Orientierung Weltweit - VIDEOMAGAZIN 3 - Gesellschaft für interdisziplinäre ...

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VIDEOMAGAZIN 3

 Orientierung
  Weltweit
Inhalt

Editorial ........................................................................................................... 2

PAKISTAN Wohnen als Chance ................................................................. 3

IRAN Frauen fordern Rechte ein ............................................................... 11

ECUADOR Österreichische Zivildiener betreuen Straßenkinder ............. 19

GUATEMALA Ein Bischof im Einsatz für Gerechtigkeit .......................... 27

MEXICO Fußball als Chance .................................................................... 37

MOSAMBIK AIDS-Hilfe aus Rom ............................................................. 45

SAHARA Eine Republik im Exil ................................................................. 55

KENIA Engagement gegen die Gewalt in Kenia ..................................... 63
Editorial

Das Videomagazin „Orientierung – Weltweit“ versammelt acht Filmberichte der Jahre 2001 und
2002 zu entwicklungspolitischen Themen aus dem ORF-Religionsmagazin „Orientierung“.

Die Beiträge werfen Schlaglichter auf spezifische Probleme von Menschen in Pakistan,
Ecuador, Guatemala, Mexiko, Mosambik, Kenia, Demokratische Arabische Republik, Sahara
und im Iran. Verschiedenste Aspekte von Armut und Unterdrückung werden sichtbar: Leben
in den Slums, Frauenrechte, Straßenkinder, Landkonflikte, AIDS, Flüchtlingsschicksale und
Gewalt in den Städten. Gezeigt werden aber auch Projekte und Initiativen, die mit Unterstüt-
zung österreichischer Organisationen versuchen einen Beitrag zur Verbesserung der
Lebenssituation von Menschen im Süden zu leisten.

Dieses Begleitmaterial zur Videokassette bietet neben technischen und inhaltlichen
Beschreibungen zu den einzelnen Fernsehbeiträgen

   ein vollständiges Transkript jedes Beitrages
   ausgewählte Hintergrundinformationen zu den behandelten Ländern und Themen
   Hinweise auf weiterführende Literatur
   didaktische Hilfen für die Bildungsarbeit
   Hinweise auf Organisationen und wichtige Links im Internet

Das Anliegen, interessante Fernsehbeiträge zu entwicklungspolitischen Themen für
Bildungszwecke im schulischen und außerschulischen Bereich zur Verfügung zu stellen, ist
einer Bildungsinitiative des ORF und der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit
zu verdanken.

                                        Heide Tebbich

                                             BAOBAB
                         Entwicklungspolitische Bildungs- und Schulstelle
                                     Weltbilder Medienstelle

2          ORIENTIERUNG WELTWEIT
PAKISTAN
                  Wohnen als Chance
Beitrag im Fernsehmagazin „Orientierung“
des ORF am 30. 06. 2002
Bericht von BARBARA KRENN
Länge: 8 min.

Einsatz zu folgenden Themen
 Pakistan
 Hinduismus
 Kastenwesen und Auswirkung auf die
  Gesellschaftsordnung
 Reinheitsregeln im Kastensystem
 Gemeindeentwicklung
 Entwicklungszusammenarbeit Österreich
 Kastenlose

16 Millionen Menschen leben im pakistanischen Karachi – rund ein Drittel
davon in Slums. Vor allem Hindus, viele von ihnen ehemalige Leibeigene,
die aus der Sklaverei geflüchtet sind, leben unter erbärmlichen Verhältnissen.
Mit der Unterstützung aus Österreich konnte am Stadtrand von Karachi, in
Adam Goth, ein Gemeindeentwicklungsprojekt für Hindus ins Leben gerufen
werden. Die Caritas St. Pölten unterstützt mittels Kleinkreditprogrammen vor
allem Frauen auf ihrem Weg aus dem Leben im Elend. KARIN BINDREITER

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PAKISTAN WOHNEN ALS CHANCE

Transkript
„Du wirst noch der Stolz des Ostens sein –                   den selbst für wohlhabendere Bewohner der Stadt
ich wollte, ich könnte wiederkommen, Karachi,                schlechter und schlechter.
um dich in deiner Größe zu sehen!“                              Hier in Adam Goth lebt Paloo Waljee nun seit zwei
                                                             Jahren in einer Strohhütte. Nicht mehr lange – denn
Das schrieb ein englischer General Ende des 19. Jahr-        bald kann sie eines der gebauten Häuser beziehen.
hunderts. Damals war Karachi ein kleines Fischerdorf         Mit Unterstützung der österreichischen Caritas ist hier
– von Elendsvierteln keine Spur. Heute leben etwa 16         das Hindu-Dorf „Rahe-e Najat“ auf Deutsch „Weg zu
Millionen Menschen in der Stadt, rund ein Drittel von ih-    neuem Leben“ entstanden. Ein Gemeindeentwick-
nen in Slums. Baluch Hotel ist nur einer davon. Hier         lungsprojekt – mit Schule, Gesundheitsstation und
entlang des Hauptentsorgungskanals der Stadt haben           Gemeindezentrum für Bewohner aus dem Slum
sich Muslime, vor allem aber Hindus illegal angesie-         Beluch Hotel. Und auch ein Gebetshaus haben sie
delt. Die meisten von ihnen sind ehemalige Leibeige-         hier. Ihren Tempel haben sie selbst gebaut und selbst
ne. Geflüchtet aus der Sklaverei, in der Hoffnung auf        eingerichtet.
ein besseres Leben. Doch von hier wegzukommen ge-
lingt nur wenigen.                                           Agsa Anwar: „Es hat viel Zeit und Energie und Coura-
                                                             ge gekostet, die Menschen zu motivieren, aus dem
Paloo Waljee: „Acht meiner sechzehn Kinder sind hier         Slum wegzugehen und hierher zu kommen. Sie sind
gestorben – mein Mann auch. Der Schmutz überall, die         der Meinung, dass sie zu Recht in ihrer schlechten
Malaria. Gottseidank – jetzt bin ich weg von hier“.          Situation sind. Das hat mit ihren religiösen Vorstellun-
    Vielleicht 45 Jahre sei sie alt, sagt Paloo Waljee. So   gen zu tun. Als Angehörige einer niedrigen Kaste glau-
genau weiß sie das selbst nicht. In ihren ehemaligen         ben sie, für frühere Fehler bezahlen zu müssen. Wir
Slum kommt die Frau nur noch zu Besuch. Viele ihrer          motivieren sie dazu, ihr Leben in die Hand zu nehmen,
Hindu-Freunde leben hier. Zur Begrüßung: ein Zeichen         für ihre Rechte einzutreten und um Gesundheit, Bil-
des Segens. So wie Paloo Waljee wollen auch sie weg          dung und ein besseres Leben zu kämpfen“
von hier. Denn hier ist das Leben hart – die Gewaltbe-          Wer in Adam Goth leben will muss auch einer gere-
reitschaft hoch.                                             gelten Arbeit nachkommen. Gemeinsam mit der Pro-
                                                             jektleitung hat Paloo überlegt, wie sie Geld verdienen
Rani Badshaya: „Er ist ein Muslim – wir sind Hindus –        könnte. Windräder, Trommeln und diverses Kinder-
deshalb kommt er immer und bekämpft uns. Das geht            spielzeug fertigt sie nun an. Sie braucht Geld, um ihr
schon seit Jahren so. Immer wieder gibt es Streit zwi-       Haus finanzieren zu können. Rund 2.300 Euro kostet
schen uns. Er sagt immer: Wir haben hier nichts verlo-       ein Haus in Adam Goth. Den Kredit, den sie von der
ren, wir sollen fort aus der Stadt, fort aus dem Gebiet,     Caritas dafür bekommen hat, muss sie zur Hälfte zu-
das Areal ist nicht für Hindus. Ich habe ständig Angst,      rück bezahlen. Ihre Töchter stehen Paloo Waljee tat-
dass etwas Schlimmes passiert. – Irgendwann wird et-         kräftig zur Seite.
was passieren.“
   Fünfundzwanzig Familienmitglieder leben hier. Ar-         Paloo Waljee: „Mein größter Wunsch ist, dass ich mit
beit zu finden ist so gut wie unmöglich. Wer will schon      dieser Arbeit genug verdiene, um hier weiter leben
jemanden anstellen, der nicht einmal eine Adresse vor-       zu können und meine Familie ernähren zu können.
zuweisen hat?                                                Zwei meiner Töchter müssen noch verheiratet wer-
                                                             den – auch das kostet Geld.“
Tulsi Badshaya: „Ich möchte mit meiner Familie dort-            Frauen werden hier in besonderem Maße unter-
hin, wo Paloo lebt, nach Adam Goth. Hier regiert nur         stützt. Nicht nur finanziell. Gewalt in den Familien – ge-
der Tod – und es ist gefährlich da. Ich möchte in eine       gen Frauen und Kinder – gehört zum Alltag. Ein Tabu-
Siedlung, in der wir Hindus zusammenleben können –           bereich – darüber gesprochen wird normalerweise
wo wir unseren Glauben nicht verstecken müssen, wo           nicht. Die Frauenbeauftragte in Adam Goth jedoch ver-
wir Wasser haben und wo wir auch Geld verdienen              sucht gemeinsam mit den Betroffenen nach Lösungen
können.“                                                     zu suchen.
   Adam Goth ist etwa eineinhalb Autostunden entfernt
vom Slum. Die Fahrt führt quer durch Karachi. Die            Agsa Anwar: „Unserer Kultur und unsere Religion hat
größte Stadt Pakistans leidet am enormen Bevölke-            uns gelehrt, was auch immer dein Ehemann tut, du
rungswachstum. Die Einwohnerzahl steigt jährlich um          musst das akzeptieren und bei ihm bleiben bis ans
rund eine halbe Million. Die Lebensbedingungen wer-          Lebensende. Deshalb ist es auch nicht üblich, dass

