MEHR FRAUEN IN DIE PARLA-MENTE! - Informationen über und Argumente für Paritätsgesetze in Bund und Ländern - Deutscher Frauenrat
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MEHR FRAUEN IN DIE PARLA- MENTE! Informationen über und Argumente für Paritätsgesetze in Bund und Ländern
IMPRESSUM EDITORIAL Das aktive und passive Wahlrecht wurde die Bundestagswahlen. Diese Gelegenheit den Frauen vor 100 Jahren nicht geschenkt, muss jetzt genutzt werden. Aber dafür müs- es wurde hart erkämpft. Heute wird es als sen Kräfte aus Politik und Zivilgesellschaft Meilenstein in der Demokratieentwicklung gebündelt werden – denn nur gemeinsam gewürdigt. Es ermöglichte, allgemeine und wird Parität in Politik und Parlamenten zu gleiche Wahlen abzuhalten – am 19. Januar erreichen sein. Herausgeber 1919 zur verfassungsgebenden National- Mit dieser Handreichung stellt der Deut- Deutscher Frauenrat versammlung in Weimar. sche Frauenrat seinen Mitgliedsverbänden Lobby der Frauen in Deutschland e.V. (DF) Pünktlich zum Jubiläum von 100 Jahren und anderen MultiplikatorInnen aktuelle Axel-Springer-Str. 54a 10117 Berlin Frauenwahlrecht hat im Januar 2019 der Informationen und Hintergrundwissen zur Landtag in Brandenburg als erstes Parla- Verfügung, stellt Argumente pro und kon- Verantwortlich für den Inhalt ment in Deutschland ein Parité-Gesetz tra zu gesetzlichen Regelungen vor und Dr. Anja Nordmann verabschiedet. Das Gesetz schreibt vor, macht konkrete Vorschläge für Initiativen die Wahllisten zur Landtagswahl künftig und Aktionen pro Parität vor Ort. Die Bro- Autorinnen abwechselnd mit Frauen und Männern zu schüre wurde in Kooperation mit der EAF Dr. Helga Lukoschat Stefanie Lohaus besetzen. Berlin entwickelt, die seit vielen Jahren zum Cécile Weidhofer Die Einführung von Paritätsgesetzen Thema aktiv ist und von der Bundeszentra- wird in späteren Zeiten auch als histori- le für politische Bildung gefördert. EAF Berlin scher Einschnitt gewürdigt werden. Denn An dieser Stelle ein besonderer Dank an Schumannstr. 5 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahl- die Beteiligten für die Zusammenarbeit, die 10117 Berlin rechts geht es darum, die tatsächlich noch dieses Vorhaben ermöglicht hat. Redaktion fortwirkende, strukturelle Benachteiligung Elke Ferner von Frauen in der Politik zu überwinden. Sheyda Weinrich Nach wie vor ist die Politik eine männ- lich geprägte Welt. Bis heute waren in noch Deutscher Frauenrat jedem deutschen Parlament Männer in der Lektorat Mehrheit – und zwar flächendeckend, im Gabi Kämpken Bundestag und in den Landtagen. Zuletzt gingen die Frauenanteile im Bundestag Grafikdesign und zahlreichen Länderparlamenten sogar Lisa Klinkenberg wieder zurück. Und selbst Angela Merkel Druck sagt heute: „Eine Kanzlerin macht noch kei- Druckerei Conrad nen Sommer.“ Seit über zehn Jahren wird in Deutsch- Erscheinungsdatum land bereits über Parité- beziehungsweise Mai 2019 Paritätsgesetze für die Politik diskutiert. Gefördert durch die Doch erst jetzt eröffnet sich für den Bundes- tag, wie auch für einige Länderparlamente, aufgrund der politischen Konstellationen, ein historisches Zeitfenster. Dazu gehört auch die anstehende Wahlrechtsreform für 3
INHALT MEHR FRAUEN IN DIE PARLAMENTE – WORUM GEHT ES? WORUM GEHT ES? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Es geht nicht um eine Quote, In Deutschland wird derzeit heftig über bestehen. Und dies gilt im Jahr 2019 eben sondern um eine paritätische, ein Paritätsgesetz diskutiert. Das bran- auch für die Politik. Die entscheidende Fra- im besten Fall tatsächlich hälf- denburgische Landesparlament hat Ende ge ist also, wie nicht nur Chancengleichheit, DIE AKTUELLE SITUATION tige Verteilung von Frauen und . . . . . . . . . . . . . . . . . .9 Januar 2019 die Einführung eines solchen sondern tatsächliche Gleichberechtigung Männern in den Parlamenten Gesetzes auf Landesebene beschlossen. erreicht werden kann. und kommunalen Vertretungen! Der Grund ist die konstante Unterreprä- Sicherlich hat die Unterrepräsentanz sentanz von Frauen in der Politik. Andere von Frauen in Parteien und Parlamenten DER EINFLUSS DES WAHLRECHTS . . . . . . . . . . . 12 Als 2019 in Brandenburg ein Parité-Gesetz verabschiedet Staaten haben eine solche Regelung schon viele Gründe. Es spielen historische, soziale wurde, wurde damit auf den lange eingeführt: In Frankreich etwa wur- und wirtschaftliche Faktoren eine Rolle, wie französischen Begriff Bezug de bereits 2001 das Loi sur la parité – das die Rollenbilder und die Aufgabenteilung BRANDENBURG: DAS ERSTE DEUTSCHE genommen. Inhaltlich können Parité und Parität synonym ver- Gesetz für die Parität – verabschiedet. Auf zwischen den Geschlechtern und ihre un- Grundlage einer vorangegangenen Verfas- terschiedlichen zeitlichen und materiellen PARITÄTSGESETZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 wendet werden. sungsergänzung gewährleistet es Frauen Ressourcen. Da Frauen jedoch hinsichtlich Die Parteien haben grundge- und Männern nun den „gleichen Zugang zu Bildung, Qualifikation und politischem In- setzlich geschützte Rechte Wahlämtern und Mandaten“. teresse längst mit den Männern gleichge- PARITÄT BEI DIREKT- UND LISTENMANDATEN . . 17 (Artikel 21 GG). Doch damit ist Von Beginn an ging es dabei um „Ega- zogen haben, geraten zunehmend die poli- auch eine große Verantwortung lité“, also die Gleichheit der Staatsbür- tisch-institutionellen Rahmenbedingungen für die Demokratie verbunden. gerInnen, nicht nur in Bezug auf gleiche in den Blick und mit ihnen das Wahlrecht Parteien können sich nicht da- GLEICHE CHANCEN? mit rechtfertigen, dass sie mehr Rechte und Pflichten, sondern auch auf und die Parteien. gleiche Teilhabe. Frauen sind die Hälfte Die Parteien tragen durch ihr Vorgehen BARRIEREN FÜR FRAUEN IN DER POLITIK männliche als weibliche Mit- . . . . 19 glieder haben. Sie müssen sich der Bevölkerung und wie Männer in allen bei der Anwerbung, Förderung und No- vielmehr fragen, warum das so sozialen und gesellschaftlichen Gruppen minierung von KandidatInnen ganz ent- ist und was sie dagegen tun und Schichten vertreten – deshalb müssen schieden dazu bei, welche Chancen Frauen DER WEG ZUM FRANZÖSISCHEN können. Auch umgekehrt wür- de es Fragen zur Gleichberech- sie auch die gleichen Chancen haben, auf und Männer jeweils haben. Einige Parteien politische Entscheidungen Einfluss zu neh- haben darauf reagiert und Frauen- bezie- PARITÄTSGESETZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 tigung der Geschlechter auf- werfen, wenn über Jahrzehnte men. Das französische Gesetz bezieht sich hungsweise Geschlechterquoten in unter- hinweg Frauen mit übergroßer auf alle Ebenen, kommunale, regionale, na- schiedlicher Höhe und Verbindlichkeit in Mehrheit in den Parlamenten tionale und europäische, und wurde fortlau- ihren Satzungen verankert. Die Parteien, MEHR DEMOKRATIE WAGEN . . . . . . . . . . . . . . . . 25 über die politischen Geschi- fend weiterentwickelt (mehr auf Seite 21). die hier am konsequentesten vorgehen, cke in diesem Land bestimmt Doch warum benötigen wir Paritätsge- zeichnen sich auch durch höhere Frauen- hätten. setze auch in Deutschland? Auch 70 Jahre anteile an der Parteibasis und bei der Äm- nach der Verankerung des Gleichberechti- terverteilung aus. DIE VERFASSUNGSRECHTLICHE DEBATTE . . . . 27 gungsartikels 3 (2) im Grundgesetz („Män- Bei den Mandaten können parteiinter- ner und Frauen sind gleichberechtigt.“) ne Regelungen jedoch nur für Wahllisten, und trotz der Ergänzung des Artikels 3 (2) nicht aber für Direktmandate bestimmt INITIATIVEN FÜR PARITÄT IN Satz 2 („Der Staat fördert die tatsächliche werden. Der Rückgang der Frauenanteile Durchsetzung der Gleichberechtigung von im Bundestag wie auch in zahlreichen Län- DEN BUNDESLÄNDERN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Frauen und Männern und wirkt auf die Be- derparlamenten zeigt, dass die freiwilligen seitigung bestehender Nachteile hin.“) vor Selbstverpflichtungen von Parteien nicht 25 Jahren, bleiben weiterhin strukturell ausreichen. Parteiinterne Quoten, aber WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN . . . . . . . . 31 bedingte Benachteiligungen für Frauen auch Fördermaßnahmen, die der Selbst- 4 5
