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Katharina König/Tim Moritz Hector Zur Theatralität von WhatsApp-Sprachnachrichten Nutzungskontexte von Audio-Postings in der mobilen Messenger-Kommunikation ›› NET.WORX 79
NETWORX IMPRESSUM Herausgeber Dr. Jens Runkehl, Prof. Dr. Peter Schlobinski, Networx Dr. Torsten Siever ist die Online-Schriftenreihe des Editorial-Board Prof. Dr. Jannis Androutsopoulos (Universität Projekts mediensprache.net. Hamburg) für den Bereich Medienanalyse; Die Reihe ist eine eingetragene Prof. Dr. Christa Dürscheid (Universität Zürich) für Publikation beim Nationalen ISSN- den Bereich Mobile Kommunikation; Zentrum der Deutschen Bibliothek Prof. Dr. Nina Janich (Technische Universität Darm- in Frankfurt am Main. stadt) für den Bereich Werbesprache; Prof. Dr. Ulrich Schmitz (Universität Duisburg- Einsenden? Essen) für den Bereich Digitale Kommunikation Möchten Sie eine eigene Arbeit in ISSN 1619-1021 der Networx-Reihe veröffentlichen? Anschrift Niedersachsen: Leibniz Universität Hannover, Deut- Dann senden Sie uns Ihren Text sches Seminar, Königsworther Platz 1, an folgende E-Mail-Adresse: net- 30167 Hannover worx@mediensprache.net oder per Nordrhein-Westfalen: RWTH Aachen, Institut für Snail-Mail an: Dr. Jens Runkehl, Sprach- und Kommunikationswissenschaft, Eilf- Institut für Sprach- und Kommuni- schornsteinstraße 15, 52062 Aachen kationswissenschaft, Eilfschornstein- Internet: www.mediensprache.net/networx/ straße 15, 52062 Aachen. E-Mail: networx@mediensprache.net Homepage: ZU DIESER ARBEIT Alle Arbeiten der Networx-Reihe Autor & Titel Katharina König/Tim Moritz Hector: Zur Theatralität sind kostenlos im Internet down- von WhatsApp-Sprachnachrichten. Nutzungskon- loadbar unter: texte von Audio-Postings in der mobilen Messenger- http://www.mediensprache.net/ Kommunikation. networx/ Version 1.0 (2017-12-22) Zitierweise König, Katharina/Hector, Tim Moritz (2017). Zur Copyright Theatralität von WhatsApp-Sprachnachrichten. © Projekt mediensprache.net Nutzungskontexte von Audio-Postings in der mobilen Die Publikationsreihe Networx sowie Messenger-Kommunikation. . In: Networx, und Abbildungen sind urheberrecht- Nr. 79. ISSN: 1619-1021. lich geschützt. Jede Verwertung Zitiert nach Runkehl, Jens und Torsten Siever (32001). Das Zitat außerhalb der engen Grenzen des im Internet. Ein Electronic Style Guide zum Publizie- Urheberrechtsgesetzes ist ohne ren, Bibliografieren und Zitieren. Hannover ausdrückliche Zustimmung des Pro- jekts mediensprache.net unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere MANUSKRIPTE für Vervielfältigungen, Übersetzun- gen, Mikroverfilmungen und die Einsendung Die Einsendung von Beiträgen und Mitteilungen sind Einspeicherung und Verarbeitung in an folgende E-Mail-Adresse zu richten: networx@ elektronischen Systemen. mediensprache.net oder an die Postadresse: Dr. Jens Runkehl, Institut für Sprach- und Kommunikati- onswissenschaft der RWTH Aachen, Eilfschornstein- Informationsstand straße 15, 52062 Aachen. Stand der hier angegebenen Autorenhinweis Mit der Annahme des Manuskripts zur Veröffentli- Informationen – soweit nicht anders chung in der Schriftenreihe Networx räumt der Autor vermerkt ist: Januar 2016 dem Projekt mediensprache.net das zeitlich, räumlich und inhaltlich unbeschränkte Nutzungsrecht ein. Dieses beinhaltet das Recht der Nutzung und Wieder- gabe. Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht. Begutachtung Die Begutachtung eingesandter Beiträge wird von den Herausgebern sowie den Vertretern des Editorial Board vorgenommen.
Inhaltsverzeichnis I Audio-Postings in der mobilen Mündlichkeit 5 II Mediale Mündlichkeit in der WhatsApp- Kommunikation 8 II.1 WhatsApp als modulare Kommunikationsplattform 8 II.2 WhatsApp-Sprachnachrichten 12 III Mediatisierte Praktiken als theatrale Spektakel 15 IV Sprachnachrichten zwischen accountability und Theatralität 18 IV.1 Korpusbeschreibung und Methode 18 IV.2 Accountability von Sprachnachrichten 19 IV.3 Sprachnachrichten als theatrale Aufführung 23 IV.4 Die Wahl der Bühne: Darstellung der Aufnahmesituation 30 V Zur Theatralität von Sprachnachrichten 34 VI Fazit 37 VII Literatur 39
I Audio-Postings in der mobilen Mündlichkeit „Primero el SMS, después vino el WhatsApp, ahora grabas un mensaje de voz, y tu amigo te graba la respuesta. Si siguen así van a inventar el teléfono.“ (Meme zitiert nach Yus 2017, 76)1 Diente Schrift über lange Zeit dazu, die ausgedrückten Informationen und Inhalte zeitlich und räumlich zu transzendieren, ermöglichen die so genannten Neuen Medien eine dialogische Schriftlichkeit bzw. ein „interaktionsorientier- tes Schreiben“ (Beißwenger/Storrer 2012). Während mediatisierte Schreibpro- zesse zu Beginn noch an die Bedienung eines stationären PCs gebunden waren, ermöglichen die Einführung von Smartphones als Medium der Nachrichten- erzeugung, -übermittlung und -speicherung sowie der stete Ausbau mobiler Datennetze eine zunehmend ortsungebundene Kommunikation (vgl. Bächle/ Thimm 2014; Ling/Baron 2013; Völker 2014). Über mobile Messenger wie WhatsApp können wir aus der Bahn, aus dem Universitätsseminar oder aus der Badewanne Nachrichten an andere DialogteilnehmerInnen verschicken oder sie an diesen Orten empfangen. Dadurch, dass der Nachrichtenversand durch Internetflatrates oder fast überall verfügbare und zudem meist kostenlose W- LAN-Netze im Vergleich zu alten SMS-Tarifen preisgünstiger geworden ist, haben sich neue Schreibpraktiken entwickelt: An die Stelle von „verdichte- ten“ Nachrichten, die mehrere Handlungszüge enthalten, 2 werden von einer Nutzerin/einem Nutzer per WhatsApp zahlreiche Einzelnachrichten in Folge verschickt, die jeweils einen sprachlichen Handlungszug enthalten (vgl. Frick 2017, Kapitel 7; König 2015a; Imo 2015; Wyss/Hug 2016). Zudem bieten Messenger bedeutende multimodale Erweiterungen: Zusätzlich zum Versand von Emojis oder Piktogrammen können nun etwa auch Standorte, (animier- te) Bilddateien oder Statusinformationen verschickt werden (vgl. Arens 2014; Dürscheid/Frick 2014; Sánchez-Moya/Cruz-Moya 2015). Kurzum: Die me- 1 Freie Übersetzung „Zuerst die SMS, dann kam WhatsApp, heute nimmst du eine Sprach- nachricht auf und dein Freund nimmt eine Antwort auf. Wenn sie so weitermachen, erfin- den sie noch das Telefon.“ 2 Wie etwa in der SMS-Kommunikation üblich, siehe Günthner (2011).
