Mankind's Greatest Hospital 16

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Mankind's Greatest Hospital 16
!   MassGeneral Boston   "   Text: Sascha Karberg   Foto: Richard Friebe   McK Wissen 19   Seiten: 100.101

    Mankind’s
    Greatest
    Hospital
                                                                                                             16
Mankind's Greatest Hospital 16
Das Massachusetts General Hospital in Boston, die
                                          Charité in Berlin – zwei Krankenhäuser mit glänzender
                                          Vergangenheit. Einst lernten die Bostoner von den
                                          weltberühmten Berliner Ärzten. Heute kann sich für
                                          die Deutschen der Blick in die Neue Welt lohnen
                                          – auf der Suche nach einem Vorbild für die Zukunft
                                          akademischer Kliniken.

Bei seiner Gründung im Jahr 1811 sollte
das Massachusetts General Hospital
vor allem die Armen versorgen – heute
zählt das Krankenhaus zu den
renommiertesten Kliniken der Welt.
Mankind's Greatest Hospital 16
"   MassGeneral Boston                  #   Text: Sascha Karberg   Foto: Richard Friebe          McK Wissen 19          Seiten: 102.103

⌦ Beide sind Ikonen der Medizin mit einer Historie, die Jahrhunderte            kaner mittlerweile auch mit dem 1983 einge-
zurückreicht. Beide haben eine Fusion hinter sich, machen rund eine Milliar-    führten Abrechnungssystem der Diagnosis Rela-
de Euro Umsatz und zählen zu den größten Arbeitgebern ihrer Stadt. Trotz        ted Groups (DRG), das in deutschen Kranken-
Tausender Kilometer Distanz und unterschiedlicher Gesundheitssysteme            häusern erst seit 2003 in Etappen umgesetzt
stehen sich das Massachusetts General Hospital (MGH) in Boston und die          wird. Am MGH wird Kostenmanagement heute
Berliner Charité erstaunlich nah. Einst schien das Renommee der 1710            als Basis guter medizinischer Versorgung ange-
gegründeten Charité, des späteren Lehrkrankenhauses der Berliner Univer-        sehen. Unterm Strich steht bei der Non-Profit-
sität Humboldt’scher Prägung, für die Bostoner unerreichbar. Heute nimmt        Klinik, die nicht primär auf Gewinne ausgerich-
sich Charité-Vorstandschef Detlev Ganten die US-Klinik zum Vorbild. Denn        tet ist, in den vergangenen beiden Jahren ein
das MGH steht bereits für das, was Ganten in Berlin noch etablieren will        durchschnittlicher Überschuss von jeweils rund
und muss: Hochschulmedizin mit unternehmerischer Ausrichtung.                   200 Millionen Dollar, der für Investitionen in
Zu diesem Ziel gehört auch ein neuer Begriff von effizienter Gesundheits-       neue Verfahren und Kapazitäten verwendet wird.
versorgung. Während die Berliner mit 2417 Ärzten 3240 Betten betreiben          Zu der Summe trugen 2005 nicht zuletzt Erlöse
und 123 000 Patienten pro Jahr stationär sowie 900 000 ambulant versor-         in Höhe von knapp 100 Millionen Dollar bei, die
gen, schafft das MGH mit 3557 Medizinern rund 60 000 stationäre und             mit Patenten aus der hauseigenen Forschung
1,4 Millionen ambulante Patienten bei nur knapp 900 Betten. In der Cha-         erzielt wurden. Die Charité rechnet bis 2010
rité liegt ein Patient durchschnittlich 7,6 Tage auf der Station, in Boston     mit einer Finanzierungslücke von 266 Millionen
kann er fast zwei Tage früher nach Hause. Insgesamt beschäftigen die            Euro, falls die Klinik keine wirksamen Gegen-
Amerikaner mit 19 500 Mitarbeitern gut 5000 Menschen mehr als die Ber-          maßnahmen findet.
liner Kollegen (14 400) – und sind trotzdem – anders als die Deutschen,         Der Mann, der den unternehmerischen Geist
die Verluste schreiben – hochprofitabel.                                        des MGH verkörpert, residiert im ältesten und
                                                                                geschichtsträchtigsten Gebäude des Hospitals.
