Neuromonitoring in der Kardioanästhesie

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Neuromonitoring in der Kardioanästhesie
Evidenzbasierte Medizin

    Z Herz- Thorax- Gefäßchir 2014 · 28:430–447
    DOI 10.1007/s00398-014-1125-4
    Online publiziert: 9. Dezember 2014
                                                        Neuromonitoring in
                                                        der Kardioanästhesie
    © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

                                                        Gemeinsame Stellungnahme der Deutschen
                                                        Gesellschaft für Anästhesiologie und
                                                        Intensivmedizin (DGAI), Schweizerischen
                                                        Gesellschaft für Anästhesiologie und
                                                        Reanimation (SGAR) und Deutschen
                                                        Gesellschaft für Thorax-, Herz- und
                                                        Gefäßchirurgie (DGTHG)

    Hintergrund                                         zwischen mittels eines Neuromonitoring-      beeinflusst wird, da dies wissenschaftlich
                                                        Verfahrens erfassten Veränderungen und       noch nicht ausreichend untersucht wurde.
    Herzchirurgische Eingriffe sind in erheb-           dem neurologischen bzw. allgemeinen Be-         Die generelle Zielsetzung eines Neuro-
    lichem Maße mit dem Risiko neurolo-                 handlungsergebnis dargelegt werden. Ins-     monitorings in der Kardioanästhesie liegt
    gischer Komplikationen vergesellschaftet:           besondere konnten verschiedene kleinere      in der Vermeidung neurologischer Kom-
    Je nach verwendetem Testverfahren sind              Studien nachweisen, dass eine zielgerich-    plikationen, zum Beispiel durch die De-
    neuropsychologische Defizite bei 7–70%              tete Beeinflussung von mittels Neuromo-      tektion von fokalen oder globalen zere­
    (Median: 51%) der Patienten kurz nach ei-           nitoring erfassten Variablen geeignet ist,   bralen Ischämien, die Erkennung einer in-
    ner Herzoperation nachweisbar [1, 2] und            neurologische und systemische Kompli-        adäquaten Narkosetiefe oder die Überwa-
    bestehen bei einem Viertel der Patienten            kation zu reduzieren [9–12]. Beispiels-      chung von neuroprotektiven Maßnahmen
    auch noch 6 Monate nach Operation [3].              weise konnte Edmonds [9] zeigen, dass        wie zum Beispiel eines Burst-Suppression-
    Das Risiko eines perioperativen Schlagan-           bei 59% der ACB-Patienten intraopera-        EEGs. Als Hauptargument für den Einsatz
    falls bei herzchirurgischen Eingriffen liegt        tive Auffälligkeiten beim Neuromonito-       des Neuromonitorings wird angeführt,
    ungefähr zwischen 1,2% bei koronaren                ring auftraten, die zu konkreten Thera-      dass sich ohne dieses Verfahren – d. h. oh-
    Bypass-Operationen (ACB; [4]) und 8,4%              piemaßnahmen (zum Beispiel Steigerung        ne eine tatsächliche Kenntnis von Zustand
    bei Herzklappeneingriffen [5] und führt             von Blutdruck und/oder Pumpenfluss,          und Funktion des Gehirns – perioperati-
    bei 20–25% der Betroffenen zum Tod [6,              Korrektur einer Hypokapnie) führten.         ve neurologische Komplikationen weder
    7]. In einer Magnetresonanztomographie-             Hierdurch normalisierten sich die Neu-       frühzeitig erkennen noch behandeln las-
    studie fanden sich in fast der Hälfte der           romonitoring-Parameter bei fast allen        sen. Die wissenschaftlichen Arbeitskrei-
    Patienten nach herzchirurgischen Ein-               Patienten (außer bei 2%), und die Rate       se Kardioanästhesie und Neuroanästhesie
    griffen Wasserscheideninfarkte [8]. Da-             schwerwiegender neurologischer Defizi-       der Deutschen Gesellschaft für Anästhe-
    her ist es das gemeinsame Ziel von Kar-             te (POCD, Apoplex etc.) lag mit 3% halb      siologie und Intensivmedizin (DGAI), die
    diochirurgen, -anästhesisten und -techni-           so hoch, wie ohne Neuromonitoring zu         Cardiovascular and Thoracic Anaesthesia
    kern, diese neurologische Komplikations-            erwarten gewesen wäre. Ein Nachweis          Group (CTA) der Schweizerischen Gesell-
    rate zu senken.                                     in großen, prospektiven Multizenterstu-      schaft für Anästhesiologie und Reanima-
        In zahlreichen – wenn auch überwie-             dien steht allerdings bislang aus. Darüber
    gend monozentrischen und von der Pa-                hinaus ist unklar, ob das Langzeitergeb-     Dieser Beitrag ist erstpubliziert in Anaesth
    tientenzahl oft eher kleineren – Observa-           nis durch das jeweils eingesetzte appara-    Intensivmed 2014;55:521–538, mit freundlicher
    tionsstudien konnte ein Zusammenhang                tive Neuromonitoring-Verfahren positiv       Genehmigung der Aktiv Druck &Verlag GmbH.

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Neuromonitoring in der Kardioanästhesie
– obwohl es nur zu 2% (entsprechend et-
 An der Erstellung und Beratung dieser Stellungnahme haben
                                                                                                           wa 1500 g) zum Körpergewicht beiträgt –
 mitgewirkt
                                                                                                           15% (750 ml/min) des Herzzeitvolumens
 (in alphabetischer Reihenfolge)                                                                           erhält [13]. Insgesamt hängt das zerebrale
 Für den Wissenschaftlichen Arbeitskreis Kardioanästhesie der Deutschen                                    O2-Angebot (DaO2) vom zerebralen Blut-
 Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI)                                               fluss (CBF) und vom Sauerstoffgehalt des
                                                                                                           arteriellen Blutes (caO2) ab:
 F	Dr. Ivo Brandes, Zentrum Anaesthesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin, Universitätsmedizin
    Göttingen
 F	Prof. Dr. Matthias Heringlake, Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Campus Lübeck,
    Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
 F	Priv.-Doz. Dr. Andreas Koster, Inst. für Anästhesiologie, Herz- und Diabeteszentrum NRW,­­Bad
    Oeynhausen, Ruhr-Universität Bochum
 F	Dr. Peter Michels, Zentrum Anaesthesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin, Universitäts­
    medizin Göttingen
 F	Prof. Dr. Uwe Schirmer, Inst. für Anästhesiologie, Herz- und Diabeteszentrum NRW, Bad Oeyn-
    hausen, Ruhr-Universität Bochum                                                                        Hieraus lassen sich konkrete therapeu-
                                                                                                           tische Maßnahmen ableiten, um die ze-
 Für den Wissenschaftlichen Arbeitskreis Neuroanästhesie der Deutschen                                     rebrale Oxygenierung zu verbessern
 Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI)                                               (. Abb. 6, . Tab. 1). Während die Be-
                                                                                                           stimmung des arteriellen Sauerstoffge-
 F	Priv.-Doz. Dr. Michael Dinkel, Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Herz- und Gefäß-        halts mittels Pulsoxymetrie und Blut-
    Klinik Bad Neustadt/Saale, RHÖN-Klinikum AG                                                            gasanalyse wenige Probleme bereitet, ist
 F	Prof. Dr. Matthias Menzel, Klinik für Anästhesie, Operative Intensivmedizin und Rettungs­              eine intraoperative Messung des CBF
    medizin, Klinikum Wolfsburg
                                                                                                           nicht praktikabel. Unter Ruhebedingun-
 F	Dr. Peter Michels, s. o.
                                                                                                           gen liegt der CBF bei nichtanästhesierten
 F	Prof. Dr. Lutz Schaffranietz, Anästhesiologie und Intensivmedizin, Krankenhaus Delitzsch
                                                                                                           Patienten bei etwa 750 ml/min (entspre-
 F	Prof. Dr. Gerhard Schneider, Klinik für Anästhesiologie, HELIOS Klinikum Wuppertal, Klinikum
    der Universität Witten/Herdecke                                                                        chend 50 ml/100 g/min, [14]). Fällt der
 F	Priv.-Doz. Dr. Martin Söhle, Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin,                 CBF unter eine kritische Grenze von ca.
    ­Universitätsklinikum Bonn                                                                             20 ml/100 g/min ab, so resultiert eine zere-
                                                                                                           brale Ischämie [15], d. h., eine Mangelver-
 Für die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und                                                      sorgung des Gehirns mit O2 und Gluco-
 Gefäßchirurgie (DGTHG)                                                                                    se. Diese führt zunächst zum Funktions-
                                                                                                           verlust des Gehirn (isoelektrisches EEG
 F	Dr. Ingolf Eichler, Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, Klinikum Dortmund gGmbH                         ab ≤15 ml/100 g/min, erloschene evozier-
 F	Prof. Dr. Andreas Markewitz, Herz- und Gefäßchirurgie, Bundeswehrzentralkrankenhaus                    te Potenziale ab ≤12 ml/100 g/min), je-
    ­Koblenz                                                                                               doch noch nicht zum Zelltod. Erst bei
                                                                                                           einem weiteren Abfall des CBF auf unter
 Für die Cardiovascular and Thoracic Anaesthesia Group (CTA) der                                           6 ml/100 g/min stirbt das Hirngewebe ab
 Schweizerischen Gesellschaft für Anästhesiologie und                                                      [16]. Sind von der Mangeldurchblutung
 Reanimation (SGAR)                                                                                        nur Teilbereiche des Gehirns betroffen
                                                                                                           (zum Beispiel das Stromgebiet der A. ce-
 F	Dr. Reto Basciani, Universitätsklinik für Anästhesiologie und Schmerztherapie, Universitätsspital      rebri media), so spricht man von einer fo-
    Bern, Inselspital Bern, Schweiz                                                                        kalen zerebralen Ischämie. Gerade foka-
                                                                                                           le Ischämien sind intraoperativ schwierig
                                                                                                           zu detektieren, da das verwendete Neuro-
                                                                                                           monitoring-Verfahren naturgemäß nur
tion (SGAR) sowie die Deutsche Gesell-                Pathophysiologie                                     dann Hinweise liefern kann, wenn es das
schaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchir-                                                                   betroffene Hirnareal überwacht. Jedoch
urgie (DGTHG) möchten mit dem vorlie-                 Während eines herzchirurgischen Ein-                 ist im Vorhinein nicht immer bekannt,
genden Artikel einen Überblick über die               griffs besteht eine wesentliche Aufga-               welche Hirnregion betroffen sein wird.
gängigen apparativen Neuromonitoring-                 be des Anästhesisten darin, – im Zusam-              Im Gegensatz hierzu sind globale, d. h.
Verfahren in der Kardio­anästhesie geben              menspiel mit Chirurgen und Kardiotech-               das gesamte Gehirn betreffende, Ischä-
und die Vor- und Nachteile sowie die ak-              nikern – eine ausreichende Versorgung                mien einfacher zu detektieren, da der Ort
tuell empfohlenen Indikationen der jewei-             des Organismus mit Sauerstoff (O2) und               der Messung dann irrelevant ist. Typische
ligen Verfahren erläutern (. Tab. 4).                 Nährstoffen zu gewährleisten. Dies trifft            Ursachen für fokale und globale zerebra-
                                                      auch und gerade auf das Gehirn zu, das               le Ischämien sind in . Tab. 2 aufgeführt.

