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Zahnärzteblatt SACHSEN 01/20 23 Fortbildung Optimierung der präventiven Eigenschaften der Pellikel durch polyphenolhaltige Pflanzenstoffe – eine Synopsis eigener In-situ -Studien Trotz allgemein rückläufiger Kariesinzidenz in Deutschland sind einige Risikogruppen in besonderem Maße anfällig gegen- über Karies bzw. Erosionen. Die Pellikel ist von elementarer Bedeutung für beide Erkrankungen. Ziel ist es, diese natürliche Zahnschutzschicht in ihren protektiven Eigenschaften gegenüber kariogenen und erosiven Einflüssen zu stärken. Auf der Suche nach Ergänzungen zu etablierten Prophylaxemaßnahmen rücken Naturstoffe in den Fokus der aktuellen Forschung. Insbesondere sekundäre Pflanzenstoffe, wie Polyphenole, wurden vielfach in vitro untersucht und zeigen vielversprechen- de Ergebnisse. Unsere ortsverteilte Arbeitsgruppe Patienten nach Bestrahlung im Kopf- Enzyme als physiologische Zahnschutz- untersuchte erstmals die Wirkung von Hals-Bereich. Die strahleninduzierte schicht. Gleichzeitig wirken andere verschiedenen polyphenolhaltigen Xerostomie führt zu einer reduzierten Pellikelenzyme als Rezeptoren für die Getränken bzw. Naturstoffen auf den antibakteriellen Wirksamkeit bzw. bakterielle Kolonisation der Zahnhart- in-situ-gebildeten initialen oralen Bio- Remineralisations- und Pufferwirkung substanzen und sind somit grundlegend film. Alle getesteten Präparate führten des Speichels. Das als Strahlenkaries be- an der Initiation der Plaquebildung zu einer Verringerung der bakteriellen schriebene Krankheitsbild ist durch eine beteiligt. Die Ultrastruktur der Pellikel Kolonisation der Zahnoberflächen und rasch fortschreitende Form der Karies ist durch eine elektronendichte Basal- verzögerten somit die Ausbildung einer mit früher Kavitation im Bereich der schicht und darauf aufgelagerte glo- kariogenen Plaque. Für einige Präparate Zahnhälse charakterisiert.(4) buläre Strukturen charakterisiert konnte eine Verbesserung des Erosions- Neben der Karies als bakteriell beding- (Abb. 3 a).(8) schutzes der Pellikel gezeigt werden. ter Erkrankung der Zahnhartsubstanzen In einer Studie zum Einfluss säurehalti- Weitere klinische Studien sind notwen- sind in den letzten beiden Jahrzehnten ger Getränke auf die Ultrastruktur der dig, bevor generelle Empfehlungen aus- vermehrt Erosionen als Risikofaktor der in der Mundhöhle (in situ) gebildeten gesprochen werden können. Bestimmte Hartsubstanzschädigung in den Fokus Pellikel wurde gezeigt, dass das Eindrin- Teesorten haben das Potenzial, als ad- gerückt.(5) Insbesondere der Konsum gen der Säuren und das Herauslösen von juvante orale Therapeutika verwendet säurehaltiger Softdrinks, aber auch der Kalzium- und Phosphationen aus dem zu werden bzw. können als Getränk Trend zu gesundheitsbewusster Le- Zahnschmelz durch die semipermeablen im Rahmen einer mundgesunden Diät bensweise mit obst- und gemüsereicher Eigenschaften der Pellikel erschwert empfohlen werden. Ernährung (Smoothies, Bowls) führen zu werden. Die Pellikel schützt somit in be- einer erhöhten Prävalenz von dentalen grenztem Maße vor Erosionen.(10) Einleitung Erosionen.(6, 7) Der topische Einsatz von Fluoriden ist als Bei der Prävention beider Erkrankungs- Goldstandard bei der Vorbeugung von Die Kariesinzidenz ist in Deutschland formen sind grundlegende Erkenntnisse Karies und Erosionen anzusehen.(11, 12) dank etablierter Prophylaxemaßnah- zu Bioadhäsionsprozessen auf den In einer aktuellen Studie konnte be- men in den meisten Bevölkerungs- „non-shedding“ Oberflächen der Zähne legt werden, dass handelsübliche gruppen rückläufig.