Nordirland - Der Faustpfand im Brexit-Vertrag - Sabine Riedel

Die Seite wird erstellt Pirmin Wahl
 
WEITER LESEN
Nordirland - Der Faustpfand im Brexit-Vertrag - Sabine Riedel
2 / 2019

                                                                                          &

Sabine Riedel

Nordirland – Der Faustpfand im Brexit-Vertrag
Ein Landesteil des Vereinigten Königreichs wird zum Spielball (supra-)nationaler Interessen

In der deutschen Öffentlichkeit überwiegt die Meinung, dass der Schlüssel für ein Brexit-Abkommen
in der Hand des Vereinigten Königreichs liege. Doch dieses Bild trügt schon allein deshalb, weil an
einem internationalen Vertrag mindestens zwei Parteien beteiligt sind. Tatsächlich trägt die Europä-
ische Union im gleichen Maße Verantwortung für die aktuelle Lage und der Gefahr eines ungeregel-
ten Brexits. Denn Theresa May hatte bereits im Juli 2018 einen akzeptablen und kreativen Plan, den
sogenannten Chequers-Plan vorgelegt, der die befürchteten harten Grenzkontrollen zwischen Nord-
irland und der Republik Irland überflüssig machen würde. Deshalb sollten die EU-Mitgliedstaaten
ihrem Chefunterhändler Michel Barnier die Frage stellen, warum er ihn rundweg ablehnte. Ganz of-
fensichtlich hat er sich die Interessen der irischen Regierung zu eigen gemacht, die den Brexit dazu
nutzen möchte, Nordirland aus dem Vereinigten Königreich herauszulösen und die irische Insel in
naher Zukunft politisch zu vereinen. Sollte eine solche expansionistische Außenpolitik in Europa
und der EU Schule machen, steht noch mehr auf dem Spiel als der Frieden in Nordirland.

Eigentlich hätte ein Satz seitens der EU genügt,                  Akteure hinter den Kulissen der Brexit-Verhand-
um Theresa May für die Abstimmung (15.1.2019)                     lungen und die Rolle der „Nordirland-Frage“ ana-
über den Brexit-Vertrag den Rücken zu stärken.                    lysiert. Es soll geprüft werden, ob Brüssel seiner
Doch Brüssel wollte nicht bestätigen, dass Nord-                  Aufgabe als ein neutraler supranationaler Akteur
irland ein Landesteil des Vereinigten Königreichs                 nachkommt, den Frieden in Europa zu erhalten.
(UK) bleibt. Deshalb befürchten die Kritiker Mays
über Parteigrenzen hinweg den Verlust der staat-                  Brüssel nahm Mays Niederlage in Kauf
lichen Souveränität. Denn der Brexit-Vertrag gibt                 Theresa Mays Niederlage bei der Abstimmung
keine Antwort auf die „Nordirland-Frage“, son-                    am 15.1.2019 über den Brexit-Vertrag war seit
dern verschiebt die Lösung des Grenzproblems                      dessen Veröffentlichung Mitte November 2018
zwischen UK und der Republik Irland. Erst ein                     absehbar. So hatte die Premierministerin schon
neu zu gründender Ausschuss soll bis Ende 2020                    den ersten Abstimmungstermin im britischen Un-
eine einvernehmliche Regelung finden.                             terhaus am 11.12.2018 verschieben müssen.
    Warum besteht Brüssel so vehement auf einer                   Denn nicht nur die nordirischen Unionisten (DUP,
Sonderregelung für Nordirland nach dem Brexit?                    Democratic Unionist Party) stellten ihre Unterstüt-
Es heißt, mit der Wiedereinführung von Grenz-                     zung in Frage, auf die May seit den vorgezoge-
kontrollen zwischen den beiden souveränen                         nen Parlamentswahlen (8.6.2017) angewiesen
Staaten würde der Nordirland-Konflikt wieder auf-                 ist. Zudem gingen schon während der Brexit-Ver-
flammen. Doch diese Gefahr droht ebenso im al-                    handlungen immer mehr Abgeordnete aus den ei-
ternativen Fall, nämlich bei der Errichtung einer                 genen Reihen auf Distanz zu ihrer Parteichefin.
Grenze zwischen Nordirland und Großbritannien.                        Dazu gehört Minister Dominic Raab, der bis
Denn sie würde ein politisch, rechtlich und wirt-                 zur Verabschiedung des Brexit-Vertrags die Ver-
schaftlich zusammengehörendes Staatsgebiet                        handlungsgespräche mit EU-Vertretern verant-
auseinanderdividieren. Damit wäre der Weg frei                    wortlich führte. Als Beweggründe für seinen
für eine Vereinigung der irischen Insel, für einen                Rücktritt nannte er in einem Interview „große und
lang gehegten Wunsch irischer Nationalisten. Im                   fatale Fehler“ in der aktuellen Vertragsfassung.
Folgenden werden die Interessen maßgeblicher                      Sie würde „die Integrität des Vereinigten König-

