Netzassoziierte Komplikationen in der Narbenhernienchirurgie

 
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Netzassoziierte Komplikationen in der Narbenhernienchirurgie
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Netzassoziierte Komplikationen
in der Narbenhernienchirurgie
G. Baschleben                              Einteilung der Netzinfektionen/             Eine tiefe postoperative Wundinfektion
                                           Netzkomplikationen                          muss die tieferen Faszien- und Mus­
Die Versorgung von Narben- und             Die CDC-Klassifikation beschreibt alle kelschichten betreffen und in Zusam­
Bauchwandhernien gehört mit circa          postoperativen Infektionen innerhalb menhang mit der Operation bezie­
130.000 Operationen pro Jahr zu den        von 30 Tagen nach einem operativen hungsweise dem Netz stehen. Eine
häufigsten allgemeinchirurgischen Ein­     Eingriff. Bei Vorhandensein von Fremd­ Sonderform nehmen die Organinfekti­
griffen in Deutschland [1].                material verlängert sich der Zeitraum onen ein, die in unmittelbarem Zusam­
Trotz der frühen Beschreibung des Ein­     auf ein Jahr [4]. Sie stellt eine epidemio­ menhang mit der Operation stehen. Ein
satzes von Kunststoffnetzen durch          logische Beschreibung ohne Relevanz Zeitintervall zu definieren, scheint hier
Usher 1958 [2] sollte es bis in die        für Diagnostik und Therapie dar. Daher nicht sinnvoll, sodass diese als Früh-
1990er Jahre dauern, dass die netzba­      war es notwendig, eine hernienspezifi­ oder Spätinfektion imponieren können.
sierten Operationsverfahren zum Stan­      sche Klassifikation von Wundereignis­
dard in der Narbenhernienchirurgie         sen (surgical-site-occurrences – SSO) Nichtnetzassoziierte Komplikationen
erklärt wurden [3].                        zu erstellen. Diese sollte prädiktive, Das Auftreten von Wundkomplikatio­
                                           infektbegünstigende Faktoren erfas­ nen beziehungsweise Wundinfektionen
Obwohl in den letzten Jahren durch die     sen und daraus entsprechende thera­ führt zu einem signifikanten Mortali­
zahlreichen auf dem Markt befindlichen     peutische Empfehlungen zulassen.            täts- und Morbiditätsanstieg. So wer­
Netzmaterialien eine Reduktion der         In ihrem Konsensuspapier 2010 defi­ den in der offenen Narbenhernienchir­
Rezidivrate zu verzeichnen ist, haben      nierte die Ventral Hernia Working urgie Infektionsraten bis zehn Prozent
wir es nun mit neuen, netzassoziierten     Group als erste ein solches Gradingsys­ angegeben [7].
Komplikationen zu tun.                     tem. Dieses wurde 2012 nach erneuter In einer Datenbankanalyse von insge­
