Orientierung Weltweit - VIDEOMAGAZIN 3 - Gesellschaft für interdisziplinäre ...
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VIDEOMAGAZIN 3 Orientierung Weltweit
Inhalt Editorial ........................................................................................................... 2 PAKISTAN Wohnen als Chance ................................................................. 3 IRAN Frauen fordern Rechte ein ............................................................... 11 ECUADOR Österreichische Zivildiener betreuen Straßenkinder ............. 19 GUATEMALA Ein Bischof im Einsatz für Gerechtigkeit .......................... 27 MEXICO Fußball als Chance .................................................................... 37 MOSAMBIK AIDS-Hilfe aus Rom ............................................................. 45 SAHARA Eine Republik im Exil ................................................................. 55 KENIA Engagement gegen die Gewalt in Kenia ..................................... 63
Editorial Das Videomagazin „Orientierung – Weltweit“ versammelt acht Filmberichte der Jahre 2001 und 2002 zu entwicklungspolitischen Themen aus dem ORF-Religionsmagazin „Orientierung“. Die Beiträge werfen Schlaglichter auf spezifische Probleme von Menschen in Pakistan, Ecuador, Guatemala, Mexiko, Mosambik, Kenia, Demokratische Arabische Republik, Sahara und im Iran. Verschiedenste Aspekte von Armut und Unterdrückung werden sichtbar: Leben in den Slums, Frauenrechte, Straßenkinder, Landkonflikte, AIDS, Flüchtlingsschicksale und Gewalt in den Städten. Gezeigt werden aber auch Projekte und Initiativen, die mit Unterstüt- zung österreichischer Organisationen versuchen einen Beitrag zur Verbesserung der Lebenssituation von Menschen im Süden zu leisten. Dieses Begleitmaterial zur Videokassette bietet neben technischen und inhaltlichen Beschreibungen zu den einzelnen Fernsehbeiträgen ein vollständiges Transkript jedes Beitrages ausgewählte Hintergrundinformationen zu den behandelten Ländern und Themen Hinweise auf weiterführende Literatur didaktische Hilfen für die Bildungsarbeit Hinweise auf Organisationen und wichtige Links im Internet Das Anliegen, interessante Fernsehbeiträge zu entwicklungspolitischen Themen für Bildungszwecke im schulischen und außerschulischen Bereich zur Verfügung zu stellen, ist einer Bildungsinitiative des ORF und der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit zu verdanken. Heide Tebbich BAOBAB Entwicklungspolitische Bildungs- und Schulstelle Weltbilder Medienstelle 2 ORIENTIERUNG WELTWEIT
PAKISTAN Wohnen als Chance Beitrag im Fernsehmagazin „Orientierung“ des ORF am 30. 06. 2002 Bericht von BARBARA KRENN Länge: 8 min. Einsatz zu folgenden Themen Pakistan Hinduismus Kastenwesen und Auswirkung auf die Gesellschaftsordnung Reinheitsregeln im Kastensystem Gemeindeentwicklung Entwicklungszusammenarbeit Österreich Kastenlose 16 Millionen Menschen leben im pakistanischen Karachi – rund ein Drittel davon in Slums. Vor allem Hindus, viele von ihnen ehemalige Leibeigene, die aus der Sklaverei geflüchtet sind, leben unter erbärmlichen Verhältnissen. Mit der Unterstützung aus Österreich konnte am Stadtrand von Karachi, in Adam Goth, ein Gemeindeentwicklungsprojekt für Hindus ins Leben gerufen werden. Die Caritas St. Pölten unterstützt mittels Kleinkreditprogrammen vor allem Frauen auf ihrem Weg aus dem Leben im Elend. KARIN BINDREITER ORIENTIERUNG WELTWEIT 3
PAKISTAN WOHNEN ALS CHANCE Transkript „Du wirst noch der Stolz des Ostens sein – den selbst für wohlhabendere Bewohner der Stadt ich wollte, ich könnte wiederkommen, Karachi, schlechter und schlechter. um dich in deiner Größe zu sehen!“ Hier in Adam Goth lebt Paloo Waljee nun seit zwei Jahren in einer Strohhütte. Nicht mehr lange – denn Das schrieb ein englischer General Ende des 19. Jahr- bald kann sie eines der gebauten Häuser beziehen. hunderts. Damals war Karachi ein kleines Fischerdorf Mit Unterstützung der österreichischen Caritas ist hier – von Elendsvierteln keine Spur. Heute leben etwa 16 das Hindu-Dorf „Rahe-e Najat“ auf Deutsch „Weg zu Millionen Menschen in der Stadt, rund ein Drittel von ih- neuem Leben“ entstanden. Ein Gemeindeentwick- nen in Slums. Baluch Hotel ist nur einer davon. Hier lungsprojekt – mit Schule, Gesundheitsstation und entlang des Hauptentsorgungskanals der Stadt haben Gemeindezentrum für Bewohner aus dem Slum sich Muslime, vor allem aber Hindus illegal angesie- Beluch Hotel. Und auch ein Gebetshaus haben sie delt. Die meisten von ihnen sind ehemalige Leibeige- hier. Ihren Tempel haben sie selbst gebaut und selbst ne. Geflüchtet aus der Sklaverei, in der Hoffnung auf eingerichtet. ein besseres Leben. Doch von hier wegzukommen ge- lingt nur wenigen. Agsa Anwar: „Es hat viel Zeit und Energie und Coura- ge gekostet, die Menschen zu motivieren, aus dem Paloo Waljee: „Acht meiner sechzehn Kinder sind hier Slum wegzugehen und hierher zu kommen. Sie sind gestorben – mein Mann auch. Der Schmutz überall, die der Meinung, dass sie zu Recht in ihrer schlechten Malaria. Gottseidank – jetzt bin ich weg von hier“. Situation sind. Das hat mit ihren religiösen Vorstellun- Vielleicht 45 Jahre sei sie alt, sagt Paloo Waljee. So gen zu tun. Als Angehörige einer niedrigen Kaste glau- genau weiß sie das selbst nicht. In ihren ehemaligen ben sie, für frühere Fehler bezahlen zu müssen. Wir Slum kommt die Frau nur noch zu Besuch. Viele ihrer motivieren sie dazu, ihr Leben in die Hand zu nehmen, Hindu-Freunde leben hier. Zur Begrüßung: ein Zeichen für ihre Rechte einzutreten und um Gesundheit, Bil- des Segens. So wie Paloo Waljee wollen auch sie weg dung und ein besseres Leben zu kämpfen“ von hier. Denn hier ist das Leben hart – die Gewaltbe- Wer in Adam Goth leben will muss auch einer gere- reitschaft hoch. gelten Arbeit nachkommen. Gemeinsam mit der Pro- jektleitung hat Paloo überlegt, wie sie Geld verdienen Rani Badshaya: „Er ist ein Muslim – wir sind Hindus – könnte. Windräder, Trommeln und diverses Kinder- deshalb kommt er immer und bekämpft uns. Das geht spielzeug fertigt sie nun an. Sie braucht Geld, um ihr schon seit Jahren so. Immer wieder gibt es Streit zwi- Haus finanzieren zu können. Rund 2.300 Euro kostet schen uns. Er sagt immer: Wir haben hier nichts verlo- ein Haus in Adam Goth. Den Kredit, den sie von der ren, wir sollen fort aus der Stadt, fort aus dem Gebiet, Caritas dafür bekommen hat, muss sie zur Hälfte zu- das Areal ist nicht für Hindus. Ich habe ständig Angst, rück bezahlen. Ihre Töchter stehen Paloo Waljee tat- dass etwas Schlimmes passiert. – Irgendwann wird et- kräftig zur Seite. was passieren.