Neuartige modulare Geh orthese zur leistungsfähigen Korrektur von Gangabweichungen bei neurologisch bedingten Gehstörungen

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Neuartige modulare Geh orthese zur leistungsfähigen Korrektur von Gangabweichungen bei neurologisch bedingten Gehstörungen
Orthetik                                J.-H. Schröder, G. A. Barandun, P. Leimer, R. Morand,
                                        B. Göpfert, E. Rutz

                                        Neuartige modulare ­Geh­orthese
                                        zur leistungsfähigen ­Korrektur
                                        von Gangabweichungen
                                        bei neurologisch bedingten
                                        ­Gehstörungen
                                        Novel Modular Walking Orthosis for Powerful Correction of
                                        Gait Deviations with a Neurological Cause

Die Orthesenversorgung von Men­         devices more efficiently in a multi­       der Fortbewegung nur reduziert oder
schen mit Lähmungen, insbesonde­        disciplinary team.                         gar nicht mehr unterstützen. Die Ur-
re bei Zerebralparese, ist komplex.                                                sache dafür liegt häufig in komplet-
Der Artikel stellt in diesem Zusam­     Key words: pes equinus, drop foot,         ten oder inkompletten Lähmungen
menhang ein neuartiges integrier­       cere­bral palsy, hemiplegia, neuro-­       in Verbindung mit Spastizität ­   und/
tes Versorgungskonzept vor, bei         orthopaedics, simulation technique,        oder Gelenkkontrakturen. Aus medi-
dem mittels fortschrittlicher Tech­     FEM, carbon spring, digital manufac-       zinischer Sicht gilt es dabei zwischen
nologien innerhalb einer komplett       turing, 3D printing, ankle-foot orthosis   schlaffen und spastischen Lähmun-
digitalen Prozesskette eine modula­                                                gen zu unterscheiden. In Bezug auf
re Orthese produziert wird, bei der     Besondere Heraus­                          den Gangzyklus wirkt sich dies in der
von vornherein alle Parameter für                                                  Regel wie folgt aus:
den jeweiligen Versorgungsfall be­
                                        forderungen der orthe-
rücksichtigt werden. Aus Sicht der      tischen Versorgung bei                     – Problem in der Standphase (in der
Autoren sind solche neuen Versor­       Lähmungen                                    Regel durch Spastizität mit ver-
gungskonzepte       vielversprechend                                                 mehrter Aktivität der Plantarfle-
und werden helfen, eine effizientere    Die Anpassung bedarfsgerechter or-           xoren und daraus resultierendem
Versorgung in einem multidiszipli­      thopädietechnischer Hilfsmittel er-          Spitzfuß) oder
nären Team zu erstellen.                fordert ein systematisches Vorgehen.       – Problem in der Schwungphase
                                        In der Beinprothetik wird diesem Er-         (in der Regel durch eine Schwäche
 Schlüsselwörter: Spitzfuß, Fallfuß,    fordernis seit Jahren entsprochen und        bzw. Lähmung der Dorsalextenso-
 Zerebralparese, Hemiplegie, Neuro­     ein großer technischer und finanziel-        ren im Oberen Sprunggelenk und
 orthopädie, Simulationstechnik, FEM,   ler Aufwand getrieben – sowohl sei-          daraus resultierendem Fallfuß).
 Carbonfeder, Digitale Fertigung,       tens der Forschung als auch der In-
­3D-Druck, Unterschenkelorthese         dustrie. Die biomechanischen Eigen-           Das Ziel jeder Orthesenversorgung
                                        schaften der prothetischen Passteile       eines Patienten mit neurologisch be-
Fitting orthoses for people with pa­    wurden in den vergangenen Jahr-            dingten Gehstörungen sollte die Ver-
ralysis, especially those with cere­    zehnten immer klarer definiert; da-        besserung oder sogar Wiederherstel-
bral palsy, is complex. This article    durch können sie exakt auf das jewei-      lung der physiologischen Geh- und
presents an innovative integrated       lige Amputationsniveau der zu Versor-      Stehfähigkeit sein. Dabei gilt es zwi-
concept for this in which a modular     genden, ihr Gewicht, ihre Aktivitäten      schen Stand- und Schwungphasen-
orthosis is produced using advanced     und die Einsatzbereiche der Prothese       problematik zu unterscheiden, weil
technologies within a completely        zugeschnitten werden.                      sich dies auf die Konzeption der Or-
digital process chain, for which all       Die orthetische Versorgung hin-         these und deren Funktionen ent-
parameters for the respective case      gegen steht vor komplexeren Heraus-        scheidend auswirkt. Um hierüber ge-
are taken into consideration from       forderungen: Die zu versorgende Ex-        naue Entscheidungen treffen zu kön-
the start. The authors believe that     tremität ist im Unterschied zur Am-        nen, sind eine adäquate Anamnese
new treatment concepts such as this     putation zwar weiterhin vorhanden,         und Diagnose wichtig. Dazu im Ein-
are promising and will help provide     kann aber die eigentliche Funktion         zelnen:

