Nachhaltigkeit in Hochschulen und Forschungseinrichtungen - Maria Korbizki, Andrea Kölbel und Ernst A. Hartmann
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W o r k i n g P a p e r o f t h e I n s t i t u t e f o r I n n o v a t i o n a n d Te c h n o l o g y | N r. 5 3 Nachhaltigkeit in Hochschulen und Forschungseinrichtungen Maria Korbizki, Andrea Kölbel und Ernst A. Hartmann
W o r k i n g P a p e r o f t h e I n s t i t u t e f o r I n n o v a t i o n a n d Te c h n o l o g y | N r. 5 3 Maria Korbizki, Andrea Kölbel und Ernst A. Hartmann Nachhaltigkeit und Digitalisierung – Nachhaltigkeit in Hochschulen und Forschungseinrichtungen 1 Einleitung Ansatz verfolgen (neben ökologischer Gebäudeverwaltung auch die Verankerung von Nachhaltigkeit und Klimaschutz in Damit alle Menschen in sozialer, ökonomischer und ökologi- Managementstrukturen und Prozessen des Wissenstransfers). scher Hinsicht eine gerechte Chance auf eine gute Zukunft ha- Der Artikel fasst die Erkenntnisse einer Literaturrecherche zu- ben, brauchen wir einen grundlegenden Wandel. In den letzten sammen und geht dabei auf die gesellschaftliche Verantwor- Jahren wurden große Anstrengungen unternommen, diesen tung von Hochschuleinrichtungen im Bereich der Nachhaltig- Herausforderungen als gemeinsame Aufgabe zu begegnen, keit sowie auf konkrete Fallbeispiele ein. zuletzt durch die im Jahr 2015 verabschiedeten Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen (UNESCO 2015). Die Sensibilisierung gegenüber klimapolitischen Themen 2 Gesellschaftliche Verantwortung rückt auch in Deutschland immer weiter in den Vordergrund. von Hochschuleinrichtungen im Bereich Zum öffentlichen Problembewusstsein gesellt sich zunehmend der Nachhaltigkeit ein Lösungsbewusstsein. Dem Bildungs- und Wissenschaftssys- tem kommt hier eine zentrale Rolle zu, denn Hochschulen sind Bereits im Jahr 2010 erklärte die Hochschulrektorenkonferenz Orte, an denen die Ursachen und Auswirkungen des Klima- (HRK) gemeinsam mit der Deutschen UNESCO-Kommission wandels erforscht werden und wo die zukünftige Generation (DUK): „Hochschulen sind Einrichtungen der Gesellschaft und von Entscheiderinnen und Entscheidern sowie Multiplikatoren stehen als Kern des Wissenschaftssystems mit ihren drei Aufga- ausgebildet wird. Ein wichtiger Schritt, um Hochschulen und benfeldern Forschung, Lehre und Dienstleistung in der Verant- Forschungseinrichtungen auf dem eingeschlagenen Weg zu wortung, zur zukunftsorientierten Entwicklung der Gesellschaft unterstützen, ist daher die gemeinsame Erarbeitung geeigne- beizutragen.“ (HRK/DUK 2010). Dies zeigt, dass sich Hochschu- ter Strategien und Maßnahmen. Der vorliegende Artikel soll leinrichtungen ihrer besonderen Rolle und den daraus erwach- beleuchten, welchen Beitrag Hochschulen und Forschungsein- senen vielschichtigen Aufgaben bewusst sind: erstens die Ur- richtungen zur Nachhaltigkeit leisten können. Anhand von vier sachen und Auswirkungen des Klimawandels zu erforschen, konkreten Beispielen wird zudem dargestellt, wie Hochschul- zweitens dieses Wissen verbunden mit wissenschaftsbasierten einrichtungen die Auswirkungen auf das Klima berücksichtigen Lösungsvorschlägen an Politik und Gesellschaft zu vermitteln und welchen Herausforderungen sie dabei begegnen, damit und drittens auch in ihrem eigenen Verantwortungsbereich Lö- nachhaltige Prozesse systematisch umgesetzt werden und auch sungsansätze zu entwickeln und danach zu handeln. die Mitarbeitenden alltäglich und eigenverantwortlich im Sinne der Nachhaltigkeit handeln. Dabei sind die individuellen Hand- Das Engagement der Hochschulen im Bereich der