Oktober 2018 - HSH Nordbank

 
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FOKUS BRASILIEN VOR DER STICHWAHL –
LAND MIT UNGEWISSER ZUKUNFT
23. Oktober 2018

Der rechtspopulistisch-konservative Jair Bolsonaro konnte die
erste Wahlrunde am 07. Oktober deutlich für sich entscheiden.
Die endgültige Entscheidung zwischen ihm und Lula-Ersatz
Fernando Haddad von der linksgerichteten Arbeiterpartei
wird in der am 28. Oktober datierten Stichwahl fallen. Welche
Folgen ergeben sich für die fragile und stagnierende brasiliani-
sche Wirtschaft? Existiert eine Ansteckungsgefahr für andere
Schwellenländer und die Weltwirtschaft? Lesen Sie mehr auf
den folgenden Seiten.
BRASILIEN VOR DER STICHWAHL – LAND MIT
UNGEWISSER ZUKUNFT
Executive Summary
Die Stichwahl am 28. Oktober zwischen dem rechts-konservativen Jair Bolsonaro und dem Kandidaten der Arbeiterpartei
(PT), Fernando Haddad, scheint bereits so gut wie entschieden. An den Märkten zeichnet sich mit Blick auf eine Rallye brasi-
lianischer Vermögenswerte eine eindeutige Präferenz für den als marktliberal geltenden Bolsonaro ab, der sich als Repräsen-
tant des „Anti-Establishment“ darstellt. Der populistische Ex-Militär sagt der Korruption und Kriminialität im Land den
Kampf an und will damit das nachholen, was die PT seiner Meinung nach in 13 Jahren Amtszeit versäumt hat. Das Land be-
nötigt in der Tat essenzielle Reformen - darunter hauptsächlich die des Rentensystems- und mehr Haushaltsdisziplin, um
eine Staatsschuldenkrise in der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas zu verhindern. Eine Staatsschuldenkrise, die derzeit
noch nicht akut ist, dürfte andere Schwellenländer ebenfalls treffen. Auch für Deutschland wäre eine instabile Lage seines
wichtigsten Handelspartners in Lateinamerika schmerzhaft. Es ist durchaus möglich, dass die Wirtschaft von einem „starken
Mann“ profitiert und es Bolsonaro gelingt, das Land wieder auf einen robusten Wachstumspfad zurückzuführen. Es gibt aber
auch eine mindestens ebenso große Gefahr, dass der stark polarisierende Kandidat, der zudem über keinerlei Erfahrung in
politischen Spitzenämtern verfügt, Brasilien noch tiefer spaltet. Zudem wird es bei der Stichwahl am 28. Oktober darauf an-
kommen, welche Mehrheitsverhältnisse sich im Abgeordnetenhaus und Senat ergeben. Auch davon wird abhängen, ob Bol-
sonaro nach seiner Wahl die notwendigen Reformen im Kongress umsetzen kann.

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Ordnung und Fortschritt?
Einleitung
Der rechts-konservative Kandidat der Sozial-Liberalen Partei (PSL) Jair Bolsonaro verfehlte die notwendige absolute Mehr-
heit in dem ersten Wahlgang am 07. Oktober nur knapp, sodass die endgülitge Entscheidung zwischen ihm und dem Kandi-
daten der Arbeiterpartei (PT), Fernando Haddad, in einer Stichwahl am 28. Oktober fallen wird. Bolsonaro, der seit der
Messerattacke auf seine Person am 06. September kontinuierlich in den Umfragewerten zulegen konnte, gilt als der Favorit
der Märkte. Der Linkspolitiker Haddad steht, nicht zuletzt bedingt durch seine Partei, für weniger ökonomische Liberalität.
In aktuellen Umfragen führt Bolsonaro um 18 Prozentpunkte – ein Vorsprung, den noch kein Kontrahent in der noch jungen
Geschichte der brasilianischen Demokratie egalisieren konnte. Die nach der Wahl vorherrschende Rallye brasilianischer Ver-
mögenswerte gilt als Beweis dafür, dass die Märkte eine klare Präferenz für Bolsonaro haben. So hat der brasilianische Ak-
tienleitindex Ibovespa, in dem vor allem große Staatsunternehmen wie Petrobras und die Banco do Brasil am Tag nach der
Wahl vom guten Abschneiden Bolsonaros profitiert haben, um 4,6 % zugelegt. Auch die an der New Yorker gehandelten
American Depositary Receipts (ADR) brasilianischer Titel konnten die Zufriedenheit der Investoren spüren und machten
einige Prozentpunkte gut. Zudem wertetet der brasilianische Real gegenüber dem US-Dollar weiter auf und hat gegenüber
dem Jahresbeginn um 17 % aufgewertet. Am Montag nach der Wahl notierte er zwischenzeitlich bei 3,7122 - ein Tiefpunkt,
der seit Anfang August nicht mehr erreicht wurde. Desweiteren sanken die Risikoaufschläge auf 5-jährige brasilianische
Schuldtitel gegenüber den Pendants aus den USA von 7,45 % am Tag vor der Wahl auf mittlerweile 6,0 %.1 All diese Zahlen
zeigen, dass die Märkte den titulierten „Tropen-Trump“ eindeutig gegenüber Lula-Ersatz Hadddad favorisieren. Wie kommt
es dazu, dass ein derart umstrittener Kandidat, der ungeniert mit seinen rassistischen, homophoben und sexistischen Vorur-
teilen umgeht, so eindeutig von den Märkten präferiert wird? Allgemein verlief eine Wahl, selbst für brasilianische Verhält-
nisse, noch nie so chaotisch wie die jetzige: Vom Verbot der Kandidatur des Top-Favoriten auf die Präsidentschaft Lula da
Silvas (der im Übrigen im Gefägnis sitzt) bis hin zum Mordanschlag auf Bolsonaro drohte die Wahl zwischenzeitlich im
Chaos zu versinken. Vor diesem Hintergrund wirkt das brasilianische auf der Nationalflagge festgehaltene Motto „Ordem e
Progresso“, zu deutsch Ordnung und Fortschritt, mit Blick auf die desaströse politische und wirtschaftliche Lage des fünft-
größten Landes der Welt geradezu sarkastisch.

