Nordirland - Der Faustpfand im Brexit-Vertrag - Sabine Riedel
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KULTUR FORSCHUNGS- 2 / 2019 POLITIK HORIZONTE & www.culture-politics.international Sabine Riedel Nordirland – Der Faustpfand im Brexit-Vertrag Ein Landesteil des Vereinigten Königreichs wird zum Spielball (supra-)nationaler Interessen In der deutschen Öffentlichkeit überwiegt die Meinung, dass der Schlüssel für ein Brexit-Abkommen in der Hand des Vereinigten Königreichs liege. Doch dieses Bild trügt schon allein deshalb, weil an einem internationalen Vertrag mindestens zwei Parteien beteiligt sind. Tatsächlich trägt die Europä- ische Union im gleichen Maße Verantwortung für die aktuelle Lage und der Gefahr eines ungeregel- ten Brexits. Denn Theresa May hatte bereits im Juli 2018 einen akzeptablen und kreativen Plan, den sogenannten Chequers-Plan, vorgelegt, der die befürchteten harten Grenzkontrollen zwischen Nord- irland und der Republik Irland überflüssig machen würde. Deshalb sollten die EU-Mitgliedstaaten ihrem Chefunterhändler Michel Barnier die Frage stellen, warum er ihn rundweg ablehnte. Ganz of- fensichtlich hat er sich die Interessen der irischen Regierung zu eigen gemacht, die den Brexit dazu nutzen möchte, Nordirland aus dem Vereinigten Königreich herauszulösen und die irische Insel in naher Zukunft politisch zu vereinen. Sollte eine solche expansionistische Außenpolitik in Europa und der EU Schule machen, steht noch mehr auf dem Spiel als der Frieden in Nordirland. Eigentlich hätte ein Satz seitens der EU genügt, Akteure hinter den Kulissen der Brexit-Verhand- um Theresa May für die Abstimmung (15.1.2019) lungen und die Rolle der „Nordirland-Frage“ ana- über den Brexit-Vertrag den Rücken zu stärken. lysiert. Es soll geprüft werden, ob Brüssel seiner Doch Brüssel wollte nicht bestätigen, dass Nord- Aufgabe als ein neutraler supranationaler Akteur irland ein Landesteil des Vereinigten Königreichs nachkommt, den Frieden in Europa zu erhalten. (UK) bleibt. Deshalb befürchten die Kritiker Mays über Parteigrenzen hinweg den Verlust der staat- Brüssel nahm Mays Niederlage in Kauf lichen Souveränität. Denn der Brexit-Vertrag gibt Theresa Mays Niederlage bei der Abstimmung keine Antwort auf die „Nordirland-Frage“, son- am 15.1.2019 über den Brexit-Vertrag war seit dern verschiebt die Lösung des Grenzproblems dessen Veröffentlichung Mitte November 2018 zwischen UK und der Republik Irland. Erst ein absehbar. So hatte die Premierministerin schon neu zu gründender Ausschuss soll bis Ende 2020 den ersten Abstimmungstermin im britischen Un- eine einvernehmliche Regelung finden. terhaus am 11.12.2018 verschieben müssen. Warum besteht Brüssel so vehement auf einer Denn nicht nur die nordirischen Unionisten (DUP, Sonderregelung für Nordirland nach dem Brexit? Democratic Unionist Party) stellten ihre Unterstüt- Es heißt, mit der Wiedereinführung von Grenz- zung in Frage, auf die May seit den vorgezoge- kontrollen zwischen den beiden souveränen nen Parlamentswahlen (8.6.2017) angewiesen Staaten würde der Nordirland-Konflikt wieder auf- ist. Zudem gingen schon während der Brexit-Ver- flammen. Doch diese Gefahr droht ebenso im al- handlungen immer mehr Abgeordnete aus den ei- ternativen Fall, nämlich bei der Errichtung einer genen Reihen auf Distanz zu ihrer Parteichefin. Grenze zwischen Nordirland und Großbritannien. Dazu gehört Minister Dominic Raab, der bis Denn sie würde ein politisch, rechtlich und wirt- zur Verabschiedung des Brexit-Vertrags die Ver- schaftlich zusammengehörendes Staatsgebiet handlungsgespräche mit EU-Vertretern verant- auseinanderdividieren. Damit wäre der Weg frei wortlich führte. Als Beweggründe für seinen für eine Vereinigung der irischen Insel, für einen Rücktritt nannte er in einem Interview „große und lang gehegten Wunsch irischer Nationalisten. Im fatale Fehler“ in der aktuellen Vertragsfassung. Folgenden werden die Interessen maßgeblicher Sie würde „die Integrität des Vereinigten König- 7. Februar 2019 Prof. Dr. Sabine Riedel, Professorin für Politikwissenschaft, Universität Magdeburg, Wissenschaftlerin der Stiftung Wissenschaft und Politik, sabine.riedel@swp-berlin.org