Auch das MGH musste hart für den Erfolg kämpfen                                 Peter Slavins Büro befindet sich im Ether Dome,
                                                                                in dessen vergoldeter Kuppel noch immer der
Hinter der Effizienz der Amerikaner stehen Entwicklungen, mit denen auch        Hörsaal zu besichtigen ist, in dem die weltweit
deutsche Krankenhäuser heute konfrontiert sind. Und genau wie hierzu-           erste öffentliche Operation mit Äther-Betäubung
lande liefen und laufen die Wandlungsprozesse auch in den USA nicht rei-        stattgefunden hat. Slavin ist der Präsident von
bungslos ab. Die Modernisierung eines Klinikums gelingt oft nur gegen           „Mankind’s Greatest Hospital“, wie das MGH in MGH-Präsident Peter Slavin residiert im geschichtsträchtigen
innere Widerstände und unter schwierigen äußeren Bedingungen.                   Boston halb scherzhaft, halb stolz genannt wird. Ether Dome, dem ältesten Gebäude der Klinik.
Die US-Klinik hat aus wirtschaftlichen Zwängen heraus einen erfolgreichen       Tatsächlich hat das MassGeneral, so die übliche
Fusionsprozess hinter sich gebracht. Und was die Charité gerade erst in         Abkürzung, eine Reihe von Superlativen zu bie-
Angriff genommen hat, ist am MGH schon seit Jahren Realität: ein Netz-          ten – von der ersten Röntgenaufnahme in den
werk aus Hochleistungsklinik, Vor- und Nachsorge-Institutionen sowie            USA über das erstmalige Annähen eines Armes
ländlichen Krankenhäusern. Mit dieser Strategie sichern die Bostoner die        bis zur Identifizierung diverser Gene, die für Erb-
flächendeckende medizinische Versorgung der Bevölkerung und können              krankheiten verantwortlich sind. Gegründet wur-
teure Therapien sowie die Behandlung nicht versicherter Patienten durch         de die Klinik 1811, um vor allem die medizinische
gut bezahlte Fälle gegenfinanzieren. Gutes Geld verdienen die Ameri- #          Versorgung der Armen zu gewährleisten. Als $
eines der ersten Lehrkrankenhäuser der medizinischen Fakultät der Har-
vard University erarbeitete es sich rund um den Globus Ansehen.
Doch mit dem Ruhm geht man in Amerika spätestens dann sehr nüchtern
um, wenn es ums Geld geht. Das bekam das MassGeneral Anfang der
neunziger Jahre deutlich zu spüren. In den USA handelt jedes Krankenhaus
mit den einzelnen Versicherungen individuelle Preise für die Fallkosten-
erstattung aus. Das nutzten seinerzeit die privaten Krankenversicherungs-
unternehmen wie Blue Cross Blue Shield, Aetna, Cigna oder United
Healthcare weidlich aus und drückten die Preise auf ein – aus Kliniksicht
– inakzeptables Niveau. Sie hatten leichtes Spiel: Die verschiedenen Bosto-
ner Krankenhäuser litten unter großen Überkapazitäten und unterboten
einander in einem ruinösen Wettbewerb, um zu einem Abschluss mit den
Krankenkassen kommen und ihre Betten füllen zu können.

Vereint verhandelt es sich besser

Schärfster Konkurrent des MGH war das Brigham and Women’s Hospi-
tal, ebenfalls ein Lehrkrankenhaus der Harvard-Universität, mit entspre-
chend hoher medizinischer Qualität. Und denselben Finanzproblemen. Um
nicht Jahr für Jahr Erlöseinbußen hinnehmen zu müssen und ihre Ver-
handlungsposition gegenüber den Kassen zu stärken, schlossen sich 1994
beide Häuser zusammen.