BISHER HAT ermächtigung von Frauen dienen sollen, Deswegen gilt: Niemand muss vor dem NOCH KEIN VERFASSUNGS- wie etwa Mentoring- und andere „Em- Vorwurf der Verfassungswidrigkeit zu- powerment“-Programme, stoßen deshalb rückschrecken. Bisher hat noch kein Ver- an Grenzen. Auch wenn sie weiterhin sinn- fassungsgericht über ein demokratisch voll bleiben, um Frauen für das parteipoliti- verabschiedetes Paritätsgesetz geurteilt. sche Engagement zu gewinnen, zu stärken Schließlich hat jeder demokratisch legiti- GERICHT ÜBER und vor allem zu vernetzen. mierte Gesetzgeber das Recht, Neuland Paritätsgesetze sind ein effektives zu betreten, wenn es gesellschaftliche Mittel, um zu erreichen, dass Frauen glei- Veränderungen und Handlungsbedarfe chermaßen an politischer Machtausübung notwendig machen. Wäre es anders, wäre beteiligt sind und ihre Interessen, Sicht- Politik zum Stillstand verdammt. EIN weisen und Erfahrungen in die Gesetz- gebung einbringen können. Wobei diese Interessen und Sichtweisen – je nach parteipolitscher Zugehörigkeit und welt- anschaulicher Überzeugung – durchaus DEMOKRATISCH unterschiedlich sein können und dürfen. Frauen sind wie Männer keine politisch oder sozial einheitliche Gruppe. Dies ist aber kein Argument gegen ihre gleichbe- rechtigte Vertretung in der Politik, im Ge- VERAB- genteil. Denn bei aller Unterschiedlichkeit von Frauen ist das Geschlecht nach wie vor ein soziales Merkmal, das die Zugänge zu Macht, Ressourcen und Lebenschancen beeinflusst. SCHIEDETES Sehr oft ist zu hören, Paritätsgesetze im Allgemeinen und auch das Branden- burger Gesetz im Besonderen seien ver- fassungswidrig. Die BefürworterInnen der Regelung berufen sich jedoch auch auf PARITÄTSGESETZ die Verfassung, und zwar auf die bereits 1994 verabschiedete Ergänzung von Ar- tikel 3 (2) Satz 2 GG. Das Gleichberechti- gungsgebot, das auch als aktiver Auftrag an den Staat verstanden werden müsse, GEURTEILT. habe genügend Gewicht, um Eingriffe in die gleichfalls grundgesetzlich geschützte Parteienfreiheit (Artikel 21 GG) und die Wahlrechtsgrundsätze (Artikel 38 GG) zu rechtfertigen. 6
WIR SIND DIE HÄLFTE REGELUNGEN DER PARTEIEN DER PROZENTE – UND FRAUENANTEILE DIE AKTUELLE SITUATION Bündnis 90/Die Grünen Frauenanteil in der CSU (2017): 21 Prozent Bis in die 1980er-Jahre hinein betrug der Doch zurück zum Bund und den Frauenanteil im Bundestag (2019): 58 Prozent CSU: Keine verbindliche Regelung für die Quotierung Anteil der weiblichen Abgeordneten im Ländern: Worauf sind die Frauenanteil in der Partei (2017): 40 Prozent von Listenplätzen. Auf Landes- und Bezirksebene sol- Bundestag unter zehn Prozent – und ent- Rückgänge zurückzuführen? Umfangreiche Regelungen wurden im Frauenstatut len 40 Prozent der Parteiämter an Frauen vergeben sprach damit den Anteilen in der Weima- bei der Parteigründung 1979 festgelegt. Darunter: Min- werden (siehe Satzung der CSU, § 8A). rer Republik kurz nach der Einführung des • Mit der AfD ist eine Partei in den Bundes- destens die Hälfte aller Mandate und Parteiämter sol- Frauenwahlrechts! In der ersten frei ge- tag und in zahlreiche Länderparlamente len weiblich besetzt sein. Frauen bekommen jeden un- FDP wählten Volkskammer der DDR 1990 lag der eingezogen, bei der der Anteil der männ- geraden Platz bei der Aufstellung von Wahllisten (siehe Frauenanteil im Bundestag (2019): 24 Prozent Frauenanteil bei 19,8 Prozent (Bundestag lichen Abgeordneten bei rund 90 Prozent Frauenstatut von Bündnis 90/Die Grünen). Frauenanteil in der Partei (2017): 22 Prozent 1990: 16,9 Prozent). liegt. Es gilt keine verpflichtende Quotenregelung. Auf ih- Der erste Sprung hin zu mehr Frauen DIE LINKE rem Parteitag im April 2019 beschloss die FDP, zur Er- erfolgte in Westdeutschland erst 1987. • Doch auch bei der wieder in den Bundes- Frauenanteil im Bundestag (2019): 54 Prozent höhung des Frauenanteils zwischen Bundesverband Dies ist neben den allgemeinen gesell- tag eingezogenen FDP liegt der Frau- Frauenanteil in der Partei (2017): 37 Prozent und Landesverbänden Zielvereinbarungen abzu- schaftlichen Veränderungen in erster Li- enanteil bei lediglich 23,8 Prozent. Die Ämter, Mandate und Plätze auf Wahllisten sollen zu schließen. Diese sollen regional differenziert verein- nie auf die Einführung innerparteilicher FDP lehnt bis heute selbst parteiinterne 50 Prozent an Frauen vergeben werden. Auf Listen bart werden und für verschiedene Funktionen, Ebe- Quotenregelungen zurückzuführen. Doch Quoten strikt ab. Hinzu kommt, dass SPD, stehen Frauen einer der ersten beiden Listenplätze nen und Mandate Ziele für die Repräsentation von die Anteile erhöhten sich nur langsam und Grüne und Linke, die traditionell für hö- sowie im Folgenden die ungeraden Plätze zu (siehe Frauen vorsehen (siehe Beschluss des 70. Ordentli- zuletzt kehrte sich der Trend sogar um: here Frauenanteile sorgen, bei der Wahl Bundessatzung der Partei DIE LINKE, § 10). chen Bundesparteitags der FDP, 2019). Mit der Wahl 2017 ging im 19. Deutschen 2017 im Schnitt weniger Mandate errun- Bundestag der Frauenanteil wieder zurück gen haben. SPD AfD und fiel mit 30,7 Prozent auf den Stand von Frauenanteil im Bundestag (2019): 42 Prozent Frauenanteil im Bundestag (2019): 11 Prozent 1998. In den Landesparlamenten stellt • Nicht zuletzt trägt die CDU/CSU-Fraktion Frauenanteil in der Partei (2017): 32 Prozent Frauenanteil in der Partei (2017): 17 Prozent sich die Entwicklung ähnlich dar: Bis auf erhebliche Verantwortung für den Rück- Eine verpflichtende Mindestquote von 40 Prozent für In der AfD werden sowohl parteiinterne Quoten als in Hessen sind bei den jüngsten Landtags- gang. Der Frauenanteil in der Fraktion Wahllisten und Ämter wurde 1988 eingeführt. Wahl- auch Maßnahmen zur Frauenförderung abgelehnt. wahlen überall die Frauenanteile zurück- beträgt lediglich knapp 20 Prozent. Dies listen für Bundestags- und Europawahlen werden seit Auch die Gründung parteiinterner Frauenorganisatio- gegangen. Der einstige Spitzenreiter, das hat vor allem damit zu tun, dass in den 2012 alternierend an Männer und Frauen vergeben nen schließt die Satzung explizit aus (siehe Bundes- Bundesland Sachsen-Anhalt, bildet nun aussichtsreichen Wahlkreisen überwie- (siehe Satzung der SPD, § 4). satzung der AfD, § 17 (2). das Schlusslicht. gend Männer als Kandidaten