessen Jahren zu einem der wichtigsten Themen mens hatten. Nach erneuten Verhandlun- dungsanalyse für den Friseursektor [11]. anordnen [7]. In der Richtlinie 89/391/EEC in der Branche. Auslöser war der Anstieg gen wurde im Juni 2016 eine überarbeitete wird ausdrücklich der Arbeitgeber in die berufsbedingter Hautkrankheiten seit Ende Rahmenvereinbarung über die Gesundheit Verantwortung genommen, die Arbeitsum- der 80er Jahre (z. B. in Deutschland). In und Sicherheit am Arbeitsplatz unterzeich- welt im Hinblick auf die Arbeitsplatzgestal- Folge dessen mussten viele Friseure ihren net [1, 2]. Diese konzentriert sich im We- tung, Auswahl an Instrumenten/Materialien Beruf aufgeben. Bereits im Jahr 2001 ver- sentlichen auf den Schutz der Haut und der und Auswahl an Produktionsverfahren indi- einbarten CIC Europa, die Vorläuferorgani- Atemwege sowie auf die Prävention von viduell anzupassen [8]. In den Prioritäten sation von Coiffure EU, und Uni Europa MSE. Zur Thematik der berufsbedingten für die Forschung im Bereich Sicherheit Hair and Beauty eine Leitlinie für Arbeits- Hauterkrankungen hatte sich seinerzeit der und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz für bedingungen. Der entsprechende Forde- soziale Dialog dafür ausgesprochen, ein die Jahre 2013-2020 empfiehlt die Europä- rungskatalog enthielt schon wesentliche europäisches Forschungsprojekt in die ische Agentur für Sicherheit und Gesund- Elemente des im Jahr 2012 geschlossenen Wege zu leiten. Dieses Forschungsprojekt heitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA), europäischen Gesundheitsschutzabkom- sollte, basierend auf wissenschaftlichen mehrdimensionale ergonomische Maßnah- mens für das Friseurhandwerk. Ab dem Erkenntnissen, Aussagen darüber machen, men unter Berücksichtigung individueller, Jahr 2011 verhandelten die Sozialpartner wie die verschiedenen Zielgruppen wie technischer und organisatorischer Aspekte über ein konkreteres und weiter gefächer- Ausbilder, Lehrer, Beschäftigte und Salon- zu entwickeln und umzusetzen [9]. tes Gesundheitsschutzabkommen. Im April leiter die Vereinbarungen der Sozialpartner 10 11
Das Muskel-Skelett-System lisation, Form und Verlaufsrichtung der sich je nach Lokalisation2 und betroffener 2 (1) Obere Extremitäten, Muskeln in Zug-, Druck- oder flächenhafte Gewebsstruktur erheblich voneinander (2) Halswirbelsäule (C1-C7), 2 Sehnen unterschieden [13]. Bei der Mus- kelarbeit wird Reibung erzeugt. Um den [20]. MSE zählen zu den am häufigsten in der Bevölkerung verbreiteten Erkrankun- (3) Brustwirbelsäule 2 (Th1-Th12), 2.1. Aufbau und Funktion höhle, die mit Gelenkflüssigkeit gefüllt und daraus erzeugten Kraftaufwand auf ein gen, sie werden daher auch als Volkskrank- (4) Lendenwirbelsäule von einer Gelenkkapsel umgeben ist. Der Minimum zu begrenzen, sind Hilfseinrich- heiten bezeichnet. Weltweit durchgeführte (L1-L5) und Skelettelemente, Gelenke und Skelettmus- Knorpel wird optimal mit Nährstoffen ver- tungen wie Muskelfaszien, Sehnenschei- populationsbezogene Surveys (n = 23) zei- (5) untere Extremitäten [20] kulatur bilden zusammen den Bewegungs- sorgt, wenn regelmäßig Be- und Entlastung den, Schleimbeutel und Sesamknochen gen, dass zwischen 13,5 % und 47 % der apparat. Das Stützgerüst des Körpers durch Bewegung stattfindet. Hohe einsei- von großer Bedeutung [12, 13]. Allgemeinbevölkerung von chronischen besteht aus knöchernen und knorpeligen tige Belastung oder Bewegungsmangel muskuloskelettalen Schmerzen betroffen Skelettelementen, die durch Bindegewebs- können insbesondere bei älteren Men- 2.2. Muskel-Skelett-Erkrankun- sind [21]. In einer aktuellen europaweiten strukturen miteinander verbunden sind. schen degenerative Veränderungen, auch gen Befragung waren Rückenschmerzen (43 %) Teile des Skeletts werden durch die Ske- Arthrosen genannt, hervorrufen [13]. und muskuläre Schmerzen in den Armen lettmuskulatur bewegt beziehungsweise in Unter muskuloskelettalen Erkrankungen (41 %) die mit Abstand am häufigsten ge- einer bestimmten Lage gehalten. Der Der aktive Bewegungsapparat besteht aus wird ein Sammelbegriff für verschiedene nannten Beschwerden. Frauen berichteten Bewegungsapparat wird in aktive und pas- Muskeln, Sehnen und Bändern. Sie sind im degenerative und entzündliche Krankheits- signifikant häufiger über MSE als Männer sive Strukturen unterteilt. Das Skelettsys- Wesentlichen für die aktive Bewegung und bilder des Bewegungsapparats verstan- [22]. tem mit Knochen, Gelenken und Knorpeln die aufrechte Körperhaltung verantwort- den. Das betrifft sowohl die passiven als bildet die passiven Strukturen (Faller et al. lich, die durch willkürliche