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                                                                                                 ORTHOPÄDIE TECHNIK 04/22
Neuartige modulare Geh orthese zur leistungsfähigen Korrektur von Gangabweichungen bei neurologisch bedingten Gehstörungen
Orthetik

Anamnese                                   Das Ergebnis hängt dabei aber im          rungen unterstützen – und zwar in-
                                           Wesentlichen von der Erfahrung des        nerhalb einer digitalen Prozesskette
Um die erforderlichen Funktionen ei-       jeweiligen Technikers ab. Dabei lässt     von der Begutachtung und Planung
ner Orthese genau festlegen zu kön-        sich nur schwer beurteilen, ob die        über die Abgabe der Orthese bis hin
nen, ist eine exakte Anamnese und          betroffene Person wirklich optimal        zur engmaschigen Nachkontrolle und
eine genaue körperliche Untersu-           versorgt wird. Wünschenswert wäre         lückenlosen Dokumentation.
chung der betroffenen Person durch         es, wenn es ein Versorgungssystem            Ein solches Konzept wird ermög-
das Versorgungsteam unabdingbar.           auf der Grundlage objektiver Daten        licht durch die Nutzung des sogenann-
Dabei ist die Untersuchung folgender       gäbe, bei dem alle Lösungen im Prin-      ten „Machine Learning“, mit dem die
Aspekte besonders wichtig:                 zip die gleiche Qualität aufweisen,       Ursache-Wirkungs-­Zusammenhänge
                                           unabhängig vom Versorgenden und           bei einer Versorgung automatisch
– motorische Ausfälle,                     passend für die jeweiligen Anforde-       erkannt und simuliert werden kön-
– nutzbare Restfunktion der Musku-         rungen.                                   nen [2] (Abb. 1). Ein System basie-
  latur,                                                                             rend auf dieser Technologie ist das
– Freiheitsgrade der Gelenke und           „Mowa“ – ein systema-                     „Mowa“-Konzept („Modular Wal-
– Achsabweichungen des Knie- bzw.                                                    king“), das während der letzten fünf
  Knöchelgelenkes.
                                           tisches Versorgungskon-                   Jahre entwickelt wurde und zurzeit
                                           zept zur digitalen Erstel-                (Stand: März 2022) europaweit einge-
   Zudem müssen die speziellen Cha-        lung wirksamer Orthesen                   führt wird. Das System wurde anhand
rakteristika, Bedürfnisse und Fähig-                                                 von Daten aus Patientenanalysen und
keiten der betroffenen Person erfasst      Nach der Überzeugung der Autoren          aus Verlaufsdokumentationen bezüg-
werden; für einen Hemiplegie-Pati-         liegt die Zukunft der Orthetik auf-       lich der Klassifizierung und Erstellung
enten beispielsweise gilt, dass er seine   grund der vielen zu berücksichtigen-      von Orthesen gleichsam „angelernt“.
Unterschenkelorthese nur mit einer         den Faktoren in einer möglichst weit-     Die genutzten Daten stammen von
Hand anziehen und schließen kön-           gehenden Verzahnung der Produkti-         Kunden der Orthopunkt AG und der
nen muss. Solche speziellen Anforde-       on mit moderner Informations- und         Mowa Healthcare AG, die der Analyse
rungen geben wichtige Hinweise für         Kommunikationstechnik; in solchen         ihrer Daten zustimmten.
das zukünftige Orthesendesign.             Zusammenhängen wird häufig der               Durch Auswertung der vom Tech-
                                           Begriff „Industrie 4.0“ verwendet.        niker am jeweiligen Patienten erho-
Diagnostik                                    Bezogen auf eine Orthesenver-          benen Daten kann das System eine
Goldstandard für die Diagnostik einer      sorgung bei neurologisch bedingten        konkrete      Versorgungsempfehlung
Gangstörung ist eine dreidimensiona-       Gehstörungen müsste ein solches           erstellen und die entsprechende Pro-
le Ganganalyse, die jedoch nicht im-       Konzept also die interdisziplinären       duktionsvorlage erzeugen. Die Orthe-
mer verfügbar ist. Dabei können die        Versorgerteams bei der Erstellung         se wird dann aus einer Kombination
exakten Gelenkwinkel in allen drei         orthetischer Hilfsmittel für Patientin-   vorgefertigter Spezialpassteile mit in-
Ebenen gemessen und die dazugehö-          nen und Patienten jeder Altersgruppe      dividuell per 3D-Druck gefertigten
rigen Kräfte berechnet werden.             mit neurologisch bedingten Gehstö-        Elementen in modularer Form gefer-

