Neomythos Satanismus Die Wiederbelebung des Satanismus-Mythos als einfaches Erklärungsmuster für unverstandene komplexe Zusammenhänge und die ...

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© Dr. J. Berchem                 29. April 2021         Neomythos Satanismus.odt

               Neomythos Satanismus

   Die Wiederbelebung des Satanismus-Mythos als
    einfaches Erklärungsmuster für unverstandene
 komplexe Zusammenhänge und die Rechtfertigung für
          Eskalation, Gewalt und Vergeltung

                            Dr. Jörg Berchem

                             www.Joyful-Life.org

In Zeiten, in denen den Menschen komplexe Zusammenhänge verborgen
bleiben, die zu Einschränkungen, Umbrüchen, Unsicherheiten führen, neigen
viele von ihnen dazu, sich sehr einfachen (meist monokausalen) Theorien
zuwenden, die eine leicht verständliche Deutung des Unerklärlichen anbieten.
Da das scheinbar Unerklärliche als so unwahrscheinlich und unglaublich
empfunden wird, sind die Ansprüche an einfache Deutungsmodelle gering und
selbst die unglaublichsten, skurrilsten und völlig unbelegten Theorien
bekommen eine Chance, zahlreiche Anhänger zu finden. Beispiele dafür gibt es
in der Geschichte viele und in der Gegenwart zunehmend.

Dabei sind sehr viele dieser Theorien eine ständige Wiederbelebung des
Satanismus-Mythos bzw. eine neomythologische Neubildung eines primitiven
Weltbildes, das sich in Orient und Okzident auf ein simples Deutungsmuster der
Welt gründet, wie es etwa Zarathustra beschrieben hat und das beispielsweise
ursprünglich im Schachspiel eine bildliche Darstellung fand: Demnach gibt es in
der Welt Licht und Schatten, Weiß und Schwarz, Gut und Böse, die in einem
ständigen Kampf gefangen sind, den es vermeintlich zu gewinnen gilt.
In den Buchreligionen von Christentum, Judentum und Islam, wird das
sogenannte „Böse“ als Satan oder Teufel personifiziert, das in Form von
„satanischen Mächten“ die Welt oder wenigstens die Menschheit oder

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Gesellschaft bedroht.
So lässt sich eine als Bedrohung empfundene Gegenwart einfach deuten und
zudem durch eindeutige Schuldzuweisungen erträglich werden. An keiner
Bewegung wird dieses derzeit so deutlich, wie an Q-Anon, dass den Satanismus
als Neomythos erstehen lässt. Die Vorwürfe, die dort erhoben werden, sind die
gleichen, wie in anderen Satanismus-Mythen der Geschichte, etwa denen gegen
„Ketzer“, Juden oder sogenannte „Hexen“.
Ritueller Kindsmord, sexuelle Gewalt und ritueller Missbrauch, Menschenopfer
und Kannibalismus sind die klassischen Vorwürfe an eine als Böse empfundene
Macht oder Gruppe, die für das Leid in der Gesellschaft oder der Welt als
Ganzem verantwortlich gemacht wird.
Die in dem Mythos angenommene Anbetung des Teufels durch Satanisten zielt
dabei nicht auf die Gruppe der wenigen Anhänger einer religionsähnlichen
Weltanschauung, die erst in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts
überhaupt entstanden ist und eher gesellschaftliche Randgruppen zu ihren
Anhängern zählt. Diese sind sehr heterogen aber immer mehr oder weniger
ernsthaft fasziniert von „Bosheit“, Gewalt und Macht, von dunklen rituellen
Handlungen, dem Tod und Magie. Sie stellen teilweise in einer Art
Gegenbewegung klassische Religionen quasi auf den Kopf. Offensichtlich sind
diese Individuen und Gruppen von entsprechenden Filmen und
Horrorerzählungen stark beeinflusst, die die Erzählungen historischer Satans-
Mythen vom Kontext befreien und wie historische Realität erscheinen lassen. Die
zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz von sexuellen Fetischpraktiken wie
BDSM nährt die Fantasie und Lust am Glauben, dass irgendwo solche Praktiken
nicht nur spielerisch sondern ernsthaft und kultisch zelebriert werden. Zudem
gefüttert wird dies von reißerischen Medienberichten über Einzelfälle von
Kannibalismus und Missbrauchsopfer und der Darstellung von Pädophilie nicht
als behandlungswürdiger Gesundheitsstörung, sondern bösartiger krimineller
Straftat. Diese wiederkehrende öffentliche Thematisierung etabliert eine
Glaubwürdigkeit im Hinblick auf die Existenz von Satanismus, was eine
gefährliche Grundlage bildet für die derzeit zu beobachtenden Neomythen.
Tatsächlich zielen die Satanismus-Mythen und die Q-Anon-Bewegung in ihrer
Schuldzuweisung nicht auf reale heterogene religiöse Minderheiten, sondern auf
sogenannte „elitäre Gruppen“ als vermeintliche Satansanhänger, die weder sich
selber so bezeichnen, noch aus Randgruppen der Gesellschaft bestehen,
sondern vielmehr aus einflussreichen und wohlhabenden Mitgliedern der
Gesellschaft.
Auch darin findet sich eine Parallele zu historischen Satanismus-Mythen, die