2019 Feb 7
Prof. Dr. Sabine Riedel, Professorin für Politikwissenschaft, Universität Magdeburg,
Wissenschaftlerin der Stiftung Wissenschaft und Politik, sabine.riedel@swp-berlin.org
Sabine Riedel: Nordirland – Der Faustpfand im Brexit-Vertrag

reichs gefährden“ und es „in ein Regelwerk zwin-               teuerten Juncker und Tusk, dass sie sich nach
gen“, in dem es kein Mitspracherecht und keinen                Abschluss des Brexit-Vertrags für „eine künftige
Ausstiegsmechanismus gäbe (BBC, 15.11.2018).                   Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich“
Mit Raab verlor die Premierministerin bereits ih-              einsetzen werden, fügten jedoch hinzu: „Wie sie
ren zweiten Brexit-Minister. Sein Vorgänger Da-                wissen, ist es uns nicht möglich Zusagen zu ma-
vid Davis war bis Anfang Juli 2018 und damit zwei              chen, die das Austrittsabkommen ändern oder im
Jahre im Amt. Er unterstützt heute seinen Nach-                Widerspruch dazu stehen würden.“ (Gemeinsa-
folger mit denselben Argumenten:                               mes Schreiben, 14.1.2019). Damit gaben sie zu
                                                               erkennen, dass Mays Kritiker den Brexit-Vertrag
   Das Brexit-Abkommen sei ein schlechter                      offenbar nicht missverstehen. Denn sie hätten die
   Vertrag, „erstens, weil er Nordirland vom Rest              Gelegenheit für eine Klarstellung nutzen können.
   des Vereinigten Königreichs abspalten würde                 Dagegen verstärkten sie den Eindruck, die EU-
   […]. Zweitens müssten wir bei diesem Deal so                Vertreter könnten ein Interesse daran haben, die
   lange in einer Zollunion bleiben, wie es die                Nordirland-Frage offen zu lassen.
   Europäische Union wünscht. Damit würden wir
   uns vollständig der Gegenseite ausliefern.“                 Die Nordirland-Frage im Brexit-Vertrag
   (Spiegel, 11.1.2019).                                       Dieser Eindruck entsteht deshalb, weil Theresa
                                                               May in ihrem Bittschreiben an die EU-Vertreter
    Diese Interpretation kann sich auf ein Rechts-             abermals bestätigte, dass das Belfast- bzw. Kar-
gutachten des Generalstaatsanwalts Geoffrey                    freitagsabkommen (10.4.1998) unangetastet blei-
Cox stützen, das die britische Regierung selbst in             ben werde. Durch diesen Friedensvertrag erhielt
Auftrag gegeben hatte. Ursprünglich war es ein                 Nordirland von London umfangreiche Autonomie-
vertrauliches Papier, dessen Existenz erst im                  rechte. Hierzu gehört neben einem nordirischen
Vorfeld der parlamentarischen Debatten über den                Regionalparlament und einer Regierung auch ein
Brexit-Vertrag bekannt wurde. Eine knappe                      Nord-Süd-Ministerrat (North/South Ministerial
Mehrheit des britischen Parlaments von 311 zu                  Council, NSMC). In diesem Gremium arbeiten Mi-
293 Abgeordneten zwang die Regierung schließ-                  nister der Republik Irland und Minister der nord-
lich zur Veröffentlichung des vollständigen Tex-               irischen Regionalregierung des Vereinigten Kö-
tes. Durch ihre anfängliche Weigerung, diese kri-              nigreichs über die britischen Staatsgrenzen hin-
tischen Einschätzungen vorab bekannt zu geben,                 weg zusammen (vgl. Belfast Agreement, Strand
hatte May ihre Position derart geschwächt, dass                Two, S. 13). Diese Institutionalisierung der zwi-
sie nicht umhinkam, die Abstimmung zu verschie-                schenstaatlichen Beziehungen nahm damals den
ben. Denn Generalstaatsanwalt Cox hatte in ei-                 irischen Separatisten Wind aus den Segeln. Sie
ner Parlamentsdebatte die Bedenken der Kritiker                führten einen langjährigen gewaltsamen Wider-
bestätigt. Das Abkommen mit der EU gäbe dem                    standskampf, um Nordirland aus dem Vereinigten
Vereinigten Königreich keine Möglichkeiten, aus                Königreich herauszubrechen und mit der Repub-
der Zollunion auszusteigen, falls im vereinbarten              lik Irland zu vereinen.
Übergangszeitraum kein Vertrag zur Nordirland-                     Mit dem Brexit wird diese ca. 500 Kilometer
Frage zustande komme (Legal advise, Absatz 30,                 lange irisch-britische Staatsgrenze, die nicht zu-
5.12.2018).                                                    letzt wegen des gemeinsamen EU-Binnenmarkts
    In dieser verfahrenen Situation wandte sich                heute kaum mehr sichtbar ist, zu einer Außen-
May zunächst an Regierungen einflussreicher                    grenze der EU. Deshalb mussten sich die Brexit-
EU-Mitgliedstaaten wie etwa Deutschland mit der                Verhandlungen auch mit einer Neugestaltung der
Bitte um Nachverhandlungen. Da all ihre Bemü-                  britisch-irischen Beziehungen befassen. Denn
hungen erfolglos blieben, schickte sie einen Tag               beide Seiten, die EU-27 wie auch das Vereinigte
vor der entscheidenden Abstimmung einen offe-                  Königreich, müssen ihre zukünftig getrennten
nen Brief nach Brüssel (14.1.2019), an Kommis-                 Binnenmärkte gegenseitig schützen und damit
sionspräsident Jean-Claude Juncker und Rats-                   den Warenverkehr in irgendeiner Form kontrollie-
präsident Donald Tusk. Darin bat sie beide um                  ren. Davon wird das Belfast-Abkommen in jedem
Unterstützung, vor allem um Zusagen hinsichtlich               Fall betroffen sein. Es stellt sich nur die Frage, ob
der Integrität des Vereinigten Königreichs. Damit              der neu zu schaffende Vertragsrahmen den Frie-
hätte May ihre Kritiker besänftigen und darlegen               den in dieser Region bewahren kann.
können, dass die EU die volle Wiederherstellung                    Anfang 2018 lagen noch drei Optionen zur Lö-
ihrer nationalstaatlichen Souveränität akzeptiere.             sung der Nordirland-Frage auf dem Verhand-
    Nur wenige Stunden später bekam sie eine                   lungstisch (EU-Kommission, 28.2.2018): Zwei
Antwort. In einem gemeinsamen Statement be-                    Vorschläge setzten voraus, dass die EU dem

