Das Ende der Gleichheit? Der schwedische Wohlfahrtsstaat nach der Krise - WSI

 
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Das Ende der Gleichheit?
Der schwedische Wohlfahrtsstaat nach der Krise
                                                                                                                       Joakim Palme
                                                                                                                        Johan Fritzell
                                                                                                                       Åke Bergmark
Schweden leistet sich den größten Wohlfahrtsstaat der Welt und kann gleichzeitig durchgängig einen Überschuss in seinen öffentlichen
Finanzen vorweisen. Darüber hinaus hat das schwedische Wohlfahrtsstaatsmodell während der letzten fünf Jahre unerwartete Unter-
stützung von der politischen Rechten bekommen. Dies spricht für eine hohe Belastbarkeit des Modells. Dennoch gibt es Zeichen wach-
sender Einkommensunterschiede, anhaltender ethnischer Segregation in Wohnvierteln und einer gewissen Marginalisierung von
Gruppen der Gesellschaft – alleinstehende Mütter, Immigranten und Jugendliche. Diese Probleme deuten auf wachsende innere
Widersprüche, die zukünftig zu Auflösungserscheinungen des schwedischen Wohlfahrtsstaats führen könnten.

                                               hinter stand die Idee, sowohl dem Bedürf-      geltenden verdienstabhängigen Sozialversi-

1
Entstehung und gegen-
                                               nis nach Grundsicherung als auch nach
                                               Einkommenssicherheit zu entsprechen
                                               (Korpi/Palme 2003, 2004).
                                                                                              cherungsleistungen und den einkommens-
                                                                                              abhängigen Leistungen, wie dem Wohngeld
                                                                                              für Familien mit Kindern und ältere Perso-
wärtige Struktur des                               Darüber hinaus darf aber auch eine an-     nen und dem Sozialgeld (Palme 2006).
schwedischen Modells                           dere bedeutende Besonderheit des schwe-            Im Rahmen der Darstellung der Verän-
                                               dischen Modells nicht vergessen werden:        derungen während der Krise am Anfang
Auch wenn dieser Beitrag sich mit der Zu-      die Einführung der staatlichen Subventio-      der 1990er Jahre und danach wird dieser
kunft des schwedischen Modells auseinan-       nierung von freiwilligen Versicherungs-        Artikel auch auf die Entwicklung der Ein-
dersetzt, so ist es zunächst einmal wichtig,   beiträgen. In der Kranken- und Arbeitslo-      kommensungleichheit eingehen (Palme
die geschichtliche Entwicklung des Systems     senversicherung führte der erste staatliche    et al. 2002). Die schwedische Wohlfahrts-
zu rekapitulieren. Diese vorangegangenen       Eingriff dementsprechend zum Aufbau ei-
Entscheidungen prägen die spezifische Aus-     nes freiwilligen, staatlich subventionierten
bildung der sozialpolitischen Institutionen    Modells. Im Jahr 1955 wurde die allgemei-      1   Universalität verweist hier auf Wohlfahrtsstaaten,
in Schweden, ihre Universalität1 und ihren     ne schwedische Krankenversicherung flä-            in denen ausgebaute soziale Ansprüche und Rech-
Leistungsumfang. Als Weiterentwicklung         chendeckend eingeführt und man etablier-           te für alle Bürgerinnen und Bürger, unabhängig
der Armengesetze und der Unterstützungs-       te nach und nach das Prinzip verdienstab-          von ihrem Sozial- und Versicherungsstatus oder ih-
                                                                                                  rer Bedürftigkeit, dominieren. Universalistische
kassen führte Schweden zu Beginn des letz-     hängiger Leistungen. So wurde auch die             Wohlfahrtsstaaten weisen typischerweise mehr
ten Jahrhunderts Sozialversicherungen ein,     Durchsetzung verdienstabhängiger Ren-              Steuer- als Beitragsfinanzierung auf.
die sich vom staatskorporatistischen An-       tenzahlungen vorangetrieben. Am Ende
satz im bismarckschen Deutschland und          des Jahrzehnts hatte Schweden so ein uni-
anderen europäischen Ländern unterschie-       versalistisches Modell der sozialen Siche-     Joakim Palme ist Professor für Soziologie
den. Das erste schwedische Rentengesetz        rung geschaffen. Trotz dieser Ausweitung       und Direktor des Institute for Future Studies,
von 1913 war sowohl beitragspflichtig als      verblieben weiterhin zielgruppenorientier-     Stockholm. Arbeitsschwerpunkt: Vergleichen-
auch zielgruppenorientiert, das heißt es be-   te Elemente im System, wie beispielsweise      de Wohlfahrtsstaatsforschung.
hielt die Bedürftigkeitsprüfung der Armen-     das Wohngeld und das Sozialgeld, wogegen       e-mail: joakim.palme@framtidsstudier.se
gesetze bei, erweiterte aber die Anspruchs-    die Arbeitslosenversicherung in Schweden       Johan Fritzell ist Professor für Soziologie und
berechtigung, um einen Großteil der älte-      immer noch Elemente eines freiwilligen         Forschungsdirektor am Institute for Future
ren Bevölkerung zu erfassen. Als die Be-       staatlich subventionierten Modells aufwies     Studies, Stockholm. Arbeitsschwerpunkte:
dürftigkeitsprüfung nach dem Zweiten           (Kangas/Palme 2005). In Bezug auf die          Vergleichende Studien zur Einkommens-
Weltkrieg abgeschafft wurde, wurde – ver-      Krankenversicherung wurden jedoch die          verteilung, Armut und Sozialpolitik.