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PAKISTAN WOHNEN ALS CHANCE

sich jemand beschwert oder sein Leid mit jemandem           Paloo Waljee: „Um für einen Tag gut leben zu können,
teilt. Hier in Adam Goth haben wir nun begonnen, in         muss ich all das verkaufen. Die Trommeln, die Wind-
Frauengruppen das Thema Gewalt anzusprechen. Die            räder, die Rasseln – alles kostet gleich viel. Wenn ich
Frauen sollen wissen, dass sie Rechte in der Familie        hundert Stück am Tag verkaufe, bin ich sehr zu-
haben. Dass sie mitreden dürfen, wenn ihr Ehemann           frieden“.
Entscheidungen für seine Töchter oder die Familie trifft.        Während Paloo Waljee in der Stadt ihr Glück ver-
Sie sollen lernen, darüber zu reden. Schön langsam,         sucht, wird in Adam Goth fleißig gearbeitet. Die Dorf-
Schritt für Schritt öffnen sich die Frauen und kommen,      bewohner bauen ihre Häuser selbst. Die Caritas St.
um ihre Probleme mit uns zu besprechen“.                    Pölten nennt die Siedlung „Niederösterreich-Dorf“. Sie
     Tag für Tag macht sich Paloo Waljee auf den Weg        will hier weitere 200 Häuser finanzieren. Die ersten fünf-
in die Stadt um ihre Waren zu verkaufen. Mit einem          zig können schon bald bezogen werden. Auch Paloo
Sammeltaxi fährt sie in bessere Wohngebiete der             Waljee wird hier künftig wohnen können.
Stadt. Den halben Tag zieht sie durch die Straßen und
versucht Kinder anzulocken.

Allgemeine Hintergrundinformationen zum Land

Hauptstadt: Islamabad
Analphabetenrate 1998: männlich: 42 %, weiblich: 71 %
Anteil der Bevölkerung unter 15 Jahren: 42 % (Ö 17 %)
Anteil der Bevölkerung über 65 Jahren: 4 % (Ö 15 %)
Lebenserwartung von Frauen: 63 Jahre (Ö 81 Jahre)
Lebenserwartung von Männern: 63 Jahre (Ö 75 Jahre)
Arzt pro 1.000 Einwohner (2001): 0,6 (Ö 3)
Bevölkerungswachstum (in Mio. Personen)
1950: 39,5
1998:141,9
2002: 143,5
2025: 258,1
(Quelle: http://www.swi-austria.org/)

Politische Entwicklung:                                     tänden von Indien vornehmlich in das westliche Paki-
Der britische Herrschaftsanspruch auf dem Indischen         stan umzusiedeln. Allerdings war der muslimische Be-
Subkontinent dauerte fast 200 Jahre an und endete           völkerungsteil innerhalb der Indischen Union etwa
1947. Die Gegensätze zwischen Hindus und Moslems            gleich groß wie die Gesamtbevölkerung Pakistans.
führten zur Teilung des britischen Subkontinentes in In-    Diese Grenzziehung birgt bis heute ein hohes Konflikt-
dien und Pakistan.                                          potential in sich.
   Pakistan bestand zunächst aus zwei, durch 1.600             1956 trat die erste pakistanische Verfassung in
Kilometer indischen Territoriums geteilte Landesteilen:     Kraft. Pakistan wurde eine islamische Republik. 1971
dem östlichen Teil Bengalens als Ostpakistan und dem        spaltet sich Ostpakistan ab und erklärt sich als Bang-
westlichen Teil des Punjab, Sindh, der North Western        ladesh unabhängig.
Frontier Province und Baluchistan als Westpaktistan.           Seit der Staatsgründung übernahm das Militär vier-
Das Gründungsprinzip der „Zwei Nationen-Theorie“            mal die Macht: 1958 bis 1969 unter Feldmarschall
beinhaltete eine räumliche und staatliche Trennung der      Ayub Khan, 1969 bis 1971 unter General Yahya Khan,
Hindu- und Muslimbevölkerung. Die mehrheitlich von          1977 bis 1988 unter General Zia ul-Haqu und seit dem
Muslimen bewohnten Verwaltungsdistrikte Britisch-In-        12. Oktober 1999 unter General Pervaiz Musharraf.
diens bilden Pakistan. Jammu und Kashmir wird von           Innenpolitisch verfolgte Zia ul-Haqu bei scharfer Unter-
Indien verwaltet. Die teilweise willkürlich erscheinende    drückung aller politischen Gegner einen Kurs der Isla-
Grenzziehung der Briten veranlasste mindestens sie-         misierung, den er 1984 durch ein Referendum bestäti-
ben Millionen Muslime unter oft blutigen Begleitums-        gen ließ.

                                                                            ORIENTIERUNG WELTWEIT                   5
PAKISTAN WOHNEN ALS CHANCE

Die Wahlen im November 1988 gewann die PPP mit             Mullah Omar mit Osama Bin Laden, Namen von Tätern
Benazir Bhutto. Sie wurde zur Ministerpräsidentin ge-      und Luftaufnahmen von Ausbildungslagern, vorgelegt
wählt und als erste Regierungschefin eines islami-         bekam, schlug er sich über Nacht auf die Seite des
schen Landes eingesetzt. Das Parlament wurde aber          Westens.
bereits 1990 wieder aufgelassen.                              Musharraf gewährte den Amerikanern Überflug-
   1993 siegte der ehemalige Außenminister F. A. Leg-      rechte für ihre Militärmaschinen und erlaubte bald
hari. Grenzkonflikte um Kaschmir führten wiederholt zu     auch dem FBI die Suche nach Terroristen, die aus
Konflikten mit Indien.                                     den Bergen von Tora Bora über die afghanisch-paki-
   Seit der Staatsgründung hat Pakistan vier Militärdik-   stanische Grenze geflohen waren. Viele hochrangige
taturen erfahren: 1958 bis 1969 unter Feldmarschall        westliche Politiker besuchten seit Herbst 2001 Islam-
Ayub Khan, 1969 bis 1971 unter General Yahya Khan,         abad.
1977 bis 1988 unter General Zia ul-Haqu und seit dem          Pakistan erwartete durch die Neupositionierung
12. Oktober 1999 unter General Pervaiz Musharraf.          Vorteile gegenüber dem Erzfeind Indien. Die USA so-
                                                           wie die EU verurteilten die Überfälle in die von Indien
Der 11. September 2001                                     kontrollierten Teile von Kaschmir. Der Konflikt mit Neu-
Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001           Delhi verschärfte sich. Indien positionierte an der De-
rückte Islamabad, lange vom Westen vernachlässigt,         markationslinie 100.000 Soldaten. Pakistan antwortete
über Nacht ins Zentrum der Weltpolitik: Die Taliban        mit atomaren Raketen-Tests. Indische Gegner verlang-
(„Religionsstudenten“) waren zum größten Teil in paki-     ten ebenfalls die Aktivierung der Nuklearwaffen in In-
stanischen Koranschulen von Islamisten ausgebildet         dien. Es kam zu einer friedlichen Lösung. Die pakista-
worden. Der Geheimdienst ISI unterstützte die Taliban      nische Regierung versprach, Überfälle auf Indien zu-
bei ihrem Vormarsch nach Kandahar und Kabul mit            künftig zu verhindern. Indien entspannte die Lage
Waffen und Logistik. Das Taliban-Regime, besonders         durch Good-Will-Gesten. Aber weder Pakistan noch
die Gruppierung um Mullah Omar, war für Pakistan, ab-      Indien verzichteten darauf, Kaschmir zu kontrollieren.
gesehen vom religiösen Fanatismus, ein strategisch         Die Grenze, die durch die Ausläufe des Himalaya über
verlässlicher Nachbar, ein Gegengewicht zum feind-         5.000 Meter hohe Gipfel führt, bleibt weiterhin eine der
lichen Indien im Osten. Seit dem Attentat am 11. Sep-      umstrittensten in der Welt.
tember 2001 ist Afghanistan eine Belastung für Paki-          Im aktuellen Kampf gegen den Terrorismus hat also
stans Beziehungen zur Außenwelt.                           Pakistan eine wichtige Rolle übernommen. Es wurde
    General Musharraf, der im Oktober 1999 durch ei-       dafür mit der Aufhebung einiger nach den Atomversu-
nen Putsch an die Macht kam, verlangte zunächst Be-        chen von 1998 verhängten Wirtschaftssanktionen und
weise für die Verwicklung der Taliban in den Terror.       dem Versprechen neuer Schuldenerlasse sowie mit
Doch als Pakistan Details über die Verbrüderung von        Krediten belohnt.