Sabine Riedel: Nordirland – Der Faustpfand im Brexit-Vertrag reichs gefährden“ und es „in ein Regelwerk zwin- teuerten Juncker und Tusk, dass sie sich nach gen“, in dem es kein Mitspracherecht und keinen Abschluss des Brexit-Vertrags für „eine künftige Ausstiegsmechanismus gäbe (BBC, 15.11.2018). Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich“ Mit Raab verlor die Premierministerin bereits ih- einsetzen werden, fügten jedoch hinzu: „Wie sie ren zweiten Brexit-Minister. Sein Vorgänger Da- wissen, ist es uns nicht möglich Zusagen zu ma- vid Davis war bis Anfang Juli 2018 und damit zwei chen, die das Austrittsabkommen ändern oder im Jahre im Amt. Er unterstützt heute seinen Nach- Widerspruch dazu stehen würden.“ (Gemeinsa- folger mit denselben Argumenten: mes Schreiben, 14.1.2019). Damit gaben sie zu erkennen, dass Mays Kritiker den Brexit-Vertrag Das Brexit-Abkommen sei ein schlechter offenbar nicht missverstehen. Denn sie hätten die Vertrag, „erstens, weil er Nordirland vom Rest Gelegenheit für eine Klarstellung nutzen können. des Vereinigten Königreichs abspalten würde Dagegen verstärkten sie den Eindruck, die EU- […]. Zweitens müssten wir bei diesem Deal so Vertreter könnten ein Interesse daran haben, die lange in einer Zollunion bleiben, wie es die Nordirland-Frage offen zu lassen. Europäische Union wünscht. Damit würden wir uns vollständig der Gegenseite ausliefern.“ Die Nordirland-Frage im Brexit-Vertrag (Spiegel, 11.1.2019). Dieser Eindruck entsteht deshalb, weil Theresa May in ihrem Bittschreiben an die EU-Vertreter Diese Interpretation kann sich auf ein Rechts- abermals bestätigte, dass das Belfast- bzw. Kar- gutachten des Generalstaatsanwalts Geoffrey freitagsabkommen (10.4.1998) unangetastet blei- Cox stützen, das die britische Regierung selbst in ben werde. Durch diesen Friedensvertrag erhielt Auftrag gegeben hatte. Ursprünglich war es ein Nordirland von London umfangreiche Autonomie- vertrauliches Papier, dessen Existenz erst im rechte. Hierzu gehört neben einem nordirischen Vorfeld der parlamentarischen Debatten über den Regionalparlament und einer Regierung auch ein Brexit-Vertrag bekannt wurde. Eine knappe Nord-Süd-Ministerrat (North/South Ministerial Mehrheit des britischen Parlaments von 311 zu Council, NSMC). In diesem Gremium arbeiten Mi- 293 Abgeordneten zwang die Regierung schließ- nister der Republik Irland und Minister der nord- lich zur Veröffentlichung des vollständigen Tex- irischen Regionalregierung des Vereinigten Kö- tes. Durch ihre anfängliche Weigerung, diese kri- nigreichs über die britischen Staatsgrenzen hin- tischen Einschätzungen vorab bekannt zu geben, weg zusammen (vgl. Belfast Agreement, Strand hatte May ihre Position derart geschwächt, dass Two, S. 13). Diese Institutionalisierung der zwi- sie nicht umhinkam, die Abstimmung zu verschie- schenstaatlichen Beziehungen nahm damals den ben. Denn Generalstaatsanwalt Cox hatte in ei- irischen Separatisten Wind aus den Segeln. Sie ner Parlamentsdebatte die Bedenken der Kritiker führten einen langjährigen gewaltsamen Wider- bestätigt. Das Abkommen mit der EU gäbe dem standskampf, um Nordirland aus dem Vereinigten Vereinigten Königreich keine Möglichkeiten, aus Königreich herauszubrechen und mit der Repub- der Zollunion auszusteigen, falls im vereinbarten lik Irland zu vereinen. Übergangszeitraum kein Vertrag zur Nordirland- Mit dem Brexit wird diese ca. 500 Kilometer Frage zustande komme (Legal advise, Absatz 30, lange irisch-britische Staatsgrenze, die nicht zu- 5.12.2018). letzt wegen des gemeinsamen EU-Binnenmarkts In dieser verfahrenen Situation wandte sich heute kaum mehr sichtbar ist, zu einer Außen- May zunächst an Regierungen einflussreicher grenze der EU. Deshalb mussten sich die Brexit- EU-Mitgliedstaaten wie etwa Deutschland mit der Verhandlungen auch mit einer Neugestaltung der Bitte um Nachverhandlungen. Da all ihre Bemü- britisch-irischen Beziehungen befassen. Denn hungen erfolglos blieben, schickte sie einen Tag beide Seiten, die EU-27 wie auch das Vereinigte vor der entscheidenden Abstimmung einen offe- Königreich, müssen ihre zukünftig getrennten nen Brief nach Brüssel (14.1.2019), an Kommis- Binnenmärkte gegenseitig schützen und damit sionspräsident Jean-Claude Juncker und Rats- den Warenverkehr in irgendeiner Form kontrollie- präsident Donald Tusk. Darin bat sie beide um ren. Davon wird das Belfast-Abkommen in jedem Unterstützung, vor allem um Zusagen hinsichtlich Fall betroffen sein. Es stellt sich nur die Frage, ob der Integrität des Vereinigten Königreichs. Damit der neu zu schaffende Vertragsrahmen den Frie- hätte May ihre Kritiker besänftigen und darlegen den in dieser Region bewahren kann. können, dass die EU die volle Wiederherstellung Anfang 2018 lagen noch drei Optionen zur Lö- ihrer nationalstaatlichen Souveränität akzeptiere. sung der Nordirland-Frage auf dem Verhand- Nur wenige Stunden später bekam sie eine lungstisch (EU-Kommission, 28.2.2018): Zwei Antwort. In einem gemeinsamen Statement be- Vorschläge setzten voraus, dass die EU dem 2 FORSCHUNGSHORIZONTE POLITIK & KULTUR 2 / 2019
