NATO Seasparrow Surface Missile System Project - Erfahrungen in der internationalen Flugkörperentwicklung
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
NATO Seasparrow Surface Missile System Project – Erfahrungen in der internationalen Flugkörperentwicklung Mit der eingeleiteten Außerdienststellung der Fregatten der Klasse F122 wird die Deutsche Marine voraussichtlich ab dem Jahr 2019 auch deren Haupteffektor gegen Luftziele im Nahbereich aus der Nutzung nehmen. Der zeitgleich mit den Fregatten der Klasse F122 eingeführte Effektor NATO Seasparrow Surface Missile (NSSM) ist seit über 30 Jahren in verschiedenen technischen Evolutionsvarianten verfügbar und in der Deutschen Marine sowohl in das Waffensystem F122 als auch seit dem Jahr 1996 in die Fregatten der Klasse F123 integriert. Dieser Luftziellenkflugkörper (LZ-LFK) stellte mit der Einführung eine erstmalige Vollintegration eines semiaktiv suchenden LZ-LFK in ein automatisiertes Führungsmittel- und Waffeneinsatzsystem (FüWES) einer deutschen Fregatte dar und sollte, neben der Bekämpfung von Flugzeugen im Nahbereich, auch insbesondere den Selbstschutz in der Anti-Ship-Missile Defence (ASMD) erheblich verbessern. Für die Entwicklung, Beschaffung und technische Betreuung in der Nutzungsphase ist das NATO Seasparrow Surface Missile System Project Office (NSPO) als internationales Gremium zuständig. Das NSPO dient als Bindeglied zwischen den verschiedenen Nutzernationen sowie der beteiligten Industrie und führt über den gesamten Projektierungs-, Entwicklungs- und Nutzungszeitraum die Interessen der Partnernationen innerhalb des gemeinsamen Projektes zusammen. Das NSPO betreut, neben den jeweiligen Flugkörpern, jedoch auch zusätzlich die zugehörigen Startsysteme (Guided Missile Launch Systems – GMLS), die zugehörigen Lager- und Transportkanister sowie teilweise auch die Konfiguration der Feuerleitsysteme (z.B WM25/STIR Varianten) an Bord verschiedener internationalen Schiffsklassen. Historie Bereits im Jahr 1966 wurde der Grundstein für die spätere Gründung des NSPO durch die NATO Naval Armaments Project Group 21 gelegt. Die Project Group 2 beauftragte eine Studie zur Untersuchung von Möglichkeiten einer gemeinsamen Entwicklung von Abwehrsystemen gegen die zunehmende Bedrohung von Schiff-Schiff Flugkörpern (Anti- Surface Ship Missiles - ASM). Durch die Bekämpfung eines israelischen Zerstörers durch einen STYX ASM in 1967, wurden die Lücken in den damals vorhandenen Verteidigungs- systemen an Bord der NATO Marinen in dramatischer Weise offensichtlich. Wurde in der Vergangenheit maßgeblich in die Weiterentwicklung von Artilleriesystemen investiert, waren die Schiffe zum Höhepunkt des Kalten Krieges nahezu schutzlos dieser neuen Bedrohung 1 Mitglieder: USA, ITA, FRA, NOR, DNK, DEU und NLD (Beobachterstatus)
ausgesetzt. Darüber hinaus wurde schnell ersichtlich, dass die Industrie in NATO Europa nicht über die notwendige Technologie sowie Grundlagenforschung verfügte, die die schnelle Schließung einer sich offenbarenden Fähigkeitslücke hätten ermöglichen können. Vor dem Hintergrund dieser dramatischen Entwicklung schlossen ITA, NOR, DNK und die USA bereits in 1968 ein Memorandum of Understanding (MoU) zur gemeinsamen Entwicklung und Beschaffung eines geeigneten Abwehrsystems und über die Einrichtung eines gemeinsamen Projektbüros in der Nähe von Washington D.C. Durch die Adaption der Technik des in den USA verfügbaren Luft-Luft Flugköpers (Air-to-Air Missiles - AAM) AIM-7 Sparrow konnte bereits in 1969 die erste Beschaffung von zunächst 57 Seasparrow Flugkörper als Vorserienmodelle beauftragt werden. Im Jahre 