Problemstellung
Aktuell existieren Orthesen am Markt
in unterschiedlichsten Ausführun-
gen, die abhängig vom Design und
vom Material verschiedene Unterstüt-
zungsstufen bieten. Ein auf wissen-
schaftlichen Daten beruhender Kon-
sens bezüglich der Auswahl einer zur
jeweiligen Indikation passenden Or-
thesenausführung existiert im ortho-
pädietechnischen Bereich bislang je-
doch nicht [1].
   Das führt aus der Erfahrung der
Autoren heraus oftmals dazu, dass
Patienten eher nach einem „Trial-
and-Error-Prinzip“ versorgt werden:
Entweder sie erhalten eine vorgefer-
tigte Orthese, die mehr oder weniger
gut passt, oder es wird eine Orthese
per Gipsabdruck individuell herge-
stellt, deren Ausführung zwar – bei-
spielsweise mit oder ohne Gelenk –         Abb. 1 Testversorgung im Ganglabor des UKBB und Screenshot des digitalen FEM-
auf den Patienten abgestimmt wird.         Modells mit Markerübertragung an den Punkten A bis F.

                                                                                                                           3
ORTHOPÄDIE TECHNIK 04/22
Neuartige modulare Geh orthese zur leistungsfähigen Korrektur von Gangabweichungen bei neurologisch bedingten Gehstörungen
Orthetik

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                                                                                                         ­dargestellter Versor­-
                                                                                                       ­gungs­ablauf mit dem
                                                                                                            „Mowa“-System.