Sabine Riedel: Nordirland – Der Faustpfand im Brexit-Vertrag Wunsch der Briten nachkommt, mit dem Austritts- Abbildung 1: vertrag gleichzeitig auch die zukünftigen Bezie- hungen neu zu regeln. Dies läge eigentlich im In- teresse einer Wahrung des Belfast-Abkommens, Auszüge aus dem Protokoll über zumal London mehrfach versicherte, dass es die Irland/Nordirland des Brexit-Vertrags: zukünftigen Kontrollen an der irisch-britischen Grenze auf ein Minimum reduzieren wolle. Doch „Unter Hinweis darauf, dass der Gemein- diese Vertragsvarianten lehnte die EU von vorn- same Bericht der Verhandlungsführer der herein ab. Zum einen aus Angst vor möglichen Europäischen Union und der Regierung des Nachahmern, und zum anderen, weil „die Euro- Vereinigten Königreichs über die Fortschritte päer wissen, dass sie mehr Druck auf die Briten in der ersten Phase der Verhandlungen aufbauen, wenn sie die Verhandlungen in zwei nach Artikel 50 EUV über den geordneten Phasen aufteilen.“ (Wirtschaftswoche, 29.4.2017) Rückzug des Vereinigten Königreichs aus Die dritte von Brüssel präferierte Option folgt der Europäischen Union vom 8. Dezember genau dieser Logik. Sie klammert die Nordirland- 2017 drei verschiedene Szenarien zum Frage aus dem Brexit-Vertrag aus und möchte sie Schutz der Nord-Süd-Zusammenarbeit [zwi- in einem späteren Vertrag lösen, der die zukünf- schen der Republik Irland und Nordirland] tigen Handelsbeziehungen zwischen der EU und und zur Vermeidung einer harten Grenze dem Königreich regeln soll. Um diese Option zu enthält, dass jedoch dieses Protokoll auf rechtfertigen, behaupten EU-Vertreter bis heute, dem dritten Szenario der vollständigen dass jedwede Form von Grenzsicherung des Ver- Angleichung [Nordirlands] an die Regeln einigten Königreichs gegenüber der Republik Ir- des Binnenmarkts der Union und der Zoll- land eine „harte Grenze“ darstelle. Michel Bar- union beruht, die jetzt oder in Zukunft die nier, Chefunterhändler der EU-Kommission, Nord-Süd-Zusammenarbeit, die gesamte brachte seine Position auf den Punkt: „Um etwa Wirtschaft der [irischen] Insel und den Schutz eine harte Grenze zu vermeiden, müssten in des [Belfast-]Abkommens von 1998 unter- Nordirland alle Regeln der EU-Zollunion und des stützen, sofern nicht und bis eine alternative Binnenmarkts weitergelten.“ (Spiegel, 8.6.2018) Vereinbarung zur Umsetzung eines anderen Dies soll der Backstop (dt. Auffangregelung) er- Szenarios vereinbart ist, …“ möglichen, wonach das gesamte Vereinigte Kö- nigreich für eine Übergangszeit bis Ende 2020 Quelle: Brexit-Vertrag. S. 304, Übersetzung, Er- (eng. transition period) im EU-Binnenmarkt bleibt. gänzungen und Hervorhebung: S.R.], vgl. hierzu auch Abbildung 2 auf Seite 5. [2.2.2019] Wird es nach einer zweijährigen Verlängerung keine Einigung in der Nordirland-Frage geben, würde Großbritannien aus dem Binnenmarkt aus- scheiden, während Nordirland als Teil seines gesehen Teil eines ausgeschiedenen EU-Mit- Staatsgebiets von der EU „aufgefangen“ werde glieds bleibt. Nach den Plänen irischer Parteien (vgl. hierzu das Protokoll über Irland/Nordirland soll dieser Schwebezustand nicht bleiben, son- zum Brexit-Vertrag in Abbildung 1). Was anfangs dern einen Übergang hin zu einer Vereinigung mit als eine von drei Optionen diskutiert wurde, ent- der Republik Irland führen. wickelte sich im Verlauf des Jahres 2018 zu ei- Dabei wäre eine Vereinigung zwischen der nem für die EU alternativlosen Szenario. Republik Irland und Nordirland schon heute mög- lich: Denn das Belfast-Abkommen erlaubt hierzu Vom Sonderstatus zur Unabhängigkeit? eine Volksbefragung (Belfast-Abkommen, Annex Der Brexit-Vertrag und insbesondere der darin A). So fordert die irisch-nationalistische Sinn Féin enthaltene Backstop werten den Nord-Süd-Minis- (SF) eine Abstimmung über die irisch-britischen terrat politisch auf, in dem Vertreter der Republik Staatsgrenze (Reuters, 24.6.2016). Sie glaubt an Irland und der nordirischen Regionalregierung ein positives