Mankind's Greatest Hospital 16
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! MassGeneral Boston " Text: Sascha Karberg Foto: Richard Friebe McK Wissen 19 Seiten: 100.101 Mankind’s Greatest Hospital 16
Das Massachusetts General Hospital in Boston, die Charité in Berlin – zwei Krankenhäuser mit glänzender Vergangenheit. Einst lernten die Bostoner von den weltberühmten Berliner Ärzten. Heute kann sich für die Deutschen der Blick in die Neue Welt lohnen – auf der Suche nach einem Vorbild für die Zukunft akademischer Kliniken. Bei seiner Gründung im Jahr 1811 sollte das Massachusetts General Hospital vor allem die Armen versorgen – heute zählt das Krankenhaus zu den renommiertesten Kliniken der Welt.
" MassGeneral Boston # Text: Sascha Karberg Foto: Richard Friebe McK Wissen 19 Seiten: 102.103 ⌦ Beide sind Ikonen der Medizin mit einer Historie, die Jahrhunderte kaner mittlerweile auch mit dem 1983 einge- zurückreicht. Beide haben eine Fusion hinter sich, machen rund eine Milliar- führten Abrechnungssystem der Diagnosis Rela- de Euro Umsatz und zählen zu den größten Arbeitgebern ihrer Stadt. Trotz ted Groups (DRG), das in deutschen Kranken- Tausender Kilometer Distanz und unterschiedlicher Gesundheitssysteme häusern erst seit 2003 in Etappen umgesetzt stehen sich das Massachusetts General Hospital (MGH) in Boston und die wird. Am MGH wird Kostenmanagement heute Berliner Charité erstaunlich nah. Einst schien das Renommee der 1710 als Basis guter medizinischer Versorgung ange- gegründeten Charité, des späteren Lehrkrankenhauses der Berliner Univer- sehen. Unterm Strich steht bei der Non-Profit- sität Humboldt’scher Prägung, für die Bostoner unerreichbar. Heute nimmt Klinik, die nicht primär auf Gewinne ausgerich- sich Charité-Vorstandschef Detlev Ganten die US-Klinik zum Vorbild. Denn tet ist, in den vergangenen beiden Jahren ein das MGH steht bereits für das, was Ganten in Berlin noch etablieren will durchschnittlicher Überschuss von jeweils rund und muss: Hochschulmedizin mit unternehmerischer Ausrichtung. 200 Millionen Dollar, der für Investitionen in Zu diesem Ziel gehört auch ein neuer Begriff von effizienter Gesundheits- neue Verfahren und Kapazitäten verwendet wird. versorgung. Während die Berliner mit 2417 Ärzten 3240 Betten betreiben Zu der Summe trugen 2005 nicht zuletzt Erlöse und 123 000 Patienten pro Jahr stationär sowie 900 000 ambulant versor- in Höhe von knapp 100 Millionen Dollar bei, die gen, schafft das MGH mit 3557 Medizinern rund 60 000 stationäre und mit Patenten aus der hauseigenen Forschung 1,4 Millionen ambulante Patienten bei nur knapp 900 Betten. In der Cha- erzielt wurden. Die Charité rechnet bis 2010 rité liegt ein Patient durchschnittlich 7,6 Tage auf der Station, in Boston mit einer Finanzierungslücke von 266 Millionen kann er fast zwei Tage früher nach Hause. Insgesamt beschäftigen die Euro, falls die Klinik keine wirksamen Gegen- Amerikaner mit 19 500 Mitarbeitern gut 5000 Menschen mehr als die Ber- maßnahmen findet. liner Kollegen (14 400) – und sind trotzdem – anders als die Deutschen, Der Mann, der den unternehmerischen Geist die Verluste schreiben – hochprofitabel. des MGH verkörpert, residiert im ältesten und geschichtsträchtigsten Gebäude des Hospitals. Auch das MGH musste hart für den Erfolg kämpfen Peter Slavins Büro befindet sich im Ether Dome, in dessen vergoldeter Kuppel noch immer der Hinter der Effizienz der Amerikaner stehen Entwicklungen, mit denen auch Hörsaal zu besichtigen ist, in dem die weltweit deutsche Krankenhäuser heute konfrontiert sind. Und genau wie hierzu- erste öffentliche Operation mit Äther-Betäubung lande liefen und laufen die Wandlungsprozesse auch in den USA nicht rei- stattgefunden hat. Slavin ist der Präsident von bungslos ab. Die Modernisierung eines