Pathologische Wurzelresorptionen - Oliver Pontius - Dr. Oliver Pontius
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Pontius Pathologische Wurzelresorptionen Pathologische Wurzelresorptionen Oliver Pontius INDIZES pathologische Wurzelresorption, transiente Resorption, progressive Resorption, Ersatzresorption, interne Resorption, externe Resorption, zervikale invasive Resorption, koronale invasive Resorption, Odontoklasten ZUSAMMENFASSUNG Bei der pathologischen Resorption des Zahnes kommt es aufgrund nichtphysiologischer Vorgänge zum Verlust von Dentin, Zement oder Knochen. Sie kann infolge von Traumata, einer kieferortho- pädischen Behandlung, von chronischen Infektionen der Pulpa oder parodontalen Strukturen, aber auch durch Bleaching ausgelöst werden. Voraussetzung ist immer eine Verletzung der schützenden Prädentin- oder Zementschicht in Verbindung mit einer Entzündung, wodurch Osteoklasten aktiviert werden. Resorptionen verlaufen meist progredient, sind häufig radiologische Zufallsbefunde und können zum Verlust des Zahnes führen. Je nachdem, was die Resorption verursacht hat und wie sie verläuft, ist die Therapie sehr unterschiedlich und verlangt häufig eine interdisziplinäre Zusammenarbeit. Eine umfassende Anamnese, klinische Untersuchung und radiologische Diagnostik – inklusive digitaler Volumentomografie (DVT) – sind für die differenzierte Therapie erforderlich und Voraussetzungen für den Zahnerhalt. Der Beitrag wurde erstpubliziert in QUINTESSENZ ZAHNMEDIZIN 2021;72:574–589. Einleitung Das Dentin der Zahnwurzeln stellt sich als resistent gegenüber Resorptionen dar, da es auf Im Gegensatz zu Knochen, welcher einer ständi- seiner inneren Oberfläche durch Prädentin und gen Remodellierung durch Resorption und nach- den Odontoblastensaum sowie auf der Außen- folgende Neusynthese unterliegt, werden Wur- seite durch Präzement und Zementoblasten ge- zeln bleibender Zähne in der Regel nicht resorbiert. schützt wird. Resorptionen setzen immer eine Trotzdem kann es unter bestimmten Umständen Schädigung dieser schützenden Schichten sowie dazu kommen (Abb. 1). einen chronischen Entzündungsprozess in unmit- Die Wurzelresorption stellt einen komplexen telbarer Nachbarschaft zur geschädigten Wurzel- Prozess dar, welcher durch Aktivierung und De- oberfläche voraus2. Osteoklasten benötigen zur aktivierung von Osteoklasten gesteuert wird. Os- Resorption die Bindung zu Proteinen mit der soge- teoklasten gehen aus myeloischen Stammzellen nannten RGD-Aminosäuresequenz aus Arginin-, hämatopoetischer Gewebe hervor. Durch Fusion Glycin- und Asparaginsäure, welche sie in der ex- entstehen mehrkernige Zellen, die bis zu 100 μm trazellulären Dentinmatrix, aber nicht in Prädentin groß sein können1. oder Wurzelzement finden. Endodontie 2021;30(3):247–261 247