                                           Datenanalyse korrigiert. Es basiert samt 25.172 eingeschlossenen Patienten
Zu diesen zählen die Netzinfektion, das    jetzt auf den drei Säulen: patientenab­ konnten Koutzanis et al. folgende signi­
Auftreten von Fisteln und die Netzmig­     hängige Risikofaktoren, aktuelle Wund­ fikante Risikofaktoren nachweisen [8]:
ration. Netzinfektion bedeutet für den     klassifikation und vormalige Infektsitu­ • BMI > 30,
betroffenen Patienten häufig eine deut­    ation [5]. Unter den SSO werden nicht • Nikotinabusus,
liche Einschränkung der Lebensqualität.    infektiöse Wundereignisse („surgical • ASA >=3,
Neben einer Verlängerung des Kran­         site events“ – SSE) und Wundinfektio­ • verlängerte OP-Zeit,
kenhausaufenthaltes, bedingt durch         nen („surgical site infections“ – SSI) • offener Zugang,
notwendige Revisionseingriffe, besteht,    zusammengefasst.                            • stationäre Voraufnahmen.
insbesondere nach Netzexplantation,        Sind nur die Haut und das Subcutange­
das Risiko des Wiederauftretens einer      webe betroffen, wird dies als ober­ In kleineren Fallgruppen wurden ein
Narbenhernie.                              flächliche Infektion gewertet. Wobei als schlecht eingestellter Diabetes mellitus,
Bezüglich der Inzidenzbetrachtung muss     Zeichen der Infektion eine der folgen­ die immunsupprimierende Therapie,
die Netzinfektion von der Wundinfek­       den Bedingungen erfüllt sein müssen; chronisch obstruktive Lungenerkran­
tion getrennt werden.                      eitrige Wundsekretion, positiver Wund­ kung, Patientenalter > 65 Jahre und
                                           abstrich, klassische Infektionszeichen Malnutrition als ebenfalls signifikant
Ursachen, Diagnostik und Behandlungs­      mit bewusster Wundrevision und posi­ beschrieben [9, 10].
möglichkeiten sowie die Risikopräven­      tivem Erregernachweis. Außer beim
tion sollen in diesem Artikel betrachtet   Onlay-Repair steht die Infektion nicht Netzassoziierte Komplikationen
werden. Verschiedene Operationstech­       mit dem Netz in Zusammenhang.               Inwieweit das Vorhandensein eines
niken sowie die große Di­­ver­sität der    Am häufigsten handelt es sich hier um Kunststoffnetzes das Risiko des Auf­
eingesetzten Netzmaterialien machen        Infektionen mit Staphylococcus aureus, tretens lokaler Komplikationen weiter
eine differenzierte und systematische      einschließlich MRSA, Enterobakterien erhöht, ist nicht eindeutig geklärt [11].
Betrachtungsweise nur schwer möglich.      und E. coli [6].                            Fakt ist, das Vorhandensein eines