Ergebnis, weil 55,8 Prozent der zusammenarbeiten. Er soll zukünftig Entschei- Nordiren gegen den Brexit, d.h. für einen Verbleib dungen fällen können, die über den nationalstaat- in der EU votiert hatten (BBC, 24.6.2016). Die lichen Organen des Vereinigten Königreichs ste- zweite irisch-nationalistische Partei, die Social hen. In Nordirland werden somit die gesetzlichen Democratic and Labour Party (SDLP) sieht dies Vorschriften des EU-Binnenmarkts gegenüber anders. Ihre stellvertretende Parteivorsitzende, den britischen Gesetzen Vorrang haben. Damit Nichola Mallon, wünscht sich eine Grenz-Abstim- würde diese Region einen Sonderstatus inner- mung (eng. Border poll), „wenn sie gewonnen halb der EU genießen, obwohl sie völkerrechtlich werden kann" und nicht während der Brexit-Ver- 3 FORSCHUNGSHORIZONTE POLITIK & KULTUR 2 / 2019
Sabine Riedel: Nordirland – Der Faustpfand im Brexit-Vertrag handlungen (The Irish Times, 23.9.2017). Selbst wenden. Dies sollte sich auf unsere Bestre- etwas mehr als 50 Prozent wären ein Desaster, bungen für die gesamte Insel beziehen, nicht so Mallon, das Gewalt provozieren könne. nur für Nord und Süd, sondern auch für Stadt Sinn Féin spielt nicht nur die Gefahr einer ge- und Land, für Jung und Alt …“ [Fine Gael 2017, waltsamen Zuspitzung des Nordirland-Konflikts S. 8, Übersetzung: S.R.] herunter, sie geht sogar bewusst auf Konfronta- tion: Als stärkste Kraft des irisch-republikani- Einen Kurswechsel in der Nordirland-Frage voll- schen Lagers ist sie nach dem Proporzsystem zog auch die abgewählte konservative Fianna des Belfast-Abkommen an der Regionalregierung Fáil. Sie setzte die Vereinigung der irischen Insel beteiligt, nicht zuletzt mit dem Posten eines stell- auf die politische Agenda und verspricht Nordir- vertretenden Regierungschefs. Doch seit gut land sogar die Beibehaltung seines Regionalpar- zwei Jahren verweigert SF jedwede Zusammen- laments (www.thejournal.ie, 13.5.2017). arbeit mit den Unionisten, d.h. mit der Democratic Unionist Party (DUP) unter Führung von Arlene EU-Separatisten blicken auf Nordirland Foster. Deshalb bleiben die zehn Ministerposten Im Gegensatz zu Nordirland haben die beiden an- unbesetzt, so dass die staatliche Verwaltung deren autonomen Regionen des Vereinigten Kö- zwar funktioniert, jedoch keine wichtigen Ent- nigreichs, Schottland und Wales, eigene Positio- scheidungen fällen kann (BBC, 9.1.2019). Weil in nen in den Brexit-Verhandlungen entwickeln kön- dieser politisch aufgeheizten Situation die briti- nen. Im Austrittsvertrag vom Februar 2017 (vgl. sche Zentralregierung keine Zwangsverwaltung S. 18-20) hat die britische Regierung deren Min- einsetzen will, ist auch die Nordirlandministerin derheitenvoten berücksichtigt und auf deren Stel- Karen Bradley zurzeit machtlos und handlungs- lungnahmen verwiesen. Darin formulierten beide unfähig. als wichtigstes Anliegen, im EU-Binnenmarkt und Sinn Féins Politik des Boykotts ist nicht neu, in der Zollunion zu bleiben. schließlich verzichten ihre gewählten Vertreter In ihrem Papier „Schottlands Platz in Europa“ seit jeher auf ihre Sitze im Londoner Westmins- (2016) entwickelte die Regionalregierung dazu ter-Parlament. Doch mit ihrer derzeitigen Verwei- verschiedene Optionen. Am liebsten wäre ihr ein gerungshaltung verhindern sie die Mitsprache Verbleib in der EU als ein neu zu gründender und Einflussnahme einer ganzen Region: Nordir- Staat. Sie würde sich auch mit weniger zufrieden- land ist seit zwei Jahren weder bei den interminis- geben, solange Schottland weiterhin am EU-Bin- teriellen Treffen der Regionen des Vereinigten nenmarkt und an der Zollunion teilhaben kann. Königreichs vertreten, noch bei den Sitzungen Von einer Rückübertragung von Kompetenzen des British-Irish Council (BIC). Mangels einer aus Brüssel in den Bereichen Landwirtschaft und funktionierenden Regionalregierung kam auch Fischerei sollte ihre Region unbedingt profitieren. die Arbeit des Nord-Süd-Ministerrats zum Erlie- Ähnliche Vorstellung äußerte die walisische Re- gen, genau jenes Gremiums, das nach dem gionalregierung in ihrem Papier „Securing Wales‘ Brexit-Vertrag politisch aufgewertet und in seiner Future“ (2017). Auch sie möchte am liebsten den Entscheidungsbefugnis über die britische Regie- Zugang zum EU-Binnenmarkt und zur Zollunion rung gestellt werden soll (CCC, 14.9.2018). behalten. Doch eine Abspaltung von Großbritan- Die Maximalforderungen von SF konnten