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besonders im Falle der Judenverfolgung nicht nur ähnlich ist, sondern bei Q-
Anon teilweise direkt daran anknüpft.
Die Autoren und Akteure der Neomythen, von denen Q-Anon nur eine, aber die
derzeit      weitverbreitetste   ist,   bedienen    sich    dabei    bestimmter
Plausibilisierungsstrategien, die auf Dramatisierungen und Mythen basieren.
Öffentliche Aufmerksamkeit und Beunruhigung erzeugt dabei vor allem die
Brutalität und Ungeheuerlichkeit der jeweils geschilderten Missbrauchs-,
Indoktrinierungs- und Gewalterlebnisse. Zumeist handelt es sich um
Schilderungen erwachsener, überwiegend weiblicher Opfer. Sie berichten, dass
sie (in ihrer Kindheit) in geheimen Kultgruppen über Jahre missbraucht, gefoltert
und „programmiert“ wurden. Auf der Basis dieser Berichte etablierte sich die
Annahme, dass geheim agierende, hoch entwickelte und international vernetzte
satanische Organisationen dafür verantwortlich seien.
Satanismus wird dabei gar nicht als reale Gefahr diskutiert, sondern als
Diskurselement    für  öffentlich  verbreitete  Wahrnehmungs-       und
Vorstellungszusammenhänge genutzt.
Die vorgeblich massiven kriminellen Handlungsprozesse werden dabei aus in
Rechtssystemen üblichen Zusammenhängen gerissen und eine vermeintliche
„böse Macht“ angenommen, deren angebliche Anhänger, als „unmenschlich“
und Verkörperung des „Bösen“, auch keine Überführung, keine Anklage und
keinen Prozess mehr verdienen, sondern letztlich nur durch Gewalt
„auszuräumen“ sind.
Der gleichen gefährlichen Logik bedient sich ja auch zunehmend „westliche“
Interventionspolitik, bei der zum Beispiel Muammar al-Gaddafi, Saddam Hussein
und Osama Bin Laden sowie all die Opfer der Drohnenmorde keine Anklage,
Prozesse, Verurteilungen oder Freisprüche erhalten, sondern es als angemessen
und völlig legitim erachtet wird, sie jederzeit und auch nach vorheriger
Verfolgung, Verhaftung und Folterung in situ hinzurichten und zu
„neutralisieren“.
Das gleiche Denken hat erschreckenderweise auch in vielen Ländern die
„Terrorismusbekämpfung“ übernommen. Der vermeintliche Terrorist als
Verkörperung des Bösen, braucht keiner Überführung in einem Gerichtsprozess
und keiner Verurteilung mehr, er darf sofort an Ort und Stelle „neutralisiert“
werden. Hier zeigt sich, wie sich der Satanismus-Mythos über
verschwörungsideologische Bewegungen hinaus, gesellschaftlich etabliert hat
und aus politischen Gründen auch etabliert wurde.
Man könnte sagen: Diese Etablierung rächt sich nun, indem die gleiche