und unwillkürli- auch die aktiven Strukturen (siehe Kap. 2004). Sie erfüllen im Wesentlichen folgen- che Kontraktion und Relaxation der Mus- 2.1). Diese Krankheitsbilder reichen von 2.2.1. Arbeitsbedingte Muskel-Skelett- de Funktionen: keln erfolgt. leichten kurzzeitigen Beschwerden (z. B. Erkrankungen • Stütz- und Hebelfunktion für die Muskelverspannungen aufgrund von Über- Muskulatur Muskel: Der menschliche Körper besitzt oder Fehlbelastung) bis hin zu irreversiblen In epidemiologischen Studien ist hinrei- • Schutzfunktion für andere Organe über 400 Muskeln; sie machen circa 45 % chronischen Erkrankungen (z. B. Arthrose). chend belegt, dass MSE durch berufsspe- (z. B. Brustkorb für Herz und Lunge) der Körpermaße aus. Dabei werden drei Zu Gesundheitsschäden am Muskel-Ske- zifische physikalische, physische und psy- • Mineralspeicher für Kalzium und Grundtypen unterschieden: quergestreifte lett-System kommt es, wenn die von außen chomentale Einwirkungen und damit Phosphat Muskulatur (z. B. Skelettmuskulatur), glatte einwirkenden mechanischen Belastungen zusammenhängende Über- und Fehlbelas- • Bildungsstätte für Blutzellen im Muskulatur (z. B. Wände des Magen-Darm- die maximale Belastbarkeit der einzelnen tung des Haltungs- und Bewegungsappa- Knochenmark [12] Trakts) und Herzmuskelgewebe. Im Gegen- Körperstrukturen übersteigen [15]. Schmer- rats verursacht werden [23-26]. Die For- satz zu den anderen Typen wird die Ske- zen sind dabei die wichtigsten Symptome men der arbeitsbedingten MSE sind Knochen: Das Skelett eines Erwachsenen lettmuskulatur durch einen willkürlich von MSE. Dabei gibt es zwei Ausprägun- vielfältig (siehe Abbildung 1). Die Weltge- setzt sich aus etwa 200 Knochen zusam- ausgelösten Nervenreiz erregt. Im Ruhezu- gen des Schmerzes: akut und chronisch. sundheitsorganisation (WHO) definiert men. Die Gestalt ist genetisch festgelegt, stand entfallen 20-25 % des Energieum- Akut auftretende Schmerzen haben eine diese als das Zusammenspiel verschiede- während der innere Aufbau durch äußere satzes auf die Skelettmuskulatur [12, 13]. biologische Warnfunktion, um weitere ner Faktoren aus der Arbeitsumwelt, die in Umstände beeinflusst wird (z. B. durch Es finden sich auch geschlechterspezifi- Schäden des Bewegungsapparats zu ver- unterschiedlichem Ausmaß signifikant zur gesunde Ernährung, Zufuhr von Kalzium sche Unterschiede: Männer haben eine meiden. Chronische Schmerzen haben Verursachung und/oder zur Verschlimme- und Vitamin D sowie eine ausgewogene höhere Muskelmasse als Frauen (durch- diese Funktion verloren und behindern die rung von MSE beitragen [15]. Kroemer Belastung) [12]. schnittlich 30 kg versus 24 kg). Demzufolge Betroffenen bei der Nutzung des Bewe- (1989) definiert drei Stadien von arbeitsbe- leisten Frauen nur 65 % der Muskelkraft, gungsapparats [16]. Daraus folgen hohe dingten MSE: Gelenke und Knorpel: Gelenke sind Ver- die Männer leisten können [12, 14]. intangible Kosten für die Betroffenen, wie bindungen zwischen knorpeligen und/oder körperliche Funktionseinschränkungen Stadium 1: Symptome während der Arbeit, knöchernen Skelettstrukturen und ermögli- Sehnen und weitere Hilfseinrichtungen: oder Verlust an Lebensqualität [17, 18]. die weggehen; chen Bewegungen der einzelnen Abschnitte Bei der Muskelkontraktion übertragen Seh- Betroffene weisen in diesem Zusammen- Stadium 2 : Symptome, die nach einem des Rumpfs und der Extremitäten. Außer- nen, die über die Muskeln am Knochen hang auch eine verminderte Arbeitsfähig- Arbeitstag über Nacht andauern; dem dienen sie der Kraftübertragung. Die befestigt sind, die Kraft auf das Skelett. Sie keit und Produktivität auf [19]. Die Erkran- Stadium 3: Symptome, die im Ruhezu- Gelenkflächen sind meist mit hyalinem bestehen aus zugfesten Kollagen-Faser- kungen und Beschwerdebilder haben einen stand anhalten, den Schlaf stören und über Knorpel bedeckt und liegen in einer Gelenk- bündeln. Die Sehnen werden je nach Loka- heterogenen Charakter; sie unterscheiden Monate bis Jahre hinweg andauern [27]. 12 13