1975 wurde dann das erste NATO Seasparrow System operativ an Bord von Schiffen eingesetzt, immerhin annähernd zehn Jahre nach der beauftragen Studie durch die Project Group 2. Deutschland trat 1977 dem NSPO bei und war seither annähernd an allen Systemerweiter- ungen und Neuentwicklungen aktiv beteiligt, beispielsweise an der Fähigkeitserweiterung NSSM gegen eine asymmetrische Bedrohung. Derzeit befindet sich in der Deutschen Marine neben dem NSSM auch der Evolved Standard Seasparow (ESSM) in der Nutzung. Eine weitere Entwicklung hin zum verbesserten ESSM Blk 2 ist vor kurzem angelaufen und soll den ESSM ab der Mitte der nächsten Dekade ablösen. Das NSPO ist zwischenzeitlich auf stimmberechtigte 12 NATO-Nationen aufgewachsen. Darüber hinaus befindet sich der NSSM in weiteren sechs und der ESSM in vier zusätzlichen Nationen in der Nutzung, die die Vorteile der internationalen Kooperation ebenfalls nutzen. Vorteile der internationalen Kooperation Wenn immer das NATO Seasparrow Surface Missile System Project erwähnt wird, erwächst in den Köpfen der meisten Betrachter automatisch das Bild eines Flugkörpers, von einem Schiff in Zielrichtung abfliegt. Der Flugkörper ist jedoch nur ein Teil der Produktpalette, das in diesem internationalen Projekt abgebildet wird. Vielmehr betrachtet das NSPO die gesamte Feuerleitkette, vom Feuerleitsystem über das Startersystem bis hin zum Flugkörper. Unabhängig von nationalen technischen Lösungsansätzen und Integrationsansprüchen wird das Ziel der Standardisierung von Schnittstellen zur Übertragung von Feuerleitinformationen als maßgebliche Zielsetzung praktiziert. Durch die Einbindung von nationalen Sprechern innerhalb der NSPO – Organisation ist sichergestellt, dass die jeweiligen Forderungen und Problemstellungen prominent vertreten werden. Entscheidungen, die Entwicklungen und Lösungsansätze nach sich ziehen, müssen in Folge einstimmig erfolgen. So ist sichergestellt, dass keine Nation entsprechende Projekte dominiert und eigene Interessen gegen den Willen anderer Nationen durchsetzen kann.
Die frühzeitige Einbindung der Industrie als Partner stellt sicher, dass auch nationale Entwicklungs- und Beschaffungsrückflüsse aus den eigenen Investitionen erfolgen können. Insbesondere nationale Hochwerttechnologien können so anteilig in das Gesamtprogramm einfließen und stellen eine qualitative Steigerung des Gesamtprojektes sicher. Nationale und internationale Neu- und Weiterentwicklungen haben aus Erfahrungen der Vergangenheit immer zwei gemeinsame Herausforderungen aufgezeigt: Sie besitzen ein hohes technisches und finanzielles Risiko. Nur durch eine Aufteilung beider Risiken auf mehrere Nationen kann das Realisierungsrisiko minimiert werden. Dieses setzt aber schon zu Beginn der Entwicklung ein Festlegen auf gemeinsame operative Forderungen voraus. Das Formulieren von operativen Forderungen wiederum beruht auf der gemeinsamen Bedrohungsfeststellung. Das NSPO nutzt hierfür ein gemeinsames Bedrohungsszenario, das kontinuierlich durch gewonnene Erkenntnisse der beteiligten Partnernationen fortge- schrieben wird. Im Rahmen der Entwicklung von neuen Systemen muss das jeweilige Projekt verschiedene Qualitätsmeilensteine durchlaufen, die übergreifend durch alle Nationen vereinbart wurden. Insbesondere die US-amerikanischen Meilensteine stellen eine besondere Herausforderung dar und müssen bei realen Schießabschnitten gegen eine große Anzahl von Zielen nachgewiesen werden. Dies steigert zwar die Kosten zu Beginn eines Projekts, zahlt sich aber durch die hohe Zuverlässigkeit des Systems in der weiteren Nutzungsphase wieder aus. Einer