"Operation Allies Refuge": Die US-Luftbrücke - Allgemeine ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
LUFTWAFFE «Operation Allies Refuge»: Die US-Luftbrücke Die USA sowie ihre Verbündeten wurden sprichwörtlich auf dem falschen Fuss erwischt, als die Taliban im Eiltempo die Provinzen und Städte eroberten. Der Fall Kabuls am 15. August sowie das daraufhin einsetzende Chaos beherrsch- ten fortan die Schlagzeilen. Quasi aus dem Stand wurde eine Evakuierungs- mission aus dem Boden gestampft, die in diesen Ausmassen beispielslos ist und als bisher grösste Luftbrücke der Kategorie «Non Combatant Evacuation» in Erinnerung bleiben wird. Insbesondere das «US Air Mobility Command» leistete anlässlich der Operation «Allies Refuge» Aussergewöhnliches.
ASMZ 41 Evakuationen erfolgten rund um die Uhr, während dem Höhepunkt der Luftbrücke hob alle 34 Minuten eine Maschine ab. Bild: media.defense.gov
LUFTWAFFE 42 Thomas Bachmann ihm so hochgelobte und gut ausgerüstete chens auch langjähriges Hauptquartier der afghanische Armee den Taliban nicht stand- US-Streitkräfte in Afghanistan, anfangs Juli Der US-Generalstabschef Mark Milley nahm hielten und innert Kürze kollabierten. Die sprichwörtlich in einer Nacht-und-Nebel- jüngst kein Blatt vor den Mund, als er vor regelrechte Implosion der afghanischen Ar- Aktion verlassen und der afghanischen Re- dem Verteidigungsausschuss des Senats ein mee brachten die USA in Zugzwang – der gierung überlassen worden war; eine Aktion «strategisches Versagen» eingestand, da bisher mehr oder wenig geordnet verlau- beispielloser Kurzsichtigkeit und Ausdruck man den raschen Fall Kabuls nicht annä- fende Rückzug seit dem Abzugsentscheid hernd habe kommen sehen. Die auf die- Mitte April und die schrittweise Überga- ses eingestandene Versagen vorausgegan- be von Basen und Stützpunkten an die af- «Spätestens jetzt sollte gene und zu Beginn überstürzt wirkende ghanischen Verbündeten verkam zur Ma- Evakuation diverser Landsleute und Afgha- kulatur. es sich rächen, dass nen, liess zu Beginn gar ein «Dünkirchen der Militärflughafen des 21. Jahrhunderts» befürchten. Die Bilder, die uns ab dem 15. August Nadelöhr Hamid Karzai Bagram, sprichwörtlich International Airport aus Kabul erreichten, weckten zudem Erin- in einer Nacht-und- nerungen an den panikartigen Abzug aus Die Verlegung dreier Bataillone der US- Saigon, als im April 1975 US-Botschafts- Army und der US-Marines an den Hamid Nebel-Aktion verlassen personal in Extremis vor den anrückenden Karzai International Airport in Kabul wur- und der afghanischen nordvietnamesischen Truppen ausgeflogen de am 12. August vom Pentagon als Sofort- werden musste. Aufnahmen überladener massnahme angekündigt. Dort sollten die- Regierung überlassen Hubschrauber und verzweifelter Menschen se – nebst schon anwesenden türkischen worden war.» flimmerten damals über den Bildschirm Einheiten und einigen US Special Forces – und verliehen dem US-Debakel in Vietnam dafür sorgen, dass die nun anstehende Eva- endgültig eine demütigende Note. Solche kuierung zehntausender Afghaninnen und davon, wie falsch die Sicherheitslage sowie Bilder würden sich nicht wiederholen, so Afghanen sowie Staatsbürgern diverser Na- die Widerstandfähigkeit der afghanischen US-Präsident Joe Biden noch am 8. August. tionen gesichert und abgewickelt werden Armee eingeschätzt wurde. Mit den beiden Weder Biden noch seine hochrangigen Be- konnte. Spätestens jetzt sollte es sich rächen, nördlich von Kabul gelegenen Start- und rater antizipierten, dass Kabul und die von dass der Militärflughafen Bagram, seines Zei- Landebahnen hätte die nun einsetzende