Audio-Postings in der mobilen Mündlichkeit 5 diale Vermittlung schriftlicher Interaktionen hat zur Ausbildung einer „neuen Schriftlichkeit“ geführt (vgl. Androutsopoulos 2007). Während SMS, MMS, WhatsApp-Textnachrichten, die durch Emojis erweitert sein können, sowie der Versand von Memes oder GIFs in der vi- suellen Wahrnehmungsmodalität verortet sind, befasst sich der vorliegende Beitrag mit einem neuen Posting-Typus, der die bisherige mobile Messenger- Kommunikation entscheidend erweitert: Mit der Integration von Sprachnach- richten, also über den Messenger erzeugten Audio-Postings, in den sequenti- ellen Verlauf der Messenger-Kommunikation hält die mediale Mündlichkeit Einzug in die nicht simultane, quasi-synchrone Messenger-Kommunikation. Die Beschreibung und Untersuchung solcher Audio-Postings stellt jedoch eine Herausforderung für die medienlinguistische Forschung dar.3 Auch ist das Zu- sammenspiel von visuell-schriftlichen und auditiv-mündlichen Ressourcen zu erschließen. Zwar finden Audio-Postings Erwähnung in Überblicksarbeiten zu mobilen Messengern (vgl. Dürscheid/Frick 2014, 2016; Yus 2017), jedoch fehlt bislang eine umfassende empirische Untersuchung zu Nutzungskontexten und sprachlich-kommunikativen Mustern in WhatsApp-Sprachnachrichten. In einem medienlinguistischen Zugang muss also noch erfasst werden, yy zu welchem Anlass und in welchem sequentiellen Kontext WhatsApp- Sprachnachrichten verschickt werden (Stellen sie initiale oder reaktive Handlungszüge dar? Welche interaktionalen „Vorteile“ bieten Audio- Postings gegenüber Textnachrichten oder Telefonaten?), yy wie WhatsApp-Sprachnachrichten gestaltet sind (Welche nonverbalen oder paraverbalen prosodischen Gestaltungsressourcen werden genutzt? Welche weiteren auditiven Ressourcen kommen zum Einsatz?) und yy wie WhatsApp-Sprachnachrichten von den NutzerInnen selbst gerahmt werden (Werden Sprachnachrichten als „legitime“ Postings behandelt oder durch accounts als von den Erwartungen abweichende Handlungszüge kontextualisiert? Inwiefern gestalten NutzerInnen Sprachnachrichten als mediatisierte „Spektakel“ (vgl. Androutsopoulos 2010)?). Erst im Anschluss an eine solche Untersuchung kann die Frage beantwortet werden, wie Sprachnachrichten die bisherige Kommunikationspraxis über den mobilen Messenger WhatsApp verändern und auf welche Weise durch Audio- Postings schriftbasierte Praktiken ergänzt oder ersetzt werden. In diesem Beitrag wollen wir zum einen den Vorschlag unterbreiten, den mobilen Messenger WhatsApp als modular aufgebaute Kommunikations- plattform zu konzeptualisieren, bei der Sprachnachrichten einen spezifischen 3 Derzeit wird etwa diskutiert, ob es sich bei Sprachnachrichten um eigenständige Kommu- nikationsformen handelt (vgl. Dürscheid/Frick 2016).
6 Audio-Postings in der mobilen Mündlichkeit Posting-Typus darstellen (Abschnitt 2). Zum anderen soll anhand einer kor- pusgestützten Analyse verschiedener Nutzungskontexte von WhatsApp- Sprachnachrichten (Abschnitt 4) gezeigt werden, dass Audio-Postings von den SprecherInnen häufig als „dramas to an audience“ (Goffman 1974, 508) bzw. „Spektakel“ (vgl. Androutsopoulos 2010) inszeniert werden, bei denen die auditive Ausgestaltung der Nachrichten eine zentrale Ressource zur Herstel- lung und Kontextualisierung von Theatralität darstellt (Abschnitte 3 und 5). Im abschließenden Fazit werden zudem weitere mögliche Gegenstände für die zukünftige medienlinguistische Forschung zu WhatsApp-Sprachnachrichten aufgezeigt.
Mediale Mündlichkeit in der WhatsApp-Kommunikation 7 II Mediale Mündlichkeit in der WhatsApp- Kommunikation Während einige medienlinguistische Studien keine grundlegende Unter- scheidung zwischen WhatsApp- und SMS-Nachrichten vornehmen und sie vielmehr als zwei eng verwandte Ausprägungen mobiler keyboard-to-screen- Kommunikation4 auffassen (vgl. Schmitz 2015; Schnitzer 2012), gehen wir im Folgenden davon aus, dass medial schriftliche WhatsApp-Postings so- wohl wegen der Ausbildung spezifischer Nutzungspraktiken als auch wegen ihrer Einbettung in eine modular aufgebaute internetbasierte Kommunikati- onsplattform von SMS zu unterscheiden sind (ähnlich auch Dürscheid/Frick 2014; Frick 2017; König 2015a; Wyss/Hug 2016). Als Plattformen werden solche medialen Konfigurationen bezeichnet, auf denen verschiedene Kommunikationsformen modular miteinander verbunden werden (vgl. Marx/Weidacher 2014, 82ff.). Wurde dieser Begriff vornehmlich für partizipative Web 2.0-Angebote wie Facebook, Youtube oder Wikipedia entwickelt (vgl. Androutsopoulos 2010; Seiler 2016), die für eine (Teil-)Öffent- lichkeit rezeptiv, aber auch produktiv zugänglich sind, so wollen wir im Fol- genden skizzieren, inwiefern das Konzept auf den mobile Messenger Whats- App übertragbar ist. II.1 WhatsApp als modulare Kommunikationsplattform WhatsApp wird für verschiedene Smartphone-Betriebssysteme angeboten. Während sich die Oberflächengestaltung zwischen den Systemen in eini- gen Aspekten wie Farbgebung oder Schriftart unterscheiden kann, bleibt der grundlegend modulare Aufbau auf allen Oberflächen gleich: Anders als bei vielen Web 2.0-Anwendungen werden die einzelnen Module nicht auf einer Seite dargestellt, sondern auf verschiedene Unterseiten verteilt, die durch das 4 Zu der terminologischen Diskussion siehe etwa Jucker/Dürscheid (2012).