der größten Vorteile dieser internationalen Kooperation wirkt sich aber maßgeblich in der Nutzungsphase aus. Ist bei nationalen Projekten der in der Nutzung befindlicher Anteil an Systemen in der Regel auf eine Kleinstserie (z.B. einigen europäischen Seezielflug- körper) begrenzt, sind es bei den NSPO geführten Projekten in der Regel größere Mengengebinde die einer Betrachtung unterliegen. Erfahrungen einer Nation während eines Truppenschießens werden unmittelbar allen Nationen im NSPO zur Verfügung gestellt und können über eine gemeinsame Datenbank abgerufen werden. Mögliche Fehlerquellen können so systematisch und ggf. reproduzierbar aufgedeckt und in Folge durch gemeinsame technische Lösungen behoben werden. Durch die Vielzahl von System- und Truppen- schießen aller Nationen unter verschiedensten klimatischen Bedingungen und gegen unterschiedliche Zielvariationen, kann so die Zuverlässigkeit und Durchsetzungsfähigkeit des Systems regelmäßig überprüft werden. Durch eine gemeinsame Depotnutzung von NSPO Nationen kann darüber hinaus auch der Kostenansatz für Transport, Lagerung, Systemprüfungen und Instandsetzung reduziert
werden. So werden wiederkehrende Maßnahmen beim Testen, Prüfen und die Erfordernisse der Rezertifizierung in gemeinsam genutzten Einrichtungen durchgeführt. Herausforderungen im Rahmen der derzeitigen und künftigen Entwicklungen Die Erfahrungen aus der Vergangenheit haben gezeigt, dass die Zeitspanne von Initiierung eines Projektes durch die NSPO Nationen, bis zur abschließenden Integration in ein Waffensystem bereits heute die anfänglich benötigten zehn Jahres erheblich übersteigt. Vor allem nationale Kostenzwänge im Rahmen der Integration verzögern zudem noch die tatsächliche Nutzungsphase. Neben der großen Bandbreite an funktionalen Forderungen aufgrund unterschiedlicher Integrationsanforderungen, finden zunehmend auch die unterschiedlichen Waffensystem- philosophien erheblichen Einfluss in die Entwicklung. Wird beispielsweise bei einem deutschen Waffensystem der Nächstbereich durch das Waffensystem Rolling Airframe Missile (RAM) abgedeckt, fordert die niederländische Marine eine zusätzliche Funktionalität für die künftigen Flugkörper im Nächstbereich aufgrund der geringeren Reichweite des „close-in-weapon system“ Goalkeeper. Die erhebliche Reduzierung von maritimen Einheiten in der NATO hat auch Auswirkungen auf die Anzahl von zu beschaffenden Systemen in der Zukunft. Darüber hinaus beteiligen sich auch nicht alle zwölf NSPO Nationen an der Entwicklung bzw. Beschaffung von neuen Flugkörpern. Dies bedeutet, dass der Vorteil der gemeinsamen Entwicklung und Beschaffung abnimmt und die ursprünglichen Großserien nicht mehr erreicht werden. Dies wird sich künftig in der Nutzungsphase ebenfalls negativ auswirken, da die geringere Anzahl von beschafften Flugkörpern auch nicht durch Truppenschießen weiter reduziert werden soll. Das Synchronisieren der nationalen Rüstungsverfahren mit den im NSPO angewandten Entwicklungs- und Beschaffungsverfahren wird zunehmend herausfordernder und zeitintensiver. Nationale Verfahren, wie beispielsweise für Deutschland im Customer Product Management (CPM novelliert) festgeschrieben, weisen unterschiedliche Phasen und Meilensteine auf. Die Koordination über alle NSPO Nationen mit zusätzlich unterschiedlich geregelten Zuständigkeiten werden dazu führen, dass einzelne Nationen regelmäßig erst in der Beschaffungsphase in das Projekt einsteigen werden. Zusätzliche operative Forderungen werden dann durch die jeweilige Nation in eigener Zuständigkeit über die gesamte Einführungs- und Nutzungsphase zu finanzieren sein.