Pontius Pathologische Wurzelresorptionen Intrinsische Faktoren wie Amelogenin oder nannte Versiegelungszone wird die Verbindung Osteoprotegrin in Prädentin und Wurzelzement zwischen Osteoklast und Knochen bzw. Dentin wirken antiresorptiv1. Der epithelialen Wurzel- hergestellt. Reife Osteoklasten lassen sich durch scheide nach Hertwig fallen ebenfalls protektive molekulare Marker wie tartratresistente saure Eigenschaften zu. Diese kann sogenannte Matrix- Phosphatase (TRAP), Calcitonin(CTR)- und Vi- proteine wie Osteopontin, „Bone morphogenetic tronectin(VTR)- Rezeptoren, Carboanhydrase II protein-2“ (BMP-2) und Ameloblastin freisetzen, (CA II), CTPK oder Vakuolär-Typ-ATPase (V-AT- welche Defekte im Zement reparieren können3. Pase) nachweisen (vgl. Abb. 2). Odontoklasten Die Entstehung und Aktivierung der Osteo- unterscheiden sich von Osteoklasten durch ihre klasten wird durch Entzündungsmediatoren wie kleinere Größe, geringere Anzahl an Zellkernen Tumornekrosefaktor (TNF), Interleukine oder und eine kleinere Versiegelungszone. Osteoklas- Prostaglandin E2 oder Faktoren wie Dexametha- ten spielen eine wichtige Funktion im Rahmen der son, 1,25(OH)2VitD3, Parathormon, Trijodthyro- Entwicklung, des Wachstums und des Erhaltes nin (T3) stimuliert und durch die Osteoblasten von Knochen, der Reparatur und Regeneration gesteuert. Dabei aktivieren Liganden wie „Macro- von Knochen nach Trauma, der Abwehr, Repara- phage-colony stimulating factor“ (M-CSF) und tur und Regeneration von Knochen bei Infektio- „Receptor activator of nuclear factor κB ligand“ nen sowie der Calciumhomöostase4. (RANKL) Rezeptoren auf der Oberfläche der Makrophagen und stimulieren diese zur Differen- zierung in Osteoklasten. Osteoprotegerin (OPG) Klassifikation dentaler Resorptionen interagiert mit dieser Bindung und hält Osteo- klasten inaktiv4. Das Gleichgewicht von OPG und Pathologische Resorptionen können hinsichtlich RANKL, die beide von Osteoblasten exprimiert ihrer Progredienz, Ätiologie sowie Lokalisation werden, steuert die Balance zwischen Neubildung klassifiziert werden (Abb. 3). und Abbau des Knochens. Einzig Calcitonin hat eine direkte hemmende Wirkung auf die Osteo- Transiente Resorptionen klasten, indem es sich an einen Rezeptor der Plas- mamembran bindet. Bisphosphonate, Nitroglyce- Diese Resorption der äußeren oder inneren Wur- rin und Östrogene können die Funktion von zeloberfläche ist ein vorübergehendes Phänomen. Osteoklasten ebenfalls hemmen und wirken somit Es erfolgt eine Reparatur durch zementähnliches antiresorptiv4. Die Resorption von Knochen ist Material und Desmodontalfasern bzw. durch meist eng mit einer nachfolgenden Neusynthese Prädentin und odontoblastenähnliche Zellen. Sie durch Osteoblasten verknüpft. Dieser als Knochen- treten häufig nach Trauma wie Extrusion und la- geweberemodellierung bekannte Prozess dient teraler Luxation oder nach kieferorthopädischer der Anpassung an Belastungen und dem Vorbeu- Behandlung auf, erscheinen radiologisch als ab- gen von Materialermüdungen im Knochen4. gerundete Wurzelspitzen oder schüsselförmige Der aktive Osteoklast bildet eine resorptive Resorptionen, wobei die Mehrzahl der Fälle 6 bis Vorderseite, die dem Knochen bzw. Dentin auf- 12 Monate nach einem Trauma diagnostiziert liegt. Dort bildet er einen Faltensaum („Ruffled wird. Sie bedürfen keiner Therapie5. border“), über welchen Protonen und Chlorid- ionen in den extrazellulären Raum geschleust Progressive Resorptionen werden (Abb. 2). Durch den so erzeugten sauren pH-Wert von 4,5 werden die Apatitkristalle auf- Ersatzresorptionen gelöst. Die anschließende Freisetzung proteo- Ein dentales Trauma – z. B. Intrusion, avulsierte lytischer Enzyme wie Cathepsin K (CTPK) und Zähne mit längerer extraoraler Trockenzeit oder Matrixmetalloproteinasen (MMP)-1, -2 sowie -9 Lagerung in unphysiologischen Lösungen – mit baut die organische Matrix ab. Über die soge- ausgedehnter flächenhafter Nekrose des par- 248 Endodontie 2021;30(3):247–261
