ORT UND PROZESS ONLINE-TAGUNG: Uni Bamberg

Die Seite wird erstellt Astrid Schröder
 
WEITER LESEN
ORT UND PROZESS ONLINE-TAGUNG: Uni Bamberg
ONLINE-TAGUNG:
ORT UND PROZESS
VERHANDLUNGEN VON ERBE
VOM URBANEN BIS ZUM LÄNDLICHEN RAUM
26./27.11.2020

Veranstaltet vom Arbeitsbereich Denkmalpflege des Kompetenzzentrums für Denkmal-
wissenschaften und Denkmaltechnologien (KDWT)
in Kooperation mit dem Referat “Bürgerbeteiligung und städtebauliches Erbe” des
Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege (BLfD)
ORT UND PROZESS ONLINE-TAGUNG: Uni Bamberg
„Urban Heritage“ umfasst die materiellen Über-        REGISTRIERUNG
lieferungen und immateriellen Zuschreibungen          Eine Registrierung zur Tagung ist erforderlich. Die
in einem Siedlungsraum und konstituiert sich in       Zugangsdaten zur Tagung erhalten Sie automatisch
Bewertungs-, Aushandlungs- und Selektionsprozes-      nach der Registrierung unter:
sen immer wieder neu. Diese „Erbe-Verhandlungen“      https://uni-bamberg.zoom.us/webinar/register/
sind eng mit Entwicklungs- und Planungsprozessen      WN_EJ7U4_bzTDe0TRUvjPxxbA
verbunden. Akteure aus Politik, Verwaltung, der
Denkmalpflege, aus Bürgerschaft und Betroffenen-
                                                      INFOS
kreisen, Interessensgruppen, Institutionen und
                                                      Infos zur Tagung sind zugänglich unter:
Wirtschaft diskutieren und bestimmen, wie mit
dem Baubestand umgegangen wird. Welche Werte          https://www.uni-bamberg.de/kdwt/arbeits
werden historischen Baustrukturen zugeschrieben       bereiche/denkmalpflege/tagung-ort-und-prozess/
und in welchen Formen sollen diese weiterhin zur
Verfügung stehen?                                     POSTERPRÄSENTATION
                                                      Die Poster der Postepräsentation sind ebenfalls zu-
Die Tagung „Ort und Prozess. Verhandlungen von        gänglich über die Tagungshomepage.
Erbe vom urbanen bis zum ländlichen Raum“ be-
fragt Ortsentwicklungen als Aus- und Verhandlungs-    INTERAKTION
prozesse, die ein örtliches Selbstverständnis mit-
                                                      Alle aktiv Beitragenden werden als Diskussionsteil-
konstituieren. Der Prozess der Verhandlung wird in
                                                      nehmer:innen gelistet und können eigenständig
den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt: Darunter
                                                      Kamera und Ton einschalten.
fallen z. B. Formen von Wertsetzungen, Argumen-
                                                      Zuschauer:innen verfügen nicht über diese Mög-
tationsstrategien, Interaktionsmuster und formelle
                                                      lichkeit. Sie können aber vom Host zu Diskuss-
wie informelle Umsetzungsinstrumente, die den         ionsteilnehmer:innen hochgestuft werden, wenn
Umgang mit den gebauten, strukturellen und auch       ein Redebeitrag gewünscht ist.
immateriellen Werten vor Ort beeinflussen. Die-
se Prozesse verlaufen selten einvernehmlich oder      Nach jedem Panel ist eine moderierte Podiums-
geradlinig.                                           diskussion vorgesehen. Dieses wird nach einer
                                                      internen Diskussion für das Publikum geöffnet.
In Orten, in denen gesellschaftlicher Konsens darü-   Wir bitten um ein virtuelles Handzeichen, wenn
ber existiert, was als Erbe angesehen wird, scheint   ein Redebeitrag während der Diskussionsrunden
ein schonender und reflektierter Umgang mit eben      gewünscht ist. So kann die Redner:innenliste auto-
diesem Erbe auch in der Ortsentwicklung vergleichs-   matisch geführt werden.
weise üblich zu sein. Ziele der Entwicklung und       Kurze inhaltliche Fragen zu den Vorträgen können
der Erhaltung werden dort möglichst miteinander       über den Chat gestellt werden und werden am
abgeglichen. Aber auch neu erkannte städtebauliche    Ende des jeweiligen Vortrags nach Möglichkeit
und stadträumliche Wertig​keiten und Veränderungs-    durch die Moderation an die referierende Person
druck können Aushandlungsprozesse einleiten, in       gestellt.
denen Personen und Gruppen vor Ort versuchen,
auf ortsplanerische Entscheidungen Einfluss zu        PAUSENRAUM
nehmen und verschiedene Interessen auszuloten,        Für den informellen Austausch während der
gemeinschaftlich oder konkurrierend. Zwischen         Tagung wurde auf freiwilliger Basis ein virtueller
Dienst nach Vorschrift, Governance, Engagement        Pausenraum erstellt. Sie erreichen den Pausen-
und Widerstand fragt die Tagung danach, welche        raum unter:
Praktiken und Prozesse bauliche oder ideelle Kon-     https://www.wonder.me/r?id=9xea87-co31m
tinuitäten erzeugen oder mit diesen brechen und
inwieweit sie steuerbar sind.                         Passwort: OrtundProzess
Donnerstag, 26. November 2020                                    Freitag, 27. November 2020

13.50   Zoom geöffnet                                            KOALITIONEN IM ÖFFENTLICHEN INTERESSE
14.00   Grußwörter der Kooperationspartner                       08.50   Zoom geöffnet
        KDWT, Universität Bamberg / Bayerisches
        Landesamt für Denkmalpflege                              09.00   Das Kommunale Denkmalkonzept – Akteure, Prozesse
                                                                         und Öffentlichkeit
14.20   Ort und Prozess.                                                 Thomas Gunzelmann, Bayerisches Landesamt für
        Einführung ins Tagungsthema                                      Denkmalpflege
        Lisa Marie Selitz, Universität Bamberg
                                                                 09.20   Jenseits des Erbes. Allianzen in lokalen
                                                                         Kulturerbe-Debatten
ZWISCHEN ERHALT UND ERNEUERUNG                                           Achim Schröer, Landesdenkmalamt Berlin
14.45   Difficult heritage in Belfast: Umnutzung und             09.40   Denkmalwerte im Diskurs. Eine Position der
        Neuentwicklung zwischen Konflikt und                             staatlichen Denkmalpflege
        „Normalisierung“                                                 Dorothee Boesler; LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und
        Henriette Bertram, Universität Kassel                            Baukultur in Westfalen
15.05   Inwertsetzungsprozesse von Rural und Urban 			           10.00   Pause
        Heritage in der Lausitz und in Breslau
        Jana Stoklasa und Jenny Hagemann, Universität            10.20   Sondierungen im Feld der Erbevorstellungen –
        Hannover                                                         Beispiele aus Denkmalpflegelehre und -praxis
                                                                         Iris Engelmann, Mark Escherich,Heike Oevermann,
15.30   Pause                                                            Universität Weimar
15.50   Neubauerneuerungskonzepte am Helene-Weigel-Platz in      10.40   Paneldiskussion
        Berlin-Marzahn. Städtische Transformationsprozesse in
        Auseinandersetz​ung mit dem architektonischen DDR-Erbe   11.20   Mittagspause
        Anna Fedorova, HU Berlin
16.10   Akteure und Prozesse der Ortsentwicklung um 1900         DIE KURATIERTE STADT
        in Bayern                                                13.00   Kann materielles Erbe transnational sein? Eine Annähe-
        Judith Sandmeier, Bayerisches Landesamt für 			                  rung am Beispiel der Städtepartnerschaft
        Denkmalpflege                                                    München – Verona
16.30   Kurze Pause                                                      Vivienne Marquart, Stadtarchiv München