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vermeintliche Logik gegen die angewendet wird, die sie einst politisch etabliert
haben. Dabei ist nicht auszuschließen, dass auch diese Bewegungen, wie zum
Beispiel Q-Anon, politisch motiviert manipuliert und gelenkt werden.
Im Übrigen ist auch die Corona-Pandemie-Theorie vom Gedankengut des
Satanismus-Mythos geprägt. Die „Geschichte“ von einem durch und durch
bösen zerstörerischen Virus folgt dem gleichen Gedankenmuster. Die Annahme,
dass es in der Natur etwas Satanisches gäbe, hat in der Vergangenheit zur
Ausrottung von Tierarten geführt, wie zum Beispiel dem Bär und dem Wolf, die
in Wirklichkeit lediglich Nahrungskonkurrenten des Menschen waren. Die
Märchen vom bösen Wolf sind gleichfalls ein Satanismus-Mythos, der die
Verfolgung dieser Tierart bis zu Ausrottung rechtfertigte. Dafür ist er im
Märchen als Archetypus des Bösen etabliert worden.
Gleichsam wurde in den letzten Jahrzehnten die Mär von drohenden bösen
Viren geframed, um im Jahr 2020 ein satanisches Feindbild covid-19 zu
etablieren. Ohne einen Grundglauben, dass es so etwas Zerstörerisches
überhaupt in der Natur geben könne, wäre die Art der Definition dieser
„Pandemie“ und die Rechtfertigung der destruktiven Maßnahmen nicht möglich
gewesen.
Gleichsam findet sich in Teilen der Gegenbewegung / Protestbewegung dieses
Denkmodell, nur ist es hier eben nicht der „böse“ Virus, sondern die „böse
Regierung / Weltregierung / Elite“.
Einmal als Denkmodell und reale Möglichkeit etabliert, dient der Mythos dann
zunehmend zur Entstehung und Erklärung weiterer Feindbilder: „böse Polizei“,
„böse Antifa“, „dumme gelenkte Volksmassen“, „böse Pharmaindustrie“,
„Impfkampagne mit bösen Absichten“, „böse Absichten eines Bill Gates“.
Wie kann eine marginale Theorie- und Praxisform wie der Satanismus zu einer
zentralen Deutungstheorie einer Bewegung wie zum Beispiel Q-Anon führen?
Dieses hat ganz offensichtlich nicht mit der Relevanz des Satanismus als realem
sozialen und religiösen Phänomen zu tun. Vielmehr liegt die Bedeutung in dem
ihm immanenten historischen und symbolischen Verweisungssystem.
„Satanismus“ wird als Bild für das Böse schlechthin gebraucht. „Satanisten“
verkörpern die Schattenseiten der Gesellschaft. Diabolisierungs- und
Dramatisierungsszenarien und die Beteiligung einzelner Akteursgruppen
bestimmen die immerwährende Reproduktion dieses Satanismus-Mythos in der
öffentlichen Diskussion und auch in der politischen Protestbewegung.
Ein   wesentliches   Merkmal     von     Mythen    ist   ihre   gesellschaftliche