Der Anteil der beruflich verursachten MSE zwölf Monaten; die meisten davon waren 2.2.2. Risikofaktoren für Muskel- plexen biopsychosozialen Krankheitsmo- kann aufgrund der überwiegend multikau- Beschwerden des Bewegungsapparats Skelett-Erkrankungen dellen. Darin sind sowohl Arbeitsanforde- 2 salen Genese sowie der hohen Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung nur grob [29]. Der European Occupational Disease Statistics (2005) zufolge machten arbeits- Durch epidemiologische Studien ist hinrei- rungen als auch individuell ererbte Anlagen, soziale Faktoren, Trainings- und Leistungs- 2 geschätzt werden [28]. In den Industriena- bedingte MSE mit 38 % den größten Anteil chend dokumentiert, dass degenerative zustand sowie Stresswahrnehmung und tionen ist etwa ein Drittel aller krankheits- aller Berufskrankheiten in zwölf EU-Mit- MSE überdurchschnittlich häufig in Beru- -resistenz inbegriffen [16] (Abbildung 2). bedingten Fehlzeiten auf MSE zurückzu- gliedsstaaten aus. Unter Berücksichtigung fen vorkommen mit hohen physischen und Nicht alle sind jedoch Risikofaktoren im führen. Davon entfallen circa 60 % auf des Karpaltunnelsyndroms erhöht sich der physikalischen Belastungen am Arbeits- eigentlichen Sinn, d. h. Faktoren, die ur- Erkrankungen oder Verletzungen des Anteil sogar auf 59 % [30]. Unter den zehn platz [23, 25, 26, 35, 36]. Die Erklärungsan- sächlich zur Entstehung von MSE beitra- Rückens. An zweiter Stelle stehen die häufigsten Berufskrankheiten für die Be- sätze und Betrachtungsweisen von MSE gen. Vermehrt spricht man auch von Risi- Erkrankungen der oberen Extremitäten, die richtsjahre 2001 bis 2007 finden sich unter haben sich in den vergangenen Jahren koindikatoren, die gehäuft in Assoziation auch unter den Sammelbegriffen „Repeti- anderem das Karpaltunnelsyndrom, Er- jedoch erheblich weiterentwickelt: weg von mit dem Beschwerdebild beobachtet wer- tive Strain Injuries“ oder „Cumulative krankungen der Sehnen- und Muskelan- dem alleinigen Fokus auf biomechanisch den wie z. B. Arbeitsunzufriedenheit oder Trauma Disorders“ zusammengefasst wer- sätze sowie der Sehnenscheiden (z. B. orientierte Kausalitätstheorien hin zu kom- fehlende Gratifikation [12]. den [15]. In der Labour Force Survey (EU Tendosynovitis, Epicondylitis) und Angio- 27) berichteten 8,6 % (20 Mio.) der Beschäf- neurosen, die durch mechanische Schwin- tigten über arbeitsbezogene gesundheit- gungen verursacht werden (z. B. Raynaud- Sozioökonomische Verhaltensbezogene liche Probleme in den vorangegangenen oder Weißfingersyndrom) [31]. Faktoren Faktoren • Soziale Schicht • Körperliche Inaktivität • Alter • Mangel- und Fehlernährung • Bildung • Tabakkonsum • Erwerbstatus/Arbeitslosigkeit Verhältnisbezogene Arbeitsbezogene Faktoren Faktoren • Wirtschaftszweig • Stolperfallen • Über- und Fehlbelastung Beeinträchtigungen • Psychosoziale Belastungen & Erkrankungen Nacken Rücken Schulter Ellenbogen Hand Hüfte/Knie • Fehlende Gratifikation des Muskel-Skelett- • Arbeitsunzufriedenheit Einschränkungen und • HWS • Bandschei- • Rotatoren- • Epikondylitis • Karpaltunnel- • Arthrose der Systems • Fehlende soziale Unter- Vorschädigungen Spondylose benerkrank- manschet- radialis und syndrom Hüfte und stützung • Thoratic- ungen tenreizung ulnaris • Tendovagini- des Knies • Übergewicht/Adipositas outlet- • Unspezifi- • Bizeps • Sulcus- tis stenosans • Meniskus- • Sportverletzungen Syndrom sche Rücken- Tendinitis ulnaris- de Quervain verletzung • Unfälle • HWS Myalgie schmerzen • Gelenk- Syndrom (Daumen) • Schleim- • Beeinträchtigungen der kapselent- • Pronator- • Tendovagini- beutelent- Psychologische Faktoren Sinnesleistung zündung syndrom tis stenosans zündung • Unspezifische (andere Fin- • Depressive Verstimmungen/ Unterarm- ger) • Depression schmerzen • Hand-Arm- • Furcht- und Vermeidungs- Gesundheitskompetenz Vibrations- denken • Ängste • Geringes Gesundheits- Syndrom • Stress, familiäre Belastungen bewusstsein Abbildung 1. MSE, die durch biomechanische Einwirkungen entstehen können (modifiziert nach ILO [32]; Abbildung 2: Mögliche Einflussfaktoren für Beeinträchtigung und Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems, Mani & Gerr [33]; Sluiter et al. [34]). modifiziert nach Walter & Plaumann [12]. 14 15
Tabelle 1: Risikofaktoren für MSE mit hinreichender Evidenz Arbeitsbezogene Risikofaktoren mit hinreichendem Nachweis eines kausalen Zusammenhangs 2 2 Körperregion biomechanisch psychosozial individuell Nacken • ungünstige Haltung • geringe Arbeitszufrieden- • weibliches Geschlecht heit und Unterstützung • Komorbidität • hohe Stressbelastung • Rauchen Unterer • ungünstige Haltung • negative Affektivität • jüngeres Alter Rücken • schwere körperliche Arbeit • geringe Kontrolle über • hoher BMI • Hebevorgänge die Arbeit • hohe psychische Anforderungen • hohe Arbeitsunzu- friedenheit Schulter • schwere körperliche • hohe Stressbelastung Arbeit • monotone Arbeit • geringe Kontrolle über die Arbeit Ellenbogen • ungünstige Haltung • Komorbidität • repetitive Tätigkeiten • höheres Alter Handgelenk/ • lange Computerarbeitszeit • hoher BMI Hand • schwere körperliche Arbeit • höheres Alter • ungünstige Haltung • weibliches Geschlecht • repetitive Tätigkeiten Hüfte • Hebevorgänge • schwere