“ Fünfundzwanzig Familienmitglieder leben hier. Ar- Paloo Waljee: „Mein größter Wunsch ist, dass ich mit beit zu finden ist so gut wie unmöglich. Wer will schon dieser Arbeit genug verdiene, um hier weiter leben jemanden anstellen, der nicht einmal eine Adresse vor- zu können und meine Familie ernähren zu können. zuweisen hat? Zwei meiner Töchter müssen noch verheiratet wer- den – auch das kostet Geld.“ Tulsi Badshaya: „Ich möchte mit meiner Familie dort- Frauen werden hier in besonderem Maße unter- hin, wo Paloo lebt, nach Adam Goth. Hier regiert nur stützt. Nicht nur finanziell. Gewalt in den Familien – ge- der Tod – und es ist gefährlich da. Ich möchte in eine gen Frauen und Kinder – gehört zum Alltag. Ein Tabu- Siedlung, in der wir Hindus zusammenleben können – bereich – darüber gesprochen wird normalerweise wo wir unseren Glauben nicht verstecken müssen, wo nicht. Die Frauenbeauftragte in Adam Goth jedoch ver- wir Wasser haben und wo wir auch Geld verdienen sucht gemeinsam mit den Betroffenen nach Lösungen können.“ zu suchen. Adam Goth ist etwa eineinhalb Autostunden entfernt vom Slum. Die Fahrt führt quer durch Karachi. Die Agsa Anwar: „Unserer Kultur und unsere Religion hat größte Stadt Pakistans leidet am enormen Bevölke- uns gelehrt, was auch immer dein Ehemann tut, du rungswachstum. Die Einwohnerzahl steigt jährlich um musst das akzeptieren und bei ihm bleiben bis ans rund eine halbe Million. Die Lebensbedingungen wer- Lebensende. Deshalb ist es auch nicht üblich, dass 4 ORIENTIERUNG WELTWEIT
PAKISTAN WOHNEN ALS CHANCE sich jemand beschwert oder sein Leid mit jemandem Paloo Waljee: „Um für einen Tag gut leben zu können, teilt. Hier in Adam Goth haben wir nun begonnen, in muss ich all das verkaufen. Die Trommeln, die Wind- Frauengruppen das Thema Gewalt anzusprechen. Die räder, die Rasseln – alles kostet gleich viel. Wenn ich Frauen sollen wissen, dass sie Rechte in der Familie hundert Stück am Tag verkaufe, bin ich sehr zu- haben. Dass sie mitreden dürfen, wenn ihr Ehemann frieden“. Entscheidungen für seine Töchter oder die Familie trifft. Während Paloo Waljee in der Stadt ihr Glück ver- Sie sollen lernen, darüber zu reden. Schön langsam, sucht, wird in Adam Goth fleißig gearbeitet. Die Dorf- Schritt für Schritt öffnen sich die Frauen und kommen, bewohner bauen ihre Häuser selbst. Die Caritas St. um ihre Probleme mit uns zu besprechen“. Pölten nennt die Siedlung „Niederösterreich-Dorf“. Sie Tag für Tag macht sich Paloo Waljee auf den Weg will hier weitere 200 Häuser finanzieren. Die ersten fünf- in die Stadt um ihre Waren zu verkaufen. Mit einem zig können schon bald bezogen werden. Auch Paloo Sammeltaxi fährt sie in bessere Wohngebiete der Waljee wird hier künftig wohnen können. Stadt. Den halben Tag zieht sie durch die Straßen und versucht Kinder anzulocken. Allgemeine Hintergrundinformationen zum Land Hauptstadt: Islamabad Analphabetenrate 1998: männlich: 42 %, weiblich: 71 % Anteil der Bevölkerung unter 15 Jahren: 42 % (Ö 17 %) Anteil der Bevölkerung über 65 Jahren: 4 % (Ö 15 %) Lebenserwartung von Frauen: 63 Jahre (Ö 81 Jahre) Lebenserwartung von Männern: 63 Jahre (Ö 75 Jahre) Arzt pro 1.000 Einwohner (2001): 0,6 (Ö 3) Bevölkerungswachstum (in Mio. Personen) 1950: 39,5 1998:141,9 2002: 143,5 2025: 258,1 (Quelle: http://www.swi-austria.org/) Politische Entwicklung: tänden von Indien vornehmlich in das westliche Paki- Der britische Herrschaftsanspruch auf dem Indischen stan umzusiedeln. Allerdings war der muslimische Be- Subkontinent dauerte fast 200 Jahre an und endete völkerungsteil innerhalb der Indischen Union etwa 1947. Die Gegensätze zwischen Hindus und Moslems gleich groß wie die Gesamtbevölkerung Pakistans. führten zur Teilung des britischen Subkontinentes in In- Diese Grenzziehung birgt bis heute ein hohes Konflikt- dien und Pakistan. potential in sich. Pakistan bestand zunächst aus zwei, durch 1.600 1956 trat die erste pakistanische Verfassung in Kilometer indischen Territoriums geteilte Landesteilen: Kraft. Pakistan wurde eine islamische Republik. 1971 dem östlichen Teil Bengalens als Ostpakistan und dem spaltet sich Ostpakistan ab und erklärt sich als Bang- westlichen Teil des Punjab, Sindh, der North Western ladesh unabhängig. Frontier Province und Baluchistan als Westpaktistan. Seit der Staatsgründung übernahm das Militär vier- Das Gründungsprinzip der „Zwei Nationen-Theorie“ mal die Macht: 1958 bis 1969 unter Feldmarschall beinhaltete eine räumliche und staatliche Trennung der Ayub Khan, 1969 bis 1971 unter General Yahya Khan, Hindu- und Muslimbevölkerung. Die mehrheitlich von 1977 bis 1988 unter General Zia ul-Haqu und seit dem Muslimen bewohnten Verwaltungsdistrikte Britisch-In- 12. Oktober 1999 unter General Pervaiz Musharraf. diens bilden Pakistan. Jammu und Kashmir wird von Innenpolitisch verfolgte Zia ul-Haqu bei scharfer Unter- Indien verwaltet. Die teilweise willkürlich erscheinende drückung aller politischen Gegner einen Kurs der Isla- Grenzziehung der Briten veranlasste mindestens sie- misierung, den er 1984 durch ein Referendum bestäti- ben Millionen Muslime unter oft blutigen Begleitums- gen ließ. ORIENTIERUNG WELTWEIT 5
PAKISTAN WOHNEN ALS CHANCE Die Wahlen im November 1988 gewann die PPP mit Mullah Omar mit Osama Bin Laden, Namen von Tätern Benazir Bhutto. Sie wurde zur Ministerpräsidentin ge- und Luftaufnahmen von Ausbildungslagern, vorgelegt wählt und als erste Regierungschefin eines islami- bekam, schlug er sich über Nacht auf die Seite des schen Landes eingesetzt. Das Parlament wurde aber Westens. bereits 1990 wieder aufgelassen. Musharraf gewährte den Amerikanern Überflug- 1993 siegte der ehemalige Außenminister F. A. Leg- rechte für ihre Militärmaschinen und erlaubte bald hari. Grenzkonflikte um Kaschmir führten wiederholt zu auch dem FBI die Suche nach Terroristen, die aus Konflikten mit Indien. den Bergen von Tora Bora über die afghanisch-paki- Seit der Staatsgründung hat Pakistan vier Militärdik- stanische Grenze geflohen waren. Viele hochrangige taturen erfahren: 1958 bis 1969 unter Feldmarschall westliche Politiker besuchten seit Herbst 2001 Islam- Ayub Khan, 1969 bis 1971 unter General Yahya Khan, abad. 1977 bis 1988 unter General Zia ul-Haqu und seit dem Pakistan erwartete durch die Neupositionierung 12. Oktober 1999 unter General Pervaiz Musharraf. Vorteile gegenüber dem Erzfeind Indien. Die USA so- wie die EU verurteilten die Überfälle in die von Indien Der 11. September 2001 kontrollierten Teile von Kaschmir. Der Konflikt mit Neu- Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 Delhi verschärfte sich. Indien positionierte an der De- rückte Islamabad, lange vom Westen vernachlässigt, markationslinie 100.000 Soldaten. Pakistan antwortete über Nacht