Abbildung 1: Umfragewerte zur Stichwahl am 28.10. (links) sowie Korrelation der Umfragewerte Bolsonaros und
USD/BRL (rechts)

Quelle: HSH Nordbank Economics, Bloomberg, Datafolha, Ibope, Macrobond

Die zwei Traumata
„Rouba, mas faz“, so lautet ein bekanntes brasilianisches Sprichwort, welches den zum Automatismus gewordenen korrupten
brasilianischen Staatsapparat prägnant zusammenfasst. Aus dem Portugiesischen übersetzt bedeutet das Sprichtwort in etwa
„Stiehlt, aber handelt“ und bezieht sich auf den Mechanismus, der innerhalb der brasilianischen Politik zur Normalität ge-
worden ist. Dass in der Politik Selbstberreicherung die Regel ist, wird hingenommen („Rouba“), aber man erwartet dennoch,
dass Politik gemacht wird („mas faz“). Der so genannte „Lava-Jato“-Korruptionsskandals (zu deutsch: Autowäsche) unter-
streicht diesen Eindruck. Im Zuge dieses im Jahr 2014 aufgedeckten Skandals wird immer noch gegen mehr als 100 brasilia-
nische Politiker ermittelt, von denen bereits 12 verurteilt wurden. Unter diesen ist kein Geringerer, als der 2002 zum Präsi-
dent gewählte Luíz Inácio Lula da Silva (kurz: Lula). Der erste Präsident aus dem linken Parteienspektrum überhaupt und

1   Bloomberg

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Mitglied der brasilianischen Arbeiterpartei (PT) wurde aufgrund von Korruption und Geldwäsche verurteilt. Lange galt er in
den Umfragen zur kommenden Wahl als Favorit auf das höchste Amt in Brasilien, da er trotz Korruption als populärster Poli-
tiker Brasiliens gilt – vor allem in den ärmeren Bevölkerungsschichten im Nordosten Brasiliens. Während seiner Amtszeit
zwischen 2003 und 2011 schaffte er es die Ungleichheit in Brasilien signifikant zu reduzieren (GINI-Koeffizient sank von 58
in 2003 auf 51,3 in 2015). Der 72-jährige verkörpert wie kein anderer Politiker die Arbeitermentalität und wusste stets durch
Charisma und politisches Geschick die Wahlen zu seinen Gunsten zu entscheiden. Er selbst repräsentiert also das Sprichwort
„Rouba, mas faz“, da er zwar selber korrupt war, sich aber gleichzeitig für mehr Gleichheit in Brasilien einsetzte. Seine selbst-
ernannte Nachfolgerin aus der eigenen Partei, Dilma Roussef, wurde 2016 aufgrund von Manipulation des brasilianischen
Haushalts des Amtes enthoben. Sie bestreitet, wie auch Lula, alle Vorwürfe. Ihr Nachfolger, Vize-Präsident Michel Temer
erfreut sich seitdem geringer Beliebtheit innerhalb der brasilianischen Bevölkerung und tritt deshalb nicht einmal zur Wahl
an. Seine Unbeliebtheit resultiert vor allem aus der Tatsache, dass er versucht hat notwendige Reformen anzugehen und das
Haushaltsdefizit zu reduzieren. Anfang des Jahres ist er an der Reformdes Rentensystems gescheitert. Abgesehen davon
steht auch er unter Anklage der Generalstaatsanwaltschaft, Schmiergelder in Höhe von umgerechnet rund 100.000 Euro
angenommen zu haben. Die staatliche Behörden ließen zuletzt alle seine Vermögenswerte einfrieren. All dies zeigt wie die
grassierende Korruption sich durch das gesamten brasilianische Politsystem zieht und das Land seit vielen Jahren lähmt.

Das zweite Trauma, unter dem Brasilien leidet, steht in enger Verbindung mit der Korruption. Seitdem die Ermittlungen im
Zuge des Lava Jato-Skandals begonnen haben, versank die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas in der bis dato heftigsten
Rezession seiner noch jungen Geschichte. Sowohl Präsident Lula als auch seine Nachfolgering Dilma haben es versäumt die
notwendigen Reformen - darunter primär die des Rentensystems - anzugehen und das fortschreitende Hauhaltsdefizit in
Zeiten der wirtschaftlichen Expansion zu senken, um somit die Schuldentragfähigkeit des Landes zu sichern. BIP-Einbußen
von 6% (YoY) markierten 2015 den Tiefpunkt der Rezession. Seit einer leichten Erholung 2017 verharrt das Wachstum auf
einem enttäuschendem Niveau und kann nicht an den langfristigen Wachstumspfad anknüpfen. Zudem lasten die hohe Ar-
beitlosigkeit (12,8%), die niedrige Industrieproduktion und eine Verteuerung der Importe durch die kontinuerliche Abwer-
tung des Reals (+23% gegenüber US-Dollar) auf der Wirtschaft. Die hohe Staatsverschuldung (2017: 84% des BIP) gilt als
das größte Risiko für die Stabilität des Landes und macht es infolgedessen anfällig für exogene Schocks. Für eine neue Regie-
rung wird es also unabdingbar sein, den Schuldenstand zu senken, da sonst eine ähnliche Situation wie in Argentinien droht.
Hierbei bleibt es für die Märkte fragwürdig, ob Linkspolitiker Haddad als Mitglied der Arbeiterpartei diese Disziplin und die
notwendige Reformbereitschaft repräsentiert, die seine Vorgänger jahrelang versäumt haben.