körperliche Arbeit Ein systematisches Review von Längs- Biomechanische Risikofaktoren Knie • ungünstige Haltung • Komorbidität schnittuntersuchungen in verschiedenen Die Exposition gegenüber biomechani- • Hebevorgänge Berufsgruppen untersuchte den Einfluss schen Faktoren bei der Arbeit wie z. B. un- • repetitive Tätigkeiten von arbeitsbezogenen und individuellen günstige Zwangshaltungen, schweres Quelle: da Costa & Vieira [24] Risikofaktoren für MSE. Dabei wurden Evi- Heben und Tragen, häufiges Beugen und denzlevel für die einzelnen Risikofaktoren Verdrehen des Oberkörpers, manuelle und Körperregionen bestimmt. Die Evidenz Handhabung von Lasten, repetitive Arbeits- 3 Risikofaktoren mit hinrei- sagt aus, inwiefern man den in den Studien vorgänge, Kraftaufwand oder Ganzkörper- Die European Foundation for Improvement Heben oder Tragen von schweren Lasten chender Evidenz - mindestens beobachteten statistischen Assoziationen schwingungen tragen zur Entstehung und/ of Living and Working Conditions (Euro- sowie Vibration sind die am häufigsten vor- eines der Kausalitätskriterien ist erfüllt; Bias und Störfak- vertrauen und diese somit als kausale oder Verschlimmerung der Symptome bei. found) führt regelmäßig im Abstand von kommenden physischen Risikofaktoren in toren können jedoch nicht voll- Beziehung betrachten kann. In der Tabelle Diese Faktoren können in ihrer Kombination, fünf Jahren Surveys zu Arbeitsbedingun- Europa (Abbildung 3) [22, 38]. Betrachtet ständig ausgeschlossen wer- den (die meisten der Studien 1 werden biomechanische, psychosoziale Dauer, Häufigkeit und Intensität die anato- gen in Europa durch. Die sechste Befra- man die einzelnen Dimensionen des soge- präsentierten 1-3 potenziell und individuelle Risikofaktoren mit „hinrei- mischen Strukturen wie Muskeln, Sehnen, gung kommt zu dem Ergebnis, dass sich nannten physical environment index4, dann 4 Der Index der physischen irreführende Faktoren). Risiko- Umwelt – eine Dimension der faktoren mit hoher Evidenz - chender Evidenz“3 für die jeweilige betrof- Gelenke, Nerven erheblich beeinträchtigen. die physische Arbeitsumwelt im Vergleich sind die Unterschiede zwischen den Beru- Arbeitsplatzqualität– umfasst mindestens vier von fünf Kau- fene Körperregion aufgezeigt [24]. Dabei Bei verminderter Anpassungsfähigkeit und zu den vergangenen Jahren kaum verbes- fen erheblich. Zum Beispiel weisen Be- 13 Indikatoren, die sich auf salitätskriterien sind erfüllt; spezifische physische Gefah- Bias und Störfaktoren wurden fällt auf, dass die Exposition gegenüber fehlenden Kompensationsmechanismen sert hat. Expositionen gegenüber haltungs- schäftigte im Handwerksgewerbe mit 37 ren beziehen (z.B. Vibrationen kontrolliert oder waren nicht vorhanden (die meisten der biomechanischen Faktoren sehr wahr- kann es zu einer Überbeanspruchung kom- bedingten ergonomischen Risikofaktoren Punkten den höchsten und damit schlech- durch Handwerkzeuge, Ermü- dungspositionen, Temperatur Studien stellten keine irrefüh- scheinlich für alle Körperregionen schädi- men, aus der dann Schmerzen und Leis- sind nach wie vor sehr häufig. Expositionen testen Score für haltungsbedingte Risiken oder das Heben/Bewegen von renden Faktoren dar). Keinem Personen usw.). [22]. der Risikofaktoren wurde hohe gend ist. Im Folgenden wird auf die einzel- tungsminderung resultieren. Die Auswirkun- durch repetitive Bewegungen, statische auf; der Durchschnittswert für die EU28 Evidenz zugeordnet [24]. nen Risikodimensionen näher eingegangen. gen sind dementsprechend individuell [37]. und erzwungene Körperhaltungen, das liegt bei 24 Punkten [22]. 16 17
Exponiert gegenüber körperlichen Risiken im zeitlichen Verlauf Geschlecht: Mehreren Untersuchungen Lebensstil: (% exponiert ein Viertel der Zeit oder länger) zufolge ist die Prävalenz von MSE bei Gewicht/Ernährung : Beschäftigte mit 2 Frauen insgesamt höher als bei Männern [31, 41, 42]. Geschlechtsspezifische Unter- Übergewicht und Adipositas haben ein hö- heres Risiko an MSE zu erkranken und ge- 2 Vibration schiede könnten auch durch unterschiedli- nesen langsamer als Normalgewichtige [47]. 