ins Zentrum der Weltpolitik: Die Taliban mit atomaren Raketen-Tests. Indische Gegner verlang- („Religionsstudenten“) waren zum größten Teil in paki- ten ebenfalls die Aktivierung der Nuklearwaffen in In- stanischen Koranschulen von Islamisten ausgebildet dien. Es kam zu einer friedlichen Lösung. Die pakista- worden. Der Geheimdienst ISI unterstützte die Taliban nische Regierung versprach, Überfälle auf Indien zu- bei ihrem Vormarsch nach Kandahar und Kabul mit künftig zu verhindern. Indien entspannte die Lage Waffen und Logistik. Das Taliban-Regime, besonders durch Good-Will-Gesten. Aber weder Pakistan noch die Gruppierung um Mullah Omar, war für Pakistan, ab- Indien verzichteten darauf, Kaschmir zu kontrollieren. gesehen vom religiösen Fanatismus, ein strategisch Die Grenze, die durch die Ausläufe des Himalaya über verlässlicher Nachbar, ein Gegengewicht zum feind- 5.000 Meter hohe Gipfel führt, bleibt weiterhin eine der lichen Indien im Osten. Seit dem Attentat am 11. Sep- umstrittensten in der Welt. tember 2001 ist Afghanistan eine Belastung für Paki- Im aktuellen Kampf gegen den Terrorismus hat also stans Beziehungen zur Außenwelt. Pakistan eine wichtige Rolle übernommen. Es wurde General Musharraf, der im Oktober 1999 durch ei- dafür mit der Aufhebung einiger nach den Atomversu- nen Putsch an die Macht kam, verlangte zunächst Be- chen von 1998 verhängten Wirtschaftssanktionen und weise für die Verwicklung der Taliban in den Terror. dem Versprechen neuer Schuldenerlasse sowie mit Doch als Pakistan Details über die Verbrüderung von Krediten belohnt. Hintergrundinformation zu den Themen des Beitrags Soziale Situation 31 % der pakistanischen Bevölkerung leben unter Während Ende der 80er Jahre 17 % der Bevölkerung in der Armutsgrenze von 1 Dollar pro Tag absoluter Armut lebten, liegt der Anteil nun bei 31 %. Säuglingssterblichkeit: 9,5 % Durch die hohen Staatsausgaben für Militär und Schul- Anteil der Frauen an formeller Beschäftigung: 13 % dendienst bleibt kaum Geld für Bildung, Gesundheits- wesen und Soziales. Nach dem unblutigen Militär- Gewalt gegen Frauen: eine Fallstudie zeigt, dass 6 putsch von Oktober 1999 wurden zwar Maßnahmen 82 % der Frauen im ländlichen Punjab und 52 % der zur Bekämpfung der Korruption ergriffen und wirt- Frauen in den Städten Punjabs von ihren Männern zu- schaftliche Reformmaßnahmen eingeleitet, ein Ende mindest einmal geschlagen wurden. Jährlich werden der wirtschaftlichen Talfahrt ist jedoch nicht in Sicht. mehrere 100 Ehrenmorde registriert (Morde an Frauen „Human Rights Watch“ stellt im jüngsten Menschen- wegen angeblicher sittlicher Verstöße). rechtsbericht außerdem eine weitere Verschlechterung der Menschenrechtssituation und eine Verschärfung Wohnverhältnisse religiös motivierte Gewalt fest. Aufgrund der wirtschaftlichen Lage wurde der Woh- Militärausgaben: 4,6 % des BNP, Ausgaben für Bil- nungsbau stark vernachlässigt. Nach Schätzungen dung und Gesundheitswesen: 3,6 % fehlen 5,2 Millionen bis 7,8 Millionen Wohnungen, und 6 ORIENTIERUNG WELTWEIT
PAKISTAN WOHNEN ALS CHANCE ihre Zahl nimmt jährlich um über 250.000 zu. Es gibt Wahlrecht für Minderheiten vorgesehen- vier für Chri- Kampagnen, um illegale Siedlungen, in denen rund sten, vier für Hindus, einer für Ahmadiyas und einer für 40 % der städtischen Bevölkerung leben, zu zerstören. andere Minderheiten. Einer Erhebung aus dem Jahr 1998 zufolge sind 8 % Das getrennte Wahlrecht brachte viele Nachteile mit aller Wohnungen aus Lehm, weitere 8,3 % aus Bambus sich. Obwohl die Christen dem getrennten Wahlrecht oder Holz unter losen Strohdächern. zustimmten, erkannten sie nach den ersten Wahlen, dass die nicht-muslimischen Stimmen überhaupt keine Arbeitsbedingungen Bedeutung für die muslimischen Mitglieder der Natio- Die wirtschaftliche Situation erforderte Entlassungen in nalversammlung hatten, die einen örtlichen Wahlkreis einer Höhe von über 100.000 Beschäftigten darunter vertraten. So konnten die Meinungen, Forderungen sind viele Ärzte, Ingenieure, Unternehmensverwalter, und Wünsche aller Nicht Muslime außer Acht gelassen Informatiker, die dann versuchten im Ausland eine Ar- werden. Christen beklagen sich darüber, dass kein Mit- beit zu bekommen. Wer Arbeit findet oder hat, ist oft- glied der örtlichen Volksvertretung sie anhört, nicht ein- mals mit niedrigen Löhnen und schlechten Arbeitsbe- mal die Polizei. (Quelle: Länderheft Pakistan, S. 172 f) dingungen konfrontiert. Der Gewerkschaftsführer Ka- Nur im ehemaligen Ostpakistan wohnte eine an- ramat Ali beklagt, dass das Recht auf die Gründung sehnliche Hindu-Minderheit. Die Sikhs flüchteten aus- von Gewerkschaften und auf Tarifverhandlungen nahmslos nach Indien. In West-Pakistan wohnen heute gegenüber der Zeit vor der Unabhängigkeit Pakistans wenige (und meist Angehörige der untersten Kasten) beschnitten wurde. Obwohl die Verfassung Sklaverei um als „Faustpfand“ dienen zu können. und Zwangsarbeit verbietet und 1992 ein Gesetz über die Abschaffung der Schuldknechtschaft angenom- Der Hinduismus men wurde, ist Schuldknechtschaft, vor allem in Ziege- Hindus verehren neben ihrem Hauptgott, je nach Glau- leien und in der Landwirtschaft, nach wie vor weit ver- bensgemeinschaft, auch viele andere Götter. Während breitet. in christlichen Religionen das Leben als eine chronolo- In Pakistan gibt es seit 1949 Quotenregelungen bei gische Reihe geschichtlicher Ereignisse verstanden der Vergabe öffentlicher Posten und gesellschaftlicher wird, betrachten Hindus das Leben als einen ewigen Schlüsselpositionen. Nach dieser Regelung erhalten Kreislauf von Wiedergeburten bis zur Erlösung vom die einzelnen Regionen und Verwaltungsgebiete einen Zwang zur Wiedergeburt. ihrer Bevölkerungsgröße entsprechenden Anteil an öf- fentlichen Planstellen zugesprochen. So wollte man Karma-Lehre und Wiedergeburt benachteiligte Regionen fördern. Die Realität sieht Die Karma-Lehre besagt, dass jede Tat ihre Konse- anders aus. Vetternwirtschaft und Hintergehung der quenzen hat, positive oder negative; das Karma be- Gesetze prägen den Alltag bei der Vergabe der stimmt Rang und Art der Wiedergeburt. Durch gute Ta- Arbeitsplätze und so zeigt sich, dass gesellschaftliche ten, wie z. B. Waschungen, Meditation, Blumen-, und Schlüsselpositionen in der Mehrheit von Punjabis Reisopfer, Pilgerfahrt etc. sammeln sich Hindus wäh- eingenommen werden. (Quelle: Länderheft Pakistan, S. 19 f.) rend des Lebens ein Guthaben an (das Karma). Die Karma-Lehre basiert auf der unsterblichen See- Diskriminierung nichtislamischer Religionen le, und das Karma bewirkt, dass Hindus eine andere Benachteiligung erfahren Anhänger nicht-islamischer Ansicht von der Seele haben als Christen. Im