Abbildung 2: Langfristiges brasilianisches BIP und Wachstumstrend

Quelle: HSH Nordbank Economics, Macrobond

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Politisches Chaos und ökonomische Stagnation statt Ordnung und Fortschritt
Mit einem BIP von 2.100 Milliarden US-Dollar (2017, laufend in US-Dollar) repräsentiert Brasilien die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas
und zugleich die achtgrößte Volkswirtschaft der Welt. Als BRICS-Staat zählt es neben Russland, Indien, China und Südafrika zu den wichtigs-
ten Schwellenländern der Welt. Bis vor wenigen Jahren noch galt das ressourcenreiche Land als Wirtschaftswunder Lateinamerikas, da die
Ökonomie durch den Anstieg der weltweiten Rohstoffpreise, steigende Löhne und eine Liberalisierung der Kreditvergabe von Banken enorm
expandieren konnte. Seit dem Ende des Wirtschaftsbooms hat Brasilien mit sinkenden Rohstoffpreisen, niedriger Produktivität und einer
hohen Verschuldung des Privatsektors zu kämpfen. Die von der PT geführte Regierung unter Lula und Dilma hat es versäumt, antizyklische
Auseritätsmaßnahmen während des Rohstoff-Superzyklus zu ergreifen und war nicht bereit die notwendige Reformen anzugehen. Das brasi-
lianischen Rentensystem, von dem primär die Mittel- und Oberschicht des Landes profitiert, frisst 12 % des BIP. Innerhalb aller OECD-Mit-
gliedsstaaten ist Brasilien eines der wenigen Länder, welches bisher kein festes Renteneintrittsalter definitert hat, obwohl der demographische
Wandel die Anzahl von Menschen über 65 bis 2050 verdreifachen wird.2 Ohne eine Reform dieses regressiven Systems droht innerhalb der
nächsten Jahre eine Staatschuldenkrise, da die Staatsverschuldung nach neuesten Projektionen des Internationalen Währungsfonds (IWF)
bis in das Jahr 2023 den Wert von 90 % des BIP zu überschreiten droht. Sowohl die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft 2014 als auch
die der Olympischen Spiele 2016 konnten nicht den erhofften Wachstumsimpuls generieren, sondern verschlimmerten die Haushaltslage
durch den Bau von später kaum genutzten Stadien. Die Anfälligkeit für exogene Schocks verdeutlicht sich in den kritischen Schuldentragfä-
higkeitsindikatoren: Sowohl die Staatsverschuldung (Ende 2017: 84% des BIP) als auch der Finanzierungsbedarf (>14% des BIP), definiert als
Neuverschuldungsbedarf zuzüglich jährlich anfallener Schulden, sind nicht nur nach Ansicht des IWF problematisch.3 Eine gewisse Beruhi-
gung liefert die Tatsache, dass Brasilien zu 90 % in heimischer Währung verschuldet ist, so dass eine Abwertung des Real nur einen geringen
direkten Effekt auf die Schuldentragfähigkeit hat. Insgesamt ist Brasilien aufgrund seiner hohen Verschuldungskoeffizienten verletzlich ge-
genüber Stimmungsschwankungen an den Kapitalmärkten.

Abbildung 3: Staatsverschuldung und Haushaltsdefizit Brasiliens, 2002-2017

Quelle: HSH Nordbank Economics, IWF, Macrobond

Die grassierende Korruption gilt als eines der Hauptprobleme des Landes, da der damit korrespondierende Vertrauensverlust der Bevölkerung
und Investoren enorm auf der Wirtschaft lastet. Lava-Jato (zu deutsch: Autowäsche), bei dem der staatliche Ölkonzern Petrobras üppige
Schwiergelder annahm und im Gegenzug Großaufträge an ein Kartell aus Bauunternehmen vergab, gilt als der größte Korruptionsskandal in
der Geschichte des Landes. Mit Bestechungsgeldern in Höhe von weit mehr als 3 Milliarden US-Dollar hatte die Odebrecht-Baugruppe den
größten Anteil am systematischen Betrug, der noch immer weit über die Landesgrenzen Brasiliens hinausreicht. Lava Jato und die Misswirt-
schaft der letzten Jahre stürzten Brasilien 2015 und 2016 ins politische Chaos und die heftigste Rezession seiner bis dato noch jungen Ge-
schichte. Heute liegt das BIP immer noch 5 % unter dem Wert von Ende 2014. Trotz einer leichten Erholung Anfang 2017, in denen erstmals
wieder marginal positives Wachstum generiert wurde, leidet Brasiliens stagnierende Wirtschaft gegenwärtig unter einer überdurchschnittli-
chen Arbeitslosigkeit (12,1%) und einer seit 2014 kontinuierlich sinkenden Industrieproduktion. In Themen wie Big Data, AI oder Industrie
4.0 hängt das Land weit abgeschlagen zurück. Zudem sind die Nachwirkungen eines zehntägigen Truckerstreiks gegen steigende Treibstoff-
preise im Mai diesen Jahres, der große Teile der Wirtschaft lahmgelegte, noch immer zu spüren, sodass es die fragile Wirtschaft weiterhin