Seitdem wacht im 16. Stock des Bostoner Prudential Buildings die Dach-
organisation der beiden Kliniken, Partners HealthCare System, über die
Entwicklung von MGH und Brigham. Abschlüsse werden nur noch über
Partners abgewickelt. „Die Versicherer mussten sich entscheiden: Zusam-
menarbeit mit allen Häusern der Gruppe oder mit keinem“, sagt Peter
Slavin. Partners verlangte von den Versicherungen fortan nicht nur kos-
tendeckende Erlöse für die medizinischen Leistungen, sondern darüber
hinaus eine Gewinnmarge. Sie wird für Reinvestitionen in die Organisa-
tion verwendet sowie für die Quersubventionierung nicht versicherter Pati-
enten, die Lehrkrankenhäuser per Gesetz umsonst behandeln müssen – in
den USA haben rund 45 Millionen Menschen, also etwa 15 Prozent der
                                                                              „Wir wollen die ganze Bandbreite der medizinischen Behandlung
Bevölkerung, keine Krankenversicherung.                                       anbieten, von der Erstversorgung bis zur Rehabilitation.“
Ein weiterer Grund für den Zusammenschluss war „der Aufbau eines Netz-        Thomas Lee, CEO von Partners Community HealthCare
werks von Community Hospitals“, sagt Thomas Lee, CEO von Partners
Community Healthcare, einer Tochter von Partners HealthCare System.
Dazu holte die Dachorganisation Krankenhäuser im Norden und !
!   MassGeneral Boston                "   Text: Sascha Karberg   Foto: Richard Friebe             McK Wissen 19              Seiten: 104.105

Westen der Stadt sowie ein weitverzweigtes Netz niedergelassener Ärzte        Ausgaben für dieses Medikament in den gesam-
ins Boot – mittlerweile kontrolliert Partners 20 Prozent des Gesundheits-     ten USA“, sagt Lynne Eickholt, Vizepräsidentin
marktes im Großraum Boston. „Wir wollen die ganze Bandbreite der              Geschäftsplanung und Marktentwicklung bei
medizinischen Behandlung von der Erstversorgung bis zur Rehabilitation        Partners. „Mittlerweile empfiehlt ein Experten-
anbieten“, sagt Lee. Die Ausweitung hat aber auch einen finanziellen          gremium, wann und wie ein neues Mittel einge-
Hintergrund: In den ländlichen Gegenden, die von den Community Hos-           setzt werden soll.“
pitals versorgt werden, ist der Anteil der krankenversicherten Patienten      Auch der Computer assistiert den Ärzten: Haus-
höher als in der Stadt, ihre Behandlungen sind aber nicht so kostspielig –    interne Sofware-Programme listen den Medizi-
beide Faktoren sind bares Geld wert. Denn an den Universitätskliniken wie     nern die besten und gleichzeitig günstigsten
                                                                                                                                           „Mediziner und Verwaltung haben
MGH oder Brigham häufen sich die komplizierten, langwierigen und              Medikamente auf. Bei Herz-Kreislauf-Patienten                zu lange geglaubt, dass hohe
damit teuren Fälle, deren Behandlungskosten durch die entsprechenden          mit zu hohem Blutdruck beispielsweise wirken                 Qualität und niedrige Kosten ein
Einnahmen oft nicht vollständig gedeckt werden. Die Erlöse aus den Com-       wenige Cent teure ACE-Inhibitoren ebenso gut
munity Hospitals gleichen diese Defizite aus.                                 wie Angiotensin-Rezeptorblocker für zwei bis drei
                                                                                                                                           unüberwindbarer Gegensatz seien.“
Zusätzliche Mittel akquiriert Partners durch besondere Vereinbarungen mit     Dollar. Momentan wird diskutiert, ob die Ärzte               William Huyett, McKinsey-Director in Boston
den Versicherern, die auch der medizinischen Qualität zugute kommen.          des Netzwerkes Rezepte ab 2007 nur noch elek-
Gemäß der Devise „Nach der Entlassung ist vor der nächsten Einweisung“        tronisch ausstellen dürfen statt wie bisher hand-
rufen die Krankenhäuser des Partners-Netzwerkes entlassene Patienten zu       schriftlich. Diese Maßnahme würde den Verwal-
Hause an, fragen nach ihrem Gesundheitszustand und Lebenswandel, erin-        tungsaufwand erheblich reduzieren, weil das
nern sie gegebenenfalls daran, ihre Medikamente zu nehmen und empfeh-         anschließende Einpflegen ins System überflüssig
len ambulante Rehabilitationseinrichtungen. „Wir werden finanziell dafür      wäre. Zudem erhöht eine bessere Lesbarkeit die
belohnt, dass wir durch unsere Nachsorge die Zahl der Krankenhaus-            Sicherheit bei der Medikamentenabgabe in der
besuche senken“, sagt Lee. Die Versicherer zahlen Partners eine Prämie –      Apotheke. Die Entscheidung sei noch nicht
konkrete Zahlen nennt Lee nicht –, wenn es gelingt, die Anzahl erneuter       gefallen, sagt Lee – denn Richtlinien wie diese
Krankenhauseinweisungen zu reduzieren.                                        stellen immer auch einen Eingriff in die ärztliche
Partners schließt mit den Krankenkassen auch Verträge ab, in denen sich       Autorität dar, und darauf reagieren viele Medizi-
der Verbund konkrete Ziele zur Verbesserung von Effizienz und Qualität        ner empfindlich.