Nachhaltig- lungsbedingungen der mit den Hochschulen eng kooperieren- keit hat seit 1987 deutlich zugenommen (Lozano et al. 2013). den außeruniversitären Forschungseinrichtungen ebenso zu Dementsprechend hat die Institutionalisierung der nachhal- berücksichtigen wie die Besonderheiten von Hochschulen, die tigen Entwicklung an Hochschulen in der neueren Forschung neben Forschung auch die Lehre und zahlreiche studentische zunehmend an Interesse gewonnen. Speziell für den Aspekt Initiativen umfassen. Gleichwohl können solche forschungsge- der hochschulischen Bildung hat auch das Konzept Bildung für leiteten und erprobten Maßnahmen mit Blick auf die EU-weit nachhaltige Entwicklung (BNE) neue Impulse gebracht. Ziel der geltenden gesetzlichen Berichtspflichten von nichtfinanziellen im Jahr 2005 gestarteten internationalen Bildungskampagne ist Informationen zum Umweltschutz auch für Unternehmen und es, nachhaltiges Denken und Handeln durch partizipative Me- andere Organisationen wegweisend sein, da sie auf aktuellen thoden in den Köpfen der Menschen zu verankern (HRK/DUK Forschungserkenntnissen basieren und einen gesamtheitlichen 2010).
Working Paper of the Institute for Innovation and Te c h n o l o g y 3 Für die Hochschulen bedeutet eine Orientierung auf nachhaltige Schulen oder gesellschaftlichen Initiativen im Themenfeld Entwicklung allerdings, dass nicht nur die Bildung, sondern alle „Nachhaltigkeit“ Kernbereiche hochschulischer Aktivitäten (Lehre, Forschung, 4) Der physische Betrieb der Hochschulen, u. a. im Hinblick Betrieb, Governance und Transfer) vor dem Leitbild einer nach- auf die Nachhaltigkeitsbilanzen des Gebäudemanagements, haltigen Entwicklung konsequent neu zu denken und entspre- der Speisepläne der Mensen usw. chend zu transformieren sind (Kanning/Schiller 2014). 5) Der Campus als Lebens- und Erfahrungsraum („Cam- pus Experience“), der etwa durch eine auf Biodiversität ausgerichtete Gestaltung der Grünflächen oder markante 3 Einige Befunde Einrichtungen zur Erzeugung erneuerbarer Energien das Thema Nachhaltigkeit erlebbar macht. Findler und Koautor:innen (2019) unterscheiden fünf instituti- onelle Bereiche von Hochschulen, die Auswirkungen auf Nach- In einer systematischen Literaturanalyse untersuchen die haltigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft haben (Abbildung 1): Autor:innen, welche dieser institutionellen Bereiche wie und wie stark in der Literatur aufgegriffen werden; Abbildung 2 1) Die Bildung, die Wissen und Bewusstsein breiter Bevölke- zeigt die Ergebnisse. Insgesamt wurden 113 Artikel identifiziert; rungsschichten beeinflusst die Häufigkeit steigt von 2005 bis 2017 kontinuierlich an. 2) Die Forschung, hier vor allem im Hinblick auf ihre außerwis- senschaftlichen Wirkungen in Politik und Wirtschaft Die meisten Publikationen beziehen sich auf „Outreach“ und 3) Der breite Wissenstransfer in die Gesellschaft und die behandeln etwa Fallstudien zu Kooperationen von Hochschu- Kooperation mit außerhochschulischen gesellschaftlichen len mit örtlichen Schulen, Gewerbetreibenden oder Initiativen. Gruppen („Outreach“), etwa durch Kooperationen mit Wirkungsdimensionen für nachhaltige Entwicklung Wirtschaft, Gesellschaftliche Herausforderungen, Umwelt, Politische Entscheidungsprozesse, Kultur, Demographien Institutioneller Rahmen Direkte Auswirkungen Indirekte Auswirkungen Bildung qualifiziertes Personal Wirtschaftswachstum wissenschaftsgeleitete Beratung für Veränderung der gesellschaftlichen Forschung Wirtschaft und Politik und geschäftlichen Praktiken Outreach kultureller Dialog sozialer Zusammenhalt durch den Betrieb verursachte Campusverwaltung Treibhausgasemissionen/ Beitrag zum Klimawandel THG-Emissionen Campuserfahrungen positive Einstellungen zu nachhaltige Lebensweise Nachhaltigkeit Hochschuleinrichtung Zuwanderung von Studierenden Stadtentwicklung Bewertung und Berichterstattung Abbildung 1: Wirkungsdimensionen der Hochschulen in Bezug auf Nachhaltigkeit (nach Findler et al. 2019, S. 31)