(fast) durchgehend am Bildschirmrand eingeblendete Menü per Touchscreen5 aufgerufen werden können. Hier finden sich u. a. die Möglichkeiten, die Sta- tusliste abzurufen, Anrufe zu tätigen, Bilder und Videos mit der Kamera auf- zunehmen und eine Übersichtsseite mit allen Chatverläufen anzuzeigen. Auf der Statusseite können angelehnt an vergleichbare Funktionen anderer An- wendungen (Facebook, Instagram, Snapchat) bearbeitbare Bilder, GIFs und Videos zusammen mit 65.536 Zeichen umfassenden Nachrichtentexten (Text- und Bildzeichen wie Emojis) als „vergängliche“ Statusmitteilungen erstellt wer- den. Die Mitteilungen werden, so sie nicht vorher gelöscht werden, 24 Stunden angezeigt. NutzerInnen können selbst auswählen, welche Personen aus der ei- genen Kontaktliste diese Statusmitteilungen sehen können. Zudem kann man sich anzeigen lassen, wie viele Personen die Mitteilung angesehen haben. Ebenso werden auf dieser Seite Statusinforma- tionen befreundeter NutzerInnen nach Aktualität gelistet. Es handelt sich somit um Mitteilungen, die der Teilöffentlich- Abbildung 1: WhatsApp-Menü (Android) keit zugänglich sind (im Regelfall alle gespeicherten Kontakte, die Zugäng- lichkeit lässt sich jedoch auch für bestimmte Kontakte einschränken). Auch wenn es möglich ist, dass NutzerInnen ihre Statusmitteilungen als Reaktion auf die Statusmitteilung anderer NutzerInnen anpassen oder ändern, ist in die- ser Kommunikationsform keine direkte dialogisch geordnete Interaktion zwi- schen den NutzerInnen angelegt. In Anlehnung an Androutsopoulos (2010) kann ihr eine vornehmliche Selbstdarstellungsfunktion zugeordnet werden; Untersuchungen zu Nutzungspraktiken bei dieser über WhatsApp bereitge- stellten Kommunikationsform stehen jedoch noch aus. In einem weiteren Modul werden sowohl dyadische Chats6 als auch Grup- penchats nach Aktualität gelistet, d. h. Chats werden nicht alphabetisch nach Kontakt- oder Gruppenname sortiert, sondern danach, wie lang die letzte 5 Zwar muss WhatsApp bei einigen Handymodellen über eine physische Tastatur oder be- stimmte Funktionstasten bedient werden (etwa Blackberry), jedoch ist bei den meisten Smartphone-Modellen eine Bedienung über einen Touchscreen notwendig. 6 Dürscheid/Frick (2016, 30) argumentieren, dass der Terminus Chat nicht problemlos auf WhatsApp-Interaktionen übertragen werden kann, da anders als im PC-basierten Chat keine zeitliche Ko-Präsenz der NutzerInnen gegeben sein muss (siehe auch Beißwenger (2007)). Der Vorschlag, nur dann von Chats zu sprechen, wenn NutzerInnen in enger zeitlicher Folge WhatsApp-Postings versenden, lässt u. E. ungeklärt, wie der zeitlich zer- dehntere Nachrichtenaustausch zu konzeptualisieren ist. Wir sprechen daher im Folgenden weiterhin von Chats, begreifen diesen Terminus aber ähnlich wie den der Sprachnachricht als „Ethnokategorie“ (vgl. Günthner/Knoblauch (1994, 704).
Mediale Mündlichkeit in der WhatsApp-Kommunikation 9 Nachricht in dem Chat zurückliegt.7 Auf die- ser Unterseite können neue Chats begonnen oder Gruppenchats ebenso wie Broadcastlis- ten8 eingerichtet werden, bei denen man die gleiche Nachricht an ausgewählte individuelle NutzerInnen schicken kann, ohne mit allen in eine Gruppeninteraktion zu treten. Hierfür wird nach einer Liste mit den fünf häufigs- ten Kontakten eine alphabetisch nach Nach- namen angeordnete Liste von Kontakten angezeigt. Neben den von den NutzerInnen selbst gewählten Profi lbildern9 können bis zu 139 Zeichen in einer „verstetigten“ einzeili- gen Statusmitteilung, „Info“ genannt, genutzt werden. Anders als bei den unter dem Modul „Status“ angezeigten Mitteilungen wird die Statusinformation nicht nach 24 Stunden ge- löscht, sondern bleibt bestehen, bis man über Abbildung 2: Dyadischer Whats- das Einstellungsmenü eine neue Information App-Chat (Android) aus einer Liste auswählt10 oder neu erstellt. Eine erste soziolinguistische Untersuchung zu WhatsApp-Statusinformationen findet sich bei Sánchez-Moya/ Cruz-Mo- ya (2015), die aufzeigen, dass ältere NutzerInnen eher von der Messenger-App vorgegebene Statusinformationen auswählen, während jüngere NutzerInnen zu einer individuellen und situationsangepassten Gestaltung tendieren, die für Außenstehende oft unverständlich ist. Wählt man im Modul „Chat“ einen dyadischen Chat mit einem Einzelkon- takt aus, sind nicht nur die bislang versendeten Postings in chronologischer 7 Bis zu drei ausgewählte Chats können zudem „angepinnt“ werden, sodass sie immer am oberen Rand der Chat-Liste erscheinen (https://faq.whatsapp.com/de/android/26000047/? category=5245251). 8 Broadcast-Nachrichten oder Broadcasts sind Mitteilungen, die an eine Gruppe von Leuten ge- sendet werden, wobei sie den EmpfängerInnen als dyadische Nachricht angezeigt werden. Im gleichen Fenster kann in einer 1:1-Chat-Situation reagiert werden. Mit einer Broadcast- Liste können Kontaktgruppierungen eingerichtet werden, an die wiederholt Broadcast- Nachrichten verschickt werden können (https://faq.whatsapp.com/de/iphone/23782313/? category=5245251). 9 Profi lbilder einzelner NutzerInnen werden nur dann anzeigt, wenn diese die eigene Num- mer in ihrer Kontaktliste gespeichert haben. Andernfalls wird ein von WhatsApp bereitge- stelltes einheitliches Dummy-Bild angezeigt. 10 Diese Liste beinhaltet sowohl von WhatApp vorgegebene Mitteilungen wie „Bei der Ar- beit“ oder „Im Fitnessstudio“ als auch die letzten individuell erstellen Statusinformationen.
10 Mediale Mündlichkeit in der WhatsApp-Kommunikation Reihenfolge über das Bildschirmprotokoll (wieder) abrufbar, sondern es be- steht zudem die Möglichkeit, einen internetbasierten Sprach- oder Videoanruf zu tätigen. Zwar werden Gruppenchats in dem Modul „Chat“ zusammen mit dyadischen Chats gelistet, jedoch unterscheiden sich Gruppenchats in ihrer Beteiligungsstruktur grundlegend von den dyadischen Chats,11 sodass dafür plädiert werden kann, hier von zwei unterschiedlichen Kommunikationsfor- men zu sprechen (siehe auch Dürscheid/Frick 2014). Ähnlich ist, dass Postings in chronologischer Reihenfolge nach dem Mühlenprinzip im Bildschirmpro- tokoll angeordnet werden. Als Postings-Formate können in Gruppenchats und dyadischen Chats Text- und Bildzeichen-Nachrichten (erweiterbar durch Hy- perlinks), Bilder und GIFs (direkt um eine Text- und Bildzeichen-Nachricht erweiterbar), Videos, sonstige Dateien (z. B. Word- oder PDF-Dokumente), Standortinformationen, Kontaktdaten oder Sprachnachrichten verschickt wer- den. Ebenso ist eine Weiterleitung all dieser Postings an andere NutzerInnen oder Gruppenchats möglich; solche weitergeleiteten Postings können grafisch gesondert abgesetzt werden. Diese Überblicksdarstellung zeigt, dass der WhatsApp-Messenger als eine modular aufgebaute internetbasierte Kommunikationsplattform für Smart- phones aufzufassen ist, die zahlreiche Kommunikationsformen (Status mitteilungen, Statusinformationen, Gruppenchats, dyadische Chats, Sprach- und Videotelefonie) enthält, innerhalb derer es zu verfestigten kommunikativen Praktiken kommen kann. Diese sind jedoch erst vereinzelt in medienlinguis- tischen Arbeiten erfasst worden. Die Komplexität der semiotisch-kommuni- kativen Bezüge zwischen den Kommunikationsformen, die in verschiedenen Modulen organisiert sind, zeigt eindrücklich, dass die innerhalb eines Zwei- er- oder Gruppenchats versendeten Nachrichten grundlegend anders situiert und eingebettet sind als SMS-Nachrichten.12 Gerade mit der Integration von Sprachnachrichten in die Chat-Oberfläche haben sich neue Möglichkeiten er- öffnet, die WhatsApp-NutzerInnen schnell in ihre kommunikative Routine integriert haben. Bevor wir zu der Beschreibung verschiedener Nutzungskon- texte von WhatsApp-Nachrichten übergehen, stellen wir im folgenden Kapitel die technischen Rahmenbedingungen ihrer Produktion, ihrem Versand, ihrem Empfang und ihrer Rezeption vor. 11 Ein Vergleich zwischen den kommunikativen Möglichkeiten in dyadischen Chats und in Gruppenchats und den sich im Nutzerverhalten ergebenden unterschiedlichen Praktiken muss Gegenstand einer weiteren Studie zur WhatsApp-Kommunikation sein. 12 Aus diesem Grund sprechen wir in dieser Arbeit nicht mehr von SchreiberInnen, wie es in der SMS-Forschung noch üblich ist, sondern von NutzerInnen der Messenger-App Whats- App.