aufgestellt Auch auf kommunaler Ebene stagnie- werden, in Bayern zu über 80 Prozent. In CDU/CSU ren die Anteile der beteiligten Frauen in Ländern wie Baden-Württemberg und Frauenanteil der Union im Bundestag (2019): 20 Prozent den Gemeinde-, Stadt- und Kreisräten bei Bayern, wo CDU beziehungsweise CSU Frauenanteil in der CDU (2017): 26 Prozent etwa 25 Prozent. Es gibt allerdings große mehrheitlich die Direktmandate gewin- CDU: Seit 1996 gilt ein Quorum, das empfiehlt, ein regionale Unterschiede: Während in den nen, kommt die Wahlliste kaum zum Drittel der Parteiämter, Mandate und Listenplätze an Großstädten höhere Anteile – zum Teil so- Zuge. Die dort aufgestellten Frauen ge- Frauen zu vergeben. Kann dieses Ziel in einem ersten gar von über 40 Prozent – erreicht werden, hen leer aus. Wahlgang nicht erreicht werden, muss die Wahl mit gibt es zahlreiche kleinere Gemeinderäte neuen Vorschlägen wiederholt werden. Das Ergeb- in eher ländlich-konservativ geprägten Re- Diese Befunde zeigen zweierlei auf: nis des zweiten Wahlgangs ist gültig, auch wenn das gionen, in denen Frauen überhaupt nicht Quorum nicht erreicht werden konnte (siehe Statut vertreten sind! Und nur rund zehn Prozent 1. Parteiinterne Regelungen haben zwar der CDU, § 15A). der Rathäuser werden von einer Frau ge- in den vergangenen Jahrzehnten deut- führt. liche Fortschritte gebracht, sie sind 8 9
INNER- PARTEILICHE aber nicht ausreichend, da sie entwe- der zu unverbindlich sind oder nicht konsequent genug angewandt wer- den. Manche Parteien kennen gar kei- Parteien mit einem Frauenanteil von 38 Prozent zwar nicht zufriedenstel- lend, aber noch vergleichsweise gut besetzt. Anders sieht es in den Wahl- QUOTEN ne Regelung zu Frauenanteilen. kreisen aus. Für die 299 Wahlkreise wurden 487 Frauen und 1.292 Männer 2. Das Wahlsystem und die Ausgestaltung aufgestellt – direkt gewählt wurden nur des Wahlrechts haben erheblichen Ein- 64 Frauen (21 Prozent), aber 235 Män- fluss darauf, ob und in welchem Maße ner (79 Prozent). Hier kommt zum Tra- Frauen in den Parlamenten vertreten gen, dass in den einzelnen Wahlkreisen ERHÖHTEN sind. Überall dort, wo es ein Mehrheits- nur eine oder zwei Parteien eine reelle wahlsystem gibt, sind Frauen unter- Chance auf das Direktmandat haben – durchschnittlich vertreten. Für die und eben auch, dass die Direktmanda- Bundestagswahl 2017 waren die Wahl- te, insbesondere aussichtsreiche, wei- listen der in den Bundestag gewählten terhin eine Männerdomäne sind. ERSTMALS 50 % Frauenanteile in den Parlamenten 40 % im Zeitverlauf DEN FRAUEN- 35 % 30 % 25 % ANTEIL IN 20 % 15 % 10 % PARLAMENTEN. 5% 0% 1945 1955 1965 1975 1985 1995 2005 2015 Bundesländer Ost Bundesländer West Bundestag 10 11
DER EINFLUSS DES WAHLRECHTS In Deutschland gilt für die Parlaments- wahlen auf Bundes- und Landesebene Falls einer Partei prozentual weniger Sit- ze zustehen, als sie Direktmandate ge- Das Saarland verfügt als ein- ziges Bundesland über ein rei- DAS DEUTSCHE WAHLSYSTEM in der Regel das Wahlsystem der perso- wonnen hat, entstehen die sogenannten nes Verhältniswahlrecht. Hier hat jede/r WählerIn genau eine nalisierten Verhältniswahl. Das bedeu- Überhangmandate. In Bayern zum Bei- Stimme, die an die feste Liste tet, dass jede/r WählerIn zwei Stimmen spiel erreichte die CSU 38,8 Prozent der 1 2 einer Partei vergeben wird. zur Verfügung hat. Mit der ersten wird Zweitstimmen, erlangte aufgrund der ge- Abweichungen vom persona- ein/e DirektkandidatIn des Wahlkreises wonnenen Wahlkreise jedoch 50 Prozent gewählt, die zweite Stimme geht an die der dortigen Bundestagsmandate. Um lisierten Verhältniswahlrecht gibt es etwa in Bayern, wo die KandidatInnen der Parteien STIMMZE T TEL Parteien im Bundestag vorher festgelegte Liste einer Partei. eine Verzerrung des Ergebnisses durch WählerInnen ihre Zweitstimme Auf dieser Liste werden KandidatInnen unverhältnismäßig viele Überhangman- an einzelne KandidatInnen ge- Erststimme Zweitstimme in einer festgelegten Reihenfolge plat- date zu kompensieren, bekommen die ben. In Hamburg und Bremen ziert. Je mehr Prozente eine Partei er- anderen Parteien seit der Bundestags- wiederum stehen den Wähler- KandidatIn A Partei A Innen insgesamt fünf bezie- hält, desto mehr KandidatInnen ziehen wahl 2013 entsprechende Ausgleichs- hungsweise zehn Stimmen zur von dieser Partei in das Parlament ein. mandate zugewiesen; dadurch steigt KandidatIn B Partei B Verfügung, die sie entweder an Die Zweitstimme ist also die ausschlag- der Anteil der ParlamentarierInnen Listen in ihrer Gesamtheit oder gebende für die Anzahl der gewonnenen entsprechend an. So gab es in der 18. aber auf einzelne KandidatIn- KandidatIn C Partei C D C B A Sitze einer Partei in einem Landtag oder Wahlperiode bereits 631 und in der 19. nen verteilen können. im Bundestag. Wahlperiode 709 Abgeordnete statt der ENTSENDUNG VON KandidatIn D Partei D ENTSENDUNG VON Eine detaillierte Übersicht für 299 ABGEORDNETEN 299 ABGEORDNETEN Grundsätzlich gilt für die Sitzvertei- eigentlich gesetzlich vorgesehenen An- das geltende Wahlrecht je nach AUS DEN KandidatIn IM VERHÄLTNIS ZUM lung auf Bundes- und Landesebene: Je- zahl von 598. Nun möchte der Bundestag WAHLKREISEN parteilos STIMMENANTEIL Bundesland findet sich unter der Partei mit einem Zweitstimmenanteil noch in dieser Legislatur eine Reform des www.wahlrecht.de KandidatIn zieht, abhängig von mindestens fünf Prozent stehen dem Wahlrechts verabschieden, um die Größe Gewählte/r vom Listenplatz, in den Zweitstimmenanteil entsprechend vie- des Bundestages zu reduzieren. Dafür WahlkreissiegerIn Bundestag ein, wenn die le Sitze zu. Diese werden zunächst pro wurde eine Kommission unter Vorsitz zieht in den Partei die Fünf-Prozent- Bundesland mit den gewonnenen Direkt- von Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Bundestag ein. Hürde erreicht. mandaten aus den Erststimmen verrech- Schäuble eingesetzt, die sich jedoch auf net. Nur die dann noch übrig gebliebenen keinen gemeinsamen Vorschlag einigen Mandate gehen an die ListenkandidatIn- konnte. nen in der vorgegebenen Reihenfolge. Dennoch eröffnet die Debatte um die 50 % 50 % Der Einzug von in ihrem Wahlkreis Wahlrechtsreform ein historisches Zeit- erfolgreichen DirektkandidatInnen ins fenster, um Parität im Wahlrecht zu ver- Männer werden Männer bekommen Parlament ist also sicher, während die ankern. häufiger als Kandidaten häufiger die ausichts- Chance, dass eine Nominierung per aufgestellt als Frauen. reicheren Listenplätze zugewiesen als Frauen. Wahlliste zum Erfolg führt, vom Gesamt- ergebnis der Partei und nicht zuletzt auch von der Stärke der DirektkandidatInnen BUNDESTAG: BESETZUNG DER 598 abhängt. Bei den Direktkandidaturen ABGEORDNETENSITZE gilt das Mehrheitswahlrecht, das heißt, dass lediglich der/die KandidatIn mit den meisten Stimmen einen Sitz gewinnt. 12 13