Hintergrundinformation zu den Themen des Beitrags

Soziale Situation                                           31 % der pakistanischen Bevölkerung leben unter
Während Ende der 80er Jahre 17 % der Bevölkerung in          der Armutsgrenze von 1 Dollar pro Tag
absoluter Armut lebten, liegt der Anteil nun bei 31 %.      Säuglingssterblichkeit: 9,5 %
Durch die hohen Staatsausgaben für Militär und Schul-       Anteil der Frauen an formeller Beschäftigung: 13 %
dendienst bleibt kaum Geld für Bildung, Gesundheits-
wesen und Soziales. Nach dem unblutigen Militär-           Gewalt gegen Frauen: eine Fallstudie zeigt, dass 6
putsch von Oktober 1999 wurden zwar Maßnahmen              82 % der Frauen im ländlichen Punjab und 52 % der
zur Bekämpfung der Korruption ergriffen und wirt-          Frauen in den Städten Punjabs von ihren Männern zu-
schaftliche Reformmaßnahmen eingeleitet, ein Ende          mindest einmal geschlagen wurden. Jährlich werden
der wirtschaftlichen Talfahrt ist jedoch nicht in Sicht.   mehrere 100 Ehrenmorde registriert (Morde an Frauen
„Human Rights Watch“ stellt im jüngsten Menschen-          wegen angeblicher sittlicher Verstöße).
rechtsbericht außerdem eine weitere Verschlechterung
der Menschenrechtssituation und eine Verschärfung          Wohnverhältnisse
religiös motivierte Gewalt fest.                           Aufgrund der wirtschaftlichen Lage wurde der Woh-
 Militärausgaben: 4,6 % des BNP, Ausgaben für Bil-        nungsbau stark vernachlässigt. Nach Schätzungen
    dung und Gesundheitswesen: 3,6 %                       fehlen 5,2 Millionen bis 7,8 Millionen Wohnungen, und

6          ORIENTIERUNG WELTWEIT
PAKISTAN WOHNEN ALS CHANCE

ihre Zahl nimmt jährlich um über 250.000 zu. Es gibt                      Wahlrecht für Minderheiten vorgesehen- vier für Chri-
Kampagnen, um illegale Siedlungen, in denen rund                          sten, vier für Hindus, einer für Ahmadiyas und einer für
40 % der städtischen Bevölkerung leben, zu zerstören.                     andere Minderheiten.
Einer Erhebung aus dem Jahr 1998 zufolge sind 8 %                            Das getrennte Wahlrecht brachte viele Nachteile mit
aller Wohnungen aus Lehm, weitere 8,3 % aus Bambus                        sich. Obwohl die Christen dem getrennten Wahlrecht
oder Holz unter losen Strohdächern.                                       zustimmten, erkannten sie nach den ersten Wahlen,
                                                                          dass die nicht-muslimischen Stimmen überhaupt keine
Arbeitsbedingungen                                                        Bedeutung für die muslimischen Mitglieder der Natio-
Die wirtschaftliche Situation erforderte Entlassungen in                  nalversammlung hatten, die einen örtlichen Wahlkreis
einer Höhe von über 100.000 Beschäftigten darunter                        vertraten. So konnten die Meinungen, Forderungen
sind viele Ärzte, Ingenieure, Unternehmensverwalter,                      und Wünsche aller Nicht Muslime außer Acht gelassen
Informatiker, die dann versuchten im Ausland eine Ar-                     werden. Christen beklagen sich darüber, dass kein Mit-
beit zu bekommen. Wer Arbeit findet oder hat, ist oft-                    glied der örtlichen Volksvertretung sie anhört, nicht ein-
mals mit niedrigen Löhnen und schlechten Arbeitsbe-                       mal die Polizei.                (Quelle: Länderheft Pakistan, S. 172 f)

dingungen konfrontiert. Der Gewerkschaftsführer Ka-                          Nur im ehemaligen Ostpakistan wohnte eine an-
ramat Ali beklagt, dass das Recht auf die Gründung                        sehnliche Hindu-Minderheit. Die Sikhs flüchteten aus-
von Gewerkschaften und auf Tarifverhandlungen                             nahmslos nach Indien. In West-Pakistan wohnen heute
gegenüber der Zeit vor der Unabhängigkeit Pakistans                       wenige (und meist Angehörige der untersten Kasten)
beschnitten wurde. Obwohl die Verfassung Sklaverei                        um als „Faustpfand“ dienen zu können.
und Zwangsarbeit verbietet und 1992 ein Gesetz über
die Abschaffung der Schuldknechtschaft angenom-                           Der Hinduismus
men wurde, ist Schuldknechtschaft, vor allem in Ziege-                    Hindus verehren neben ihrem Hauptgott, je nach Glau-
leien und in der Landwirtschaft, nach wie vor weit ver-                   bensgemeinschaft, auch viele andere Götter. Während
breitet.                                                                  in christlichen Religionen das Leben als eine chronolo-
    In Pakistan gibt es seit 1949 Quotenregelungen bei                    gische Reihe geschichtlicher Ereignisse verstanden
der Vergabe öffentlicher Posten und gesellschaftlicher                    wird, betrachten Hindus das Leben als einen ewigen
Schlüsselpositionen. Nach dieser Regelung erhalten                        Kreislauf von Wiedergeburten bis zur Erlösung vom
die einzelnen Regionen und Verwaltungsgebiete einen                       Zwang zur Wiedergeburt.
ihrer Bevölkerungsgröße entsprechenden Anteil an öf-
fentlichen Planstellen zugesprochen. So wollte man                        Karma-Lehre und Wiedergeburt
benachteiligte Regionen fördern. Die Realität sieht                       Die Karma-Lehre besagt, dass jede Tat ihre Konse-
anders aus. Vetternwirtschaft und Hintergehung der                        quenzen hat, positive oder negative; das Karma be-
Gesetze prägen den Alltag bei der Vergabe der                             stimmt Rang und Art der Wiedergeburt. Durch gute Ta-
Arbeitsplätze und so zeigt sich, dass gesellschaftliche                   ten, wie z. B. Waschungen, Meditation, Blumen-, und
Schlüsselpositionen in der Mehrheit von Punjabis                          Reisopfer, Pilgerfahrt etc. sammeln sich Hindus wäh-
eingenommen werden.             (Quelle: Länderheft Pakistan, S. 19 f.)   rend des Lebens ein Guthaben an (das Karma).
                                                                              Die Karma-Lehre basiert auf der unsterblichen See-
Diskriminierung nichtislamischer Religionen                               le, und das Karma bewirkt, dass Hindus eine andere
Benachteiligung erfahren Anhänger nicht-islamischer                       Ansicht von der Seele haben als Christen. Im Hindu-
Religionen in Bezug auf Land- und Eigentumsfragen,                        ismus wird der Glaube vertreten, dass jede individuel-
auf Erziehung und Beschäftigung, die Verspottung und                      le Seele viele Reinkarnationen durchwandert. Die See-
Fehldarstellung in den Medien sowie die Meinung eini-                     le muss danach trachten, sich mit dem „absoluten
ger Muslime, dass Hindus, die aus einer niederen Ka-                      Sein“, auch Brahman genannt (nicht zu verwechseln
ste abstammen, rituell unrein sind und nicht mit Musli-                   mit dem hinduistischen Gott Brahma), zu vereinen. Die
men essen oder die gleichen Gebrauchsgegenstände                          Lehren der Christenheit dagegen bieten der Seele – je
benutzen dürfen.                                                          nach dem religiösen Bekenntnis – die Möglichkeit, in
   So gibt es ein getrenntes Wahlrecht für religiöse                      den Himmel, die Hölle und das Fegefeuer zu kommen.
Minderheiten seit 1978. Nach diesem System dürfen                             Eine Konsequenz der Karmalehre ist der Glaube
Minderheiten nicht mit ihren muslimischen Nachbarn                        der Hindus, ihre gegenwärtigen Lebensverhältnisse
für einen Kandidaten stimmen, der ihren örtlichen                         rührten von einem früheren Leben her und sie hätten
Wahlkreis vertritt. Sie müssen aus einer Liste von Kan-                   sie demnach verdient, seien sie gut oder schlecht.
didaten, die ihrer eigenen Religion angehören, einen                      Wird ein besseres Leben im Sinne der Lehre geführt,
auswählen. Zehn von insgesamt 217 Sitzen in der Na-                       so wird das nächste Leben erträglicher. Deshalb ge-
tionalversammlung waren gemäß dem getrennten                              ben sich Hindus mit ihrem Los eher zufrieden als west-