Klinikums gelingt oft nur gegen „Mankind’s Greatest Hospital“, wie das MGH in MGH-Präsident Peter Slavin residiert im geschichtsträchtigen innere Widerstände und unter schwierigen äußeren Bedingungen. Boston halb scherzhaft, halb stolz genannt wird. Ether Dome, dem ältesten Gebäude der Klinik. Die US-Klinik hat aus wirtschaftlichen Zwängen heraus einen erfolgreichen Tatsächlich hat das MassGeneral, so die übliche Fusionsprozess hinter sich gebracht. Und was die Charité gerade erst in Abkürzung, eine Reihe von Superlativen zu bie- Angriff genommen hat, ist am MGH schon seit Jahren Realität: ein Netz- ten – von der ersten Röntgenaufnahme in den werk aus Hochleistungsklinik, Vor- und Nachsorge-Institutionen sowie USA über das erstmalige Annähen eines Armes ländlichen Krankenhäusern. Mit dieser Strategie sichern die Bostoner die bis zur Identifizierung diverser Gene, die für Erb- flächendeckende medizinische Versorgung der Bevölkerung und können krankheiten verantwortlich sind. Gegründet wur- teure Therapien sowie die Behandlung nicht versicherter Patienten durch de die Klinik 1811, um vor allem die medizinische gut bezahlte Fälle gegenfinanzieren. Gutes Geld verdienen die Ameri- # Versorgung der Armen zu gewährleisten. Als $
eines der ersten Lehrkrankenhäuser der medizinischen Fakultät der Har- vard University erarbeitete es sich rund um den Globus Ansehen. Doch mit dem Ruhm geht man in Amerika spätestens dann sehr nüchtern um, wenn es ums Geld geht. Das bekam das MassGeneral Anfang der neunziger Jahre deutlich zu spüren. In den USA handelt jedes Krankenhaus mit den einzelnen Versicherungen individuelle Preise für die Fallkosten- erstattung aus. Das nutzten seinerzeit die privaten Krankenversicherungs- unternehmen wie Blue Cross Blue Shield, Aetna, Cigna oder United Healthcare weidlich aus und drückten die Preise auf ein – aus Kliniksicht – inakzeptables Niveau. Sie hatten leichtes Spiel: Die verschiedenen Bosto- ner Krankenhäuser litten unter großen Überkapazitäten und unterboten einander in einem ruinösen Wettbewerb, um zu einem Abschluss mit den Krankenkassen kommen und ihre Betten füllen zu können. Vereint verhandelt es sich besser Schärfster Konkurrent des MGH war das Brigham and Women’s Hospi- tal, ebenfalls ein Lehrkrankenhaus der Harvard-Universität, mit entspre- chend hoher medizinischer Qualität. Und denselben Finanzproblemen. Um nicht Jahr für Jahr Erlöseinbußen hinnehmen zu müssen und ihre Ver- handlungsposition gegenüber den Kassen zu stärken, schlossen sich 1994 beide Häuser zusammen. Seitdem wacht im 16. Stock des Bostoner Prudential Buildings die Dach- organisation der beiden Kliniken, Partners HealthCare System, über die Entwicklung von MGH und Brigham. Abschlüsse werden nur noch über Partners abgewickelt. „Die Versicherer mussten sich entscheiden: Zusam- menarbeit mit allen Häusern der Gruppe oder mit keinem“, sagt Peter Slavin. Partners verlangte von den Versicherungen fortan nicht nur kos- tendeckende Erlöse für die medizinischen Leistungen, sondern darüber hinaus eine Gewinnmarge. Sie wird für Reinvestitionen in die Organisa- tion verwendet sowie für die Quersubventionierung nicht versicherter Pati- enten, die Lehrkrankenhäuser per Gesetz umsonst behandeln müssen – in den USA haben rund 45 Millionen Menschen, also etwa 15 Prozent der „Wir wollen die ganze Bandbreite der medizinischen Behandlung Bevölkerung, keine Krankenversicherung. anbieten, von der Erstversorgung bis zur Rehabilitation.“ Ein weiterer Grund für den Zusammenschluss war „der Aufbau eines Netz- Thomas Lee, CEO von Partners Community HealthCare werks von Community Hospitals“, sagt Thomas Lee, CEO von Partners Community Healthcare, einer Tochter von Partners HealthCare System. Dazu holte die Dachorganisation Krankenhäuser im Norden und !