16.40   Paneldiskussion                                          13.20   „Il museo diffuso“ – Verfallsästhetik als Teil der Inwert-
                                                                         setzung von Difficult Heritage in der Emilia-Romagna
17.20   Posterpräsentationen                                             Uwe Baumann, Universität Freiburg
                                                                 13.40   Museum der Wohnsiedlungen – Muzeum Osiedli
ABENDVORTRAG                                                             Mieszkaniowych MOM / Lublin Polen. Das urbane Erbe
                                                                         zum Mitgestalten
18.20   Städtebauliches Erbe verhandeln: Rahmenbedingungen,
                                                                         Karolina Hettchen, BTU Cottbus
        Akteure und lokale Varianzen
        Daniela Zupan,                                           14.00   Pause
        Bauhaus-Universität Weimar
                                                                 14.20   Karten als Verhandlungsgrundlage für Erbe in
19.00   Ende                                                             Aufbaustädten, 1939–1949
                                                                         Carmen M. Enss, Universität Bamberg
                                                                 14.40   Die 750-Jahr-Feier Westberlins als Impulsgeber für die
                                                                         Wiederentdeckung der Stadt am Beispiel der Colonie
                                                                         Alsen
                                                                         Sabrina Flörke, Universität Siegen
                                                                 15.00   Paneldiskussion
                                                                 15.40   Pause

                                                                 16.00   Abschlussplenum
                                                                         Moderation: Gerhard Vinken,
                                                                         Universität Bamberg

                                                                 17.00   Ende
Donnerstag, 26. November 2020

ZWISCHEN ERHALT UND ERNEUERUNG

14.45   Difficult heritage in Belfast: Umnutzung und
        Neuentwicklung zwischen Konflikt und
        „Normalisierung“
        Henriette Bertram, Universität Kassel

15.05   Inwertsetzungsprozesse von Rural und Urban
        Heritage in der Lausitz und in Breslau
        Jana Stoklasa und Jenny Hagemann,
        Universität Hannover

15.50   Neubauerneuerungskonzepte am Helene-Weigel-Platz in
        Berlin-Marzahn. Städtische Transformationsprozesse in
        Auseinandersetz​ung mit dem architektonischen DDR-Erbe
        Anna Fedorova, HU Berlin

16.10   Akteure und Prozesse der Ortsentwicklung um 1900
        in Bayern
        Judith Sandmeier, Bayerisches Landesamt für
        Denkmalpflege
Donnerstag, 26. November 2020					                                                       14:45

DIFFICULT HERITAGE IN BELFAST: UMNUTZUNG UND NEUENTWICKLUNG ZWISCHEN
KONFLIKT UND „NORMALISIERUNG“
Henriette Bertram, Universität Kassel

Langanhaltende innerstaatliche Konflikte hinterlassen Spuren in der gebauten Umwelt, die als difficult
heritage bezeichnet werden: Orte, die an einen Teil der Vergangenheit erinnern, der in der Gegenwart
zwar als bedeutsam anerkannt wird, dabei aber „contested and awkward for public reconciliation with
a positive, self-affirming contemporary identity“ bleibt (MacDonald 2009:1). Diese Orte zeigen Prozes-
se, Positionen und Interessen der beteiligten Akteursgruppen wie unter einem Brennglas, da die ehe-
maligen Konfliktgruppen sehr unterschiedliche, sich gegenseitig ausschließende Narrative der Vergan-
genheit gepflegt haben (Baumann 2008, Graham 2000). Hinzu kommt ein nicht zu unterschätzender
Wunsch nach „Normalisierung“ vonseiten der Politik sowie der Bevölkerung, der die Aushandlungs-
prozesse zusätzlich erschwert (Bertram 2017).
Der Nordirlandkonflikt wurde 1998 offiziell beigelegt. Seitdem steht die Frage nach einem akzeptablen
Umgang mit der Vergangenheit ungelöst im Raum (McGrattan 2010, Bell 2002). In der Hauptstadt Bel-
fast lag der Schwerpunkt der Stadtentwicklung auf der Revitalisierung der Innenstadt und die Schaf-
fung eines attraktiven neuen Images (Neill und Ellis, 2008). Eine bewusste Debatte über den Umgang
mit den räumlichen Hinterlassenschaften des Konflikts wird vermieden, sodass die konfliktbezogene
Erinnerungskultur lokal und immer neu verhandelt werden muss (Bertram 2018, Graham und Whelan
2007).
In meinem Beitrag betrachte ich Aushandlungsprozesse im Zusammenhang mit zwei vom Konflikt
geprägten Orten in Belfast, Crumlin Road Gaol und Girdwood Park. Mithilfe einer Diskursanalyse
identifiziere ich die sich verändernden Symboliken der Orte sowie die Strategien und Interessen der
beteiligten Akteursgruppen und leite daraus die für jede Diskursphase sagbaren Optionen für die
Projektentwicklung ab. Ich diskutiere, ob die Projekte als Modelle für wiederholbare Strategien im Um-
gang mit difficult heritage herangezogen werden können. Crumlin Road Gaol, ein ehemaliges Unter-
suchungsgefängnis, wurde nach seiner Schließung unter Denkmalschutz gestellt und als Touristen-
attraktion wiedereröffnet. Es gilt als erfolgreiches Konversionsprojekt, das sowohl Besucher*innen von
außen anzieht als auch die anliegende Bevölkerung anspricht. Die Neuentwicklung des angrenzenden
Militärgebäudes Girdwood Barracks war aufgrund der Aufteilung Nordbelfasts in unionistische und
nationalistische Gebiete besonders schwierig. Herzstück des Projekts ist heute ein sogenannter Com-
munity Hub mit Bildungs- und Freizeitangeboten, die die Lebensqualität der Menschen in den angren-
zenden Nachbarschaften verbessern und ihre Beziehungen verbessern sollen (vgl. Muir 2014).

Dr. HENRIETTE BERTRAM ist Diplom-Kulturwissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am
Fachbereich Architektur Stadtplanung Landschaftsplanung der Universität Kassel. Ihre Dissertation er-
schien 2017 unter dem Titel „Schattenorte in Belfast. Stadterneuerung nach dem Ende des Nordirland-
konflikts“ bei transcript. Aktuell koordiniert sie den Forschungsverbund Neue Suburbanität.
Donnerstag, 26. November 2020					                                                       15:05

INWERTSETZUNGSPROZESSE VON RURAL UND URBAN HERITAGE IN DER LAUSITZ
UND IN BRESLAU
Jana Stoklasa und Jenny Hagemann, Leibniz Universität Hannover

Breslaus Urban Heritage nutzen seit 1989 verschiedene städtische Akteure (allen voran die Stadtregie-
rung) als Ressource, um die Stadt in den europäischen Erinnerungsraum zu (re)integrieren und eine
positive lokale Identität nach dem 1945-1947 hier erfolgten „Bevölkerungsaustausch“ zu konstruieren.
Die Aushandlungsprozesse reflektieren ökonomische sowie soziale Interessen der involvierten Ak-
teursgruppen, die dabei auf die ethische Agenda der Umbruchzeit in den 1980ern sowie die „Wieder-
entdeckung“ der multikulturellen Vergangenheit der Stadt zurückgreifen.
Verhandlungen slawischer Vergangenheiten lassen sich auch in der Lausitz nachvollziehen, insbeson-
dere, was die Rolle nationaler Minderheiten wie den SorbInnen/WendInnen betrifft. Beispiele wie die
Debatte um das sorbische Siedlungsgebiet von 2017 offenbaren, wie verschiedene Interessengruppen
aus Bürgerschaft, Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst innerhalb städtischer wie
auch ländlicher Räume kulturelles Erbe nutzen, um sich in komplexen sozio-kulturellen Beziehungsge-
flechten zu verorten und sich mithilfe vergangener Ereignisse zu positionieren.
Dabei werden Überbleibsel von Traditionen sowie historische Artefakte als bewahrenswert und schutz-
bedürftig in Wert gesetzt. Diese Inwertsetzungsprozesse sind zentral vom Gedanken der Weitergabe
geprägt. Die nur scheinbar in die Vergangenheit gerichtete Handlung ist somit als ein genuin zukunfts-
gewandter Prozess zu verstehen. Die Orte, seien es Städte oder Regionen, entwickeln so ein eigenes
Selbstverständnis, das – nach innen sowie außen gerichtet –, durch die Verknüpfung von Raum und
Vergangenheit zu Rural bzw. Urban Heritage wird.
Diese Interaktionsprozesse generieren beständig Bedeutung, die es durch theoretische Annäherungen
und konkrete Fallstudien zu untersuchen gilt. Der Beitrag strebt einen mit konkreten Beispielen unter-
fütterten Vergleich von Urban und Rural Heritage an. Dieser bildet einen geeigneten Zugang, um den
Spezifika räumlich orientierter Heritage-Prozesse näher zu kommen.
Anhand der Fallstudien in der Lausitz sowie in Breslau sollen der Umgang mit kulturellem Erbe sowie
die damit einhergehenden Selbst-Verortungsprozesse aufgezeigt werden. Im Fokus steht die Frage,
welche gemeinsamen Praktiken oder auch unterschiedlichen Wertigkeiten sich in Räumen sowohl
urbanen als auch ruralen Charakters ausmachen lassen.