                                                                                              ORIENTIERUNG WELTWEIT                            7
PAKISTAN WOHNEN ALS CHANCE

liche Menschen. Hindus betrachten alles als eine Fol-       nigungsritual und die Zustimmung der Kastenoberen
ge des Gesetzes von Ursache und Wirkung in Bezie-           eine Wiedereingliederung beantragen.
hung zu ihrem früheren Leben.                                   Viele Kastenlose traten 1956 zum Buddhismus über,
                                                            weil sie den einzigen Ausweg um mehr Rechte zu er-
Das Kastenwesen                                             langen darin sahen, die Religion zu wechseln. Heute
Ein allgemein bekannter Aspekt des Hinduismus ist           ist das Kastenwesen zwar offiziell abgeschafft, trotz-
das Kastenwesen (Warna), das die Menschen in ver-           dem sind die Kasten – besonders in Indien – noch jetzt
schiedene Klassen aufteilt. Im Hinduismus wird man in       bestimmte Realität im Zusammenleben. So werden Ka-
ein strenges Kastenwesen hineingeboren. Die Zuge-           stenlose bis heute stark benachteiligt und sie haben
hörigkeit zur Kaste wird als vorherbestimmtes, unaus-       sich den Namen „Dalits“ gegeben, was „die Unter-
weichliches Schicksal gesehen, das Ergebnis des ei-         drückten“ bedeutet. Kastenlose werden noch immer
genen Tuns im vorigen Leben. Grundsätzlich streben          als unrein betrachtet. Diese Unreinheit im religiösen
aber viele der unteren Kasten danachn durch Heirat          Sinn wird als etwas verstanden, das der Person anhaf-
oder eine andere Form der Aufwertung in eine höhere         tet und durch Blicke und durch Berührung übertragen
Kaste zu kommen.                                            werden kann. Daher üben Kastenlose bis heute die
                                                            „unreinen“ Berufe aus, wie Leichenträger, Latrinenrei-
Die Hierarchie der Kasten                                   niger, Lederarbeiter, Straßenkehrer. Die Auswirkungen
Brahmanen (Priester)                                        dieser religiösen Reinheitsvorstellungen können soweit
Kschatriyas (Krieger, Adel)                                 gehen, dass ein brahmanischer Arzt die Kastenlosen
Vaischyas: (Kaufleute, Bauern)                              bei der Behandlung nicht berührt.
Shudras: (Handwerker, Diener, Knechte, Wäscher,
Rikscha-Fahrer)                                             Die Ehe im Hinduismus
Parias/Harijans: die Kastenlosen („Unberührbare“)           Der Zweck einer Hindu-Ehe ist, möglichst viele Söhne
                                                            zu bekommen. Erst wenn die Ehefrau einen Sohn ge-
Reinheitsregeln                                             bärt, wird sie von ihren Schwiegereltern akzeptiert. Die
Religiös relevant sind im Kastenwesen die Reinheitsre-      Erbschaft wird auch nur an den Sohn vererbt, die Mäd-
geln, welche vorschreiben wer mit wem Umgang ha-            chen ziehen in das Haus der Schwiegereltern.
ben darf (Heirat, gemeinsames Essen, berufliche Be-             Viele Eltern haben das Problem mit der Mitgift. Um
ziehungen). Das Kastensystem regelt demnach auch,           die Mädchen verheiraten zu können, müssen die Eltern
wer welchen Berufen nachgehen darf. Diese Regeln,           eine Mitgift an die Eltern des Jungens bezahlen. Des-
die für jede Kaste anders sind, legen das gesellschaft-     halb kommt es vor, dass Mädchen vor der Geburt ge-
liche und berufliche Leben streng fest. Verstößt ein Mit-   tötet werden, besonders wenn schon eine Tochter da
glied einer Kaste gegen diese Regeln, kann dieses von       ist, aus Angst eine so hohe Mitgift nicht mehr zahlen zu
der Kaste ausgeschlossen werden oder durch ein Rei-         können.

Projekte der Caritas St. Pölten in Pakistan

Gemeinde-Entwicklungprogramm                                verschiedene wirtschaftliche Initiativen der Gemeinde-
Das Ziel des Gemeinde-Entwicklungsprogrammes ist            bewohner und die Ausbildung von Lehrkräften für die
es, Menschen eine Perspektive außerhalb ihres Slums         Gemeindeschule.
aufzuzeigen. Ein Schwerpunkt der Caritas-Arbeit ist
das Gemeindeentwicklungsprogramm „Rah-e-Najat“              Der Lebensweg von Ruth Pfau
(Weg zu neuem Leben) für die Bewohner des Hindu-            Ruth Pfau wurde 1929 in Leipzig geboren. 1949 flüch-
para-Slums. Dr. Ruth Pfau und ihre Mitschwester Jean-       tete sie in den Westen. Sie studierte Medizin und wäh-
nine Geuns kauften drei Hektar Land am Stadtrand von        rend ihrer Assistentenzeit trat sie dem Orden der
Karachi und überredeten die ersten Familien ihre            Töchter vom Herzen Maria bei. Seit 1960 lebt Ruth
Elendsquartiere zu verlassen und sich auf dem Pro-          Pfau in Pakistan. Die erste Begegnung mit Leprakran-
jektgrundstück niederzulassen. Mit österreichischer         ken in einer Bettlerkolonie in Karachi bestimmte ihr Le-
Hilfe wurde ein Gemeindezentrum mit Gesundheitssta-         ben und ihre Arbeit. 1980 wurde sie zur Nationalen Be-
tion und Schule errichtet. Heute leben bereits 3.000        raterin für das Lepra- und TB-Kontrollprogramm für
Menschen auf dem neuen Gemeindegebiet. Neben                ganz Pakistan durch die pakistanische Regierung er-
dem Hausbau finanziert die Caritas St. Pölten auch          nannt. 1981 ging sie erstmals illegal nach Afghani-