gleichbar mit der britischen Beveridge Re-     letzten Spuren der Unterstützungskassen        e-mail: johan.fritzell@framtidsstudier.se
form, aber ohne obligatorische Beiträge –      durch eine Verwaltungsreform im Jahr 2005      Åke Bergmark ist Professor für Soziale Arbeit
ein Grundsicherungsmodell mit einem ein-       entfernt und die unabhängigen Versiche-        und Forschungsdirektor am Institut for Future
heitlichen Leistungssatz eingeführt. Zur       rungsfonds in das staatliche Zentralsystem     Studies, Stockholm. Arbeitsschwerpunkt:
gleichen Zeit wurde auch die Einführung        eingegliedert.                                 Sozialversicherungssysteme.
eines allgemeinen Kindergeldes beschlos-           Das moderne schwedische Transferleis-      e-mail: ake.bergmark@framtidsstudier.se
sen. Mit dem Aufbau von verdienstabhän-        tungssystem besteht folglich aus drei grund-
gigen Leistungsansprüchen in den 1950er        legenden Bestandteilen: den sozialen Bür-
Jahren wurden die Programme zur Grund-         gerrechten einschließlich dem System der       Übersetzung aus dem Englischen von
sicherung flächendeckend umgesetzt. Da-        Alters- und Familienvorsorge, den für alle     Karin Vitols

46        WSI Mitteilungen 1/2009
kommensungleichheit und der Armut seit
  Abb. 1: Einkommensverteilung in Schweden
                                                                                                                                1991 dargestellt. Dieser Zeitraum schließt
                                      Durchschnittlich verfügbares Einkommen* in Tsd. SEK                                       die große Wirtschaftskrise in den 1990er
                                                                                                                                Jahren mit ein, als das Bruttoinlandspro-
                    200
                                                                                                                                dukt (BIP) in drei aufeinander folgenden
                    150                                                                                                         Jahren schrumpfte und die offene Arbeits-
 Tsd. SEK

                                                                                                                                losigkeit von weniger als 2 % auf mehr als
                    100                                                                                                         8 % anstieg. Darüber hinaus erhöhte sich
                                                                                                                                in dieser Zeit auch der Anteil der Erwerbs-
                        50                                                                                                      personen, die an Maßnahmen der aktiven
                             1991      1993      1995      1997     1999             2001    2003          2005                 Arbeitsmarktpolitik teilnahmen, von 2 %
  *Die verfügbaren Äquvivalenz-Haushaltseinkommen beinhalten auch Kapitaleinkommen. Die Daten für 1992 basieren auf             auf fast 6 %. Diese Entwicklungen führten
  einer abweichenden Haushaltsdefinition.
                                                                                                                                zu einer Krise in den öffentlichen Haus-
                                                                                                                                halten, die die damalige Regierung durch
                                            Einkommensungleichheit (Gini-Koeffizient*)
                                                                                                                                Steuererhöhungen und Leistungskürzun-
                    0,300
                                                                                                                                gen, und damit zusätzlichem Druck auf
                                                                                                                                die Einkommen der privaten Haushalte,
 Gini-Koeffizient

                                                                                                                                zu bekämpfen versuchte (Palme et al. 2002;
                    0,250
                                                                                                                                Palme 2006) .
                                                                                                                                    Auffällig ist der Rückgang der Einkom-
                    0,200
                                                                                                                                men in der Beschäftigungskrise (Abbil-
                                                                                                                                dung 1, oben). Die Werte stabilisierten sich
                    0,150
                                                                                                                                erst gegen Ende der 1990er Jahre wieder
                              1991      1993      1995     1997      1999            2001     2003         2005
                                                                                                                                und steigen seitdem an. Der überwiegende
  *Der Gini-Koeffizient ist eine Kennzahl für die Ungleichverteilung von Einkommen. Der Wert kann Größen zwischen 0 (maximale   Anteil der Haushalte war zwar von dem
  Gleichheit) und 100 (maximale Ungleichheit) annehmen.
                                                                                                                                Abschwung betroffen, konnte dann aber
                                                                                                                                auch von dem Aufschwung profitieren. In
                                                      Armutsquote* - in % -                                                     Hinblick auf die Einkommensverteilung
                    5
                                                                                                                                waren die unteren 90 % vom Abschwung
                    4
                                                                                                                                betroffen, während alle vom Wirtschafts-
                    3
  %                                                                                                                             aufschwung profitieren konnten. Zwei trei-
                    2
                                                                                                                                bende Kräfte standen hinter dem Anstieg
                    1                                                                                                           des Durchschnittseinkommens: Das ist
                    0                                                                                                           zum einen der Anstieg des Vermögens, der
                        1991         1993      1995      1997      1999          2001        2003          2005                 allerdings nur den oberen Teil der Einkom-
  *Die Armutsquote weist den Anteil der Bevölkerung aus, der über weniger als 50 % des Medianeinkommens verfügt.