setzt. Erreicht die Organisation die Vorgaben, zahlt die Kasse eine Beloh-
nung. 90 Millionen Dollar hat Partners auf diese Weise im vergangenen Jahr    Vorbild Industrieproduktion
bekommen – Geld, das auch an die Mitarbeiter weitergereicht wird. Denn
ohne deren Kooperationsbereitschaft geht es nicht. „Die Ärzte freuen sich     Es ist Lee wichtig, auf derlei Vorbehalte einzu-
natürlich über die Prämien. Dass sie dafür eingefahrene Gewohnheiten          gehen, auch wenn sich Entscheidungen dadurch
ändern müssen, begeistert sie allerdings weniger“, sagt Lee.                  verzögern. Eine Organisation wie das MGH
Früher hatte Partners beispielsweise die Entscheidung über den Einsatz        basiere auf dem „Common Sense“, auf Überzeu-
neuer, teurer Medikamente allein den Ärzten überlassen. Bis in der Herz-      gungsarbeit statt Anordnungen. Und nur wenn
Kreislauf-Abteilung ein neues Produkt verwendet wurde. Dessen positive        alle mitziehen, rechnet sich das Prinzip auf
Wirkung sprach sich schnell herum, anders als der Preis pro Dosis: 10 000     Dauer für das Unternehmen. Teure Mehrfach-
Dollar. „Binnen kurzem verursachte allein das MGH zehn Prozent der "          Röntgenuntersuchungen zum Beispiel sind #
überflüssig geworden, seit fast alle Ärzte von Partners online auf Patien-
tendaten zugreifen können. „Wir haben den Medizinern erklärt, wann sie
einen Test brauchen und wann nicht. Unsere Kosten für Röntgenaufnah-
men liegen heute rund 20 Prozent unter den sonst üblichen in der Region“,
sagt Lee stolz.
Mit solchen allmählichen Veränderungen und Verschlankungen der Pro-
zesse konnten MGH und Brigham letztlich auch die Zahl der Betten redu-
zieren und den Patienten-Durchlauf erhöhen. Dass die Qualität der Versor-
gung darunter nicht leiden muss, sei jedoch bei manchen Ärzten noch
immer nicht angekommen, glaubt William Huyett, Director bei McKinsey
& Company in Boston: „Mediziner und Krankenhausverwaltungen haben
zu lange geglaubt, dass hohe Qualität und niedrige Kosten ein unüberwind-
barer Gegensatz seien.“ Dabei wenden mittlerweile weltweit alle großen
Kliniken Qualitäts- und Prozessverbesserungsprogramme an, die in der
Industrie entwickelt wurden. Das Ziel lautet immer, Fehler und Verschwen-
dung zu vermeiden. Um es zu erreichen, werden defekte Produkte und über-
flüssige Geräte entsorgt, sinnlose Wege und weniger produktive Arbeiten
minimiert, parallel dazu sollen Operationssäle, vergleichbar der Produktion
in der Industrie, möglichst rund um die Uhr genutzt werden.