8          ORIENTIERUNG WELTWEIT
PAKISTAN WOHNEN ALS CHANCE

stan. Wichtige internationale Aufgaben im Auftrag der      Mädchen und Frauen stärken
Weltgesundheitsorganisation wurden ihr anvertraut.         Im „Manghopir Entwicklungs-Programm“, stehen drei
Ruth Pfau ist immer noch unermüdlich im Einsatz. Sie       Frauen an der Spitze. Die Hilfsorganisation betreibt vie-
ist nach wie vor ehrenamtliche Beraterin im Gesund-        le verschiedene Bildungs- und Sozialprojekte (Schulen,
heitsministerium der islamischen Regierung von Paki-       Gemeindeentwicklungsprogramme für Slumbewohner;
stan. Darüber hinaus ist sie aktiv mit der Weiterbildung   Handwerksprojekte, Kleinkreditprogramme, …) in Ka-
der medizinischen Hilfskräfte befasst und bemüht sich      rachi. Förderung von Frauen wird im „Manghopir Ent-
derzeit um eine Neustrukturierung der Sozialarbeit in      wicklungsprogramm“ in vorbildlicher Weise praktiziert.
den Projekten.                                             Einerseits ist die Förderung von Mädchen und Frauen
                                                           integrativer Bestandteil jedes Projektes. Andererseits
Hilfe für afghanische Flüchtlinge in Pakistan              wurde im Jahr 2001 mit finanzieller Hilfe der Caritas
In Pakistan leben mehr als zwei Millionen afghanische      St. Pölten eine eigene Frauenabteilung geschaffen.
Flüchtlinge. Für viele ist eine Rückkehr noch nicht            Die Frauenabteilung leistet Informations- und Bil-
möglich. Viele kamen schon vor 23 Jahren, als die So-      dungsarbeit, begleitet Frauengruppen und Frauen-
wjetunion Afghanistan besetzte. Im vergangenen             projekte und stärkt so das Selbstbewusstsein der
Jahr flohen tausende Menschen in Afghanistan vor           Frauen. Oft ist es schon ein bedeutender Schritt,
der extremen Dürre und im Herbst 2001 vor den ame-         wenn sich Frauen über ihre Probleme austauschen
rikanischen Bombardements nach dem 11. Septem-             können oder wenn sie durch Zusammenarbeit in Pro-
ber. Die Rückkehrmöglichkeiten sind im Moment              jekten ein Stück soziale und wirtschaftliche Unabhän-
noch sehr beschränkt. Viele Gegenden in Afghani-           gigkeit erreichen. Die Frauenabteilung nimmt sich
stan sind vermint und unpassierbar. Die Sicherheits-       besonders Frauen an, die in Not geraten oder Opfer
lage ist für heimkehrende Familien nach wie vor un-        von Gewalt werden.
beständig. Afghanistan hat sich auch von der drei-             Auf die Schaffung eines „Frauenhauses“ wurde trotz
jährigen Dürre noch nicht erholt.                          Finanzierungsangeboten bewusst verzichtet, da da-
   Die meisten Flüchtlinge leben in bitterer Armut. Die    durch die Frauen und Mitarbeiterinnen einer großen
Flüchtlinge, die erst vor kurzem nach Pakistan gekom-      Gefahr von Übergriffen ausgesetzt wären. Die Frauen-
men sind, verfügen kaum über Kleidung und Nahrung.         abteilung des Manghopir Entwicklungsprogramms ar-
Sie brauchen Zelte, Decken und andere Hilfsgüter, um       beitet aber intensiv mit anderen Frauenförderungspro-
überleben zu können.                                       jekten und Menschenrechtsorganisationen zusammen
   Im vergangenen Jahr leistete die Caritas Nothilfe für   um eine optimale Hilfe in der jeweiligen Notsituation zu
die neu angekommenen Flüchtlinge in Pakistan. Sie          gewährleisten.
versorgt die Flüchtlinge mit Lebensmitteln und ande-           In Zusammenarbeit mit der Caritas Pakistan führt
ren Hilfsgütern, vor allem warme Kleidung, Zelte und       die Caritas St. Pölten folgende Projekte für bedürftige
Decken. Ein spezielles Ernährungsprogramm gibt es          Frauen und Mädchen durch: Errichtung eines Strick-
für Kinder und Schwangere, da sie in der Wachstums-        zentrums für blinde und sehbehinderte Mädchen in
phase mehr proteinhaltige Nahrung benötigen. Außer-        Lahore, zwei Projekte zur Alphabetisierung und Förde-
dem beteiligt sich die Caritas am Auf- und Ausbau der      rung einkommensschaffender Aktivitäten von Frauen
neuen und alten Flüchtlingslager.                          in den Armenvierteln Lahores.
                                                               Pakistan ist ein Kooperationsland der österreichi-
                                                           schen Entwicklungszusammenarbeit (siehe www.eza.at)

Didaktische Tipps

1 Diskutiere das Kastensystem und deren Auswir-               Kasten sind, dazu zu bewegen in die neu gebaute
  kung auf die Gesellschaft?                                  Siedlung zu ziehen und ihre Lebensumstände zu
2 Was bedeutet es für Hindus eine religiöse Minder-           verbessern. Hindus glauben, ihre gegenwärtigen
  heit zu sein, in einem Staat wie Pakistan, bei dem          Lebensverhältnisse rührten von einem früheren Le-
  die Religion und der Staat so eng miteinander ver-          ben her und sie hätten sie demnach verdient, seien
  bunden sind?                                                sie gut oder schlecht. Welche Auswirkung hat die
3 Im Film wird kurz angesprochen wie schwierig es             Karma-Lehre auf das Leben der Angehörigen unte-
  war, die Slumbewohner, die Angehörige der unteren           rer Kasten?

                                                                           ORIENTIERUNG WELTWEIT                  9
PAKISTAN WOHNEN ALS CHANCE

 WEITERFÜHRENDE ORGANISATIONEN, LINKS, LITERATUR UND FILME

 Organisationen                                                   Moorcroft, Christine: Religionen kennen lernen:
 Botschaft der Islamischen Republik Pakistan                      Hinduismus. – Mülheim/Ruhr: Verl. an der Ruhr, 1995. –
 Hofzeile 13, A-1190 Wien                                         51 S. (im Verleih der Medienstelle BAOBAB: H-1/2016.)
 Tel: 0043(1) 3687381
 Fax: 0043(1)3671831                                              O’Brien, Joanne; Palmer, Martin: Weltatlas der Religionen.
                                                                  – Bonn: Dietz, 1994. – 128 S (im Verleih der Medienstelle
                                                                  BAOBAB: H-1/0203.)
 Links
  www.swi-austria.org/                                           Länderprofil Pakistan. – Wien: ÖFSE, 1998. – 29 S. –
  www.al-islam.org                                               (Länderprofil) (im Verleih der Medienstelle BAOBAB:
  www.hindu.dk/deutsch/default.htm                               II-1025/5.)
  www.hindunet.org
  www.islamische-glaubensgemeinschaft.at/startseite.htm
                                                                  Materialien und Medien zum Globalen Lernen
                                                                  (für schulische Zwecke)
 Literatur                                                        Eine Mediensammlung zum Thema „Religionen im Dialog“
 Länderprofil Pakistan. (1998). ÖFSE. (Hrsg.). (im Verleih        erhältlich im BAOBAB.
 der Bibliothek des ÖFSE).

 Länderheft Pakistan. (2002). Evangelisches Missionswerk          Erlebnissaustellung
 Deutschland (EMW) (Hrsg.). (im Verleih der Bibliothek des        DER VORDERE ORIENT
 ÖFSE: 1285/44).                                                  Orient – was ist das?
                                                                  Die Erlebnisaustellung „Vorderer Orient“ ermöglicht es,
 Ziauddin Sardar: Thema Islam – Widerstand und Reform.            durch Sehen, Riechen und Ausprobieren die Welt des
 Zwischen dem wahren Wesen des Islam als Religion, Kul-           Orients zu erkunden. Wirtschaftliche, soziale und gesell-
 tur, Tradition und Zivilisation und der Art, wie er sich heute   schaftspolitische Zusammenhänge werden erlebbar und
 manifestiert, besteht eine tiefe Kluft.                          nachvollziehbar.
 Südwind Magazin 09/2002                                          Neugierde und Interesse wecken, Wissen vermitteln
                                                                  und eigenständiges Arbeiten fördern (orientiert am
 Frauen in islamischen Welten. Eine Debatte zur Rolle der         Offenen Lernen) – das will die Erlebnisausstellung „Der
 Frau in Gesellschaft, Politik und Religion. (1999). Vauti, A.    Vordere Orient“. Multimediale und methodische Vielfalt
 und Sulzbacher, M. (Hrsg.) Frankfurt am Main: Brandes &          stehen im Vordergrund. Die Lebenswelt von Kindern und
 Apsel Verlag/ Südwind. (im Verleih der Medienstelle              Jugendlichen bildet den Ausgangspunkt für die Ausstel-
 BAOBAB: J-0028.)                                                 lungsinhalte. Wirtschaftliche, soziale und gesellschafts-
                                                                  politische Zusammenhänge werden erlebbar und
 Baumann, Christoph Peter; Hackbarth-Johnson, Christian:          nachvollziehbar.
 Hinduismus: Eine Einführung in Religionsgeschichte,
 Kultur, Brauchtum. – Regensburg: Religionspädagogi-              Anmeldung und Kontakt:
 sches Seminar der Diözese Regensburg, 1999. – Teil A:            Bei Ihrem SÜDWIND-Agentur Regionalbüro, regionalen
 147 S. Teil B: 170 S. (im Verleih der Medienstelle               KooperationspartnerInnen oder im SÜDWIND-Agentur
 BAOBAB: H-1/2028.)                                               Bundesbüro.
                                                                  Laudongasse 40, A-1080 Wien
 Binnewitt, Lydia: Brahma, Vishnu und Shiva // In: Eine Welt      Tel: 01/4055515, Fax: 01/4055519
 in der Schule: Klasse 1–10. – 4(1999), S.10-14. (im Verleih      E-Mail: suedwind.agentur@oneworld.at
 der Medienstelle BAOBAB: VI-3202.)                               http://www.oneworld.at/swaalt/start.asp