(1) Dennoch be- von Bedeutung. Als initialer oraler Bio- fluoridhaltige Mundspüllösungen die steht weiterhin eine Polarisierung des film bildet sich zunächst auf allen oral In-situ-Pellikel positiv beeinflussen, Kariesbefalls, vor allem bei Menschen exponierten Oberflächen die Pellikel indem die bakterielle Adhärenz an mit niedrigem Bildungs- und Sozial- aus.(8) Diese bakterienfreie Schicht aus der Zahnoberfläche verringert und die status, bei Pflegebedürftigen und bei adsorbierten Proteinen, Glykoprote- erosionsprotektiven Eigenschaften Kindern aus Familien mit Migrations- inen und Lipiden aus der umgebenden gestärkt werden.(13) Insbesondere für hintergrund.(2) In der Altersgruppe der Mundflüssigkeit ist von dem sekundär Patienten mit hohem Kariesrisiko wird Senioren ist trotz eines zunehmenden gebildeten dreidimensional organisier- neben der täglichen häuslichen An- Anteils eigener Zähne eine hohe Präva- ten bakteriellen Biofilm (Plaque) abzu- wendung fluoridhaltiger Zahnpaste die lenz der Wurzelkaries festzustellen.(3) grenzen.(9) Die Pellikel fungiert durch viertel- bzw. halbjährliche Applikation Ein sehr hohes Kariesrisiko besteht bei verschiedene antibakteriell wirksame von Fluoridlacken beim Hauszahnarzt
24 Zahnärzteblatt SACHSEN 01/20 Fortbildung empfohlen.(14) Angesichts der Kariesrisi- untersucht, wobei verschiedene potenzi- Material und Methoden kogruppen und der trotz des bewährten elle Wirkmechanismen zugrunde gelegt Einsatzes von Fluoriden populationsweit werden. In den meisten Studien wurden Probanden bestehenden Kariesinzidenz besteht der die antibakteriellen Eigenschaften der Es haben bis zu zwölf erwachsene Pro- Bedarf nach neuen ergänzenden bzw. Polyphenole hinsichtlich der Effekte banden an den Versuchen teilgenom- alternativen Produkten in der Kariesprä- gegen Streptococcus mutans, Strepto- men. Die Studienteilnehmer verfügten vention. Dabei rücken Naturstoffe in coccus sobrinus oder Laktobazillen wie über naturgesunde bzw. sanierte Zähne den Fokus aktueller wissenschaftlicher Lactobacillus casei bzw. parodontopa- ohne unversorgte kariöse Läsionen oder Untersuchungen. thogene Bakterien belegt.(19, 20) Andere parodontale Erkrankungen und waren Studien untersuchten mögliche Interak- allgemein-anamnestisch gesund. Die Naturstoffe tionen von Polyphenolen mit Molekülen Ethikkommissionen der TU Dresden auf der Zahnoberfläche zur Verhinde- (EK 147052013) und der Universität des Naturstoffe mit bekannter gesundheits- rung der bakteriellen Adhärenz.(21, 22) Bei Saarlandes (238/03, 2012; 52/05, 2009) fördernder Wirkung sind Polyphenole. dem überwiegenden Teil handelt es sich prüften und genehmigten im Vorfeld Dabei handelt es sich um sekundäre jedoch um In-vitro-Studien oder sie wur- das Studiendesign. Pflanzenstoffe, d. h. Stoffe, die eine den an Ratten durchgeführt.(20, 21, 23) Pflanze nicht für ihren primären Stoff- Es liegen nur wenige klinische Untersu- Studiendesign wechsel zum unmittelbaren Überleben chungen zur Wirkung von Polyphenolen benötigt, wie beispielsweise Duftstoffe, in der Zahnheilkunde vor. Farbstoffe oder Abwehrstoffe gegen Magalhães et al. konnten in einer dop- Schädlinge bzw. Fraßfeinde.(15, 16) Die pelblinden, cross-over In-situ-Studie be- Gruppe der Polyphenole ist äußerst legen, dass ein Extrakt aus grünem Tee vielfältig. Bisher konnten ca. 6.000 ähnlich erosionsprotektiv wirkt wie eine Verbindungen isoliert werden.(15) Als fluoridhaltige Mundspüllösung.