Working Paper of the Institute for Innovation and Te c h n o l o g y 4 35 30 25 20 15 10 5 0 Outreach Bewertung und Forschung Bildung Campus- Campuser- Allgemeines Berichterstattung verwaltung fahrungen Abbildung 2: Verteilung von Publikationen auf die institutionellen Bereiche und Themen (nach Findler et al. 2019, S. 27) An zweiter Stelle stehen Arbeiten zum Querschnittsthema „As- Holistische Orientierung: Die Hochschule betrachtet alle sessment and Reporting“. Betrachtet werden hier beispielswei- oben genannten institutionellen Bereiche (Bildung, For- se Input-Output-Modelle zur Beschreibung und Bewertung von schung, Outreach, Campusbetrieb und Campus Experi- nachhaltigkeitsbezogenen Effekten in den Bereichen Bildung, ence) im Zusammenhang und verfolgt eine ganzheitliche Forschung, Outreach und Campusbetrieb. Strategie, die Maßnahmen für diese Bereiche miteinander in Beziehung setzt. Nachhaltigkeit wird als Anliegen der Es folgen Publikationen zum außerwissenschaftlichen Impact ganzen Hochschule verstanden. der Forschung. Auch hier kommen Input-Output-Modelle zum Orientierung auf organisationales Lernen: Die Hochschule Einsatz, beispielsweise zur Beschreibung der wirtschaftlichen betrachtet die Transformation zu einer nachhaltigen Hoch- Effekte nachhaltigkeitsbezogener Forschung. schule als ein zentrales Anliegen der Hochschulentwick- lung und des organisationalen Lernens. Sie schafft neue Schon deutlich weniger Artikel finden sich zu Aspekten der Bil- Strukturen und Prozesse, die es erlauben, den traditionellen dung. Ein Thema ist die Analyse der Emission von Treibhaus- Rahmen des Hochschulbetriebs zu überschreiten. gasen in digitalen verglichen mit traditionellen, papierbasierten Formen des Fernlernens bzw. des Fernunterrichts. Die Autor:innen betrachten vor diesem theoretischen Hinter- grund elf Fallbeispiele deutscher Hochschulen. Interessant ist an In ähnlichem Umfang wird der Campusbetrieb betrachtet, etwa den Ergebnissen, dass die beiden oben beschriebenen Dimen- unter dem Aspekt des Mobilitätsverhaltens von Lehrenden und sionen korreliert sind: Je stärker die ganzheitliche Ausrichtung Studierenden. auf Nachhaltigkeit, desto stärker auch die Orientierung auf or- ganisationales Lernen und Transformation der Hochschulstruk- Zur Campus Experience finden sich nur wenige Arbeiten zu turen und -prozesse. unterschiedlichen Aspekten, darunter die „Greenness“ des Campus, im Sinne einer auf Biodiversität ausgerichteten Land- Ein weiterer Befund ist, dass die drei Hochschulen mit den schaftsgestaltung. stärksten Ausprägungen in beiden Dimensionen einige Merk- male gemeinsam haben: Es sind kleine Hochschulen (unter Interessante Befunde zur Dynamik der Veränderung hin zu 10.000 Studierende) abseits der Metropolen mit eher einge- mehr Nachhaltigkeit in unterschiedlichen Hochschultypen fin- schränktem Fächerspektrum. Die Kombination aus einer star- det sich bei Niedlich und Koautor:innen (2019). Sie unterschei- ken regionalen Rolle der Hochschule mit eher wenig komplexen den zunächst zwei Dimensionen der Nachhaltigkeitskulturen in internen Strukturen könnte sowohl die ganzheitliche Nachhal- Organisationen der tertiären Bildung: tigkeitsorientierung wie auch die hohe Lern- und Verände- rungsbereitschaft erklären.