JENNY HAGEMANN, M.A., studierte Historisch orientierte Kulturwissenschaften sowie Geschichte in
Saarbrücken und Hannover. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Didaktik der Demo-
kratie (Leibniz Universität Hannover) sowie am Sorbischen Institut, Zweigstelle für Niedersorbische
Studien (Cottbus). Sie promoviert im Rahmen des Forschungsverbundes „CHER: Cultural Heritage als
Ressource?“ an der Leibniz Universität Hannover zu vergleichenden Fragen nach Rural Heritage in den
Regionen Wendland und Lausitz.

Dr. des. JANA STOKLASA studierte Deutsche Sprachwissenschaft und Geschichte in Paris und Han-
nover. Sie ist assoziierte Mitarbeiterin am Institut für Didaktik der Demokratie (Leibniz Universität
Hannover) sowie wissenschaftliche Assistentin der Historischen Kommission für Niedersachsen und
Bremen. Sie promovierte 2020 zum Thema: „Umstrittenes Vermögen: Kalter Bürgerkrieg und Vergan-
genheitsblindheit in Wiedergutmachungsverfahren für nationalsozialistisches Unrecht (1948–1968)“
Donnerstag, 26. November 2020					                                                          15:50

NEUBAUERNEUERUNGSKONZEPTE AM HELENE-WEIGEL-PLATZ IN BERLIN-MARZAHN.
STÄDTISCHE TRANSFORMATIONSPROZESSE IN AUSEINANDERSETZUNG MIT DEM
ARCHITEKTONISCHEN DDR-ERBE
Anna Fedorova, HU Berlin

Der Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf, heute die größte zusammenhängende Großwohnsiedlung in
der Europäischen Union, wurde im Rahmen eines groß angelegten und auf staatliche Initiative zurück-
gehenden Wohnungsbauprogramms unter der Planung der DDR-Regierung von 1977 bis 1990 errichtet.
Der ausschlaggebende Faktor für diese ausgeprägte Bautätigkeit war das enorme Defizit an Wohnraum,
das zu Beginn der 1970er Jahre in Ost-Berlin auf 850.000 Wohnungen angewachsen war. Eines der zuerst
realisierten Ensembles ist der Helene-Weigel-Platz im Südosten des Bezirks. Er wurde als „Stadtbezirks-
zentrum“ konzipiert, das neben der Wohnbebauung über zahlreiche Einrichtungen sozialer Infrastruktur,
des Einzelhandels und Freizeitangeboten verfügt und damit einen komplexen Raum mit sich überlagernden
funktionalen Ebenen darstellt. Die Gebäude und die Raumordnung unterliegen einem ästhetischen Ge-
samtkonzept, das auf die gesamtheitliche und zentralisierte Planung durch die Institutionen der DDR und
auf die Architekten Roland Korn und Heinz Graffunder zurückgeht. Am Helene-Weigel-Platz zeigen sich
verdichtet allgemeine Gestaltungsprinzipien von Großwohnsiedlungen der DDR, darunter der Rückgriff auf
die typisierte Bauweise in Großblock- und Plattenbauweise, die klaren funktionalen Trennungen zwischen
den Gebäuden, Auflockerung der offenen Bauweise durch Grünflächen und eine zum Automobilverkehr
geschossene Raumplanung.
Die Vereinigung der beiden Städte Ost- und West-Berlin 1989/90 stellte die StadtplanerInnen vor funda-
mentale Fragestellungen: Wie sollte die Integration der bis dato für fast 30 Jahre getrennt existierenden
Städte Ost- und West-Berlin mit ihrer jeweils eigenen Infrastruktur und spezifischen städteplanerischen
Entwicklung gelingen? Debatten insbesondere um den ehemaligen Mauerstreifen und die politisch-reprä-
sentativen Symbolbauten der DDR (darunter der Palast der Republik und das Palasthotel) warfen Fragen
nach dem zukünftigen Umgang mit der DDR-Architektur auf und wurden u.a. medial oder mittels Bürgerin-
itiativen großflächig diskutiert. Weniger medial präsent waren hingegen städteplanerische Fragestellungen
mit dem Ziel der architektonischen Aufwertung der DDR-Großwohnsiedlungen am Stadtrand. Grund war,
dass die Bausubstanz trotz des verhältnismäßig jungen Alters bereits teilweise erhebliche bauliche Mängel
aufwies und Prognosen von starker Abwanderung der BewohnerInnen in die zunehmend sanierten Altbau-
viertel in der Innenstadt und in die alten Bundesländer ausgingen.
Diese städteplanerischen Verhandlungsprozesse sollen exemplarisch am Helene-Weigel-Platz am Beispiel
zweier Gutachten der Architekturbüros Müller Reimann Architekten und UrbanPlan, die beide um 1995/96
im Auftrag des Senats angefertigt worden sind, untersucht werden.
Die Leitfrage des Vortrages lautet: Welche Perspektiven, Potentiale und Kritiken ergeben sich aus diesen
Gutachten auf den Helene-Weigel-Platz? Wie positionieren sich die Gutachten zum Entstehungskontext
– als architektonisches Erbe der DDR wie auch konzeptuell als Großwohnsiedlung? Wie lässt sich diese
Positionierung in einen breiteren Kontext der Stadtplanung der Nachwendezeit Berlins einordnen?

ANNA FEDOROVA studierte Kunst- und Bildgeschichte, Philosophie, Politikwissenschaften und Medien-
kommunikation in Berlin, Würzburg und Tübingen. 2020 erhielt sie den Master of Arts im Fach Kunstge-
schichte mit einer Masterthesis über „Städtische Transformationsprozesse in Auseinandersetzung mit dem
architektonischen DDR-Erbe am Helene-Weigel-Platz in Berlin-Marzahn“. Sie lebt und arbeitet in Berlin als
Junior Analyst und User Experience Designerin.
Donnerstag, 26. November 2020					                                                                  16:10

AKTEURE UND PROZESSE DER ORTSENTWICKLUNG UM 1900 IN BAYERN
Judith Sandmeier, Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege

Nur einen Monat bevor Georg Hager, späterer Leiter des Generalkonservatoriums, auf dem 6. Tag für
Denkmalpflege in Bamberg1 über „Denkmalpflege und moderne Kunst“ referierte, war die von ihm
anhand eines abstraktes Fallbeispiels skizzierte Fragestellung in der 30 km nördlich gelegenen Stadt
Seßlach sehr konkret geworden. Im zentralen Baublock der seit dem 14. Jahrhundert innerhalb der
Stadtmauern stark verdichteten Kleinstadt waren 12 Anwesen und damit rund 10% der innerstädti-
schen Gesamtfläche abgebrannt.2 Das Interessensnetzwerk, in dem sich Architekten und Stadtplaner
genauso wie Verwaltungsbeamte, Historiker und Denkmalpfleger seit 1899 regelmäßig über Erhal-
tungsbestrebungen baulicher und struktureller Überlieferung und deren methodische Grundsätze
austauschten, diskutierte anlässlich der Hagerschen Ausführungen zu den auch in Seßlach virulenten
Fragen der strukturellen oder gestalterischen Rekonstruktion im historischen Siedlungsgefüge. Bei der
Schließung von solchen durch Brand entstandenen Lücken, wäre es nach Auffassung des Konservators
Hager Aufgabe des Architekten die Neubauten durch „Anpassung der Umrisslinien, der Höhen der Dä-
cher, der Ausbauten und der Aufbauten [in] das alte Gesamtbild“ einzufügen.3