in nien war dort bislang kein Thema. den letzten beiden Jahrzehnten die guten irisch- Im Verlauf der Brexit-Verhandlungen polari- britischen Beziehungen kaum trüben. Doch we- sierte sich die politische Stimmung auch in diesen nige Monate vor dem Brexit-Referendum gab es beiden Regionen. Dabei spielt ein möglicher in der Republik Irland Neuwahlen, zu denen SF Staatszerfall des Vereinigten Königreichs infolge als gesamt-irische Partei stets kandidiert, im Ge- eines Backstop für Nordirland die entscheidende gensatz zum britischen Parlament aber die iri- Rolle. Seit der Brexit-Abstimmung fordert die schen Abgeordnetenmandate wahrnimmt. Es schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon kam zu einem Regierungswechsel zugunsten der ein zweites Unabhängigkeits-Referendum. Da liberalen Fine Gael, die sich unter dem Einfluss der Brexit-Vertrag nur für Nordirland einen Sond- von SF in der Nordirland-Frage neu positionierte. derstatus vorsieht, ist ihrer Ansicht nach eine Ge- In ihrem neuen Parteiprogramm aus dem Jahre rechtigkeitslücke entstanden. Diese könne nur 2017 heißt es u.a.: gefüllt werden, wenn Schottland einen eigenen Backstop, d.h. Auffangmechanismus bekäme, „Wir sollten den Ausdruck „Partei für ein verei- nämlich die Gelegenheit zur Gründung eines nigtes Irland“ als Slogan für unsere Partei ver- Staates als EU-Mitglied (Reuters, 8.10.2018). 4 FORSCHUNGSHORIZONTE POLITIK & KULTUR 2 / 2019
Sabine Riedel: Nordirland – Der Faustpfand im Brexit-Vertrag Auch in Wales heizen Separatisten die Stim- Am Beispiel Kataloniens wurde zuletzt deut- mung in Richtung Unabhängigkeit an. Dort sitzt lich, wo die Grenzen der supranationalen EU-In- der walisische Bündnispartner der Scottish Nati- stitutionen liegen. Mit Artikel 3a des EU-Vertrags onal Party (SNP), die Partei Plaid Cymru (PC), von Lissabon (2009) haben alle EU-Mitglieder zwar auf der Oppositionsbank. Doch ihr Vorsit- versichert, dass sie sich nicht in die inneren An- zender Adam Price hat ebenfalls die historische gelegenheiten eines Nachbarstaats einmischen. Chance für einen walisischen Staat erkannt, falls Dies war der offizielle Grund dafür, warum Brüs- es zu einem harten Brexit kommen sollte: „Der Appetit auf die schottische Unabhängig- Abbildung 2: keit und die irische Einheit ist ungeheuer Backstop zur Verschiebung der Staatgrenze? groß.“ (…) Die Unabhängigkeit von Wales „muss auf den Tisch, (… um) sicherzustellen, dass unser Land nicht in einer Einheit aus Der Backstop (dt. Auffangmechanismus) des England und Wales verschwindet, die uns der Brexit-Vertrags (15.11.2018) zwischen dem Gnade von Westminster ausliefert.“ (BBC, Vereinigten Königreich (UK) und der Europäi- 5.10.2018, Übersetzung: S.R.) schen Union (EU) sieht vor: UK wird erst nach einer Übergangszeit (bis Ende Dezem- SNP und PC spielen eine führende Rolle unter ber 2020) aus dem europäischen Binnen- denjenigen Parteien in der EU, die einen separa- markt und der Zollunion mit der EU ausschei- tistischen Kurs verfolgen. Ihr aktuelles Programm den, jedoch ohne Nordirland, falls keine Ver- für die Wahlen zum Europaparlament 2019 doku- einbarungen zur Lösung der Nordirland- mentiert, dass die britischen Regionen keine Ein- Frage gefunden wird: Nordirland würde dann zelfälle, sondern Teile einer Gesamtstrategie zur ab 2021 von der EU 27 „aufgefangen“, d.h. Reform der EU darstellen. Danach sollte allen im Binnenmarkt und der Zollunion verbleiben. Unabhängigkeitsbewegungen „staatenloser Nati- Es würde sich nd sich Irland orientieren (vgl. onen“ das Recht auf Unabhängigkeit zugestan- hierzu das Zitat in Abbildung 1, Seite 3). den werden und sich dementsprechend die Zahl der Mitgliedstaaten im Prozess einer internen EU- Erweiterung vergrößern: „Wir vertreten die Interessen staatenloser Na- tionen und Völker, nationaler Minderheiten und Sprachgruppen. (…) Wir glauben an ein ande- res Europa – wo die Bretagne, das Elsass und die Vojvodina mehr Autonomie haben, wo Wa- les, Schottland, Katalonien und Bayern unab- hängig werden.“ (EFA 2019, S. 26). Welche Interessen verfolgt Brüssel? Da diese Reformvorschläge der Europäischen Freien Allianz (EFA) und ihrer 11 Abgeordneten im Europäischen Parlament schon vor Jahren ausgearbeitet worden sind, dürfte die EU-Kom- mission davon Kenntnis haben. Hier stellt sich die Frage, ob ihr nicht bewusst ist, welche Vorbild- rolle Nordirland für andere Regionen spielt. Sie müsste erkannt haben, dass Theresa May nicht ohne Grund im Backstop die Gefahr eines Staatszerfalls des Vereinigten Königreichs sieht. Der Kommission dürfte klar sein, dass in der Folge auch andere EU-Mitgliedstaaten durch se- paratistische Forderungen destabilisiert werden könnten. Hierzu gehören aktuell Spanien und Bel- gien, aber auch Italien oder Rumänien. Quelle: Eigene Zusammenstellung [S.R.] 5 FORSCHUNGSHORIZONTE POLITIK & KULTUR 2 / 2019