(24) Bestandteil unserer täglichen Nahrung Eine chinesische Arbeitsgruppe unter- oder traditioneller Heilpflanzen werden suchte über einen Zeitraum von 24 Mo- Polyphenolen viele positive Einflüsse auf naten bei 157 Schulkindern den Einfluss die menschliche Gesundheit zugeschrie- von polyphenolhaltigen Kaugummis auf Abb. 1 – Dargestellt ist eine individuell her- ben. Das breite Wirkspektrum umfasst den DMFT-Index. Es wurde ein deutlich gestellte Schiene mit bukkal im Bereich der Prämolaren/Molaren befestigten Rinder- antioxidative, antiallergische, antiphlo- geringerer mittlerer Karieszuwachs in schmelzproben gistische, antimikrobielle, antivirale und der Untersuchungsgruppe, verglichen antikarzinogene Eigenschaften, sodass mit Kindern, die polyphenolfreie bzw. u. a. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, keine Kaugummis konsumiert haben, Für jeden Probanden wurde eine indi- Krebs, Osteoporose oder Diabetes festgestellt.(25) viduelle Oberkiefer-Schiene zur intra- mellitus verhindert werden sollen.(17, 18) Unsere Arbeitsgruppe untersuchte den oralen Exposition von Prüfkörpern aus Polyphenolhaltige Tees werden z. T. als Einfluss verschiedener polyphenolhal- bovinen Rinderschmelzproben (Abb. 1) Bestandteil einer gesundheitsfördern- tiger Tees und Spülungen auf die in-situ- angefertigt. Zunächst wurde nach ein- den Diät angesehen. gebildete Pellikel. Dabei wurde die Wir- minütiger Tragedauer der Schienen im kung dieser Präparate auf die anfängli- Mund die Ausbildung einer physiolo- Polyphenole in der Mundhöhle che bakterielle Kolonisation der Pellikel gischen Pellikel gewährleistet. Danach mittels fluoreszenzmikroskopischer erfolgten Spülungen für jeweils zehn In der Mundhöhle kommt es durch Verfahren evaluiert. Minuten mit dem zu testenden poly- Polyphenole zur Komplexbildung und Zudem wurden die Modifikation der phenolhaltigen Präparat (Tabelle 1) und Denaturierung von Speichelproteinen. Pellikel-Ultrastruktur und der Einfluss das Verbleiben der Schienen in situ für Dies wird als Adstringenz (lat. adstrin- auf die Säureresistenz der Pellikel un- einen Zeitraum zwischen 19 min und 8 h. gere = zusammenziehen), d. h. als ein tersucht. Der vorliegende Artikel fasst Anschließend wurden die Prüfkörper raues, pelziges Mundgefühl, wahrge- die bisherigen Ergebnisse der verschie- aus der Schiene gelöst und mit dem ent- nommen.(15) Zudem interagieren Poly- denen In-situ-Versuche unserer orts- sprechenden Testverfahren analysiert. phenole mit Bitterrezeptoren auf der verteilten Arbeitsgruppe zur Wirkung Zunge. verschiedener polyphenolhaltiger Prä- Testverfahren Das kariespräventive Potenzial von Poly- parate auf die natürliche Zahnschutz- Detaillierte Ausführungen zur Durch- phenolen wurde in zahlreichen Studien schicht zusammen. führung der verschiedenen Testverfah-
Zahnärzteblatt SACHSEN 01/20 25 Fortbildung ren sind den Originalarbeiten zu ent- von Professor Speer, Professur für Spezi- Pflanzenextrakte führte jedoch zu signi- nehmen. Die bakterielle Kolonisation der elle Lebensmittelchemie der TU Dresden. fikant verbesserten erosionsprotektiven in-situ-geformten Pellikel wurde fluores- Eigenschaften der Pellikel. Diese über- zenzmikroskopisch untersucht.(26–31) Ergebnisse traf sogar die Wirkung der zum Ver- Zur Überprüfung der Säureresistenz gleich angewandten Fluoridspülung.