                                                                                  2        FORSCHUNGSHORIZONTE
                                                                                                POLITIK & KULTUR
                                                                                                           2 / 2019
Sabine Riedel: Nordirland – Der Faustpfand im Brexit-Vertrag

Wunsch der Briten nachkommt, mit dem Austritts-                Abbildung 1:
vertrag gleichzeitig auch die zukünftigen Bezie-
hungen neu zu regeln. Dies läge eigentlich im In-
teresse einer Wahrung des Belfast-Abkommens,                    Auszüge aus dem Protokoll über
zumal London mehrfach versicherte, dass es die                  Irland/Nordirland des Brexit-Vertrags:
zukünftigen Kontrollen an der irisch-britischen
Grenze auf ein Minimum reduzieren wolle. Doch
                                                                „Unter Hinweis darauf, dass der Gemein-
diese Vertragsvarianten lehnte die EU letztlich
                                                                same Bericht der Verhandlungsführer der
ab. Zum einen aus Angst vor möglichen Nachah-
                                                                Europäischen Union und der Regierung des
mern, und zum anderen, weil „die Europäer wis-
                                                                Vereinigten Königreichs über die Fortschritte
sen, dass sie mehr Druck auf die Briten aufbauen,
                                                                in der ersten Phase der Verhandlungen
wenn sie die Verhandlungen in zwei Phasen auf-
                                                                nach Artikel 50 EUV über den geordneten
teilen.“ (Wirtschaftswoche, 29.4.2017)
                                                                Rückzug des Vereinigten Königreichs aus
    Die dritte von Brüssel präferierte Option folgt
                                                                der Europäischen Union vom 8. Dezember
genau dieser Logik. Sie klammert die Nordirland-
                                                                2017 drei verschiedene Szenarien zum
Frage aus dem Brexit-Vertrag aus und möchte sie
                                                                Schutz der Nord-Süd-Zusammenarbeit [zwi-
in einem späteren Vertrag lösen, der die zukünf-
                                                                schen der Republik Irland und Nordirland]
tigen Handelsbeziehungen zwischen der EU und
                                                                und zur Vermeidung einer harten Grenze
dem Königreich regeln soll. Um diese Option zu
                                                                enthält, dass jedoch dieses Protokoll auf
rechtfertigen, behaupten EU-Vertreter bis heute,
                                                                dem dritten Szenario der vollständigen
dass jedwede Form von Grenzsicherung des Ver-
                                                                Angleichung [Nordirlands] an die Regeln
einigten Königreichs gegenüber der Republik Ir-
                                                                des Binnenmarkts der Union und der Zoll-
land eine „harte Grenze“ darstelle. Michel Bar-
                                                                union beruht, die jetzt oder in Zukunft die
nier, Chefunterhändler der EU-Kommission,
                                                                Nord-Süd-Zusammenarbeit, die gesamte
brachte seine Position auf den Punkt: „Um etwa
                                                                Wirtschaft der [irischen] Insel und den Schutz
eine harte Grenze zu vermeiden, müssten in
                                                                des [Belfast-]Abkommens von 1998 unter-
Nordirland alle Regeln der EU-Zollunion und des
                                                                stützen, sofern nicht und bis eine alternative
Binnenmarkts weitergelten.“ (Spiegel, 8.6.2018)
                                                                Vereinbarung zur Umsetzung eines anderen
Dies soll der Backstop (dt. Auffangregelung) er-
                                                                Szenarios vereinbart ist, …“
möglichen, wonach das gesamte Vereinigte Kö-
nigreich für eine Übergangszeit bis Ende 2020                   Quelle: Brexit-Vertrag. S. 304, Übersetzung, Er-
(eng. transition period) im EU-Binnenmarkt bleibt.              gänzungen und Hervorhebung: S.R.], vgl. hierzu
                                                                auch Abbildung 2 auf Seite 5. [2.2.2019]
Wird es nach einer zweijährigen Verlängerung
keine Einigung in der Nordirland-Frage geben,
würde Großbritannien aus dem Binnenmarkt aus-
scheiden, während Nordirland als Teil seines                   gesehen Teil eines ausgeschiedenen EU-Mit-
Staatsgebiets von der EU „aufgefangen“ werde                   glieds bleibt. Nach den Plänen irischer Parteien
(vgl. hierzu das Protokoll über Irland/Nordirland              soll dieser Schwebezustand nicht bleiben, son-
zum Brexit-Vertrag in Abbildung 1). Was anfangs                dern einen Übergang hin zu einer Vereinigung mit
als eine von drei Optionen diskutiert wurde, ent-              der Republik Irland führen.
wickelte sich im Verlauf des Jahres 2018 zu ei-                    Dabei wäre eine Vereinigung zwischen der
nem für die EU alternativlosen Szenario.                       Republik Irland und Nordirland schon heute mög-
                                                               lich: Denn das Belfast-Abkommen erlaubt hierzu
Vom Sonderstatus zur Unabhängigkeit?                           eine Volksbefragung (Belfast-Abkommen, Annex
Der Brexit-Vertrag und insbesondere der darin                  A). So fordert die irisch-nationalistische Sinn Féin
enthaltene Backstop werten den Nord-Süd-Minis-                 (SF) eine Abstimmung über die irisch-britischen
terrat politisch auf, in dem Vertreter der Republik            Staatsgrenze (Reuters, 24.6.2016). Sie glaubt an
Irland und der nordirischen Regionalregierung                  ein positives Ergebnis, weil 55,8 Prozent der
zusammenarbeiten. Er soll zukünftig Entschei-                  Nordiren gegen den Brexit, d.h. für einen Verbleib
dungen fällen können, die über den nationalstaat-              in der EU votiert hatten (BBC, 24.6.2016). Die
lichen Organen des Vereinigten Königreichs ste-                zweite irisch-nationalistische Partei, die Social
hen. In Nordirland werden somit die gesetzlichen               Democratic and Labour Party (SDLP) sieht dies
Vorschriften des EU-Binnenmarkts gegenüber                     anders. Ihre stellvertretende Parteivorsitzende,
den britischen Gesetzen Vorrang haben. Damit                   Nichola Mallon, wünscht sich eine Grenz-Abstim-
würde diese Region einen Sonderstatus inner-                   mung (eng. border poll), „wenn sie gewonnen
halb der EU genießen, obwohl sie völkerrechtlich               werden kann" und nicht während der Brexit-Ver-