BRANDENBURG: DAS ERSTE DEUTSCHE BÜNDNIS PARITÄTSGESETZ Am 31.01.2019 beschlossen SPD und DIE derung soll ab 2020 gelten und damit zum AUS Die Gesetzesänderung im Wortlaut: POLITIK LINKE sowie Bündnis 90/Die Grünen ein ersten Mal bei den die Landtagswahlen im Parité-Gesetz für das Land Brandenburg. Jahr 2024 Wirkung entfalten. „Frauen und Männer sollen gleichermaßen Grundlage war ein Gesetzesentwurf der In Bezug auf die Sanktionen, die bei bei der Aufstellung der Landesliste berück- Oppositionspartei Bündnis 90/Die Grünen. nicht paritätisch besetzten Listen greifen sichtigt werden. Hierzu bestimmt die Lan- Der Landesfrauenrat Brandenburg und die würden, ist das Gesetz allerdings nicht ein- desversammlung: UND (kommunalen) Gleichstellungsbeauftrag- deutig. Hier besteht Klärungsbedarf, dass 1. die Liste der Bewerbenden und ihre ten hatten das Thema zuvor auf die Agenda nicht paritätisch besetzte Listen tatsächlich Reihenfolge für die für Frauen reser- gesetzt und mit Veranstaltungen, Publika- zurückgewiesen werden. Bedauerlich ist, vierten Listenplätze der Landesliste, tionen und einer Unterschriftenkampagne dass die Quotierung der Direktkandidatu- 2. die Liste der Bewerbenden und ihre („Wir fordern ein Parité-Gesetz für Bran- ren, wie sie der Gesetzentwurf von Bünd- Reihenfolge für die für Männer reser- ZIVIL- denburg – jetzt!“) flankiert. Auch die De- nis 90/Die Grünen angestrebt hatte, keine vierten Listenplätze der Landesliste batten rund um das 100. Jubiläum der Ein- Mehrheit im brandenburgischen Landtag und führung des Frauenwahlrechts hatten dazu fand. Der Entwurf sah vor, dass in den Wahl- 3. aus welcher der beiden Listen der ers- beigetragen, dass die geringe Beteiligung kreisen Duos aus Mann und Frau antreten. te Listenplatz der Landesliste besetzt von Frauen an politischen Prozessen als Dabei war vorgesehen, dass WählerInnen wird. Skandal empfunden wurde, den es zu be- gegebenenfalls auch eine Kandidatin und Die geschlechterparitätische Landesliste GESELL- seitigen galt. einen Kandidaten aus zwei verschiedenen wird abwechselnd unter Berücksichtigung Das Landeswahlgesetz wurde so geän- Parteien hätten wählen können. Um die der Entscheidung für den ersten Listen- dert, dass die Landeslisten abwechselnd mit Zahl der Abgeordneten im Landtag nicht zu platz und der von der Landesversammlung Frauen und Männern besetzt werden sol- verdoppeln, sah der Vorschlag vor, die Zahl bestimmten Reihenfolge aus den beiden len. Dabei wird die Liste zunächst getrennt der 44 Wahlkreise zu halbieren. Listen (Satz 3 Nummer 1 und 2) gebildet. SCHAFT nach Frauen und Männern aufgestellt. Ob Es gilt also, mit dem neuen Gesetz ers- Ist bei der geschlechterparitätischen Bil- der erste Listenplatz mit einer Frau oder te Erfahrungen zu sammeln, seine Wirk- dung der Landesliste nur eine der beiden in einem Mann besetzt wird, entscheidet die samkeit zu testen – vor allem, weil es Di- Satz 3 Nummer 1 und 2 genannten Listen jeweilige Wahlversammlung der Partei- rektmandate, die in hohem Maß für den erschöpft, so kann auf der Landesliste nur en. Anschließend erfolgt die alternierende Männerüberschuss verantwortlich sind, noch eine weitere Person aus der anderen DRÄNGT Besetzung mit Frauen beziehungsweise nicht betrifft – und gegebenenfalls nachzu- Liste benannt werden. Personen, die ent- Männern, bei der beide Listen zusammen- justieren. sprechend § 22 Absatz 3 und § 45b Absatz 1 geführt werden. Erwartungsgemäß löste das Parité-Ge- Personenstandsgesetz weder dem männ- Menschen, die nach dem Personen- setz heftige Kontroversen aus, bei denen lichen noch dem weiblichen Geschlecht standsrecht weder dem männlichen noch auch die Verfassungsmäßigkeit angezwei- zugeordnet werden können, können frei AUF dem weiblichen Geschlecht zugeordnet felt wurde. Die NPD will nun tatsächlich das entscheiden, für welche der in Satz 3 Num- werden können, können sich im Rahmen Gesetz vom Brandenburger Landesverfas- mer 1 und 2 genannten Listen sie sich um der Wahlversammlung entscheiden, ob sungsgericht überprüfen lassen. einen Listenplatz bewerben wollen. Die sie auf einem Listenplatz für Männer oder Sätze 3 bis 6 finden keine Anwendung auf Frauen geführt werden wollen. Für reine Parteien, politischen Vereinigungen oder PARITÄT. Frauenparteien – die in Brandenburg zur Listenvereinigungen, die satzungsgemäß Landtagswahl zugelassen sind – gilt die Re- nur ein Geschlecht aufnehmen und vertre- gelung nicht (ebenso wenig, wie sie für eine ten wollen.“ reine Männerpartei gelten würde). Die Än- 14 15
PARITÄT BEI DIREKT- DIREKT- UND LISTENMANDATEN MANDATE WAHLKREIS-DUOS TANDEMS 1. Frau (SPD) 1. Mann (SPD) 1. Frau / Mann (SPD) 2. Mann (CDU) 2. Frau (CDU) 2. Mann / Frau (CDU) 3. Frau (Grüne) 3. Mann (Grüne) 3. Frau / Mann (Grüne) 4. Mann (Linke) 4. Frau (Linke) 4. Mann / Frau (Linke) SIND NACH DIREKTMANDATE WIE VOR Möglich durch 1. Frau (SPD) größere 2. Frau / Mann (CDU) 3. Mann (Grüne) Wahlkreise! EINE Was kann getan werden, um auch bei den der Größe des Bundestages gelöst, da Direktmandaten Parität herzustellen? Hier keine Überhang- und Ausgleichsman- liegen die größten Probleme: In rund 80 date mehr entstünden. Prozent der aussichtsreichen Wahlkreise Bei Beibehaltung der Direktmandate werden männliche Kandidaten von den wäre eine Reduzierung der Wahlkreise Parteien nominiert. Ohne die Einbeziehung auch wegen der Größe des Bundes- der Direktmandate bleiben Paritätsgesetze tages erforderlich. Die Anzahl der da- MÄNNER- auf halbem Wege stecken. nach noch vorhandenen Wahlkreise müsste halbiert werden. Pro Wahlkreis Welche Modelle sind in der würden aber ein Mann und eine Frau Diskussion? gewählt werden. Der Deutsche Frauenrat sieht drei Möglich- 2. Wahlkreis-Duos. Hierbei könnten die keiten, um Parität zu erreichen: Parteien jeweils einen Mann und eine DOMÄNE. Frau als WahlkreiskandidatIn vorschla- 1. Wechsel zum Einstimmenwahlrecht. gen. Gewählt wären dann der Mann Direktmandate würden abgeschafft. mit den meisten Stimmen und die Die Listen müssten im Reißverschluss- Frau mit den meisten Stimmen. Jede/r verfahren quotiert werden, damit sie zu- WählerIn hätte drei Stimmen – eine gelassen werden. So würde annähernd Stimme für die Partei, eine Stimme Parität erreicht. Bei einem reinen Ver- für den Wahlkreiskandidaten und eine hältniswahlrecht wäre auch die Frage Stimme für die Wahlkreiskandidatin. 16 17
GLEICHE CHANCEN? BARRIEREN FÜR FRAUEN IN DER POLITIK Einzelkandidaturen wären nach wie Um das Problem der Vereinbar- Es ist wichtig zu verstehen, warum Frauen schreckend wirken. Eine Vereinbarkeit von ODER vor möglich. Dieser Vorschlag ent- keit von Beruf, Familie und poli- in den Parteien wie auch in den Parlamen- Beruf, Familie und politischem Ehrenamt spricht dem von Bündnis 90/Die Grü- tischem Ehrenamt zu mindern, ten unterrepräsentiert sind: Nach wie vor ist so nur schwer möglich. Nach wie vor geht es ganz praktisch darum, nen in Brandenburg. gibt es strukturell bedingte Benachteiligun- sind Frauen auch mit offenen und subtilen Sitzungszeiten zu flexibilisie- gen, die sich auf die Beteiligungschancen Diskriminierungen konfrontiert: Sie werden ren und Kinderbetreuung an- 3. Wahlkreistandems. Hierbei müssten zubieten oder deren Kosten zu und -möglichkeiten von Frauen auswirken. häufiger unterbrochen und ihre Redebeiträ- DIREKT- die Parteien ein Tandem aus jeweils erstatten, Kommunikationsme- Politik und Parteien sind eben nicht „neu- ge haben weniger Gewicht. Sie werden da- einer Frau und einem Mann vorschla- dien zur Zeitersparnis zu nutzen tral“ gegenüber dem Geschlecht. nach gefragt, was denn Mann und Kinder zu gen, die für einen Wahlkreis gemein- oder moderne Moderationsme- ihrem politischen Engagement