Sabine Riedel: Nordirland – Der Faustpfand im Brexit-Vertrag sel zum Katalonien-Konflikt offiziell keine Stellung rigkeiten vergeben, um politisch Einfluss zu neh- bezogen hatte. Ohne einen solchen Respekt vor men oder Arbeitskräfte zu rekrutieren. der inneren Souveränität der Staaten wäre eine In diesem Zusammenhang ist ein Thema inte- Zusammenarbeit in Europa gerade angesichts ressant, das es bisher kaum in die Schlagzeilen zunehmender Verflechtung auf supranationaler geschafft hat, nämlich die Währungsgrenze zwi- Ebene nicht möglich. Warum wird dieser Grund- schen Euro und Pfund. Welche Auswirkungen ha- satz im spanischen Fall ernst genommen, nicht ben der Brexit-Vertrag mit dem Backstop für aber gegenüber dem Vereinigten Königreich? Die Nordirland auf diese „harte“ Grenze? In diesem Nichteinmischung in die innerstaatlichen Angele- Fall besteht Brüssel nämlich auf Kontrollen. So genheiten ist darüber hinaus ein Völkerrechts- hat die Kommission Mitte 2018 eine Klage beim grundsatz der Vereinten Nationen, d.h. er gilt erst Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen Irland recht gegenüber nicht-EU-Staaten und somit eingereicht, weil es EU-Vorschriften gegen die auch für scheidende EU-Mitglieder. Geldwäsche bisher nicht in nationales Recht um- Doch nicht nur Artikel 3a des EU-Vertrags wird gesetzt hat (Spiegel, 19.7.2018). Schließlich stellt derzeit von Brüssel missachtet, sondern auch der sich die Frage, ob es zu einer Verschiebung die- Austrittsartikel 50 selbst. Er sollte jedem Mitglied ser Währungsgrenze kommen könnte, zumal be- ermöglichen, seine staatliche Souveränität voll- reits heute alle irischen Parteien eine Vereinigung ständig wiederherzustellen. Doch schon der Ter- mit Nordirland anstreben? Welche Folgen hätte minus Backstop als „Auffangmechanismus“ gibt dies für die Republik Irland, die erst vor kurzem zu erkennen, dass EU-Chefunterhändler Michel eine bedrohliche Bankenkrise überstanden hat? Barnier Nordirland nicht aus dem Binnenmarkt entlassen will. Er stellt damit die Wirtschaftsinte- Welche Position vertritt Deutschland? ressen der europäischen Binnenmarkts über die Auch wenn die Brexit-Unterhändler der EU wie völkerrechtliche Integrität von Staaten und setzt Michel Barnier beteuern, die Interessen der Euro- die EU Angriffen aus, die ihr ein imperialistisches päischen Gemeinschaft zu wahren, so haben sie Gebaren nachsagen (NZZ, 23.11.2018). sich doch die nationalen Interessen Irlands zu ei- Dabei ist dieser Vorwurf gar nicht so weit her- gen gemacht. Dublin gibt offen zu, den Brexit für geholt, bedient sich der Brexit-Unterhändler des eine Vereinigung der irischen Insel zu nutzen. Europäischen Parlaments, Guy Verhofstadt, ge- Doch welches Interesse könnten Deutschland, nau dieser Rhetorik. In einem Vortrag an der Lon- Polen oder andere EU-Mitglieder daran haben, don School of Economics (LSE) attestierte er eine solche expansionistische Außenpolitik zu Großbritannien den Status als Nationalstaat, den unterstützen? Sollte dieser Kurs in Europa Schule er aber historisch als überholt ansieht. Die EU sei machen, würden viele alten Wunden der letzten dagegen auf dem Weg zu einem modernen Im- beiden Weltkriege wieder aufbrechen. Deshalb perium und „die Welt von morgen ist eine Welt der wäre es deren Aufgabe, Dublin und Brüssel von Imperien (LSE, 30.9.2017). Verhofstadt vertritt ihrem kompromisslosen Backstop abzubringen. hier nicht nur eigenwillige Europapläne, sondern Außerdem läge eine Revision des Brexit-Ver- demütigt London als ehemalige Weltmacht, die trags in ihrem ureigenen Interesse. Denn er löst sich den heutigen Machtverhältnissen in Europa die Nordirland-Frage nicht, sondern verschiebt fügen müsse. sie in eine ungewisse Zukunft und schafft dabei In das Visir der Brexit-Verhandlungen sind neue rechtliche Konditionalitäten. Dies betrifft vor schließlich auch die Unionsbürger geraten. Sie allem die Entscheidungsbefugnisse. Bislang gilt werden mit einer doppelten Staatsbürgerschaft