! MassGeneral Boston " Text: Sascha Karberg Foto: Richard Friebe McK Wissen 19 Seiten: 104.105 Westen der Stadt sowie ein weitverzweigtes Netz niedergelassener Ärzte Ausgaben für dieses Medikament in den gesam- ins Boot – mittlerweile kontrolliert Partners 20 Prozent des Gesundheits- ten USA“, sagt Lynne Eickholt, Vizepräsidentin marktes im Großraum Boston. „Wir wollen die ganze Bandbreite der Geschäftsplanung und Marktentwicklung bei medizinischen Behandlung von der Erstversorgung bis zur Rehabilitation Partners. „Mittlerweile empfiehlt ein Experten- anbieten“, sagt Lee. Die Ausweitung hat aber auch einen finanziellen gremium, wann und wie ein neues Mittel einge- Hintergrund: In den ländlichen Gegenden, die von den Community Hos- setzt werden soll.“ pitals versorgt werden, ist der Anteil der krankenversicherten Patienten Auch der Computer assistiert den Ärzten: Haus- höher als in der Stadt, ihre Behandlungen sind aber nicht so kostspielig – interne Sofware-Programme listen den Medizi- beide Faktoren sind bares Geld wert. Denn an den Universitätskliniken wie nern die besten und gleichzeitig günstigsten „Mediziner und Verwaltung haben MGH oder Brigham häufen sich die komplizierten, langwierigen und Medikamente auf. Bei Herz-Kreislauf-Patienten zu lange geglaubt, dass hohe damit teuren Fälle, deren Behandlungskosten durch die entsprechenden mit zu hohem Blutdruck beispielsweise wirken Qualität und niedrige Kosten ein Einnahmen oft nicht vollständig gedeckt werden. Die Erlöse aus den Com- wenige Cent teure ACE-Inhibitoren ebenso gut munity Hospitals gleichen diese Defizite aus. wie Angiotensin-Rezeptorblocker für zwei bis drei unüberwindbarer Gegensatz seien.“ Zusätzliche Mittel akquiriert Partners durch besondere Vereinbarungen mit Dollar. Momentan wird diskutiert, ob die Ärzte William Huyett, McKinsey-Director in Boston den Versicherern, die auch der medizinischen Qualität zugute kommen. des Netzwerkes Rezepte ab 2007 nur noch elek- Gemäß der Devise „Nach der Entlassung ist vor der nächsten Einweisung“ tronisch ausstellen dürfen statt wie bisher hand- rufen die Krankenhäuser des Partners-Netzwerkes entlassene Patienten zu schriftlich. Diese Maßnahme würde den Verwal- Hause an, fragen nach ihrem Gesundheitszustand und Lebenswandel, erin- tungsaufwand erheblich reduzieren, weil das nern sie gegebenenfalls daran, ihre Medikamente zu nehmen und empfeh- anschließende Einpflegen ins System überflüssig len ambulante Rehabilitationseinrichtungen. „Wir werden finanziell dafür wäre. Zudem erhöht eine bessere Lesbarkeit die belohnt, dass wir durch unsere Nachsorge die Zahl der Krankenhaus- Sicherheit bei der Medikamentenabgabe in der besuche senken“, sagt Lee. Die Versicherer zahlen Partners eine Prämie – Apotheke. Die Entscheidung sei noch nicht konkrete Zahlen nennt Lee nicht –, wenn es gelingt, die Anzahl erneuter gefallen, sagt Lee – denn Richtlinien wie diese Krankenhauseinweisungen zu reduzieren. stellen immer auch einen Eingriff in die ärztliche Partners schließt mit den Krankenkassen auch Verträge ab, in denen sich Autorität dar, und darauf reagieren viele Medizi- der Verbund konkrete Ziele zur Verbesserung von Effizienz und Qualität ner empfindlich. setzt. Erreicht die Organisation die Vorgaben, zahlt die Kasse eine Beloh- nung. 90 Millionen Dollar hat Partners auf diese Weise im vergangenen Jahr Vorbild Industrieproduktion bekommen – Geld, das auch an die Mitarbeiter weitergereicht wird. Denn ohne deren Kooperationsbereitschaft geht es nicht. „Die Ärzte