Der Tagungsbeitrag will die vom Expertenforum formulierten Grundsätze mit dem vor Ort geführten
Aushandlungsprozess um den Seßlacher Wiederaufbau abgleichen. Dabei wird es weniger darum
gehen, die Anwendungsfähigkeit der Grundsätze selbst zu prüfen, sondern die Bedeutungsgründe, In-
teressenslagen und Argumentationsstrategien der verschiedenen Akteure nachzuvollziehen. Während
sich die beratenden Fachbehörden ganz im Hagerschen Sinn auf einen Expertenstreit mit den aus-
führenden Architekten einließen, handelten die politischen Funktionäre mit den privaten Eigentümern
die eigentlich entscheidenden strukturellen Grundlagen aus. Der Vergleich mit weiteren Wiederaufbau-
projekten ländlicher Siedlungen nach Brandkatastrophen um 1900 zeigt, dass für den Ausgang solcher
Verhandlungen auch die Anschaulichkeit der bestehenden Ortsstruktur ausschlaggebend war.

JUDITH SANDMEIER, 2013–2016 Tätigkeit als Denkmalpflegerin in der städtebaulichen Denkmal-
pflege bei der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen. Seit 2016 Konservatorin
im Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege. Arbeitsschwerpunkt in der fachlichen Begleitung von
Kommunen und Planern bei der Erstellung von städtebaulich-denkmalpflegerischen Gutachten sowie
formellen und insbesondere informellen Planungen wie Denkmalpflegerische Erhebungsbögen und
Kommunale Denkmalkonzepte. Dissertationsprojekt zu den theoretischen Grundlagen und den prak-
tischen Instrumenten der städtebaulichen Denkmalpflege um 1900 am Beispiel ausgewählter Dörfer
und Städte.

1    Der 6. Tag für Denkmalpflege fand am 22. und 23. September 1905 in Bamberg statt.
2    Vgl. Stefan Nöth: Der rote Hahn über Seßlach, in: Geschichte am Obermain, Band 24 (= Jahrbuch Colloquium His-
     toricum Wisbergense 2003/2006), S. 61-
3    Georg Hager: Denkmalpflege und Moderne Kunst veröffentlicht in: Georg Hager: Heimatkunst. Klosterstudien.
     Denkmalpflege, München 1909, 466-486, 482.
Donnerstag, 26. November 2020					                               17:20

POSTERPRÄSENTATIONEN

Erbe und Wertewandel des postsozialistischen Agrarraumes
Maren Weissig, TU Dresden

Czernowitz – Identitäten einer Stadt
Jakob Holzer, Helena Bernhardt, Gunnar Grandel,Maximilian Dietz,
Magdalena Bürbaumer,TU Wien

Wer gedenkt der Partisaninnen und Partisanen? AkteurInnen, Positionen
und Wirkungen des PartisanInnendenkmals am Peršmanhof und in St.
Ruprecht/Šentrupert
Jakob Holzer, TU Wien

Öffentlicher Raum als Erbe – Das Spannungsfeld städtischer
Straßenraum
Andres Buschmeier, Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg

Die Pellerhausdebatte und ihr Einfluss auf das allgemeine
Denkmalverständnis
Anja Wiegel, Universität Bamberg

Die Denkmalagentur
Marian Zachow, Carsten Fehr, Landkreis Marburg-Biedenkopf
Donnerstag, 26. November 2020					                                         18:20

ABENDVORTRAG

18.20      Städtebauliches Erbe verhandeln: Rahmenbedingungen,
           Akteure und lokale Varianzen
           Daniela Zupan,
           Bauhaus-Universität Weimar

Die Kritik an den städtebaulichen Ensembles der Nachkriegsmoderne hat bekanntlich
ab den 1960er Jahren zusehends an Einfluss gewonnen. Begleitet wurde dieser Prozess
von einer Wiederentdeckung und neuen Wertschätzung anderer städtebaulicher Ver-
gangenheiten – im bundesdeutschen Diskurs allen voran der gründerzeitlichen Stadt-
produktion. Dem setzt dieser Vortrag eine Betrachtung lokaler Entwicklungs- und Aus-
handlungsprozesse in ausgewählten bundesdeutschen und österreichischen Städten
zwischen 1960 und 1990 gegenüber. Dabei zeigen sich Diskrepanzen zum dominanten
Diskurs, denn auf lokaler Ebene haben zu dieser Zeit vielfältige und durchaus unter-
schiedliche städtebauliche Vergangenheiten eine profunde Re-Evaluierung erfahren. An-
hand dieser lokalen Varianzen und ihrer Veränderung über Zeit werden die Bedeutung
und das Wechselspiel internationaler Einflüsse, nationaler Diskurse und Rahmenbedin-
gungen, örtlicher Traditionen sowie Akteuren auf lokale Verhandlungsprozesse städte-
baulichen Erbes diskutiert.

DANIELA ZUPAN ist Juniorprofessorin für European Cities and Urban Heritage an der
Bauhaus-Universität Weimar. In ihrer Forschung untersucht sie den Einfluss politischer
und ökonomischer Prozesse auf Städtebau und Stadtplanung in europäischen Städten
im 20. und 21. Jahrhundert. Inhaltliche Akzente liegen auf den Aushandlungsprozessen
städtebaulichen Erbes sowie dem Einfluss immateriellen Erbes auf Stadtentwicklungs-
prozesse. Ihre Arbeiten wurden u.a. als Buchform im Rohn-Verlag, in Sammelbänden als
auch in deutsch- und englischsprachigen Zeitschriften wie Antipode, Housing Studies,
Informationen zur Raumentwicklung und Forum Stadt publiziert.
Freitag, 27. November 2020

KOALITIONEN IM ÖFFENTLICHEN INTERESSE

09.00   Das Kommunale Denkmalkonzept – Akteure, Prozesse und
        Öffentlichkeit
        Thomas Gunzelmann, Bayerisches Landesamt für
        Denkmalpflege

09.20   Jenseits des Erbes. Allianzen in lokalen Kulturerbe-Debatten
        Achim Schröer, Landesdenkmalamt Berlin

09.40   Denkmalwerte im Diskurs. Eine Position der
        staatlichen Denkmalpflege
        Dorothee Boesler; LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und
        Baukultur in Westfalen

10.20   Sondierungen im Feld der Erbevorstellungen –
        Beispiele aus Denkmalpflegelehre und -praxis
        Iris Engelmann, Mark Escherich,Heike Oevermann,
        Universität Weimar
Freitag, 27. November 2020						                                                       09:00

DAS KOMMUNALE DENKMALKONZEPT – AKTEURE, PROZESSE UND ÖFFENTLICHKEIT
Thomas Gunzelmann, Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege

Seit 2015 macht das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege mit dem Kommunalen Denkmalkonzept
(KDK) Kommunen ein Angebot, in größerer Eigenverantwortung aktiv die Entwicklung historischer
Ortskerne und Quartiere unter dem Aspekt der baulichen und städtebaulichen Überlieferung
zukunftsorientiert zu steuern. Im Grundsatz handelt es sich dabei um ein informelles städtebauliches
Planungsinstrument, das aber auch einen oder mehrere Umsetzungsteile beinhalten soll. Dies ist
insofern ein Novum, als die staatliche Denkmalpflege in den zurückliegenden Jahrzehnten im Rahmen
von Stadtentwicklungsprozessen eine eher passive oder reaktive Position einnahm, nun aber selbst
aktiv versucht, eine historisch informierte Stadtplanung zu initiieren.
Im Sinne der Tagung will der Vortrag dabei das Augenmerk auf die Prozesse legen, die durch das KDK
ausgelöst werden. Anhand zweier Fallbeispiele soll aufgezeigt werden, welche Akteure mit welchem
Gewicht Einfluss auf den Ablauf eines solchen Prozesses nehmen können. Dabei zeigen sich Verläufe,
die von den ursprünglichen Zielsetzungen abweichen und auf unerwartete Interventionen
zurückzuführen sind und einen hohen Moderationsaufwand erfordern. Andererseits können aber auch
bei einer positiv gestimmten Akteurskonstellation in vergleichsweise kurzer Zeit gute
Vermittlungserfolge erzielt werden und längere Zeit kaum lösbar erscheinende Probleme einer Lösung
zugeführt werden.
Zusammenfassend betrachtet kann festgestellt werden, dass der Erfolg kommunaler Denkmalkonzepte
nur in Teilen von guter denkmalfachlicher Analyse und zukunftsorientierten Konzeptionen, umso mehr
aber von intensiv geführten Moderations- und Vermittlungsprozessen abhängig ist. Dies stellt hohe
Anforderungen an die Ressourcen der Denkmalpflege und ihres Expertennetzwerks, aber auch an die
Kommune und ihre aktiven Akteure.

Dr. THOMAS GUNZELMANN, 1987 Dissertation zum Thema „Die Erhaltung der historischen Kultur-
landschaft“. Seit 1988 beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, nun als Hauptkonservator und
Leiter des Referats „Bürgerbeteiligung und städtebauliches Erbe“ am Bayerischen Landesamt für Denk-
malpflege. Seit 1996 auch Lehrbeauftragter am Master-Studiengang Denkmalpflege-Heritage Conserva-
tion der Universität Bamberg/Hochschule Coburg. Publikationen zur städtebaulichen Denkmalpflege,
zur historisch-geographischen Kulturlandschaftsforschung und zur Fränkischen Landeskunde. Weitere
Informationen: https://thomas-gunzelmann.net/
Freitag, 27. November 2020						                                                                        09:20

JENSEITS DES ERBES. ALLIANZEN IN LOKALEN KULTURERBE-DEBATTEN
Achim Schröer, Landesdenkmalamt Berlin

Debatten und Verhandlungen rund um lokales Kulturerbe bleiben selten monothematisch auf Fragen
der Denkmal- oder Stadtbildpflege beschränkt. Zum einen liegt dies in der Natur der Sache, da Stadt-
entwicklung stets ein Aushandeln von verschiedensten Interessen und Belangen bedeutet, zum ande-
ren suchen die beteiligten Akteure oft ganz bewusst strategische Partnerschaften mit anderen Themen-
feldern und deren Akteuren. Gerade da Denkmalpflege auf lokaler Ebene vielmals als Nischenthema
gilt und/oder einen schlechten Ruf besitzt, müssen Erbe-Engagierte auf Allianzen setzen. Oft kommt
der Erbe-Aspekt sogar erst umgekehrt ins Spiel, wenn ursprünglich anders orientierte Akteure auf der
Suche nach Partnern sind und der Denkmalschutz durch sein institutionelles Instrumentarium attrak-
tiv erscheint. Auf der anderen Seite führen diejenigen, die in konfrontativen Situationen als Erbe-Geg-
ner angesehen werden, für ihre Ziele eine Vielzahl von für wichtiger erachteten Interessen und Belan-
gen ins Feld, auf die Antworten gefunden werden müssen.
An aktuellen Beispielen, an denen das Denkmalnetz Bayern als unterstützender Akteur beteiligt war,
sollen typische Themen- und Akteurs-Allianzen dargestellt werden. Dabei handelt es sich stets um
konflikthafte, konfrontative Situationen, in denen der Wunsch nach dem Erhalt historischer Struktu-
ren gegen ihren geplanten Abriss oder tiefgreifende Veränderungen steht. Die endgültige Auswahl der
Fälle wird erst im Zuge der weiteren Bearbeitung erfolgen, jedoch zeichnen sich als typische Themen
ab: Der Erhalt preisgünstigen Wohnraums (z.B. München: Agnesstraße), Zentren- und Einzelhandels-
entwicklung (z.B. Fürth: Neue Mitte), politische Gedenkkultur (z.B. Erlangen: Heil- und Pflegeanstalt)
oder Stadtökologie und Artenschutz (z.B. Donauwörth: Reichstraße).
Das Verhältnis der unterschiedlichen Ziele und Akteure untereinander, ihre Motivationen für eine Ko-
operation und das Zusammenwirken ihrer unterschiedlichen instrumentellen Möglichkeiten sollen
durch Interviews untersucht werden. Ggf. werden Bezüge zur methodisch im Ansatz verwandten, aber
weit tiefergehenden Diskursanalyse, wie sie z.B. von Oevermann (2012) für die Denkmalpflege nutzbar
gemacht wurde, hergestellt; der Fokus liegt jedoch auf der Darstellung einer breiteren Vielfalt von Bei-
spielen.
Mit der Weiterführung der für die Tagung zentralen Fragen nach Akteuren und Prozessen über die
eigentlichen Erbe-Debatten hinaus hoffe ich, einen Beitrag zur Untersuchung der realen Aktionsmög-
lichkeiten von Erbe-Akteuren und ihren Erfolgen und Misserfolgen leisten zu können.

Literatur: Oevermann, Heike: Über den Umgang mit dem industriellen Erbe. Eine diskursanalytische Untersuchung städti-
scher Transformationsprozesse am Beispiel der Zeche Zollverein. Berlin 2012.
Freitag, 27. November 2020						                                                           09:40

DENKMALWERTE IM DISKURS. EINE POSITION DER STAATLICHEN DENKMALPFLEGE
Dorothee Boesler; LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen

Aufgrund der Bedeutungsmerkmale „künstlerisch“, „geschichtlich“, „städtebaulich“ etc. werden Objek-
te zu Denkmalen nach den Denkmalschutzgesetzen. Wie sind diese Tatbestandsmerkmale mit dem
Wert eines Denkmals verknüpft? Leiten sich von diesen Kriterien Werte ab?
Einleitend sollen die Begriffe „extrinsische und intrinsische Denkmalwerte“, „öffentliches (Erhaltungs-)
Interesse“ und „Tatbestandsmerkmal“ definiert werden. Danach wird dargestellt, wie die Tatbestands-
merkmale sowie das öffentliche Interesse in die Denkmalschutzgesetze hineingekommen sind und
warum die Verbindung zwischen den extrinsischen Werten, dem öffentlichem Interesse und den intrin-
sischen Werten oft nicht hilfreich für den öffentlichen Diskurs ist.
Letztendlich geht es im Diskurs um Denkmalwerte um die gesellschaftliche Relevanz des Erhalts von
Denkmalen und die Gründe dafür. Diese ist in hohem Maße manchmal mit dem Wert des einzelnen
Denkmals meist aber mit der Gesamtheit der Denkmale für die Gesellschaft verbunden. Dieser Dis-
kurs ist derzeit noch verknüpft mit der Diskussion, ob und wie einzelne Tatbestandsmerkmale der
Denkmalschutzgesetze von der Denkmalpflege bearbeitet und bewertet werden bzw. welche Tatbe-
standsmerkmale vor dem Hintergrund der veränderten Erwartungen in der Gesellschaft zusätzlich in
die Denkmalschutzgesetze aufgenommen werden müssten. Das halte ich für nicht weiterführend. Ge-
rade in der Diskussion um dasjenige Erbe, dessen Bedeutung nicht leicht in eine breitere Öffentlichkeit
zu vermitteln ist, kann der Rückgriff auf die grundsätzliche Bedeutung des Erhalts von geschichtlichen
Zeugnissen eine Brücke darstellen.
Anhand von einzelnen Beispielen aus Westfalen wird der öffentliche Diskurs um Denkmalwerte mit sei-
nen vielschichtigen Zwischentönen dargestellt.