                                                                                                                                mensverteilung erreichte und während des
  Quelle: Fritzell (2001), Ministerium für Finanzen (Schweden), Statistics Sweden,
                                                                                                                                Beobachtungszeitraums großen jährlichen
  Berechnungen der Autoren.                                                                                                     Schwankungen ausgesetzt war; zum ande-
                                                                                                                                ren handelt es sich um die Erhöhung der
                                                                                                                                Stundenlöhne, die allen Berufsgruppen
staatsforschung verfolgt hier einen mehr-                            im Allgemeinen als Vorbild für andere mo-                  zugute kam. Diese positive Entwicklung
dimensionalen Ansatz, anstatt sich bei Un-                           derne Wohlfahrtsstaaten gilt. Dieser Status                wurde jedoch durch nur bescheidene Ver-
tersuchungen nur auf das Einkommen                                   ist jedoch fragwürdig. Es gibt nämlich we-                 besserungen in der Arbeitszeit gedämpft.
oder die wirtschaftlichen Ressourcen zu                              der ein schwedisches Wunder in der Hin-                        Die Entwicklung des Gini-Koeffizien-
beschränken. Studien über die Lebensbe-                              sicht, dass jegliche Armut und Ungleichheit                ten, der die Abweichung von der Gleich-
dingungen der Bevölkerung schließen so                               ausgerottet wären, noch in der Hinsicht,                   verteilung der Einkommen indiziert, zeigt
auch Bereiche wie Gesundheit, Ausbildung,                            dass etwas Unerklärliches in der schwedi-                  für die Jahre 1991 bis 2006 (Abbildung 1,
Beschäftigung und politische Teilhabe ein.                           schen Politik stattgefunden hätte. Ganz im                 Mitte), dass die Einkommensungleichheit
Da dieser Beitrag den Fokus auf die redis-                           Gegenteil ist die politische Grundlage eher                zugenommen hat. Sie unterliegt starken
tributiven Prinzipien legt, wird im Folgen-                          einfach: Das Schlüsselwort lautet vor allem                jährlichen Schwankungen. Spitzenwerte
den hauptsächlich der Bereich des Einkom-                            Universalismus.                                            erreichte die Ungleichheit in den Jahren
mens behandelt. Es gibt mehrere Gründe,                                                                                         1994 und 2000. In erster Linie sind diese
warum der schwedische Fall insbesondere                                                                                         Schwankungen auf Veränderungen im
in Hinblick auf die Einkommensverteilung
interessant erscheint. Eine Ursache ist, dass
das Land relativ erfolgreich bei der Umset-
                                                                     2
                                                                     Das Ende der Gleichheit?
                                                                                                                                Steuersystem zurückzuführen, die den Zeit-
                                                                                                                                punkt beeinflussten, zu dem Haushalte ih-
                                                                                                                                re Vermögensgewinne realisieren konnten.
zung seiner sozialpolitischen Ziele war und                                                                                     Die Einkommensungleichheit, gemessen
Armut und Ungleichheit reduzieren konn-                              Im Folgenden wird die Entwicklung der                      am Gini-Koeffizienten, hat ihren Höchst-
te. Ein weiterer Grund ist, dass Schweden                            durchschnittlichen Einkommen, der Ein-                     stand im Jahr 2000 erreicht, als der Koeffi-

                                                                                                                                           WSI Mitteilungen 1/2009
                                                                                                                                                                        47
zient 0,279 betrug. Diesem Höchststand           hundert hin. Mehr Menschen besitzen             goslawien äußerst erfolgreich bei einer ra-
folgte ein Rückgang auf rund 0,250 und ei-       beispielsweise eine sogenannte Barmarge.2       schen Eingliederung in den regulären Ar-
ne weitere Zunahme zwischen 2004 und             Eine solche finanzielle Flexibilitätsreserve    beitsmarkt waren. Dennoch zeigen lang-
2006, die in erster Linie (aber nicht aus-       fehlt vielen Gruppen, so beispielsweise al-     fristige Zeitreihen zur Sozialhilfe, dass zur
schließlich) von der gestiegenen Bedeu-          leinerziehenden Müttern, und sie nahm           gleichen Zeit eine recht große Anzahl von
tung der Vermögensgewinne und ihrer un-          während der ersten fünf Jahre dieses Jahr-      Ex-Jugoslawen längere Zeit in der Sozial-
gleichen Verteilung verursacht wurde. Im         hunderts von 50 % auf 41 % ab.                  hilfe verweilte. Ebenfalls lässt sich eine be-
internationalen Vergleich ist die Einkom-                                                        unruhigende Tendenz bei der räumlichen
mensungleichheit in Schweden allerdings                                                          Segregation von Personengruppen feststel-
nach wie vor niedrig (Atkinson 2003).