Bewertung der internationalen Kooperation im NSPO aus deutscher Sicht Durch die systemnahe Begleitung der einzelnen Vorhaben innerhalb des NSPO konnte die Deutsche Marine in der Vergangenheit große Vorteile für die in Nutzung befindlichen Fregatten der Klassen F122, F123 und F124 ziehen. So wurde die technische Steuerung und Unterstützung für die Feuerleitsysteme STIR, die Startsysteme VLS Mk 41 und Mk 29 GMLS sowie der Flugkörpersysteme NSSM und ESSM durchgehend gewährleistet. Insbesondere wurde der Quadpack MK 25 speziell für ESSM entwickelt, der den vorhandenen Waffensystemen einen erheblichen Aufwuchs an Wirkmitteln zukommen ließ. Ein Rückgriff auf Ersatzteil- und Austauchvarianten anderer Nationen sowie ein gesteuertes Obsoleszenzmanagement, stellten die durchgehend hohe Verfügbarkeit der Systeme sicher. Durch den gemeinsamen Betrieb der logistischen Lagerhaltung mit der niederländischen Marine in einem Munitionsdepot in Den Helder, an dem sich auch Dänemark und Norwegen beteiligen, konnten Synergien genutzt werden. Mit zunehmende Reduzierung der Einheiten innerhalb der Deutschen Marine und der getroffenen Entscheidung, die Fregatten der Klasse F125 ausschließlich nur mit dem Nächstbereichsystem RAM auszustatten, wird der deutsche Bedarf an Flugkörpern künftig abnehmen. Über eine Nutzung von Flugkörpern für den Nahbereich (ESSM) an Bord des Mehrzweckkampfschiffes 180 (MKS 180) ist derzeit noch nicht entschieden. Der abnehmende Bedarf wird die deutsche Stellung im NSPO von einer der Hauptnutzernationen auf eine einfache Nutzernation absinken lassen. Die derzeit im NSPO angelaufene Entwicklung von ESSM Blk 2 verlief zunächst ohne deutsche Beteiligung, da die benötigten Entwicklungskosten kurzfristig nicht mehr in den Haushalt eingebracht werden konnten. Ein deutscher Einstieg in die Entwicklung zu einem späteren Zeitpunkt ist nicht gesichert. Der CPM (nov.) steckt mit den vorgegebenen Verfahren einen sehr engen Korridor, der wenig Spielraum für einen kurzfristigen Einstieg in eine internationale Kooperation zulässt. Wird dieser Korridor nicht genutzt, ist ein flexibler Einstieg nahezu ausgeschlossen. Die Konsequenzen wären über den möglichen Kostenaufwuchs bei einer Ersatzbeschaffung des ESSM Blk II für F124 zu kompensieren. Wären darüber hinaus operative Forderungen zu berücksichtigen, ist deren Umsetzung allein durch Deutschland zu tragen. Auch wäre eine Beteiligung der deutschen Industrie an der Entwicklung und dem Bau von Komponenten ggf. verwehrt. Fazit Das NSPO als das älteste Projektbüro der NATO war in der Vergangenheit beispielgebend für die Entwicklung, Beschaffung und Nutzung von Systemen für die Flugabwehr im Nahbereich und den Schutz von maritimen Einheiten in der ASMD.
Die besondere Stellung und der Nutzen für die beteiligten Staaten konnte über die Vielzahl der beteiligten Nationen sichergestellt werden. Einzelne Projekte wurden über den Konsens aller Staaten, Teilung der Erfahrungen und des Wissens sowie unter Beteiligung verschiedener nationaler Rüstungsunternehmen erfolgreich geführt. Der Erfolg eines Projektbüros dieser Ausprägung hängt unmittelbar von der aktiven Beteiligung der einzelnen Nationen ab. Insbesondere Deutschland sollte ein sehr großes Interesse am weiteren Fortbestand dieses Projektbüros haben - aus operationellen Gründen ergibt, aber nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der eigenen beteiligten Rüstungsindustrie.
Sie können auch lesen