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Orientierungsfunktion. Da sie in ihrer Aussagekraft etwas scheinbar natürliches,
unhinterfragbares transportieren, dienen sie auch bei der Herstellung von
Gewissheiten und als verdichtete Geschichten in der Komplexitätsreduktion
moderner Gesellschaften. Sie führen damit aber auch zu (nicht zu
hinterfragenden) Zuweisungen und definieren „Sündenböcke“. Der Sündenbock
ist das Tier, das symbolisch getötet oder geopfert wurde, um den real
Verantwortlichen nicht zu belasten oder die eigene Verantwortung nicht
übernehmen zu müssen. Im kölner Karneval ist der „Nubbel“, eine
Kleiderpuppe, der Sündenbock, mit dem man symbolisch die eigene in der
Karnevalszeit angehäufte „Schuld“ hinrichtet.
In einer Situation, in der Menschen das Gefühl haben, ihnen sei alle Möglichkeit
der Einflussnahme genommen, während die Bürde eines Zugeständnisses
unerträglich scheint, dass man als Teil der Gesellschaft Verantwortung für den
kritisierten als bedrohlich wahrgenommenen Zustand hat, wird die Möglichkeit
einen „Schuldigen“ zu finden und auf ihn alle (eigenen) Schattenseiten zu
projizieren besonders attraktiv.
Hierin liegt eine nicht zu unterschätzende doppelte Gefahr: Zum einen ist die
gewaltvolle Verfolgung der vermeintlich „Schuldigen“ oder der gewaltvolle
Aufstand gegen die „Satanisten“ geradezu als einzige Lösung vorgegeben. Was
per se böse ist, kann man nicht „bekehren“, es wird sich nicht „einsichtig“
zeigen und nicht zum „Guten“ entwickeln. Zum zweiten verhindert dieses
Glaubenssystem die Übernahme von eigener Verantwortung und das
Engagement auf sachlich-realistische Weise Missstände zu beheben. Das
Bewusstsein bleibt nicht nur gefangen und in seiner Entwicklung behindert,
sondern wird auf eine primitive Stufe von Angst und Aggression reduziert.
Besonders deutlich und dramatisch wird diese eigene Handlungsunfähig und
-unwilligkeit am Beispiel des angeblich angeklagten Kindesmissbrauchs.
Während der angebliche Missbrauch durch „Eliten“ angeklagt und von
gequälten Kindern in unterirdischen Tunneln fantasiert wird, wird die Realität
nicht nur hingenommen, sondern durch eigenes Kaufverhalten und politische
Untätigkeit verursacht, dass Millionen Kinder unter sklavischen Bedingungen zur
Arbeit gezwungen werden, durch Touristen sexuell missbraucht, als
Kindersoldaten zerstört werden (auch in Deutschland nun immerhin ab 16
Jahren ganz legal in der deutschen Armee, wenn auch noch ohne
Kampeinsatz!), ein Leben auf der Flucht führen, durch Abschiebung versklavt
werden, jährlich zu Millionen verhungern und an vermeidbaren Krankheiten
sterben und in unnützen Kriegen, an denen sich die eigene (auch deutsche!)
Armee beteiligt, verstümmelt, traumatisiert und zu Waisen werden.