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     ­ etzes erschwert, insbesondere unter
     N
     dem Gesichtspunkt der Superinfektion,
     eine suffiziente Infekttherapie [12].

 Netzassoziierte
 nichtinfektiöse Komplikationen
 Zu den weltweit am häufigsten einge­
 setzten Netzmaterialien gehören Poly­
 propylen (PP), Polyester (Polyethylen­
 terephalat, PET), Polyvinylidenfluorid
 (PVDF) und expanded Polytetrafluor­
 ethylen (ePTFE).
 Unmittelbar mit der Netzimplantation

                                                                                                                                                 © St. Elisabeth-Krankenhaus gGmbH
 kommt es zur Bildung einer periimplan­
 tären Proteinmembran aus unter ande­
 rem Albumin und Fibrinogen. Erst da­­
 nach beginnt die immunologische Ant­
 wort, zunächst über Makrophagen, mit
 der adsorbierenden Schicht. Im weite­
 ren Verlauf werden T-Lymphozyten
                                             Abb. 1: Abszedierende meshocutane Fistel (zwölf Monate p.o.)
 und Fibroblasten aktiviert und es
 kommt zur Bildung von Frühgranulo­
 men. Getriggert durch lokale Wachs­
 tumsfaktoren nehmen Zellproliferation
 und Hämatopoese zu. Am Ende dieses
 Prozesses steht das extrazelluläre
 Remodelling und damit die periimplan­
 täre Fibrosierung.
 Die Eigenschaften des eingesetzten
 Netzes (Material, Porengröße, Oberflä­
 chenstruktur) beeinflussen dabei we­­
 sentlich die Stärke der Fremdkörperre­
 aktion [13]. Die hieraus resultierenden
 Komplikationen wie Serom, Adhäsionen
 und chronische Schmerzen sind patien­
 tenunabhängig. PVDF-Netze zeigen im
 Vergleich eine geringere inflammatori­
 sche Reaktion [14]. Generell besteht
 eine deutlich geringere Entzündungsre­
 aktion beim Einsatz großporiger, leicht­
 gewichtiger Netze [15].
                                                                                                                                                 © St. Elisabeth-Krankenhaus gGmbH

 Trotzdem kann diese auch noch Monate
 beziehungsweise Jahre nach Implanta­
 tion im Extremfall zur Netzmigration
 beziehungsweise Fistelbildung führen.
 In Abhängigkeit der Netzlage können
 sich so alleinige meshocutane, aber
 auch entero-meshocutane Fisteln aus­
 bilden (Abb. 1 bis 3).                      Abb. 2: Entero-meshocutane Fistel nach offenem IPOM (Ventrio-ST-Netz®, drei Monate p.o.)