                                                                                  3        FORSCHUNGSHORIZONTE
                                                                                                POLITIK & KULTUR
                                                                                                           2 / 2019
Sabine Riedel: Nordirland – Der Faustpfand im Brexit-Vertrag

handlungen (The Irish Times, 23.9.2017). Selbst                  wenden. Dies sollte sich auf unsere Bestre-
etwas mehr als 50 Prozent wären ein Desaster,                    bungen für die gesamte Insel beziehen, nicht
so Mallon, das Gewalt provozieren könne.                         nur für Nord und Süd, sondern auch für Stadt
    Sinn Féin spielt nicht nur die Gefahr einer ge-              und Land, für Jung und Alt …“ (Fine Gael
waltsamen Zuspitzung des Nordirland-Konflikts                    2017, S. 8, Übersetzung: S.R.)
herunter, sie geht sogar bewusst auf Konfronta-
tion: Als stärkste Kraft des irisch-republikani-               Einen Kurswechsel in der Nordirland-Frage voll-
schen Lagers ist sie nach dem Proporzsystem                    zog auch die abgewählte konservative Fianna
des Belfast-Abkommen an der Regionalregierung                  Fáil. Sie setzte die Vereinigung der irischen Insel
beteiligt, nicht zuletzt mit dem Posten eines stell-           auf die politische Agenda und verspricht Nordir-
vertretenden Regierungschefs. Doch seit gut                    land sogar die Beibehaltung seines Regionalpar-
zwei Jahren verweigert SF jedwede Zusammen-                    laments (www.thejournal.ie, 13.5.2017).
arbeit mit den Unionisten, d.h. mit der Democratic
Unionist Party (DUP) unter Führung von Arlene                  EU-Separatisten blicken auf Nordirland
Foster. Deshalb bleiben die zehn Ministerposten                Im Gegensatz zu Nordirland haben die beiden an-
unbesetzt, so dass die staatliche Verwaltung                   deren autonomen Regionen des Vereinigten Kö-
zwar funktioniert, jedoch keine wichtigen Ent-                 nigreichs, Schottland und Wales, eigene Positio-
scheidungen fällen kann (BBC, 9.1.2019). Weil in               nen in den Brexit-Verhandlungen entwickeln kön-
dieser politisch aufgeheizten Situation die briti-             nen. Im Austrittsantrag vom Februar 2017 (vgl. S.
sche Zentralregierung keine Zwangsverwaltung                   18-20) hat die britische Regierung deren Minder-
einsetzen will, ist auch die Nordirlandministerin              heitenvoten berücksichtigt und auf deren Stel-
Karen Bradley zurzeit machtlos und handlungs-                  lungnahmen verwiesen. Darin formulierten beide
unfähig.                                                       als wichtigstes Anliegen, im EU-Binnenmarkt und
    Sinn Féins Politik des Boykotts ist nicht neu,             in der Zollunion zu bleiben.
schließlich verzichten ihre gewählten Vertreter                   In ihrem Papier „Schottlands Platz in Europa“
seit jeher auf ihre Sitze im Londoner Westmins-                (2016) entwickelte die Regionalregierung dazu
ter-Parlament. Doch mit ihrer derzeitigen Verwei-              verschiedene Optionen. Am liebsten wäre ihr ein
gerungshaltung verhindern sie die Mitsprache                   Verbleib in der EU als ein neu zu gründender
und Einflussnahme einer ganzen Region: Nordir-                 Staat. Sie würde sich auch mit weniger zufrieden-
land ist seit zwei Jahren weder bei den interminis-            geben, solange Schottland weiterhin am EU-Bin-
teriellen Treffen der Regionen des Vereinigten                 nenmarkt und an der Zollunion teilhaben kann.
Königreichs vertreten, noch bei den Sitzungen                  Von einer Rückübertragung von Kompetenzen
des British-Irish Council (BIC). Mangels einer                 aus Brüssel in den Bereichen Landwirtschaft und
funktionierenden Regionalregierung kam auch                    Fischerei sollte ihre Region unbedingt profitieren.
die Arbeit des Nord-Süd-Ministerrats zum Erlie-                Ähnliche Vorstellung äußerte die walisische Re-
gen, genau jenes Gremiums, das nach dem                        gionalregierung in ihrem Papier „Securing Wales‘
Brexit-Vertrag politisch aufgewertet und in seiner             Future“ (2017). Auch sie möchte am liebsten den
Entscheidungsbefugnis über die britische Regie-                Zugang zum EU-Binnenmarkt und zur Zollunion
rung gestellt werden soll (CCC, 14.9.2018).                    behalten. Doch eine Abspaltung von Großbritan-
    Die Maximalforderungen von SF konnten in                   nien war dort bislang kein Thema.
den letzten beiden Jahrzehnten die guten irisch-                  Im Verlauf der Brexit-Verhandlungen polari-
britischen Beziehungen kaum trüben. Doch we-                   sierte sich die politische Stimmung auch in diesen
nige Monate vor dem Brexit-Referendum gab es                   beiden Regionen. Dabei spielt ein möglicher
in der Republik Irland Neuwahlen, zu denen SF                  Staatszerfall des Vereinigten Königreichs infolge
als gesamt-irische Partei stets kandidiert, im Ge-             eines Backstop für Nordirland die entscheidende
gensatz zum britischen Parlament aber die iri-                 Rolle. Seit der Brexit-Abstimmung fordert die
schen Abgeordnetenmandate wahrnimmt. Es                        schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon
kam zu einem Regierungswechsel zugunsten der                   ein zweites Unabhängigkeits-Referendum. Da
liberalen Fine Gael, die sich unter dem Einfluss               der Brexit-Vertrag nur für Nordirland einen Sond-
von SF in der Nordirland-Frage neu positionierte.              derstatus vorsieht, ist ihrer Ansicht nach eine Ge-
In ihrem Parteiprogramm aus dem Jahre 2017                     rechtigkeitslücke entstanden. Diese könne nur
heißt es u.a.:                                                 gefüllt werden, wenn Schottland einen eigenen
                                                               Backstop, d.h. Auffangmechanismus bekäme,
   „Wir sollten den Ausdruck „Partei für ein verei-            nämlich die Gelegenheit zur Gründung eines
   nigtes Irland“ als Slogan für unsere Partei ver-            Staates als EU-Mitglied (Reuters, 8.10.2018).