                                                                                             Zeitschrift für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie 6 · 2014   | 431
Neuromonitoring in der Kardioanästhesie
Zusammenfassung · Abstract

        Z Herz- Thorax- Gefäßchir 2014 · 28:430–447      DOI 10.1007/s00398-014-1125-4
        © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

        Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), Schweizerische Gesellschaft für Anästhesiologie und Reanimation
        (SGAR), Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG)
        Neuromonitoring in der Kardioanästhesie. Gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft
        für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), Schweizerischen Gesellschaft für Anästhesiologie
        und Reanimation (SGAR) und Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG)
        Zusammenfassung
        Herzchirurgische Eingriffe sind nicht selten       wird die Ableitung von somatosensiblen Po-         bei Operationen am Aortenbogen bei Kin-
        mit neurologischen Komplikationen verbun-          tenzialen (SSEP) als Verfahren der ersten Wahl     dern und Erwachsenen aus. Im Sinne einer
        den. Die Ziele des Neuromonitorings in der         angeraten. Falls ein SSEP-Gerät nicht zur Ver-     Expertenmeinung wird die Anwendung von
        Kardioanästhesie liegen in der Vermeidung          fügung steht, wird die Anwendung der Nah­          NIRS empfohlen bei Patienten mit stattgeha-
        derartiger Komplikationen, zum Beispiel            infrarotspektroskopie (NIRS) als Verfahren         btem Apoplex, schwerer arterieller Hyperto-
        durch die Detektion zerebraler Ischämien, die      der zweiten Wahl empfohlen, wobei keine            nie, hochgradigen Karotisstenosen sowie bei
        Erkennung einer inadäquaten Narkosetiefe           allgemein akzeptierten Grenzwerte für eine         Herz- oder Lungentransplantationen.
        oder die Überwachung von neuroprotektiven          Shunt-Einlage vorliegen. Motorisch evozierte
        Maßnahmen. DGAI, DGTHG und SGAR emp-               Potenziale sollten bei Operationen an der tho-     Schlüsselwörter
        fehlen für die Herzchirurgie den Einsatz eines     rakalen Aorta descendens abgeleitet werden.        Elektroenzephalographie · Evozierte
        prozessierten EEGs bei totalintravenöser Anäs-     Die beteiligten Gesellschaften sprechen sich       Potenziale · Nahinfrarotspektroskopie ·
        thesie, bei tiefem hypothermem Kreislaufstill-     für den Einsatz von NIRS zur Erkennung einer       Ischämie · Narkosetiefe
        stand sowie bei Risikopatienten für Aware­         fehlerhaften Kanülenlage bei der Korrektur
        ness. Bei Karotis-Thrombendartektomien             angeborener Herzfehler im Kindesalter sowie

        Neuromonitoring in cardiac anesthesia. Joint statement of the German Society of Anesthesiology
        and Intensive Care Medicine (DGAI), the Swiss Society for Anesthesiology and Resuscitation
        (SGAR) and the German Society for Thoracic and Cardiovascular Surgery (DGTHG)
        Abstract
        It is not uncommon for cardiac surgery to be       logie und Reanimation, SGAR) recommend             of an incorrectly placed cannula during cor-
        associated with neurological complications.        the use of processed electroencephalographs        rection of congenital heart defects in child-
        The aim of monitoring in cardiac anesthesia        (EEG) for total intravenous anesthesia, for        hood and in operations on the aortic arch in
        is the avoidance of such complications, e.g.       deep hypothermic cardiac arrest and in pa-         children and adults. In the sense of an expert
        by the detection of cerebral ischemia, rec-        tients at risk for awareness. In carotid throm-    opinion, the use of NIRS is recommended for
        ognition of an inadequate depth of anesthe-        boendartectomy the afferent conduction of          patients who have suffered an apoplexy, se-
        sia and surveillance of neuroprotective mea-       somatosensory evoked potentials (SSEP) is          vere arterial hypertension, high-grade carot-
        sures. For cardiac surgery the German Society      recommended as the method of choice. If an         id artery stenosis as well as for heart or lung
        of Anesthesiology and Intensive Care Medi-         SSEP device is unavailable near-infrared spec-     transplantation.
        cine (Deutsche Gesellschaft für Anästhesiolo-      troscopy (NIRS) is recommended as the sec-
        gie und Intensivmedizin, DGAI), the German         ond choice procedure, whereby no general-          Keywords
        Society for Thoracic and Cardiovascular Sur-       ly acceptable cut-off values for a shunt place-    Electroencephalography · Evoked
        gery (Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz-     ment are available. Motor evoked potentials        potentials · Spectroscopy, near-infrared ·
        und Gefäßchirurgie, DGTHG) and the Swiss           should be utilized in operations on the tho-       Ischemia · Depth of anesthesia
        Society for Anesthesiology and Resuscitation       racic descending aorta. The participating so-
        (Schweizerische Gesellschaft für Anästhesio­       cieties are in favor of using NIRS for detection

       Durch eine Vasodilatation zerebra-                  50–130 mmHg, [16]). Unterschreitet der               nalem Bypass (CPB) bei 66 mmHg liegt,
    ler Arteriolen bei sinkendem Blutdruck                 MABP den – als untere Autoregulations-               wobei das 95%-Konfidenzintervall von
    – und eine Vasokonstriktion bei steigen-               grenze – bezeichneten Grenzwert von ca.              43–90 mmHg reicht. Zudem ist die unte-
    dem Blutdruck – wird die Durchblutung                  60 mmHg, so führt jedweder Blutdruck-                re Autoregulationsgrenze bei Vorliegen
    des Gehirns über einen weiten Blutdruck-               abfall zu einem Abfall des CBF mit dem               einer behandelten oder unbehandelten
    bereich konstant gehalten, was als zerebra-            Risiko einer zerebralen Ischämie. Häu-               arteriellen Hypertonie um bis zu 20 bzw.
    le Autoregulation bekannt ist [17]. Dieser             fig wird als untere Autoregulationsgren-             40 mmHg zu höheren Werten hin ver-
    Mechanismus funktioniert in einem mitt-                ze sogar ein MABP von 50 mmHg ange-                  schoben [16].
    leren arteriellen Blutdruck(MABP)-Be-                  geben, was jedoch vermutlich einerseits                 Allerdings scheint die zerebrovaskuläre
    reich, der beim einzelnen Patienten nicht              zu niedrig [18] und andererseits interin-            Autoregulation bei nichtwenigen Patien-
    bekannt ist, jedoch erfahrungsgemäß von                dividuell sehr unterschiedlich ist: Joshi et         ten aufgrund vaskulärer Vorerkrankun-
    ca. 60–140 mmHg reicht (entsprechend                   al. beschreiben [19], dass die untere Auto-          gen primär gestört zu sein [20, 21]. Jünge-
    einem zerebralen Perfusionsdruck von                   regulationsgrenze während kardiopulmo-               re Daten deuten darauf hin, dass Patienten