Artikel 50 des EU-Vertrags von Lissabon (2009), gelockt, die letztlich machtpolitischen Rivalitäten wonach das Austrittsabkommen vom Europäi- ausgesetzt ist. Nach dem Zusatzprotokoll zum schen Rat der EU-Staats- und Regierungschefs Brexit-Vertrag sollen die Einwohner Nordirlands „mit qualifizierter Mehrheit nach Zustimmung des weiterhin die irische Staatsbürgerschaft und so- Europäischen Parlaments“ geschlossen wird. Mit mit der Unionsbürgerschaft besitzen dürfen Artikel 164–166 des Brexit-Vertrags entsteht ein (Brexit-Vertrag, S. 302). In der Folge entstehen neuer Rechtsrahmen. Danach wird der Austritts- so neue Ungleichheiten unter den Einwohnern prozess von einem Gemeinsamen Ausschuss Nordirlands: Die einen behalten z.B. ihr Recht auf (Joint Committee) überwacht, der von der supra- Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU, die nationalen EU-Ebene und dem Vereinigten Kö- anderen verlieren sie. Damit passt sich die EU nigreich besetzt und geleitet wird. Zur Lösung der Ländern wie Ungarn, Rumänien oder die Türkei Nordirland-Frage wird ein Fachausschuss (spe- an, die ihre Pässe an Ausländer außerhalb ihres cialised committee) ins Leben gerufen, der eben- Staatsterritoriums aufgrund ethnischer Zugehö- so paritätisch mit Fachexperten besetzt ist. 6 FORSCHUNGSHORIZONTE POLITIK & KULTUR 2 / 2019
Sabine Riedel: Nordirland – Der Faustpfand im Brexit-Vertrag Durch diese Bestimmungen werden den EU- gangen sind, das sie Mitte Juli 2018 vorgelegt Mitgliedstaaten ihre noch bestehenden Mitent- hatte. Damit zeigte die britische Premierministe- scheidungsrechte entzogen. Die demokratisch le- rin ihr Entgegenkommen. Die Verweigerungshal- gitimierten Institutionen auf nationaler Ebene ha- tung der Brüsseler Unterhändler bestätigte Be- ben keinerlei Einfluss mehr auf die Verhandlun- fürchtungen der Brexiteers, dass sich London von gen mit dem Vereinigten Königreich in der soge- der EU erpressen lasse. Damals ging es um den nannten Übergangsphase (eng. transition period, Chequers-Plan, benannt nach dem offiziellen vgl. Artikel 2 und 126) und somit auf die künftigen Landsitz der britischen Premierminister, wo die Handelsbeziehungen. Das kann nicht im Inte- entscheidende Kabinettssitzung stattgefunden resse Deutschland liegen, weil das Vereinigte Kö- hatte (6.7.2018). Der Grund für Michel Barniers nigreich nach den USA, Frankreich und China der Ablehnung war der Wunsch Londons, das Aus- größte Absatzmarkt für deutsche Waren ist (Sta- trittsabkommen zusammen mit einem Vertrag zu tistisches Bundesamt, 2017, S. 45). Auf die EU verhandeln, der die zukünftigen Beziehungen re- bezogen liegt der Anteil der deutschen Exporte in gelt. Die Argumente hierfür sind nachvollziehbar. das Vereinigte Königreich mit 12,2 Prozent sogar So heißt es in dem vorgeschlagenen Papier u.a.: auf Rang 2 (Außenhandelsportal Bayern, 2017). Nicht zuletzt könnte sich der Verlust der Mit- „Die künftigen Beziehungen müssen vom Ver- spracherechte der EU-Mitgliedstaaten auch poli- einigten Königreich und von der EU verantwor- tisch als problematisch erweisen. Vor allem dann, tungsbewusst gestaltet werden, um eine harte wenn es zu keiner einvernehmlichen Lösung in Grenze zwischen Nordirland und Irland in ei- der Nordirland-Frage kommt und die Republik Ir- ner Weise zu vermeiden, die die verfassungs- land auf Grundlage des Backstops ihren expansi- mäßige und wirtschaftliche Integrität des Ver- onistischen Kurs in Richtung Nordirland fortsetzt. einigten Königreichs und die Autonomie der Dann könnte kein EU-Mitglied mehr die dann not- EU respektiert.“ (vgl. Future relationship, wendige Rolle eines Schlichters oder Vermittlers 17.7.2018, Punkt 5.1, Übersetzung: S.R.) ausfüllen (vgl. Abbildung 3). Neben diesen normativen Grundsätzen bietet Kompromiss: Der Chequers-Plan (2018) Mays Plan aber auch konkrete Maßnahmen an, Umso dringlicher erscheint es, dass sich die EU um die befürchtete „harte“ Grenze zu vermeiden jetzt auf Kompromisse einlässt. Die Mitgliedstaa- (www.zeit.de, 7.7.2018). Diese Vorschläge las- ten sollten sich selbstkritisch fragen, warum sie sen sich in wenigen Punkten zusammenfassen nicht auf Theresa Mays ehrliches Angebot einge- (vgl. Abbildung 4, nächste Seite): Abbildung 3: - Quelle: Eigene Zusammenstellung [S.R.] 7 FORSCHUNGSHORIZONTE POLITIK & KULTUR 2 / 2019