freuen sich Es ist Lee wichtig, auf derlei Vorbehalte einzu- natürlich über die Prämien. Dass sie dafür eingefahrene Gewohnheiten gehen, auch wenn sich Entscheidungen dadurch ändern müssen, begeistert sie allerdings weniger“, sagt Lee. verzögern. Eine Organisation wie das MGH Früher hatte Partners beispielsweise die Entscheidung über den Einsatz basiere auf dem „Common Sense“, auf Überzeu- neuer, teurer Medikamente allein den Ärzten überlassen. Bis in der Herz- gungsarbeit statt Anordnungen. Und nur wenn Kreislauf-Abteilung ein neues Produkt verwendet wurde. Dessen positive alle mitziehen, rechnet sich das Prinzip auf Wirkung sprach sich schnell herum, anders als der Preis pro Dosis: 10 000 Dauer für das Unternehmen. Teure Mehrfach- Dollar. „Binnen kurzem verursachte allein das MGH zehn Prozent der " Röntgenuntersuchungen zum Beispiel sind #
überflüssig geworden, seit fast alle Ärzte von Partners online auf Patien- tendaten zugreifen können. „Wir haben den Medizinern erklärt, wann sie einen Test brauchen und wann nicht. Unsere Kosten für Röntgenaufnah- men liegen heute rund 20 Prozent unter den sonst üblichen in der Region“, sagt Lee stolz. Mit solchen allmählichen Veränderungen und Verschlankungen der Pro- zesse konnten MGH und Brigham letztlich auch die Zahl der Betten redu- zieren und den Patienten-Durchlauf erhöhen. Dass die Qualität der Versor- gung darunter nicht leiden muss, sei jedoch bei manchen Ärzten noch immer nicht angekommen, glaubt William Huyett, Director bei McKinsey & Company in Boston: „Mediziner und Krankenhausverwaltungen haben zu lange geglaubt, dass hohe Qualität und niedrige Kosten ein unüberwind- barer Gegensatz seien.“ Dabei wenden mittlerweile weltweit alle großen Kliniken Qualitäts- und Prozessverbesserungsprogramme an, die in der Industrie entwickelt wurden. Das Ziel lautet immer, Fehler und Verschwen- dung zu vermeiden. Um es zu erreichen, werden defekte Produkte und über- flüssige Geräte entsorgt, sinnlose Wege und weniger produktive Arbeiten minimiert, parallel dazu sollen Operationssäle, vergleichbar der Produktion in der Industrie, möglichst rund um die Uhr genutzt werden. Das MGH baut profitable Fachabteilungen aus Vorgaben wie diese erforderten ein Umdenken, das auch im Partners-Netz- werk noch nicht jeder Arzt vollzogen habe, sagt Lee. Manchmal dauere es, die Zweifler zu überzeugen: „Als 1983 in den USA das DRG-System eingeführt wurde, waren die meisten überzeugt, dass es eine Katastrophe Thomas Lee, CEO von Partners auslösen würde.“ Ähnlich wie in Deutschland fürchteten die Kliniken, dass Community HealthCare, setzt auf Über- sich die Bezahlung an unrealistischen Durchschnittswerten orientieren und zeugungsarbeit statt auf Anordnungen. zu einer drastischen Unterfinanzierung führen würde. Stattdessen merkten die Krankenhäuser, dass sich durch kreative Umstrukturierung der Arbeit Lynne Eickholt, Vizepräsidentin von mit den DRG richtig Geld verdienen lässt: Wenn die Kosten einer Thera- Partners HealthCare System, sucht ständig pie durch gute Organisation der Abläufe unter die gezahlte Fallpauschale nach Einsparmöglichkeiten. gedrückt werden können, bleibt ein nennenswerter Profit übrig. Auch das MGH erkannte, wo die meisten Kosten entstehen und in welchen Struktu- ren Rationalisierungspotenzial steckt. „Aus der vermeintlichen Katastrophe wurde das Beste, was uns passieren konnte“, sagt Lee. Systematisch hat MGH-Präsident Slavin in den vergangenen Jahren vor allem jene Bereiche ausgebaut, die dem Krankenhaus die besten !