Mediale Mündlichkeit in der WhatsApp-Kommunikation 11 II.2 WhatsApp-Sprachnachrichten Wurden selbst aufgezeichnete Audio-Postings bis Mitte 2016 von WhatsApp selbst noch als „Sprachnotizen“ bezeichnet, haben sich in der WhatsApp-Ter- minologie nun neben „Sprachnachricht“ die Begriffe „Push-to-talk-Nachricht“ und „Voice-Messaging“ durchgesetzt, wobei die Bezeichnung „Sprachnachricht“ von den NutzerInnen selbst mit Abstand am häufigsten verwendet wird.13 Zu diskutieren wäre, ob der Begriff „Sprechnachricht“ ebenfalls eine passende Bezeichnung darstellt: Sprache wird sowohl in einer Text- als auch in einer Ton-Nachricht verwendet; das distinktive Merkmal einer Sprachnachricht ist hingegen, dass gesprochen, also in die Mündlichkeit gewechselt wird. Im Folgenden konzeptualisieren wir unseren Untersuchungsgegenstand hingegen als Audio-Posting. Postings zeichnen sich nach Beißwenger (2016, 283) dadurch aus, dass sie als Ganzes en bloc übermittelt werden: „Präsentiert werden auf dem Bildschirm14 nur die Produkte individueller Hervorbringung. Der Prozess der Hervorbringung entzieht sich der Einsichtnahme und damit auch der unmittelbaren Einflussnahme durch andere.“ Zugleich kann mit der Konzeptualisierung als Audio-Posting herausgestellt werden, dass die selbst erstellte Tonaufnahme nicht notwendigerweise sprachliches Material beinhal- ten muss, sondern ebenso ohne menschliche Stimme gestaltet werden kann (etwa beim Aufzeichnen von Musik oder Umgebungsgeräuschen). Den Termi- nus „Sprachnachricht“ verwenden wir synonym, verstehen ihn jedoch im Sinne einer Ethnokategorie (vgl. Günthner/Knoblauch 1994, 704) der NutzerInnen. Seit August 2013 befindet sich direkt neben dem Texteingabefeld ein But- ton mit Mikrofon-Symbol, über den Sprachnachrichten aufgezeichnet werden können. Dies stellt eine Aufwertung gegenüber anderen Posting-Formaten dar, die WhatsApp anbietet – etwa Video-Aufnahmen oder Standort-Mitteilun- gen –, da diese nur über ein integriertes Menü auswählbar sind.15 Sowohl die Produktion als auch die Rezeption von Sprachnachrichten ist für Geräte mit Touchscreen optimiert.16 Die Aufnahme wird gestartet, sobald der Produzent/ 13 Zu den Gründen und Umständen der Umbenennung finden sich weder auf der Website von WhatsApp noch in der öffentlichen Berichterstattung Hinweise. 14 Diese Beschreibung muss für WhatsApp-Sprachnachrichten dahingehend angepasst wer- den, dass die Sprachnachricht an sich nicht im Bildschirmprotokoll präsentiert wird, son- dern lediglich ein Wiedergabe-Fenster, mit dem die Nachricht direkt in dem Nachrichten- verlauf-Fenster abgespielt werden kann. 15 Technisch war der Versand von Sprachnachrichten schon in früheren Versionen von WhatsApp möglich (vgl. Dürscheid/Frick 2014: 166), war aber wesentlich aufwendiger zu realisieren. 16 Für Tastentelefone (etwa BlackBerrys) sind recht umständliche Navigationsschritte und die Nutzung von Funktionstasten sowohl im Produktions- als auch im Rezeptionsprozess notwendig. Die folgende Darstellung bezieht sich auf die heute mehrheitlich verwendeten Geräte mit Touchscreen.
12 Mediale Mündlichkeit in der WhatsApp-Kommunikation die Produzentin den Mikrofon-Button berührt und läuft so lange, wie er/sie den Button gedrückt hält.17 Bei einigen Geräten kann die Aufnahme um etwa eine Sekunde verzögert starten. SprecherInnen nehmen darauf teilweise Rück- sicht, teilweise haben sie aber auch schon zu sprechen begonnen, sodass die erste Sekunde des Audio-Postings nicht auf der Aufnahme zu hören ist. Wäh- rend der Aufnahme wird die Aufnahmedauer fortlaufend angezeigt. Sobald die produzierende Person den Button loslässt, wird die Aufnahme gestoppt und die aufgezeichnete Tonspur unmittelbar abgeschickt. Die ProduzentInnen können die Nachrichtenproduktion zwischendurch abbrechen, in dem sie vom Mikrofon-Button aus über den Touch-Bildschirm wischen (abhängig vom Be- triebssystem nach links oder nach rechts) – sodann wird die gesamte bis dahin produzierte Aufnahme gelöscht. Eine Löschung oder Korrektur von einzelnen Teilen der Tonaufnahme ist nicht möglich.18 Nach Übermittlung kann die Nachricht von dem Empfänger/der Empfän- gerin angehört werden. Im Regelfall wird sie automatisch heruntergeladen. Für den Empfänger/die Empfängerin stellt sich die Nachricht über die An- zeige eines Play-Buttons als abspielbares Posting dar, in dem zudem die Län- ge der Aufnahme sowie das eingestellte Profilbild des Gegenübers angezeigt werden. Die Wiedergabe erfolgt entweder über die eingebauten Lautsprecher des Smartphones oder aber über die Hörmuschel, wobei das Gerät abhängig von der Haltung des Smartphones selbstständig erkennt, welche Ausgabeform ausgewählt wird. Die Navigation innerhalb der Nachricht, ein Pausieren der Wiedergabe sowie die wiederholte Wiedergabe sind möglich. Sprachnachrichten sind insofern nicht – wie face-to-face-Gespräche – simul- tan, sondern asynchron. Auch wenn ein schneller, quasi-synchroner Austausch von Audio-Postings möglich ist, wenn alle die NutzerInnen gleichzeitig im Chat aktiv sind (vgl. Dürscheid/Frick 2014: 177), sind Sprachnachrichten dennoch in einem doppelten Sinn verzögert: Bei einer Sprachnachricht von 30 Sekunden Länge nimmt das Einsprechen der Nachricht 30 Sekunden in Anspruch, dann vergehen einige Sekunden für die Übermittlung und anschlie- ßend werden weitere 30 Sekunden zum Anhören der Nachricht durch das Ge- genüber benötigt. Folgt darauf eine Antwort von weiteren 30 Sekunden, sind 17 Aktuell wird in einer Beta-Version eine Feststelltaste getestet, mit der die Aufnahme nur einmaliges Betätigen gestartet wird. Ein Festhalten der Aufnahme-Taste entfällt somit (http://wabetainfo.com/whatsapp-to-support-locked-recordings/, Abruf 24.11.2017). 18 Alternativ kann ein Posting mit den seit Oktober 2017 verfügbaren App-Versionen zurück- geholt, also auch auf den Geräten der EmpfängerInnen gelöscht werden. Dieser Vorgang bleibt jedoch nicht spurenlos: Die Chat-PartnerInnen sehen an der entsprechenden Stelle im Bildschirmprotokoll einen Hinweis, dass hier ein Posting gelöscht wurde. Die hier un- tersuchten Sprachnachrichten sind zu einem Zeitpunkt entstanden, als diese Funktion noch nicht möglich war.