    Einen weiteren Aspekt der Einkom-
mensungleichheit stellt die Armutsquote
                                                 3
                                                 Neuer Trend zur
                                                                                                 len. Die sozioökonomische und ethnische
                                                                                                 Segregation in Bezug auf die Wohngebiete
                                                                                                 hat zugenommen. Diese Segregation ist der
dar (Abbildung 1, unten). Wie viele verglei-     Polarisierung                                   räumliche Ausdruck der sozialen Ungleich-
chende Studien bezieht sich auch dieser                                                          heiten. In allen Gesellschaften finden sozia-
Beitrag auf den Standardindikator des Be-        In einer weiteren Untersuchung über die         le und wirtschaftliche Ungleichheiten ihre
völkerungsanteils mit einem Einkommen            Veränderung der Lebensbedingungen stel-         Entsprechungen in der Wohnsituation. Al-
von unter 50 % des Medianlohns. Dieser           len Bergmark/Fritzell (2007) auch fest, dass    lerdings sind Segregationsprozesse poli-
zeigt nur geringe Veränderungen im Laufe         auf die Frage, wer vom System „aufgefan-        tisch beeinflussbar und damit veränderbar.
der Zeit, was angesichts der schwerwiegen-       gen“ und wer „fallengelassen“ wurde, keine      Die bisherige Wohnungs- und Städtebau-
den Wirtschaftskrise und der hohen Ar-           klare Antwort gegeben werden kann. Um-          politik versuchte, so auch größtenteils der
beitslosigkeit erstaunlich ist. Im internatio-   fassende Analysen deuten darauf hin, dass       Segregation entgegenzuwirken.
nalen Vergleich befinden sich die Armuts-        eine Polarisierungstendenz unter gleichzei-
quoten in Schweden und in den anderen            tiger Berücksichtigung verschiedener Di-
nordischen Ländern weiterhin auf niedri-
gem Niveau (Atkinson 2003).
    Neben der Untersuchung dieser allge-
                                                 mensionen der Wohlfahrt insbesondere bei
                                                 Jugendlichen, Migranten und alleinerzie-
                                                 henden Müttern zu beobachten ist. In wirt-
                                                                                                 4
                                                                                                 Eine neue Politik der
meinen Trends ist es auch wichtig, be-           schaftlich guten Zeiten berichtete ein höhe-    Umverteilung
stimmte benachteiligte Gruppen auszuma-          rer Anteil der benachteiligten Gruppen,
chen und die Entwicklung ihrer sozio-            dass sie erwerbstätig seien, ihre Gesundheit    Viele Forschungsergebnisse weisen darauf
ökonomischen Lage zu verfolgen. In einer         gut sei und sie im Besitz einer Barmarge        hin, dass die soziale Ungleichheit größten-
Analyse der 1990er Jahre konnte die Schwe-       seien. Allerdings konnte kein entsprechen-      teils auf individuelle Eigenschaften zurück-
dische Wohlfahrtskommission (Swedish             der Rückgang des Anteils der Personen, die      zuführen ist (Bermark/Fritzell 2007). Wa-
Welfare Commission) aufzeigen, dass die          von schwierigen Lebensbedingungen in            rum sollte man also über eine zunehmen-
meisten soziodemografischen Gruppen              Bezug auf diese drei Wohlfahrtsdimensio-        de Segregation besorgt sein? Es gibt meh-
von der Rezession und ihren Nachwirkun-          nen (fehlende Beschäftigung, Erkrankun-         rere Gründe, warum eine Segregation
gen betroffen waren (Palme et al. 2002).         gen und wenig finanzielle Ressourcen) be-       als Alarmzeichen wahrgenommen werden
Allerdings waren die Auswirkungen bei            richteten, verzeichnet werden. Die letzten      muss: Der wichtigste Grund ist, dass das
drei Gruppen besonders groß: Jugendliche,        beiden Dimensionen hatten zum Beispiel          Prinzip universeller Teilhabe durch geogra-
Migranten und alleinerziehende Mütter            unter den alleinerziehenden Müttern in          fisch getrennte Wohnlagen von Arm und
(Bergmark/Palme 2003). Nach der Wirt-            den Jahren 2004 und 2005 doppelt so hohe        Reich sowie Migranten und Einheimischen
schaftskrise hat sich auch für diese drei        Werte wie in den späten 1990er Jahren.          bedroht wird. Segregation ist ein guter
Gruppen das durchschnittliche Einkom-            Solch eine Polarisierung der materiellen        Nährboden für Vorurteile und selbstgefäl-
men verbessert. Bei den jungen Erwachse-         Lage kann auch bei den Sozialhilfeempfän-       lige Einschätzungen. In einer solchen Ge-
nen und Einwanderern fiel der durch-             gern festgestellt werden. Sowohl die Kosten     sellschaft würde es also immer schwieriger
schnittliche Anstieg bei Frauen höher aus        für Sozialhilfe als auch die Gesamtzahl der     werden, die Unterstützung für einen uni-
als bei Männern. Die Verbesserungen für          Empfänger sanken in den letzten zehn Jah-       versalistischen Wohlfahrtsstaat zu erhalten.