Das MGH baut profitable Fachabteilungen aus

Vorgaben wie diese erforderten ein Umdenken, das auch im Partners-Netz-
werk noch nicht jeder Arzt vollzogen habe, sagt Lee. Manchmal dauere
es, die Zweifler zu überzeugen: „Als 1983 in den USA das DRG-System
eingeführt wurde, waren die meisten überzeugt, dass es eine Katastrophe       Thomas Lee, CEO von Partners
auslösen würde.“ Ähnlich wie in Deutschland fürchteten die Kliniken, dass     Community HealthCare, setzt auf Über-
sich die Bezahlung an unrealistischen Durchschnittswerten orientieren und     zeugungsarbeit statt auf Anordnungen.
zu einer drastischen Unterfinanzierung führen würde. Stattdessen merkten
die Krankenhäuser, dass sich durch kreative Umstrukturierung der Arbeit                                               Lynne Eickholt, Vizepräsidentin von
mit den DRG richtig Geld verdienen lässt: Wenn die Kosten einer Thera-                                                Partners HealthCare System, sucht ständig
pie durch gute Organisation der Abläufe unter die gezahlte Fallpauschale                                              nach Einsparmöglichkeiten.
gedrückt werden können, bleibt ein nennenswerter Profit übrig. Auch das
MGH erkannte, wo die meisten Kosten entstehen und in welchen Struktu-
ren Rationalisierungspotenzial steckt. „Aus der vermeintlichen Katastrophe
wurde das Beste, was uns passieren konnte“, sagt Lee.
Systematisch hat MGH-Präsident Slavin in den vergangenen Jahren vor
allem jene Bereiche ausgebaut, die dem Krankenhaus die besten !
!   MassGeneral Boston                  "   Text: Sascha Karberg   Foto: Richard Friebe             McK Wissen 19               Seiten: 106.107

Einnahmen garantieren, darunter die Onkologie und die Herz-Kreislauf-           wirkung gehabt. „Diesen Talentmagneten zu zer-        erst einmal den eigenen Fachbereich zu optimieren. Das große Ganze
Abteilung. Denn nur mithilfe ihrer Erlöse kann er es sich auf Dauer leisten,    stören, nur um vielleicht fünf Prozent Kosten zu      kommt an zweiter Stelle. Um das System zu bewegen, muss Partners all
unrentable Abteilungen – wie Psychiatrie oder Pädiatrie – zu subventionie-      sparen, wäre mit der Konzeption von MGH und           diese Persönlichkeiten immer wieder überzeugen. „Und dazu“, sagt Lee
ren. Durch die unterschiedliche Vergütung der Krankheitsbilder seien in den     Brigham unvereinbar gewesen“, sagt McKinsey-          seufzend, „braucht es eine Menge Meetings.“
USA Transferleistungen zwischen den einzelnen Disziplinen durchaus              Director Huyett.                                      In den Sitzungen geht es auch um Geld und Arbeitszeiten. Während sich
üblich, sagt McKinsey-Berater William Huyett. Bedrohlich wird diese Pra-        Auch der nicht medizinische Bereich blieb in          die Klinik-Manager in den vergangenen Jahren stetige Gehaltssteigerungen
xis für die großen Lehrkrankenhäuser immer dann, wenn sie mit Spezial-          Boston weniger stark von Rationalisierungen           gönnten und jetzt bis zu zwei Millionen Dollar jährlich verdienen, mussten
kliniken vor Ort konkurrieren, die sich auf die profitablen Krankheitsbil-      betroffen als üblich: Zum einen stand für die         die Ärzte zwischen 1995 und 2003 inflationsbereinigt etwa zehn Prozent
der konzentrieren. „Wenn beispielsweise die Herz-Kreislauf-Abteilung            Elite-Krankenhäuser Qualität im Vordergrund           Einbußen hinnehmen – bei den hohen Bostoner Lebenshaltungskosten
höhere Erstattungen von den Versicherern verlangt, um die unrentablen           und nicht rigides Sparen. Zum anderen hätten          eine gefährliche Entwicklung. Darüber hinaus belegt eine Studie, veröffent-
Bereiche mitzufinanzieren, verliert das Haus Patienten an spezialisierte        die großen Unterschiede in der Verwaltungs-           licht im Journal der Amerikanischen Mediziner-Vereinigung, dass 15 von
Herzkliniken, die günstiger arbeiten können.“                                   struktur beider Kliniken nur durch einen radika-      16 Lehrkrankenhäusern in Massachusetts arbeitsrechtliche Bestimmungen
Finanziellen Nutzen dagegen können akademische Krankenhäuser aus                len und damit enorm teuren Neuaufbau beseitigt        nicht einhalten, nach denen eine Schicht nicht länger als 30 Stunden und
ihrem Vorsprung in Sachen Forschung ziehen. Das MGH hat mit einem               werden können.                                        die Arbeitswoche nicht mehr als 80 Stunden umfassen darf.