1991 EC12 che Expositionen gegenüber arbeitsbe- Des Weiteren trägt der westliche Lebens- dingten Risikofaktoren erklärt werden. stil 6 zu einem negativen Kalziumhaushalt 5 Es wird angenommen, dass Lärm 1995 EU15 Bildung neben dem Zugang zu Einem Review zufolge haben Männer ein und zur Knochendemineralisation bei [48]. guten Beschäftigungsmöglich- höheres Risiko für Rückenbeschwerden keiten auch zu einer gesünde- 2000 EU27 durch schweres Heben und Tragen und für Rauchen: Bei starken Rauchern (auch bei ren Lebens- und Verhaltens- Hohe Temperaturen weise befähigt, die den Ein- Nacken-Schulter-Beschwerden durch Passivrauchern) wurden häufiger Kno- zelnen vor Nachteilen im spä- 2005 EU27 teren Leben schützen kann. Hand-Arm-Vibrationen. Frauen hingegen chenschwund und Frakturen beobachtet. Niedrige Temperaturen Sitzende Lebensweise, Kof- haben ein höheres Risiko für Nacken- Zudem verzögert das Rauchen die Heilung 6 fein- und Alkoholkonsum, Rau- 2010 EU27 Schulter-Beschwerden durch statische, und erhöht die Komplikationen durch Frak- chen und eventuell hoher tie- Einatmen von Rauch, rischer Eiweißkonsum [48]. Staub und/oder Dämpfen ungünstige Armhaltungen [43]. turen und Traumata [49]. Außerdem wird das Rauchen mit lokalen entzündlichen Sozioökonomischer Status: Ein gerin- Reaktionen des Muskel-Skelett-Systems Chemische Stoffe ger SES (niedriger Bildungsstand5, gerin- (z. B. Epicondylitis) und stärkerer Schmerz- ges Einkommen oder Qualifikation) steht in sensitivität in Verbindung gebracht [48]. Ermüdende oder starker Beziehung zu der Prävalenz und beschwerliche Positionen Inzidenz von MSE (Abbildung 4) [31, 44, Bewegung: Inaktivität ist ein unabhängi- 45]. Beschäftige in gering qualifizierten, ger Risikofaktor für Rückenprobleme [50]. Schwere Lasten manuellen Berufen sind häufiger arbeits- Außerdem kann aufgrund verringerter Pro- unfähig aufgrund von Rückenschmerzen. duktion von Gelenkflüssigkeit (Synovia), Repetitive Hand- oder Diese Beobachtung ist geschlechterunab- die zum Schutz der Gelenkoberfläche pro- Armbewegungen hängig und über alle Altersklassen hinweg duziert wird, Gelenkverschleiß begünstigt nahezu konstant [46]. werden [51]. 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% Abbildung 3: Anteil der körperlichen Risikofaktoren bei Beschäftigten in Europa – Ergebnisse aus früheren Eurofound Surveys [38]. Eurofound (2012), Fith European Working Conditions Survey, Publications Office of the European Union, Luxembourg Individuelle, lebensstilbezogene mischen Status (SES) [37]. Hier werden Einflussfaktoren exemplarisch einige Faktoren aufgelistet: Wie bei den meisten chronischen Erkran- kungen werden MSE durch multiple Risiko- Alter: Mit zunehmendem Alter nimmt die faktoren ausgelöst. Zusätzlich zur berufli- aerobe und muskuläre Leistungsfähigkeit chen Belastung spielen weitere Aspekte ab, was wiederum die körperliche Arbeitsfä- wie Sport, Bewegungsmangel, Ernährung higkeit beeinträchtigt [39]. Ältere Arbeitneh- oder Substanzkonsum eine bedeutende mer sind aufgrund ihrer verminderten Funk- Rolle bei der Entstehung. Des Weiteren tionsfähigkeit anfälliger für arbeitsbedingte können systemische Erkrankungen wie MSE als jüngere [40]. Der Anstieg schwächt Diabetes oder rheumatoide Arthritis die sich allerdings bei den 55- bis 64-Jährigen Pathogenese negativ beeinflussen. Die ab, man spricht auch vom „Healthy Worker Risiken variieren mit dem Alter, Geschlecht Effect“, d.h. kranke Arbeitnehmer verlassen sowie der Ethnizität oder dem sozioökono- das Erwerbsleben vorzeitig [31]. 18 19
2.2.3. Ökonomische Relevanz 100 % 2 90 % MSE sind für 40 % aller globalen Sach- und Entschädigungsleistungen für Berufser- Frankreich, 2007: Arbeitsbedingte MSE verursachten 7,5 Mio. Arbeitsunfähigkeits- 2 80 % krankungen und Arbeitsunfälle verantwort- tage, die mit wirtschaftlichen Einbußen in 70 % lich (Abbildung 5) [59]. Schätzungen für die Höhe von 736 Mio. Euro einhergingen [62]. Kosten von arbeitsbedingten Rückener- 60 % krankungen, die der Wirtschaft in den Mit- Deutschland, 2016: Alle MSE (ICD8 M00 ICD – International Classifica- 8 tion of Diseases. 50 % gliedsstaaten durch sämtliche arbeitsbe- – M99) verursachten 154 Mio. Arbeitsunfä- dingte Gesundheitsschäden erwachsen, higkeitstage, die mit 17,2 Mrd. Produkti- 40 % liegen zwischen 2,6 % und 3,8 % des Brut- onsausfallkosten und 30,4 Mrd. Ausfall an 30 % tosozialprodukts [60]. Die Kosten für Bruttowertschöpfung einhergingen [63]. arbeitsbedingte MSE der oberen Extremi- 20 % täten liegen schätzungsweise zwischen 0,5 Finnland, 2004: Arbeitsbedingte MSE ver- 10 % % und 2 % des Bruttosozialprodukts [61]. ursachten direkte Kosten in Höhe von 222 Ein Kostenvergleich von arbeitsbedingten Mio. Euro [62]. 0 Geringes Bildungsniveau Mittleres Bildungsniveau Hohes Bildungsniveau MSE wird erschwert durch Unterschiede in den Versicherungssystemen der einzelnen Österreich, 2004: MSE verursachten 7,7 Abbildung 4: Anteil von arbeitsbedingten Gesundheitsproblemen (MSE; Stress, Depressionen oder Länder, das Fehlen von standardisierten Mio. Arbeitsunfähigkeitstage [62]. 