432 |   Zeitschrift für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie 6 · 2014
Neuromonitoring in der Kardioanästhesie
Tab. 1     Maßnahmen zur Verbesserung der zerebralen Oxygenierung                                                   mit gestörter Autoregulation eine deutlich
Korrektur von        Ziel                                           Maßnahme                                        erhöhte Rate perioperativer Schlaganfäl-
Kopfposition         Verbesserung des venösen Abstroms              Achsengerechte Kopflagerung ohne                le im Vergleich zu Patienten mit intakter
                     aus dem Gehirn                                 Rotation                                        Autoregulation aufweisen [22]. Während
Hyperventila-        Aufhebung der zerebralen                       Reduzierung des Atemminuten­                    CPB treten Autoregulationsstörungen
tion                 Vasokonstriktion                               volumens bzw. Zugabe von CO2 zur HLM            vor allem in der Phase des Wiedererwär-
Arterielle           Anhebung des MABP über die untere              Steigerung des Pumpenflusses und/               mens auf [23]. Dies unterstreicht die Not-
Hypotonie            Autoregulationsgrenze                          oder Gabe von Vasokonstriktoren                 wendigkeit einer perioperativen Überwa-
Anämie               Steigerung der O2-Transportkapazität           Transfusion von                                 chung des CBF oder einer diesen Parame-
                     des Blutes                                     Erythrozytenkonzen­traten
                                                                                                                    ter widerspiegelnden Variable.
Venöser Hyper-       Verbesserung des venösen Abstroms              Korrektur der venösen Kanüle
                                                                                                                        Im Gegensatz zu anderen Organen ist
tonie                aus dem Gehirn
                                                                                                                    die Durchblutung des Gehirns nicht di-
Zerebralem           Reduktion des zerebralen                       Hypothermie bzw. Gabe von Propofol
O2-Verbrauch         O2-Verbrauchs                                  oder Thiopental
                                                                                                                    rekt vom Herzzeitvolumen abhängig: Bei-
MABP mittlerer arterieller Blutdruck, HLM Herz-Lungen-Maschine.
                                                                                                                    spielsweise führen Änderungen des Pum-
                                                                                                                    penflusses während CPB nicht zu Ände-
                                                                                                                    rungen des CBF, solange der MABP un-
Tab. 2     Ursachen für zerebrale Ischämien in der Kardioanästhesie
                                                                                                                    verändert bleibt [24–26]. Da die zere-
Globale zerebrale Ischämien                                            Fokale zerebrale Ischämien
                                                                                                                    brale Autoregulation – abgesehen von
Arterielle Hypotonie (zum Beispiel durch Absinken des                  Arterielle Hypotonie bei Vorliegen
                                                                                                                    den oben erwähnten Einschränkungen –
MABP unter die Autoregulationsgrenze)                                  einer Stenose der A. carotis interna
                                                                                                                    während CPB meist intakt ist, bleibt der
Venöse Hypertension (zum Beispiel durch Obstruktion der                Mikroembolien (Luft, Fett, Partikel)
V. cava sup. durch venöse Kanüle oder unzureichenden                                                                CBF auch an der Herz-Lungen-Maschi-
venösen Abstrom bei nichtachsengerechter Kopflage-                                                                  ne (HLM) trotz Schwankungen des Blut-
rung)                                                                                                               drucks weitestgehend konstant [27, 28],
Kreislaufstillstand                                                    Makroembolien (atheroskleorische             solange die untere Autoregulationsgrenze
                                                                       Plaques, zum Beispiel während der            nicht unterschritten wird. Bei herzchirur-
                                                                       ­Kanülierung von Aorta oder A. carotis)      gischen Eingriffen liegt der intrakranielle
Ungenügende Hirnperfusion während EKZ durch                                                                         Druck meist im Normbereich und spielt
1. Fehllage der                                                                                                     daher eine untergeordnete Rolle. Daher
   a. Aortenkanüle                                                                                                  wird die Hirndurchblutung (CBF) bei die-
   b. Kanüle zur selektiven Hirnperfusion                                                                           sen Operationen im Wesentlichen vom
2. Zu geringen Fluss bei selektiver Hirnperfusion                                                                   mittleren arteriellen Blutdruck (MABP)
3. Hochgradige Karotisstenosen                                                                                      und dem Zustand der zerebralen Autore-
Forcierte Hyperventilation                                                                                          gulation – in Form des zerebrovaskulären
MABP mittlerer arterieller Blutduck, EKZ extrakorporale Zirkulation.                                                Widerstands (CVR) – bestimmt:

Tab. 3   Diagnostischer und therapeutischer Algorithmus einer EEG-Verlangsamung bei
kardiochirurgischen Eingriffen unter extrakorporaler Zirkulation in Anlehnung an Edmonds [9]
sowie Denault et al. [84]
Zeitpunkt        Symptome (EEG-Verlangsamung) sowie                        Mögliche       Maßnahmen                 Der CVR wird durch den arteriellen
                                                                           Ursachen                                 CO 2-Partialdruck beeinflusst, wobei
                 Körpertem-        Blut-       TCD (vmean)      rSO2                                                eine Hyperventilation mit Abfall des pa-
                 peratur           druck                                                                            CO2 zu einer Vasokonstriktion und so-
Gesamte          →                 → (↓)       → (↓)            ↑          CMRO2 ↓        Narkose abflachen         mit einer verringerten Hirndurchblutung
Operation                                                                                                           führt. Hierdurch wird deutlich, dass eine
Kanülierung      →                 →           ↓                ↓          Kanülen-       Korrektur der             Hyperventilation zu einer zerebralen Isch-
                                                                           fehlposi-      Kanülenlage
                                                                           tion
                                                                                                                    ämie führen kann.
                                   →           →                ↓
                                                                                                                       Zusätzlich beeinflussen auch Anästhe-
EKZ-Beginn       → (↓)                                                     Hämodilu-      Erythrozyten-
                                                                           tion           transfusion               tika und Hypothermie den CBF, sodass
EKZ              ↓                 →           →                ↑          CMRO2 ↓        Temperatur-               sich dieser während eines herzchirurgi-
                                                                                          anpassung                 schen Eingriffes typischerweise wie folgt
EKZ              →                 →           Embolien         ↓ (→)      Embolisa-      Emboliequelle             verändert: Vor der Narkoseeinleitung liegt
                                                                           tion           beseitigen                der CBF bei einem Erwachsenen bei un-
EKZ-Ende         ↑                 →           →                ↓          CMRO2 ↑        Narkose vertiefen         gefähr 50 ml/100 g/min, und sein Ge-
↑ Steigerung, → unverändert, ↓ Abfall, EKZ extrakorporale Zirkulation, TCD transkranielle Dopplersonographie,       hirn verbraucht ca. 3,2 ml O2/100 g/min
Vmean mittlere Flussgeschwindigkeit, rSO2 regionale zerebrale Oxygenierung, CMRO2 zerebraler Sauerstoffver-         [29]. In Narkose verbraucht das Gehirn
brauch (als Maß für den zerebralen Metabolismus).                                                                   durch den eingeschränkten Funktions-

                                                                                                      Zeitschrift für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie 6 · 2014   | 433
Neuromonitoring in der Kardioanästhesie
Evidenzbasierte Medizin