Mediale Mündlichkeit in der WhatsApp-Kommunikation 13 bis zum Abschluss eines Aktions-Reaktions-Paars von je 30 Sekunden über zwei Minuten vergangen. Dies ist im Vergleich zu face-to-face-Gesprächen, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass Produktion und Rezeption simultan er- folgen (Auer 2000, 46), ein entscheidender Unterschied. Abgesehen von der doppelten Verzögerung weisen Sprachnachrichten im Unterschied zu Text-Nachrichten weitere „Nachteile“ auf: In zahlreichen Si- tuationen, in denen ungewollte MithörerInnen zugegen sind (etwa in einem Seminar), sind sie weder produzier- noch rezipierbar, sie sind insofern weniger diskret und niedrigschwellig, zudem erfordern sie ein deutlich höheres Da- tenvolumen. Auch auf diversen Internet-Plattformen wird der Gebrauch von Sprachnachrichten kritisch diskutiert. So schreibt ein anonymer Nutzer in der Campus-App Jodel:19 „Sprachnachrichten? […] Sicher haben die auch Vorteile, aber es macht den Anschein als sei es nur eine weitere Möglichkeit möglichst viel Belangloses in kurzer Zeit abzusondern“ (Jodel 01-2017) und erhält als Reaktion u. a. einen Kommentar mit dem Inhalt „Das ist doch sowas wie tele- fonieren für ganz Faule“ (Jodel 05-2017).20 In Internetforen schreiben Nutze- rInnen etwa: „[…] dies wird noch wenig genutzt und könnte verstörend wirken. Gestern erhielt ich z. B. das Feedback, dass sie es merkwürdig findet alleine ins Handy zu sprechen.“ (Pickupforum 2014).21 Es stellt sich also die Frage, in welchen Situationen bzw. Kontexten Nutze- rInnen dennoch auf Audio-Postings zurückgreifen. Wann bietet dieser Vor- teile gegenüber einer Textnachricht? Welche Informationen können übermit- telt werden, die in Textnachrichten mitunter verloren gehen? Inwiefern bieten Sprachnachrichten durch die Integration medialer Mündlichkeit in die mobile Messenger-Kommunikation Ressourcen zur Aufführung von „dramas to an audience“ (Goffman 1974, 508), inwiefern stellen sie also eine mediatisierte Praktik zur Herstellung von Theatralität im kommunikativen Alltag dar? An- hand einer qualitativen Analyse einzelner Sprachnachrichten soll diesen Fra- gestellungen im Folgenden nachgegangen werden. 19 Jodel ist eine Smartphone-Applikation, in der anonyme Nachrichten an die Menschen im Umkreis der NutzerInnen versendet werden können (https://jodel-app.com/). 20 Der gesamte Verlauf, aus dem die hier zitierten Nachrichten entnommen sind, kann über folgenden Link nachvollzogen werden: https://share.jodel.com/post?postId=592293fabfaf b a1600161deb (letzter Abruf 14.09.2017). 21 Die ausführliche Diskussion über Vor- und Nachteile von NutzerInnen kann unter dem folgenden Link nachgelesen werden: http://www.pickupforum.de/topic/137255-whatsapp- sprachnachrichten-vs-textgame/ (letzter Abruf: 31.08.2017).
14 Mediatisierte Praktiken als theatrale Spektakel III Mediatisierte Praktiken als theatrale Spektakel In einer Untersuchung zu Web 2.0-Anwendungen wie Facebook und Youtube identifiziert Androutsopoulos (2010) verschiedene kommunikative Funktio- nen, für die Sprache auf diesen Plattformen genutzt wird: Neben der Selbst- darstellung, der Interaktion sowie Organisation (über eine u. a. durch verbale Mittel gestützte Menüführung) führt er zudem die Funktion des Spektakels an: Als „Spektakel“ bezeichne ich Medientexte, die durch Nutzer auf Mediaplattformen hochgeladen und dort verfügbar gemacht werden. Es handelt sich in der Regel um multimodale bzw. -mediale Texte, die Sprache mit einschließen aber nicht auf diese beschränkt sind, typischerweise also Videos, Songs, Fotos. Die Metapher impliziert, dass diese Texte hauptsächlich als Unterhaltung wahrgenommen und ähnlich wie z. B. massenmediale Angebote konsumiert werden. Sie impliziert ferner, dass sie an eine Zuschauerschaft gerichtet sind und deren Reaktion suchen, die üblicherweise in Form von Kommentaren beigesteuert wird. (Androutsopoulos 2010, 430) Auch bei der Untersuchung zu Nutzungskontexten von WhatsApp-Sprach- nachrichten stellt sich die Frage, inwiefern der Austausch von verbal übermit- telten Informationen im funktionalen Fokus der Audio-Postings steht oder in- wiefern ProduzentInnen von Sprachnachrichten die Potenziale des Hörbaren vielmehr als unterhaltungsgenerierende Inszenierungstechnik nutzen. Whats- App-Sprachnachrichten können als Bühne verstanden werden, auf der Szenen des Alltagserlebens für ein ausgewähltes Publikum aufgeführt werden. In die- sem Sinne kann die bei Androutsopoulos für internetbasierte Praktiken einge- führte Kategorie des Spektakels auf die Theorie zur Theatralität der Alltags- interaktion (vgl. Goffman 1974, 2010) bezogen werden. Theatralität ist nicht begrenzt auf spezifisch ästhetisierte und institutionalisierte Aufführungsprak- tiken, sondern wird vielmehr verstanden als ein in alltäglichen Interaktionen fest verankertes Darstellungsverfahren (vgl. Buss 2009; Fischer-Lichte 2000). „Theatrale Begriffe wie Spiel, Rolle, Szene, Bühne, Spektakel, Maskerade
Mediatisierte Praktiken als theatrale Spektakel 15 werden […] verwendet, um die sozialen und interaktionalen Dimensionen kultureller Praktiken zu beleuchten.“ (Buss 2009, 18) In Anlehnung an das Goffman’sche Diktum „Wir alle spielen Theater“ (2010) sind die alltäglichen und oftmals unscheinbaren kommunikativen Praktiken aufzuzeigen, mit de- nen wir in face-to-face-Interaktionen Szenen vor den Augen anderer herstellen und ausgestalten. Auch wenn die in WhatsApp-Sprachnachrichten nutzbaren Ressourcen allein in der auditiven Wahrnehmungsmodalität verhaftet sind, können verschiedene Ebenen identifiziert werden, auf denen die Aufführung eines Alltagsschauspiels beschreibbar werden kann:22 yy Inszenierung: Auf der Ebene der Inszenierung werden Praktiken erfasst, die dem Arrangement der aufgeführten Szene dienen. Hierunter können sowohl die Wahl des Aufnahmeortes als auch die Auswahl potenzieller AkteurInnen, des Ensembles, fallen.23 „Die Inszenierung umfasst alle Handlungen und Tätigkeiten, die die Aufführung selbst vorbereiten“ (Buss 2009, 24) und damit vor der eigentlichen Aufnahme der Sprach- nachricht liegen. Goffman spricht hier von dem „Hintergrund“ oder der „Hinterbühne“, auf der Requisiten ausgewählt und für die Aufführung vorbereitet werden (vgl. Goffman 2010, 104–123). Im Regelfall sollen solche szenevorbereitenden Mittel unerkennbar bleiben, sie sind nicht Teil der eigentlichen Aufführung. Das spezifisch Theatrale oder Spektakelhaf- te auf der Ebene der Inszenierung liegt somit in der Wahl der rahmenden Mittel begründet. yy Aufführung: In der so aufgebauten und gerahmten Aufnahmesituation findet die eigentliche Aufführung der Szene bzw. des Spektakels statt. In Anlehnung an Goffman kann hier von dem „Vordergrund“ bzw. der „Vorderbühne“ gesprochen werden (Goffman 2010, 99–104). Als darstel- lerische Mittel bei Sprachnachrichten dienen vornehmlich verschiedene Teilaspekte der auditiven Modalität (Stimme, Geräusch, Musik)24, die un- terschiedlich eingesetzt werden können (so kann bei der Aufnahme etwa die Nähe von SprecherInnen zum Handymikrofon variiert werden). 22 Die vorgeschlagene Trennung der Ebenen versteht sich als ein rein analytisches Vorgehen; in der konkreten Praxis sind die Beschreibungsebenen stets ineinander verwoben und aufeinander bezogen. 23 Welche tatsächliche Partizipationsrollen die so arrangierten AkteurInnen einnehmen, kann erst auf der Ebene der Aufführung hergestellt werden. Möglich sind hier etwa sprechende, singende oder rein Geräusch produzierende Formate. 24 Während Fischer-Lichte (2000) die Aspekte der performance und der Korporalität analytisch trennt, werden sie hier als mögliche gestalterische Mittel zusammengefasst.