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 11/2021 ASMZ 43 Es herrschten teils che Anforderungen an die eingesetzten Ma- ser Stützpunkt den über 50 eingesetzten chaotische Zustände auf schinen stellte. Phasenweise standen die Tankflugzeugen als Basis. Daneben wurde dem Rollfeld, vor allem zu Beginn der Luftbrücke. Hälfte aller 222 verfügbaren C-17 mit ihren auch die Prince Sultan Air Base in Saudi- Bild: AP Photo/Shekib Rahmani Besatzungen im Dauereinsatz, sei es, die Arabien und die Al Dhafra Air Base in den Luftbrücke von der Basis Al Udeid in Katar Vereinigten Arabischen Emiraten genutzt. nach Kabul zu unterhalten, oder die evaku- Die Evakuierungsoperationen gestalteten ierten Personen weiter nach Sigonella auf sich als derart intensiv, dass der Basis in Ka- Sizilien oder nach Ramstein zu befördern. tar die so unverzichtbaren Energy-Drinks Luftbrücke um einiges effizienter abgewi- Hier leisteten auch 18 zivile Passagierma- für die Crews ausgingen! Im Schnitt flogen ckelt werden können, als es auf dem Hamid schinen amerikanischer Airlines wertvolle die über 400 aufgebotenen Besatzungsmit- Karzai International Airport schliesslich der Unterstützung, die am 22. August vom US- glieder der Air Force, der Air National Guard Fall war. Zu dieser Erkenntnis kamen auch Verteidigungsminister Llyod Austin im Rah- und der Air Force Reserve 12 Einsätze, die die Planer im Pentagon. Kurzzeitig wurde gar men der «Civil Reserve Air Fleet» aufgebo- gut und gerne 12 bis 24 Stunden dauern erwogen, die im italienischen Vicenca sta- ten wurden – überhaupt erst zum Dritten konnten. Dass es da mit den Ruhezeiten und tionierte 173. Luftlande-Brigade einzuset- Mal in der Historie dieses Programmes nach Wartungsintervallen nicht weit her war, ver- zen, um den Flughafen Bagram einzuneh- 1990/91 und 2003/04. steht sich von selbst. Es sei eine «All-Hands- men und für die Dauer der Evakuierungs- Die Basis Al Udeid in Katar bildete On-Deck-Mission» gewesen, so ein erschöpf- mission zu halten. das Nervenzentrum und die Drehschei- ter, aber sichtlich zufriedener C-17-Pilot. Am 15. August begannen sich die Ereig- be schlechthin: Einerseits flogen von hier Neben der C-17 gaben sich sämtliche nisse zu überschlagen: US-Botschaftsper- die meisten C-17 und C-130 ihren «Shuttle- gängigen Transportmuster westlicher Staa- sonal wurde von der US-Botschaft in Kabul Dienst» nach Kabul, anderseits diente die- ten ein Stelldichein. So bewiesen beispiels- mit Hubschraubern ausgeflogen – ein regel- rechter Shuttledienst zwischen Botschafts- gebäude und Flughafen war nun zu beob- achten. Ironie der Geschichte: Unter den Eine Satelliten- aufnahme des Hamid beteiligten Hubschraubern befanden sich Karzai International teilweise die exakt gleichen Exemplare des Airport, mitten im dicht Typs C-46E «Sea Knight» – diesmal ein- besiedelten Kabul angelegt. Bild: thedrive.com gesetzt vom US-Aussenministerium –, die schon Jahrzehnte zuvor in Saigon für den- selben Zweck im Einsatz standen («Ope- Unter beengten ration Frequent Wind»). Die Geschichte Verhältnissen und ohne scheint sich hin und wieder doch zu wie- jeglichen Komfort derholen oder – frei nach Mark Twain – im- fanden