2   Bloomberg
3   KfW Research

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nicht schafft auf seinen langfristigen Wachstumspfad (siehe Abbildung 2) zurückzukehren. Die Inflation lag zuletzt mit 4,1% (CPI) unterhalb
der von der Banco Central do Brasil (BCB) anvisierten Marke von 4,5%. Jedoch verschärfen die Anhebung der Zinsen in den USA sowie die
globalen Handelsstreitigkeiten den Inflationsdruck und setzen die BCB unter Führung von Ilan Goldfajn vermehrt unter Druck. Aktuelle Nach-
richten der Ratingagentur Moody’s zeigen zudem, dass brasilianische Bonds neben ihren argentinischen Pendants die geringste Bonität unter
allen Emerging-Market Bonds bieten. Fragwürdig ist auch, wie lange das noch stabile Ba2-Rating von Moody’s beibehalten werden kann,
sollten sich keine absehbaren Maßnahmen zur Reduktion der Staatsschulden abzeichnen.

Die hohen brasilienspezifischen Kosten, die auch gerne mit dem Begriff „Custo Brasil“ umschrieben werden und letztlich die geringe Produk-
tivität des Landes widerspiegeln, gelten als einer der Hauptfaktoren für das ungenutzte ökonomische Potential des Landes. Hierbei verhindern
die höchsten Steuerabgaben unter allen Emerging Markets, unnötige bürokratische Hürden und eine teils marode Infrastruktur die wirtschaft-
liche Expansion. Brasilien rangiert beim „Doing-Business-Index“ der Weltbank, der den notwendigen Aufwand zur Gründung als auch zur
Führung eines Unternehmens misst, lediglich auf Platz 125 von 190.4 Ein primäres gesellschaftliches Problem stellt die steigende Kriminali-
tätsrate dar, welche zuletzt im Jahresvergleich um 3 % auf 64.000 Mordfälle p.a. gestiegen ist.5 Bezogen auf die Mordrate beherbergt Brasilien
momentan sieben der 20 gefährlichsten Städte der Welt. Zudem leben über 11 % der 211 Millionen Brasilianer laut Definition der Weltbank
(tägliches Pro-Kopf Einkommen unterhalb 1,9 US-Dollar) in extremer Armut.

Zusammenfassend ist der Ausgang der Wahl entscheidend dafür, welchen Weg Brasilien in den kommenden Jahren einschlagen wird. Die
sehr fragile und stagnierende Wirtschaft benötigt wichtige Reformen, um wieder nachhaltig wachsen zu können.

Der Mann mit der Maske
Nachdem das oberste Wahlgericht Brasiliens am 01. September die Kandidatur des im Zuge des Lava Jato-Korruptionsskan-
dals zu zwölf Jahren Haft verurteilten Lulas verbot, trat der ehemalige Bürgermeister São Paulos (2013-2017) und Erzie-
hungsminister, Fernando Haddad, in seine Fußstapfen. Der Sohn libanesischer Einwanderer galt bis dato als unbekannt und
steht auch heute noch im Schatten Lulas. Die Tatsache, dass er sich in der Öffentlichkeit vermehrt mit einem Lula-Konterfei
zeigt, lässt an seiner politischen Autonomie zweifeln. Der promovierte Philosoph, der nebenbei noch akademische Titel in
Wirtschaft und Jura trägt, versäumt es die Verfehlungen seiner Parteigenossen Lula und Dilma anzuerkennen und signali-
siert seinen Wählern und Investoren weder die notwendige Reformbereitschaft, noch die Abwendung vom korrupten politi-
schen System. Seine sozialistische Ausrichtung lässt die Märkte zweifeln, ob er bereit ist Brasilien zu reformieren und wettbe-
werbsfähig zu machen. Die von Steuerexzessen geprägte Historie seiner Partei macht ihn damit zur marktunfreundlichen
Alternative, da diese weitere regulatorischen Vorgaben für Privatbanken – darunter eine neue Steuer für Banken mit hohen
Zinsspreads (Lending Rate – Deposit Rate) sowie einen strenger reglementierten Devisen- und Derivatemarkt – vorsieht.
Zudem plant die Arbeiterpartei für die Zeit nach den Wahlen eine Erhöhung der Erbschaftssteuer und höhere Einkommens-
steuerraten für Besserverdiener.6 Eine formale Unabhängigkeit der Zentralbank sowie eine Privatisierung staatlicher Unter-
nehmen gilt unter einer PT-geführten Regierung als ausgeschlossen.7 Des Weiteren sieht der 55-jährige Dozent der Univer-
sidade de São Paulo eine Erweiterung des Mandats der Zentralbank auf die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit vor. Haddad
betonte selber, dass er staatliche Konzerne wie Petrobras, BB, CEF, Eletrobras oder Correios nicht verkaufen wird, da sein
durch die arbeitnehmerfreundliche Ausrichtung der Partei geprägtes Hauptziel die Schaffung von Arbeitsplätzen und das
Wachstum der Löhne bleibt. 8 Zudem kritisiert er Bolsonaro‘s Wahl von Fernando Guedes als Wirtschafts- und Finanzminis-
ter, da sich Guedes‘ Expertise laut Haddad nur auf Finanzmärkte beschränke. Haddad sieht für den Posten den Unternehmer
Josué Gomes vor, der seiner Meinung nach mehr von der Schaffung von Arbeitsplätzen verstehe als Guedes.