Sabine Riedel: Nordirland – Der Faustpfand im Brexit-Vertrag Abbildung 4: Quellen und weitere Literatur (mit links): Belfast-Abkommen, The Belfast Agreement, Der Chequers-Plan (2018) also known as the Good Friday Agreement, UK verlässt Binnenmarkt und Zollunion was reached in multi-party negotiations and signed on 10 April 1998. Gründung einer neuen Freihandelszone Brexit-Vertrag, Draft Agreement on the with- Gemeinsame Standards für Handelsgüter drawal of the United Kingdom of Great Britain Die EU-Regeln zum Konsumenten- und and Northern Ireland from the European Un- Umweltschutz bleiben bestehen ion and the European Atomic Energy Com- UK akzeptiert den Europäischen Gerichtshof munity, as agreed at negotiators' level on 14 November 2018, TF50 (2018) 55 – Commis- Zwei verschiedene Zollsätze für den EU- sion to EU27. Binnenmarkt und den britischen Markt Europäischer Rat, Rat der Europäischen Union, Brexit, Einführung, Zeitleiste [Zugriff: Gerade weil die heutige Situation so verfahren 12.2.2019] ist, hätte der im Jahre 2018 von Theresa May vor- EU-Vertrag, Konsolidierte Fassungen des Ver- gelegte Chequers-Plan eine wesentlich größere trags über die Europäische Union und des Beachtung seitens der EU-Mitgliedstaaten ver- Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi- dient. Dies setzt allerdings das Eingeständnis vo- schen Union, in: Amtsblatt der Europäischen raus, dass die EU selbst an der heutigen Misere Union, C 83, 30. März 2010. beteiligt ist und die Verantwortung dafür nicht al- Future Relationship [Chequers-Plan], Policy lein auf Mays Schultern ruht (vgl. Abbildung 3). paper. The future relationship between the Der Artikel 50 des EU-Vertrags bietet die Möglich- United Kingdom and the European Union keit, im beidseitigen Einvernehmen die Verhand- (HTML Version). Updated 17 July 2018. lungen über einen Austrittsvertrag fortzusetzen. Legal advice, 5 December EU Exit: Attorney Er setzt den Vertragsparteien, d.h. dem Rat der General’s legal advice to Cabinet on the With- EU-Staats- und Regierungschefs und der briti- drawal Agreement and the Protocol on Ire- schen Regierung keinerlei Fristen. land/Northern Ireland, 5.12.2018. Wer Gewalt säht, wird sie auch ernten Technical Explanatory Note, Technical Explan- atory Note: Articles 8-9 of the Protocol on Vielmehr müssen sich vor allem die EU-Unter- Northern Ireland, Brüssel, 14.11.2018. händler fragen lassen, warum sie sich von Hard- Riedel, Sabine, Streit um nationale Identitäten. linern beeinflussen lassen, während schon lange Der Separatismus zielt auf eine „kulturelle“ vernünftige und akzeptable Vorschläge auf dem Neuordnung Europas, Zeitschrift für Politik- Tisch liegen. Dabei wissen alle Beteiligten genau, wissenschaft, in: Zeitschrift für Politikwissen- dass mit einem Scheitern des Brexit-Abkommens schaft, Vol. 28/2018, Forum, 12.07.2018. auch der Frieden in Nordirland auf dem Spiel Riedel, Sabine, Mays Verluste erzwingen wei- steht. Doch macht es einen großen Unterschied, chen Brexit. Schottland, Wales und Nordir- ob man auf die Gefahr neuer gewaltsamer Ausei- land verstärken ihren Einfluss auf die Europa- nandersetzungen hinweist oder damit droht, um politik, SWP-Aktuell 2017/A 43, Juni 2017. die eigene Verhandlungsposition durchzusetzen. Riedel, Sabine, Ein Brexit ohne Schotten und Wer demokratische Verfahrensregeln in Frage Nordiren? Großbritannien droht der stellt und die gewählten Organe in ihrer Arbeit be- Staatszerfall – Hintergründe und Auswege, hindert wie die irisch-nationalistische Sinn Féin, SWP-Aktuell 2016/A 54, August 2016. der verspielt seine Glaubwürdigkeit, Legitimität Riedel, Sabine, Föderalismus statt Separatis- und Autorität. Dies gilt auch für dessen ehemali- mus. Politische Instrumente zur Lösung von gen Parteivorsitzenden Gerry Adams, der bis Sezessionskonflikten in Europa, SWP-Stu- heute davon überzeugt ist, „dass der bewaffnete dien 2016/S 05. Kampf legitim war“ (Spiegel-Interview, 4.8.2018). Dabei hat der nordirische Sezessionskonflikt ca. 3.600 Tote und über 50.000 Verletzte gekostet. Ihre Glaubwürdigkeit büßen auch all jene ein, die eine solche Partei unterstützen oder ihrer Politik des Boykotts folgen, wohl wissend, dass es ihr um die Verwirklichung ihrer nationalistischen Ideologie geht und nicht um das Wohl Europas. . © Prof. Dr. Sabine Riedel, 2019 – Alle Rechte vorbehalten 8 FORSCHUNGSHORIZONTE www.culture-politics.international kontakt@sabineriedel.de POLITIK & KULTUR Tel. +49 30 88007 212 2 / 2019
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