Budget von rund 500 Millionen Dollar das größte Forschungsprogramm              Welche Folgen ein Zusammenschluss von Klini-
einer Universitätsklinik in den USA. Das zahlt sich nicht nur bei der Rekru-    ken mit Weltruf haben kann, der ihren Wert als        Hilfe für das staatliche Gesundheitssystem
tierung ambitionierter Ärzte und Forscher aus: „Vergangenes Jahr haben          Marke nicht berücksichtigt, hatte das unschöne
wir fast 100 Millionen Dollar Lizenzgebühren für die Nutzung unserer            Beispiel in unmittelbarer Nähe gezeigt: Als die       „Natürlich können müde Mitarbeiter mehr Fehler machen“, räumt MGH-
Patente eingenommen“, sagt Peter Slavin. Allein zwei Drittel davon zahlte       beiden anderen Bostoner Harvard-Lehrkranken-          Präsident Peter Slavin ein. „Aber Fehler geschehen auch, wenn sich zu
das Biotech-Unternehmen Amgen, das jährlich etwa 2,5 Milliarden Dollar          häuser, das Beth Israel und das Deaconess, fusio-     viele Personen um einen Patienten kümmern.“ Es sei offen, wie die rich-
mit dem Medikament Enbrel verdient, einem Mittel gegen rheumatische             nierten, mussten Ärzte ihren Platz räumen, weil       tige Balance zwischen Ruhepausen und Kontinuität aussehe und ob das
Arthritis. Der Wirkstoff des Medikamentes wurde 1990 am MGH ent-                doppelte Fachrichtungen abgeschafft wurden.           Arbeitsrecht zu einer besseren Gesundheitsversorgung geführt habe. Nach
wickelt und anschließend als Patent angemeldet. Für den regelmäßigen            „Anschließend gingen die Häuser fast pleite“,         Slavins Angaben dokumentieren die MGH-Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten
Geldfluss aus den Patenten sorgt eine Abteilung, die sich ausschließlich um     sagt Lynne Eickholt, denn mit den namhaften           jetzt zumindest, aber vorerst nur, damit Partners einen Überblick bekommt,
die Verwertung des geistigen Eigentums der fusionierten Häuser MGH und          Doktoren schwanden auch die Patienten – und           welche Bereiche sich in Zukunft effizienter organisieren lassen.
Brigham kümmert.                                                                mit ihnen die Einnahmen.                              Langfristig stehe den Medizinern eine kulturelle Revolution bevor, sagt
Auch unter ökonomischen Gesichtspunkten weist der Zusammenschluss               Die Geschäftsleitung von Partners nimmt deshalb       Thomas Lee: „Ärzte müssen lernen, mit Pflegepersonal, Apothekern und
der beiden Kliniken eine Besonderheit auf: Bei der Fusion wurden keine          auf die Eigenheiten der wichtigsten Angestellten      Managern im Team zu arbeiten und nicht nur den einzelnen Patienten,
medizinischen Fachdisziplinen verschmolzen – eine Maßnahme, die übli-           Rücksicht. „Das ist hier keine Top-Down-Orga-         sondern Patienten-Populationen über eine ganze Zeitspanne zu versorgen.“
cherweise den Mehrwert generieren soll. Die medizinischen Abteilungen           nisation“, sagt CEO Thomas Lee. „Ärzte und            Was viele Ärzte noch nicht verstünden: Ein Krankenhaus sei eben auch ein
blieben verschont, weil „die kulturellen und politischen Probleme, die sich     Professoren kommen nicht zum MGH und ans              Geschäft, das wie ein Unternehmen geführt werden muss.
aus einer Zusammenlegung der überlappenden klinischen Disziplinen               Brigham, um wie ein Soldat in der Army zu die-        Was für die einzelne Klinik gilt, gilt für das ganze System: Was wirtschaftlich
ergeben hätten, unüberwindbar schienen“, sagt Partners-Vizepräsidentin          nen, sondern weil sie selbst berühmt werden           ist, hilft auch den Patienten. Davon ist Peter Slavin überzeugt. Der Medi-
Lynne Eickholt. Eine medizinische Koryphäe hätte zwangsweise gewinnen,          wollen.“ Die Folge: Das MGH sei in viele kleine       ziner mit MBA-Abschluss, der das MGH seit 2003 leitet, sieht sich immer
die andere verlieren müssen. Eine gegen den Widerstand renommierter             Einheiten aufgeteilt, die von hervorragenden Per-     noch in erster Linie als Arzt und gerade deshalb in der richtigen Position.