(32) der Pellikel nach Spülung mit polyphe- Einfluss auf die bakterielle Kolonisation Tanninsäure als Reinstoff (Caelo, Caesar nolhaltigen Präparaten erfolgte in der Zahnhartsubstanzen & Loretz GmbH, Hilden) bewirkte eben- vitro die Inkubation der Prüfkörper in Für alle getesteten Präparate konnte im falls deutlich verringerte säureinduzier- Salzsäure unterschiedlicher Konzentra- Vergleich zu pellikelbenetzten Schmelz- te Kalzium- und Phosphatfreisetzungen tion. Die Freisetzung der Kalzium- und körpern ohne Spülung eine deutliche aus den Schmelzproben und folglich Phosphat-Ionen wurde photometrisch Reduktion der bakteriellen Besiedlung eine gesteigerte Säureresistenz der bestimmt.(27, 29, 32) beobachtet werden (Abb. 2).(26–30) Unter Pellike.(29) Spülungen mit Inula Viscosa- Die Modifikation der Pellikel-Ultrastruk- anderem ist durch Spülungen mit Tee hingegen führte zwar zu einer tur wurde durch die Arbeitsgruppe von Cistus-Tee und Schwarztee eine Reduk- Modifikation der Pellikelultrastruktur, Professor Matthias Hannig in Homburg tion der bakteriellen Anhaftung an eine gesteigerte Resistenz gegenüber elektronenoptisch untersucht. Nach der Pellikel um bis zu 50 % beobachtet Säureangriffen konnte allerdings nicht aufwendiger Präparation und Fixation worden.(30) gezeigt werden.(27) wurden Ultradünnschnitte angefer- tigt und im Transmissionselektronen- Einfluss auf die Säureresistenz Einfluss auf die Ultrastruktur der Pellikel mikroskop (TECNAI 12 Biotwin) analy- der Pellikel Die transmissionselektronenmikros- siert.(26, 27, 29, 32, 33) Die Untersuchung wässriger Extrakte kopischen Aufnahmen belegten für be- Die chemische Analyse der pflanzlichen schwarzer Johannisbeerblätter und von stimmte polyphenolhaltige Präparate, Stoffgemische erfolgte mittels Flüssig- Oregano ergab für die einzelnen Extrak- wie z. B. Cistus-Tee, Inula Viscosa-Tee, keitschromatographie und Massenspek- te keine verbesserte Säureresistenz der Tanninsäure und einen Extrakt aus Blät- trometrie(26, 28) durch die Arbeitsgruppe Pellikel.(32) Die Kombination der beiden tern der schwarzen Johannisbeere, eine Zunahme der Dicke und Elektronendich- te der Pellikel(26, 27, 29, 32) (Abb. 3). Andere Präparate Publikation Adstringenzien führten zu keinen maß- geblichen Veränderungen der Pellikel- Cistus-Tee Wittpahl et. al., 2015 ultrastruktur.(33) Cistus incanus Hannig et. al., 2008 Hannig et. al., 2009 Analytik der Pflanzenstoffe Inula viscosa-Tee Hertel et. al., 2016 Die Analytik der in vier verschiedenen Thymian Schött et. al., 2017 Cistus incanus-Teesorten enthaltenen T. vulgaris sekundären Pflanzenstoffe ergab 29 T. zygis verschiedene Polyphenolverbindungen, T. serpyllum darunter Ellagitannine, Flavanole und T. pulegioides glykosylierte Flavonole. Bei den vier Extrakte Weber et. al., 2015 Produkten wurden bei ähnlichem Poly- Schwarzer Johannisbeerblätter phenolmuster beträchtliche quantitati- Ribes nigrum spec. ve Unterschiede festgestellt.(26) Bei der Untersuchung von vier verschie- Oregano denen Thymian-Arten wurden 45 Po- Origanum vulgare lyphenole identifiziert mit ebenfalls Tanninsäure Hertel et. al., 2017 geringen qualitativen, aber deutlichen Rehage et. al., 2017 quantitativen Unterschieden.(28) u.a. Extrakt aus roten Johannisbeerblättern Rehage et. al., 2017 Ribes rubrum spec. Diskussion EGCG (Epigallocatechingallat) Die Anwendung sekundärer Pflanzen- u.a. Schwarztee, grüner Tee Hannig et. al., 2009 stoffe in der präventiven Zahnheilkunde Tabelle 1 – Getestete polyphenolhaltige Präparate mit Publikationen ist von zunehmendem Interesse. In den