 Dialog der Religionen. – Wien: Missio Austria, 2000. –
 34 S. – (Werkmappe Weltkirche; 116) (im Verleih der              Filme
 Medienstelle BAOBAB: H-1/2021.)                                  Präsentation Küng, Hans: Spurensuche. Weltreligionen
                                                                  auf dem Weg. 2. Hinduismus. – Deutschland: 3sat ; SWR,
 Both, Daniela; Bingel, Bela: Was glaubst du denn?                2000. (im Verleih der Medienstelle
 Eine spielerische Erlebnisreise für Kinder durch die Welt        BAOBAB SIG: V965:2)
 der Religionen. – Münster: Ökotopia, 2000. – 133 S.
 (im Verleih der Medienstelle BAOBAB: H-1/0214.)                  Regie Henry, Oliver: Religionen der Welt: Hinduismus /
                                                                  Katholisches Filmwerk, Frankfurt/M.. – Frankfurt/M.: kfw,
 Copley, Terence; Brown, Adrian: Lernspiele Religion.             1992. (im Verleih der Medienstelle BAOBAB SIG: V858)
 Weltreligionen erkunden. – Mülheim/Ruhr: Verl. an der
 Ruhr, 1995. – 83 S. (im Verleih der Medienstelle                 Regie: Sabiha Sumar: Frag nicht warum. ZDF/3Sat,
 BAOBAB: H-1/2015.)                                               BRD/Pakistan 1999, 30 Min. Dokumentarfilm (im Verleih
                                                                  der Medienstelle BAOBAB)

10         ORIENTIERUNG WELTWEIT
IRAN
Frauen fordern Rechte ein
Beitrag im Fernsehmagazin „Orientierung“
des ORF am 3.6.2001
Ein Bericht von Sonja Sagmeister,
Länge 8 min.

Einsatz zu folgenden Themen
   Frauen im Islam
   Frauenrechte im Iran
   Bekleidungsvorschriften im Islam
   Gleichberechtigung von Frau und Mann im Islam
   Scheidung und Ehe nach islamischem Recht
   Iran
   Grundlegende Pflichten eines Moslems
   Staats- und Rechtssystem im Iran

Der Präsidentschaftswahlkampf im Iran (Juni 2001) läuft auf Hochtouren.
Der amtierende Präsident Khatami wirbt um seine Wiederwahl mit dem
Versprechen, Frauen mehr Rechte einzuräumen. Diese Versprechen werden
von vielen Iranerinnen mit Freude begrüßt, viele der Frauen glauben jedoch
nicht an ein schnelles Ende der Unterdrückung. Die Verhüllung der Frau wird
besonders beim Freitagsgebet und auch im öffentlichen Raum kontrolliert.
Besonders schmerzhaft empfinden geschiedene Frauen, dass ihre Kinder
nach islamischem Recht dem Vater zugesprochen werden. Mehrere
Frauen und Männer melden sich zu Wort. KARIN BINDREITER

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IRAN FRAUEN FORDERN RECHTE EIN

Transkript
Die islamische Republik Iran. Atemberau-                   Geschäftsinhaber: „Das Innenministerium macht uns
bende Landschaften, unberührte Natur,                      Probleme wegen der Schaufensterpuppen, wir müs-
jahrhundertealte Kulturdenkmäler. Ein Land,                sen die Puppen zudecken....machen wir das nicht,
in dem der Islam seit der religiösen Revolu-               sperren sie uns das Geschäft zu“
tion durch Ayatollah Khomeini, die erste
Stelle einnimmt. Sein Nachfolger, Ayatollah                Eine religiöse Familie in Teheran. Für diese Frauen
Khamenei, ist 22 Jahre nach der Revolution                 ist die Verhüllung kein Problem. „Ich bin gewohnt im-
immer noch darauf bedacht, dass die Iraner                 mer den Tschador zu tragen, ich liebe es. Die Wärme
die Gesetze des Korans genau achten.                       macht mir nichts. Ich fühl mich wohl“.
Besonders streng befolgt werden die Be-                        Viel mehr als die Bekleidungsvorschriften stört die
kleidungsvorschriften beim allwöchentlichen                Tochter die Praxis, dass im Falle einer Scheidung die
Freitagsgebet. Die Frauen sind weder ge-                   Kinder – bis auf wenige Ausnahmen – immer dem
schminkt, noch tragen sie Nagellack. Der                   Mann zugesprochen werden.
Tschador verbirgt alles.
                                                           Tochter: „Meiner Meinung nach ist dieses Gesetz
Schon Mädchen, die die Grundschule besuchen, ver-          nicht ganz richtig. Früher hatten die Frauen keine Mög-
hüllen ihren ganzen Körper und ihre Haare. Doch die        lichkeit zu arbeiten, jetzt ist das anders. Die Frauen
Art der Verhüllung ist nicht zwingend vorgeschrieben.      sind nun selbständig und können sich daher um ihre
Viele junge Frauen entscheiden sich daher für einen        Kinder allein kümmern. Und natürlich ist die Mutter für
Mantel kombiniert mit einem Kopftuch. Und sie lassen       die Erziehung besser geeignet als der Vater, weil sie
auch gerne einmal lackierte Nägel hervorblitzen.           mehr Zeit hat“.
                                                               Im Koran wird die Polygamie erlaubt – und zwar
Mohammad Sadej, Amt für islamische Werbung Tehe-           dann, wenn alle Frauen gleich behandelt werden.
ran: „Freiheit im Islam ist viel wert, aber wenn jemand
diese Freiheit in der Öffentlichkeit missbraucht, dann     Der Pensionist Hadji Taheri rezitiert die entspre-
muss man ihn darauf aufmerksam machen. Folgende            chende Textstelle. Auch er hat gleichzeitig mehrere
Situation: Eine Frau kommt geschminkt und freizügig in     Ehe- Frauen gehabt. „Im Namen Allahs. Meine erste
die Öffentlichkeit. Ein junger Student, der noch nicht     Frau ist ein paar Monate nach der Heirat krank gewor-
verheiratet ist, sieht sie und wird auf Abwege gebracht.   den und dann habe ich mich sehr um sie gekümmert.
Das heißt: Sie hat die Freiheit ausgenutzt, um Männer      Sie konnte nicht mehr allein gelassen werden. Des-
zu verführen“.                                             halb habe ich dann mit ihrer Hilfe die zweite Frau ge-
   In diesem Einkaufszentrum treffen sich Jugendli-        sucht und geheiratet“. Zusätzlich hat er noch eine drit-
che, um sich kennen zu lernen. Ihre Meinung über die       te Frau geheiratet. Doch das Glück war von kurzer
Situation der Frauen im Iran ist differenziert.            Dauer. Alle Ehe- Frauen sind krank geworden und ge-
                                                           storben. Von seiner nächsten Gattin hat er schon kon-
Junger Mann: „Obwohl die Frauen Kopftuch und               krete Vorstellungen. „Ich habe die Vorstellungen in ei-
Tschador tragen, leben sie im besten Land der Welt.        ner Liste festgehalten. Meine vierte Frau soll den
Sie müssen nicht arbeiten wie europäische Frauen.          Tschador tragen, am Freitagsgebet teilnehmen, sie
Der Mann muss für alles aufkommen, für Kleider, Ver-       sollte den Koran lesen, sie muss mir aber nicht unbe-
gnügungen. Der Mann ist für die Kinder verantwortlich.     dingt Kinder gebären.“
Viele Männer wollen gar nicht dass ihre Frauen ein            Neben vier Dauer- Ehefrauen gibt es auch das
Kopftuch tragen, doch der Islam verlangt das. Es           Recht eine Zeitehe einzugehen, die auch als Genuß-
stimmt nicht dass die Frauen keine Freiheit haben, zu-     ehe bezeichnet wird. Diese Ehe kann – je nach Be-
hause dürfen sie sich unverhüllt zeigen. Vielleicht wer-   lieben- einige Stunden – oder mehrere Monate dauern.
den einmal die Freiheiten ausgeweitet und die Frauen
können eines Tages den Tschador ablegen“                   Mohammad Sadej, Amt für islamische Werbung Te-
   Doch das wird wohl vorläufig ein Wunsch bleiben.        heran „Der Islam versucht das Laster zu bekämpfen,
Denn die Regierung sorgt sogar dafür, dass die Schau-      indem die Möglichkeit zur Heirat geboten wird. Es gibt
fensterpuppen den islamischen Kleidungsvorschriften        zwei Arten des Heiratsvertrages, einen für die Ewig-
entsprechen.                                               keit, den anderen für kurze Zeit. Diese Möglichkeit gibt
                                                           es nur unter besonderen Bedingungen. Zum Beispiel
                                                           für junge Leute, die sich noch nicht ewig binden wol-