die Evakuie- rungsflüge statt, merhin zu reimen. bei einer Toilette an Bord. Bild: nypost.com Boeing C-17 «Globemaster III» als Rückgrat der Luftbrücke Obwohl die Bedingungen vor Ort gelinde gesagt suboptimal waren, gewann die Luft- brücke an Momentum. Das anfangs geäus- serte Ziel, 5000 Personen pro Tag auszuflie- gen, konnte zu Beginn allerdings nicht er- reicht werden. Aufsehen erregten einerseits die chao- tischen Zustände auf der Rollbahn, die für Opfer unter den fluchtwilligen, verzweifel- ten Afghanen und zugleich für bizarre Bilder sorgten, anderseits ein rekordverdächtiger Evakuierungsflug einer C-17 am 15. August mit 823 Menschen an Bord. Die Boeing C-17 «Globemaster III», im Jargon der Crews auch «Moose» genannt, entpuppte sich da- bei mit einer maximalen Zuladung von 85 Tonnen als unermüdlicher Lastesel, der die Verhältnisse und Temperaturen vor Ort bes- tens meisterte, zumal die Höhenlage Ka- buls mit 1791 Meter über Meer zusätzli-
LUFTWAFFE 44 weise die C-130 Hercules H/J, dass diese gischerweise bewahrheiten, als bei einem noch längst nicht zum alten Eisen gehörten. Selbstmordanschlag vor dem Flughafen in Diverse Airbus A400M standen auf Seiten Kabul 13 US-Soldaten und mindestens 110 der NATO-Partner Deutschland, Frankeich, afghanische Zivilisten ums Leben kamen, Grossbritannien, Spanien und der Türkei im was die Hektik der Evakuierung nochmals Einsatz. Diese flogen teils aus ihren tem- befeuerte und Präsident Biden in seinem Be- porären Hubs im benachbarten Usbekis- schluss bestärkte, bis am 31. August die Ope- tan, Tadschikistan oder Georgien nach Ka- ration «Allies Refuge» einzustellen, obwohl CYBER OBSERVER bul und bewiesen ihre Leistungsfähigkeit die westlichen Verbündeten auf eine Verlän- Marc Ruef erstmals unter solchen Umständen. Die gerung der Mission drängten. Head of Research scip AG Luftwaffen Indiens, Kanadas, Australiens und Grossbritanniens, setzten ebenfalls die Fazit C-17 ein. Daneben kamen auch die Airbus A330 MRTT sowie A310 MRTT der Kanadier Als schliesslich am 30. August, kurz vor Mit- Ransomware. Ein florierendes Geschäftsmo- und Australier zum Einsatz, nebst wenigen ternacht, mit Generalmajor Chris Donahue, dell der modernen Cyber-Kriminalität. Nach zivilen Mustern. Kommandant der 82. Luftlandedivision, der der Infizierung durch die Malware werden die letzte US-Amerikaner nach beinahe 20 Jah- Daten des Opfers verschlüsselt. Zugriff da- ren Krieg den afghanischen Boden verliess, rauf erhält man erst wieder, wenn eine Lö- «Keine einzige endete eine Luftbrücke, in der seit dem segeldzahlung erfolgt ist. Mittlerweile dro- 14. August alleine die USA über 79000 Men- hen die Erpresser zusätzlich, dass die Daten Maschine ging bei den schen ausflogen. Durchschnittlich wurden veröffentlicht werden, falls die Zahlung aus- Einsätzen verloren, pro Tag ca. 7500 Zivilisten evakuiert, dies bleibt; zum Beispiel, weil man das Problem während 16 aufeinanderfolgenden Tagen. dank eines Backups lösen konnte. kaum eine Mission Insgesamt gelang es zusammen mit den Firmen und Gemeinden in der Schweiz musste abgebrochen verbündeten Nationen rund 123 000 Men- mussten dieses Jahr gleichermassen mit die- schen – was in etwa der Bevölkerung der sem Problem kämpfen. Auch andere Län- werden, ein Zeugnis Stadt Lausanne entspricht – zu evakuieren, der sehen sich diesem Risiko ausgesetzt. In der Professionalität angesichts der Ausgangslage