Die PT strebt grundsätzlich eine durch Staatsausgaben initiierte Intervention des Staates zur Förderung der Wirtschaft vor.
Mit Blick auf den sich füllenden „Schuldenballon“ Brasiliens ist diese Maßnahme als riskant zu beurteilen und könnte der
Stabilität des Landes signifikant schaden. In Sachen Außenpolitik befürwortet Haddad eine Intensivierung der Beziehungen
mit den südamerikanischen Nachbarn und steht weiteren Globalisierungsbestrebungen eher kritisch gegenüber. Auch wenn
sich Haddad selber als marktliberal bezeichnet und als Bürgermeister Sao Paulos fiskalisch konservativ war, ist seine wirt-
schaftspolitische Agenda nicht marktliberal. Das Misstrauen gegenüber seiner Person resultiert also weniger aus seinen eige-
nen wirtschaftspolitischen Positionen als aus seinem parteipolitischen Background. Zudem steht die PT, vor allem durch die
ausufernden Korruptionsskandale der Vergangenheit, nicht für einen Umbruch in der Parteienlandschaft Brasiliens und ga-
rantiert somit auch keine Veränderung, obwohl sich ein Drittel des brasilianischen Volkes eine Abkehr von der Korruption
wünscht (siehe Abbildung 4).

4 http://www.doingbusiness.org/en/ranking; Zugriff 05.10.2018
5 The Economist, September 22nd 2018, p.17
6 BNP Paribas
7 Standard Chartered, Brazil - Elections and beyond
8 Bloomberg, Flavia Said

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Faça o Brasil grande outra vez? („Make Brazil great again”)

Abbildung 4: Worauf soll sich der neue Präsident fokussieren? (Umfrage)

Quelle: HSH Nordbank Economics, CNI (März 18), BNP Paribas

Viele Brasilianer sehen Haddad zudem als eine Marionette Lulas und hinterfragen seine politische Autorität. Dies dürfte für
viele Protestwähler ausschlaggebend sein, um sich am 28. Oktober für die einzige Alternative, den Rechtspopulisten Jair Bol-
sonaro, zu entscheiden.

Ein herber Rückschlag für Haddad ist zusätzlich die fehlende Unterstützung weiterer demokratischer Parteien. Dazu zählt
vor allem der in den Wahlen drittplatzierte Ciro Gomes als Kandidat der demokratischen Arbeiterpartei (PDT), welcher lie-
ber in den Urlaub reist, als Haddad bei seiner finalen Wahlkampagne zu unterstützen. Ferner hat ein Großteil der demokrati-
schen Parteien ihre Präferenzen bezüglich einer Stichwahl zwischen Bolsonaro und Haddad auf „neutral“ gesetzt und der PT
somit ihre Unerstützung versagt. Zuletzt erkannte Haddad die auf Lula falsch ausgerichtete Kampagne selbst an und lies das
Gesicht Lulas sowie das sozialistisch angehauchte Rot aus der Wahlwerbung der PT entfernen. Diese Einsicht kommt reich-
lich zu spät, sodass ein Wahlsieg Bolsonaros sehr wahrscheinlich ist.

„Messias“ der Märkte
Die vor der Wahl am 07. Oktober begonnenen und bis heute immer noch anhaltenden Proteste in Brasiliens Metropolen,
gefolgt von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern des rechtspopulistischen Jair Messias
Bolsonaro (Bolsonaros zweite Vorname ist tatsächlich Messias) offenbaren ein noch nie dagewesenes Ausmaß an politischer
Polarisierung im Land, welches sich brasilianischen Medien zufolge zwischen „Faschismus“ und „Kommunismus“ ausprägt.
Gegenwärtig ermittelt die brasilianische Justiz zudem wegen des Verdachts von Wahlmanipulation gegen Bolsonaro, nach-
dem sein Kontrahent Haddad eine Klage beim obersten Wahlgericht eingereicht hat. Demnach soll er Geld von Unternehmen
bekommen haben, die für ihn sog. „Fake News“ über den Nachrichtendienst WhatsApp gestreut haben, um Wähler zu mani-
pulieren. Nun wird geprüft, ob Bolsonaro – der alle Vorwürfe zurückweist - von den Geldern wusste und somit gegen Gesetze
verstoßen hat. Zudem formieren sich in den letzten Wochen primär Frauen und Homosexuelle unter dem Hashtag „Ele Não“
(dt.: Nicht Er), um gegen Bolsonaros Kandidatur zu protestieren. Er gilt aufgrund von homophoben, sexistischen und rassis-
tischen Positionen als heftig umstritten, auch außerhalb Brasiliens. Der Ex-Fallschirmjäger und ehemalige Oberst befürwor-
tet die Todesstrafe, militärischen Interventionismus und spricht sich klar gegen die Aufhebung des Abtreibungsverbots aus
und vertritt damit traditionell christliche und konservative Werte. Seitdem ihm am 06. September ein Angreifer mit einem