Hindu- Religionen in Bezug auf Land- und Eigentumsfragen, ismus wird der Glaube vertreten, dass jede individuel- auf Erziehung und Beschäftigung, die Verspottung und le Seele viele Reinkarnationen durchwandert. Die See- Fehldarstellung in den Medien sowie die Meinung eini- le muss danach trachten, sich mit dem „absoluten ger Muslime, dass Hindus, die aus einer niederen Ka- Sein“, auch Brahman genannt (nicht zu verwechseln ste abstammen, rituell unrein sind und nicht mit Musli- mit dem hinduistischen Gott Brahma), zu vereinen. Die men essen oder die gleichen Gebrauchsgegenstände Lehren der Christenheit dagegen bieten der Seele – je benutzen dürfen. nach dem religiösen Bekenntnis – die Möglichkeit, in So gibt es ein getrenntes Wahlrecht für religiöse den Himmel, die Hölle und das Fegefeuer zu kommen. Minderheiten seit 1978. Nach diesem System dürfen Eine Konsequenz der Karmalehre ist der Glaube Minderheiten nicht mit ihren muslimischen Nachbarn der Hindus, ihre gegenwärtigen Lebensverhältnisse für einen Kandidaten stimmen, der ihren örtlichen rührten von einem früheren Leben her und sie hätten Wahlkreis vertritt. Sie müssen aus einer Liste von Kan- sie demnach verdient, seien sie gut oder schlecht. didaten, die ihrer eigenen Religion angehören, einen Wird ein besseres Leben im Sinne der Lehre geführt, auswählen. Zehn von insgesamt 217 Sitzen in der Na- so wird das nächste Leben erträglicher. Deshalb ge- tionalversammlung waren gemäß dem getrennten ben sich Hindus mit ihrem Los eher zufrieden als west- ORIENTIERUNG WELTWEIT 7
PAKISTAN WOHNEN ALS CHANCE liche Menschen. Hindus betrachten alles als eine Fol- nigungsritual und die Zustimmung der Kastenoberen ge des Gesetzes von Ursache und Wirkung in Bezie- eine Wiedereingliederung beantragen. hung zu ihrem früheren Leben. Viele Kastenlose traten 1956 zum Buddhismus über, weil sie den einzigen Ausweg um mehr Rechte zu er- Das Kastenwesen langen darin sahen, die Religion zu wechseln. Heute Ein allgemein bekannter Aspekt des Hinduismus ist ist das Kastenwesen zwar offiziell abgeschafft, trotz- das Kastenwesen (Warna), das die Menschen in ver- dem sind die Kasten – besonders in Indien – noch jetzt schiedene Klassen aufteilt. Im Hinduismus wird man in bestimmte Realität im Zusammenleben. So werden Ka- ein strenges Kastenwesen hineingeboren. Die Zuge- stenlose bis heute stark benachteiligt und sie haben hörigkeit zur Kaste wird als vorherbestimmtes, unaus- sich den Namen „Dalits“ gegeben, was „die Unter- weichliches Schicksal gesehen, das Ergebnis des ei- drückten“ bedeutet. Kastenlose werden noch immer genen Tuns im vorigen Leben. Grundsätzlich streben als unrein betrachtet. Diese Unreinheit im religiösen aber viele der unteren Kasten danachn durch Heirat Sinn wird als etwas verstanden, das der Person anhaf- oder eine andere Form der Aufwertung in eine höhere tet und durch Blicke und durch Berührung übertragen Kaste zu kommen. werden kann. Daher üben Kastenlose bis heute die „unreinen“ Berufe aus, wie Leichenträger, Latrinenrei- Die Hierarchie der Kasten niger, Lederarbeiter, Straßenkehrer. Die Auswirkungen Brahmanen (Priester) dieser religiösen Reinheitsvorstellungen können soweit Kschatriyas (Krieger, Adel) gehen, dass ein brahmanischer Arzt die Kastenlosen Vaischyas: (Kaufleute, Bauern) bei der Behandlung nicht berührt. Shudras: (Handwerker, Diener, Knechte, Wäscher, Rikscha-Fahrer) Die Ehe im Hinduismus Parias/Harijans: die Kastenlosen („Unberührbare“) Der Zweck einer Hindu-Ehe ist, möglichst viele Söhne zu bekommen. Erst wenn die Ehefrau einen Sohn ge- Reinheitsregeln bärt, wird sie von ihren Schwiegereltern akzeptiert. Die Religiös relevant sind im Kastenwesen die Reinheitsre- Erbschaft wird auch nur an den Sohn vererbt, die Mäd- geln, welche vorschreiben wer mit wem Umgang ha- chen ziehen in das Haus der Schwiegereltern. ben darf (Heirat, gemeinsames Essen, berufliche Be- Viele Eltern haben das Problem mit der Mitgift. Um ziehungen). Das Kastensystem regelt demnach auch, die Mädchen verheiraten zu können, müssen die Eltern wer welchen Berufen nachgehen darf. Diese Regeln, eine Mitgift an die Eltern des Jungens bezahlen. Des- die für jede Kaste anders sind, legen das gesellschaft- halb kommt es vor, dass Mädchen vor der Geburt ge- liche und berufliche Leben streng fest. Verstößt ein Mit- tötet werden, besonders wenn schon eine Tochter da glied einer Kaste gegen diese Regeln, kann dieses von ist, aus Angst eine so hohe Mitgift nicht mehr zahlen zu der Kaste ausgeschlossen werden oder durch ein Rei- können. Projekte der Caritas St. Pölten in Pakistan Gemeinde-Entwicklungprogramm verschiedene wirtschaftliche Initiativen der Gemeinde- Das Ziel des Gemeinde-Entwicklungsprogrammes ist bewohner und die Ausbildung von Lehrkräften für die es, Menschen eine Perspektive außerhalb ihres Slums Gemeindeschule. aufzuzeigen. Ein Schwerpunkt der Caritas-Arbeit ist das Gemeindeentwicklungsprogramm „Rah-e-Najat“ Der Lebensweg von Ruth Pfau (Weg zu neuem Leben) für die Bewohner des Hindu- Ruth Pfau wurde 1929 in Leipzig geboren. 1949 flüch- para-Slums. Dr. Ruth Pfau und ihre Mitschwester Jean- tete sie in den Westen. Sie studierte Medizin und wäh- nine Geuns kauften drei Hektar Land am Stadtrand von rend ihrer Assistentenzeit trat sie dem Orden der Karachi und überredeten die ersten Familien ihre Töchter vom Herzen Maria bei. Seit 1960 lebt Ruth Elendsquartiere zu verlassen und sich auf dem Pro- Pfau in Pakistan. Die erste Begegnung mit Leprakran- jektgrundstück niederzulassen. Mit österreichischer ken in einer Bettlerkolonie in Karachi bestimmte ihr Le- Hilfe wurde ein Gemeindezentrum mit Gesundheitssta- ben und ihre Arbeit. 1980 wurde sie zur Nationalen Be- tion und Schule errichtet. Heute leben bereits 3.000 raterin für das Lepra- und TB-Kontrollprogramm für Menschen auf dem neuen Gemeindegebiet. Neben ganz Pakistan durch die pakistanische Regierung er- dem Hausbau finanziert die Caritas St. Pölten auch nannt. 1981 ging sie erstmals illegal nach Afghani- 8 ORIENTIERUNG WELTWEIT