alleinerziehende Mütter waren dagegen            ren. Wenn jedoch die Wahrscheinlichkeit         Eine weitere Herausforderung stellt die ho-
recht bescheiden. In Hinblick auf die sozia-     des Ausscheidens aus der Sozialhilfe be-        he Armutsquote unter Einwanderern und
le Ausgrenzung stellt das gestiegene Ein-        rechnet wird, zeigt sich, dass diese heute      jungen Personen ohne Kinder dar. Eine
kommen der Zuwanderer eine bemerkens-            niedriger ist als je zuvor. Die durchschnitt-   neue Aufgabe für Schweden ist es deshalb,
werte Entwicklung dar und bietet Anlass          liche Verweildauer in Sozialhilfe, die lange
zur Hoffnung auf eine bessere Arbeits-           Zeit ca. vier Monate pro Jahr betrug, hat er-
marktintegration dieser Beschäftigungs-          heblich zugenommen und stieg im Jahr
gruppe, vor allem, weil die Armut in             2006 auf ein Rekordniveau von nahezu            2   Die Barmarge ist ein vom schwedischen Statistik-
Schweden primär mit fehlenden Einkom-            sechs Monaten an. Auch bei neueren Ein-             amt festgelegter Betrag, der die finanzielle Flexibi-
men aus Erwerbstätigkeit zu tun hat. Um-         wanderern deuten einige Beispiele auf eine          lität misst. Wer in der Lage ist, innerhalb einer Wo-
                                                                                                     che 14.000 schwedische Kronen (ca. 1.500 Euro)
frageergebnisse über wirtschaftliche Not-        Polarisierung hin. Frühere Studien haben            in bar zu besorgen, gilt als finanziell flexibel. Dies
lagen weisen ebenfalls auf Verbesserungen        gezeigt, dass im Vergleich zu anderen Mi-           wird als Indikator im jährlich erscheinenden ’Swe-
für benachteiligte Gruppen im neuen Jahr-        granten Personen aus dem ehemaligen Ju-             disch Survey of Living Conditions’ erhoben.

48         WSI Mitteilungen 1/2009
erfolgreiche Strategien zur Bekämpfung          politischen Richtungswechsel. In diesem        risch ausgestaltet ist. Hier könnte argu-
dieser neuen Armut zu entwickeln.               Zeitraum wurden vielfältige Leistungskür-      mentiert werden, dass die individuelle Ri-
    Im Hinblick auf die Einkommensum-           zungen und Steuererleichterungen einge-        sikofreude dem Sozialversicherungssystem
verteilungspolitik lassen sich für die 1990er   führt. Das soziale Sicherungssystem ver-       entgegensteht, sie aber zur gleichen Zeit
Jahre drei Phasen abgrenzen: die große          zeichnete sowohl eine Reduzierung der          auch eine individuelle Wahl ermöglicht.
Steuerreform, das Krisenmanagement und          Beitragsbemessungsgrenzen als auch eine        Die vergleichsweise hohen Verwaltungs-
die wirtschaftliche Erholung (Palme et al.      Kürzung der Lohnersatzleistungen, bei-         kosten des Systems führen zudem dazu,
2002). Die erste Phase führte durch weni-       spielsweise für Langzeitarbeitslose. Diese     dass die Renten niedriger ausfallen werden
ger progressiv gestaffelte Steuersätze und      Veränderungen waren eher unerheblich,          als bisher üblich.
großzügigere Sozialleistungen zu einer Ver-     obwohl sie zu einem etwas höheren Maß an           Ein weiteres Beispiel stellt die neue Me-
schiebung der Ausgaben vom Steuersystem         Ungleichheit beitrugen. Die Steuererleich-     thode der Koordination der Grundsiche-
zum Transfersystem. Das Ausmaß der Ver-         terungen beinhalteten mehr Abschrei-           rung mit anderen Leistungen dar: Früher
teilungseffekte blieb allerdings weitgehend     bungsmöglichkeiten für das Erwerbsein-         erhielten alle Rentner einen Teil ihrer Ren-
unverändert. Die zweite Phase beinhaltete       kommen, die Abschaffung der Vermögens-         te in Form einer gemeinsamen Pauschale.
sowohl Leistungskürzungen als auch Steuer-      steuer und eine weniger progressiv gestaf-     Das reformierte System baut hingegen
erhöhungen. Da der Umfang der Kürzun-           felte Eigentumssteuer.                         hauptsächlich auf die einkommensbasierte
gen aber den der Erhöhungen leicht über-             Alles in allem deuten diese Entwicklun-   Rente. Leistungen der Grundsicherung wer-
traf, nahm die Umverteilung in dieser Zeit      gen im Umverteilungssystem auf eine Nut-       den nur noch denjenigen gewährt, die nicht
etwas ab. Die dritte Phase ist von Steuer-      zenverlagerung zulasten der Arbeitslosen       genug verdient haben, um das Mindest-
senkungen und Leistungserhöhungen ge-           und zugunsten der Beschäftigten hin. Die       niveau zu übersteigen. Diese neue Strategie
prägt, die unter Verteilungsgesichtspunkten     Regierung hatte sich explizit zum Ziel ge-     beinhaltet, um den Universalismus des Sys-
nur zu kleinen Änderungen geführt haben.        setzt, die Zahl der Arbeitslosen durch eine    tems aufrechtzuerhalten, auch Maßnah-
    Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhun-        Stärkung der Arbeitsanreize zu reduzieren.     men zur Förderung der Arbeitsaufnahme
derts können zwei Phasen abgegrenzt wer-        Für das universale Modell der sozialen Si-     für Personen mit niedrigem Einkommen.