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                                                                                                                          Daten und evidente Therapieempfeh­
                                                                                                                          lungen vor.
                                                                                                                          Die komplexeste Aufarbeitung der rele­
                                                                                                                          vanten Literatur findet sich in Guide­
                                                                                                                          lines der International Endohernia
                                                                                                                         ­Society zur Infektbehandlung nach la­­pa­
                                                                                                                          roskopischer Ventral- und Narbenher­
                                                                                                                          nienoperation. Aber nur die Aussagen
                                                                                                                         zur geringen (ein Prozent) Infektions­
                                                                                                                          rate beim laparoskopischen Vorgehen
                                                                                                                          und die höhere Explantationsrate von
                                                                                                                          ePTFE-Netzen befinden sich auf dem

                                                                                     © St. Elisabeth-Krankenhaus gGmbH
                                                                                                                          Level 1a. Die stärkste Therapieempfeh­
                                                                                                                          lung (Grad B) besteht für die Entfer­
                                                                                                                          nung von infizierten ePTFE-Netzen [22].
                                                                                                                          Für die offene Narbenhernienversor­
                                                                                                                          gung finden sich nur Fallserien und ein
                                                                                                                          systematisches Review.
Abb. 3: Meshocutane Fistel (sechs Monate p.o.)
                                                                                                                         Konservative Therapie und Netzerhalt
                                                                                                                         Mit einer Netzexplantation steigt das
Netzassoziierte                                  Implantationsverfahren und Netzar­                                      Risiko einer erneuten Hernienbildung.
infektiöse Komplikationen                        ten) divergent.                                                         Daher wird von verschiedenen Autoren
Die Frage, welchen Einfluss das einge­                                                                                   ein konservativer Therapieansatz be­   ­
setzte Fremdmaterial auf das Auftre­             Prädiktive Faktoren für Netz­                                           schrieben. Dieser kann eine systemi­
ten von Netzinfektionen hat, ist Gegen­          infektion und Netzexplantation                                          sche beziehungsweise lokale Antibioti­
stand zahlreicher tierexperimenteller            Gibt es im Speziellen Faktoren, die eine                                katherapie, kombiniert mit einer chirur­
als auch retrospektiver Untersuchun­             Netzinfektion begünstigen? Bueno-                                       gischen Lokaltherapie und einer Unter­
gen am Menschen.                                 Lledo et al. konnten in einer retrospek­                                drucktherapie beinhalten. Ziel ist es,
In vivo konnte im Tiermodell zum einen           tiven Untersuchung von 3.470 Patien­                                    das Mesh zu erhalten und eine komp­
gezeigt werden, dass mikroporöse                 ten mit stattgehabter offener Bauch­                                    likative Folgeoperation zu vermeiden.
Materialien (ePTFE) mit einer erhöhten           wandrekonstruktion in einer multivari­                                  Daten zur Dauer der konservativen
Infektionsrate einhergehen. Diese ist            aten Analyse Immunsuppression, Not­                                     lokalen und antibiotischen Therapie
bedingt durch die Tatsache, dass Bak­            falloperation und p.o. Wundinfektion                                    fehlen ebenso wie Abbruchkriterien.
terien die < 10 µm Netzporen durch­              als signifikante Ursachen herausarbei­
dringen, während die Makrophagen mit             ten [18].                            Stremitzer et al. konnten in 17 von 31
einem Durchmesser > 75 µm dies nicht             In der gleichen Arbeit wurden als Fak­
                                                                                      Fällen einen Netzerhalt nach konserva­
können [16]. Eine weitere experimen­             toren für eine nachfolgende Netzex­  tiver antibiotischer Therapie verzeich­
telle Arbeit untersuchte die Infektions­         plantation ePTFE-Netze, die Netzplat­nen. Während alle teilresorbierbaren
rate unter dem Einfluss der Besiedlung           zierung in onlay-Position sowie die  Netze erhalten werden konnten, betrug
mit dem biofilmbildenden Erreger Sta­            gleichzeitige Enterotomie nachgewiesen.
                                                                                      die Erfolgsrate bei Polypropylen- bezie­
phylococcus aureus. Dabei fand sich              Einigkeit besteht, dass der laparoskopi­
                                                                                      hungsweise PTFE-Netzen nur circa 20
eine signifikant erhöhte bakterielle Be­­        sche Zugang mit einer statistisch nach­
                                                                                      Prozent [23].
siedlung multifilamentärer, hydropho­            weisbaren reduzierten Infektionsrate Limitierend für den Erfolg der antibioti­
ber Netze im Vergleich zu monofilamen­           vergesellschaftet ist [19, 20, 21].  schen Therapie ist die Ausbildung eines
tären, leichtgewichtigen Netzen [17].                                                 periimplantären Biofilms mit vermin­
Die veröffentlichten Ergebnisse retros­          Therapie der Netzinfektion/          derter Antibiotikapenetranz [24]. Daher
pektiver Patientenuntersuchungen sind            Netzkomplikationen                   sollte diese Therapie frühzeitig begon­
dagegen aufgrund der Inhomogenität               Für die Behandlung von Netzinfektio­ nen beziehungsweise konsequent post­
(kleine Fallzahlen, unterschiedliche             nen liegen nur wenige systematische operativ fortgeführt werden.