7 „Geringqualifizierte Angst; sonstige) bei Personen in der EU27 nach Bildungsstand (%)7 [31]. Erhebungskriterien und der Kostenerfas- Arbeitnehmer berich- teten häufiger über sung. Im Folgenden sollen daher nur einige Slowenien, 2006: MSE verursachten 2,47 arbeitsbedingte Pro- Muskuloskelettale Beschwerden Stress, Depression oder Angstzustände Andere Gesundheitsbeschwerden Beispiele aus den einzelnen Ländern auf- Mio. Arbeitsunfähigkeitstage [62]. bleme und waren eher geneigt, MSE gezeigt werden: als ein schwerwie- gendes arbeitsbe - dingtes Problem zu bezeichnen. 68% der Personen mit nied- rigem Bildungsniveau 14 % Unfälle berichteten über ge- sundheitliche Ein- schränkungen durch MSE. Hingegen nur 3 % Tumore 44% mit einem hohen Bildungsniveau be- Psychosoziale und arbeitsorganisa- langfristige körperliche Folgen sind Mus- 3 % Hauterkrankungen richteten über MSE“ [31]. torische Einflussfaktoren kelabbau oder Gelenkfehlstellung [12]. In systematischen Reviews werden Zusam- Langanhaltende krankheitsbedingte Fehl- 40 % menhänge zwischen psychosozialen Fak- zeiten aufgrund von MSE wurden häufiger Muskel-Skelett- 9 % Atemwegserkrankungen Erkrankungen toren und MSE aufgezeigt [24, 52-54]. bei Beschäftigten mit hohem Zeitdruck bei Diese können den Krankheitsverlauf im der Arbeit und geringer Jobkontrolle be- Hinblick auf Verhalten und Umgang mit obachtet [55]. Folgende weitere Faktoren 8 % Beeinträchtigungen des zentralen Schmerz negativ beeinflussen. Psychische aus der Arbeitsumwelt und -organisation Nervensystems Anspannung durch Konflikte im Beruf oder können die Gesundheit der Beschäftigten in der Familie kann sich körperlich manifes- ebenfalls negativ beeinflussen [56-58]: tieren und das vegetative Nervensystem beeinträchtigen. Der Körper reagiert mit • hohes Arbeitstempo, 16 % Herz-Kreislauferkrankungen erhöhtem Muskeltonus, der wiederum • monotone Arbeitsabläufe, 7 % Psychische Erkrankungen Muskelverspannung auslösen kann. Auf- • mangelnde Pausen, grund der Schmerzen wird die Beweglich- • prekäre Arbeitsverhältnisse, keit stark eingeschränkt; es kommt zu • ungünstig gestaltete Vergütungs- Abbildung 5: Weltweite Kompensationskosten von arbeitsbedingten Erkrankungen und Unfällen (ILO [59]). Inaktivität und Schonhaltung. Mögliche systeme und Arbeitszeitmodelle. 20 21
höher als die Gesamtinvestition (mit einer In einer weiteren Untersuchung wurden Amortisationsdauer von drei bis fünf Jah- 300 Unternehmen aus 15 Ländern gebeten, 2 ren aus Sicht des Arbeitgebers und 0,82 bis neun Jahren aus Sicht der Unfallversi- ihre subjektive Einschätzung der gesamt- wirtschaftlichen Effekte von Prävention 2 cherung). In allen Studien wurde belegt, und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz dass durch ergonomische Ausstattung und (Return on Prevention) anzugeben. Danach eine Ge-samtstrategie Unfälle sowie Ent- waren die direkten Effekte der Präventions- schädigungsansprüche signifikant redu- maßnahmen Gefahrenminderung, erhöhtes ziert werden konnten. In Studien mit posi- Bewusstsein für Arbeitsrisiken und Reduk- tiven wirtschaftlichen Ergebnissen zeigte tion von gefährlichen Verhaltensweisen und sich, dass die Unterstützung seitens der Arbeitsunfällen. Die bedeutendsten indi- oberen und mittleren Führungsebene groß rekten Effekte waren Imagegewinn und war und auch die Mitarbeiterbeteiligung auf Verbesserung der Unternehmenskultur einem hohen Niveau lag. Bei Studien mit (Abbildung 6) [65]. Allerdings muss ein- negativen oder uneinheitlichen Ergebnis- schränkend hinzugefügt werden, dass sen fehlte die Unterstützung durch die Vor- diese Ergebnisse auf Selbsteinschätzun- gesetzten, die Intervention entsprach nicht gen der Unternehmen beruhen. den Bedürfnissen der Beschäftigten und die „Interventionsdosis“ war zu gering [64]. Reduzierte Gefahren 5,08 Reduzierte Regelverstöße 5,04 Reduzierte Unfälle 4,98 Reduzierte Fluktuationen 3,80 Reduzierte Unterbrechungen 4,30 Reduzierte Ausfallzeiten 4,35 Reduzierte Verschwendung 3,80 Reduzierte Aufholzeiten 3,83 Verbesserte Produktqualität 3,99 Verbesserte Termineinhaltung 4,01 Erhöhte Anzahl von Innovationen 4,19 Erhöhtes Risikobewusstsein 4,15 Verbessertes Unternehmensimage 4,80 Verbesserte Kundenzufriedenheit 4,75 Verbesserte Arbeitskultur 5,05 Gesamtdurchschnitt 4,41 2.2.4. Ökonomischer Nutzen der ventionen zur Prävention von arbeitsbe- Prävention von MSE im Unternehmen dingten MSE. Sie untersuchten auch 1 = keine Wirkung Faktoren, die sich begünstigend oder hin- 0 1 2 3 4 5 6 6 = sehr starke Wirkung Sultan-Taïeb und Kollegen (2017) erstellten dernd auf den Umsetzungsprozess aus- Abbildung 6. Effekte von Abeits- und Gesundheitsschutz innerhalb des Unternehmens eine Kosten-Nutzen-Bewertung von ergo- wirkten. Die nach der Intervention kumu- (ISSA [65]). nomischen arbeitsplatzbezogenen Inter- lierten Einsparungen waren insgesamt 22 23