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Messer auf einer Wahlkampfveranstaltung in Juiz de Fora lebensbedrohlich verletzte, konnte er durch die daraus resultie-
rende mediale Popularität in Umfragewerten an Zustimmung gewinnen. Allgemein profitiert der populistische Politiker von
der miserablen wirtschaftlichen und politischen Situation des Landes. Er repräsentiert für viele Brasilianer das„Anti-Estab-
lishment“ und gilt somit als einziger Ausweg aus dem Sumpf von Korruption und Misswirtschaft der letzten Jahre und ver-
spricht die steigende Kriminalität zu bekämpfen. Oft vergessen seine Wähler jedoch, dass der siebenfache Kongressabgeord-
nete durch seine langjährige Politikerfahrung ebenfalls zum Establishments gehört. Seine Wähler scheinen jedoch resistent
in Bezug auf neue Vorwürfe gegen den 63-Jährigen, der diese selber als „Fake News“ abstempelt. Gewisse Parallelen zum US-
Präsidenten Donald Trump sind nicht abzustreiten, wobei man Trump im Vergleich als vergleichsweise moderat bezeichnen
müsse. Ein schlauer Schachzug Bolsonaros ist die Nominierung des ehemaligen Investmentbankers Paulo Guedes, der als
ultraliberaler Ökonom der Chicagoer Schule alle wirtschaftspolitischen Entscheidungen als potentieller Superminister für
Finanzen und Wirtschaft übernehmen soll. Bolsonaro, dem es selber offenkundig an ökonomischer Expertise mangelt, ge-
nießt durch Guedes‘ Nominierung vor allem das Vertrauen der Märkte.

Die wirtschaftspolitische Agenda Bolsonaros unterscheidet sich durch einige Punkte signifikant von Haddads. Guedes sieht
in einer radikalen Privatisierung von staatlichen Unternehmen wie dem Ölkonzern Petrobras, der Post Correios, der Staats-
bank Banco do Brasil sowie brasilianischen Flughäfen die Möglichkeit, die gegenwärtigen Staatsschulden um ca. 20% zu re-
duzieren. Die Privatisierung würde vor allem zu einem Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Sektor führen, um die Konzerne
effizienter zu machen. Die geplanten Privatisierungsbestrebungen lassen die Aktien der Konzerne kontinuierlich steigen, was
sich vor allem im Anstieg des Leitindexes Ibovespa erkennen lässt (siehe Abbildung 5). Jedoch scheint es eine Divergenz der
Meinungen zwischen Bolsonaro und seinem designierten Finanzminister Guedes zu geben, da der Präsidentschaftskandidat
zuletzt eine Privatisierung von Energieerzeugern (darunter Eletrobras) ausgeschlossen hat, Guedes hingegen den Verkauf
befürwortet.9 Zudem strebt Bolsonaro eine Änderung des Sozialversicherungssystems an, wobei das jetzige Umlageverfahren,
bei dem die Beiträge zur Finanzierung der aktuellen Rentenbezieher dienen, zu einem Kapitaldeckungsverfahren transfor-
miert werden soll, welches dem einer privaten Lebensversicherung gleicht. Geldpolitisch befürwortet Bolsonaro im Kontrast
zu Haddad die Unabhängigkeit der brasilianischen Zentralbank und möchte das Mandat weiterhin ausschließlich auf Infla-
tion beschränken. Auf der Handelsseite soll die Senkung hoher Importzölle nach Brasilien den Weg für weitere bilaterale
Handelsabkommen ebnen, wobei man dabei näher zu den USA und Israel steht und kritischer gegenüber China und Vene-
zuela.10 An den Finanzmärkten sieht der ultraliberale Guedes weniger regulatorische Maßnahmen für Privatbanken vor, um
den Kapitalmarkt zu „deregulieren“ und um die Investitionen in Brasilien zu erhöhen. Der Fakt, dass Bolsonaro höhere Steu-
ersätze für Besserverdiener ablehnt, erhöht seine Gunst zudem bei der vor allem im Süden Brasiliens ansässigen Elite. Diese
deutlich marktliberale Agenda zeigt auf, weshalb die Märkte die unkonventionelle Präsidentschaft Bolsonaros präferieren,
was sich in der Rallye brasilianischer Assets (siehe Abbildung 5) darstellt.11

Abbildung 5: Rallye brasilianischer Assets (YoY) seit Anstieg der Umfragewerte von Bolsonaro

Quelle: HSH Nordbank Economics, Bloomberg

9    Bloomberg, Bruce Douglas
10   BNP Paribas
11   Standard Chartered, Brazil - Elections and beyond

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Sollte es zu einem Wahlsieg Bolsonaros kommen, dürfte der Real kurzfristig mit einer weiteren Aufwertung reagieren und
auch an den Aktienmärkten dürften die Reaktionen positiv ausfallen. Einen guten Indikator für die gegenwärtige Zuversicht
der Märkte stellt das 12-monatige Kursziel dar (siehe Abbildung 6), welches aus einem Analysten-Konsens hervorgeht. Das
Kursziel des Ibovespa deutet auf eine große Zuversicht für das kommende Jahr: Der brasilianische Aktienleitindex notiert
gegenwärtig bei über 90.000 Punkten und es werden Levels von über 97.000 in den kommenden 12 Monaten erwartet. Die
Berücksichtigung der gegenwärtigen Inflationserwartungen der Investoren (CPI September: 4,1%) relativiert das Wachstum
des Ibovespa allerdings auf ca. 3,7% zum Jahresende. Eine Umfrage der Bank of America Merrill Lynch ergab zudem, dass
2/3 der 43 befragten Analysten den Index oberhalb von 85.000 zum Jahresende sehen. Jedoch bleibt es fragwürdig, ob die
Euphorie der Börsianer nicht irrational ist. Seit der Wahl werden immer mehr Streitpunkte zwischen Guedes und Bolsonaro
bekannt (bspw. Privatisierung Eletrobras), die die Durchsetzung der marktliberalen Reformen Guedes‘ vermehrt in Frage
stellen.