tigt. Das System entstand in Zusam-     Aufbau des Systems                             vorkonfigurierten Carbonteilen in
menarbeit zwischen den folgenden                                                       verschiedenen Ausführungen und
schweizerischen Unternehmen:            Um eine vollintegrierte Versorgung             Härtegraden (Unterteilung in Er-
                                        mit einer Orthese entlang aller Schrit-       wachsene und Kinder, rechts und
– Orthopunkt AG – Zentrum für           te innerhalb einer digitalen Prozess-         links, 4 Härtegrade pro Carbon­
  technische Orthopädie, Solothurn      kette abwickeln zu können, besteht            steg-Größe, 3 Härtegrade pro Sohle,
– Mowa Healthcare AG, Solothurn         das „Mowa“-System aus mehreren                3 Absatzhöhen, 4 Anlageformen:
– Composites Busch SA, Porrentruy       Komponenten (Abb. 2):                         1. ventral-medial, 2. ventral-lateral,
                                                                                      3. dorsal-medial, 4. dorsal-­lateral),
   Die Forschungsarbeit wurde unter-    1. einem Ganganalyse-Tool, bei dem            zum anderen aus individuell per
stützt durch Innosuisse – Schweizeri-      ­mit Hilfe von Inertialsensoren die        ­3D-Druck hergestellten ­Passteilen,
sche Agentur für Innovationsförde-          Ausrichtungen der einzelnen Bein-          die schließlich vom Techniker mon-
rung (Projekt-Nr. 44221.1 IP-LS).           segmente mit hauseigener Software          tiert und eingestellt werden.
                                            geschätzt werden; dies ermöglicht
                                            dann die Berechnung der Gelenk-            Im Folgenden werden die einzel-
                                            winkel zwischen zwei Segmenten          nen Elemente des Systems genauer er-
                                            während des Laufens;                    läutert.
                                        2. einem handelsüblichen 3D-Scan-
                                            ner (z. B. „Structure Sensor“, „Artec
                                                                                    Ganganalyse-Tool und
                                            Eva“, „Shining 3D EinScan“) zur Er-
                                            fassung des betroffenen Körperteils;
                                                                                    3D-Scanner
                                        3. einer 3D-Shape-Software (CAD-            Bei der Bewegung eines Patienten be-
                                            Morphing-Software), die die ent-        stimmen die Sensoren des Gangana-
                                            sprechenden Daten visualisiert und      lyse-Tools die auftretenden Beschleu-
                                            das Körperteil bemaßt; diese ist        nigungen in die drei Raumachsen so-
                                            integraler Bestandteil der Simulati-    wie die Rotationsbewegungen. Das
                                            ons-App;                                „Mowa“-Ganganalyse-Tool, das auf
                                        4. einer cloudbasierten Plattform als       IMU-Technologie (IMU = Inertial
                                            Backend, auf der die notwendigen        Measurement Unit) basiert, ist zurzeit
                                            Kalkulationen auf der Basis eines       (Stand: März 2022) in der Entwick-
                                            Abgleichs mit entsprechenden Da-        lung und wird der Orthopädietechni-
                                            tenbanken durchgeführt werden           kerin bzw. dem Orthopädietechniker
Abb. 3 Schematische Darstellung der         und die Orthese konfiguriert wird;      erlauben, eine objektive Gangana­lyse
platzierten Inertialsensoren für das    5. der Produktion der eigentlichen          ortsunabhängig durchzuführen, ohne
Ganganalyse-Tool von „Mowa“.                Orthese, bestehend zum einen aus        auf ein Ganglabor angewiesen zu sein

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                                                                                                   ORTHOPÄDIE TECHNIK 04/22
Neuartige modulare Geh orthese zur leistungsfähigen Korrektur von Gangabweichungen bei neurologisch bedingten Gehstörungen
Orthetik

(Abb. 3). Des Weiteren kann ein han-
delsüblicher 3D-Scanner zum Erfassen
des betroffenen Körperteils eingesetzt
werden; die daraus erstellten Daten
können im Anschluss in den gängigs-
ten Scan-Dateiformaten in die App zur
automatisierten Weiterverarbeitung
geladen werden.

3D-Shape-Software
Bei der 3D-Shape-Software handelt es                                                                       Abb. 4 „Mowa“-
sich um eine sogenannte Morphing-                                                                       Orthese mit ventral-
Software. Damit können computer-                                                                           medialer (1) und
generierte Bauteile in Echtzeit anwen-                                                                  mit ­dorsal-media­ler
dungsgerecht an zuvor am Patienten                                                                               (2) Anlage.
erhobene reine Maße oder/und an
3D-Scandaten angepasst werden.