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Beides, die Schuldzuweisung auf andere, und die Abweisung eigener
Verantwortlichkeit, machen empfänglich für die Hoffnung auf einen
Heilsbringer, Erlöser, Befreier. Im Falle der Q-Anon-Anhänger ist das die Person
von Donald Trump, ohne dass er selbst offenbar sich in dieser spezifischen Rolle
sieht oder durch sein Handeln wirklich Anlass dazu gegeben hätte.
All das zusammengenommen ist eine uralte Erzählung. Es ist die Botschaft, das
es „das Gute“ ohne „das Böse“ nicht gäbe, und dass ein Held aufgrund
besonderer Fähigkeiten oder Situationen, „das Böse“ bezwingen muss, um „das
Gute“ in der Welt zu errichten.
Die deutsche Sagengeschichte ist voll solcher Erzählungen und solche
Sagenmythen finden sich in fast allen Weltentstehungsmythen, in der die Welt
von einem „wilden Chaos“ durch eine „Lichtgestalt“ in eine „Ordnung“
überführt wurde. Dieser paradiesische Zustand ist durch das im Verborgenen, im
okkulten Untergrund schlummernde Böse, Wilde bedroht. Das mögliche
Paradies ist immer und immer wieder gefährdet, so dass eine zyklische
Wiederholung des Heldentums, das das Böse zurückzudrängen muss, möglich
wird.
Ein solch stereotypes Denken lässt einen Mythos entstehen, der sich aus mehr
oder weniger historischen Entwicklungen und der Verbreitung eines Feindbildes
speist, nämlich dem von Satanisten als geheime Teufelsanbeter und Verschwörer.
Die damit einhergehenden Anschuldigungen, wie sie bei Q-Anon in aller
Deutlichkeit genauso wieder formuliert werden, sind absolut nicht neu: ritueller
Mord, besonders Kindesmord mit anschließendem Kannibalismus (oder Nutzung
von Körperteilen wie Blut zur eigenen Stärkung) wurde bereits den frühen
Christen ebenso vorgeworfen wie den Gnostikern, den mittelalterlichen
„Hexen“ und natürlich immer wieder auch den Juden.
Die Gefahren einer dadurch hervorgerufenen Hysterie und Verfolgung, aber
auch die Akzeptanz eines Heilbringers, sind offensichtlich und in der Geschichte
durch die grausamsten Kriege und Massenverbrechen belegt.
Wie aber kann sich im angeblich „aufgeklärten“ 21. Jahrhundert ein
Satanismus-Mythos überhaupt etablieren und aufrechterhalten?
Die historisch konstant auftauchende Idee einer geheimen Verschwörung von
Teufelsanbetern, die Kinder entführen, missbrauchen und für rituelle Zwecke
quälen und töten, erfährt seit einigen Jahren (etwa seit Ende der 1980er Jahre)
ihre Auferstehung in der Annahme der Existenz weltweit operierender
satanischer Netzwerke mit einer Vielzahl von Mitverschwörern an sozialen

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Schaltstellen. Über Jahre war dies eine eher diffuse Idee von wenig organisierten
Individuen und Gruppierungen, die ein starkes Misstrauen und eine hysterisch
übersteigerte Angst vor gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen
gemeinsam hatten. Nun hat sich über das Medium des Internets eine
organisierte und in gewisser Weise gelenkte und beeinflusste Organisation
gebildet, die gemeinhin als Q-Anon bekannt ist.
Während wissenschaftliche Theorien über reale Verschwörungen dem
Falsifizierungspostulat der Wissenschaft gehorchen (wie z.B. die Arbeiten des
schweizer Forschers Daniele Ganser), zeigt hingegen der Satanismus-Mythos
und die ganze Q-Anon-Bewegung alle Merkmale einer kultisch sektenartigen
inneren Pseudologik, die sich per se nicht belegen oder widerlegen lässt. Wie bei
einer Sekte macht eine Strategie der inneren, sich selbst bestätigenden Logik
jeden Kritiker automatisch zum Sympathisanten, im schlimmsten Fall zum
Mitverschwörer. Jede Kritik an der Darstellung wird somit als Beleg für eben
diese Verschwörung umgedeutet.
Besonders deutlich wird dies, wenn klar definierte Vorhersagen nicht eintreten
und dies dann dadurch erklärt wird, sie seien „nur scheinbar“ nicht eingetreten.
Somit wird ein tiefes Misstrauen an das eigene Erleben und das eigene
Beobachten gesät. „Was du siehst, ist nicht die Realität“, ist der vermittelte
Glaubenssatz. Wer dies einmal akzeptiert, ist fortan abhängig von den
„Erleuchteten“, noch in der Anonymität deutenden Akteuren, die einem die
„verborgene Wahrheit“ erklären, vorsichtige Einblicke und Ahnungen (weil zu
Grausam, zu unvorstellbar) vermitteln. Eine Abhängigkeit entsteht und der
Glaube, man habe Einsicht in ein geheimes Wissen, das die Welt retten wird.
Zugleich entsteht ein tiefes Misstrauen gegenüber allen, die anderer Meinung
sind oder Kritik üben, denn sie gehören womöglich der „anderen Seite“ an oder
sind von ihr manipuliert.
Nebulös rätselartige Äußerungen („Q-Drops“) der geheimnisvollen angeblichen
„Whistleblower“ (äquivalent den Gurus mit Zugang zu speziellem Wissen und
jenseitigen Welten) sorgen zudem dafür, dass das Gefühl dafür vermittelt wird,
man habe eventuell nur etwas nicht richtig verstanden, wodurch man in eine Art
Sog gerät, noch mehr „Wissen“ zu erlangen und sich noch mehr der
vermeintlichen „Lehre“ zu ergeben, die natürlich genauso geheimnisvoll
„codiert“ bleibt.
Dabei kommt ein besonderes psychologisches Phänomen zum Tragen: Je
detaillierter und je skurriler und übertriebener die Darstellungen, desto weniger
wird angezweifelt. „Drei Millionen Menschen weltweit verhaftet“, „140
Kongressabgeordnete in Gewahrsam genommen“, „hunderttausende Kinder in