16 Mediatisierte Praktiken als theatrale Spektakel yy Einbettung: Grundlegend für die Erzeugung eines Spektakels ist die Ge- richtetheit der Aufführung. Audio-Postings werden im Sinne des Prinzips des recipient design (vgl. Sacks/Schegloff/Jefferson 1974, 727) für jeman- den aufgeführt; die Mittelwahl wird erkennbar auf einen Adressaten/ eine Adressatin ausgerichtet. Audio-Postings sind zudem stets in einen sequentiellen Kontext eingepasst, innerhalb dessen ihnen der Charakter eines Spektakels zugeschrieben wird. Das Theatrale oder Spektakelhaf- te wird also nicht allein bei den Adressierten erzeugt, sondern in dem dialogischen Handeln zwischen ProduzentInnen und RezipientInnen gemeinsam konstituiert. In diesem Sinne kann Theatralität als spezifische Interaktionsmodalität (vgl. Kallmeyer 1979; Müller 1982; Scharloth 2009) konzeptualisiert werden. Bei der Untersuchung von Nutzungskontexten von WhatsApp-Sprachnach- richten ist also zu fragen, inwiefern Audio-Postings als theatrale Aufführun- gen funktionalisiert werden, inwiefern also besondere inszenatorische Mittel gewählt werden, von denen die Aufführung geprägt ist, und inwiefern die Aus- drucksressourcen in Sprachnachrichten auf ein bestimmtes Publikum ausge- richtet sind. Hierbei ist stets zu reflektieren, dass es sich bei Sprachnachrichten um mediatisierte Praktiken handelt (vgl. Androutsopoulos 2016), die in ihrer Produktion, Speicherung, Übermittlung und Rezeption durch das Medium des Smartphones und der Kommunikationsplattform WhatsApp gerahmt werden.
Sprachnachrichten zwischen accountability und Theatralität 17 IV Sprachnachrichten zwischen accountability und Theatralität IV.1 Korpusbeschreibung und Methode Das Korpus, auf dem die vorliegenden Analysen beruhen, umfasst insgesamt 160 einzelne Nachrichten von 18 verschiedenen SprecherInnen. Diese wurden zwischen Herbst 2014 und Sommer 2017 produziert und liegen nach GAT 2 (vgl. Selting et al. 2009) transkribiert vor. Text- und Bild-Nachrichten, die einen sequenziellen Bezug zu den Sprachnachrichten haben, wurden ebenfalls erhoben und für die Analyse aufbereitet.25 Dabei wurden rund 800 zusätzliche Textnachrichten und drei Bilddateien erfasst. Die NutzerInnen sind zwischen 17 und 26 Jahre alt. Sie sind SchülerInnen oder Studierende, die miteinander befreundet oder verwandt sind, und betreiben private Alltags-Kommunikati- on. Alle NutzerInnen stammen aus Nordrhein-Westfalen. Sprachnachrichten sind, mit Blick auf das vorliegende Korpus, eher kurz. Nachrichten von über einer Minute Dauer sind nur in fünf Fällen dokumen- tiert, die Hälfte der Nachrichten ist nicht länger als 15 Sekunden. Im arith- metischen Mittel liegt die Länge einer Sprachnachricht bei rund 22 Sekunden, wobei sich die mit Abstand meisten Sprachnachrichten im Bereich von 11 bis 15 Sekunden Dauer bewegen. Auffällig ist für die von uns untersuchten Da- ten außerdem, dass Audio-Postings vornehmlich reaktiv verschickt werden. Sie bilden in mehr als drei Viertel der Fälle nicht die initiale Nachricht eines Dialogs, sondern folgen als Reaktion auf eine Text-, Bild- oder eine andere Sprachnachricht. In nur 10 Prozent der Fälle eröffnen Sprachnachrichten ei- nen Dialog. Diese Befunde geben erste Hinweise darauf, dass Sprachnachrichten in hohem Maße dialogisch sind und ihre Verwendung in Relation zu anderen Posting-Formaten wie Text- oder Bildnachrichten steht. Um festzustellen, in 25 Die Textnachrichten liegen als Logfile-Daten vor.
18 Sprachnachrichten zwischen accountability und Theatralität welchen Kontexten Audio-Postings genutzt werden, wurden die Nachrichten nach den Prinzipien der ethnographischen Gesprächsanalyse (vgl. Depper- mann 2000) untersucht. Dabei wurde ein qualitativ-explorativer Ansatz ge- wählt, in dem ausgehend von einem streng empirischen Vorgehen ausschließ- lich Aussagen über die vorliegenden Daten getroffen werden können. Die hier präsentierte Studie erhebt nicht den Anspruch, allgemeingültige Beobach- tungen für die Nutzung von Sprachnachrichten vorzustellen. Vielmehr sollen mögliche Nutzungskontexte aufgezeigt werden, die Grundlage weiterführen- der Studien sein können. Ebenso ist zu berücksichtigen, dass Postings als Pro- dukte analysiert wurden (vgl. dagegen Beißwenger 2008): Alle Schlüsse leiten sich aus den vorliegenden Logfiles ab, die mit größerem zeitlichen Abstand zu ihrer Entstehung analysiert wurden. Es liegen keine Informationen über den Prozess der Nachrichtenproduktion vor, also etwa darüber, ob NutzerInnen Sprachnachrichten abbrechen und neu aufnehmen, Textnachrichten redigie- ren, sich bei der Produktion an Mitteilungen über den Status oder an Live- Informationen 26 der anderen Person orientieren der das Bildschirmverlaufspro- tokoll einbeziehen und diese Informationen in den Schreibprozess einbauen (vgl. Beißwenger 2007). IV.2 Accountability von Sprachnachrichten Im Folgenden gehen wir der Frage nach, ob Sprachnachrichten von den Nut- zerInnen selbst als alltägliche Praktik oder als von den erwarteten Alltagsrouti- nen abweichende interaktionale Züge behandelt werden. Dabei betrachten wir solche Nachrichten aus dem Untersuchungskorpus, in denen accounts für das Versenden von Audio-Postings gegeben werden. Im Rahmen der Ethnomethodologie prägte Garfinkel (1967, vii) den Begriff accountability mit Bezug auf die Verständlichkeit und Erklärbarkeit alltäglicher Handlungen bzw. Äußerungen. Die grundlegende Annahme Garfinkels ist, dass die Mitglieder einer Gesellschaft ihr Handeln nicht nur vollziehen, son- dern es gleichzeitig mittels verschiedener Verfahren erklärbar machen können. Dies ist ein reflexiver Prozess, denn durch die Erklärbarkeit der Handlung ist zugleich das Durchführen der Handlung selbst als sinnhaft bestätigt. Gar- finkel geht zudem davon aus, dass in bestimmten personellen Konstellationen Wissen über Umstände und Hintergründe geteilt wird und allen Beteiligten klar ist, dass es sich dabei um geteiltes Wissen handelt, sodass ein bestimmtes 26 Mit Live-Informationen gemeint sind zusätzliche Angaben wie die Information „schreibt…“ oder „Tonaufnahme läuft…“, die mit nur minimaler zeitlicher Verzögerung beim Gegen- über angezeigt werden.