Abbildung 6: 12-monatiges Kursziel des Ibovespa Index vs. Tatsächlicher Ibovespa Index

Quelle: HSH Nordbank Economics, Bloomberg

Gesellschaftlich gesehen steht Bolsonaro – so die weit verbreitete Ansicht – für ein Ende des korrupten politischen Systems
und eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage Brasiliens. Damit repräsentiert er das, was sich mehr als die Hälfte der bra-
silianischen Bevölkerung wünscht (siehe Abbildung 4). Viele Brasilianer befürchten darüber hinaus eine weitere Zuspitzung
der Sicherheitslage im Land, was mit Blick auf die im Jahresvergleich um 3 % gestiegene Mordrate (auf 64.000 p.a.) nicht
ungerechtfertigt ist. Bolsonaro verspricht mit der „mano dura“ (harte Hand) eine vermeintliche Besserung durch mehr poli-
zeiliche Härte und durch eine Liberalisierung der Waffengesetze. Die Tatsache, dass man ihm bis dato noch keinen Korrupti-
onsskandal anhaften konnte, macht ihn - für einen brasilianischen Politiker - zu einer Ausnahme.

Abbildung 7: Sitzverteilung im brasilianischen Kongress 2014 vs. 2019

Quelle: HSH Nordbank Economics, BNP Paribas

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In der ebenfalls am 07. Oktober datierten Kongresswahl zeichnet sich ein ähnliches Bild ab wie bei der Präsidentschaftswahl:
Im Vergleich zu 2014 bleibt der aus 513 Sitzen bestehende brasilianische Kongress ab 2019 zwar weiterhin extrem fragmen-
tiert, wird nun aber signifikant nach rechts driften. Bolsonaro’s PSL konnte ihren Anteil von lediglich 8 Sitzen in der gegen-
wärtigen Legislaturperiode auf 52 Sitze in der kommenden Amtszeit ausbauen und stellt damit die zweitgrößte Partei im bra-
silianischen Kongress. Mit einem Verlust von 8 Sitzen auf insgesamt 56 stellt die PT ab 2019 zwar weiterhin noch die größte
Partei, wird durch den Rechtsruck jedoch vermehrt Probleme in der Opposition bekommen. Traditionell wird die politische
Mitte Brasiliens den Präsidenten unterstützen, wodurch Bolsonaro’s marktfreundliche Koalition die Mehrheit im Kongress
erreichen dürfte und somit die Durchsetzungsfähigkeit von Reformen als wahrscheinlicher gilt als in einer von Haddad ge-
führten Linkskoalition. Wenn der Kongress am 1. Februar 2019 zum ersten Mal tagt, werden 267 der 513 Mitglieder politi-
sche „Neulinge“ sein. Eine derartig hohe Fluktuationsrate der Kongressmitglieder hat es seit 24 Jahren nicht mehr gegeben
und ist hauptsächlich dem guten Abschneiden des rechten Parteienspektrums geschuldet.

Instabilität birgt Ansteckungsgefahren für die Weltwirtschaft
Die Wahl birgt so oder so Gefahren für die größte Demokratie und Wirtschaft Lateinamerikas. Sollte Haddad gewinnen, so
wird die Wahrscheinlichkeit für eine Schuldenkrise Brasiliens in den nächsten Jahren signifikant steigen. Zudem würden die
Märkte ihr ohnehin geringes Vertrauen in das Land gänzlich verlieren und die stagnierende Wirtschaft in eine weitere Rezes-
sion stürzen. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie lange die Rallye der brasilianischen Assets unter einer populistisch und
national geführten Regierung anhalten kann. Eine potentielle ultraliberale Wirtschaftspolitik des von Bolsonaro vorgesehe-
nen Finanzministers Guedes steht im Konflikt mit früheren Ansichten Bolsonaros, der sich zu seiner Zeit eindeutig gegen die
Privatisierung staatlicher Konzerne ausgesprochen hat. Somit bleibt es fragwürdig, ob er seinen ultraliberalen und globalisie-
rungsfreundlichen Kurs auch nach der Wahl zum Präsidenten tatsächlich so umsetzen wird. Jedes Umschwenken seinerseits
würde die Märkte erneut verunsichern und die Rallye beenden. Hinzu kommt, dass Bolsonaro mit seinen gewaltverherrli-
chenden Aussagen und seiner Affinität für militärischen Interventionismus eine Gefahr für die erst seit 1988 existente Demo-
kratie darstellt. Es droht im schlimmsten Fall der Rückfall in eine alte Zeit, in der Folter und Gefängnis an der Tagesordnung
waren, falls er mit politischen Rückschlägen zu kämpfen hat und infolgedessen seine Drohungen bezüglich militärischer
Härte in die Realität umsetzen sollte.

Eine derartige Instabilität birgt auch Gefahren für die Weltwirtschaft. Für Deutschland ist Brasilien der wichtigste Handels-
und Geschäftspartner in Lateinamerika, was nicht zuletzt an der VW-Tochter Volkswagen do Brasil deutlich wird. São Paulo
zählt mit etwa 900 deutsch-brasilianischen Unternehmen zu den größten deutschen Wirtschaftsstandorten weltweit.12 Man
erhofft sich durch die Verhandlung eines europäischen Freihandelsabkommens der EU mit Brasilien im kommendem Jahr
Zugang zu MERCOSUL, dem südamerikanischem Freihandelsabkommen zwischen Brasilien, Argentinien, Uruguay und Pa-
raguay, um somit teure Importzölle nach Südamerika umgehen zu können. An den Finanzmärkten haben vor allem US-ame-
rikanische Banken ein großes Interesse an der Stabilität Brasiliens. Dies zeigen die aktuellsten Daten der Bank für Internatio-
nalen Zahlungsausgleich (BIS), nach denen die US-Banken gegenüber Brasilien Forderungen von über 70 Mrd. US-Dollar
haben, was im Vergleich mit anderen Ländern den mit Abstand größten Wert darstellt (siehe Abbildung 7). Brasilien ist im
Rahmen ihres Emerging Markets-Engagements für US-Banken wie Citibank, Goldman Sachs und Morgan Stanley der viert-
wichtigste Markt – nach China, Mexiko und Südkorea.13 Dementsprechend würde eine Staatsschuldenkrise und eine daraus
resultierende Zahlungsunfähigkeit und ein damit korrespondierender Kreditausfall die Banken signifikant treffen. Als jüngs-
tes Beispiel sind hier die Turbulenzen in der Türkei anzuführen: Obwohl das Engagement der US-Banken in der Türkei deut-
lich geringer ausfällt, wurden die Aktienmärkte in den USA aufgrund möglicher Ansteckungsgefahren getroffen. Ein äquiva-
lentes Szenario für Brasilien könnte also zu deutlich größeren Turbulenzen an den globalen Märkten führen, weshalb die Sta-
bilität Brasiliens vor allem im Interesse des globalen Bankensektors sein dürfte.