                                                                                  4       FORSCHUNGSHORIZONTE
                                                                                               POLITIK & KULTUR
                                                                                                          2 / 2019
Sabine Riedel: Nordirland – Der Faustpfand im Brexit-Vertrag

   Auch in Wales heizen Separatisten die Stim-                     Am Beispiel Kataloniens wurde zuletzt deut-
mung in Richtung Unabhängigkeit an. Dort sitzt                 lich, wo die Grenzen der supranationalen EU-In-
der walisische Bündnispartner der Scottish Nati-               stitutionen liegen. Mit Artikel 3a des EU-Vertrags
onal Party (SNP), die Partei Plaid Cymru (PC),                 von Lissabon (2009) haben alle EU-Mitglieder
zwar auf der Oppositionsbank. Doch ihr Vorsit-                 versichert, dass sie sich nicht in die inneren An-
zender Adam Price hat ebenfalls die historische                gelegenheiten eines Nachbarstaats einmischen.
Chance für einen walisischen Staat erkannt, falls              Dies war der offizielle Grund dafür, warum Brüs-
es zu einem harten Brexit kommen sollte:

   „Der Appetit auf die schottische Unabhängig-                Abbildung 2:
   keit und die irische Einheit ist ungeheuer                  Backstop zur Verschiebung der Staatgrenze?
   groß.“ (…) Die Unabhängigkeit von Wales
   „muss auf den Tisch, (… um) sicherzustellen,
   dass unser Land nicht in einer Einheit aus                   Der Backstop (dt. Auffangmechanismus) des
   England und Wales verschwindet, die uns der                  Brexit-Vertrags (15.11.2018) zwischen dem
   Gnade von Westminster ausliefert.“ (BBC,                     Vereinigten Königreich (UK) und der Europäi-
   5.10.2018, Übersetzung: S.R.)                                schen Union (EU) sieht vor: UK wird erst
                                                                nach einer Übergangszeit (bis Ende Dezem-
SNP und PC spielen eine führende Rolle unter                    ber 2020) aus dem europäischen Binnen-
denjenigen Parteien in der EU, die einen separa-                markt und der Zollunion mit der EU ausschei-
tistischen Kurs verfolgen. Ihr aktuelles Programm               den, jedoch ohne Nordirland, falls keine Ver-
für die Wahlen zum Europaparlament 2019 doku-                   einbarungen zur Lösung der Nordirland-
mentiert, dass die britischen Regionen keine Ein-               Frage gefunden wird: Nordirland würde dann
zelfälle, sondern Teile einer Gesamtstrategie zur               ab 2021 von der EU 27 „aufgefangen“, d.h.
Reform der EU darstellen. Danach sollte allen                   im Binnenmarkt und der Zollunion verbleiben.
Unabhängigkeitsbewegungen „staatenloser Nati-                   Es würde sich nd sich Irland orientieren (vgl.
onen“ das Recht auf Unabhängigkeit zugestan-                    hierzu das Zitat in Abbildung 1, Seite 3).
den werden und sich dementsprechend die Zahl
der Mitgliedstaaten im Prozess einer internen EU-
Erweiterung vergrößern:

   „Wir vertreten die Interessen staatenloser Na-
   tionen und Völker, nationaler Minderheiten und
   Sprachgruppen. (…) Wir glauben an ein ande-
   res Europa – wo die Bretagne, das Elsass und
   die Vojvodina mehr Autonomie haben, wo Wa-
   les, Schottland, Katalonien und Bayern unab-
   hängig werden.“ (EFA 2019, S. 26).

Welche Interessen verfolgt Brüssel?
Da diese Reformvorschläge der Europäischen
Freien Allianz (EFA) und ihrer 11 Abgeordneten
im Europäischen Parlament schon vor Jahren
ausgearbeitet worden sind, dürfte die EU-Kom-
mission davon Kenntnis haben. Hier stellt sich die
Frage, ob ihr nicht bewusst ist, welche Vorbild-
rolle Nordirland für andere Regionen spielt. Sie
müsste erkannt haben, dass Theresa May nicht
ohne Grund im Backstop die Gefahr eines
Staatszerfalls des Vereinigten Königreichs sieht.
Der Kommission dürfte klar sein, dass in der
Folge auch andere EU-Mitgliedstaaten durch se-
paratistische Forderungen destabilisiert werden
könnten. Hierzu gehören aktuell Spanien und Bel-
gien, aber auch Italien oder Rumänien.                         Quelle: Eigene Zusammenstellung [S.R.]