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Tunneln vergewaltigt“ ... Die Mischung aus unvorstellbar Gewaltvollem und
konkreten Zeit- und Zahlenangaben, machen es für die Anhänger immer
schwieriger, Zweifel an der Echtheit solcher Aussagen zu haben, während die
Zweifel an der eigenen Erfahrung und Wahrnehmung und der realen Außenwelt
steigen.
Unverstandene komplexe Zusammenhänge werden scheinbar leicht verständlich,
indem deren Ursachen mit den Absichten bestimmter (oft sozial imaginierter)
Gruppen und deren „geheimen Zielen“ erklärt werden. Nach und nach wird
alles zum Beleg der „Satanismus-Theorie“, Symbole, künstlerische Performance,
gestische Eigenheiten, traditionelle Bünde und Logen ...
Dabei sollte ein wesentlicher Aspekt nicht vergessen werden. Um reale
Verschwörungen zu decken, die wissenschaftlich durchaus eruiert werden
können, gibt es kaum eine effektivere Methode, als die Menschen in eben solch
sektenartige Verschwörungsideologien und satanische Mythen zu führen.
Einerseits wird von den realen Verschwörungen und Missständen abgelenkt,
andererseits die bloße Beschäftigung mit realen Verschwörungen diskreditiert.
Während die einen mit subtilen Satanismus-Mythen von einem bösen Virus und
durch irremachende unlogische Maßnahmen und Regelungen „weichgekocht“
werden, werden die anderen in ein Labyrinth aus obskuren
Verschwörungsideologien gelockt und dort derart „gehirngewaschen“, dass
Imagination und Realität zu einem wilden hoffnungsvollen Alptraum werden,
der in einer Mischung von Adrenalin und Serotonin jede Vernunft zugrunde
richtet.
Eine Kommunikation zwischen diesen Gruppen ist unmöglich. Wer außerhalb
von Q-Anon steht, vermag es nicht zu glauben, wie man solchen „irren
Gedanken“ glauben kann, wer Q-Anon-Anhänger ist, ist verwundert über die
Dummheit der „unerleuchteten Schafe“. Während die einen in ihrer Regierung
die Sicherheit garantierende Schutzmacht sehen, warten die anderen, dass
heilsbringende Helden „das Böse“ besiegen. Die einen wollen alle Staatsmacht
gegen die „Spinner“ einsetzen, die anderen satanische Regierungen und
„Eliten“ stürzen.
Inwieweit dieses bewusst gelenkt geschieht oder in einer Eigendynamik sich
entwickelt, vermag ich nicht zu entscheiden.
Wichtig ist mir, auf das Fortbestehen und die Entwicklung des Satanismus-
Mythos hinzuweisen, die Gefährlichkeit der Q-Anon-Bewegung aufzudecken
und zu motivieren, sich niemals mit einfachen Erklärungsmodellen komplexer
Themen zufrieden zu geben. Diese sind immer als Warnzeichen zu verstehen.

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