12   BVMW
13   Country Exposure Lending Survey E16 (009)

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Abbildung 8: Konsolidierte Forderungen internationaler Banken in Brasilien, Q1 2018

Quelle: Bank for International Settlements (BIS)

“A loucura é breve, longo é o arrependimento” (Kurz ist der Wahnsinn, lang die Reue)
Die Stichwahl am 28. Oktober scheint so gut wie entschieden. Noch nie konnte ein Kandidat einen 18-Punkte Vorsprung in
den Umfragen egalisieren, sodass eine Präsidentschaft Haddads aus jetziger Sicht mit an Sicherheit grenzender Wahrschein-
lichkeit auszuschließen ist. Die Schuld an seiner Niederlage trägt weniger er selber, als die Partei für die er kandidiert. Die PT
ist, bedingt durch die Exzesse und Skandale der Vergangenheit, keine Option mehr für einen Großteil der brasilianischen
Bevölkerung. Misswirtschaft und Korruption haben einen Trümmerhaufen bestehend aus Politikverdrossenheit und Zweifel
an der noch nicht einmal 30-Jahre alten brasilianischen Demokratie hinterlassen. Bolsonaro, auf der anderen Seite, ver-
spricht Brasilien das, was die Menschen sich am meisten wünschen: Mehr Arbeitsplätze, den Kampf gegen Korruption und
ein härteres Durchgreifen gegen die um sich greifende Kriminalität. Die Märkte werden Bolsonaros Präsidentschaft begrüßen
und die daraus resultierende Asset-Rallye bis zum Ende des Jahres fortsetzen. Ab Januar 2019, wenn Bolsonaro im Palácio
do Panalto in Brasília sitzen wird, muss er seine Wahlversprechen in die Tat umsetzen, um die Märkte bei Laune zu halten.
Es gilt die wichtigen Reformen des Rentensystems und Arbeitsmarktes anzugehen und für mehr Haushaltsdisziplin zu sor-
gen. Weitere Missverständnisse zwischen ihm und Guedes bezüglich des wirtschaftspolitischen Kurses werden die Märkte
verunsichern. Mit Blick auf den ehemaligen chilenischen Diktator Augusto Pinochet, der in der Regel die Gunst der Märkte
genoss, hat die Vergangenheit bereits bewiesen, dass Märkte keineswegs ethisch entscheiden. Es gibt durchaus Parallelen zu
der US-Wahl 2016, wo die Wahl Trumps eine ähnliche Risk-On Bewegung an den Märkten auslöste. Bis dato konnte Trumps
Wahl sowie seine Steuerreform und die daraus resultierenden höheren Unternehmensgewinne den US-amerikanischen Ak-
tienmärkten zu Rekordniveaus verhelfen. Ein weiteres Beispiel, wo sich eine autokratische Regierung stimulierend auf die
Wirtschaft ausübt, sind die Philippinen. Seit dem Amtsantritt von Rodrigo Duterte 2016 konnte die philippinische Wirtschaft
zuerst profitieren, läuft in letzter Zeit jedoch vermehrt Gefahr zu überhitzen.

Fraglich und entscheidend bleibt nichtsdestotrotz, wie eine Präsidentschaft Bolsonaros in einem derart gespaltenen Land
aufgenommen wird. Mit Blick auf die Ablehnungsraten, in denen sich 35% der 145 Millionen wahlberechtigten Brasilianer
vehement gegen seine Präsidentschaft aussprechen, offenbart sich die größte Herausforderung für den Autokraten: Bei einer
derartigen Polarisierung der Bevölkerung könnte ein fragwürdiger politischer Kurs, der einen Großteil der multikulturellen
Bevölkerung Brasiliens benachteiligt, zu großem Unmut und daraus resultierenden anhaltenden Protesten führen. Der Tru-
ckerstreik im Mai diesen Jahres hat bereits eindrucksvoll demonstriert, wie sehr derartige Aktionen die Wirtschaft im Land
lähmen können. Sollten die Proteste durch radikale politische Maßnahmen Bolsonaros Zulauf erhalten, so wäre dies eindeu-
tig nachteilig für die Wirtschaft des Landes und würde die anhaltende Asset-Rallye vermutlich relativieren. Man kann nicht
ausschließen, dass unter Bolsonaro das Land seinem Motto „Ordem e Progresso“ gerecht werden wird. Jedoch: Eine nachhal-
tige Stabilisierung würde uns überraschen.

Dominik Hüttemann
Gast-Researcher

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Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 23. Oktober 2018

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