sagen, und sam antreten. Diese würden mit der thoden anzuwenden, um alle Historisch-soziologische Gründe wenn es um die Beteiligung an fachlichen am Tisch zu Wort kommen zu Erststimme gewählt. Ausschüssen geht, werden sie ungefragt auf lassen. MANDATE Trotz der größeren Sichtbarkeit und der Jugend, Familie und Frauen festgelegt, wäh- Für den Bundestag hat unter anderem der Erfolge von Frauen in der Politik ist diese rend Finanzen, Bau und Verkehr in Männer- Vizepräsident des Deutschen Bundestages Welt eine männlich geprägte geblieben. hand bleiben. Thomas Oppermann vorgeschlagen, die Hier wirken historische Weichenstellungen Anzahl der Wahlkreise um über die Hälfte nach: Die Institutionen, die Verfahren und Das Nadelöhr der Nominierung GLEICH auf 120 zu halbieren, womit auch die An- die vielen formellen und informellen Spiel- zahl der Mandate im Bundestag begrenzt regeln der neuzeitlichen Demokratie ent- Wie in anderen gesellschaftlichen Berei- würde (aufgrund reduzierter Überhang- be- standen im 19. Jahrhundert explizit unter chen, wird es vor allem dann ernst, wenn ziehungsweise Ausgleichsmandate). Die dem Ausschluss von Frauen. Männer waren es um machtvolle Positionen geht. Die de- Parteien in den nun erheblich vergrößerten für die Politik und die Öffentlichkeit zustän- mokratischen Spielregeln verlangen, dass Wahlkreisen würden ebenfalls zur Aufstel- dig, Frauen für das Private und die Familie. Parteimitglieder in den Landesverbänden ABSCHAF- lung von Wahlkreis-Duos verpflichtet. Je- Diese Aufteilung der Gesellschaft ver- beziehungsweise örtlichen Parteigliede- weils der Mann beziehungsweise die Frau änderte sich, doch sie hat Auswirkungen rungen wählen, wer KandidatIn wird. mit den meisten Stimmen wären gewählt. bis heute. Sie schlägt sich in der Berufs- Bereits bei der Suche, also beim Auf- Einen weiteren Vorschlag brachte die und Studienwahl von jungen Männern und bauen und Bekanntmachen möglicher schleswig-holsteinische Justiz- und Gleich- Frauen nieder, in der Zuschreibung der Zu- Kandidatinnen und Kandidaten, kommen FEN? stellungsministerin Sabine Sütterlin-Waack ständigkeit von Frauen für die Familie und Muster zum Tragen, die Männern bessere (CDU) ein. Danach würden die Parteien nicht zuletzt in der fehlenden Präsenz von Chancen geben: Frauen haben oft weniger verpflichtet, einen Mann und eine Frau pro Frauen in Parteien und Parlamenten. Zeit, Geld oder andere Ressourcen, sich Wahlkreis aufzustellen und anschließend vor Ort bekannt zu machen, Kontakte und den WählerInnen die Entscheidung zu über- Institutionelle Rahmenbedingungen Netzwerke zu knüpfen und sich so recht- lassen. Dieses Modell würde offensichtlich zeitig der Unterstützung wichtiger Gruppen eine starke Konkurrenzsituation („Mann Politische Karrieren starten in der Regel mit zu versichern. Auch gibt es das Phänomen gegen Frau“) in der Partei beziehungsweise politischem Engagement in den Parteien des „Amtsbonus“: Es ist ein ungeschriebe- im Wahlkreis schaffen und ist daher politisch und auf der kommunalen Ebene. Doch eben nes, aber sehr stabiles Gesetz in den Par- zu Recht umstritten; zudem würde es auch hier beginnen bereits die Probleme: Das teien, keine „Kampfkandidatur“ gegenüber keine ausgewogene Repräsentanz der Ge- ehrenamtliche politische Engagement ist bewährten AmtsträgerInnen anzustreben. schlechter erreichen, sondern voraussicht- zeitaufwendig, findet sehr oft zu familien- Diese sind aber meistens männlich. Unter- lich dazu führen, dass weiterhin mehr Män- unfreundlichen Zeiten statt und ist durch suchungen zur Wahl von Bürgermeisterin- ner zu Direktkandidaten gekürt würden. Rituale und Formen geprägt, die eher ab- nen zeigen, dass Frauen oft erst dann eine 18 19
DER WEG ZUM FRANZÖSISCHEN PARITÄTS- GESETZ Chance bekommen, wenn die Situation als aussichtslos oder verfahren gilt und sich DEUTSCHER Seit einer präsidialen Anordnung vom 21. April 1944 dürfen Französinnen wählen startet und die Zeitschrift „Parité-Infos“ als Schnittstelle zwischen AktivistInnen und niemand anderes findet. Überdurchschnitt- BUNDESTAG 2017 und gewählt werden. Damit bekamen sie Presse gegründet. Das 50-jährige Jubiläum lich oft sind Frauen dann jedoch die Überra- vergleichsweise spät das Wahlrecht. Politi- der Einführung des Frauenwahlrechts 1994 schungssiegerinnen – und werden bei der kerinnen wie Simone Veil oder Edith Cres- sowie die Aufmerksamkeit für paritätisch nächsten Wahl wiedergewählt. son sollten die Ausnahme bleiben: 1968 besetzte Listen zur Europawahl entfachten betrug der Frauenanteil in der Assemblée die Debatte. Die nach wie vor männlich do- Nationale (die Nationalversammlung) ge- minierten Parteien mussten sich mit den rade mal 1,6 Prozent. Mit einem Frauen- Forderungen der Frauenverbände ausei- anteil von 10,9 Prozent bildete Frankreich nandersetzen. Die Parität mischte sich Verteilung von Direkt- und auch 30 Jahre später, also 1998, mit Grie- 1995 in den Präsidentschaftswahlkampf: Listenmandaten im Bundestag chenland das Schlusslicht in der EU. In Die beiden aussichtsreichsten Kandidaten nach Männern und Frauen diesem Kontext wurden die Forderungen Jacques Chirac und Lionel Jospin erklär- nach gleichberechtigter politischer Teil- ten beide ihre Absicht, sich für die Parität habe lauter. Während die Forderungen der einsetzen zu wollen. Gesagt, getan: Ein Frauenbewegung in den 1970er-Jahren paar Monate nach der Wahl von Jacques von dem Kampf um das Recht auf sexuel- Chirac wurde die Beobachtungsstelle für le Selbstbestimmung und die berufliche Parität („Observatoire de la parité entre Gleichstellung geprägt waren, rückte in les femmes et les hommes“) gegründet, den darauffolgenden Jahren die politische deren Kommission „Politische Parität“ (pa- FRAKTIONEN Repräsentation von Frauen immer mehr in den Fokus. rité politique) ihre ersten Ergebnisse 1996 vorstellte. Zeitgleich veröffentlichten zehn 1992 führten Françoise Gaspard, Clau- ehemalige Ministerinnen aus dem konser- de Servan-Schreiber und Anne Le Gall den vativen und sozialistischen Lager ihr „Mani- Begriff der Parität in die öffentliche Debat- fest der 10 für die Parität“ (Manifeste des te in Frankreich ein und lösten eine starke 10 pour la parité) mit der Forderung einer Mobilisierung aus. In Ihrem Buch Au pou- Verfassungsänderung als Voraussetzung voir citoyennes: liberté, égalité, parité (Bür- für eine gesetzliche Förderung von Frauen. gerinnen an die Macht: Freiheit, Gleichheit, Starke Zivilgesellschaft, überparteili- Parität) schilderten sie die historischen che Bündnisse, mediale Aufmerksamkeit: Gründe zur Unterrepräsentanz von Frauen Nun fehlte nur noch der richtige Moment. in der Politik und forderten eine paritäti- Dieser kam 1997, als die Nationalver- sche Besetzung der Parlamente. Im selben sammlung frühzeitig aufgelöst wurde und Jahr wurde der Verein „Parité“ gegründet, das Linksbündnis die vorgezogenen Par- Kolloquien und Veranstaltungen fanden lamentswahlen gewann. Der neue Pre- statt. 1993 unterschrieben prominente mierminister Lionel Jospin – der bereits als BürgerInnen das „Manifest der 577 für Parteivorsitzender die Sozialisten zu einer eine paritätische Demokratie“ (Manifeste 28-prozentigen Besetzung der Wahlkreise des 577 pour une démocratie paritaire“). mit Kandidatinnen brachte – setzte sich für Neben der Veröffentlichung des Manifests eine Revision der Verfassung ein, um ein wurde eine Unterschriftenkampagne ge- Paritätsgesetz zu ermöglichen. 1999 wurde 20 21