den: Die erste stellt eine Fortsetzung der      cherung ergeben sich hieraus Probleme,         Bisher zeichnen sich die politischen Konse-
Trends dar, die sich bereits in den 1990er      weil entsprechende Voraussetzungen nicht       quenzen noch nicht ab, die zukünftig aus
Jahren im Aufschwung abzeichneten. Die          mehr erfüllt werden. Generell hat Schwe-       dieser Grundsicherung in einem System,
zweite Phase ist von politischen Maßnah-        den durch das Prinzip der Preisindexierung     das hauptsächlich auf die einkommensab-
men geprägt,die nach dem Regierungswech-        im Sozialversicherungssystem Schwierig-        hängige Rente setzt, resultieren werden.
sel von einer sozialdemokratischen Min-         keiten, die Einkommensbemessungsgren-              Mit Blick auf Umverteilungsstrategien
derheitsregierung zu einer Mitte-Rechts-        zen bei der Sozialversicherung an das          spielen die Sozialfürsorge und die in ihr
Mehrheitskoalition umgesetzt wurden.            Wachstum der Reallöhne anzupassen. Dies        stattfindenden Veränderungen eine wich-
    Die erste Phase führte zu Steuerer-         könnte wiederum auf lange Sicht dazu           tige Rolle. Eine Analyse dieses Bereiches
höhungen sowie einer schrittweisen Ver-         führen, dass die Unterstützung der Mittel-     zeigt, wie sich Schweden mit dem Dilemma
besserung der Arbeitslosenversicherung          schicht für den Sozialstaat zurückgeht (Pal-   der Einbindung der Mittelschicht in einem
und einer Erhöhung des Kindergeldes.            me 2006).                                      umverteilenden sozialpolitischen System
Außerdem wurde im Jahr 2003 das Ren-                 Die schwedischen Rentenreformen von       auseinandergesetzt hat. Historisch gesehen
tensystem reformiert (Palme 2003). Trotz        1994 und 1998 stellten einen Neuanfang         weicht die Entwicklung der Wohlfahrts-
der Reform wurde garantiert, dass kein          dar und sind für die Interpretation der ge-    pflege, einschließlich der Gesundheitsfür-
Rentner eine geringere Rentenleistung oder      genwärtigen Situation, aber auch in weite-     sorge, in vielerlei Hinsicht von den obigen
ein geringeres verfügbares Einkommen im         ren Kontexten von besonderer Bedeutung         Darstellungen ab. Und das nicht nur, weil
ersten Jahr des Ruhestandes erhalten sollte     (Palme 2003). Durch die Indexierung der        die Fürsorgeleistungen von den Geldleis-
als nach dem alten System. Im Jahr 2006         Einkommensgrenzen für Leistungszwecke          tungen sowohl administrativ als auch fi-
wurde die Beitragsbemessungsgrenze beim         an die Reallöhne stärkte diese Reform in       nanziell getrennt worden sind, sondern
Krankengeld angehoben, was dazu führte,         mehrfacher Hinsicht das universale Siche-      auch, weil die für sie ausgegebenen Beträge
dass Personen mit mittleren bis hohen Ein-      rungsmodell. Dies bedeutet, dass etwa der-     Schweden in internationalen Vergleichen
kommen besser im gesetzlichen Versiche-         selbe Anteil der Arbeitskräfte auch wei-       zu einer Ausnahmeerscheinung machen
rungssystem abgesichert wurden. Darüber         terhin einen Einkommensersatz aus dem          (Korpi/Palme 2004).