eine äusserst den USA hiess es im Juni, dass Ransomware- bemerkenswerte Leistung. Zahlungen von der Steuer absetzbar wer- aller Beteiligten.» Keine einzige Maschine ging bei den Ein- den könnten. Mittlerweile ist die Biden-Re- sätzen verloren, kaum eine Mission musste gierung darum bemüht, eine Kehrtwende zu abgebrochen werden, ein Zeugnis der Pro- vollziehen. Stattdessen sollen Ransomware- Die schwierigen Einsatzbedingungen vor fessionalität aller Beteiligten, oder um es Zahlungen unter Strafe gestellt werden. Ort in Kabul manifestierten sich einerseits mit den Worten vom US-Generalstabschef Dieser Ansatz gefällt mir. Viele Unter- in der Tatsache, dass die Maschinen schon Mark Milley auszudrücken: «Nothing short nehmen haben das Thema Cyber-Security im früh nicht mehr betankt werden konnten, of a miracle.» Gemäss General McKenzie Wahn ihrer kapitalistischen Egozentrik sträf- was zu einer regen Präsenz von KC-135 R/T konnten sämtliche Angehörigen der US- lich vernachlässigt. Man hat Risiken ignoriert und KC-10-Tankflugzeugen über Afghanis- Streitkräfte ausgeflogen werden. Trotzdem, oder ihre Auswirkungen in Kauf genommen. tan und dem Golf von Oman führte, ander- es bleibt mehr als ein schaler Nachge- Wenn dann mal was passiert, dann rennt man seits musste die Flugverkehrsleitung von schmack bestehen: Mehrere Zehntausend zu den Medien und heult rum, wie gemein Spezialkräften vor Ort unter improvisier- fluchtwillige Afghaninnen und Afghanen diese hochprofessionellen bösen Ransom- ten Umständen übernommen werden. Ins- konnten letztlich nicht ausgeflogen werden ware-Gangs doch sind. gesamt beeindruckend, welches fliegende und es bleibt zu hoffen, dass diese auf an- Dadurch wird aber in erster Linie von der Arsenal der US-Air Force, US-Navy und der deren Wegen Möglichkeiten finden werden, eigenen Inkompetenz abgelenkt. Das könnte US-Marines über Afghanistan kreiste, stets Afghanistan zu verlassen. mir grundsätzlich egal sein. Aber es werden bereit, Luftnahunterstützung zu leisten. Dass eine solche Operation ohne die von uns bezahlte Ressourcen der Behörden Dies sollte sich glücklicherweise nicht als Unterstützung der USA undurchführbar ist, gebunden und es sind unbescholtene Kun- notwendig erweisen, da die Taliban sich be- mussten die europäischen Verbündeten zäh- den vom Datendiebstahl betroffen. reit erklärten, bis zum 31. August die Eva- neknirschend einmal mehr zur Kenntnis Ein Unternehmen, das sich eine Ransom- kuierungsflüge nicht zu behindern – ein nehmen. Noch vor dem Abflug der letzten ware einfängt und nicht mit dieser umge- Spiessrutenlaufen bis zum Flughafen blieb US-Maschinen stellten die westlichen Part- hen kann, hat in der Regel kein Mitleid ver- vielen Afghaninnen und Afghanen trotz- ner ihre Evakuierungsflüge ein. ◼ dient. Ich gehe auch nicht ins Casino, setzte dem nicht erspart, oft mit ungewissem Aus- im Roulette meine Altersvorsorge auf Rot gang. Gemäss einer frühen Einschätzung und heule nach dem totalen Verlust herum, von General Kenneth McKenzie, dem Be- Oblt a D wie gemein diese Etablissements doch sind. Thomas Bachmann fehlshaber des für Afghanistan zuständigen Wer Risiken eingeht, muss mit den Auswir- M.Sc., M.A. US-Central Command, ging die grösste Ge- 8132 Hinteregg kungen leben können. So einfach ist das. fahr von Terroranschlägen des IS aus. Diese Einschätzung sollte sich am 26. August tra-
Sie können auch lesen