        Tab. 4    Überblick über verschiedene Neuromonitoring-Verfahren zur Erkennung einer zerebralen Ischämie in der Kardioanästhesie
        Verfahren             Ischämiekrite-         Validität               Vorteil                        Nachteil                        Bemerkungen
                              rium
        Elektroenzepha-       Plötzliche Ver-                                Nichtinvasiv, zur Dosis-       Subjektive Interpretation,      Narkosevertiefung oder
        logramm (EEG)         langsamung des                                 findung zwecks Induktion       Ableitung multipler Kanäle      Hypothermie verlangsa-
                              Grundrhythmus                                  einer Burst Suppression        ist intraoperativ wenig prak-   men ebenfalls den EEG-
                                                                             geeignet                       tikabel                         Grundrhythmus
        Prozessiertes EEG     Plötzlicher Abfall                             Nichtinvasiv, einfach anzu-    Ischämiekriterium ist nur bei   Narkosevertiefung oder
                              des EEG-Index                                  wenden. Vermeidung von         gleichbleibender Narkose-       Hypothermie verlangsa-
                                                                             Awareness und ungewollter      tiefe verwertbar                men ebenfalls den EEG-
                                                                             Burst-Suppression-Phasen                                       Grundrhythmus
        Somatosensibel        Amplitudenabfall       Sensitivität ~100%,     Zuverlässiges und spezi-       Spezielle Kenntnisse sind       Hypothermie führt zur
        evozierte Poten-      auf ≤50%               Spezifität 89–100%      fisches Verfahren              erforderlich; bei Neuro-        Amplitudenreduktion
        ziale (SSEP)                                 bei Karotis-TEA                                        pathien nur eingeschränkt
                                                                                                            einsetzbar
        Bulbus-jugularis-     SjO2 ≤50%,                                     Technisch einfach durch-       Invasives Verfahren, diskon-
        Oxymetrie             (Normbereich:                                  führbares Verfahren            tinuierlich, keine Erkennung
                              55–75%)                                                                       fokaler Ischämien, extrazere-
                                                                                                            brale Beimischung möglich
        Nahinfrarot­          rSO2 ≤50% oder                                 Nichtinvasiv, technisch        Lokales Messverfahren,          Keine oder fragliche Vali-
        spektroskopie         rSO2-Abfall um 20                              einfach durchführbares         extrazerebrale Beimischung      dität bei Galeahämatom
        (NIRS)                oder 25%                                       Verfahren                      möglich                         oder stark atrophiertem
                                                                                                                                            Gehirn
        Transkranielle        Uneinheitlich:                                 Nichtinvasiv, ermöglicht die   Aufwendiges Verfahren,
        Dopplersonogra-       FVMCA
Neuromonitoring in der Kardioanästhesie
Messung der elektrischen                       heblicher Unterschiede zwischen den Pa-         von 100 entspricht hierbei einem wachen
Hirnaktivität                                  tienten [35] sowie einer unzureichenden         Patienten, und ein Wert von 0 einer ma-
                                               Korrelation zwischen Plasmaspiegel und          ximal tiefen Narkose mit Nulllinien-EEG.
Elektroenzephalogramm (EEG)                    Wirkung [36] – nur schwierig im Vor-            Geräteunabhängig wird zumeist ein Be-
Das EEG resultiert aus der elektrischen        hinein abschätzen: Eine zu geringe Do-          reich von 40–60 als adäquate Narkosetie-
Spontanaktivität des Gehirns und ändert        sis führt zu einer unzureichenden Neuro-        fe (genauer: Schlaftiefe) angesehen.
sich bei sinkendem zerebralem Blutfluss        protektion, eine zu hohe Dosis zu einer              Somit ermöglichen die prozessierten
in charakteristischer Weise: Unterhalb         Kreislaufdepression (negativ-inotrope           EEG-Monitore die Erkennung sowohl
von ca. 30 ml/100 g/min verschwindet zu-       Wirkung von Barbituraten und Propofol)          einer zu flachen als auch einer zu exzes-
nächst die Aktivität im α-Frequenz­band        und – im Falle einer Barbituratgabe – zu        siven Schlaftiefe. Gerade in der Kardio-
(8–12 Hz), unterhalb von 20 ml/100 g/min       einer Immunsuppression [37]. Hierbei er-        anästhesie sind das Ansteuern einer ad-
nimmt sie im δ- (0,5–3 Hz) und θ-Band          möglicht das EEG, die für den jeweiligen        äquaten Narkosetiefe sowie die Erken-
(4–7 Hz) zu [32]. Ab einem CBF von we-         Patienten geeignete Dosis zu ermitteln:         nung einer inadäquaten Narkosetiefe er-
niger als 15 ml/100 g/min wird das EEG         Thiopental oder Propofol wird titrierend        schwert. Wegen der häufig vorbestehen-
schließlich isoelektrisch. Unter Narko-        so lange verabreicht, bis ein bestimmtes        den, eingeschränkten kardialen Pump-
se lässt sich diese Information jedoch nur     Burst-Suppression-Muster (zum Beispiel          funktion werden Anästhetika (wie zum
eingeschränkt verwenden, da eine stei-         2–5 Bursts/min, [38]) im EEG erscheint.         Beispiel Propofol oder volatile Anästheti-
gende Narkosetiefe zu ähnlichen EEG-           Diese Methode wird zum Beispiel auch in         ka) aufgrund ihrer kardiodepressiven Ne-
Veränderungen führt wie ein fallender          der kardiovaskulären Anästhesie im Rah-         benwirkung tendenziell niedriger dosiert.
CBF. Das EEG unter tiefer Narkose (aber        men der Aortenchirurgie oder der Kor-           Andererseits werden Zeichen einer zu fla-
ohne Ischämie) gleicht dem EEG ohne            rektur komplexer Herzfehler bereits an-         chen Narkose, wie zum Beispiel Tachykar-
Narkose bei zerebraler Ischämie [33]. Da-      gewandt. Während die Interpretation des         die oder arterielle Hypertension, durch
her lässt sich das EEG nur bei gleichblei-     Roh-EEGs für den Ungeübten Schwierig-           eine vorbestehende β-Blockade maskiert
bender Narkosetiefe und erhaltener Spon-       keiten bereitet, so ist speziell das Burst-     oder eine Katecholamintherapie überla-
tanaktivität als Ischämiemonitor verwen-       Suppression-Muster auch für den wenig           gert. Tatsächlich ist die Inzidenz einer in-
den: Eine plötzlich auftretende Verlang-       Erfahrenen leicht zu erkennen. Insgesamt        traoperativen Wachheit (Awareness) mit
samung des EEG-Grundrhythmus ist im-           ist das Roh-EEG ein nichtinvasives, leicht      0,2–2% bei kardiochirurgischen Patienten
mer dann ischämieverdächtig, wenn die          zu handhabendes und preisgünstiges              höher als beim Gesamtpatientenkollektiv
Narkosetiefe nicht gleichzeitig verändert      Neuromonitoring-Verfahren. Aus Grün-            (0,1–0,2%, [40, 41]). In der prospektiven
wurde. Das Roh-EEG ist somit halbwegs          den der Praktikabilität wird meistens auf       ­B-Aware-Studie, die zur Hälfte aus herz-
spezifisch für eine Ischämie, jedoch ist die   eine – in der Neurologie sonst übliche –         chirurgischen Patienten bestand und in
Sensitivität nur gering, d. h., aus einem      Ableitung von 21 EEG-Kanälen verzich-            der sowohl TIVAs als auch balancierte
„unauffälligen“ EEG kann nicht auf ei-         tet, sondern man beschränkt sich meist           Anästhesien durchgeführt wurden, konn-
ne intakte Hirndurchblutung geschlossen        auf zwei (frontale) EEG-Ableitungen. Der         ten Myles et al. [41] zeigen, dass das BIS-
werden [33]. Tritt während extrakorpora-       Hauptnachteil des Roh-EEGs besteht da-           Monitoring (Ziel-BIS: 40–60) die Aware-
ler Zirkulation eine EEG-Verlangsamung         rin, dass es – wie beschrieben – nicht nur       ness-Rate bei Risikopatienten von 0,91 auf
auf, so kann der in . Tab. 3 wiedergege-       durch den CBF, sondern auch durch die            0,17% senken konnte. Avidan et al. [42, 43]
bene Algorithmus wichtige differenzialdi-      Narkosetiefe beeinflusst wird. Weiterhin         konnten jedoch in der B-Unaware- und
agnostische und therapeutische Hinwei-         führt eine fokale zerebrale Ischämien in         der BAG-RECALL-Studie bei Risikopa-
se liefern.                                    der Regel zu keinen EEG-Veränderungen            tienten keinen Unterschied in der Awa-
    Die Abhängigkeit des EEG von der           in den übrigen, nichtbetroffenen Hirn-           reness-Häufigkeit zwischen einer BIS-ge-
Narkosetiefe wird in der Neurointensiv-        arealen, sodass fokale Ischämien bei Ab-         steuerten (Ziel-BIS: 40–60) und der mit-
medizin nicht nur diagnostisch, sondern        leitung von nur zwei frontalen EEG-Ka-           tels endtidaler Gaskonzentration (Ziel:
auch therapeutisch bei der Behandlung          nälen meist übersehen werden [33].               0,7–1,3 MAC) gesteuerten Gruppe zeigen.
der therapierefraktären intrakraniellen                                                             Umgekehrt ist auch eine zu tiefe Nar-
Hypertension genutzt [34]: Intravenöse         EEG-basierte Messung                             kose komplikationsbehaftet: Neben der
Anästhetika wie Thiopental oder Propofol       der Narkosetiefe                                 bereits bekannten kreislaufdepressiven
senken den zerebralen O2-Verbrauch, in-        Die schwierige Interpretation des Roh-           Wirkung wurde in vier großen Studien der
dem sie den zerebralen Metabolismus re-        EEGs wird durch eine geeignete Prozes-           Verdacht erhärtet, dass eine tiefe Schlaf-
duzieren. Hierdurch benötigt das Gehirn        sierung erheblich vereinfacht. Kommer-           tiefe (definiert als ein BIS
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    Abb. 1 8 Darstellung dreier unterschiedlicher EEG-Geräte zur Messung der Narkosetiefe: Entropy-Modul der Firma GE Health-
    care, mit freundlicher Genehmigung von GE Healthcare (links); Narcotrend® Compact M der Firma Monitor Technik GmbH, mit
    freundlicher Genehmigung der Firma Monitor Technik GmbH (Mitte); BIS Vista-Monitor der Firma Covidien, mit freundlicher
    Genehmigung von Covidien (rechts)