hinaus hat die Regierung auch die öffentli-     gesetzlichen System erhalten wird. In dem          Die Universalität der Ansprüche auf
chen Ausgaben für Familien mit Kindern          alten preisindexierten System erreichte da-    Sozialleistungen in Schweden ist im Gro-
erhöht, und zwar in Form einer Anpassung        gegen eine zunehmende Zahl von Perso-          ßen und Ganzen ein Nachkriegsphäno-
der Kindergeldzahlungen für Studierende,        nen ein Einkommen, das durch reale Lohn-       men. Schweden führte Mitte der 1950er
einer Erhöhung des Wohngelds, höherer           erhöhungen oberhalb der Einkommensbe-          Jahre ein universales Gesundheitsfürsorge-
Vorauszahlung von Unterhaltsleistungen          messungsgrenze lag.                            system ein, das später durch den Aufbau
an alleinerziehende Eltern und der Einfüh-           Auch andere Aspekte der Rentenreform      der Altenhilfe und Jugendfürsorge noch
rung von Leistungsansprüchen bei der Ge-        haben möglicherweise erhebliche Auswir-        ergänzt wurde. Nach und nach ist auch die
burt eines zweiten Kindes.                      kungen auf die Zukunft. Das gilt für den       soziale Absicherung für arbeitsunfähige
    In der zweiten Phase kam es allerdings      vollfinanzierten Teil des reformierten Sys-    Personen Teil des universalen Sicherungs-
unter der Mitte-Rechts-Koalition zu einem       tems, der zwar individuell, aber obligato-     systems geworden. In diesem Zusammen-

                                                                                                          WSI Mitteilungen 1/2009
                                                                                                                                       49
hang scheint es auch wichtig, auf die Be-                                                    zialen Dienstleistungen. Hierzu gehört die
deutung von Vollbeschäftigung, aktiver
Arbeitsmarktpolitik und Doppelverdiener-
system hinzuweisen, die das Modell ferner
                                              5
                                              Reform der sozialen
                                                                                             Einführung von Käufer-Anbieter-Model-
                                                                                             len (purchaser-provider models), die, zu-
                                                                                             sammen mit einer Gesetzesänderung im
mitgeprägt haben (Kangas/Palme 2005).         Dienstleistungen                               Jahr 1992, kommerzielle Anbieter in allen
    Die Ausweitung der sozialen Ansprü-                                                      Bereichen zuließ und zu einer Neugestal-
che führte zu steigenden Ausgaben. In         Die Veränderungen bei der Finanzierung         tung der sozialen Dienste führte (Palme et
Schweden kam verschärfend hinzu, dass         der Sozialleistungen, die in den ersten Jah-   al. 2002). Zwar entscheiden die Gemeinden
das Land die weltweit älteste Bevölkerung     ren des 21. Jahrhunderts stattfanden, ver-     und Landkreise weiterhin über die Auf-
aufweist. Allerdings weichen die Nettokos-    anschaulichen gut, wie Schweden mit dem        tragsvergabe bei sozialen Dienstleistungen,
ten des schwedischen Transferleistungs-       Dilemma der Einbindung der Mittel-             aber die Reform hat dazu geführt, dass sich
systems nicht stark von denen anderer         schicht in das umverteilende soziale Siche-    der Anteil der privaten Bereitstellung öf-
westeuropäischer Modelle ab. Das liegt an     rungssystem umging. Dieses Dilemma be-         fentlich finanzierter Dienstleistungen deut-
mehreren Faktoren, wobei die wichtigsten      steht darin, dass Umverteilungspolitiken       lich erhöhte. Es gibt allerdings große Un-
Gründe das relativ hohe formale und           schwerlich ohne die prinzipielle Unterstüt-    terschiede zwischen Branchen und Regio-
tatsächliche Rentenalter sowie die hohe Er-   zung der Mittelschichten durchgesetzt und      nen. Die privaten Versorger haben auch
werbsbeteiligung der Frauen sind (Kangas/     aufrechterhalten werden können; Mittel-        nicht in allen Fällen eine freie Kundenwahl
Palme 2005).                                  schichten sind jedoch häufig von progres-      (customer-choice-modelle), sondern erhal-
    Von der schwedischen Tradition starker    siv gestalteten Steuern und Abgaben belas-     ten ihre Aufträge im Rahmen von Aus-
Steuerfinanzierung universaler Leistungen,    tet, profitieren aber nicht in gleichem Maß    schreibungsverfahren. Die öffentlichen
ergänzt durch Subventionen für freiwillige    von stark umverteilenden Aspekten des          Monopole bestehen also weiterhin fort,
Versicherungen, gibt es jedoch diverse Ab-    Wohlfahrtsstaats. Vor diesem Hintergrund       aber einige Aufgaben werden an private
weichungen:                                   wurden vor allem Bemessungshöchstgren-         Dienstleister abgegeben.
                                              zen für Kindergartengebühren sowie für              Die Wahlfreiheit kann jedoch sehr wohl
(1) Die Gemeinden besaßen immer eine          Dienstleistungen in der Altenpflege einge-     als Wert an sich angesehen werden. Eine
starke finanzielle Verantwortung im Be-       führt (Palme 2006).                            entscheidende Frage für das schwedische
reich der Sozialhilfe und insbesondere hin-        Der Zweck der Einführung von Höchst-      Modell ist nun, ob es gelingen kann, die
sichtlich der Betreuung von „gefährdeten“     beträgen für die Kinderbetreuungskosten        vorhandenen Angebote mit den an sie ge-
Personengruppen.                              bestand darin, der Situation von Familien      stellten Anforderungen in Einklang zu
                                              mit niedrigem Einkommen gerecht zu wer-        bringen. Die Wahlfreiheit im öffentlich fi-
(2) Die Einführung von einkommensab-          den, da die Gebührenhöhe sie ansonsten         nanzierten sozialen Dienstleistungssektor
hängigen Leistungen wurde an neue Fi-         davon abhalten könnte, diese stark subven-     führte als Folge der Einführung von Custo-
nanzierungsmodelle gekoppelt, wobei die       tionierten aber ggf. dennoch kostspieligen     mer-Choice-Modellen in einigen Fällen zu
Sozialversicherungsbeiträge von den Ar-       Serviceangebote in Anspruch zu nehmen.         einer zunehmenden Segregation der Nut-
beitgebern finanziert wurden. Diese Sozial-   Ein weiteres Problem wurde in den zuneh-       zerkreise. So könnte der Wert des Bil-
versicherungsbeiträge wurden auch zur Fi-     menden Randerscheinungen (Armutsfal-           dungssystems – als Schnittstelle für ver-
nanzierung der Arbeitsmarktpolitik und        len) gesehen, die insbesondere Ein-Eltern-     schiedene Gruppen in der Gesellschaft –
der Kindertagesstätten verwendet.             Familien durch das Zusammentreffen der         im Widerspruch zu den Zielen der Wahl-
                                              einkommensabhängigen Gebühren für die          freiheit und anderen Vorteilen stehen, die
(3) Eines der Merkmale der jüngsten Ren-      Kinderbetreuung und der einkommensab-          sich aus einem verstärkten Wettbewerb er-
tenreform ist nun, dass die Beiträge der      hängigen Gewährung von Wohngeld be-            geben sollen. Die Abwägung verschiedener
Versicherten auch tatsächlich dem Renten-     trafen. Die Verschlechterung der wirtschaft-   Ziele sollte deshalb im Idealfall auf ent-
system zufließen. Diese „Benutzerfinanzie-    lichen Situation der Ein-Eltern-Familien in    sprechenden Expertenbewertungen und
rung“ in fast allen Bereichen der Fürsorge    den 1990er Jahren ist Folge der niedrigeren    einer genauen Analyse, wie die verschiede-
ist für das schwedische soziale Sicherungs-   Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit     nen Alternativen sich in der Praxis umset-
modell nichts Neues.                          (und nicht Folge niedriger Leistungen).        zen lassen, basieren.