26 Zahnärzteblatt SACHSEN 01/20 Fortbildung hier vorgestellten Studien wurde der sind wichtige phenolische Verbindun- Zusatzstoff in Softdrinks verwendet. Als Einfluss von Polyphenolen in Form von gen, die auch in-vitro-ausgeprägte Reinstoff wurde Tanninsäure erstmalig wässrigen Extrakten (Tee) bzw. als Rein- antibakterielle Eigenschaften aufwie- hinsichtlich der karies- und erosionsprä- stoffe auf die in-situ-gebildeten Pellikel sen.(20, 34) Die funktionellen Gruppen der ventiven Eigenschaften untersucht. Es untersucht. Für alle getesteten Präpara- Rezeptorproteine in der Pellikel können konnte belegt werden, dass Tanninsäu- te konnte eine verringerte bakterielle durch polyphenolische Bestandteile re einen signifikant verbesserten Erosi- Anheftung an die Zahnoberfläche mit- maskiert oder denaturiert werden. Da- onsschutz der Pellikel bewirkt.(29) Dies tels fluoreszenzmikroskopischer Verfah- durch wird die Interaktion der Bakterien ist möglicherweise auf die Modifikation ren festgestellt werden. Insbesondere mit den Rezeptorproteinen erschwert der Pellikelultrastruktur zurückzufüh- Cistus-Tee und Schwarztee erzielten und eine Adhärenz verringert. Zudem ren. eine deutliche Reduktion der initial ad- wurde gezeigt, dass Polyphenole die Polyphenole zeigen eine hohe Affinität härierenden Bakterien gegenüber den Aktivität bakterieller Glykosyltransfera- zu Speichelproteinen wie prolinreiche Kontrollgruppen ohne Spülung. sen hemmen, wodurch die Maturation Proteine oder Histatin. Diese Proteine Als Erklärung für diesen Effekt sind der Plaque und spezifische Adhärenz sind aufgrund ihrer hohen Affinität zu verschiedene Mechanismen denkbar. In auf der Pellikeloberfläche verzögert Hydroxylapatit auch Bestandteil der den Teepräparaten enthaltene Catechi- werden.(35, 36) initialen Pellikel. Durch Ausfällung und ne und Flavonol-O-Glycoside, wie Myri- Tanninsäure wird aufgrund des ad- Adsorption der Polyphenole in die Pel- cetin-Galactosid und Quercetin-Glucosid, stringierenden Geschmacks häufig als likel einerseits und Anziehung weiterer Speichelproteine durch die gebundenen Polyphenole andererseits, kommt es zur 2a 2b Verdickung der Pellikel.(37–39) Joiner et al. dokumentierten, dass durch diesen Prozess nicht nur die Dicke der Protein- schicht, sondern auch die Beständigkeit gegenüber äußeren Einflüssen erhöht wird.(39) Nachdem durch Spülungen mit den wässrigen Pflanzenextrakten von Ore- gano und schwarzen Johannisbeerblät- tern einzeln zwar eine Verdickung der Pellikel, aber kein Einfluss auf die Säure- resistenz der Pellikel festgestellt wurde, führte die intentionelle Kombination beider Extrakte zu einem signifikant 2c 2d verbesserten Erosionsschutz, welcher sogar den Effekt einer als Goldstandard geltenden fluoridhaltigen Mundspüllö- sung übertraf.(32) Dies verdeutlicht, dass nicht einzelne spezifische Wirkstoffe, sondern die Kombination verschiedener Komponen- ten der sekundären Pflanzenstoffe für die Wirkung entscheidend sind. Die Analytik von Pflanzenextrakten mittels moderner spektrometrischer Verfahren ergab eine Vielzahl enthal- tener Polyphenole, die in unterschied- Abb. 2 – Fluoreszenzmikroskopische Aufnahmen der bakteriellen Kolonisation mit verschiede- lichem Ausmaß antibakterielle Effekte nen Färbetechniken. Kontrollen a und b zeigen die bakterielle Besiedlung der Prüfkörper nach erzielten.(26, 28) Es wird demzufolge ein einminütiger intraoraler Exposition: a) BacLight Färbung: grün-vitale, rot-avitale Bakterien; b) DAPI Färbung – alle Bakterien blau, Glukane rot. Aufnahmen c und d erfolgten nach zehnminüti- synergistischer Effekt aller enthaltenen ger Spülung mit wässrigem Brombeerblätterextrakt (Bombastus) und 8 h intraoraler Exposition Polyphenole angenommen. der Prüfkörper. Es ist eine deutliche Verringerung der bakteriellen Kolonisation festzustellen. Aus zahnmedizinischer Sicht ist es trotz