    lässt, was für einen kausalen Zusammen-             jedoch ohne einen Einfluss auf die POCD-           auftreten. (Die EEG-Elektroden werden
    hang zwischen tiefer Narkose und gestei-            Häufigkeit. Ob sich diese Ergebnisse auch          üblicherweise frontal angebracht, wobei
    gerter Mortalität sprechen würde. Alter-            auf herzchirurgische Patienten übertragen          der frontale Hirnlappen von der A. cere-
    nativ wäre auch denkbar, dass das BIS-              lassen, ist unklar (jedoch nicht unwahr-           bri anterior und A. cerebri media versorgt
    Monitoring ein bestimmtes Patientenkol-             scheinlich); ein definitiver Nachweis hier-        wird.) Die beschriebenen EEG-Monitore
    lektiv identifizieren kann, das besonders           für steht derzeit noch aus.                        verfügen über spezielle Algorithmen zur
    „empfindlich“ auf Anästhetika reagiert. In              Das britische „National Institute for          Erkennung (und Quantifizierung) des
    diesem Fall wäre der BIS
EEG-verändernde und bewusstseinstrü-
                                                                                               bende Charakter der Hypothermie wider:
                                                                                               In der Notfallmedizin lässt sich bei akzi-
                                                                                               denteller Unterkühlung unterhalb einer
                                                                                               Temperatur von 32°C eine Bewusstseins-
                                                                                               trübung beobachten, unterhalb von 28°C
                                                                                               tritt schließlich das Koma ein [58].
                                                                                                   Die Wissenschaftlichen Arbeitskrei-
                                                                                               se Kardioanästhesie und Neuroanästhesie
                                                                                               der DGAI, die Cardiovascular and Thora-
                                                                                               cic Anaesthesia Group der SGAR sowie die
                                                                                               DGTHG empfehlen das prozessierte EEG
                                                                                               bei totaler intravenöser Anästhesie (TIVA),
                                                                                               bei tiefem hypothermem Kreislaufstillstand
                                                                   Abb. 2 9 Darstellung        und bei Risikopatienten für Awareness [41–
                                                                   somatosensibel evo-         43] anzuwenden (. Tab. 5, 7). Zu diesen
                                                                   zierter Potenziale an       Risikopatienten gehören solche mit einer
                                                                   verschiedenen Ableit-       Ejektionsfraktion (EF)
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                                                                                                          willkürlich gewählt wurde, so hat er sich
                                                                                Abb. 4 9 Schemati-        mittlerweile über mehrere Jahrzehnte in
                                                                                sche Darstellung eines    der klinischen Praxis bewährt. Insbeson-
                                                                                Kopfes mit zwei auf-      dere bei der Durchführung von Karotis-
                                                                                geklebten NIRS-Opto-
                                                                                                          Endarterektomien in Vollnarkose hat sich
                                                                                den. Das ausgesandte
                                                                                Nahinfrarotlicht (dar-    das SSEP-Monitoring als Neuromonito-
                                                                                gestellt als rote Pfei-   ring-Verfahren fest etabliert. Hierbei er-
                                                                                le) durchdringt sowohl    kennt es zerebrale Ischämien im abgelei-
                                                                                die Schädelkalotte als    teten Versorgungsgebiet (typischerweise
                                                                                auch die Großhirnrinde
                                                                                                          der A. cerebri media mittels einer Ablei-
                                                                                und wird von mehre-
                                                                                ren Detektoren aufge-     tung über dem Gyrus postcentralis ent-
                                                                                fangen. (Nach [78])       sprechend C3‘ bzw. C4‘) mit einer Sensiti-
                                                                                                          vität von annähernd 100% und einer Spe-
                                                                                                          zifität von 89–100% [59, 60]. Die Ablei-
                                                                                                          tung und Interpretation von SSEPs erfor-
                                                                                                          dern spezifische Kenntnisse, die in Neuro-
                                                                                                          monitoring-Kursen erlangt und durch
                                                                                                          den Erwerb des Zertifikats „Neuromoni-
                                                                                                          toring“ der DGAI nachgewiesen werden
                                                                                                          können [61].
                                                                                                              Das Erlöschen der kortikalen SSEP
                                                                                                          (N20/P25 in . Abb. 2) kann zum einen
                                                                                                          auf eine zerebrale Ischämie hinweisen,
                                                                                                          aber auch auf technische Fehler zurückzu-
                                                                                                          führen sein: Beispielsweise führt eine Dis-
                                                                                                          lokation der Stimulationselektroden oder
                                                                                                          eine Diskonnektion der Stimulationska-
                                                                                                          bel zu einer fehlenden Nervenstimulation
                                                                                                          und somit zu einem erloschenen kortika-
                                                                                                          len Potenzial. Um diese Fehlerquellen aus-
                                                                                                          schließen zu können, werden gleichzeitig
                                                                                                          die zervikalen SSEP (N13a/b in . Abb. 2)
                                                                                                          über HWK 2 oder 7 abgeleitet. Bei einem
                                                                                                          technischen Fehler wären diese ebenfalls
                                                                                                          erloschen, während sie bei einer zerebra-
                                                                                                          len Ischämie – im Gegensatz zum kortika-
                                                                                                          len Potenzial N20/P25– erhalten sind. So-
                                                                                                          mit ist die Ableitung der zervikalen SSEPs
                                                                                                          ein wichtiges Qualitätsmerkmal, um tech-
                                                                                                          nische Fehler von zerebralen Ischämien
    Abb. 5 8 Darstellung der NIRS-Monitoringsysteme verschiedener Hersteller: NIRO-200NX der Firma        unterscheiden zu können und somit dem
    Hamamatsu Photonics, mit freundlicher Genehmigung der Firma Hamamatsu Photonics Deutschland
                                                                                                          Chirurgen gegenüber eine verlässliche
    GmbH (oben links), INVOS™ der Firma Somanetics Corp, mit freundlicher Genehmigung von Covidien
    (oben rechts), FORE-SIGHT™ der Firma CAS Medical Systems, mit freundlicher Genehmigung der Firma      Aussage über die zerebrale Perfusion tref-
    CAS Medical Systems Inc. (unten links), und EQUANOX™ der Firma Nonin Medical Inc., mit freundlicher   fen zu können.
    Genehmigung von Nonin Medical Inc. (unten rechts)                                                         Weiterhin ist für die gezielte Erken-
                                                                                                          nung fokaler Ischämien der Ort der Ner-
    flusst. Da das SSEP-Signal sehr schwach             teeinstellung 1–2 min), jedoch lässt sich         venstimulation entscheidend. So lassen
    ist (die Amplitude liegt bei wenigen µV             aufgrund der optimierten Potenzialablei-          sich Ischämien im Versorgungsgebiet der
    und ist somit um den Faktor 1000 klei-              tung unter Narkose und Muskelrelaxie-             A. cerebri media bei Stimulation des N.
    ner als beim EKG), wird es erst durch das           rung eine auftretende zerebrale Ischämie          medianus nachweisen, das entsprechen-
    technische Verfahren der Signalmittelung            oftmals bereits während des Mittelungs-           de Areal der A. cerebri anterior hingegen
    messbar gemacht: Hierbei werden Störsi-             vorgangs nach 10–20 s erkennen. Hierbei           wird durch Stimulation des N. tibialis er-
    gnale eliminiert und das eigentliche SSEP           wird eine Amplitudenreduktion der SSEP            fasst.
    durch die Summation vieler Einzelpoten-             um mehr als 50% als Zeichen einer Ischä­              Einschränkend ist anzumerken, dass
    ziale verstärkt. Diese Signalmittelung er-          mie gewertet (. Abb. 3). Wenngleich die-          Polyneuropathien die Nervenleitfähigkeit
    fordert eine gewisse Zeit (je nach Gerä-            ser Grenzwert zunächst gewissermaßen              reduzieren und die Ableitung von SSEPs

438 |   Zeitschrift für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie 6 · 2014
zerebrale
                                                                                          O2-Sättigung (rSO2)

                                                           beidseitiger rSO2-             Kopfpositionierung                   einseitiger rSO2-
                                                            Abfall um 20%                    überprüfen                         Abfall um 20%

                                                                                     Fehllage von Kathetern (ZVK)
                                                                                   oder Kanülen (Aorta, V. cava sup.)?
       Behandeln und                 arterielle            mittlerer arterieller
      Ursache abklären              Hypotension                Blutdruck?
                                                                                            nein            ja             Repositionierung oder Entfernung
                                                                                                                              von Katheter bzw. Kanüle
                                                           normaler Blutdruck

       Behandeln und                                          systemische
                                   SaO2 abnormal
      Ursache abklären                                       O2-Sättigung?

                                                              SaO2 normal

      Hyperventilation               65%)                                                             erhöht
                                                                                                    erhöht
      kardiale Funktion
                                                        Zerebraler O2-Verbrauch?                     normal                        intrakranieller Druck?
         optimieren