Seit 2007 ist Dr. DOROTHEE BOESLER bei der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur, dem
Denkmalpflegefachamt für Westfalen, beschäftigt, hier leitet sie seit 2014 das Referat Städtebau und
Landschaftskultur. Sie studierte Kunstgeschichte, Städtebau sowie Geschichte und wurde 1994 promo-
viert. Sie war sowohl in der Inventarisation als auch in der praktischen und städtebaulichen Denkmal-
pflege an staatlichen und kommunalen Denkmalämtern tätig.
Freitag, 27. November 2020						                                                          10:20

SONDIERUNGEN IM FELD DER ERBEVORSTELLUNGEN. BEISPIELE AUS
DENKMALPFLEGELEHRE UND -PRAXIS
Iris Engelmann, Mark Escherich, Heike Oevermann, Bauhaus-Universität Weimar

Die Tagung Ort und Prozess thematisiert Bewertungs-, Aushandlungs- und Selektionsprozesse von
Kulturerbe auf der örtlichen/lokalen Ebene. In das Spektrum von „InWertsetzungen, Argumentations-
strategien, Interaktionsmustern und formellen wie informellen Umsetzungsinstrumente, die den
Umgang mit den gebauten, strukturellen und auch immateriellen Werten vor Ort beeinflussen“, gehört
auch die Frage, wie Studierende auf diese Praktiken vorbereitet werden.
Mit Semesterprojekten für Urbanistikstudierende an konkreten Orten begibt sich die Professur Denk-
malpflege und Baugeschichte der Bauhaus-Universität Weimar in ‚Wirklichkeitsexperimente‘, in deren
Rahmen Deutungen und Wertzuschreibungen baulichen Erbes untersucht werden. Dabei steht im
Fokus, dass die Studierenden den Zusammenhang zwischen historischen baulichen Objekten und den
gesellschaftlichen Prozessen der Wertzuschreibung verstehen, indem sie ihn nicht nur aus der Distanz
analysieren, sondern sich auch selbst als Akteur in diese Prozesse hineinbegeben. Der Vortrag versteht
sich als Werkbericht. Im Wintersemester 2019/20 wurde die „Industrie-Moderne“ des 20. Jahrhunderts
thematisiert und Erbevorstellungen am Beispiel von fünf Industriedörfern und Agrostädten im ländli-
chen Raum Thüringens untersucht. Der erste Teil des Vortrages stellt die methodische Konzeption und
Durchführung dieser studentischen Forschung vor.
Der zweite Teil des Vortrages reflektiert ein Modellprojekt der Erfurter Denkmalschutzbehörde zum
Thema „Partizipation in der Denkmalpflege“, das im Sommer 2020 stattfand und von der Professur
begleitet wurde. Die Behörde versuchte dabei, die interessierte Öffentlichkeit direkt in Denkmalfragen
einzubeziehen. Mittels eines Votings wurde das bisher noch nicht als Denkmal zertifizierten Bauerbe
der DDR-Moderne in der thüringischen Landeshauptstadt zur Debatte gestellt: Anhand von zehn aus-
gewählten Bauwerken und Ensembles waren die Erfurterinnen und Erfurter nach ihrer Einschätzung
gefragt – entbehrlich oder erhaltungswürdig?

Dr. IRIS ENGELMANN, Architekturstudium in Dresden, Brüssel und Stockholm, seit 2008 Mitarbeite-
rin an der Professur Denkmalpflege und Baugeschichte der Bauhaus-Uni Weimar, sowie freiberufliche
Tätigkeiten im Bereich Denkmalpflege, Bauforschung, Fotografie und künstlerischen Ausstellungspro-
jekten mit Bezug zu diesen Themen.

Dr. MARK ESCHERICH, Studium des Bauingenieurwesens, der Architektur und der Kunstgeschichte,
seit 2008 Mitarbeiter bei der Denkmalbehörde Erfurt, seit 2011 zusätzlich Mitarbeiter an der Professur
Denkmalpflege und Baugeschichte der Bauhaus-Uni Weimar, u. a. seit 2016 Kollegiumsmitglied beim
DFG-Graduiertenkolleg 2227 „Identität und Erbe“.

Dr. habil. PD HEIKE OEVERMANN, studierte Architektur an der TU Braunschweig und der ETSA Se-
villa sowie World Heritage Studies an der BTU Cottbus. Lehrt an der Humboldt Universität zu Berlin,
Technischen Universität Berlin und an der Bauhaus-Uni Weimar. In ihrem DFG-Forschungsprojekt
(2011–2014) untersucht sie Transformationsprozesse historischer Industrieareale auf europäischer
Ebene.
Freitag, 27. November 2020

DIE KURATIERTE STADT

13.00   Kann materielles Erbe transnational sein? Eine Annähe-
		      rung am BeIspiel der Städtepartnerschaft
        München – Verona
        Vivienne Marquart, Stadtarchiv München

13.20   „Il museo diffuso“ – Verfallsästhetik als Teil der Inwert-
		      setzung von Difficult Heritage in der Emilia-Romagna
        Uwe Baumann, Universität Freiburg

13.40   Museum der Wohnsiedlungen – Muzeum Osiedli
        Mieszkaniowych MOM / Lublin Polen. Das urbane Erbe
        zum Mitgestalten
        Karolina Hettchen, BTU Cottbus

14.20   Karten als Verhandlungsgrundlage für Erbe in
        Aufbaustädten, 1939–1949
        Carmen M. Enss, Universität Bamberg

14.40   Die 750-Jahr-Feier Westberlins als Impulsgeber für die
        Wiederentdeckung der Stadt am Beispiel der Colonie Alsen
        abrina Flörke, Universität Siegen
Freitag, 27. November 2020						                                                         13:00

KANN MATERIELLES ERBE TRANSNATIONAL SEIN? EINE ANNÄHERUNG AM BEISPIEL
DER STÄDTEPARTNERSCHAFT MÜNCHEN – VERONA
Vivienne Marquart, Stadtarchiv München

Seit 1960 besteht eine Städtepartnerschaft zwischen München und Verona. Diese weist bereits auf die
besondere Verbindung hin, die zwischen beiden Städten in der Zeit der staatlich organisierten Anwer-
bung von Arbeitskräften zwischen 1955 und 1973 bestand. An diese Zeit und die Verbindung der beiden
Städte als wichtige Orte der Migration erinnert in München allerdings bisher lediglich eine Tafel am
Hauptbahnhof. Eine intensivere Würdigung und Sichtbarkeit im Stadtbild steht in München noch aus.
Dies scheint aber besonders deshalb zentral, weil diese Migrationsbewegung die Stadt und das Stadt-
bild nachhaltig bis heute geprägt und verändert hat.

Nur was ist transnationales Erinnern? Wie kann transnationales Erinnern im Stadtbild sichtbar gemacht
werden? Wie wird erinnert, wenn Migrationsgeschichte nicht sichtbar ist? Überlegungen zur Etablierung
einer transnationalen Erinnerungspolitik in den beiden Städten München und Verona ermöglichen es,
über neue Erinnerungsformen nachzudenken, die über die gängigen Formate, wie Stelen, Plaketten oder
Denkmäler, hinausgehen. Der Beitrag möchte eine Diskussion darüber anregen, inwieweit materielles
Erbe zur Manifestierung transnationaler Erinnerung geeignet ist und welche Möglichkeiten und Schwie-
rigkeiten in einer solchen Zuschreibung liegen.