3 3 Scoping Review zur muskuloskelettalen Gesundheit bei Friseuren 3.1. Hintergrund Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) sind in der erwerbsfähigen Bevölkerung weit verbreitet und wirken sich auf passive (Knochen, Gelenke) und/oder aktive Struk- turen des Körpers (Muskeln, Sehnen, Bänder, periphere Nerven) aus [37]. Da welt- weit ein hoher Anteil von anerkannten Berufskrankheiten auf berufsbedingte MSE entfallen, wurden viele Anstrengungen unternommen, um zu erforschen, welche Rolle biomechanische Faktoren bei der Entwicklung von MSE und ihrer Prävention spielen [23]. MSE sind in Berufsgruppen mit starker körperlicher Beanspruchung weit verbreitet, z. B. im Baugewerbe oder im Dienstleistungssektor [26, 35, 36]. Friseure sind eine Berufsgruppe, deren Arbeitsfähigkeit und Gesundheitszustand durch bestimmte berufliche Aktivitäten beeinträchtigt werden können. Eine Analyse der täglichen Aufgaben zeigte, dass Friseure im Durchschnitt 29 % ihrer Zeit mit dem Schneiden, 17 % mit dem Färben, 10 % mit dem Föhnen und 8 % mit dem Waschen von Haaren verbringen. Diese Tätigkeiten erfordern ein häufiges sagit- tales oder laterales Beugen und Drehen des Rückens (z. B. Haare am Becken waschen), statische Haltungen und längeres Stehen. Bei allen mit dem Kunden verbundenen Tätigkeiten wurden sich ständig wiederholende Aufgaben beobach- tet [66]. Kinematische Haltungsanalysen zeigten, dass Friseure ihre Arme in 9 bis 13 % ihrer gesamten Arbeitszeit über 60° angehoben hatten [67, 68]. Das Arbeiten mit über Schulterhöhe angehobenen Armen gilt als wesentlicher Risikofaktor für klinisch nachgewiesene Schulterbeschwerden oder anhaltend starke Schmerzen [69, 70]. Der vergleichsweise große Kraftaufwand und häufige Beuge- und Streck- bewegungen des Handgelenks – verbunden mit einer dauerhaften Exposition – könnten ursächlich für das stärkere Auftreten von Hand-/Handgelenksschmerzen sein, insbesondere bei Friseurinnen [71]. In einer Studie zu den Arbeitsbedingungen von finnischen Friseuren wurden repetitive Bewegungen, unbequeme Arbeitshal- tungen, Stehen, Zugluft, unangenehme Temperaturen und Chemikalien als Risiko- faktoren für die Gesundheit beschrieben [72]. Ziel dieser Arbeit ist es, die vorhan- dene Literatur zur Prävalenz von MSE bei Friseuren sowie zu den beruflichen Risikofaktoren und möglichen Ansätzen der Prävention und Rehabilitation zusam- menzufassen. 24 25
3.2. Methoden mittelten Artikel nach weiteren relevanten taren, Tagungsberichten und Grundsatzer- nehmer brachten weitere Vorschläge für Studien durchsucht. Des Weiteren haben klärungen. die Interpretation der Studienergebnisse Aufgrund zahlreicher Studiendesigns und wir eine Suche in Google Scholar durchge- und für Präventivmaßnahmen ein. der fehlenden Zusammenfassung von führt. Die Suche umfasste Studien mit und Es wurden Artikel in Englisch, Deutsch, 3 Ergebnissen haben wir uns für die Durch- führung eines Scoping Reviews entschie- ohne Peer Review, die bis zum 5. Novem- ber 2018 veröffentlicht worden waren. Niederländisch, Französisch, Italienisch, Portugiesisch und Spanisch einbezogen. 3.3. Ergebnisse 3 den. Dessen übergreifendes Ziel ist die Die Studienselektion nahmen zwei Revie- Untersuchung des Umfangs und der Art Stufe 3: Studienauswahl wer unabhängig voneinander anhand der Es wurden insgesamt 186 Artikel identifi- der Forschungsaktivität, die Zusammen- Für die Analyse haben wir Studien in Be- Titel, Abstracts und Volltexte vor. Bei Unei- ziert, von denen 44 die Auswahlkriterien für fassung der relevanten Forschungsergeb- tracht gezogen, in denen Ergebnisse für die nigkeit wurde durch Diskussion ein Kon- die qualitative Datensynthese erfüllten nisse und die Identifizierung von For- MSE Prävalenz/-Inzidenz, berufsbedingte sens erzielt. (Abbildung 7). Die Charakteristika der ent- schungslücken [73]. Bei der methodischen Risikofaktoren sowie präventive oder reha- haltenen Studien sind im Anhang 1 aufge- Umsetzung haben wir uns an dem sechs- bilitative Maßnahmen gegen MSE unter- Stufe 4: Erfassung und Aufbereitung führt. Davon wurden 29 Studien in euro- stufigen Vorgehen von Arksey and O’Malley sucht wurden. Es wurden nur Studien ein- der Daten päischen Ländern durchgeführt. Die über- orientiert [73]: bezogen die separate Ergebnisse für Allgemeine Informationen zu Autor(en), wiegende Mehrzahl der Studien (89 %) Friseure enthielten. Da sich die Überprü- Publikationsjahr, Studienort, Publikations- wurde nach dem Jahr 2000 veröffentlicht, Stufe 1: Identifizierung der