Abb. 6 8 Vorgehen bei einem Abfall der zerebralen O2-Sättigung. Algorithmus für den intraoperativen Einsatz der zerebralen
Nahinfrarotspektroskopie (NIRS). (Modifiziert nach [84]; mit freundlicher Genehmigung von SAGE Publications)

erschweren oder gar unmöglich machen.                tienten zeigen, dass bei 1,5% der Patien-                   [64]: Sowohl volatile als auch intravenöse
Dies trifft gerade auch für die Kardioan-            ten die SSEPs erhalten blieben, obwohl sie                  Anästhetika reduzieren dosisabhängig die
ästhesie zu, wo der Diabetes mellitus mit            einen ischämiebedingten Ausfall der mo-                     Amplitude der MEPs [65], weshalb für ein
seinen Komplikationen zu den häufigsten              torisch evozierten Potenziale (MEP) zeig-                   aussagekräftiges MEP-Monitoring eine
Komorbiditäten gehört.                               ten. Diese Ergebnisse legen nahe, dass das                  gleichbleibende Narkosetiefe erforder-
    Generell ist auch zu beachten, dass die          MEP-Monitoring eine sinnvolle Ergän-                        lich ist. Generell ist die amplitudenredu-
Hypothermie während des Einsatzes der                zung zum SEP-Monitoring bei Karotis-                        zierende Wirkung bei volatilen Anästheti-
Herz-Lungen-Maschine zu einer (vorher-               Endarterektomien darstellt.                                 ka wesentlich ausgeprägter, sodass eine to-
sagbaren) Verzögerung der Nervenlei-                     Bei der thorakalen Aortenchirurgie sind                 tale intravenöse Anästhesie mit Propofol
tung, d. h. einer Verlängerung der SSEP-             insbesondere die weniger gut kollaterali-                   als bevorzugtes Narkoseverfahren beim
Latenzen führt [62]. Beim Auftreten von              sierten motorischen Vorderstrangbah-                        MEP-Monitoring verwendet wird. Zu-
fokalen zerebralen Ischämien zum Bei-                nen des Rückenmarks von einer Ischämie                      sätzlich unterdrücken Muskelrelaxanzien
spiel infolge von Embolien ist es theore-            betroffen, insbesondere wenn die Aor-                       die MEP fast vollständig. Bei Beachtung
tisch denkbar, dass beim Patienten keine             ta oberhalb des Abgangs der A. radicula-                    dieser Limitationen, d. h. mithilfe einer
sensorischen, wohl aber motorische De-               ris magna (Höhe Th12) abgeklemmt wird.                      totalen intravenösen Anästhesie, mit Ver-
fizite auftreten könnten. In diesem Fall             Ein verlässliches Ischämie-Monitoring er-                   zicht auf eine Muskelrelaxierung – resp.
würden die SSEPs – trotz Ischämie – er-              fordert in diesem Fall die Ableitung mo-                    einer mittels neuromuskulärem Monito-
halten bleiben. Beispielsweise konnten               torisch evozierter Potenziale (MEP). Die-                   ring kontrolliert titrierten, milden Mus-
Malcharek et al. [63] in einer multizen­             se MEP werden in weitaus stärkerem Ma-                      kelrelaxierung – und einer gleichbleiben-
trischen Studie bei 600 Karotis-TEA-Pa-              ße durch Anästhetika beeinflusst als SEP                    den Narkosetiefe während entscheiden-

                                                                                            Zeitschrift für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie 6 · 2014        | 439
Evidenzbasierte Medizin

                                                        gularis mit geeigneten Kathetern gemes-         die Gefäßwand gedrückt werden, was zu
                                                        sen werden kann. Die Katheteranlage ent-        vielfältigen Messartefakten führen kann.
                                                        spricht einer typischen ZVK-Anlage, wo-         Bei einem in die A. pulmonalis eingeführ-
                                                        bei der Katheter jedoch nicht nach kau-         ten Swan-Ganz-Katheter „schwimmt die-
                                                        dal, sondern nach kranial vorgeschoben          ser mit dem Blutstrom“ und berührt somit
                                                        wird [67]. Die Lage der Katheterspitze ist      meist nicht die Gefäßwand, womit eine
                                                        für die Validität des Verfahrens von ent-       fehlerarme Messung ermöglicht wird.
                                                        scheidender Bedeutung und sollte daher
                                                        radiologisch kontrolliert werden. Der ju-       Nahinfrarotspektroskopie (NIRS)
                                                        gulär gemessene CO2-Partialdruck ist hö-        Die Nahinfrarotspektroskopie beruht
                                                        her als der zentralvenöse, was ebenfalls        ebenso wie die Pulsoxymetrie auf der
                                                        als Kriterium für eine korrekte Kathe-          unterschiedlichen Lichtabsorption oxy-
                                                        terlage herangezogen werden kann [68].          genierten und desoxygenierten Hämo-
                                                        Wenn die Katheterspitze knapp unterhalb         globins. Hierzu wird eine Optode (licht-
                                                        des Bulbus der V. jugularis liegt, so sind      dicht) auf die Stirn des Patienten geklebt,
                                                        die O2-Sättigung dort – durch die hier          die sowohl die Lichtquelle (eine Leucht-
                                                        einmündende extrazerebrale V. facialis          diode) als auch den Empfänger enthält
                                                        – falsch-hoch [69] und der CO2-Partial-         (. Abb. 4). Das Nahinfrarotlicht durch-
    Abb. 7 8 Prinzip der transkraniellen Dopplerso-
    nographie, wobei in dieser Abbildung die rech-      druck falsch-niedrig. Auch bei korrekter        läuft auf seinem Weg zum Empfänger so-
    te A. cerebri media über ein rechtstemporales       Katheterlage ist auf eine langsame Aspira-      wohl extrazerebrales (Kopfschwarte, Ka-
    Schallfenster insoniert wird. ©Rune Aaslid, with    tion des Blutes zu achten, da es bei zügi-      lotte) als auch zerebrales Gewebe, die bei-
    the title „Transcranial Doppler Insonation of the   ger Blutentnahme ebenfalls zur extrazere-       de zur Lichtabsorption beitragen. Da-
    Cerebral Circulation“ (http://en.wikipedia.org/
                                                        bralen Blutbeimengung mit falsch-hohen          her besteht die Möglichkeit, dass eine –
    wiki/File:Transcranial_doppler.jpg) is licensed
    under the Creative Commons Attribution 3.0 Li-      Sättigungswerten kommt [69].                    durch eine zerebrale Ischämie verursach-
    cense (http://creativecommons.org/licenses/             Der Normalbereich für die SjO2 liegt        te – niedrige zerebrale O2-Sättigung durch
    by/3.0/). No modifications were made                bei 55–75%, wobei ein Abfall auf unter          eine hohe extrazerebrale O2-Sättigung
                                                        50% als Zeichen einer zerebralen Ischä-         maskiert wird, was als „extrazerebrale
    der Operationsphasen lassen sich kri-               mie gewertet wird [70]. Globale zerebra-        Kontamination“ bezeichnet wird. Moder-
    tische spinale Ischämien erkennen und               le Ischämien lassen sich mit der Bulbus-ju-     ne NIRS-Geräte (. Abb. 5) reduzieren
    durch gezielte perfusionssteigernde Maß-            gularis-Oxymetrie erkennen, hingegen blei-      durch entsprechende technische Maßnah-
    nahmen (Reimplantation von Segment­                 ben fokale Ischämien meist unerkannt, da        men (ein zweiter Lichtweg für extrazere-
    arterien, Liquordrainage usw.) bleiben-             sich sowohl in den Sinus als auch im Bul-       brales Gewebe) diese extrazerebrale Kon-
    de Paraplegien wirksam verhindern [66].             bus der V. jugularis das venöse Blut ischä-     tamination, eine vollständige Elimination
        Die Wissenschaftlichen Arbeitskrei-             mischer als auch nichtischämischer Area-        ist jedoch nicht möglich [72]. Eine weite-
    se Kardioanästhesie und Neuroanästhesie             le durchmischt. Hieraus resultiert eine ho-     re methodische Limitation ergibt sich da-
    der DGAI, die Cardiovascular and Thora-             he Spezifität, aber eine niedrige Sensitivi-    raus, dass die kommerziell erhältlichen
    cic Anaesthesia Group der SGAR sowie die            tät des Verfahrens, d. h., eine niedrige SjO2   NIRS-Geräte der aktuellen Generation
    DGTHG empfehlen somatosensibel evo-                 lässt auf eine zerebrale Ischämie schlie-       keine absoluten Hämoglobinkonzentra-
    zierte Potenziale (SSEPs) bei Karotis-End­          ßen. Hingegen kann bei einer normalen           tionen angeben können, sondern nur re-
    arterektomien in Vollnarkose als Verfah-            SjO2 eine zerebrale Ischämie nicht ausge-       lative Änderungen dieser Chromophoren.
    ren der ersten Wahl zur Detektion zereb-            schlossen werden.                                   Das zerebrale Blutvolumen setzt sich
    raler Ischämie einzusetzen (. Tab. 5, 7).               Bei herzchirurgischen Eingriffen tre-       zu ungefähr 20% aus arteriellem, zu 5%
    Weiterhin wird empfohlen, motorisch evo-            ten zerebrale Entsättigungen (SjO2
Tab. 5  Evidenzbasierte Empfehlungen der wissenschaftlichen Arbeitskreise zum                                     Schwellenwert kommt dennoch eine ste-
 ­Neuromonitoring in der Kardioanästhesie                                                                          tig wachsende Zahl Studien, sowohl große
 Verfahren                  Indikation                                       Zweck/Grund                           retrospektive Kohortenstudien als auch
 Prozessiertes EEG          Risikopatienten für Awareness [41–43]            Verhinderung von Awareness            kleinere prospektive Studien aus den Be-
                            (EF
Evidenzbasierte Medizin