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Netzassoziierte Komplikationen in der Narbenhernienchirurgie
originalie

 Deutlich bessere Ergebnisse konnten
 unter einer zusätzlichen Vakuumthera­
 pie erzielt werden [25]. Meagher et al.
 konnten in zwölf von 13 Fällen einen
 Erfolg verbuchen [26]. Die Autoren rela­
 tivieren diesen Erfolg unter Verweis auf
 die lange Behandlungszeit von 199
 Tagen im Median (82 bis 456 d). In einer
 anderen Subgruppenuntersuchung von
 52 Patienten mit Infektion nach retro­
 muskulärer Netzimplantation konnte in

                                                                                                                                          © St. Elisabeth-Krankenhaus gGmbH
 allen Fällen das Netz, bei einer media­
 nen Zeit bis zum definitiven Wundver­
 schluss von 34 Tagen, erhalten werden
 [27]. Die beschriebenen Erfolge zum
 Netzerhalt unter lokaler Kochsalz- be­­
 ziehungsweise Gentamycinspülung [28],
 besonders bei ePTFE-Netzen, werden
                                           Abb. 4: Netzexplantation bei Migration von Netz und Fixationssystem
 als anekdotenhaft angesehen [27]. Ins­
 gesamt scheinen leichtgewichtige Poly­
 propylennetze tendenziell die höhere explantation sowie die Entfernung det werden. Hauptsächlich kommen
 Erhaltungsrate zu haben [29, 30].         allen Befestigungsmaterials empfohlen die retromuskuläre Netzeinlage („Rives-­
                                           [33] (Abb. 4).                                         Stoppa“) und die Komponentensepara­
 Netzentfernung – komplett vs. total                                                              tion beziehungsweise das Transversus
 Die überschaubare Rate an Netzerhalt Bauchdeckenrekonstruktion                                   abdominis release zum Einsatz.
 impliziert, dass ein Großteil der Patien­ Die Therapie von Netzinfektionen ba­­ Kontrovers wird das einzusetzende
 ten letztendlich doch eine teilweise siert vordergründig auf einer suffizien­ Netzmaterial diskutiert. Der lange pos­
 beziehungsweise komplette Explanta­ ten Infektsanierung. Erst hiernach kann tulierte und auch von der VHWG (Vent­
 tion erfährt. Insgesamt ist auch hier die über den weiteren Defektverschluss ral Hernia Working Group) empfohlene
 Datenlage schlecht.                       entschieden werden.                                    Einsatz biologischer Netze ist nicht evi­
 Die komplette Exzision stellt eine Aktuell konkurrieren single- und multi- dent belegt und wird zunehmend hin­
 große Herausforderung dar. Sie ist mit stage-repair. Ersteres beinhaltet die terfragt [36, 37]. Insbesondere unter
 einem erhöhten Risiko an Darmverlet­ Versorgung im Rahmen der Infektsa­ dem Gesichtspunkt des verzögerten,
 zungen und ischämisch beziehungs­ nierung [34]. Beim etappenweisen Vor­ vakuumassistierten Wundverschlusses
 weise präparatorisch bedingten Bauch­ gehen dagegen wird nach Netzexplan­ ist der Einsatz leichtgewichtiger Poly­
 wandläsionen vergesellschaftet. Daher tation die Faszie verschlossen bezie­ propylennetze aus unserer Erfahrung
 wird von einigen Autoren der Erhalt hungsweise der Fasziendefekt über­ möglich. Bridging-Techniken sind in bei­
 eines bereits inkorporierten und offen­ brückt [35]. Die definitive Versorgung den Strategien als obsolet anzusehen.
 sichtlich nicht infizierten Netzes postu­ erfolgt im Intervall, auch unter Inkauf­
 liert [31].                               nahme eines frühzeitigen Hernienrezi­ Prävention
 Dem entgegen stehen die Ergebnisse divs.                                                         In Kenntnis der geschilderten Proble­
 von Bueno-Lledo et al. Trotz geringere In beiden Prozeduren spielt die Vakuum­ matik sollte den beschriebenen Risiko­
 p.o. Morbidität bei partieller Exzision therapie eine entscheidende Rolle. faktoren präoperativ eine besondere
 wird eine Infektpersistenz in 50 Pro­ Sei es zur weiteren Wundkonditionie­ Aufmerksamkeit gewidmet werden.
 zent der Fälle angegeben [32]. Das rung beziehungsweise im Rahmen Insbesondere die durch den Patienten
 zusätzlich erhöhte Risiko für das Auf­ eines verzögerten, definitiven Wund­ aktiv beeinflussbaren Faktoren, wie
 treten eines Fistel- beziehungsweise verschlusses.                                               exzessiver Nikotinabusus und Adiposi­
 Hernienrezidivs ist beschrieben.          Die technischen Möglichkeiten zum tas, spielen eine große Rolle. Ebenso
 Tendenziell wird bei vertretbarem Hernienverschluss sind vielfältig und die Optimierung der Ernährungssitua­
 Risiko die frühzeitige komplette Netz­ können in beiden Methoden angewen­ tion und der Diabeteseinstellung.

28                                                                                                                   Ärzteblatt Sachsen 1|2020
Netzassoziierte Komplikationen in der Narbenhernienchirurgie
originalie

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                                                                                                                                                                                        © St. Elisabeth-Krankenhaus gGmbH
Abb. 5: Netzmigration eines Composix-Kugel-
Patch® (24 Monate p.o.)

Diese Faktoren fanden Eingang in eine
von Augenstein et al. entwickelte
Smartphone-App. Mit Hilfe der „Caro­                                              Abb. 6: Exzision eines Polyester-Netzes bei meshocutaner Fistel (zwölf Monate p.o.)