Working Paper of the Institute for Innovation and Te c h n o l o g y 5 4 Eine Bestandsanalyse rungsdynamik an den Hochschulen zu erhöhen. Europaweit gibt es zudem mit dem Green Office Movement einen weiteren Eine klimaneutrale Hochschule rückt immer mehr in greifbare innovativen Ansatz. Green Offices sind studentische Nachhal- Nähe. Gleichwohl wird die Hochschullandschaft immer wieder tigkeitsbüros, die interessierten Studierenden und Hochschul- vor administrative und ökonomische Herausforderungen ge- mitarbeitenden eine Plattform bieten, um die Zusammenarbeit stellt. Doch wo befinden wir uns im Jahr 2020? Was sind die bezüglich des Etablierens einer Nachhaltigkeitsstrategie an der aktuellen Entwicklungen im Hochschulbereich? Welche Aktivi- eigenen Hochschule zu verbessern. Gerade studentische Initia- täten und Konzepte wurden bislang an den Hochschulen um- tiven haben durch ihre hohe Innovationskraft ein großes Poten- gesetzt? zial in der Bottom-up-Initiierung von Nachhaltigkeitsprozessen (Roosen-Runge et al. 2012). Das Green Office Modell wurde 4.1 Hochschulen von rootAbility – ein gemeinnütziges Sozialunternehmen – auf- gebaut und kann an die individuellen Gegebenheiten der jewei- Mit dem Start des BMBF-geförderten Verbundprojekts „Nach- ligen Hochschule angepasst werden. haltigkeit an Hochschulen: entwickeln – vernetzen – berichten“ (HOCH-N) haben sich im Herbst 2016 elf Hochschulen zusam- Nach einer Bestandsanalyse des netzwerk n e. V. aus dem Jahr mengeschlossen und erforschen interdisziplinär Nachhaltig- 2018 lassen sich Hochschulen in Bezug auf Nachhaltigkeit in keitsprozesse an ihren Institutionen. Bis heute (Stand 2020) drei Gruppen untergliedern. Die erste Gruppe umfasst Hoch- sind inzwischen 137 Hochschulen deutschlandweit Mitglied schulen, die eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsstrategie imple- des Netzwerkes (www.hochn.org). Mit der Gründung und Eta- mentiert haben. Die Leuphana Universität Lüneburg gilt unter blierung des netzwerk n e. V. (netzwerk-n.org) hat insbesondere den deutschen Hochschulen als Vorreiter. Aber auch die Hoch- die studentische Sicht mehr Gewicht in den wissenschaftspoli- schule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) und die tischen Diskussionen erhalten. Es gelang dadurch, studentische Freie Universität Berlin haben bereits eine umfassende Nachhal- Nachhaltigkeitsinitiativen zu stärken und damit die Verände- tigkeitsstrategie vorgelegt. Damit gibt es in Deutschland aktu- ell (im Jahr 2020) drei Hochschulen, die sich ganzheitlich dem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung in Lehre, Forschung, Be- trieb, Governance und Transfer verschrieben haben. Die zweite Gruppe umfasst eine Vielzahl an Hochschulen, z. B. Universität Tübingen, Universität Hamburg, Universität Kiel, Universität Hildesheim, Hochschule Darmstadt, Hochschule München und viele mehr, die einzelne Aktivitäten im Nachhaltigkeitsbereich aufweisen. Allerdings fehlt oft eine hochschulübergreifende Verankerung des Themas in allen Handlungsbereichen. Die drit- te Gruppe wird laut netzwerk n e. V. von all jenen Hochschulen gebildet, für die Nachhaltigkeit gar keine Rolle