! MassGeneral Boston " Text: Sascha Karberg Foto: Richard Friebe McK Wissen 19 Seiten: 106.107 Einnahmen garantieren, darunter die Onkologie und die Herz-Kreislauf- wirkung gehabt. „Diesen Talentmagneten zu zer- erst einmal den eigenen Fachbereich zu optimieren. Das große Ganze Abteilung. Denn nur mithilfe ihrer Erlöse kann er es sich auf Dauer leisten, stören, nur um vielleicht fünf Prozent Kosten zu kommt an zweiter Stelle. Um das System zu bewegen, muss Partners all unrentable Abteilungen – wie Psychiatrie oder Pädiatrie – zu subventionie- sparen, wäre mit der Konzeption von MGH und diese Persönlichkeiten immer wieder überzeugen. „Und dazu“, sagt Lee ren. Durch die unterschiedliche Vergütung der Krankheitsbilder seien in den Brigham unvereinbar gewesen“, sagt McKinsey- seufzend, „braucht es eine Menge Meetings.“ USA Transferleistungen zwischen den einzelnen Disziplinen durchaus Director Huyett. In den Sitzungen geht es auch um Geld und Arbeitszeiten. Während sich üblich, sagt McKinsey-Berater William Huyett. Bedrohlich wird diese Pra- Auch der nicht medizinische Bereich blieb in die Klinik-Manager in den vergangenen Jahren stetige Gehaltssteigerungen xis für die großen Lehrkrankenhäuser immer dann, wenn sie mit Spezial- Boston weniger stark von Rationalisierungen gönnten und jetzt bis zu zwei Millionen Dollar jährlich verdienen, mussten kliniken vor Ort konkurrieren, die sich auf die profitablen Krankheitsbil- betroffen als üblich: Zum einen stand für die die Ärzte zwischen 1995 und 2003 inflationsbereinigt etwa zehn Prozent der konzentrieren. „Wenn beispielsweise die Herz-Kreislauf-Abteilung Elite-Krankenhäuser Qualität im Vordergrund Einbußen hinnehmen – bei den hohen Bostoner Lebenshaltungskosten höhere Erstattungen von den Versicherern verlangt, um die unrentablen und nicht rigides Sparen. Zum anderen hätten eine gefährliche Entwicklung. Darüber hinaus belegt eine Studie, veröffent- Bereiche mitzufinanzieren, verliert das Haus Patienten an spezialisierte die großen Unterschiede in der Verwaltungs- licht im Journal der Amerikanischen Mediziner-Vereinigung, dass 15 von Herzkliniken, die günstiger arbeiten können.“ struktur beider Kliniken nur durch einen radika- 16 Lehrkrankenhäusern in Massachusetts arbeitsrechtliche Bestimmungen Finanziellen Nutzen dagegen können akademische Krankenhäuser aus len und damit enorm teuren Neuaufbau beseitigt nicht einhalten, nach denen eine Schicht nicht länger als 30 Stunden und ihrem Vorsprung in Sachen Forschung ziehen. Das MGH hat mit einem werden können. die Arbeitswoche nicht mehr als 80 Stunden umfassen darf. Budget von rund 500 Millionen Dollar das größte Forschungsprogramm Welche Folgen ein Zusammenschluss von Klini- einer Universitätsklinik in den USA. Das zahlt sich nicht nur bei der Rekru- ken mit Weltruf haben kann, der ihren Wert als Hilfe für das staatliche Gesundheitssystem tierung ambitionierter Ärzte und Forscher aus: „Vergangenes Jahr haben Marke nicht berücksichtigt, hatte das unschöne wir fast 100 Millionen Dollar Lizenzgebühren für die Nutzung unserer Beispiel in unmittelbarer Nähe gezeigt: Als die „Natürlich können müde Mitarbeiter mehr Fehler machen“, räumt MGH- Patente eingenommen“, sagt Peter Slavin. Allein zwei Drittel davon zahlte beiden anderen Bostoner Harvard-Lehrkranken- Präsident Peter Slavin ein. „Aber Fehler geschehen auch, wenn sich zu das Biotech-Unternehmen Amgen, das jährlich etwa 2,5 Milliarden Dollar häuser, das Beth Israel und das Deaconess, fusio- viele Personen um einen Patienten kümmern.