Ich, VIVIENNE MARQUART, habe am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung zum materiel-
len Kulturerbe in Istanbul promoviert. Dabei erforschte ich den Konflikt zwischen Stadterneuerung und
dem Erhalt von materiellem Erbe. Als Ergebnis entstand die Dissertation Monuments and Malls: Her-
itage Politics and Urban Struggles in Istanbul. Seit 2016 arbeite ich am Stadtarchiv München und setze
mich innerhalb der Migrationsgeschichte
Freitag, 27. November 2020						                                                         13:20

„IL MUSEO DIFFUSO“ – VERFALLSÄSTHETIK ALS TEIL DER INWERTSETZUNG VON
DIFFICULT HERITAGE IN DER EMILIA-ROMAGNA
Uwe Baumann, Universität Freiburg

Gerade in der medialen Repräsentation des Ruinentourismus verwebt sich fiktionales und faktionales
Erzählen auf mehreren medialen Ebenen und erschafft neue Erfahrungsräume, die schließlich konsu-
miert und/oder nacherlebt werden wollen. Urban Exploration, Lost Places-Fotografie, Dark Tourism,
Ghost Hunting, und ähnliche internetbasierte Reisepraktiken sind somit „placemaking“ und „armchair
travelling“ in einem. In meinem kulturanthropologischen Dissertationsprojekt „,Dunkle Moderne’ als
Reiseziel – Touristifizierung und mediale Repräsentation von ‚verlassenen’ Architekturen europäischer
Regime. Ein adriatischer Vergleich“ beschäftige ich mich mit der Ästhetisierung und Touristifizierung
von Difficult Heritage (hier: Überreste des italienischen Faschismus und des jugoslawischen Sozialis-
mus im öffentlichen Raum) anhand zweier Kulturroutenprojekte. Profitiert wird bei diesen touristi-
schen Erschließungsprojekten von der Popularität der designierten Orte im Web, wo sie sich bereits zu
Destinationen für spezifische Formen des Ruinentourismus etabliert haben, eigene Narrative abseits
der konkreten Objektgeschichte gewoben wurden und mediale Verfertigungen spezifischer Verfalls-
ästhetik auszumachen sind. Zusätzlich scheint der Fokus auf ästhetisches Erleben in der touristischen
Aufarbeitung die Spannungen zu umgehen, die eine Fokussierung auf Historisierung und Neunutzung
in den jeweiligen Gesellschaften ergeben würde.

In meinem Vortrag möchte ich auf die Ergebnisse eines Forschungsaufenthaltes in der italienischen
Romagna eingehen. In der Herkunftsregion Benito Mussolinis hat sich eine Vielzahl an Überresten
des italienischen Faschismus erhalten, die bislang kontrovers verhandelt werden und sich mitten im
Prozess der Inwertsetzung befinden. Im Zuge dessen haben sich verschiedene Formen des lokalen
Ruinentourismus etabliert, die bewusst das Erleben der Verfallsfaszination in den Vordergrund rücken.
So stellt beispielsweise das Großprojekt „Spazi Indecisi“ mit der zugehörigen App „In Loco – Il Museo
diffuso“ ein alternatives Museum dar, das Besuchende dazu einlädt, die Ruinen der Romagna selbst zu
erkunden. Hierbei wird Kulturerbe aus dem Blickwinkel der Urban Exploration sichtbar gemacht. Eine
vornehmlich internetbasierte Praktik der Erfahrung von Orten wird durch die Katalogisierung per App
einem breiteren Publikum zugänglich, wobei ästhetische Dispositive und Narrative teilweise in der Ver-
mittlung übernommen werden. Hier treffen sich aktuelle Überlegungen zu Difficult Heritage und Ge-
dächtnisorten (McDonald) und der Inszenierung von Verfall als Form der Erhaltung und Inwertsetzung
von Kulturerbe (DeSilvey), die ich in meinem Vortrag beispielbezogen diskutieren möchte.

UWE BAUMANN, Studium von 2011 bis 2015 an der Universität Freiburg und der Universität Basel
(EUCOR) in Kulturanthropologie und Geschichte, anschließend interdisziplinäres Masterstudium
„Studies in European Culture“ an der Universität Konstanz von 2015 bis 2018 mit einem Auslandsauf-
enthalt an der UC Berkeley, USA (2016). Seit November 2018 Wiss. Mitarbeiter am Institut für Kultur-
anthropologie und Europäische Ethnologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Promotions-
projekt im Rahmen des Forschungskollegs „Neues Reisen – Neue Medien“.
Freitag, 27. November 2020						                                                                         13:40

MUSEUM DER WOHNSIEDLUNGEN – MUZEUM OSIEDLI MIESZKANIOWYCH MOM /
LUBLIN POLEN. DAS URBANE ERBE ZUM MITGESTALTEN
Karolina Hettchen, BTU Cottbus

Die Osiedle Słowackiego, erbaut in den 1960er als materielle Verwirklichung der Offenen Form, kann
vor allem als eine Manifestation des Protestes gegen die Idee einer optimierten Architektur für den
durchschnittlichen Nutzer gelesen werden (Hansen 2005: 242). Das polnische Architektenpaar Zofia
und Oskar Hansen verstand seine Entwürfe als ein Handlungshintergrund für die Alltagspraktiken der
Menschen. Der Architekt sollte Möglichkeitsräume schaffen und so einen Rahmen für die Interpreta-
tion und Aneignung des Gebauten durch die Nutzer bieten. Indem die Bewohner ihren Lebensraum
kreativ gestalten, werden sie zu Co-Autoren des Raumes befördert.

Diesen Gedanken greift das Museum der Wohnsiedlungen (Muzeum Osiedli Mieszkaniowych, MoM),
eine Initiative der Bewohner der Lubliner Wohngenossenschaft (Lubelska Spółdzielnia Mieszkaniowa,
LSM), auf. Der Pavillon, in dem sich der Sitz des Museums befindet, wurde – wie die angrenzende
Siedlung – von den Architektenpaar Hansen entworfen. Somit wird es selbst zu einem Museumsobjekt
im Maßstab 1:1. Es fügt sich in den lokalen Kontext ein und baut eine Beziehung zu seiner Umgebung
auf. Hier werden alltägliche Situationen und Spannungen verdichtet, die Annahmen der kooperativen
Selbstorganisation und insbesondere deren Verständnis aus einer halbperipheren Perspektive be-
obachtet. Die Museumsidee verkörpert das Konzept der Offenen Form von Hansen als Weg zu einer
offenen Moderne sowie zu einer urbanen Pädagogik. Über seine Architektur projiziert das Bauwerk
die Vorstellungen der Architekten auf die Nutzer und lädt sie zu aktiver Mitgestaltung von Wohn- und
Stadträumen ein.

MoM versteht sich vor allem als ein offener und neutraler Ort für Veranstaltungen und Diskussionen
rund um das Thema Wohnen. Hier können multiple parallele Narrative und Erbediskurse außerhalb
des Hauptkanons nebeneinander existieren. Den ersten Teil der Sammlung füllen subjektive Erfahrun-
gen der Bewohner und die Geschichten über die Anfänge von Wohnsiedlungen, verschiedene Taktiken
und Strategien der Wohnungssuche im schwierigen Alltag der Polnischen Volksrepublik. Der zweite
Teil bildet eine Reflexion über den städtischen Aktivismus und die neue Museologie, die sich als Bei-
trag zum Diskurs über die Städte der Zukunft versteht. Fragen, die gestellt werden, lauten: Wie können
Bewohner und Nutzer Einfluss auf die gebaute und gelebte Stadt nehmen? Wollen und brauchen sie
das? Wie kann dieser Prozess in Gang gebracht, bzw. aktiviert werden?

KAROLINA HETTCHEN, M.Sc. / M.A. studierte Marketing und Management an der TU Wrocław (PL)
und World Heritage Studies an der BTU Cottbus. Als wiss. Mitarbeiterin im Institut für Neue Industrie-
kultur INIK forschte sie zu Themen der Nachnutzung und Aktivierung von Industriebrachen in der Lau-
sitz. Derzeit ist sie akademische Mitarbeiterin am Fachgebiet Planen in Industriefolgelandschaften mit
den (Groß)Siedlungen der Nachkriegszeit und Wohnen als kulturelles Erbe. Ihre Dissertation forscht
zu Transformationen in den Siedlungen der Nachkriegsmoderne in Polen und der ehemaligen DDR.