Cloudbasierte Plattform                   ten mit Kauergang empfiehlt die Simu-        Schnelle Anpassung bei
Mit der cloudbasierten Simulations-       lations-App beispielsweise eine vorde-       ­Veränderungen
App kann bereits aus den Daten zwei-      re Anlage im Orthesendesign. Bei ei-
er an derselben Extremität fixierter      nem Patienten mit Genu recurvatum            Eine Orthese muss so ausgelegt wer-
Sensoren der zeitliche Verlauf der        wird unter Berücksichtigung aller rele-      den, dass nicht nur die mechanischen
Gelenkwinkel ermittelt werden. So         vanten Faktoren eher eine hintere An-        Anforderungen über ihre Lebens­
kann beispielsweise aus einem Sen-        lage empfohlen (Abb. 4). Folgende vier       dauer hinweg erfüllt, sondern auch
sor am Oberschenkel und einem             Anlageformen sind möglich:                   die Komfortanforderungen der Pati-
Sensor am Unterschenkel zeitaufge-                                                     enten (insbesondere bezüglich Wand-
löst der Winkel des Kniegelenks im        –   ventral-medial,                          stärke und Gewicht) berücksichtigt
Gangzyklus ermittelt werden. Durch        –   ventral-lateral,                         werden. Dank der modularen Bauwei-
einen automatischen Datenvergleich        –   dorsal-medial sowie                      se der „Mowa“-Orthese handelt es sich
mit Normdaten nicht bewegungsein-         –   dorsal-lateral.                          um ein aktiv mitwachsendes System:
geschränkter Personen (34 Personen,                                                    Bei Veränderungen können Bestand-
262 Trials mit mindestens 2 vollstän-        Neuartig ist dabei die genau auf          teile einfach ausgetauscht werden (es
digen Gangzyklen) und durch Ver-          den Patienten abgestimmte Materi-            ist also keine komplette Fertigung ei-
gleich des linken Beins mit dem rech-     alstärke der einzelnen Elemente. Die         ner neuen Orthese notwendig), was
ten Bein können so Abweichungen           dem Patienten übergebenen Orthe-             einerseits dem Patienten lange War-
im Gangverhalten erkannt werden.          sen werden in regelmäßigen Abstän-           tezeiten erspart und andererseits Res-
Die Bestimmung der optimalen Di-          den überprüft und bei Veränderun-            sourcen des Versorgers schont.
mensionen und Anlageform der Or-          gen – beispielsweise durch Wachstum              Die Auslegung des Carbonstegs
these erfolgt automatisch anhand          bedingt – durch einen einfachen Aus-         (der Feder) der Orthese basiert auf den
von Klassifizierungen wie:                tausch von dynamischen Carbonbau-            am Patienten erhobenen Daten. Das
                                          teilen neu konfiguriert. Die Auswahl         bedeutet, dass je nach notwendiger
– der MAS-Ashworth-Skala [8],             der jeweils geeigneten Teile findet mit-     Unterstützung eine andere Konfigu-
– der Muskelkrafterfassung nach           tels einer Simulation statt, die die Soft-   ration aus Steg und Sohle inklusive
  ­Janda [9],                             ware selbstständig durchführt, wäh-          verschiedener Absatzhöhen durch die
– der Amsterdam Gait Classifica­          rend im Normalfall die Abschätzung           Simulations-App ausgewählt werden
  tion [10],                              der mechanischen Eigenschaften der           kann. Bei allen Teilen stehen sowohl
– des GMFCS-Levels [11] sowie             Carbon­ elemente der Erfahrung des           Kinder- als auch Erwachsenenausfüh-
– den Werten aus der Ganganalyse.         Orthopädietechnikers bzw. der Ortho-         rungen zur Verfügung. Die Carbon­
                                          pädietechnikerin überlassen bleibt.          stege werden in vier Unterstützungs-
                                                                                       klassen eingeteilt („soft“, „flex“,
Endprodukt                                Vorteile des „Mowa“-                         „hard“, „strong“). Die Sohlen gibt es
Das Endprodukt ist eine modular auf-                                                   in drei Härtestufen und drei Absatz-
gebaute, verklebungsfreie Unterschen-
                                          Systems gegenüber her-                       höhen, die zwischen Kindern und Er-
kelorthese, bestehend aus einer Kom-      kömmlichen Orthesen-                         wachsenen variieren.
bination aus individuell nach Aus-        versorgungen                                 Erhöhung der Lebensdauer
führung und Härtegrad abgestimm-
ten vorkonfigurierten Carbonbautei-       In mehrerlei Hinsicht bietet das             Während bei Orthesen nach dem üb-
len in Verbindung mit angepassten         „Mowa“-System Vorteile gegenüber             lichen ­„Trial-and-Error-Prinzip“ häu-
3D-Druckteilen. Das System ermög-
­                                         herkömmlichen Versorgungen, auf              fig schon frühzeitig Schädigungen in
licht bis zu vier Anlageformen, je nach   die im Folgenden genauer eingegan-           Form von Delaminierungen und Brü-
Anforderungsprofil. Bei einem Patien-     gen wird.                                    chen der Carbonelemente auftreten