spielt. Bereits seit 2019 wenden 21 Hochschulen in Deutschland ein Umweltmanagementsystem an, u. a. EMAS. EMAS verpflichtet die teilnehmenden Hochschulen, über ihre Umweltleistungen zu berichten. Noch einen Schritt weiter geht der im Rahmen der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie entwickelte Deutsche Nachhaltigkeitskodex für Hochschulen (Hochschul-DNK), der nicht nur ökologische, sondern auch soziale Belange einbezieht. Dabei handelt es sich um einen für die spezifischen Anforde- rungen von Hochschulen angepassten Berichtstandard, der auf Initiative der Universität Hamburg, der Freien Universität Berlin und der Universität Duisburg-Essen – als federführende Hoch- schulen – vom Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) im Jahr 2018 verabschiedet wurde. Dem Hochschul-DNK verpflichten sich Hochschulen freiwillig durch eine Entsprechenserklärung. Diese sollte darlegen, wie die 20 Kriterien des Hochschul-DNK Abbildung 3: Im Netzwerk Hoch-N aktive Hochschuleinrichtungen (Stand erfüllt (comply) werden oder erklären, wieso über ein Kriterium 2020); www.nachhaltige-hochschullandschaft.de (Abruf 10.07.2020) nicht berichtet (explain) wird (Bassen et al. 2018).
Working Paper of the Institute for Innovation and Te c h n o l o g y 6 4.2 Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen 5.1 Nachhaltigkeit in der Mensa – Veggie N°1 studierendenWERK BERLIN Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen tragen durch ihre wissenschaftlichen Ergebnisse zu einer nachhaltigen Entwick- Die größte und zugleich dauerhafte Herausforderung der der- lung bei. Sie haben daher den Auftrag, sich mit ihrer Verant- zeit 56 Mensen des Studentenwerks Berlin ist es, eine hohe wortung gegenüber Umwelt, Gesellschaft und Mitarbeitenden Qualität und eine ökologische bzw. artgerechte Produktion zu in den eigenen Forschungs- und betrieblichen Prozessen ausei- einem Preis anbieten zu können, der zum Budget der Studie- nanderzusetzen, stoßen dabei jedoch häufig noch an diszipli- renden passt. Mit der ersten rein vegetarisch-veganen Campus- näre Grenzen, an denen ihre Forschung ausgerichtet ist. Aber mensa Deutschlands kommt die Freie Universität Berlin diesem auch hier gibt es Vorreiterinstitute, die Nachhaltigkeit in der Ziel ein Stück näher. Aus einer sanierungsbedürftigen Mensa Forschung inhaltlich und methodisch konsequent umsetzen entstand im Jahr 2010 Veggie N°1 – die grüne Mensa. Hier wer- und ihren Betrieb danach ausrichten. So entwickelte 2016 die den pro Tag ca. 1.300 vegetarisch bzw. vegane Essen serviert. Fraunhofer-Gesellschaft gemeinsam mit der Leibniz- und der Durch die ausschließliche Verwendung vegetarischer Zutaten Helmholtz-Gesellschaft im Rahmen des Projekts LeNa (Leitfa- kann ein hoher Bioanteil von 60 Prozent erreicht werden. Der den Nachhaltigkeit) eine forschungsspezifische Interpretation Schlüssel zur Lösung liegt in der langfristigen Zusammenarbeit vorhandener Standards des Nachhaltigkeitsmanagements und mit Bio-Betrieben in der Region sowie in der Verwendung von der Nachhaltigkeitsberichterstattung für außeruniversitäre For- saisonalen Produkten. Zudem wurden die Mitarbeitenden der