Zahnärzteblatt SACHSEN 01/20 27 Fortbildung aller positiven Effekte unabdingbar, keit oder Tachykardie führen kann. Weitergehende grundlegende Unter- die Eigenschaften der verwendeten Cistus-Tee hingegen könnte auch suchungen sind hierzu erforderlich, um polyphenolhaltigen Produkte näher zu für Risikogruppen, wie Patienten mit geeignete Substanzen zu identifizieren. betrachten. Sjörgren-Syndrom oder Patienten post Die Ergebnisse der In-situ-Versuche un- Roter Traubensaft bewirkt die Reduk- radiatio, empfohlen werden.(41) Zur opti- serer Arbeitsgruppe lassen noch keine tion der bakteriellen Adhärenz an malen prophylaktischen Wirkung wäre abschließenden Empfehlungen für die der Pellikeloberfläche. Dennoch kann die Integration von Cistus-Extrakten in präventive Zahnmedizin zu. Die unter- aufgrund des erosiven pH-Wertes von Kaugummis, Mundspüllösungen oder suchten Tees, die vielfach als Bestandteil Fruchtsäften im Allgemeinen und we- Zahnpasten denkbar. einer gesundheitsfördernden Diät an- gen des hohen kariogenen Fruktose- Einen Ersatz für die tägliche mechani- gesehen werden, haben jedoch positive gehalts roter Traubensaft nicht als pro- sche Biofilmentfernung mit einer fluori- Effekte auf die Zahn- und Mundgesund- phylaktische Mundspülung empfohlen dierten Zahnpaste gibt es zum jetzigen heit ergeben. werden.(6) Zeitpunkt nicht. Grüner Tee gilt als gesundheitlich un- Weiterführende In-situ-Studien zur prä- Dr. Susann Hertel1, bedenklich und wirkt sich nicht negativ ventiven Wirksamkeit von Naturstoffen Dr. Jasmin Kirsch1, auf die Ökologie der Mundhöhle aus. im Bereich der Zahnmedizin sind not- Dr. Isabelle Kölling-Speer2, Allerdings erzielte grüner Tee bei den wendig, um insbesondere den Patienten Professor Dr. Karl Speer2, fluoreszenzmikroskopischen Untersu- mit hohem Kariesrisiko adjunvante Professor Dr. Matthias Hannig3, chungen nicht die gleiche Effektivität Mittel zum Erhalt oder zur Verbesserung Professor Dr. Christian Hannig1 wie Schwarztee oder Cistus-Tee. Es ist ihrer Mundgesundheit zur Verfügung zu vermuten, dass die Fermentation bei zu stellen. Polyphenole wirken sich in 1 Poliklinik für Zahnerhaltung mit Schwarztee entscheidend für die anti- der Regel positiv auf die allgemeine und Bereich Kinderzahnheilkunde, bakterielle Wirkung ist.(40) die Mundgesundheit des Menschen aus. Universitätszahnmedizin, Auch Schwarztee kann wegen des Sie sind zudem kostengünstig und leicht Fetscherstraße 74, 01307 Dresden enthaltenen Koffeins nicht uneinge- verfügbar. Perspektivisch werden Präpa- schränkt angewendet werden, da es vor rate bzw. Konzentrate mit ausgewähl- Professur für Spezielle 2 allem bei Kindern zu unerwünschten ten Polyphenolen verfügbar sein, um die Lebensmittelchemie Symptomen wie Unruhe, Schlaflosig- Zahn- und Mundpflege zu optimieren. Technische Universität Dresden, Bergstraße 66, 01062 Dresden 3a 3b Klinik für Zahnerhaltung, 3 Parodontologie und präventive Zahnheilkunde, Universitätsklinikum des Saarlandes, Kirrberger Straße Gebäude 73, 66421 Homburg/Saar E-Mail: susann.hertel@uniklinikum-dresden.de Abb. 3 – Transmissionselektronenmikroskopische Aufnahmen der physiologischen 30-min-Pelli- kel (a) und nach zehnminütiger Spülung mit Tanninsäure (b). Es ist eine deutlich dichtere Pellikel Quellenverzeichnis: zu erkennen. www.zahnaerzte-in-sachsen.de Anzeige
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