DANK DES nach langen Diskussionen in der National- versammlung und dem Senat der Artikel 3 der Verfassung der Fünften Republik wie Sanktionen im Jahr 2014 und dem hohen Anteil der weiblichen Abgeordneten in der Partei „La République en Marche“, welche ERFOLGES DER PARTEI folgt ergänzt: „Das Gesetz fordert den glei- sich als erste Partei gesetzestreu verhielt, chen Zugang von Frauen und Männern zu ist der Anteil der Frauen in der National- den Wahlmandaten und auf einer Wahl versammlung gestiegen: auf 38 Prozent im beruhenden Ämtern.“ Im angepassten Ar- Jahr 2017. tikel 4 wird an die Parteien appelliert: „Sie Macron gewann die Wahl 2017 mit dem „EN MARCHE“ [die politischen Parteien] tragen unter den Versprechen, die erstarrte politische Kultur gesetzlich festgelegten Bedingungen zur in Frankreich zu erneuern, und dazu gehör- Verwirklichung des im letzten Absatz von te zentral, Frauen die gleichen Chancen zu Artikel 3 enthaltenen Grundsatzes bei.“ geben. Erleichtert wurde dieses Vorhaben Am 6. Juni 2000 wurde das Gesetz durch den Umstand, dass die Bewegung n° 2000-493, das sogenannte „Loi sur la neue Personen benötigte und die Wahlkrei- STIEG DER parité“, verkündet und fand bei den Kom- se mit weiblichen Gesichtern besetzt wer- munalwahlen 2001 in den Kommunen mit den konnten. Es mussten also keine männ- mehr als 3.500 EinwohnerInnen seine erste lichen Mandatsträger entmachtet werden, Anwendung. Am Wahlabend stieg dort der die sich gegen solche Vorhaben gut zur Anteil der gewählten Frauen von 25,7 Pro- Wehr zu setzen verstehen. FRAUENANTEIL zent im Jahr 1995 auf 47,5 Prozent an. Seit Das französische Paritätsgesetz wurde der Reform von 2013 gilt das Gesetz auch kontinuierlich weiterentwickelt und seine für Kommunen ab 1.000 EinwohnerInnen. Wirksamkeit erhöht. Dazu gehörte, dass Das Paritätsgesetz hatte jedoch seine die finanziellen Sanktionen nach und nach Grenzen. Während das Gesetz auf kom- verschärft wurden. Als überaus hilfreich IN DER munaler Ebene zügig Wirkung zeigte, tat erwies sich auch eine politische Struktur- sich auf nationaler Ebene erst einmal we- reform, die die bisher üblichen politischen nig. Frankreich folgt auf nationaler Ebene Doppelfunktionen untersagte. Unter ande- dem Mehrheitswahlsystem und in beiden rem war ein erheblicher Teil der nationalen Lagern erfolgt die Rekrutierung der poli- Abgeordneten bis dato zum Beispiel Bür- tischen Elite nach eingespielten Mustern, germeister in der jeweiligen Region, was NATIONAL- welche strukturell die männlichen Kandi- deren Machtbastion zusätzlich festigte. daten bei der Nominierung begünstigen. Als besonders effektiv erwies sich eine Zuvor hatten die dominierenden politi- Strukturreform auf regionaler Ebene. 2015 schen Blöcke beziehungsweise Parteien wurde die Anzahl der Wahlkreise in den Dé- (die rechtskonservativen beziehungsweise partements halbiert und die Parteien ver- VERSAMMLUNG. sozialdemokratisch-sozialistischen) eher pflichtet, ein Wahlkreis-Duo (siehe auch S. die Sanktionen – Einbußen in Millionenhö- 17) aufzustellen. In den Départementsrä- he bei der Parteienfinanzierung – in Kauf ten sind daher mittlerweile tatsächlich 50 genommen, als paritätisch Frauen und Prozent Frauen vertreten. Männer in den Wahlkreisen zu nominieren. Die französischen Erfahrungen zeigen: Erst mit der Verschärfung der finanziellen Politische Kulturen, die über Jahrzehnte ein- 22 23
MEHR DEMOKRATIE WAGEN: PARITÄT UND REPRÄSENTATION geübt wurden, verändern sich nicht von DIE Intersektionalität beschreibt Ein häufig zu hörender Einwand gegen Pari- Argumentation nicht stichhaltig: Frauen DEBATTE heute auf morgen. Es bedarf des konti- die Verschränkung verschie- tät lautet, dass diese mit den Prinzipien der sind weder eine partikulare Gruppe noch nuierlichen gesellschaftlichen Drucks dener Diskriminierungsformen. repräsentativen parlamentarischen Demo- repräsentieren sie einen „Stand“ (wie viel- Das Konzept wurde von der und (neuer) politischer Kräfte, die den kratie nicht zu vereinbaren sei. leicht ÄrztInnen), sondern sie sind in allen US-amerikanischen Rechtsan- Veränderungswillen tatsächlich aufgrei- Zwar gehe alle Staatsgewalt vom Vol- Schichten und Gruppen der Bevölkerung wältin Kimberlé Crenshaw ent- fen. Und es bedarf vor allem effektiver, wickelt, die in ihrer praktischen ke aus, wie es im Grundgesetz heißt, doch vertreten. Frauen sind wie Männer keine UM sanktionsbewehrter Gesetze. Arbeit die Erfahrung gemacht bedeute das Demokratiekonzept gerade politisch oder sozioökonomisch homogene hat, dass Maßnahmen gegen nicht, dass die Bevölkerung ihrem Anteil Gruppe. Dies ist aber kein Argument gegen die Diskriminierung von Frauen entsprechend in den Parlamenten vertre- ihre gleichberechtigte Repräsentanz. Denn häufig bei denjenigen Frauen ten sein müsse. Die einzelnen Abgeordne- nach wie vor ist das Geschlecht als sozia- unwirksam sind, die von mehr- ten verträten vielmehr das „ganze Volk“ und le Kategorie wirksam und beeinflusst die facher Diskriminierung betrof- PARITÄT seien laut Grundgesetz nur ihrem Gewissen Zugänge zu Macht, Ressourcen und Le- fen sind. So erhöht ein Paritäts- gesetz den Anteil von Frauen, verpflichtet. Soweit die Theorie. benschancen erheblich. Aus eben diesem aber nicht automatisch den An- In der Praxis spielen die Parteizugehörig- Grunde gibt es im Artikel 3 GG das Gleich- teil von Frauen mit Behinderun- keit beziehungsweise der Fraktionszwang, berechtigungsgebot, das sich ausdrücklich gen oder Rassismuserfahrung. aber auch der eigene Erfahrungshorizont auf Männer und Frauen bezieht, und nicht WIRKT sehr wohl eine große Rolle für das Verhalten nur das Diskriminierungsverbot, in dem Ge- der Abgeordneten. Dass im Bundestag der schlecht ein Merkmal unter anderen ist. Fraktionszwang aufgehoben wird, ist die Nun werden die Chancen und Zugän- Ausnahme, nicht die Regel. Zusätzlich wird ge zu politischer Partizipation und Macht über die Wahlkreise und Direktmandate die selbstverständlich auch davon bestimmt, WIE EIN regionale Repräsentativität gesichert – wo- welchen sozialen und ökonomischen Sta- bei es auch hierbei nicht vollkommen gleich tus, welche Hautfarbe, sexuelle Identität zugeht. Denn es gibt größere und kleinere oder Religionszugehörigkeit die jeweilige Wahlkreise und es wird unabhängig von der Frau beziehungsweise der Mann hat. Da- Wahlbeteiligung jedem Bundesland eine her wird in feministischer Theorie und Praxis AUGEN- feste Anzahl von Abgeordneten abhängig seit Langem über das Konzept der Intersek- von der Anzahl der EinwohnerInnen mit tionalität debattiert. Ein Paritätsgesetz wird deutscher Staatsangehörigkeit zugewiesen. diese Unterschiede nicht automatisch auf- Das Schreckensszenario, das Gegner- heben. Dennoch ist es ein wichtiger Schritt. Innen von Paritätsregelungen gerne ent- Die Debatte über Parität wirkt wie ein ÖFFNER. werfen, ist das von komplett quotierten Augenöffner: Sie macht einmal mehr deut- Parlamenten, in denen auch anteilig Beru- lich, dass es erhebliche Defizite in der politi- fe, Alter, Herkunft, Religion usw. eine Rolle schen Repräsentation gibt. Die Gesellschaft spielen müssten. Andere Stimmen warnen wird in jeder Hinsicht vielfältiger. Aber auch vor einem „Ständestaat“. in anderen Gruppen – zum Beispiel jüngere Zunächst ist festzuhalten: Über das Menschen, Menschen mit Migrationserfah- Konzept der Repräsentativität wird seit rung, Menschen mit Behinderungen – sind Beginn der neuzeitlichen Demokratie, also Frauen repräsentiert. seit rund 250 Jahren, gestritten. Doch ab- Doch nicht immer müssen Quoten das gesehen davon ist die oben genannte Mittel der Wahl sein. Es gibt unterschiedliche 24 25