fung nicht nur auf klinische Outcomes kon- typ, Studienziele, Studiendesign, Studien- was darauf hindeutet, dass die Forschung Forschungsfrage zentrierte, haben wir auch biomechanische population, Methodik und Outcomes wur- zu diesem Berufsfeld intensiviert wurde. In Die folgende Frage sollte beantwortet wer- Studien berücksichtigt. Die folgenden Ein- den erfasst. Die Daten wurden von einer einer Studie wurde ein qualitatives Studi- den: Was ist aus der Literatur über die Häu- schlusskriterien wurden angewandt: Person extrahiert und von einem zweiten endesign mit offenen Interviews ange- figkeit, die Risikofaktoren und Maßnahmen (i) Population : umfasst Friseure, die Reviewer verifiziert. wandt [75]. Berücksichtigt wurden drei zur Vorbeugung oder Verringerung von MSE weiterhin in ihrem Beruf arbeiten, so- nationale Surveys mit ausgewählten Be- bei Friseuren bekannt? Die Studienergeb- wie solche, die ihren Beruf aus gesund- Stufe 5: Vergleich, Zusammenfassung rufsbezeichnungen, die unter anderem nisse wurden mithilfe eines thematischen heitlichen Gründen gewechselt oder und Präsentation der Ergebnisse auch Friseure berücksichtigt haben [76- Ansatzes auf Basis der drei Teilabschnitte verlassen haben. Auch andere ver- Die den Originalstudien entnommenen Prä- 78]. Eine Studie untersuchte die Entwick- der Studienfrage deskriptiv zusammenge- wandte Berufe wie z.B. Kosmetiker valenzdaten zur Beantwortung der ersten lung der Entschädigungsansprüche für fasst und dargestellt: wurden berücksichtigt. Frage wurden mithilfe eines von Neyeloff et arbeitsbedingten MSE [79]. Des Weiteren (1) Wie hoch ist die Prävalenz und/oder (ii) Exposition: umfasst ergonomische, al. entwickelten Excel-Arbeitsblatts extra- wurden sieben Studien einbezogen, die Inzidenz von MSE in den verschiedenen biomechanische, organisatorische hiert und miteinander gepoolt (random eine Evaluation durchgeführt hatten. Wir Körperregionen? und psychosoziale Faktoren, die im effect model) [74]. Da die Studienqualität identifizierten drei Studien, die ausschließ- (2) Welche ergonomischen, organisato- beruflichen Friseuralltag auftreten. nicht bewertet wurde, können die Schät- lich die Arbeitshaltungen bei der Ausfüh- rischen oder psychosozialen beruf- (iii) Intervention: umfasst alle Maßnah- zungen verzerrt sein und sollen zunächst rung typischer Friseurtätigkeiten gemes- lichen Risikofaktoren stehen in Verbin- men, die darauf abzielen, MSE zu ver- als Näherungswerte dienen, die einer wei- sen hatten [68, 71, 87]. Schließlich wurden dung zu MSE? hindern oder zu reduzieren. teren Überprüfung bedürfen. Alle in den drei Publikationen aus derselben Kohorte (3) Welche Maßnahmen werden ange- (iv) Outcome: umfasst alle Gesundheits- Studien untersuchten potenziellen arbeits- von Auszubildenden unterschiedlicher wandt, um MSE bei Friseuren zu ver- störungen im Zusammenhang mit dem bezogenen Risikofaktoren wurden extra- Berufe einbezogen. Die Autoren beobach- hindern oder zu reduzieren? Bewegungsapparat wie z.B. (wieder- hiert und in übergeordnete Risikokatego- teten den Verlauf der Nacken- und Schul- kehrende) Schmerzen, Beschwerden, rien untergliedert. terschmerzen während der Ausbildungs- 9 Population: hairdress* OR Stufe 2: Identifizierung relevanter Kribbeln, Taubheitsgefühl, Gelenk- jahre [88-90]. Bis auf eine Studie schlossen barbering OR cosmetologist* Studien steifheit oder Schwellungen. Außer- Stufe 6: Konsultation alle vorwiegend Frauen ein [91]. In einer OR beautician* OR coiffeur*OR beauty culture*. Wir haben eine systematische Literaturre- dem wurden medizinisch bestätigte Die Methoden und Ergebnisse des Scoping weiteren Studie wurden ausschließlich cherche in den elektronischen Datenban- Diagnosen (z.B. Karpaltunnelsyndrom) Reviews wurden im Rahmen des ergoHair- Kosmetiker befragt [92]. 10 Outcome: musculoskeletal symptoms OR musculoskeletal ken MEDLINE, PUBMED, CINAHL, Web of berücksichtigt. Projektes auf einem Workshop vorgestellt. pain OR musculoskeletal dis- Science und LIVIVO durchgeführt. Suchbe- (v) Studiendesign: umfasst peer-revie- Am Workshop nahmen Arbeiternehmer- orders OR musculoskeletal diseases OR upper limb* OR griffe für die Population9 wurden mit Begrif- wed und nicht-peer-reviewed Veröf- und Arbeitgebervertreter der Friseurbran- upper extremity* OR neck pain fen für das Outcome verbunden10. Zusätz- fentlichungen aller Studientypen mit che sowie Wissenschaftler aus verschiede- OR back pain OR shoulder pain. lich haben wir die Referenzlisten der er- Ausnahme von Leitartikeln, Kommen- nen europäischen Ländern teil. Die Teil- 26 27
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