        Tab. 6    Expertenmeinungsbasierte,             sollte [92]. Im Weiteren kann NIRS nütz-        tektiert werden wird. Dennoch kann NIRS
        optionale Empfehlungen der wissenschaft-        lich sein zur Steuerung der Flussrate wäh-      wertvolle Hinweise auf eine regionale zere-
        lichen Arbeitskreise zum NIRS-Monitoring        rend selektiver Hirnperfusion zwecks Ver-       brale Ischämie liefern, die in Allgemeinan-
        in der Kardioanästhesie. Bei folgenden          meidung einer Hypoperfusion [93]. Wie           ästhesie ohne ein Neuromonitoring-Verfah-
        Patienten bzw. Eingriffen erwarten die          bereits bei den pädiatrischen Eingriffen        ren nicht erkannt werden würde.
        Arbeitskreise einen Vorteil durch eine NIRS-
                                                        erwähnt, kann auch bei Erwachsenen                  Zwischenzeitlich wurde zwischen den
        Überwachung, auch wenn hierfür zurzeit
                                                        von einem fehlenden regionalen rSO2-            Arbeitskreismitgliedern diskutiert, ob ei-
        noch keine ausreichende Evidenz vorliegt
                                                        Abfall nicht zwangsläufig auf eine korrek-      ne weitergehende (als die oben erwähnte)
        Risikopatienten bzw. Risikoeingriffe für
        eine zerebrale Minderperfusion
                                                        te Kanülenpositionierung bzw. eine aus-         Empfehlung für das NIRS-Monitoring
                                                        reichende globale zerebrale Perfusion ge-       ausgesprochen werden soll, wobei die ge-
        Patienten mit einem Zustand nach Apoplex
        und bestehenden neurologischen Defiziten        schlossen werden.                               samte Bandbreite von keiner bis hin zu ei-
        Patienten mit einer mittelschweren (Grad 2)         Die Vorteile der NIRS-Methode er-           ner generellen Empfehlung bei allen herz-
        oder schweren (Grad 3) arteriellen              geben sich durch die einfache, schnelle,        chirurgischen Eingriffen diskutiert wur-
        Hypertonie                                      nichtinvasive und kontinuierliche Mes-          de. Die wesentlichen Aspekte dieser Dis-
        – Entsprechend einem systolischen Blutdruck     sung. Hingegen sind die Kosten für die          kussion sind auf der Homepage des Wis-
        ≥160 mmHg [102]                                 NIRS-Optoden als Einmalartikel nicht-           senschaftlichen Arbeitskreises Kardio­
        Patienten mit hochgradige(n)                    unerheblich. Die beschränkte räumliche          anästhesie (http://www.ak-kardioanaes-
        Karotisstenose(n)
                                                        Auflösung der kommerziell erhältlichen          thesie.de/) nachzulesen. Schließlich konn-
        – D. h. ≥70%-Stenosegrad gemäß
        NASCET-Kriterien [103]                          NIRS-Geräte schränkt die Sensitivität für       te folgender Kompromiss erarbeitet wer-
        Herz- (HTX) oder Lungentransplantation (LTX)
                                                        fokale Ischämien stark ein, sodass regio-       den:
                                                        nale zerebrale Ischämien unter Umstän-              Bei bestimmten Risikopatienten [Z. n.
                                                        den nicht erkannt werden, insbesonde-           Apoplex mit Residuen, arterielle Hyperto-
    Überwachung mittels NIRS nicht nur auf              re wenn sie außerhalb des durchleuchte-         nie ab Grad 2, hochgradige Karotissteno-
    den operativen Eingriff zu beschränken,             ten frontalen Kortex stattfinden. Hinge-        se(n)] bzw. -eingriffen (HTX und LTX),
    sondern auch auf der Intensivstation bzw.           gen ist das Verfahren – als eines von we-       die in besonderem Maße mit dem Risiko
    während diagnostischer Eingriffe (z. B.             nigen – zum Einsatz bei allen Altersgrup-       einer zerebralen Minderperfusion verge-
    Herzkatheter) weiterzuführen. Ernst zu              pen, d. h. vom Neonaten bis zum Erwach-         sellschaftet sind, erwarten die Arbeitskrei-
    nehmende Daten weisen auf einen Zu-                 senen geeignet.                                 se einen Vorteil von einer NIRS-Überwa-
    sammenhang zwischen zerebraler Entsät-                  Die Wissenschaftlichen Arbeitskrei-         chung, auch wenn hierfür zurzeit noch kei-
    tigung, neurologischen Entwicklungsstö-             se Kardioanästhesie und Neuroanästhesie         ne ausreichende Evidenz vorliegt. Daher
    rungen und radiologisch im MRT nach-                der DGAI, die Cardiovascular and Tho-           sprechen die Arbeitskreise hierfür eine ex-
    weisbaren Veränderungen hin [89]. In                racic Anaesthesia Group der SGAR sowie          pertenmeinungsbasierte, optionale Emp-
    Deutschland wird die NIRS bei kinder-               die DGTHG empfehlen die Anwendung               fehlung aus (. Tab. 6) und erachten ein
    kardiochirurgischen Eingriffen im Rah-              der Nahinfrarotspektroskopie bei der Kor-       NIRS-Monitoring bei diesen Risikopatien-
    men der Qualitätssicherung vom Kom-                 rektur angeborener Herzfehler im Kindes-        ten als wünschenswert.
    petenznetz für Angeborene Herzfehler                alter als auch bei Operationen am Aorten-
    (http://www.kompetenznetz-ahf.de/) ab-              bogen im Kindes- und Erwachsenenalter           Messung des zerebralen
    gefragt.                                            (. Tab. 5, 7). Hierbei sollte ein rSO2-Ab-      Hämodynamik/Blutflusses
        Bei Erwachsenen hat NIRS einen zu-              fall als Warnhinweis ernst genommen wer-
    nehmenden Stellenwert speziell in der               den und zu einer Ursachenabklärung ge-          Transkranielle
    Chirurgie des Aortenbogens erlangt: In              mäß . Abb. 6 führen.                            Dopplersonographie (TCD)
    zahlreichen – wenn auch kleineren – Stu-                Zur Überwachung von Karotisendar-           Die TCD kommt dem Wunsch nach der
    dien und Einzelfallberichten konnte ge-             tektomien unter Allgemeinanästhesie wird        Messung des – für das zerebrale O2-Ange-
    zeigt werden, dass das NIRS-Monitoring              NIRS als Verfahren der zweiten Wahl emp-        bot so wichtigen – CBF recht nahe: Mit-
    hilfreich ist, eine zerebrale Minderper-            fohlen. Das NIRS-Monitoring ist bei die-        tels Ultraschall wird die Flussgeschwin-
    fusion infolge einer Fehllage von aorta-            sen Eingriffen in Bezug auf Sensitivität        digkeit von Erythrozyten in den großen
    ler Kanüle bzw. der Kanüle für die selekti-         und Spezifität der Erkennung einer Shunt-       zerebralen Arterien gemessen (. Abb. 7;
    ve Hirnperfusion zu diagnostizieren [90,            pflichtigen zerebralen Ischäme den SSEPs        [94]). Aus dieser Flussgeschwindigkeit
    91], die an einem plötzlichen rSO2-Abfall           (Verfahren der ersten Wahl) unterlegen.         lassen sich Rückschlüsse auf den Blutfluss
    zu erkennen ist. Weiterhin hilft das NIRS-          Falls ein SSEP-Monitoring jedoch nicht zur      treffen, eine genaue Quantifizierung des
    Monitoring diejenigen Patienten zu iden-            Verfügung steht, wird die Überwachung           CBF ist jedoch – mangels einer genauen
    tifizieren, bei denen eine einseitige selek-        mittels NIRS empfohlen. Hierbei sollte be-      Messung des Gefäßdurchmessers – nicht
    tive Hirnperfusion nicht ausreichend ist            achtet werden, dass allgemein akzeptier-        möglich. Weiterhin ist die Schädelkalotte
    (erkennbar durch einen einseitigen rSO2-            te rSO2-Grenzwerte für die Einlage eines        für Ultraschall im Wesentlichen undurch-
    Abfall) und daher auf eine bilaterale an-           Shunts nicht existieren bzw. eine Shunt-        lässig, nur an relativ dünnen Knochen-
    tegrade Hirnperfusion umgestellt werden             Pflichtigkeit nicht in jedem Fall korrekt de-   stellen (den „Schallfenstern“, zum Bei-

442 |   Zeitschrift für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie 6 · 2014
Tab. 7    Empfehlungen der wissenschaftlichen Arbeitskreise zum Neuromonitoring bei verschiedenen Operationsverfahren
                                             Prozessiertes EEG            SSEP     MEP                NIRS        Überwachung von
 Aortokoronarer Bypass
 Unkompliziert                               Kein Neuromonitoring
 Bei Risikopatienten für eine zerebrale Minderperfusion [Z. n. Apoplex mit Residuen,                  (X)         Detektion eines rSO2-Abfallsa,b
 arterielle Hypertonie ab Grad 2, ≥70%ige Karotisstenose(n)]
 In TIVA                                     X                                                                    Narkosetiefe, Awareness
 Kombiniert mit Karotis-TEA                                               X                           (X)         Shunt-Pflichtigkeit
 EF
Evidenzbasierte Medizin