„… UND WIRKT AUF DIE BESEITIGUNG BESTEHEN- DER NACHTEILE HIN.“ DIE VERFASSUNGSRECHT- LICHE DEBATTE Ausgangslagen, die unterschiedliche Kon- ben. Politische Haltungen sind nicht per se zepte und Instrumente erforderlich ma- an das Geschlecht gebunden. Frauen sind chen. Auch dies ist Teil einer legitimen und wie Männer in allen politischen Strömun- notwendigen politischen und gesellschaft- gen von rechts bis links, von liberal bis grün, lichen Debatte. So oder so stehen den Par- von libertär bis konservativ vertreten. teien alle Möglichkeiten und Türen offen, für Oft ist auch zu hören, dass die Parteien, entschieden mehr Vielfalt in ihren Reihen die freiwillige Quotenregelungen praktizie- Artikel 21 (1) GG: Nach der Verabschiedung des Brandenbur- gänzung des Artikel 3 zu interpretieren, zu sorgen und überkommene, sich immer ren, sich damit im politischen Konkurrenz- „Die Parteien wirken bei der ger Parité-Gesetzes war häufig zu hören, dass wonach der Staat verpflichtet ist, die tat- wieder reproduzierende Machtstrukturen kampf profilieren könnten. Wem besonders politischen Willensbildung des das Gesetz verfassungswidrig sei. Was hat es sächliche Gleichberechtigung zu fördern Volkes mit. Ihre Gründung ist zu überwinden. an der Repräsentanz von Frauen und ihrer damit auf sich? Im Wesentlichen dreht sich und bestehende Benachteiligungen zu be- frei. Ihre innere Ordnung muß Von BefürworterInnen der Parität ist Gleichberechtigung gelegen sei, stehe es die Debatte darum, ob gesetzliche Vorgaben seitigen? demokratischen Grundsätzen sehr häufig zu hören, dass die Interessen, frei, die entsprechenden Parteien zu wäh- entsprechen. Sie müssen über zur Parität in die grundgesetzlich geschützte Die eine Seite versteht das Gleichbe- Bedürfnisse, Sichtweisen und Erfahrun- len. Was aber machen WählerInnen, die die Herkunft und Verwendung Parteienfreiheit (Artikel 21 (1) GG) und in rechtigungsgebot dahingehend, dass es gen von Frauen zu wenig in die Politik und das wirtschaftsliberale Profil der FDP gut ihrer Mittel sowie über ihr Ver- die Wahlrechtsgrundsätze der allgemeinen, zwar durchaus auf die Veränderung gesell- Gesetzgebung einfließen. Es ist sicherlich finden, aber gleichzeitig bedauern, dass mögen öffentlich Rechenschaft unmittelbaren, freien, gleichen und gehei- schaftlicher Wirklichkeit abziele und dem plausibel, dass die oft nur zögerlich in Angriff nur ein Fünftel der Abgeordneten weiblich geben.“ men Wahlen (Artikel 38 (1) GG) eingreifen Staat daher Fördermaßnahmen zuguns- genommenen Vorhaben in der Frauen- und ist? Sollen sie dann lieber DIE LINKE wäh- und inwiefern mögliche Eingriffe durch das ten von Frauen erlaube. Doch gehe es da- Artikel 38 (1) GG Gleichstellungspolitik auch damit zu tun ha- len? Und die CDU-AnhängerInnen gleich Gleichberechtigungsgebot von Artikel 3 (2) bei nicht um die Herstellung tatsächlicher „Die Abgeordneten des Deut- ben, dass Frauen in der Politik bisher über- die Grünen? Schon diese Beispiele zeigen, schen Bundestages werden im Grundgesetz und seine 1994 erfolgte Er- Gleichheit, sondern lediglich um die Her- all in der Minderheit waren und sind. Auch dass die Geschlechterfrage quer zu den in allgemeiner, unmittelbarer, gänzung zu rechtfertigen sind. stellung gleicher Chancen. Ein Paritätsge- wurden viele Fortschritte erst erreicht, wenn programmatischen Fragen liegt. freier, gleicher und geheimer Grundsätzlich gilt: Wenn unterschiedli- setz würde jedoch auf Ergebnisgleichheit Frauen partei- und fraktionsübergreifend zu- Es können auch Männer Feministen Wahl gewählt. Sie sind Vertre- che Artikel in der Verfassung konkurrieren, abzielen, nicht auf Chancengleichheit. sammenarbeiteten, wie bei der Einführung sein und Frauen entschiedene Antifeminis- ter des ganzen Volkes, an Auf- so müssen diese gegeneinander abgewo- Die andere Seite sieht das ganz anders. der Strafbarkeit der Vergewaltigung in der tinnen. Frauen- und Gleichstellungspolitik träge und Weisungen nicht gen und in Übereinstimmung gebracht Sie verweist darauf, dass der Artikel den aus- gebunden und nur ihrem Ge- Ehe, der Einführung geschlechtsspezifischer oder dezidiert feministische Politik ent- werden. Zu beachten ist, dass die entspre- drücklichen Auftrag an den Staat enthalte, wissen unterworfen.“ Asylgründe, jüngst bei der Einführung der steht nicht per se. Es bleibt ein politisches chenden gesetzgeberischen Maßnahmen die Gleichberechtigung der Geschlechter Geschlechterquoten in Aufsichtsräten oder Projekt, über das debattiert und gestritten Artikel 3 (2) GG: geeignet, erforderlich und verhältnismäßig durchzusetzen und die Lebensverhältnisse im Sexualstrafrecht („Nein heißt Nein“). werden muss. Die Vielzahl an Strömungen „Männer und Frauen sind sein müssen. Dass Gesetze dem Bundes- von Frauen und Männern tatsächlich anzu- Schließlich zeigen auch die Erfahrungen im gegenwärtigen Feminismus und die gleichberechtigt. Der Staat för- verfassungsgericht vorgelegt werden, wo- gleichen, also eben nicht bei der Chancen- in den skandinavischen Ländern mit ihrem sich daraus ergebenden unterschiedlichen dert die tatsächliche Durchset- von im Falle der Parität auszugehen ist, ist gleichheit stehen zu bleiben. Beide Seiten hohen Anteil an Frauen in den Parlamen- politisch-praktischen Forderungen belegen zung der Gleichberechtigung kein ungewöhnlicher Vorgang und spricht berufen sich in ihrer Einschätzung auf Urtei- von Frauen und Männern und ten, dass dort die Gleichberechtigung auf dies deutlich. Doch ist dies ein im Prinzip nicht per se dagegen. le des Bundesverfassungsgerichts. wirkt auf die Beseitigung be- vielen Ebenen sehr viel selbstverständ- abschließendes Argument für Parität: Es stehender Nachteile hin.“ licher ist und sich dies auch in den poli- sollten nicht nur einige wenige, sondern Wie weit trägt das Beeinträchtigung der tisch-institutionellen Rahmenbedingungen möglichst viele, möglichst unterschiedliche Gleichberechtigungsgebot? Wahlrechtsgrundsätze? niederschlägt. Frauen in den Parlamenten vertreten sein. Dennoch ist bei diesem Argument Vor- Umso lebendiger und attraktiver wird die Bereits in der Gewichtung und Auslegung Die GegnerInnen von Paritätsgesetzen sicht geboten. Die berechtigte Forderung Demokratie – für alle. des Geltungsbereichs des Gleichberechti- führen vor allem an, dass diese einen nicht nach Parität darf nicht nur auf Argumenten gungsgebotes gehen die Einschätzungen gerechtfertigten Eingriff in die Wahlrechts- beruhen, die die Unterschiede zwischen von VerfassungsrechtlerInnen erheblich grundsätze des Grundgesetzes (Artikel 38 Frauen und Männern eher noch festschrei- auseinander. Wie ist die 1994 erreichte Er- (1) GG) beinhalten würden. Derartige Ein- 26 27