Hansen, Oskar (2005): Towards open form. Ku formie otwartej. Frankfurt am Main: Revolver Archiv für Aktuelle Kunst. On-
line verfügbar unter: http://deposit.dnb.de/cgi-bin/dokserv?id=2662305&prov=M&dok_var=1&dok_ext=htm
Freitag, 27. November 2020						                                                  14:20

KARTEN ALS VERHANDLUNGSGRUNDLAGE FÜR ERBE IN AUFBAUSTÄDTEN, 1939–1949
Carmen M. Enss, Universität Bamberg

Bereits in der späten Phase des Zweiten Weltkriegs begannen Experten aus Denkmalpflege und
Planung darüber zu verhandeln, welche Denkmäler und auch allgemein welches kulturelle Erbe
den Wiederaufbau mitprägen sollte. Nach dem Krieg wurde diese Diskussion unter den Bedin-
gungen neuer Pressefreiheit auch in der Öffentlichkeit geführt. In den regen Forschungen zum
Wiederaufbau einzelner Städte wurden diese Diskurse, sofern sie verschriftlicht waren, schon
vielerorts aufgearbeitet. Neu ist, dass in letzter Zeit vermehrt Schadenskarten und Karten, die
historische Bauten oder Baualter im Zuge neuer Stadtkartierung zwischen 1939 und 1949 do-
kumentieren, zur Verfolgung dieser Diskurse in den Stadtgesellschaften herangezogen werden.
Ein Vergleich dieser Prozesse in Kassel und Nürnberg soll zeigen, dass die Verhandlungen
dabei aber auch ganz unterschiedlichen Ausgang nehmen können. Die Kasseler Karten wurden
von Folkert Lüken-Isberner bereits publiziert und ausführlich im Zusammenhang mit Stadtpla-
nung kommentiert. Der Vortrag stellt aktuelle Forschung für Nürnberg daneben, vergleicht die
Verhandlungen und fragt danach, wie der Ausgang dieser Prozesse Aussehen und Struktur der
Nachkriegsstädte Kassel und Nürnberg mitbestimmte.

Zunächst wird anhand der Pläne diskutiert, welches Erbe in Stadtkarten überhaupt jeweils
angesprochen wird. Die Einbindung der Karten in ein weiteres Forschungsumfeld zur Stadt-
geschichte zeigt, dass Themenkarten Elemente kulturellen Erbes nicht nur abbilden, sondern
selbst zum entscheidenden Verhandlungstool um städtisches Erbe wurden. Akteure nutzten
Stadtkarten, um ihre eigenen Vorstellungen von Erbe zu objektivieren. Unterschiedliche Vor-
stellungen von Erbe konnten auch innerhalb einer Stadt in Karten einander gegenüberstehen.
Die Vorstellung von städtischem Erbe, die sich in Verhandlungen durchsetzt, wird durch das
Medium Karte im Laufe der Aufbauprozesse verfestigt. Welches Erbe wurde für welche Moder-
ne ausgewählt? Diese Frage können Karten vielerorts beantworten.

CARMEN M. ENSS, Dr.-Ing. studierte Architektur und Denkmalpflege in Weimar, München,
Trondheim und Bamberg. Seit 2017 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kompetenz-
zentrum Denkmalwissenschaften und Denkmaltechnologien der Otto-Friedrich-Universität
Bamberg. Im November 2020 startete der von ihr geleitete BMBF-Forschungsverbund „Kartie-
ren und Transformieren. Internationale Zugriffe auf Stadtkarten als visuelles Medium urbaner
Transformationen in Mittel- und Osteuropa, 1939–1949“.
Freitag, 27. November 2020						                                                                       14:40

DIE 750-JAHR-FEIER WESTBERLINS ALS IMPULS-GEBER FÜR DIE WIEDERENTDECKUNG
DER STADT AM BEISPIEL DER COLONIE ALSEN
Sabrina Flörke, Universität Siegen

Pünktlich zur 750-Jahr-Feier der geteilten Stadt Berlin im Jahr 1987 wurde die von der Gartendenk-
malpflege durch den Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz veranlasste gutachterliche
Untersuchung über die Colonie Alsen (1864 bis 1898)1 in Berlin-Wannsee vorgestellt. Die einzigartige
großbürgerliche Sommerkolonie wies in jenem Jahr selbst bereits gut 120 Jahre Entstehungs- und Ent-
wicklungsgeschichte auf, jedoch auch gleichermaßen Jahrzehnte „des völligen Vergessens und emp-
findlicher Einbußen“. Durch die gartendenkmalpflegerische Restaurierung Klein-Glienickes rückte auch
die dazu nahe gelegene ehemalige Sommerkolonie in den Fokus der Berliner Verwaltung. Repräsentati-
ve Villen in herrschaftlichen Gärten waren als kleine Ensembles in einem gemeinschaftlich bewohnten
Park konzipiert. Zusätzlich durch grundbuchrechtlich gesicherte Blickachsen verbunden boten sie einst
ein für den Berliner Raum einzigartiges Bild großbürgerlicher Sommerfrische jenseits der Stadtgrenzen
dar. Das Gutachten zeigt deutlich, was nach Enteignung und Umnutzung durch die Nazis, leichten
Kriegszerstörungen und provisorischen Zwischennutzungen während und nach dem Zweiten Weltkrieg
sowie einer daran anschließenden flickenteppichartigen Stadtplanung zur Zeit der Teilung Berlins noch
von dem Koloniebestand von vor 1945 übriggeblieben war – ein erheblicher Bestand an Gebäuden
und Gartenelementen sowie -gesamtanlagen. Mit dem Ziel der Unterschutzstellung sollte die Unter-
suchung helfen zu bewahren.

Der Vortrag zeigt anhand des Berliner Ortsteils auf, in wieweit Stadtjubiläen und andere Großveranstal-
tungen ein Motor sein können für eine verstärkte Auseinandersetzung mit Ortsgeschichte und deren
denkmalpflegerischem Umgang. Auch der Erfolg laufender und abgeschlossener Restaurierungspro-
jekte kann ermutigend für Beteiligte und Außenstehende wirken verstärkt und zielgerichtet zu handeln.
Der Umgang mit dem Wannseer Bestand hat Akteure aus Politik, Hochschule, privaten Institutionen
und Anwohnern zusammengebracht. Gerade die Entscheidung gegen eine flächendeckende Unter-
schutzstellung hat Diskussionsprozesse auf verschiedenen Ebenen ausgelöst, befeuert und zu viel-
gestaltigen Verhandlungsprozessen im Kleinen geführt, die für sich betrachtet bis heute erfolgreiche
Ergebnisse vorbringen und den städtischen Wertewandel prägen.

Dipl.-Ing. SABRINA FLÖRKE ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrgebiet Architekturgeschichte
der Universität Siegen. Nach Ihrem Architekturstudium an der BTU Cottbus hat sie sich im Rahmen ih-
rer Dissertation mit der Villencolonie Alsen in Berlin-Wannsee beschäftigt. Sie ist assoziiertes Mitglied
am Graduiertenkolleg „Kulturelle und technische Werte historischer Bauten“ der BTU Cottbus-Senften-
berg. Ihre Forschungsinteressen liegen in der Bauforschung und Architekturvermittlung.

1 Veröffentlicht wurde das Gutachten unter dem Namen „Colonie Alsen – Ein Platz zwischen Berlin und Potsdam“ im Jahr
1988. Verfasser waren Tilmann Johannes Heinisch und Horst Schumacher.
denkmalpflege/tagung-ort-und-prozess/
                                                                                                                              https://www.uni-bamberg.de/kdwt/arbeitsbereiche/

Titelbild: Budapest, Kreuzung, Jósef Attila utca / hercegprímás utca mit Blick auf die St. Stephans-Basilka [Selitz, 2019].
Sie können auch lesen