“ Es sei offen, wie die rich- mit dem Medikament Enbrel verdient, einem Mittel gegen rheumatische nierten, mussten Ärzte ihren Platz räumen, weil tige Balance zwischen Ruhepausen und Kontinuität aussehe und ob das Arthritis. Der Wirkstoff des Medikamentes wurde 1990 am MGH ent- doppelte Fachrichtungen abgeschafft wurden. Arbeitsrecht zu einer besseren Gesundheitsversorgung geführt habe. Nach wickelt und anschließend als Patent angemeldet. Für den regelmäßigen „Anschließend gingen die Häuser fast pleite“, Slavins Angaben dokumentieren die MGH-Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten Geldfluss aus den Patenten sorgt eine Abteilung, die sich ausschließlich um sagt Lynne Eickholt, denn mit den namhaften jetzt zumindest, aber vorerst nur, damit Partners einen Überblick bekommt, die Verwertung des geistigen Eigentums der fusionierten Häuser MGH und Doktoren schwanden auch die Patienten – und welche Bereiche sich in Zukunft effizienter organisieren lassen. Brigham kümmert. mit ihnen die Einnahmen. Langfristig stehe den Medizinern eine kulturelle Revolution bevor, sagt Auch unter ökonomischen Gesichtspunkten weist der Zusammenschluss Die Geschäftsleitung von Partners nimmt deshalb Thomas Lee: „Ärzte müssen lernen, mit Pflegepersonal, Apothekern und der beiden Kliniken eine Besonderheit auf: Bei der Fusion wurden keine auf die Eigenheiten der wichtigsten Angestellten Managern im Team zu arbeiten und nicht nur den einzelnen Patienten, medizinischen Fachdisziplinen verschmolzen – eine Maßnahme, die übli- Rücksicht. „Das ist hier keine Top-Down-Orga- sondern Patienten-Populationen über eine ganze Zeitspanne zu versorgen.“ cherweise den Mehrwert generieren soll. Die medizinischen Abteilungen nisation“, sagt CEO Thomas Lee. „Ärzte und Was viele Ärzte noch nicht verstünden: Ein Krankenhaus sei eben auch ein blieben verschont, weil „die kulturellen und politischen Probleme, die sich Professoren kommen nicht zum MGH und ans Geschäft, das wie ein Unternehmen geführt werden muss. aus einer Zusammenlegung der überlappenden klinischen Disziplinen Brigham, um wie ein Soldat in der Army zu die- Was für die einzelne Klinik gilt, gilt für das ganze System: Was wirtschaftlich ergeben hätten, unüberwindbar schienen“, sagt Partners-Vizepräsidentin nen, sondern weil sie selbst berühmt werden ist, hilft auch den Patienten. Davon ist Peter Slavin überzeugt. Der Medi- Lynne Eickholt. Eine medizinische Koryphäe hätte zwangsweise gewinnen, wollen.“ Die Folge: Das MGH sei in viele kleine ziner mit MBA-Abschluss, der das MGH seit 2003 leitet, sieht sich immer die andere verlieren müssen. Eine gegen den Widerstand renommierter Einheiten aufgeteilt, die von hervorragenden Per- noch in erster Linie als Arzt und gerade deshalb in der richtigen Position. Ärzte erkämpfte Fusion zweier Kliniken, die zu den prestigeträchtigsten sönlichkeiten geleitet würden. Und diese Ärzte ver- „Im Gesundheitsmanagement kann ich viel mehr Patienten helfen, als es Universitätskrankenhäusern der Welt gehören, hätte eine fatale Signal- " suchen naturgemäß und durchaus erwünscht, " mir die Arzttätigkeit je ermöglichen würde.“ #