linas equation for Determining Associ­
ated Risks-App“ (CeDAR) kann der Pati­                                            lokale Fistelrevision mit partieller                      Wahl des OP-Verfahrens (zum
ent selbst sein präoperatives Infekti­                                            Netzexplantation, Vakuumtherapie und                      Beispiel laparoskopische Operation).
onsrisiko berechnen. Die vorliegenden                                             plastischer Deckung möglich. Entero­                  •   Die Netzinfektion sollte getrennt
Daten zeigen einen signifikanten Ein­                                             cutane Fisteln sollen nach Experten­                      von der oberflächlichen Wundinfek­
fluss auf die p.o. Infektionsrate [38].                                           meinung immer komplett saniert                            tion betrachtet werden.
Die perioperative Antibiose zur Infekti­                                          werden [42]. Eine Sonderform stellt
                                                                                  ­                                                     •   Lokale Therapien in Kombination mit
onsprophylaxe ist akzeptierter Standard.                                          die intraluminale Netzmigration dar                       systemischer Antibiose sind möglich.
In unserer Klinik haben wir die Arbeit                                            (Abb. 5). Klinisch kann diese mit einer                   Empfehlungen bezüglich der Thera­
von Berger et al. [39] zum Anlass                                                 Ileussymptomatik beziehungsweise                          piedauer bis zur Entscheidung über
genommen, eine risikostratifizierte epi­                                          Zeichen der Peritonitis einhergehen.                      das Therapieversagen liegen nicht vor.
fasziale Vakuumversiegelung bei offe­                                             Eine verzögerte Therapie im Notfall                   •   Eine eventuell notwendige Netz­
nen Narbenhernienoperationen, insbe­                                              geht dabei mit einer erhöhten Mortali­                    explantation bei Spätinfektionen ist
sondere bei ausgeprägter subcutaner                                               tät und Morbidität einher [43]. Auch                      technisch meist schwierig und
Präparation p.o. anzulegen. In einer                                              hier stellt die radikale chirurgische                     komplikationsträchtig. Eine Alterna­
Fallserie von 27 Patienten mit kombi­                                             Sanierung die Therapie der Wahl dar.                      tive hierzu kann die partielle Netz­
nierter Komponentenseparation und                                                 Inwieweit nach Netzexplantation und                       explantation sein, gegebenenfalls
simultaner Unterdrucktherapie fand                                                Darmresektion eine simultane Herni­                       mit Vakuumtherapie (Abb. 6).
sich eine SSI-Rate von null Prozent [40].                                         enversorgung erfolgen kann, muss                      •   Aufgrund mangelnder Daten besteht
Mit minimalinvasiven Verfahren (endo­                                             anhand der lokalen Situation und der                      die Empfehlung, dem behandelnden
skopische vordere Komponentensepa­                                                vorliegenden Expertise entschieden                        Chirurgen die Entscheidung über
ration beziehungsweise endoskopi­                                                 werden. Zu beachten ist, dass die Not­                    eine simultane erneute Netzversor­
sches Sublay-Repair) bestehen weitere                                             fallversorgung, insbesondere von obs­                     gung zu überlassen.
Möglichkeiten zur Infektreduktion.                                                truierenden Narbenhernien, mit einer                  •   Im Falle der Netzexplantation mit
                                                                                  deutlich erhöhten Mortalität vergesell­                   alleinigem Bauchdeckenverschluss
Therapie von Fistel                                                               schaftet ist.                                             sollte die erneute Netzversorgung
und Netzmigration                                                                                                                           erst nach sechs bis neun Monaten
Fistelbildung und Netzmigration stellen Fazit für die Praxis                                                                                erfolgen [22]. 
seltene aber folgenreiche Komplikatio­ • Neben einem suffizienten Komplika­
                                                                                                                                                                Interessenkonflikte: keine
nen dar. Es handelt sich in der Regel    tionsmanagement sollten bereits im
um Spätkomplikationen deren Auftre­      Vorfeld der Operation gezielt                                                                                                  Literatur beim Autor
ten in Fallbeschreibungen von drei bis   bestehende Risikofaktoren erkannt                                                                                      Dr. med. Guido Baschleben
30 Jahre reicht [41].                     und diese, soweit möglich, reduziert                                                                         St. Elisabeth-Krankenhaus gGmbH
                                                                                                                                              Klinik für Allgemein-, Viszeralchirurgie und
Bei oberflächlichen meshocutanen Fis­    werden.
                                                                                                                                                                               Proktologie
teln mit fehlender abdomineller Symp­ • Berücksichtigung der Risikofaktoren                                                                          Biedermannstraße 84, 04277 Leipzig
tomatik ist aus unserer Erfahrung eine   bereits bei der OP-Planung und                                                                        E-Mail: Guido.Baschleben@ek-Leipzig.de

Ärzteblatt Sachsen 1|2020                                                                                                                                                                                                   29
Netzassoziierte Komplikationen in der Narbenhernienchirurgie
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