schungseinrichtungen. Der Leitfaden gibt einen Überblick darü- Mensa im vegetarischen und veganen Kochen geschult und die ber, welche Handlungsfelder für außeruniversitäre Forschungs- Gäste regelmäßig über die vegetarische und vegane Ernährung einrichtungen als Organisation nachhaltigkeitsrelevant sind, informiert. Dank der Veggie N°1 wird inzwischen an allen gro- und wie diese einen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung ßen Mensen des Studentenwerks Berlin neben dem Bioessen leisten können (Fraunhofer-Gesellschaft et al. 2016). ein veganes Klimaessen angeboten (netzwerk n e. V./Virtuelle Akademie Nachhaltigkeit Bremen 2016). 5 Fallbeispiele zum nachhaltigen Hochschul- 5.2 Smart Library der Universität Hildesheim betrieb In der Bibliothek der Universität Hildesheim trifft seit 2011 klas- Durch die Vorstellung von vier Good-Practice-Beispielen soll sische Literatur auf moderne Technologie. Die Smart Library ist illustriert werden, wie der Nachhaltigkeitsgedanke an Hoch- eine der ersten Bibliotheken Deutschlands mit technisch opti- schulen konkret umgesetzt werden kann. Zwei der Beispiele miertem Energiemanagement. In dem seit 1990 bestehenden beziehen sich auf den Hochschulbetrieb. Unter einem nachhal- Gebäude ist ein System für intelligentes und umfassendes Ener- tigen Hochschulbetrieb versteht Prof. Günther der Technischen giemanagement installiert worden mit dem Ziel, den Stromver- Universität Dresden ein umfassendes Konzept, wie den energie- brauch um bis zu 45 Prozent und die Heizkosten um bis zu 30 effizienten Betrieb von Gebäuden, die Nutzung erneuerbarer Prozent zu senken. Mithilfe der intelligenten Steuerungssyste- Energien, aber auch das Thema ressourcensparende Mobilität me kann zudem das Raumklima verbessert und ein optimaler der Studierenden und Angestellten, die Versorgung der Men- Luftaustausch gewährleistet werden. Auch der Austausch veral- sen mit regionalen, ökologischen Lebensmitteln, das Veran- teter Beleuchtungstechnik bringt erhebliche Einsparungen. Die staltungsmanagement sowie eine verantwortliche und mitar- angestrebten Verbesserungen im Bereich der Betriebstechnik beiterorientierte Personalpolitik im Sinne der Corporate Social tragen nicht nur zu einer nachhaltigen Entwicklung der Univer- Responsibility (CSR). sität Hildesheim, sondern auch zum Erhalt eines hochwertigen Bildungsangebots bei. Neben der Optimierung der Energietech- Ein weiteres Beispiel betrifft die Lehre und den Transfer. Das nik ist aber auch ein energiesparendes Nutzungsverhalten der vierte Beispiel beschreibt das Konzept einer Hochschule zur Bibliotheksmitarbeitenden und Studierenden unverzichtbar. Ein Darstellung und Visualisierung der nachhaltigkeitsbezogenen wichtiger Aspekt dabei ist, dass Studierende der Universität Hil- Aktivitäten über die einzelnen institutionellen Bereiche (Lehre, desheim bei der Planung der Smart Library aktiv einbezogen Forschung, Transfer, Betrieb) hinweg. wurden. Die Smart Library gilt als Vorreitermodell für weitere öffentliche Gebäude im Stadtgebiet (netzwerk n e. V. 2018). Die im Folgenden beispielhaft genannten Hochschulen sind Mitglieder des Verbundprojekts HOCH-N.