griffe bedürften besonderer, sachlich legi- ten skeptisch sind, aber in einem Wahl- Das Wahlrecht selbst ist nicht Artikel 20 (2) GG Programm-, Organisations- und Wahlvor- also parteiübergreifend im ganzen Bun- timierter und „zwingender“ Gründe. Solche kreis-Duo durchaus eine Option sehen und Teil der Verfassung. Dort wer- Alle Staatsgewalt geht vom schlagsfreiheit spreche eindeutig gegen desgebiet um nur 299 Frauen handeln. wurden unter anderem bei der Beibehal- umgekehrt. den in Artikel 38 zwar die Wahl- Volke aus. Sie wird vom Volke verpflichtende paritätische Vorgaben bei rechtsgrundsätze festgeschrie- in Wahlen und Abstimmungen tung der Fünf-Prozent-Sperrklausel für die Juristische Argumente dafür gibt es al- der Aufstellung der Wahlvorschläge. Par- Allgemeinheit der Wahl – ben, die sich entsprechend in und durch besondere Organe Bundestagswahlen geltend gemacht. lemal. Für eine Verfassungskonformität von den Landesverfassungen fin- der Gesetzgebung, der vollzie- teien müssten selbst entscheiden, wen die Rechte des dritten Geschlechts Die Wahlrechtsgrundsätze gelten nicht Paritätsgesetzen wird zum einen auf Artikel den und auch für die Wahlen zu henden Gewalt und der Recht- sie aufstellen, um möglichst erfolgreich an nur für das aktive Wahlrecht der Bürger- 3 (2) Satz 2 GG als Rechtfertigungsgrund für den kommunalen Vertretungen sprechung ausgeübt. Wahlen teilzunehmen und ihre jeweiligen Ein neuer Aspekt in der Debatte ist, inwie- Innen, sondern nach übereinstimmender einen Eingriff in die Wahlrechtsgrundsätze gelten. In der konkreten Ausge- politischen Ziele umzusetzen. Auch die Ab- fern durch geschlechterparitätische Vor- Auffassung bereits in der Phase der Wahl- der freien und gleichen Wahl verwiesen, wo- staltung des Wahlrechts hat der lehnung von Quoten könne zum program- gaben die Rechte des dritten Geschlechts vorbereitungen für die KandidatInnenauf- nach der Staat auf die Beseitigung bestehen- Gesetzgeber jedoch einen er- matischen Profil einer Partei gehören. Das beeinträchtigt würden. Mit der kürzlich er- heblichen Spielraum, wie auch stellung durch die Parteien. Geschlechter- der Nachteile hinzuwirken hat – ein Auftrag, Demokratiegebot rechtfertige dies nicht. folgten Rechtsprechung des Bundesverfas- die unterschiedlichen Ausge- paritätische Wahlvorschläge würden in die der mit dem bisherigen Wahlrecht noch in Dieses sehe eben keine „spiegelbildliche“ sungsgerichts zum Personenstandsrecht staltungen des Wahlrechts in Freiheit und Gleichheit der Wahl eingreifen, keinem einzigen Parlament erreicht worden den Bundesländern zeigen. Repräsentanz der Bevölkerung vor. haben Personen, die sich dauerhaft weder da die vorschlagsberechtigten Personen in ist. Zum anderen wird in Paritätsgesetzen Die BefürworterInnen von Parität halten dem einen noch dem anderen Geschlecht der Wahlversammlung nur mehr vorgege- eine Stärkung des Wahlrechtsgrundsatzes entsprechend dagegen. Die Vorgaben seien zuordnen wollen oder können, die gleichen bene Listenplätze mit Frauen und Männern der Allgemeinheit der Wahl aus Artikel 38 (1) verhältnismäßig und letztlich mit dem Gleich- Grundrechte und sind ebenfalls vor Diskri- besetzen dürften. Auch seien Freiheit und GG gesehen, der den Ausschluss einzelner berechtigungsgebot rechtfertigbar. Parteien minierung zu schützen. Der Einwand lautet, Gleichheit der KandidatInnen beeinträch- WählerInnengruppen von politischer Ein- hätten aufgrund ihrer herausgehobenen dass Personen des dritten Geschlechts bei tigt, weil diese sich nicht mehr frei auf jeden flussnahme verbietet und damit wiederum Stellung bei der politischen Willensbildung Paritätsregelungen dauerhaft vom passiven Listenplatz bewerben können. geeignet ist, als eigenständig grundrechtlich Rechte und Privilegien – bis hin zur staat- Wahlrecht ausgeschlossen würden. Vergleichbare Argumente werden gegen geschützter Grundsatz einen Eingriff in die lichen Parteienfinanzierung. Doch sie seien Das in Brandenburg verabschiedete Regelungen ins Feld geführt, die Parteien Wahlrechtsgrundsätze der freien und glei- auch demokratischen Grundsätzen verpflich- Gesetz nimmt auf diesen Einwand Bezug dazu verpflichten würden, in den Wahlkrei- chen Wahlen zu rechtfertigen. tet, welche sich nicht nur auf die innerparteili- und sieht vor, dass Personen des dritten Ge- sen ein Duo aus Frau und Mann aufzustellen. Die Bandbreite der Ansichten und Argu- chen Vorgaben (demokratische Wahlen etc.) schlechts entscheiden können, ob sie auf Darüber hinaus wird auf die Wahlfreiheit der mente von VerfassungsrechtlerInnen variiert erstreckten. Parteien würden grundsätzlich der Frauen- oder der Männerliste kandidie- WählerInnen verwiesen, die gezwungen wä- also erheblich. Dass der Gesetzgeber aber dem Demokratiekonzept des Grundgesetzes ren wollen. Diese Zuordnung gilt ausschließ- ren, einen Mann und eine Frau zu wählen. Be- einen sehr großen Spielraum bei der Ausge- unterliegen (Artikel 20 (2) Satz 2). Dieses set- lich für den Wahlakt auf der Wahlversamm- fürworterInnen jedoch sehen das genau an- staltung des Wahlrechts hat, zeigt sich schon ze die demokratische Teilhabe des ganzen lung. Anschließend werden Frauen- und dersherum: Die Wahlfreiheit der WählerInnen an den vorhandenen, höchst unterschiedlich Volkes, das heißt von Bürgerinnen und Bür- Männerliste zusammengeführt. Auch der würde erhöht, weil diese eine größere Aus- ausgestalteten Landtags- und Kommunal- gern gleichermaßen, voraus. bündnisgrüne Gesetzentwurf beschäftigte wahl hätten. Letztlich würde dies auch zu ei- wahlgesetzen in den Bundesländern. Letzt- Durch ein Paritätsgesetz wird auch sich mit der Frage des dritten Geschlechts, ner höheren demokratischen Legitimität von lich ist es eine politische Entscheidung, ob im keine Partei benachteiligt, wie gleichfalls ohne allerdings konkrete Lösungsvorschlä- Wahlen beitragen. Dies gelte vor allem dann, Wahlrecht Parität verankert wird oder nicht. zu hören ist. Sicherlich ist die Anzahl der ge anzubieten. Für Wahlkreis-Duos müssten wenn die WählerInnen mit zwei Stimmen weiblichen Mitglieder in den Parteien un- voraussichtlich Regelungen gefunden wer- jeweils einen Mann und eine Frau wählen Die Freiheit der Parteien terschiedlich hoch. Doch jeder Partei, die den, die auch Kombinationen aus Mann / könnten, die auch unterschiedlichen Parteien sich ernsthaft um Landtags- und Bundes- Divers und Frau / Divers zulassen würden. angehören könnten, wie es der ursprüngliche In fast allen Kommentaren, die sich kritisch tagsmandate bewirbt, sollte es möglich Hier gesetzestechnisch Regelungen zu ent- Gesetzentwurf in Brandenburg von Bündnis mit Paritätsgesetzen befassen und ihre Ver- sein, für die überschaubar vielen Listen- wickeln, um die Rechte von Personen des 90/Die Grünen vorgesehen hatte. fassungskonformität infrage stellen, spielt plätze und Mandate genügend Frauen dritten Geschlechts zu gewährleisten, soll- Darüber hinaus gibt es Stimmen, die die in Artikel 21 grundgesetzlich geschützte aufzustellen. Der Bundestag sieht regulär te jedoch möglich sein. Sie sprechen nicht zwar gegenüber paritätisch besetzten Lis- Freiheit der Parteien eine große Rolle. Die 598 Sitze vor – bei Parität würde es sich prinzipiell gegen Parität. 28 29
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