                                                                                                                                5
ORTHOPÄDIE TECHNIK 04/22
Neuartige modulare Geh orthese zur leistungsfähigen Korrektur von Gangabweichungen bei neurologisch bedingten Gehstörungen
Orthetik

                                                         Abb. 5 Untersuchung       ten Stand- und Schwungphasenpro­
                                                         im Gang­labor des         bleme. Dadurch kann eine hohe Pati-
                                                         UKBB mit „Mowa“-­         entencompliance erreicht werden.
                                                         Orthese und gleich-          Der Techniker hat im Gesamtpro-
                                                         zeitiger Ganganalyse      zess die Möglichkeit, jederzeit über ei-
                                                         mit „Mowa“-Inertial­      nen sogenannten Expertenmodus die
                                                         sensoren.                 vorgeschlagenen Ergebnisse zu verifi-
                                                                                   zieren oder gegebenenfalls anzupas-
                                                                                   sen.

                                                                                   Fallbeispiel
                                                                                   Ein 13-jähriger Junge (GMFCS 1) mit
                                                                                   unilateraler spastischer Zerebral­
                                                                                   parese (Hemiparese) rechts (Gewicht:
                                                                                   42 kg, Größe: 151 cm, Beinlängendif-
                                                                                   ferenz rechts: 1 cm) wurde von den
                                                                                   Autoren mit einer „Mowa“-Orthese
                                                                                   versorgt (Abb. 5). Ohne Orthesenver-
                                                                                   sorgung kam es bei diesem Patien-
                                                                                   ten zu regelmäßigen Stürzen mit in-
                                                                                   termittierenden Fußschmerzen. Der
                                                                                   Patient war zuvor mit einer dynami-
                                                                                   schen vorgefertigten Carbonorthese
                                                                                   mit vorderer Anlage versorgt.
                                                                                      Bei der 3D-Ganganalyse ergab sich
(z. B. aufgrund der unzureichenden        le vermieden werden. Entsprechend        folgendes Gangbild: Beim Barfuß­
Berücksichtigung dauerhaft wirken-        werden schon vor der Produktion ei-      gehen war der Kraftanstieg nach dem
der Kräfte bei den einzelnen Patien-      ner „Mowa“-Orthese die passenden         Bodenkontakt für beide Füße sehr
ten), ist die neuartige modulare Orthe-   Dimensionen der Orthese und die ge-      groß (Abb. 6a u. d). Dies kann zu hö-
se für eine Einsatzdauer von mindes-      eignete Anlageform mit der „Mowa“-       heren Belastungsspitzen des Bewe-
tens zwei Jahren ausgelegt.               App automatisiert ermittelt. Das Er-     gungsapparates führen. Bei der Ver-
                                          gebnis zeichnet sich dadurch aus,        sorgung mit der vorgefertigten Or-
Intelligente Orthesenauswahl              dass der Funktionsausgleich für die      these sank der Kraftanstieg auf beiden
Um Patientinnen und Patienten mit         beeinträchtigte Muskulatur weder         Seiten (Abb. 6b, c, e, f). Dies könnte
minimaler Lagerhaltung und mög-           über- noch unterdimensioniert ist.       einerseits durch die Dämpfung der
lichst geringem Zeitaufwand bei der       Ziel ist die Wiederherstellung einer     Schuhe begründet sein, andererseits
Anprobe versorgen zu können, soll         maximalen symmetrischen und phy-         durch die Unterstützung der Orthese
ein mehrmaliges Anprobieren und           siologischen Geh- und Stehfähigkeit      bei der Gehbewegung. Des Weiteren
Testen verschiedener Orthesenbautei-      unter Berücksichtigung der ermittel-     zeigte sich eine Seitenasymme­trie in