Working Paper of the Institute for Innovation and Te c h n o l o g y 7 5.3 Lehre und Transfer richtung und Vielfalt. Hier gibt es erste Hinweise, aber noch keine „tiefenscharfen“ Analysen. Vier große Wiener Universitäten – Universität Wien, Technische Universität (TU) Wien, Wirtschaftsuniversität (WU) Wien, Uni- In beiden Feldern sollten interessierte Forschende neue Schwer- versität für Bodenkultur (BOKU) Wien – veranstalten seit 2010 punkte setzen; Forschungsförderungseinrichtungen der öf- gemeinsam die Sustainability Challenge als eine Praxis-Lehr- fentlichen Hand oder auch private Akteure, z. B. Stiftungen, veranstaltung zu nachhaltiger Stadtentwicklung. Seit 2013 ist können hier gesellschaftlich dringend erforderliche Forschung das Regional Centre of Expertise on Education for Sustainable unterstützen. Development (RCE) Vienna für die Organisation verantwortlich. Jährlich gestalten 60 Studierende aller Studienrichtungen in in- Als Bedarf der praktischen Implementierung lässt sich vor al- terdisziplinären Teams zwölf konkrete Nachhaltigkeitsprojekte, lem eine ganzheitliche Governance der Transformation hin zur die mit Partnerunternehmen oder als Start-up realisiert wer- nachhaltigen Hochschule über alle institutionellen Bereiche – den. Durch dieses Konzept wird die Nachhaltigkeit zugleich mit Bildung, Forschung, Outreach, Campusbetrieb und Campus mehreren institutionellen Bereichen der Hochschulen verbun- Experience – benennen. den: Einerseits mit der Lehre, andererseits mit FuE-Kooperation/ Transfer/Outreach (netzwerk n e. V. 2018). Die Hochschulen selbst, ihre Träger und eventuelle weitere Förderorganisationen sollten dabei unterschiedliche Herange- 5.4 Bereichsübergreifende Information und hensweisen je nach Strukturmerkmalen der Hochschulen (s. o.) Visualisierung erkennen, erlauben und vorsehen. Die Universität Hamburg stellt ihre nachhaltigkeitsbezogenen Aktivitäten in den Bereichen Studium und Lehre, Forschung so- 7 Literatur wie Administration und Infrastruktur in interaktiven digitalen Landkarten online dar. Das Kompetenzzentrum Nachhaltige Bassen, Alexander, Remmer Sassen, Gerhard de Haan, Coco Universität (KNU) präsentiert so anschaulich die Aktivitäten der Klußmann, André Niemann und Elisa Gansel (Hrsg.) (2018): Universität Hamburg, die sie auch im Rahmen des oben be- Anwendung des hochschulspezifischen Nachhaltigkeitskodex – schriebenen Deutschen Nachhaltigkeitskodexes (DNK) betreibt Ein Weg zur Nachhaltigkeitsberichterstattung an Hochschulen (netzwerk n e. V. 2018). (Betaversion). BMBF-Projekt: Nachhaltigkeit an Hochschulen: entwickeln – vernetzen – berichten (HOCH-N). 6 Fazit Findler, Florian, Norma Schönherr, Rodrigo Lozano, Daniela Reider und André Martinuzzi (2019): The impacts of higher Hochschulen und außerhochschulische Forschungseinrichtun- education institutions on sustainable development – A review gen greifen immer stärker das Ziel der Nachhaltigkeit in allen and conceptualization. International Journal of Sustainability in ihren institutionellen Bereichen auf. Es finden sich viele Fallbei- Higher Education; Vol. 20 No. 1, pp. 23–38. spiele, die dies eindrucksvoll illustrieren Auch die Forschungser- gebnisse zu nachhaltigen Hochschulen und Forschungseinrich- Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft und Leibniz- tungen werden mit steigender Tendenz