PAKISTAN WOHNEN ALS CHANCE stan. Wichtige internationale Aufgaben im Auftrag der Mädchen und Frauen stärken Weltgesundheitsorganisation wurden ihr anvertraut. Im „Manghopir Entwicklungs-Programm“, stehen drei Ruth Pfau ist immer noch unermüdlich im Einsatz. Sie Frauen an der Spitze. Die Hilfsorganisation betreibt vie- ist nach wie vor ehrenamtliche Beraterin im Gesund- le verschiedene Bildungs- und Sozialprojekte (Schulen, heitsministerium der islamischen Regierung von Paki- Gemeindeentwicklungsprogramme für Slumbewohner; stan. Darüber hinaus ist sie aktiv mit der Weiterbildung Handwerksprojekte, Kleinkreditprogramme, …) in Ka- der medizinischen Hilfskräfte befasst und bemüht sich rachi. Förderung von Frauen wird im „Manghopir Ent- derzeit um eine Neustrukturierung der Sozialarbeit in wicklungsprogramm“ in vorbildlicher Weise praktiziert. den Projekten. Einerseits ist die Förderung von Mädchen und Frauen integrativer Bestandteil jedes Projektes. Andererseits Hilfe für afghanische Flüchtlinge in Pakistan wurde im Jahr 2001 mit finanzieller Hilfe der Caritas In Pakistan leben mehr als zwei Millionen afghanische St. Pölten eine eigene Frauenabteilung geschaffen. Flüchtlinge. Für viele ist eine Rückkehr noch nicht Die Frauenabteilung leistet Informations- und Bil- möglich. Viele kamen schon vor 23 Jahren, als die So- dungsarbeit, begleitet Frauengruppen und Frauen- wjetunion Afghanistan besetzte. Im vergangenen projekte und stärkt so das Selbstbewusstsein der Jahr flohen tausende Menschen in Afghanistan vor Frauen. Oft ist es schon ein bedeutender Schritt, der extremen Dürre und im Herbst 2001 vor den ame- wenn sich Frauen über ihre Probleme austauschen rikanischen Bombardements nach dem 11. Septem- können oder wenn sie durch Zusammenarbeit in Pro- ber. Die Rückkehrmöglichkeiten sind im Moment jekten ein Stück soziale und wirtschaftliche Unabhän- noch sehr beschränkt. Viele Gegenden in Afghani- gigkeit erreichen. Die Frauenabteilung nimmt sich stan sind vermint und unpassierbar. Die Sicherheits- besonders Frauen an, die in Not geraten oder Opfer lage ist für heimkehrende Familien nach wie vor un- von Gewalt werden. beständig. Afghanistan hat sich auch von der drei- Auf die Schaffung eines „Frauenhauses“ wurde trotz jährigen Dürre noch nicht erholt. Finanzierungsangeboten bewusst verzichtet, da da- Die meisten Flüchtlinge leben in bitterer Armut. Die durch die Frauen und Mitarbeiterinnen einer großen Flüchtlinge, die erst vor kurzem nach Pakistan gekom- Gefahr von Übergriffen ausgesetzt wären. Die Frauen- men sind, verfügen kaum über Kleidung und Nahrung. abteilung des Manghopir Entwicklungsprogramms ar- Sie brauchen Zelte, Decken und andere Hilfsgüter, um beitet aber intensiv mit anderen Frauenförderungspro- überleben zu können. jekten und Menschenrechtsorganisationen zusammen Im vergangenen Jahr leistete die Caritas Nothilfe für um eine optimale Hilfe in der jeweiligen Notsituation zu die neu angekommenen Flüchtlinge in Pakistan. Sie gewährleisten. versorgt die Flüchtlinge mit Lebensmitteln und ande- In Zusammenarbeit mit der Caritas Pakistan führt ren Hilfsgütern, vor allem warme Kleidung, Zelte und die Caritas St. Pölten folgende Projekte für bedürftige Decken. Ein spezielles Ernährungsprogramm gibt es Frauen und Mädchen durch: Errichtung eines Strick- für Kinder und Schwangere, da sie in der Wachstums- zentrums für blinde und sehbehinderte Mädchen in phase mehr proteinhaltige Nahrung benötigen. Außer- Lahore, zwei Projekte zur Alphabetisierung und Förde- dem beteiligt sich die Caritas am Auf- und Ausbau der rung einkommensschaffender Aktivitäten von Frauen neuen und alten Flüchtlingslager. in den Armenvierteln Lahores. Pakistan ist ein Kooperationsland der österreichi- schen Entwicklungszusammenarbeit (siehe www.eza.at) Didaktische Tipps 1 Diskutiere das Kastensystem und deren Auswir- Kasten sind, dazu zu bewegen in die neu gebaute kung auf die Gesellschaft? Siedlung zu ziehen und ihre Lebensumstände zu 2 Was bedeutet es für Hindus eine religiöse Minder- verbessern. Hindus glauben, ihre gegenwärtigen heit zu sein, in einem Staat wie Pakistan, bei dem Lebensverhältnisse rührten von einem früheren Le- die Religion und der Staat so eng miteinander ver- ben her und sie hätten sie demnach verdient, seien bunden sind? sie gut oder schlecht. Welche Auswirkung hat die 3 Im Film wird kurz angesprochen wie schwierig es Karma-Lehre auf das Leben der Angehörigen unte- war, die Slumbewohner, die Angehörige der unteren rer Kasten? ORIENTIERUNG WELTWEIT 9
PAKISTAN WOHNEN ALS CHANCE WEITERFÜHRENDE ORGANISATIONEN, LINKS, LITERATUR UND FILME Organisationen Moorcroft, Christine: Religionen kennen lernen: Botschaft der Islamischen Republik Pakistan Hinduismus. – Mülheim/Ruhr: Verl. an der Ruhr, 1995. – Hofzeile 13, A-1190 Wien 51 S. (im Verleih der Medienstelle BAOBAB: H-1/2016.) Tel: 0043(1) 3687381 Fax: 0043(1)3671831 O’Brien, Joanne; Palmer, Martin: Weltatlas der Religionen. – Bonn: Dietz, 1994. – 128 S (im Verleih der Medienstelle BAOBAB: H-1/0203.) Links www.swi-austria.org/ Länderprofil Pakistan. – Wien: ÖFSE, 1998. – 29 S. – www.al-islam.org (Länderprofil) (im Verleih der Medienstelle BAOBAB: www.hindu.dk/deutsch/default.htm II-1025/5.) www.hindunet.org www.islamische-glaubensgemeinschaft.at/startseite.htm Materialien und Medien zum Globalen Lernen (für schulische Zwecke) Literatur Eine Mediensammlung zum Thema „Religionen im Dialog“ Länderprofil Pakistan. (1998). ÖFSE. (Hrsg.). (im Verleih erhältlich im BAOBAB. der Bibliothek des ÖFSE). Länderheft Pakistan. (2002). Evangelisches Missionswerk Erlebnissaustellung Deutschland (EMW) (Hrsg.). (im Verleih der Bibliothek des DER VORDERE ORIENT ÖFSE: 1285/44). Orient – was ist das? Die Erlebnisaustellung „Vorderer Orient“ ermöglicht es, Ziauddin Sardar: Thema Islam – Widerstand und Reform. durch Sehen, Riechen und Ausprobieren die Welt des Zwischen dem wahren Wesen des Islam als Religion, Kul- Orients zu erkunden. Wirtschaftliche, soziale und gesell- tur, Tradition und Zivilisation und der Art, wie er sich heute schaftspolitische Zusammenhänge werden erlebbar und manifestiert, besteht eine tiefe Kluft. nachvollziehbar. Südwind Magazin 09/2002 Neugierde und Interesse wecken, Wissen vermitteln und eigenständiges Arbeiten fördern (orientiert am Frauen in islamischen Welten. Eine Debatte zur Rolle der Offenen Lernen) – das will die Erlebnisausstellung „Der Frau in Gesellschaft, Politik und Religion. (1999). Vauti, A. Vordere Orient“. Multimediale und methodische Vielfalt und Sulzbacher, M. (Hrsg.) Frankfurt am Main: Brandes & stehen im Vordergrund. Die Lebenswelt von Kindern und Apsel Verlag/ Südwind. (im Verleih der Medienstelle Jugendlichen bildet den Ausgangspunkt für die Ausstel- BAOBAB: J-0028.) lungsinhalte. Wirtschaftliche, soziale und gesellschafts- politische Zusammenhänge werden erlebbar und Baumann, Christoph Peter; Hackbarth-Johnson, Christian: nachvollziehbar. Hinduismus: Eine Einführung in Religionsgeschichte, Kultur, Brauchtum. – Regensburg: Religionspädagogi- Anmeldung und Kontakt: sches Seminar der Diözese Regensburg, 1999. – Teil A: Bei Ihrem SÜDWIND-Agentur Regionalbüro, regionalen 147 S. Teil B: 170 S. (im Verleih der Medienstelle KooperationspartnerInnen oder im SÜDWIND-Agentur BAOBAB: H-1/2028.) Bundesbüro. Laudongasse 40, A-1080 Wien Binnewitt, Lydia: Brahma, Vishnu und Shiva // In: Eine Welt Tel: 01/4055515, Fax: 01/4055519 in der Schule: Klasse 1–10. – 4(1999), S.10-14. (im Verleih E-Mail: suedwind.agentur@oneworld.at der Medienstelle BAOBAB: VI-3202.) http://www.oneworld.at/swaalt/start.asp Dialog der Religionen. – Wien: Missio Austria, 2000. – 34 S. – (Werkmappe Weltkirche; 116) (im Verleih der Filme Medienstelle BAOBAB: H-1/2021.) Präsentation Küng, Hans: Spurensuche. Weltreligionen auf dem Weg. 2. Hinduismus. – Deutschland: 3sat ; SWR, Both, Daniela; Bingel, Bela: Was glaubst du denn? 2000. (im Verleih der Medienstelle Eine spielerische Erlebnisreise für Kinder durch die Welt BAOBAB SIG: V965:2) der Religionen. – Münster: Ökotopia, 2000. – 133 S. (im Verleih der Medienstelle BAOBAB: H-1/0214.) Regie Henry, Oliver: Religionen der Welt: Hinduismus / Katholisches Filmwerk, Frankfurt/M.. – Frankfurt/M.: kfw, Copley, Terence; Brown, Adrian: Lernspiele Religion. 