Sprachnachrichten zwischen accountability und Theatralität 19 Handeln nicht mehr bzw. nur auf Nachfrage hin verbal accountable gemacht werden muss (Garfinkel 1967, 36).27 Wird ein bestimmtes Handeln hingegen verbal als accountable behandelt und geschieht dies nicht auf Nachfrage hin, sondern initial auf Initiative der SprecherInnen, so ist dies ein Hinweis darauf, dass ungewöhnliches bzw. unerwartete Handlungen in Rede stehen. Ist dies der Fall, ist ein account sogar normativ erwartbar, wie Heritage (1988, 135) konstatiert: „[...] account giving is not merely an empirically common feature that is associated with unexpected or unlooked for actions, but is a normatively required feature of such actions.“ Im Falle von accounts für WhatsApp-Sprachnachrichten bedeuten diese also zweierlei: Erstens, dass sie – jedenfalls in Augen der ProduzentInnen – ein ungewöhnliches oder unerwartetes Ereignis darstellen, das verbal accountable gemacht werden muss. Dies gibt Hinweise auf die Verbreitung und Akzeptanz der Sprachnachrichten. Zweitens bieten sie uns den methodischen Vorteil, aus den Äußerungen der SprecherInnen selbst zu erkennen und abzuleiten, warum eine Sprachnachricht produziert wird bzw. welcher Grund dafür beim Gegen- über relevant gesetzt wird. In dem folgenden Beispiel bereiten die beiden Studentinnen Klara und Lena, beide 26 Jahre alt, ihre nächste Begegnung vor. Ausschnitt (1): „Krankes Pferd“ ST-160804223241 Nachricht #1: 04.08.16, 22:32:41, Lena (TEXT) Morgen? Nachricht #2 04.08.16, 22:32:41, Lena (TEXT) Wann kommst du morgen? Nachricht #3: 05.08.16, 12:32:37, Klara (TEXT) Ko Nachricht #4: 05.08.16, 12:33:28 Klara (AUDIO, 00:47; vollständig transkribiert) 001 K: HEY liebes; 002 ähm:, 003 ich müsste jetzt n bisschen SCHREI-= 004 =äh viel SCHREIben, 005 deswegen (-) SPRECH ich (-) dir das jetz eben einmal so drAUf, 27 Das Handeln bleibt in Garfinkels Sinn dennoch account-able – wenn auch nicht verbal ex- plizit gemacht –, denn die Reflexivität von Handlung und Verständlichkeit (die Handlung wird verständlich und weil sie verständlich ist, wird so gehandelt) ist ein fortlaufender Pro- zess, in dem jede Handlung erklärbar gemacht werden kann, so lange die zugrundeliegen- den geteilten Annahmen übereinstimmen (vgl. auch Antaki et al. (2005); Robinson (2016)).
20 Sprachnachrichten zwischen accountability und Theatralität 006 °hh ÄHM; 007 (0.3) 008 i::ch fahre so gegen s::iebzehn UH::R- 009 vielleicht au::ch sechzehn DREIßig- 010 nach xx zu meiner Oma, 011 °h fahr dann erst wieder zuRÜCK, 012 °h zum STALL mit xx, 013 und komm DANN; 014 °hh ich rechne so mit NEUNzehn uhr-= 015 =halb ACHT- 016 wann ich vom stall LOSfahre;= 017 =ich würd mich dA aber noch mal MELden; 018 °hh ich MUSS einfach zum stAll;= 019 =weil ich Unbedingt (.) xx die medikamente geben MÖCHte; 020 °hh ÄH:M::; 021 022 mit xx zu RE:den- 023 °hh das erzähl ich dir aber °hhhh 028 ich hoffe das is oKAY- 029 wenn ich (.) dir so ne vage 030 hh° Nachricht #5: 05.08.16, 12:36:10, Lena (TEXT) Ok alles klar Auf die Rückfrage von Lena an Klara, wann sie am folgenden Tag kommt, berichtet Klara von ihrem kranken Pferd und begründet mit dessen Krankheit, dass sie keine genaue Angabe darüber machen kann, wann sie eintrifft und dass sich der Zeitpunkt der Ankunft verzögern wird. Dazu realisiert Klara zu- nächst den Beginn einer Textnachricht (Nachricht #3), die jedoch nicht vollen- det wird und weniger als eine Minute später um eine von ihr selbst produzierte Sprachnachricht ergänzt wird. Sie wechselt damit die semiotische Ressource nicht nur in der laufenden Konversation, sondern bereits nach dem Posten einer Textnachricht. In dem Audio-Posting erfolgt der account für die Sprachnachricht direkt auf eine phatische Begrüßung – „HEY liebes“ (001) – folgend. Klara setzt mit diesem Länge bzw. Umfang der folgenden Ausführungen als Vorteil für die Sprachnachricht relevant und drückt durch die Formulierung „SPRECH ich (-) dir das jetz eben einmal so drAUf,“ (005) eine Idee von Speicherung aus, ähnlich einer Nachricht, die auf Band gesprochen ist. Diese „aufgesprochenen“ Ausführungen sind dann mit rund 47 Sekunden wie von ihr angekündigt recht umfangreich (deutlich länger als der Durschnitt der Sprachnachrichten in un-
Sprachnachrichten zwischen accountability und Theatralität 21 seren Daten), obwohl Klara gleichzeitig die eigentliche Erzählung vertagt (vgl. 025ff.: „das erzähl ich dir aber
22 Sprachnachrichten zwischen accountability und Theatralität In den von uns untersuchten Daten erfolgt jedoch nur in insgesamt sieben Fäl- len eine solche explizite Markierung von Begründungsbedürftigkeit (insgesamt dreimal in Sprachnachrichten, viermal in ankündigenden Textnachrichten). Darin machen die SprecherInnen entweder die Ausführlichkeit der folgenden Mitteilung oder aber die Umstände relevant, die die Produktion einer Text- nachricht verhindern. Die verhältnismäßig geringe Anzahl der accounts deutet darauf hin, dass das Verschicken von Audio-Postings für die untersuchte Nut- zergruppe bereits fest zum kommunikativen Repertoire gehört. Auch wenn in dieser kommunikativen Praxis also nicht immer ein account erforderlich ist, so kann jedoch die Gestaltung des Audio-Postings weitere Hinweise dafür geben, warum keine Text-, sondern eine Sprachnachricht verschickt wurde, wie an- hand der folgenden Analysen gezeigt werden soll. IV.3 Sprachnachrichten als theatrale Aufführung Im Folgenden wenden wir uns einem Typus von Nachrichten zu, bei dem die Ausgestaltung der Sprachnachricht kontextualisiert, warum ein Audio- Posting als Nachrichtenformat gewählt wurde. Die primäre kommunikative Bedeutung solcher Sprachnachrichten liegt nicht einzig in der Übermittlung von Informationen, sondern darin, über die Auswahl und die Gestaltung des Hörbaren die RezipentInnen zu unterhalten, das in der Nachricht ausgedrück- te auditiv zu unterstreichen oder Bewertungen durch prosodische Gestaltungs- mittel zum Ausdruck zu bringen. Das hörbar Gemachte ist bei diesen Audio- Postings also eine zentrale Kontextualisierungsressource. Die ProduzentInnen der Audio-Postings führen auf der Bühne der Sprachnachricht kurze theatrale Inszenierungen für ihr Publikum (die adressierten NutzerInnen) auf. Solche theatralen Vorführungen finden sich in den untersuchten Daten vor allem bei initial verschickten Sprachnachrichten, also bei solchen Nachrich- ten, die aus dem vorherigen Dialogkontext nicht relevant gemacht wurden, die nicht auf ein vorausgehendes Posting reagieren. Ein Kontext, in dem die Aufführung als solche den Anlass für das Versenden einer Sprachnachricht darstellt, kann die Übermittlung von Geburtstagswünschen sein: Ausschnitt (2): „Happy Birthday“ BJ-2017 Nachricht #1: 03.04.2017, 07:20:28 Becca (AUDIO, 00:04; vollständig transkribiert) 001 Becca:
Sprachnachrichten zwischen accountability und Theatralität 23 Nachricht #2: 03.04.2017, 07:20:47, Becca (TEXT) Von Sven und von mir... er woll- te aber nicht singen :) Nachricht #3: 03.04.2017, 07:21:24, Becca (TEXT) Ich hoffe, du hast einen fulmi- nanten Geburtstagsprinzessinnen- tag und lässt dich verwöhnen! Nachricht #4: 03.04.2017, 07:21:37, Becca (TEXT) Wir sehen uns ja Ende des Monats... Nachricht #5: 03.04.2017, 19:35:00, Johanna (TEXT) Huhu, Ihr Lieben! Ganz lieben Dank für Eure Glückwünsche! Wunderbar gesungen! Lg und bis zur Party ! Die Nutzerin Becca beginnt den Dialog28 mit einem gesungenen Geburtstags- gruß. Das Singen ist hierbei zudem noch spezifisch prosodisch moduliert: Es erfolgt in einer Kinderstimme, die als Kommentar zu der Aktivität des Singens verstanden werden kann. Die Aktivität wird nicht in einer ernsten Modalität vorgetragen, sondern gleichzeitig durch die Art des Singens als „außergewöhn- lich“ gerahmt. Im weiteren Verlauf des Dialogs wechselt Becca nicht nur vom Englischen ins Deutsche, sondern auch von der medialen Mündlichkeit zur me- dialen Schriftlichkeit: Eine Textnachricht stellt ihr nächstes Posting dar. Es wird jedoch ein thematischer Bezug zwischen Nachricht #1 und #2 hergestellt, in dem Becca im zweiten Zug ausführt, von dem die Geburtstagsgrüße ausgerichtet werden (die koordinierten Präpositionialphrasen „Von Sven und von mir“, #2, schließen dabei auch grammatisch an die vorhergehende Nachricht an) und wa- rum die zweite grüßende Person nicht in der ersten Nachricht mitgesungen hat. Den im Rahmen einer Interaktion vorgenommenen Wechsel zwischen me- dialer Mündlichkeit und medialer Schriftlichkeit und den damit verbundenen Wechsel zwischen visueller und auditiver Wahrnehmungsmodalität bezeich- nen wir – in Anlehnung an den in der Mehrsprachigkeitsforschung geläufigen Begriff des Code-Switching (vgl. Auer 1998) – als Mode-Switching. Die bislang zur Verfügung stehenden indexikalischen Mittel – etwa der Wechsel von Sprachen, Varietäten oder Stilen (vgl. Androutsopoulos/Hinnenkamp 2001, 397) – werden damit um eine weitere Ressource ergänzt, die verschiedentliche Kontextualisierungspotenziale aufweisen kann: Der Wechsel in eine andere 28 Zu Problemen bei der Identifi kation von Dialoggrenzen siehe König (2015a). Die Nach- richten vor dem Beginn des Auszugs liegen zeitlich weit zurück und behandeln ein nicht- verwandtes Thema.
24 Sprachnachrichten zwischen accountability und Theatralität Modalität kann, wie in dem obigen Beispiel, etwa wiederverschiedene Hand- lungsschritte trennen (Ständchen #1 und Angabe der Gratulanten #2) und so- mit diskursstrukturierende Funktion haben.29 Auch Nachricht #3 expandiert die bisherigen Dialogzüge inkrementell (vgl. Imo 2015; König 2015a); es werden in sprachlich individualisierter Weise Ge- burtstagsgrüße vermittelt. In ihrem ersten reaktiven Zug bedankt sich die ad- ressierte Johanna als second pair part nicht nur für die Glückwünsche, sondern goutiert zudem auch die Performance Beccas („Wunderbar gesungen!“, #5). Die Aufführung eines Geburtstagsständchens wird somit von der Rezipientin als gelungenes Spektakel behandelt. Festzuhalten ist zudem, dass Nachricht #1 Spuren ihrer technischen Produziertheit trägt: Da Becca zu früh zu singen begonnen hat, ist nur die zweite Silbe des Adjektivs happy zu hören. In den untersuchten Daten lassen sich weitere – oftmals initiale – Nachrich- ten ausmachen, bei denen die stimmliche Modulation eine zentrale auditive Ressource darstellt. Dies ist etwa der Fall bei der folgenden Sprachnachricht, mit der die Sprecherin Bine eine Verabredung für den Abend absagt. Ausschnitt (3), „Krank im Bett“, #2100 Nachricht #1, 04.02.2017 Bine (AUDIO, 01:20; vollständig transkribiert) 001 BINE: hallo LI:sa:; 002 ähm (.) 005 °hhh
noch mal NACHholen können,> 023 wenn: wir 025 026 ähm (-) 038 °hh ganz viel SPASS-= 040 = 041 und ÄH- 042 °hhh 043 h° viel spAss mit den 044 bis BA::LD_h°; Während sich auf der sprachlichen Oberfläche der Nachricht zahlreiche für Terminabsagen typische Muster – wie etwa eine Begründung der Absage, der Verweis auf äußere Zwänge (ausgedrückt im Modalverb müssen 010), die Ver- wendung des Modaladverbs leider (004, 008) ein Ausblick auf ein zukünfti- ges Treffen – finden, 30 ist es vor allem die prosodische Ausgestaltung, die eine zentrale Aufführungsressource darstellt. Bine spricht durchgehend mit einer belegten Stimme, die unmittelbar als die Stimme einer erkälteten Person zu erkennen ist. Darüber hinaus nutzt sie weitere auditive Gestaltungsressourcen, die diesen Eindruck noch verstärken: Sie spricht langsam; zahlreiche Pausen und Dehnungen bedingen das reduzierte Sprechtempo mit. Ebenso ist die Nachricht von vielen hörbaren und teilweise lang gedehnten oder zischenden Atemgeräuschen durchzogen (im Transkript durch Fettdruck hervorgeho- ben). Insbesondere der häufige Einsatz der Knarrstimme (creaky voice, ebenso durch Fettdruck hervorgehoben) kann an zahlreichen Stellen als Ressource zur Aufführung von „Krankheit“ gehört werden. Die Information über den Gesundheitszustand wird also nicht nur verbal, wie es auch in einer Textnach- richt möglich gewesen wäre, sondern zusätzlich durch prosodische Ressourcen 30 Vgl. König (2015b) zu Absagen in der SMS-Kommunikation.
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