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len. Wenn aber diese Ehefrau auf Zeit ein Kind be-         haltsgenehmigung erhalten hatte, forderte er mich auf,
kommt, dann muss der Mann für das Kind sorgen.“            die Kinder nachzuschicken. Ich konnte das nicht ver-
    Vielen Männer dient die Ehe auf Zeit in erster Linie   stehen und habe mich dagegen gewehrt – Ich wollte
zur Befriedigung sexueller Bedürfnisse und stellt die      selbst für meine Kinder sorgen. Darauf hin drohte er:
Familiengründung in den Hintergrund. Die Frau wird         Wenn Du die Kinder nicht in die Vereinigten Staaten
für diese Ehe entweder finanziell oder mit Schmuck         schickst- wirst du sie nie wieder sehen. Ich war total
entlohnt. Doch Ehen auf Zeit sind im Iran die Ausnah-      fertig, ich habe 2 Wochen lang nur geweint“.
me. Und fast alle Männer besonders in der Stadt teilen        Buben werden im Iran ab dem 2. Lebensjahr dem
ihr Leben mit nur einer Frau. Auch Scheidungen sind        Mann zugesprochen- Mädchen sobald sie 7 Jahre alt
inzwischen im Iran alltäglich geworden, erleichtert        sind. Die Frau darf für die Kinder nach einer Scheidung
durch die zunehmende Frauen-Berufstätigkeit. Frauen        solange sorgen, bis sie diese Altersgrenze erreicht ha-
sind in vielen Berufssparten vertreten und haben auch      ben, dann gehen die Kinder meist an den Ex- Mann.
den gleichen Zugang zu höherer Bildung wie Männer.
                                                           Frau Bari hat jahrelang in Europa gelebt auch andere
Auch Frau Reza hat eine fundierte Ausbildung genos-        Gesetze kennen gelernt. Deswegen war es anfänglich
sen und war ihr Leben lang berufstätig. Fotos wecken       nicht leicht, sich wieder im Iran einzugliedern. Doch da
Erinnerungen an schwere Stunden, als sie die Kinder        die strengen Bekleidungsvorschriften nur für die Öf-
ihrem Ex- Mann überlassen musste. Ihr Sohn war da-         fentlichkeit gelten, dürfen die Frauen zuhause nach
mals 7, ihre Tochter 11 Jahre alt. Ein Ayatollah hatte     eigenen Vorstellungen leben. Jetzt sollen die Frauen
entschieden, dass die Kinder nach der Scheidung            besser integriert werden. Rechtzeitig vor der Wahl
dem Vater gehören sollten. „ Mein Ex- Mann ist in die      verspricht ihnen Präsident Khatami mehr Rechte. Viele
Vereinigten Staaten ausgewandert. Als er eine Aufent-      werden ihn wählen.

Allgemeine Hintergrundinformationen zum Land

Hauptstadt: Teheran (6,8 Millionen EinwohnerInnen)
Bevölkerung (Mitte 2002):
65,6 Millionen EinwohnerInnen
Analphabetenrate 2002:
männlich 18 %, weiblich 33 %
Lebenserwartung Männer: 66.4 Jahre (Ö 75 Jahre)
Lebenserwartung Frauen: 71.1 Jahre (Ö 81 Jahre)
Bevölkerungsdichte: 38 je km2
Kindersterblichkeit 1999: 4,6 % (Ö 0,5 %)
Sprachen: 50 % Persisch (Amtssprache),
22 % Turksprachen, 10 % Luri, 8 % Kurdisch u. a.
Währung: 1 Rial (Rl.) = 100 Dinars

Staatsform                                                 sammlung; 270 vom Volk auf 6 Jahre gewählte Abge-
Iran ist seit der Verfassung von 1979 eine Republik und    ordnete). Neue Gesetze und Verordnungen bedürfen
basiert auf der Ethik des Islams schiitischer Richtung.    der Zustimmung eines „Rates der Wächter des Islams“.
Staatsoberhaupt ist der vom Volk auf 4 Jahre gewählte      Das sind sechs vom „Führer der Nation“ ernannte isla-
Präsident mit exekutiven Vollmachten. Er ernennt die       mische Rechtsgelehrte und sechs vom Parlament ge-
Minister. Seine Machtbefugnisse sind jedoch einge-         wählte Juristen. Der Rat der Wächter des Islams wurde
schränkt durch eine religiöse höchste Instanz, dem         1989 eingerichtet und prüft die Gesetze auf Überein-
„Führer der Nation“. Seit 1989 ist das H. A. Khamenei.     stimmung mit dem islamischen Recht. Parteien spielen
Legislative ist das Einkammerparlament (Nationalver-       bei politischen Entscheidungen keine Rolle.

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Frauen in öffentlichen Ämtern                               Fundamentalismus
1997 wurden zum ersten Mal zu der Vorauswahl zur            Der islamische Fundamentalismus drückt sich in der
Präsidentschaftswahl weibliche Kandidatinnen zuge-          Forderung nach der Islamisierung bzw. Re-Islamisie-
lassen. Laut Koranauslegung können auch Frauen die          rung von Gesellschaft und Staat aus. Diese Forderung
obersten Ämter ausüben, da im Koran das Wort „Rid-          bedeutet eine Rücknahme der Gesetze und der Le-
jal“ für die Person verwendet wird, die das hohe Amt        bensformen, die in manchen Ländern der islamischen
ausüben darf. „Ridajl“ bedeutet Mann aber auch Per-         Welt den Beginn einer Anpassung an die westlich
sönlichkeit. Das würde bedeuten, dass laut Koran so-        orientierte Welt signalisieren. Diese Anpassung wird
wohl Frauen als auch Männer hohe religiöse sowie po-        als Verlust der islamischen Identität betrachtet. Die Re-
litische Ämter ausüben dürfen. Bedenken hatten die          Islamisierung fordert auch die Rückkehr zu den politi-
Rechtsgelehrten dann doch in Bezug auf die hohe öf-         schen und wirtschaftlichen Ordnungsvorstellungen,
fentliche Präsenz und die enge Zusammenarbeit mit           die im islamischen Reich im Mittelalter ausgearbeitet
Männern, die zur Ausübung dieses Amts notwendig             wurden.
sind. In letzter Instanz traten keine Frauen als Kandi-
datInnen für die Präsidentenwahl an.