1992. (im Verleih der Medienstelle BAOBAB SIG: V858) Weltreligionen erkunden. – Mülheim/Ruhr: Verl. an der Ruhr, 1995. – 83 S. (im Verleih der Medienstelle Regie: Sabiha Sumar: Frag nicht warum. ZDF/3Sat, BAOBAB: H-1/2015.) BRD/Pakistan 1999, 30 Min. Dokumentarfilm (im Verleih der Medienstelle BAOBAB) 10 ORIENTIERUNG WELTWEIT
IRAN Frauen fordern Rechte ein Beitrag im Fernsehmagazin „Orientierung“ des ORF am 3.6.2001 Ein Bericht von Sonja Sagmeister, Länge 8 min. Einsatz zu folgenden Themen Frauen im Islam Frauenrechte im Iran Bekleidungsvorschriften im Islam Gleichberechtigung von Frau und Mann im Islam Scheidung und Ehe nach islamischem Recht Iran Grundlegende Pflichten eines Moslems Staats- und Rechtssystem im Iran Der Präsidentschaftswahlkampf im Iran (Juni 2001) läuft auf Hochtouren. Der amtierende Präsident Khatami wirbt um seine Wiederwahl mit dem Versprechen, Frauen mehr Rechte einzuräumen. Diese Versprechen werden von vielen Iranerinnen mit Freude begrüßt, viele der Frauen glauben jedoch nicht an ein schnelles Ende der Unterdrückung. Die Verhüllung der Frau wird besonders beim Freitagsgebet und auch im öffentlichen Raum kontrolliert. Besonders schmerzhaft empfinden geschiedene Frauen, dass ihre Kinder nach islamischem Recht dem Vater zugesprochen werden. Mehrere Frauen und Männer melden sich zu Wort. KARIN BINDREITER ORIENTIERUNG WELTWEIT 11
IRAN FRAUEN FORDERN RECHTE EIN Transkript Die islamische Republik Iran. Atemberau- Geschäftsinhaber: „Das Innenministerium macht uns bende Landschaften, unberührte Natur, Probleme wegen der Schaufensterpuppen, wir müs- jahrhundertealte Kulturdenkmäler. Ein Land, sen die Puppen zudecken....machen wir das nicht, in dem der Islam seit der religiösen Revolu- sperren sie uns das Geschäft zu“ tion durch Ayatollah Khomeini, die erste Stelle einnimmt. Sein Nachfolger, Ayatollah Eine religiöse Familie in Teheran. Für diese Frauen Khamenei, ist 22 Jahre nach der Revolution ist die Verhüllung kein Problem. „Ich bin gewohnt im- immer noch darauf bedacht, dass die Iraner mer den Tschador zu tragen, ich liebe es. Die Wärme die Gesetze des Korans genau achten. macht mir nichts. Ich fühl mich wohl“. Besonders streng befolgt werden die Be- Viel mehr als die Bekleidungsvorschriften stört die kleidungsvorschriften beim allwöchentlichen Tochter die Praxis, dass im Falle einer Scheidung die Freitagsgebet. Die Frauen sind weder ge- Kinder – bis auf wenige Ausnahmen – immer dem schminkt, noch tragen sie Nagellack. Der Mann zugesprochen werden. Tschador verbirgt alles. Tochter: „Meiner Meinung nach ist dieses Gesetz Schon Mädchen, die die Grundschule besuchen, ver- nicht ganz richtig. Früher hatten die Frauen keine Mög- hüllen ihren ganzen Körper und ihre Haare. Doch die lichkeit zu arbeiten, jetzt ist das anders. Die Frauen Art der Verhüllung ist nicht zwingend vorgeschrieben. sind nun selbständig und können sich daher um ihre Viele junge Frauen entscheiden sich daher für einen Kinder allein kümmern. Und natürlich ist die Mutter für Mantel kombiniert mit einem Kopftuch. Und sie lassen die Erziehung besser geeignet als der Vater, weil sie auch gerne einmal lackierte Nägel hervorblitzen. mehr Zeit hat“. Im Koran wird die Polygamie erlaubt – und zwar Mohammad Sadej, Amt für islamische Werbung Tehe- dann, wenn alle Frauen gleich behandelt werden. ran: „Freiheit im Islam ist viel wert, aber wenn jemand diese Freiheit in der Öffentlichkeit missbraucht, dann Der Pensionist Hadji Taheri rezitiert die entspre- muss man ihn darauf aufmerksam machen. Folgende chende Textstelle. Auch er hat gleichzeitig mehrere Situation: Eine Frau kommt geschminkt und freizügig in Ehe- Frauen gehabt. „Im Namen Allahs. Meine erste die Öffentlichkeit. Ein junger Student, der noch nicht Frau ist ein paar Monate nach der Heirat krank gewor- verheiratet ist, sieht sie und wird auf Abwege gebracht. den und dann habe ich mich sehr um sie gekümmert. Das heißt: Sie hat die Freiheit ausgenutzt, um Männer Sie konnte nicht mehr allein gelassen werden. Des- zu verführen“. halb habe ich dann mit ihrer Hilfe die zweite Frau ge- In diesem Einkaufszentrum treffen sich Jugendli- sucht und geheiratet“. Zusätzlich hat er noch eine drit- che, um sich kennen zu lernen. Ihre Meinung über die te Frau geheiratet. Doch das Glück war von kurzer Situation der Frauen im Iran ist differenziert. Dauer. Alle Ehe- Frauen sind krank geworden und ge- storben. Von seiner nächsten Gattin hat er schon kon- Junger Mann: „Obwohl die Frauen Kopftuch und krete Vorstellungen. „Ich habe die Vorstellungen in ei- Tschador tragen, leben sie im besten Land der Welt. ner Liste festgehalten. Meine vierte Frau soll den Sie müssen nicht arbeiten wie europäische Frauen. Tschador tragen, am Freitagsgebet teilnehmen, sie Der Mann muss für alles aufkommen, für Kleider, Ver- sollte den Koran lesen, sie muss mir aber nicht unbe- gnügungen. Der Mann ist für die Kinder verantwortlich. dingt Kinder gebären.“ Viele Männer wollen gar nicht dass ihre Frauen ein Neben vier Dauer- Ehefrauen gibt es auch das Kopftuch tragen, doch der Islam verlangt das. Es Recht eine Zeitehe einzugehen, die auch als Genuß- stimmt nicht dass die Frauen keine Freiheit haben, zu- ehe bezeichnet wird. Diese Ehe kann – je nach Be- hause dürfen sie sich unverhüllt zeigen. Vielleicht wer- lieben- einige Stunden – oder mehrere Monate dauern. den einmal die Freiheiten ausgeweitet und die Frauen können eines Tages den Tschador ablegen“ Mohammad Sadej, Amt für islamische Werbung Te- Doch das wird wohl vorläufig ein Wunsch bleiben. heran „Der Islam versucht das Laster zu bekämpfen, Denn die Regierung sorgt sogar dafür, dass die Schau- indem die Möglichkeit zur Heirat geboten wird. Es gibt fensterpuppen den islamischen Kleidungsvorschriften zwei Arten des Heiratsvertrages, einen für die Ewig- entsprechen. keit, den anderen für kurze Zeit. Diese Möglichkeit gibt es nur unter besonderen Bedingungen. Zum Beispiel für junge Leute, die sich noch nicht ewig binden wol- 12 ORIENTIERUNG WELTWEIT