So hofft Slavin etwa, Einfluss auf die Zukunft des Medicare-Programms nehmen zu können, einer staatlichen Krankenversicherung, die haupt- sächlich Menschen über 65 und Behinderte versorgt. Das Defizit der Ver- sicherung wächst ständig, und wegen der demografischen Entwicklung müssen die jungen Steuerzahler in Zukunft immer mehr für die Gesund- heitsversorgung der Alten aufwenden – ein Problem, das auch das deut- sche Gesundheitssystem belastet. „Die Gesellschaft muss eine Lösung dafür finden. Und sie darf nicht darin bestehen, die Kosten einfach auf die Kliniken abzuwälzen“, sagt Slavin. Das MGH arbeitet daran. Mit dem Partners HealthCare System ist in Boston nicht zu übersehen. „Medicare-Management-Performance-Demonstration“-Projekt lotet Part- Firmensitz ist die 16. Etage im Prudential Building (im Bild rechts). ners aus, inwieweit besseres Management die Kosten der Pflege von Medi- care-Patienten senken und die Qualität steigern könnte. Kulturelle Einigkeit – im Widerstand der Ärzte Die Rettung eines Pfeilers des staatlichen Gesundheitssystems – diese Auf- gabe wäre für die Charité eine Nummer zu groß. Auf anderen Gebieten jedoch hat sich die Berliner Klinik ihr Bostoner Pendant bereits zum Vor- bild genommen. Bei der Idee des Netzwerks beispielsweise, in dem Patien- ten entsprechend der Ausstattung und Spezialisierung der einzelnen Häu- ser wirtschaftlich optimal behandelt werden können. „Wir haben das ‚Cha- rité Gesundheitssystem‘ analog zu Partners HealthCare gegründet“, sagt Martin Paul, Dekan der Charité, der das MGH aus eigener Anschauung als junger Arzt kennt. „Wir müssen uns innerhalb Berlins und bis nach Bran- denburg hinein vernetzen, um eine moderne Struktur zu schaffen.“ Auch für die Vermarktung klinischer Studien und Patente stand das MGH Pate: Seit April 2006 gibt es die Charité Research Organisation, mit der Klinik-Chef Detlev Ganten zusätzliche Finanzmittel eintreiben will. Inner- halb der kommenden zwei Jahre sollen sich die Einnahmen aus den Stu- dien von heute jährlich 30 Millionen Euro verdoppeln. Anderes lässt sich in Berlin nicht so einfach nachahmen – etwa die behut- same Fusion von Brigham und MGH, bei der die Stärken und Besonder- heiten beider Kliniken erhalten blieben. Seit der Berliner Senat 2003 die Fusion der Hochschulmedizin von Freier Universität und Humboldt-Uni- versität zur Charité beschlossen hat, muss Ganten – anders als Slavin – Doppelkapazitäten reduzieren, um jährlich rund 100 Millionen Euro zu sparen. Dabei stößt er auf massiven Widerstand der Ärzte. In diesem Punkt sind sich Amerikaner und Deutsche erstaunlich ähnlich. ⌫
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