                                                                                 5       FORSCHUNGSHORIZONTE
                                                                                              POLITIK & KULTUR
                                                                                                         2 / 2019
Sabine Riedel: Nordirland – Der Faustpfand im Brexit-Vertrag

sel zum Katalonien-Konflikt offiziell keine Stellung           rigkeiten vergeben, um politisch Einfluss zu neh-
bezogen hatte. Ohne einen solchen Respekt vor                  men oder Arbeitskräfte zu rekrutieren.
der inneren Souveränität der Staaten wäre eine                     In diesem Zusammenhang ist ein Thema inte-
Zusammenarbeit in Europa gerade angesichts                     ressant, das es bisher kaum in die Schlagzeilen
zunehmender Verflechtung auf supranationaler                   geschafft hat, nämlich die Währungsgrenze zwi-
Ebene nicht möglich. Warum wird dieser Grund-                  schen Euro und Pfund. Welche Auswirkungen ha-
satz im spanischen Fall ernst genommen, nicht                  ben der Brexit-Vertrag mit dem Backstop für
aber gegenüber dem Vereinigten Königreich? Die                 Nordirland auf diese „harte“ Grenze? In diesem
Nichteinmischung in die innerstaatlichen Angele-               Fall besteht Brüssel nämlich auf Kontrollen. So
genheiten ist darüber hinaus ein Völkerrechts-                 hat die Kommission Mitte 2018 eine Klage beim
grundsatz der Vereinten Nationen, d.h. er gilt erst            Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen Irland
recht gegenüber nicht-EU-Staaten und somit                     eingereicht, weil es EU-Vorschriften gegen die
auch für scheidende EU-Mitglieder.                             Geldwäsche bisher nicht in nationales Recht um-
   Doch nicht nur Artikel 3a des EU-Vertrags wird              gesetzt hat (Spiegel, 19.7.2018). Schließlich stellt
derzeit von Brüssel missachtet, sondern auch der               sich die Frage, ob es zu einer Verschiebung die-
Austrittsartikel 50 selbst. Er sollte jedem Mitglied           ser Währungsgrenze kommen könnte, zumal be-
ermöglichen, seine staatliche Souveränität voll-               reits heute alle irischen Parteien eine Vereinigung
ständig wiederherzustellen. Doch schon der Ter-                mit Nordirland anstreben. Welche Folgen hätte
minus Backstop als „Auffangmechanismus“ gibt                   dies für die Republik Irland, die erst vor kurzem
zu erkennen, dass EU-Chefunterhändler Michel                   eine bedrohliche Bankenkrise überstanden hat?
Barnier Nordirland nicht aus dem Binnenmarkt
entlassen will. Er stellt damit die Wirtschaftsinte-           Welche Position vertritt Deutschland?
ressen der europäischen Binnenmarkts über die                  Auch wenn die Brexit-Unterhändler der EU wie
völkerrechtliche Integrität von Staaten und setzt              Michel Barnier beteuern, die Interessen der Euro-
die EU Angriffen aus, die ihr ein imperialistisches            päischen Gemeinschaft zu wahren, so haben sie
Gebaren nachsagen (NZZ, 23.11.2018).                           sich doch die nationalen Interessen Irlands zu ei-
   Dabei ist dieser Vorwurf gar nicht so weit her-             gen gemacht. Dublin gibt offen zu, den Brexit für
geholt, bedient sich der Brexit-Unterhändler des               eine Vereinigung der irischen Insel zu nutzen.
Europäischen Parlaments, Guy Verhofstadt, ge-                  Doch welches Interesse könnten Deutschland,
nau dieser Rhetorik. In einem Vortrag an der Lon-              Polen oder andere EU-Mitglieder daran haben,
don School of Economics (LSE) attestierte er                   eine solche expansionistische Außenpolitik zu
Großbritannien den Status als Nationalstaat, den               unterstützen? Sollte dieser Kurs in Europa Schule
er aber historisch als überholt ansieht. Die EU sei            machen, würden viele alten Wunden der letzten
dagegen auf dem Weg zu einem modernen Im-                      beiden Weltkriege wieder aufbrechen. Deshalb
perium und „die Welt von morgen ist eine Welt der              wäre es deren Aufgabe, Dublin und Brüssel von
Imperien (LSE, 30.9.2017). Verhofstadt vertritt                ihrem kompromisslosen Backstop abzubringen.
hier nicht nur eigenwillige Europapläne, sondern                  Außerdem läge eine Revision des Brexit-Ver-
demütigt London als ehemalige Weltmacht, die                   trags in ihrem ureigenen Interesse. Denn er löst
sich den heutigen Machtverhältnissen in Europa                 die Nordirland-Frage nicht, sondern verschiebt
fügen müsse.                                                   sie in eine ungewisse Zukunft und schafft dabei
   In das Visir der Brexit-Verhandlungen sind                  neue rechtliche Konditionalitäten. Dies betrifft vor
schließlich auch die Unionsbürger geraten. Sie                 allem die Entscheidungsbefugnisse. Bislang gilt
werden mit einer doppelten Staatsbürgerschaft                  Artikel 50 des EU-Vertrags von Lissabon (2009),
gelockt, die letztlich machtpolitischen Rivalitäten            wonach das Austrittsabkommen vom Europäi-
ausgesetzt ist. Nach dem Zusatzprotokoll zum                   schen Rat der EU-Staats- und Regierungschefs
Brexit-Vertrag sollen die Einwohner Nordirlands                „mit qualifizierter Mehrheit nach Zustimmung des
weiterhin die irische Staatsbürgerschaft und so-               Europäischen Parlaments“ geschlossen wird. Mit
mit der Unionsbürgerschaft besitzen dürfen                     Artikel 164–166 des Brexit-Vertrags entsteht ein
(Brexit-Vertrag, S. 302). In der Folge entstehen               neuer Rechtsrahmen. Danach wird der Austritts-
so neue Ungleichheiten unter den Einwohnern                    prozess von einem Gemeinsamen Ausschuss
Nordirlands: Die einen behalten z.B. ihr Recht auf             (Joint Committee) überwacht, der von der supra-
Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU, die                nationalen EU-Ebene und dem Vereinigten Kö-
anderen verlieren sie. Damit passt sich die EU                 nigreich besetzt und geleitet wird. Zur Lösung der
Ländern wie Ungarn, Rumänien oder die Türkei                   Nordirland-Frage wird ein Fachausschuss (spe-
an, die ihre Pässe an Ausländer außerhalb ihres                cialised committee) ins Leben gerufen, der eben-
Staatsterritoriums aufgrund ethnischer Zugehö-                 so paritätisch mit Fachexperten besetzt ist.