IRAN FRAUEN FORDERN RECHTE EIN len. Wenn aber diese Ehefrau auf Zeit ein Kind be- haltsgenehmigung erhalten hatte, forderte er mich auf, kommt, dann muss der Mann für das Kind sorgen.“ die Kinder nachzuschicken. Ich konnte das nicht ver- Vielen Männer dient die Ehe auf Zeit in erster Linie stehen und habe mich dagegen gewehrt – Ich wollte zur Befriedigung sexueller Bedürfnisse und stellt die selbst für meine Kinder sorgen. Darauf hin drohte er: Familiengründung in den Hintergrund. Die Frau wird Wenn Du die Kinder nicht in die Vereinigten Staaten für diese Ehe entweder finanziell oder mit Schmuck schickst- wirst du sie nie wieder sehen. Ich war total entlohnt. Doch Ehen auf Zeit sind im Iran die Ausnah- fertig, ich habe 2 Wochen lang nur geweint“. me. Und fast alle Männer besonders in der Stadt teilen Buben werden im Iran ab dem 2. Lebensjahr dem ihr Leben mit nur einer Frau. Auch Scheidungen sind Mann zugesprochen- Mädchen sobald sie 7 Jahre alt inzwischen im Iran alltäglich geworden, erleichtert sind. Die Frau darf für die Kinder nach einer Scheidung durch die zunehmende Frauen-Berufstätigkeit. Frauen solange sorgen, bis sie diese Altersgrenze erreicht ha- sind in vielen Berufssparten vertreten und haben auch ben, dann gehen die Kinder meist an den Ex- Mann. den gleichen Zugang zu höherer Bildung wie Männer. Frau Bari hat jahrelang in Europa gelebt auch andere Auch Frau Reza hat eine fundierte Ausbildung genos- Gesetze kennen gelernt. Deswegen war es anfänglich sen und war ihr Leben lang berufstätig. Fotos wecken nicht leicht, sich wieder im Iran einzugliedern. Doch da Erinnerungen an schwere Stunden, als sie die Kinder die strengen Bekleidungsvorschriften nur für die Öf- ihrem Ex- Mann überlassen musste. Ihr Sohn war da- fentlichkeit gelten, dürfen die Frauen zuhause nach mals 7, ihre Tochter 11 Jahre alt. Ein Ayatollah hatte eigenen Vorstellungen leben. Jetzt sollen die Frauen entschieden, dass die Kinder nach der Scheidung besser integriert werden. Rechtzeitig vor der Wahl dem Vater gehören sollten. „ Mein Ex- Mann ist in die verspricht ihnen Präsident Khatami mehr Rechte. Viele Vereinigten Staaten ausgewandert. Als er eine Aufent- werden ihn wählen. Allgemeine Hintergrundinformationen zum Land Hauptstadt: Teheran (6,8 Millionen EinwohnerInnen) Bevölkerung (Mitte 2002): 65,6 Millionen EinwohnerInnen Analphabetenrate 2002: männlich 18 %, weiblich 33 % Lebenserwartung Männer: 66.4 Jahre (Ö 75 Jahre) Lebenserwartung Frauen: 71.1 Jahre (Ö 81 Jahre) Bevölkerungsdichte: 38 je km2 Kindersterblichkeit 1999: 4,6 % (Ö 0,5 %) Sprachen: 50 % Persisch (Amtssprache), 22 % Turksprachen, 10 % Luri, 8 % Kurdisch u. a. Währung: 1 Rial (Rl.) = 100 Dinars Staatsform sammlung; 270 vom Volk auf 6 Jahre gewählte Abge- Iran ist seit der Verfassung von 1979 eine Republik und ordnete). Neue Gesetze und Verordnungen bedürfen basiert auf der Ethik des Islams schiitischer Richtung. der Zustimmung eines „Rates der Wächter des Islams“. Staatsoberhaupt ist der vom Volk auf 4 Jahre gewählte Das sind sechs vom „Führer der Nation“ ernannte isla- Präsident mit exekutiven Vollmachten. Er ernennt die mische Rechtsgelehrte und sechs vom Parlament ge- Minister. Seine Machtbefugnisse sind jedoch einge- wählte Juristen. Der Rat der Wächter des Islams wurde schränkt durch eine religiöse höchste Instanz, dem 1989 eingerichtet und prüft die Gesetze auf Überein- „Führer der Nation“. Seit 1989 ist das H. A. Khamenei. stimmung mit dem islamischen Recht. Parteien spielen Legislative ist das Einkammerparlament (Nationalver- bei politischen Entscheidungen keine Rolle. ORIENTIERUNG WELTWEIT 13
IRAN FRAUEN FORDERN RECHTE EIN Frauen in öffentlichen Ämtern Fundamentalismus 1997 wurden zum ersten Mal zu der Vorauswahl zur Der islamische Fundamentalismus drückt sich in der Präsidentschaftswahl weibliche Kandidatinnen zuge- Forderung nach der Islamisierung bzw. Re-Islamisie- lassen. Laut Koranauslegung können auch Frauen die rung von Gesellschaft und Staat aus. Diese Forderung obersten Ämter ausüben, da im Koran das Wort „Rid- bedeutet eine Rücknahme der Gesetze und der Le- jal“ für die Person verwendet wird, die das hohe Amt bensformen, die in manchen Ländern der islamischen ausüben darf. „Ridajl“ bedeutet Mann aber auch Per- Welt den Beginn einer Anpassung an die westlich sönlichkeit. Das würde bedeuten, dass laut Koran so- orientierte Welt signalisieren. Diese Anpassung wird wohl Frauen als auch Männer hohe religiöse sowie po- als Verlust der islamischen Identität betrachtet. Die Re- litische Ämter ausüben dürfen. Bedenken hatten die Islamisierung fordert auch die Rückkehr zu den politi- Rechtsgelehrten dann doch in Bezug auf die hohe öf- schen und wirtschaftlichen Ordnungsvorstellungen, fentliche Präsenz und die enge Zusammenarbeit mit die im islamischen Reich im Mittelalter ausgearbeitet Männern, die zur Ausübung dieses Amts notwendig wurden. sind. In letzter Instanz traten keine Frauen als Kandi- datInnen für die Präsidentenwahl an. Hintergrundinformation zu den Themen des Beitrags Iranische Gesellschaft Rechtsgelehrten mußten daher den Koran immer neu Viele IranerInnen kämpfen für die Errichtung einer „zivi- interpretierten. So entwickelten Rechtsgelehrte im 8. len Gesellschaft“, einer Gemeinschaft in der Menschen Jahrhundert ein System um die Echtheit der Hadithe zu im geistigen, sozialen und politischen Sinn gegenseiti- überprüfen. Nur wenn die Kette der Überlieferer gültig ge Toleranz üben. Damit ist sowohl eine Öffnung des und vertrauenswürdig erschien, galt die Hadithe als Irans zur Außenwelt als auch eine Lockerung nach In- Rechtsnorm. nen verbunden. Das iranische Mediensystem (Radio, Fernsehen und zahlreiche Printmedien) sind in öffent- Die grundlegenden Pflichten eines Moslems licher Hand und dadurch der Zensur unterworfen. Der Islam basiert auf fünf Säulen, aus denen sich die Pflichten ergeben. Religion und Rechtssystem 1 Das Bezeugen (schahada), dass es nur einen Gott Im Iran stellt die Religion die Basis des Rechtssystems gibt und dass Mohammed sein Gesandter ist. dar. Politik und Religion sind somit eng miteinander 2 Das Gebet (salah), das fünfmal am Tag vorge- verbunden. Der Koran gilt für alle Moslems als die, vom schrieben ist. Propheten Mohammed offenbarte heilige Schrift. Mo- 3 Das Fasten (siyam), welches im Monat Ramadan hammed erhielt Anweisungen von Gott in Bezug auf durchgeführt wird. Fragen und Probleme, die für die Gläubigen gelten. 