Ärzte erkämpfte Fusion zweier Kliniken, die zu den prestigeträchtigsten         sönlichkeiten geleitet würden. Und diese Ärzte ver-   „Im Gesundheitsmanagement kann ich viel mehr Patienten helfen, als es
Universitätskrankenhäusern der Welt gehören, hätte eine fatale Signal- "        suchen naturgemäß und durchaus erwünscht, "           mir die Arzttätigkeit je ermöglichen würde.“                                 #
So hofft Slavin etwa, Einfluss auf die Zukunft des Medicare-Programms
nehmen zu können, einer staatlichen Krankenversicherung, die haupt-
sächlich Menschen über 65 und Behinderte versorgt. Das Defizit der Ver-
sicherung wächst ständig, und wegen der demografischen Entwicklung
müssen die jungen Steuerzahler in Zukunft immer mehr für die Gesund-
heitsversorgung der Alten aufwenden – ein Problem, das auch das deut-
sche Gesundheitssystem belastet. „Die Gesellschaft muss eine Lösung
dafür finden. Und sie darf nicht darin bestehen, die Kosten einfach auf die
Kliniken abzuwälzen“, sagt Slavin. Das MGH arbeitet daran. Mit dem            Partners HealthCare System ist in Boston nicht zu übersehen.
„Medicare-Management-Performance-Demonstration“-Projekt lotet Part-           Firmensitz ist die 16. Etage im Prudential Building (im Bild rechts).
ners aus, inwieweit besseres Management die Kosten der Pflege von Medi-
care-Patienten senken und die Qualität steigern könnte.

Kulturelle Einigkeit – im Widerstand der Ärzte

Die Rettung eines Pfeilers des staatlichen Gesundheitssystems – diese Auf-
gabe wäre für die Charité eine Nummer zu groß. Auf anderen Gebieten
jedoch hat sich die Berliner Klinik ihr Bostoner Pendant bereits zum Vor-
bild genommen. Bei der Idee des Netzwerks beispielsweise, in dem Patien-
ten entsprechend der Ausstattung und Spezialisierung der einzelnen Häu-
ser wirtschaftlich optimal behandelt werden können. „Wir haben das ‚Cha-
rité Gesundheitssystem‘ analog zu Partners HealthCare gegründet“, sagt
Martin Paul, Dekan der Charité, der das MGH aus eigener Anschauung
als junger Arzt kennt. „Wir müssen uns innerhalb Berlins und bis nach Bran-
denburg hinein vernetzen, um eine moderne Struktur zu schaffen.“
Auch für die Vermarktung klinischer Studien und Patente stand das MGH
Pate: Seit April 2006 gibt es die Charité Research Organisation, mit der
Klinik-Chef Detlev Ganten zusätzliche Finanzmittel eintreiben will. Inner-
halb der kommenden zwei Jahre sollen sich die Einnahmen aus den Stu-
dien von heute jährlich 30 Millionen Euro verdoppeln.
Anderes lässt sich in Berlin nicht so einfach nachahmen – etwa die behut-
same Fusion von Brigham und MGH, bei der die Stärken und Besonder-
heiten beider Kliniken erhalten blieben. Seit der Berliner Senat 2003 die
Fusion der Hochschulmedizin von Freier Universität und Humboldt-Uni-
versität zur Charité beschlossen hat, muss Ganten – anders als Slavin –
Doppelkapazitäten reduzieren, um jährlich rund 100 Millionen Euro zu
sparen. Dabei stößt er auf massiven Widerstand der Ärzte. In diesem Punkt
sind sich Amerikaner und Deutsche erstaunlich ähnlich. ⌫
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