                                                   In der Altenpflege lagen die Motive et-
Solche Abweichungen relativieren den uni-     was anders. Die Sorge war hier teilweise,
versalistischen und umverteilenden An-
spruch des Modells. So hat die Erhöhung
der Beiträge in der Krise der 1990er Jahre
                                              dass die finanzielle Belastung für die An-
                                              gehörigen der in Heimen lebenden älteren
                                              Menschen durch sehr hohe Nutzungsent-
                                                                                             6
                                                                                             Fazit
bei ökonomisch benachteiligten Gruppen        gelte untragbar werden könnte. Außerdem
überdurchschnittlich dazu geführt, auf die    hat die Gefahr hoher Kosten auch zu Ver-       Die verschiedenen politischen Verände-
Gesundheits- und Altersvorsorge zu ver-       meidungsstrategien bei dem Teil der Haus-      rungen, die seit 1990 stattgefunden haben,
zichten (eingeschränkte Universalität).       halte geführt, der von hohen Gebühren be-      führten bisher nicht zu einem grundlegen-
Gleichzeitig tragen sie aber durch ihre       troffen ist (Überschreibung von Vermögen       den Pfadwechsel in der schwedischen Um-
Steuerzahlungen weiterhin zur Finanzie-       auf Verwandte).                                verteilungsstrategie. Gegenläufige Tenden-
rung solcher Dienstleistungen bei (negati-         Bedeutsam sind außerdem mehrere           zen des Wandels existieren nebeneinander.
ver Umverteilungseffekt).                     Veränderungen in der Organisation der so-      Einige Änderungen zielen darauf ab, die

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etablierte Umverteilungsstrategie zu unter-               Die Finanzierung des Wohlfahrtsstaa-           Altersgruppen abnehmen. In den Jahren
stützen. Andere beschriebene Veränderun-              tes wird entscheidend für seine Zukunft            2025–2030 wird dieser Alterungsprozesses
gen könnten zu einer grundlegenden In-                sein. Eine aktuelle Herausforderung sind           sogar noch dramatischer ausfallen und nur
teressenverschiebung im Hinblick auf den              die hohen Kostenanforderungen, die die             die älteste Bevölkerungsgruppe mit einem
Erhalt des Wohlfahrtsstaats führen. Zum               Bedürfnisse einer älter werdenden Gesell-          Alter von 80 Jahren oder älter wird über-
Beispiel wurden Schwierigkeiten bei der               schaft an die öffentliche Hand und die ver-        haupt noch einen Anstieg verzeichnen.
Nutzung des Steuersystems zu Umvertei-                schiedenen Quellen der Finanzierung stel-               In naher Zukunft stellt die Alterung der
lungszwecken aufgezeigt: Steuersenkun-                len. Ein weiteres Problem ist, dass die Kri-       Bevölkerung in Schweden noch kein Prob-
gen, die in einem Zusammenhang mit ho-                tik am Sozialstaat sich in der Regel auf           lem für das Umverteilungssystem dar. Es
hen Grenzsteuersätzen stehen, führten in              Behauptungen wie mangelnde Kostenkon-              ist jedoch an der Zeit, sich Gedanken zu
der Vergangenheit dazu, dass Umvertei-                trolle und zu wenig Arbeitsanreize stützt.         machen, wie das schwedische Modell der
lungsziele aus dem Steuersystem zu den                Der Anteil der älteren Bevölkerungsgrup-           Zukunft aussehen soll, um dann das Steu-
Transferleistungen verlagert wurden (Pal-             pen nimmt auf lange Sicht immer mehr zu,           eraufkommen entsprechend hieran auszu-
me et al. 2002).                                      während die absoluten Zahlen der anderen           richten!

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                                                                                                                                                     51
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