                                                                                  6       FORSCHUNGSHORIZONTE
                                                                                               POLITIK & KULTUR
                                                                                                          2 / 2019
Sabine Riedel: Nordirland – Der Faustpfand im Brexit-Vertrag

    Durch diese Bestimmungen werden den EU-                    gangen sind, das sie Mitte Juli 2018 vorgelegt
Mitgliedstaaten ihre noch bestehenden Mitent-                  hatte. Damit zeigte die britische Premierministe-
scheidungsrechte entzogen. Die demokratisch le-                rin ihr Entgegenkommen. Die Verweigerungshal-
gitimierten Institutionen auf nationaler Ebene ha-             tung der Brüsseler Unterhändler bestätigte Be-
ben keinerlei Einfluss mehr auf die Verhandlun-                fürchtungen der Brexiteers, dass sich London von
gen mit dem Vereinigten Königreich in der soge-                der EU erpressen lasse. Damals ging es um den
nannten Übergangsphase (eng. transition period,                Chequers-Plan, benannt nach dem offiziellen
vgl. Artikel 2 und 126) und somit auf die künftigen            Landsitz der britischen Premierminister, wo die
Handelsbeziehungen. Das kann nicht im Inte-                    entscheidende Kabinettssitzung stattgefunden
resse Deutschland liegen, weil das Vereinigte Kö-              hatte (6.7.2018). Der Grund für Michel Barniers
nigreich nach den USA, Frankreich und China der                Ablehnung war der Wunsch Londons, das Aus-
größte Absatzmarkt für deutsche Waren ist (Sta-                trittsabkommen zusammen mit einem Vertrag zu
tistisches Bundesamt, 2017, S. 45). Auf die EU                 verhandeln, der die zukünftigen Beziehungen re-
bezogen liegt der Anteil der deutschen Exporte in              gelt. Die Argumente hierfür sind nachvollziehbar.
das Vereinigte Königreich mit 12,2 Prozent sogar               So heißt es in dem vorgeschlagenen Papier u.a.:
auf Rang 2 (Außenhandelsportal Bayern, 2017).
    Nicht zuletzt könnte sich der Verlust der Mit-               „Die künftigen Beziehungen müssen vom Ver-
spracherechte der EU-Mitgliedstaaten auch poli-                  einigten Königreich und von der EU verantwor-
tisch als problematisch erweisen. Vor allem dann,                tungsbewusst gestaltet werden, um eine harte
wenn es zu keiner einvernehmlichen Lösung in                     Grenze zwischen Nordirland und Irland in ei-
der Nordirland-Frage kommt und die Republik Ir-                  ner Weise zu vermeiden, die die verfassungs-
land auf Grundlage des Backstops ihren expansi-                  mäßige und wirtschaftliche Integrität des Ver-
onistischen Kurs in Richtung Nordirland fortsetzt.               einigten Königreichs und die Autonomie der
Dann könnte kein EU-Mitglied mehr die dann not-                  EU respektiert.“ (vgl. Future relationship,
wendige Rolle eines Schlichters oder Vermittlers                 17.7.2018, Punkt 5.1, Übersetzung: S.R.)
ausfüllen (vgl. Abbildung 3).
                                                               Neben diesen normativen Grundsätzen bietet
Kompromiss: Der Chequers-Plan (2018)                           Mays Plan aber auch konkrete Maßnahmen an,
Umso dringlicher erscheint es, dass sich die EU                um die befürchtete „harte“ Grenze zu vermeiden
jetzt auf Kompromisse einlässt. Die Mitgliedstaa-              (www.zeit.de, 7.7.2018). Diese Vorschläge las-
ten sollten sich selbstkritisch fragen, warum sie              sen sich in wenigen Punkten zusammenfassen
nicht auf Theresa Mays ehrliches Angebot einge-                (vgl. Abbildung 4, nächste Seite):

Abbildung 3:

    -

Quelle: Eigene Zusammenstellung [S.R.]