    Nachweis von HITS im Rahmen von For-                das Messverfahren und seine Limitatio-                     4.	McKhann GM, Grega MA, Borowicz LM Jr et al
                                                                                                                       (2006) Stroke and encephalopathy after cardiac
    schungsprojekten, vorbehalten.                      nen erfordert.                                                 surgery: an update. Stroke 37(2):562–571
                                                                                                                   5.	Wolman RL, Nussmeier NA, Aggarwal A et al
                                                                                                                       (1999) Cerebral injury after cardiac surgery:
    Empfehlungen                                        Korrespondenzadresse                                           identification of a group at extraordinary risk.
                                                                                                                       Multicenter Study of Perioperative Ischemia Re-
    Die Wissenschaftlichen Arbeitskreise                Priv.-Doz. Dr. Martin Söhle, MHBA, DESA                        search Group (McSPI) and the Ischemia Research
    Kardioanästhesie und Neuroanästhesie                Klinik für Anästhesiologie und Operative                       Education Foundation (IREF) Investigators. Stro-
                                                                                                                       ke 30(3):514–522
    der DGAI, die Cardiovascular and Thora-             Intensivmedizin
                                                                                                                   6.	Naylor AR, Mehta Z, Rothwell PM, Bell PR (2002)
                                                        Universitätsklinikum Bonn
    cic Anaesthesia Group (CTA) der Schwei-                                                                            Carotid artery disease and stroke during coro-
                                                        Sigmund-Freud-Str. 25, 53105 Bonn                              nary artery bypass: a critical review of the litera-
    zerischen Gesellschaft für Anästhesiolo-            martin.soehle@ukb.uni-bonn.de                                  ture. Eur J Vasc Endovasc Surg 23(4):283–294
    gie und Reanimation (SGAR) sowie die                                                                           7.	Roach GW, Kanchuger M, Mangano CM et al
    Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz-                                                                           (1996) Adverse cerebral outcomes after corona-
    und Gefäßchirurgie (DGTHG) sprechen                                                                                ry bypass surgery. Multicenter Study of Periope-
                                                        Einhaltung ethischer Richtlinien                               rative Ischemia Research Group and the Ische-
    die in den . Tab. 5, 6, 7 wiedergegebenen           Interessenkonflikt.                                            mia Research and Education Foundation Investi-
    Empfehlungen für das Neuromonitoring                Für den Wissenschaftlichen Arbeitskreis Kardioanäs-            gators. N Engl J Med 335(25):1857–1863
    in der Kardioanästhesie aus.                        thesie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiolo-        8.	Gottesman RF, Sherman PM, Grega MA et al
                                                        gie und Intensivmedizin (DGAI):                                (2006) Watershed strokes after cardiac surge-
        Diese Empfehlungen sind differen-               F	I. Brandes: kein Interessenkonflikt,                        ry: diagnosis, etiology, and outcome. Stroke
    ziert nach Neuromonitoring-Verfahren                F	M. Heringlake hat Forschungsunterstützung                   37(9):2306–2311
    (. Tab. 5, 6) bzw. nach der Art der Ope-                 und Vortragshonorare von der Fa. Covidien er-         9.	Edmonds HL Jr (2005) Protective effect of neuro-
                                                             halten,                                                   monitoring during cardiac surgery. Ann N Y Acad
    ration (. Tab. 7). Wie bereits ausgeführt           F	A. Koster: kein Interessenkonflikt,                         Sci 1053:12–19
    steht der Nachweis einer Verbesserung               F	P. Michels: kein Interessenkonflikt,                   10.	Goldman S, Sutter F, Ferdinand F, Trace C (2004)
    des Behandlungsergebnisses durch ent-               F	U. Schirmer: kein Interessenkonflikt.                       Optimizing intraoperative cerebral oxygen de-
                                                                                                                       livery using noninvasive cerebral oximetry de-
    sprechende Neuromonitoring-Verfahren                                                                               creases the incidence of stroke for cardiac surgi-
                                                        Für den Wissenschaftlichen Arbeitskreis Neuroanäs-
    im Rahmen multizentrischer, randomi-                thesie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiolo-
                                                                                                                       cal patients. Heart Surg Forum 7(5):E376–E381
    sierter kontrollierter klinischer Studien                                                                     11.	Murkin JM, Adams SJ, Novick RJ et al (2007) Mo-
                                                        gie und Intensivmedizin (DGAI):
                                                                                                                       nitoring brain oxygen saturation during coro-
    noch aus. Daher sind die Empfehlungen               F	M. Dinkel hat Vortragshonorare von den Fir-
                                                                                                                       nary bypass surgery: a randomized, prospective
                                                             men Inomed und Medtronic erhalten,
    zum Teil im Sinne einer Expertenmei-                F	M. Menzel: kein Interessenkonflikt,
                                                                                                                       study. Anesth Analg 104(1):51–58
    nung zu interpretieren.                                                                                       12.	Slater JP, Guarino T, Stack J et al (2009) Cerebral
                                                        F	P. Michels: s. oben (kein Interessenkonflikt),
                                                                                                                       oxygen desaturation predicts cognitive decli-
                                                        F	L. Schaffranietz: kein Interessenkonflikt,
                                                                                                                       ne and longer hospital stay after cardiac surgery.
                                                        F	G. Schneider: kein Interessenkonflikt,
    Schlussfolgerungen                                  F	M. Söhle hat Forschungsunterstützung und
                                                                                                                       Ann Thorac Surg 87(1):36–44
                                                                                                                  13.	Fitch W (2000) Brain metabolism. In: Cottrell JE,
                                                             Vortragshonorare von der Fa. Covidien erhal-
                                                                                                                       Smith DS (Hrsg) Anesthesia and neurosurgery,
    Bislang kommt keinem der beschriebe-                     ten.
                                                                                                                       4. Aufl. Mosby, St. Louis, S 1–16
    nen Verfahren ein Alleinstellungsmerk-                                                                        14.	Soehle M (2012) Cerebral ischemia: options for
                                                        Für die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und           perioperative neuroprotection. In: Brambrink
    mal als „optimales“ Neuromonitoring                 Gefäßchirurgie (DGTHG):                                        AM, Kirsch JR (Hrsg) Essentials of neurosurgical
    in der Kardioanästhesie zu; dies ist auf-           F	I. Eichler: kein Interessenkonflikt,                        anesthesia & critical care. Strategies for preventi-
    grund der Unterschiedlichkeit der erfass-           F	A. Markewitz: kein Interessenkonflikt.                      on, early detection, and successful management
    ten Variablen auch nicht zu erwarten.                                                                              of perioperative complications. Springer, Berlin
                                                        Für die Cardiovascular and Thoracic Anaesthesia                Heidelberg New York Tokio, S 175–184
    Manche der Verfahren – wie zum Beispiel             Group (CTA) der Schweizerischen Gesellschaft für An-      15.	Lassen NA, Astrup J (1990) Cerebral blood flow:
    die Bulbus-jugularis-Oxymetrie – sind               ästhesiologie und Reanimation (SGAR):                          normal regulation and ischemic thresholds. In:
    global ausgerichtet und daher für die Er-           F	R. Basciani hat Vortragshonorare von den Fir-               Weinstein PR, Faden AI (Hrsg) Protection of the
                                                            men Covidien und Medtronic erhalten.                       brain from ischemia. Williams & Wilkins, Balti-
    kennung von fokalen Ischämien wenig                                                                                more
    geeignet. Alle regionalen Messverfah-                                                                         16.	Bowler JV (2000) Cerebral blood flow. In: Cro-
                                                        Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen            ckard A, Hayward R, Hoff JT (Hrsg) Neurosurge-
    ren – wie EEG, SEP, NIRS und TCD – kön-             oder Tieren.                                                   ry. The scientific basis of clinical practice, 3. Aufl.
    nen fokale Ischämien erfassen, allerdings                                                                          Blackwell, Oxford, S 127–141
    nur, wenn die Messung über dem betrof-              Literatur                                                 17.	Aaslid R, Lindegaard KF, Sorteberg W, Nornes H
    fenen Hirnareal durchgeführt wird. Bei                                                                             (1989) Cerebral autoregulation dynamics in hu-
                                                           1.	Newman MF, Croughwell ND, Blumenthal JA et              mans. Stroke 20(1):45–52
    Beachtung der beschriebenen Limitatio-                                                                        18.	Drummond JC (1997) The lower limit of autor-
                                                               al (1994) Effect of aging on cerebral autoregu-
    nen (. Tab. 4) liefern die beschriebenen                   lation during cardiopulmonary bypass. Associa-          egulation: time to revise our thinking? Anesthe-
    Neuromonitoring-Verfahren wertvolle                        tion with postoperative cognitive dysfunction.          siology 86(6):1431–1433
                                                               Circulation 90(5 Pt 2):II243–II249                 19.	Joshi B, Ono M, Brown C et al (2012) Predicting
    Hinweise auf den Zustand und die Funk-                                                                             the limits of cerebral autoregulation during car-
                                                           2.	Rudolph JL, Schreiber KA, Culley DJ et al (2010)
    tion des Gehirns. Insgesamt kann ein ap-                   Measurement of post-operative cognitive dys-            diopulmonary bypass. Anesth Analg 114(3):503–
    paratives Neuromonitoring nur so gut                       function after cardiac surgery: a systematic re-        510

    sein wie sein Anwender, da eine sinnvolle                  view. Acta Anaesthesiol Scand 54(6):663–677
                                                           3.	Funder KS, Steinmetz J, Rasmussen LS (2009)
    Interpretation der Neuromonitoring-Er-                     Cognitive dysfunction after cardiovascular sur-
    gebnisse grundlegende Kenntnisse über                      gery. Minerva Anestesiol 75(5):329–332

444 |   Zeitschrift für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie 6 · 2014
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