                                                                                Abb. 6a–f Vergleich zwischen Barfuß-
                      a.                     b.                    c.           gehen (a, d), Standardversorgung (b, e)
                                                                                und „Mowa“-Versorgung (d, f). Verti-
                                                                                kale Linie bei ca. 60 %: Fuß verlässt den
                                                                                Boden. Die vertikale Bodenreaktions-
                                                                                kraft zeigt auf der betroffenen Seite beim
                                                                                Barfußgehen einen sehr steilen Kraftan-
                                                                                stieg (a). Dieser ist bei beiden Orthe-
                       d.                     e.                        f.      senversorgungen kleiner. Jedoch ist die
                                                                                maximale Bodenreaktionskraft bei der
                                                                                Standardversorgung höher (b) als beim
                                                                                Barfußgehen (a) und mit der „Mowa“-
                                                                                Versorgung (c). Weiter zeigt die Bodenre-
                                                                                aktionskraft während der Standphase bei
                                                                                der „Mowa“-Versorgung einen ähnlichen
                                                                                Verlauf wie bei gesunden Personen (c).

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                                                                                                    ORTHOPÄDIE TECHNIK 04/22
Orthetik

der Größe der ersten Kraftspitze bei          Geplant ist, die „Mowa“-Orthese in           in Kinderorthopädie der Universität
der Standardversorgung (Abb. 6b u. e)      naher Zukunft mit einem sogenann-               Melbourne, Australien, erhalten. Au-
im Vergleich zum Barfußgehen               ten Smart-Sensor auszurüsten, um                ßerdem bedankt sich Erich Rutz bei
(Abb. 6a u. d) und zur „Mowa“-Versor­      beispielweise ein ärztlich verordnetes          den Orthopädietechnikern des Royal
gung (Abb. 6c u. f). Dieser U
                            ­ nterschied   Therapieprogramm zu begleiten oder              Children’s Hospital, Melbourne, Aus-
könnte auf ein asymmetrisches Gang-        den täglichen Bewegungsradius des Pa-           tralien, für die gute klinische Zusam-
bild hinweisen, das Patienten oft-         tienten zu messen und ihn bei Bedarf            menarbeit und den wertvollen Aus-
mals als störend empfinden und das         zu mehr Bewegung zu motivieren.                 tausch.
zu zusätzlichen Belastungen im Be-
wegungsapparat führen könnte. Hin-         Danksagungen                                    Interessenkonflikt
gegen zeigte sich bei der „Mowa“-­         Die Autoren danken der Innosuisse,              Der Hauptautor ist Mitarbeiter der Or-
Orthesenversorgung, dass die erste         Schweizer Agentur für Innovations-              thopunkt AG sowie Gründer und CEO
Kraftspitze für beide Seiten eine ähnli-   förderung, Bern, der Be-­Advanced AG,           der Mowa Healthcare AG.
che Anstiegsform und einen ähnlichen       Bern, der STI-Stiftung für technolo-
maximalen Wert (Abb. 6c u. f) auf-         gische Innovation, Biel, der Europä-
wies. Zudem näherte sich der Verlauf       ischen Kommission für Forschung                 Für die Autoren:
der Bodenreaktion bei der „Mowa“-          und Innovation, dem Switzerland In-             Jan-Hagen Schröder
Versorgung eher dem Kraftverlauf von       novation Park in Biel, der BFH in Bern,         Gründer und CEO
Normalprobanden an als bei der Stan-       dem Ganglabor des Universitäts-Kin-             Mowa Healthcare AG
dardversorgung.                            derspitals beider Basel (UKBB) und              Schöngrünstrasse 35
   Auch auf der nicht betroffenen Sei-     dem IWK-Institut für Werkstofftech-             CH-4500 Solothurn