publiziert. Gemeinschaft (Hrsg.) (2016): BMBF-Projekt LeNa – Nachhaltig- keitsmanagement in außeruniversitären Forschungsorganisati- Dennoch lassen sich angesichts der empirischen Befunde und onen. Handreichung. der qualitativen Sachstandsdarstellung einige Desiderate hin- sichtlich der Forschung und der praktischen Implementierung Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und Deutsche UNESCO- formulieren. Kommission (DUK) (2010): Hochschulen für nachhaltige Entwicklung – Erklärung der Hochschulrektorenkonferenz Die Forschungsbedarfe stellen sich zunächst wie folgt dar: (HRK) und der Deutschen UNESCO-Kommission (DUK) zur Hochschulbildung für nachhaltige Entwicklung, Entschließung Es gibt zu wenige belastbare Studien zur Wirkung und der 7. Mitgliederversammlung am 24.11.2009, Entschließung Wirksamkeit der Nachhaltigkeitsstrategien von Hochschulen des DUK-Vorstands am 22. Januar 2010. https://www.hrk. und Forschungseinrichtungen. de/positionen/beschluss/detail/hochschulen-fuer-nachhaltige- Die Angemessenheit und Wirksamkeit von Nachhaltigkeits- entwicklung/ (Abruf 09.07.2020). strategien könnte von Strukturmerkmalen der Hochschule abhängen, z. B. Größe, regionaler Kontext, fachliche Aus-
Working Paper of the Institute for Innovation and Te c h n o l o g y 8 Kanning, Helga und Daniel Schiller (2014): Engagierte Hoch- Niedlich, Sebastian, Benjamin Kummer, Mara Bauer, Marco schulen. Pioniere des Wandels für nachhaltige Regionalent- Rieckmann und Inka Bormann (2019): Cultures of sustainabi- wicklungen? Unimagazin, Forschungsmagazin der Leibniz lity governance in higher education institutions: A multi-case Universität Hannover (Hrsg.); Ausgabe 3/4: Räume im Wandel. study of dimensions and implications. Higher Education Quar- S. 30–32. terly; 00, pp. 1–18. Lozano, Rodrigo, Rebeka Lukman, Francisco J. Lozano, Donald Roosen-Runge, Felix, Moritz A. Drupp, Lena Keul und Alejan- Huisingh und Wim Lambrechts (2013): Declarations for sustai- dro Esguerra (2012): Bottom-up Engagement für Nachhaltige nability in higher education: becoming better leaders, through Entwicklung. Erfahrungen, Chancen und Grenzen in Wissen- addressing the university system. Journal of Cleaner Produc- schaft für nachhaltige Entwicklung! Studierendeninitiative tion; Vol. 48, pp. 10–19. Greening the University e. V. (Hrsg.). Netzwerk n e. V. und Virtuelle Akademie Nachhaltigkeit Bre- UNESCO (2015): UNESCO and Sustainable Development men (Hrsg.) (2016): Zukunftsfähige Hochschulen gestalten: Goals. https://en.unesco.org/sustainabledevelopmentgoals Beispiele des Gelingens aus Lehre, Governance, Betrieb und (Abruf 09.07.2020). Forschung. Netzwerk n e. V. (Hrsg.) (2018): Zukunftsfähige Hochschulen gestalten: Beispiele des Gelingens aus Lehre, Forschung, Be- trieb, Governance und Transfer. Impressum Herausgeber Autorinnen und Autor iit perspektive Nr. 53 Prof. Dr. Volker Wittpahl Maria Korbizki Berlin, Juli 2020 Dr. Andrea Kölbel Institut für Innovation und Dr. Ernst A. Hartmann Technik (iit) in der VDI/VDE-IT Layout: Poli Quintana Kontakt Bildnachweis:Rawpixel.com/ Steinplatz 1 Dr. Ernst A. Hartmann AdobeStock 10623 Berlin Tel.: +49 (0)30-31 00 78-111 www.iit-berlin.de E-Mail: hartmann@iit-berlin.de ISBN: 978-3-89750-222-2 Jede Personenbezeichnung in dieser Publikation gilt für jedes Geschlecht.
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