Hintergrundinformation zu den Themen des Beitrags

Iranische Gesellschaft                                      Rechtsgelehrten mußten daher den Koran immer neu
Viele IranerInnen kämpfen für die Errichtung einer „zivi-   interpretierten. So entwickelten Rechtsgelehrte im 8.
len Gesellschaft“, einer Gemeinschaft in der Menschen       Jahrhundert ein System um die Echtheit der Hadithe zu
im geistigen, sozialen und politischen Sinn gegenseiti-     überprüfen. Nur wenn die Kette der Überlieferer gültig
ge Toleranz üben. Damit ist sowohl eine Öffnung des         und vertrauenswürdig erschien, galt die Hadithe als
Irans zur Außenwelt als auch eine Lockerung nach In-        Rechtsnorm.
nen verbunden. Das iranische Mediensystem (Radio,
Fernsehen und zahlreiche Printmedien) sind in öffent-       Die grundlegenden Pflichten eines Moslems
licher Hand und dadurch der Zensur unterworfen.             Der Islam basiert auf fünf Säulen, aus denen sich die
                                                            Pflichten ergeben.
Religion und Rechtssystem                                   1 Das Bezeugen (schahada), dass es nur einen Gott
Im Iran stellt die Religion die Basis des Rechtssystems         gibt und dass Mohammed sein Gesandter ist.
dar. Politik und Religion sind somit eng miteinander        2 Das Gebet (salah), das fünfmal am Tag vorge-
verbunden. Der Koran gilt für alle Moslems als die, vom         schrieben ist.
Propheten Mohammed offenbarte heilige Schrift. Mo-          3 Das Fasten (siyam), welches im Monat Ramadan
hammed erhielt Anweisungen von Gott in Bezug auf                durchgeführt wird.
Fragen und Probleme, die für die Gläubigen gelten.          4 Die Armensteuer (zakat), die eine Pflichtabgabe für
Diese Anweisungen wurden erst später von Kalif Uth-             gute Zwecke vom Vermögen der Wohlhabenden ist.
mann (644–656) niedergeschrieben. Der Koran enthält         5 Die Wallfahrt nach Mekka (hadsch), welche jeder
Schilderungen des gesellschaftlichen Lebens: Handel,            Moslem, der körperlich und finanziell dazu in der Lage
Ehe, Erbschaft, Strafrecht, usw. Er besteht aus 114             ist, mindestens einmal im Leben verrichten muss.
Suren und bildet die wichtigste Grundlage für das
islamische Recht, die „Scharia“. „Scharia“ bedeutet         Bekleidungsvorschriften
„der Weg zu Gott“.                                          Über viele Jahrhunderte war die Kopftuchfrage kein
    Nach dem Tod von Mohammed versuchte man die             großes Thema, in manchen islamischen Gesellschaf-
Hintergründe seiner Taten und Worte zu sammeln, um          ten war es üblich einen Tschador zu tragen in anderen
die Suren (Schilderungen) korrekt zu interpretieren.        nicht. Um 1900 änderte sich die Situation und die
Das ergab die Hadithe. Diese dienen als Erklärung und       Rechtsgelehrten suchten nach Bekleidungsvorschrif-
Ergänzung des Korans und wurden erst später im 9.           ten im Koran. Dabei ergaben sich unterschiedliche
bis 10. nachchristlichen Jahrhundert aufgezeichnet.         Interpretationen, wobei folgende Bekleidungsvor-
    Der gesellschaftliche Wandel brachte neue Verhal-       schriften heute den Alltag im Iran prägen.
tensmöglichkeiten und damit ergaben sich Fragestel-            Moslems sollten bezüglich ihrer Kleidung auf Be-
lungen, die im Koran nicht erwähnt wurden. Die              scheidenheit Wert legen, und der Mensch sollte nicht

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als bloßes Objekt der Begierde betrachtet werden.          dung in der iranischen Gesellschaft noch immer eine
Deshalb gibt es im Islam sowohl für Männer als auch        sehr heikle Angelegenheit ist und Frauen nach wie vor
für Frauen Bekleidungsvorschriften. Die Kleidung darf      benachteiligt werden. So wird auch im Film erwähnt,
weder zu dünn sein, noch zu eng anliegen, damit die        dass der Vater normalerweise im Scheidungsfall das
Körperformen nicht sichtbar werden. Die Bekleidung         Sorgerecht für die Kinder erhält, Mädchen kommen ab
des Mannes muss mindestens den Bereich vom Na-             dem 7. Lebensjahr und Burschen ab dem 2. Lebens-
bel bis zum Knie bedecken, bei der Frau muss die           jahr zum Vater.
Kleidung den ganzen Körper, außer Gesicht und Hän-
den, bedecken. Männer dürfen somit keine kurzen            Scheidung seitens des Mannes
Hosen tragen, kurze Hemdsärmel werden zunehmend            Für Männer ist die Scheidung wesentlich einfacher als
toleriert. Frauen tragen deshalb oft einen langärmeli-     für Frauen. Wenn der Mann den Entschluss gefasst
gen, bis über die Knie reichenden, hochgeschlosse-         hat, sich scheiden zu lassen (arabisch: talaq), muss er
nen Mantel, undurchsichtige Strümpfe und lange, wei-       erst einmal warten, bis die Frau sich in einer blutungs-
te Hosen, damit sämtliche Körperformen verdeckt            freien Phase befindet, in der sie keinen Beischlaf hat-
werden.                                                    ten. Erst dann darf er mündlich und ohne Zorn die
    Im Iran ist auch die Kopfbedeckung in der Öffent-      Scheidung aussprechen. Selbstverständlich sollte es
lichkeit Pflicht, die Haare, Hals und Ohren verhüllt. Es   gute Gründe dafür haben, aber diese Gründe werden
wird auch nicht toleriert, wenn Frauen geschminkt zum      nicht durch eine dritte Instanz geprüft. Die Entschei-
Freitagsgebet erscheinen. Diese und andere Vorschrif-      dung liegt allein im Ermessen des Mannes. Nachdem
ten sind für alle Moslems ab der Pubertät verbindlich,     er dies getan hat, ist die Scheidung noch nicht vollzo-
da dieser Einschnitt die Volljährigkeit kennzeichnet.      gen. Die Frau soll weiterhin in der Wohnung des Man-
                                                           nes wohnen. Es beginnt eine Zeit (im arabischen Idda
Ein iranisches Mädchen über das Kopftuch                   genannt), die drei Monatsblutungen der Frau (bzw.
„Wir wollen Männer davon abhalten, uns weiter wie Se-      drei Monate, falls keine Monatsblutung mehr vor-
xobjekte zu behandeln, wie sie es immer getan haben.       kommt) dauert und während derer der Mann die
Wir wollen, dass sie unsere äußere Erscheinung igno-       Scheidung zurücknehmen kann. Tut er es nicht, ist die
rieren und stattdessen auf unsere Persönlichkeit und       Ehe nach Ablauf der Frist geschieden. In diesem Fall
unseren Verstand aufmerksam werden. Wir wollen,            kann die Ehe dennoch erneut geschlossen werden,
dass sie uns ernst nehmen und uns als Gleichberech-        hierfür ist allerdings ein neuer Ehevertrag erforderlich.
tigte anerkennen, und nicht nur hinter uns her sind,
wegen unserer Körper und unserem Aussehen.“                Gleichberechtigung von Mann und Frau
                                                           Im ursprünglichen Islam findet sich keine Benachteili-
Scheidung nach islamischen Recht                           gung von Frauen. Verse aus dem Koran deuten auf die
Scheidung seitens der Frau (laut Koran)                    Gleichheit von Frau und Mann hin. Mann und Frau
Ist die Scheidung seitens der Frau gewollt (arabisch:      nehmen jedoch unterschiedliche gesellschaftliche Rol-
chulla), so muss sie sich an ein Gericht oder einen        len im Islam ein. Fremd ist dem Islam die grundsätzli-
Schiedsrichter wenden. Dieser kann die Ehe aufhe-          che Gleichheitsförderung, die alle Bereiche des Le-
ben, wenn die Begründung der Frau einem der folgen-        bens einer Person umfasst, wie es in der westlichen
den Gründe entspricht:                                     Welt weit verbreitet ist.
 Impotenz oder Unfruchtbarkeit des Mannes (um                 So wurde dem Mann im Islam die Verantwortung als
    dem eventuellen Kinderwunsch der Frau gerecht zu       Familienoberhaupt, mit der Pflicht die Familie auch fi-
    werden)                                                nanziell zu versorgen aufgetragen. Die Frau hat die
 Armut (weil der Mann z. B. keine Arbeit sucht. Er ist    Sorge um den Nachwuchs zu tragen. Erst die unter-
    aber als Familienoberhaupt für das materielle Wohl     schiedlichen Auslegungen der religiösen Quellen führ-
    der Familie verantwortlich)                            ten zu einer teilweise rechtlichen Benachteiligung von
 Gewaltanwendung seitens des Mannes                       Frauen. Im Laufe der Zeit entwickelten sich unter-
 Ablehnung gegenüber dem Mann aufgrund von                schiedliche Traditionen in islamischen Gesellschaften,
    Eigenschaften des Mannes, die es der Frau subjek-      die den Frauen bestimmte Einschränkungen auferleg-
    tiv nicht möglich machen, weiter mit ihm zusam-        ten. Daraus erklären sich auch die großen Unterschie-
    menzuleben.                                            de in Bezug auf die Rechte der Frau in unterschied-
                                                           lichen islamischen Gesellschaften in der heutigen Zeit.
Einem Hadith zufolge gilt: „Von allen erlaubten Dingen         Die neue wirtschaftliche Lage im Iran-Irak-Krieg
ist die Scheidung das von Gott am meisten verab-           brachte es mit sich, dass Frauen neue Rollen einnah-
scheute.“ Damit sei darauf hingedeutet, dass Schei-        men und Berufe ausübten. Ihre Rechte unterschieden

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