4 Die Armensteuer (zakat), die eine Pflichtabgabe für Diese Anweisungen wurden erst später von Kalif Uth- gute Zwecke vom Vermögen der Wohlhabenden ist. mann (644–656) niedergeschrieben. Der Koran enthält 5 Die Wallfahrt nach Mekka (hadsch), welche jeder Schilderungen des gesellschaftlichen Lebens: Handel, Moslem, der körperlich und finanziell dazu in der Lage Ehe, Erbschaft, Strafrecht, usw. Er besteht aus 114 ist, mindestens einmal im Leben verrichten muss. Suren und bildet die wichtigste Grundlage für das islamische Recht, die „Scharia“. „Scharia“ bedeutet Bekleidungsvorschriften „der Weg zu Gott“. Über viele Jahrhunderte war die Kopftuchfrage kein Nach dem Tod von Mohammed versuchte man die großes Thema, in manchen islamischen Gesellschaf- Hintergründe seiner Taten und Worte zu sammeln, um ten war es üblich einen Tschador zu tragen in anderen die Suren (Schilderungen) korrekt zu interpretieren. nicht. Um 1900 änderte sich die Situation und die Das ergab die Hadithe. Diese dienen als Erklärung und Rechtsgelehrten suchten nach Bekleidungsvorschrif- Ergänzung des Korans und wurden erst später im 9. ten im Koran. Dabei ergaben sich unterschiedliche bis 10. nachchristlichen Jahrhundert aufgezeichnet. Interpretationen, wobei folgende Bekleidungsvor- Der gesellschaftliche Wandel brachte neue Verhal- schriften heute den Alltag im Iran prägen. tensmöglichkeiten und damit ergaben sich Fragestel- Moslems sollten bezüglich ihrer Kleidung auf Be- lungen, die im Koran nicht erwähnt wurden. Die scheidenheit Wert legen, und der Mensch sollte nicht 14 ORIENTIERUNG WELTWEIT
IRAN FRAUEN FORDERN RECHTE EIN als bloßes Objekt der Begierde betrachtet werden. dung in der iranischen Gesellschaft noch immer eine Deshalb gibt es im Islam sowohl für Männer als auch sehr heikle Angelegenheit ist und Frauen nach wie vor für Frauen Bekleidungsvorschriften. Die Kleidung darf benachteiligt werden. So wird auch im Film erwähnt, weder zu dünn sein, noch zu eng anliegen, damit die dass der Vater normalerweise im Scheidungsfall das Körperformen nicht sichtbar werden. Die Bekleidung Sorgerecht für die Kinder erhält, Mädchen kommen ab des Mannes muss mindestens den Bereich vom Na- dem 7. Lebensjahr und Burschen ab dem 2. Lebens- bel bis zum Knie bedecken, bei der Frau muss die jahr zum Vater. Kleidung den ganzen Körper, außer Gesicht und Hän- den, bedecken. Männer dürfen somit keine kurzen Scheidung seitens des Mannes Hosen tragen, kurze Hemdsärmel werden zunehmend Für Männer ist die Scheidung wesentlich einfacher als toleriert. Frauen tragen deshalb oft einen langärmeli- für Frauen. Wenn der Mann den Entschluss gefasst gen, bis über die Knie reichenden, hochgeschlosse- hat, sich scheiden zu lassen (arabisch: talaq), muss er nen Mantel, undurchsichtige Strümpfe und lange, wei- erst einmal warten, bis die Frau sich in einer blutungs- te Hosen, damit sämtliche Körperformen verdeckt freien Phase befindet, in der sie keinen Beischlaf hat- werden. ten. Erst dann darf er mündlich und ohne Zorn die Im Iran ist auch die Kopfbedeckung in der Öffent- Scheidung aussprechen. Selbstverständlich sollte es lichkeit Pflicht, die Haare, Hals und Ohren verhüllt. Es gute Gründe dafür haben, aber diese Gründe werden wird auch nicht toleriert, wenn Frauen geschminkt zum nicht durch eine dritte Instanz geprüft. Die Entschei- Freitagsgebet erscheinen. Diese und andere Vorschrif- dung liegt allein im Ermessen des Mannes. Nachdem ten sind für alle Moslems ab der Pubertät verbindlich, er dies getan hat, ist die Scheidung noch nicht vollzo- da dieser Einschnitt die Volljährigkeit kennzeichnet. gen. Die Frau soll weiterhin in der Wohnung des Man- nes wohnen. Es beginnt eine Zeit (im arabischen Idda Ein iranisches Mädchen über das Kopftuch genannt), die drei Monatsblutungen der Frau (bzw. „Wir wollen Männer davon abhalten, uns weiter wie Se- drei Monate, falls keine Monatsblutung mehr vor- xobjekte zu behandeln, wie sie es immer getan haben. kommt) dauert und während derer der Mann die Wir wollen, dass sie unsere äußere Erscheinung igno- Scheidung zurücknehmen kann. Tut er es nicht, ist die rieren und stattdessen auf unsere Persönlichkeit und Ehe nach Ablauf der Frist geschieden. In diesem Fall unseren Verstand aufmerksam werden. Wir wollen, kann die Ehe dennoch erneut geschlossen werden, dass sie uns ernst nehmen und uns als Gleichberech- hierfür ist allerdings ein neuer Ehevertrag erforderlich. tigte anerkennen, und nicht nur hinter uns her sind, wegen unserer Körper und unserem Aussehen.“ Gleichberechtigung von Mann und Frau Im ursprünglichen Islam findet sich keine Benachteili- Scheidung nach islamischen Recht gung von Frauen. Verse aus dem Koran deuten auf die Scheidung seitens der Frau (laut Koran) Gleichheit von Frau und Mann hin. Mann und Frau Ist die Scheidung seitens der Frau gewollt (arabisch: nehmen jedoch unterschiedliche gesellschaftliche Rol- chulla), so muss sie sich an ein Gericht oder einen len im Islam ein. Fremd ist dem Islam die grundsätzli- Schiedsrichter wenden. Dieser kann die Ehe aufhe- che Gleichheitsförderung, die alle Bereiche des Le- ben, wenn die Begründung der Frau einem der folgen- bens einer Person umfasst, wie es in der westlichen den Gründe entspricht: Welt weit verbreitet ist. Impotenz oder Unfruchtbarkeit des Mannes (um So wurde dem Mann im Islam die Verantwortung als dem eventuellen Kinderwunsch der Frau gerecht zu Familienoberhaupt, mit der Pflicht die Familie auch fi- werden) nanziell zu versorgen aufgetragen. Die Frau hat die Armut (weil der Mann z. B. keine Arbeit sucht. Er ist Sorge um den Nachwuchs zu tragen. Erst die unter- aber als Familienoberhaupt für das materielle Wohl schiedlichen Auslegungen der religiösen Quellen führ- der Familie verantwortlich) ten zu einer teilweise rechtlichen Benachteiligung von Gewaltanwendung seitens des Mannes Frauen. Im Laufe der Zeit entwickelten sich unter- Ablehnung gegenüber dem Mann aufgrund von schiedliche Traditionen in islamischen Gesellschaften, Eigenschaften des Mannes, die es der Frau subjek- die den Frauen bestimmte Einschränkungen auferleg- tiv nicht möglich machen, weiter mit ihm zusam- ten. Daraus erklären sich auch die großen Unterschie- menzuleben. de in Bezug auf die Rechte der Frau in unterschied- lichen islamischen Gesellschaften in der heutigen Zeit. Einem Hadith zufolge gilt: „Von allen erlaubten Dingen Die neue wirtschaftliche Lage im Iran-Irak-Krieg ist die Scheidung das von Gott am meisten verab- brachte es mit sich, dass Frauen neue Rollen einnah- scheute.“ Damit sei darauf hingedeutet, dass Schei- men und Berufe ausübten. Ihre Rechte unterschieden ORIENTIERUNG WELTWEIT 15
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