te war erkennbar, dass der Unterschied     nik und Kunststoffverarbeitung der              Schweiz
zwischen den beiden Kraftspitzen           Ostschweizer Fachhochschule in Rap-             jan-hagen.schroeder@mowa.com
während der Standphase beim Bar-           perswil.
fußgehen (Abb. 6a) und mit der Stan-          Erich Rutz hat Unterstützung
dardversorgung (Abb. 6b) größer war        durch das Bob Dickens Fellowship                Begutachteter Beitrag/reviewed paper
als bei der „Mowa“-Orthesenversor-
gung (Abb. 6c). Daraus kann geschlos-
sen werden, dass der Patient mit der
„Mowa“-Versorgung weniger Kraft                Literatur:
aufwenden muss, um sich abzusto-
ßen. Das deutet zudem auf einen et-            [1] Krieger A, Matyssek S, Capanni F. Systematische Übersichtsarbeit zur Erstel-
was geringeren Energieaufwand beim             lung einer indikationsgerechten Auswahlguideline für die orthopädietechni-
                                               sche Versorgung mit Unterschenkelorthesen. Orthopädie Technik, 2021; 72 (11):
Gehen hin und könnte sich positiv auf          32–45
den Gangkomfort auswirken.
                                               [2] Kluess D, Hurschler C, Voigt C, Hölzer A, Stoffel M. Einsatzgebiete der Nume-
                                               rischen Simulation in der muskuloskelettalen Forschung und ihre Bedeutung für
                                               die Orthopädische Chirurgie. Orthopäde, 2013; 42 (4): 220–231
Fazit und Ausblick                             [3] Perry J, Oster W, Wiedenhöfer B, Berweck S (Hrsg.). Ganganalyse. Norm und
Dank der Modularität der „Mowa“-               Pathologie des Gehens. München: Urban & Fischer, 2003
Orthese und angesichts der ersten Er-          [4] Pirker W, Katzenschlager R. Gait disorders in adults and the elderly: A clinical
kenntnisse aus den bereits durchge-            guide. Wien Klin Wochenschr, 2017; 129 (3-4): 81–95. doi: 10.1007/s00508-016-
                                               1096-4
führten Patientenversorgungen sind
die Autoren der Ansicht, dass mit die-         [5] Muro-de-la-Herran A, Garcia-Zapirain B, Mendez-Zorrilla A. Gait a  ­ nalysis
                                               ­methods: an overview of wearable and non-wearable systems, highlighting
sem System die Bedürfnisse der Pati-            clinical applications. Sensors (Basel), 2014; 14 (2): 3362–3394. doi:10.3390/
enten besser berücksichtigt werden              s140203362
können, insbesondere weil eine bes-            [6] Klein B. FEM. Grundlagen und Anwendungen der Finite-Element-Methode im
sere Annäherung an ein natürliches             Maschinen- und Fahrzeugbau. Wiesbaden: Springer Vieweg, 2012
und symmetrisches Gangbild mög-                [7] Sabbagh D, Fior J, Gentz R. Klassifizierung von Gangtypen bei Schlaganfall zur
lich ist. Dies ist für die Patienten ne-       Standardisierung der orthetischen Versorgung. Orthopädie Technik, 2015; 66 (3):
                                               52–57
ben der Mobilität im Alltag oftmals
ein persönliches Bedürfnis. „Mowa“             [8] Bohannon R, Smith M. Interrater reliability of a modified Asworth scale of
                                               muscle spasticity. Phys Ther, 1987; 67 (2): 206–207
ist jederzeit an sich verändernde kör-
perliche Situationen anpassbar – was           [9] Smolenski U-C, Buchmann J, Beyer L, Harke G. Janda Manuelle Muskelfunk-
                                               tionsdiagnostik – Theorie und Praxis. Müchnen/Jena: Urban & Fischer/­Elsevier,
vor allem bei Kindern mit neuro­               2020
gener Gangstörung wichtig ist. Ziel ist
                                               [10] Grund S. Geh-Orthesen bei Kindern mit Cerebralparese. Paediatrica, 2007;
es, das „Mowa“-Versorgungskonzept              18: 30–34
durch partnerschaftliche Kooperatio-           [11] Russell DJ, Rosenbaum PL, Avery LM, Lane M, Heinen F. GMFM und GMFCS –
nen und den Einsatz von Technologi-            Messung und Klassifikation motorischer Funktionen. Bern: Hans Huber, 2006
en wie Machine Learning und Cluste-            [12] Bernhardt KA, Kaufmann KR. Loads on the uprights of a knee-ankle-foot
ring so weiterzuentwickeln, dass kei-          ­orthosis. Prosthet Orthot Int, 2011; 35: 106–112
ne nachträglichen Modellanpassun-
gen mehr notwendig werden.

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ORTHOPÄDIE TECHNIK 04/22
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