                                                                                 7       FORSCHUNGSHORIZONTE
                                                                                              POLITIK & KULTUR
                                                                                                         2 / 2019
Sabine Riedel: Nordirland – Der Faustpfand im Brexit-Vertrag

Abbildung 4:                                                         Quellen und weitere Literatur (mit links):
                                                                     Belfast-Abkommen, The Belfast Agreement,
 Der Chequers-Plan (2018)                                              also known as the Good Friday Agreement,
 ▪ UK verlässt Binnenmarkt und Zollunion                               was reached in multi-party negotiations and
                                                                       signed on 10 April 1998.
 ▪ Gründung einer neuen Freihandelszone
                                                                     Brexit-Vertrag, Draft Agreement on the with-
 ▪ Gemeinsame Standards für Handelsgüter
                                                                       drawal of the United Kingdom of Great Britain
 ▪ Die EU-Regeln zum Konsumenten- und                                  and Northern Ireland from the European Un-
   Umweltschutz bleiben bestehen                                       ion and the European Atomic Energy Com-
 ▪ UK akzeptiert den Europäischen Gerichtshof                          munity, as agreed at negotiators' level on 14
                                                                       November 2018, TF50 (2018) 55 – Commis-
 ▪ Zwei verschiedene Zollsätze für den EU-
                                                                       sion to EU27.
   Binnenmarkt und den britischen Markt
                                                                     Europäischer Rat, Rat der Europäischen
                                                                       Union, Brexit, Einführung, Zeitleiste [Zugriff:
    Gerade weil die heutige Situation so verfahren
                                                                       12.2.2019]
ist, hätte der im Jahre 2018 von Theresa May vor-
                                                                     EU-Vertrag, Konsolidierte Fassungen des Ver-
gelegte Chequers-Plan eine wesentlich größere
                                                                       trags über die Europäische Union und des
Beachtung seitens der EU-Mitgliedstaaten ver-
                                                                       Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi-
dient. Dies setzt allerdings das Eingeständnis vo-
                                                                       schen Union, in: Amtsblatt der Europäischen
raus, dass die EU selbst an der heutigen Misere
                                                                       Union, C 83, 30. März 2010.
beteiligt ist und die Verantwortung dafür nicht al-
                                                                     Future Relationship [Chequers-Plan], Policy
lein auf Mays Schultern ruht (vgl. Abbildung 3).
                                                                       paper. The future relationship between the
Der Artikel 50 des EU-Vertrags bietet die Möglich-
                                                                       United Kingdom and the European Union
keit, im beidseitigen Einvernehmen die Verhand-
                                                                       (HTML Version). Updated 17 July 2018.
lungen über einen Austrittsvertrag fortzusetzen.
                                                                     Legal advice, 5 December EU Exit: Attorney
Er setzt den Vertragsparteien, d.h. dem Rat der
                                                                       General’s legal advice to Cabinet on the With-
EU-Staats- und Regierungschefs und der briti-
                                                                       drawal Agreement and the Protocol on Ire-
schen Regierung keinerlei Fristen.
                                                                       land/Northern Ireland, 5.12.2018.
Wer Gewalt säht, wird sie auch ernten                                Technical Explanatory Note, Technical Explan-
                                                                       atory Note: Articles 8-9 of the Protocol on
Vielmehr müssen sich vor allem die EU-Unter-
                                                                       Northern Ireland, Brüssel, 14.11.2018.
händler fragen lassen, warum sie sich von Hard-
                                                                     Riedel, Sabine, Streit um nationale Identitäten.
linern beeinflussen lassen, während schon lange
                                                                       Der Separatismus zielt auf eine „kulturelle“
vernünftige und akzeptable Vorschläge auf dem
                                                                       Neuordnung Europas, Zeitschrift für Politik-
Tisch liegen. Dabei wissen alle Beteiligten genau,
                                                                       wissenschaft, Vol. 28/2018, Forum,
dass mit einem Scheitern des Brexit-Abkommens
                                                                       12.07.2018.
auch der Frieden in Nordirland auf dem Spiel
                                                                     Riedel, Sabine, Mays Verluste erzwingen wei-
steht. Doch macht es einen großen Unterschied,
                                                                       chen Brexit. Schottland, Wales und Nordir-
ob man auf die Gefahr neuer gewaltsamer Ausei-
                                                                       land verstärken ihren Einfluss auf die Europa-
nandersetzungen hinweist oder damit droht, um
                                                                       politik, SWP-Aktuell 2017/A 43, Juni 2017.
die eigene Verhandlungsposition durchzusetzen.
                                                                     Riedel, Sabine, Ein Brexit ohne Schotten und
   Wer demokratische Verfahrensregeln in Frage
                                                                       Nordiren? Großbritannien droht der
stellt und die gewählten Organe in ihrer Arbeit be-
                                                                       Staatszerfall – Hintergründe und Auswege,
hindert wie die irisch-nationalistische Sinn Féin,
                                                                       SWP-Aktuell 2016/A 54, August 2016.
der verspielt seine Glaubwürdigkeit, Legitimität
                                                                     Riedel, Sabine, Föderalismus statt Separatis-
und Autorität. Dies gilt auch für dessen ehemali-
                                                                       mus. Politische Instrumente zur Lösung von
gen Parteivorsitzenden Gerry Adams, der bis
                                                                       Sezessionskonflikten in Europa, SWP-Stu-
heute davon überzeugt ist, „dass der bewaffnete
                                                                       dien 2016/S 05.
Kampf legitim war“ (Spiegel-Interview, 4.8.2018).
Dabei hat der nordirische Sezessionskonflikt ca.
3.600 Tote und über 50.000 Verletzte gekostet.
Ihre Glaubwürdigkeit büßen auch all jene ein, die
eine solche Partei unterstützen oder ihrer Politik
des Boykotts folgen, wohl wissend, dass es ihr
um die Verwirklichung ihrer nationalistischen
Ideologie geht und nicht um das Wohl Europas.
                                                                     .

© Prof. Dr. Sabine Riedel, Berlin 2019 Alle Rechte vorbehalten                         8       FORSCHUNGSHORIZONTE
www.culture-politics.international/online ISSN: 2698-6140 (online)
                                                                                                    POLITIK & KULTUR
Redaktion: Tel. +49 30 83200816           kontakt@sabineriedel.de                                              2 / 2019
Sie können auch lesen