Pontius Pathologische Wurzelresorptionen M-CSF RANKL Proliferation OPG Zement Dentin M-CSF RANKL Fusion OPG TRAP+ CTR+ RANKL Aktivierung RANKL OPG TRAP+ OPG Apoptose CTR+ CA II VTR+ CTPK+ V-ATPase+ Abb. 1 Zufallsbefund einer apikalen Resorption am Zahn 22 als Spätfolge nach kieferorthopädischer Behandlung. Odontoklast CL I Zement Abb. 2 Lebenszyklus eines Odontoklasten, H+HCO3-CI- CTPK modifiziert nach Levin1 (M-CSF = „Macrophage- colony stimulating factor“; RANKL = „Receptor activator of nuclear factor κB ligand“; V-ATPase = Vakuolär-Typ-ATPase; TRAP = tartratresistente saure Phosphatase; CTR = Calcitonin-Rezeptor; H+CL- RB VTR = Vitronectin-Rezeptor; CA-II = Carbo- anhydrase II; CTPK = Cathepsin K; OPG = Dentin Osteoprotegerin; RB = „Ruffle border“, Fal- tensaum). transiente Resorption progressive Resorption entzündliche Resorption Ersatzresorption interne Resorption externe Resorption externe invasive Resorption zervikale koronale invasive invasive Resorption Resorption Infektion des chemische Druck Wurzelkanalsystems Schädigung Abb. 3 Klassifikation dentaler Resorptionen, modifiziert nach Tronstad5. Endodontie 2021;30(3):247–261 249
Pontius Pathologische Wurzelresorptionen Abb. 4a und b Infraposition des Zahnes 21 (a) und Ersatzresorption am a b Zahn 21 im Röntgenbild (b). a b Abb. 5a bis d Wiederherstellung des durch Ersatzresorption verloren gegangenen vertikalen Niveaus des Alveolarkammes durch Dekoronations- c d technik, modifiziert nach Malmgren9. odontalen Ligamentes kann dazu führen, dass dern und Jugendlichen schnell und kann innerhalb Knochen mit der Wurzeloberfläche fusioniert6,7. weniger Jahre zum vollständigen Verlust der Die Ersatzresorption wird nicht durch Infektions- Zahnwurzel führen9. Eine Ankylose kann bei sich prozesse unterhalten, sondern findet im Rahmen im Wachstum befindlichen jungen Patienten die der physiologischen Knochenremodellierung statt Entwicklung des Kieferwachstums im Bereich des (Abb. 4a und b). Ein metallischer Perkussionsschall Alveolarfortsatzes beeinträchtigen, was sich kli- und fehlende Zahnbeweglichkeit weisen klinisch nisch in Form einer Infraposition des betroffenen darauf hin. Radiologisch imponieren ein fehlender Zahnes manifestiert (Abb. 4a und Abb. 5a). In die- Desmodontalspalt und eine zunehmende Auf- sen Fällen wird heute die Therapie der sogenann- lösung der Wurzelaußenkontur8 (Abb. 4b). Die ten Dekoronation empfohlen9,10. Nach Präpara- Progredienz ist altersabhängig, verläuft bei Kin- tion eines Mukoperiostlappens wird die Zahnkrone 250 Endodontie 2021;30(3):247–261
Pontius Pathologische Wurzelresorptionen Abb. 6a und b Pulpanekrose und interne Resorption in der mesialen Wurzel des Zahnes 36 (a) und 3-D-Obturation des Wurzelkanal- systems des Zahnes 36 (b). a b auf ein Niveau von 2 mm unterhalb des margina- wie vielkernige Riesenzellen. Die Resorption wird len Knochenniveaus (Dekoronation) reduziert, im gestoppt, sobald die Pulpa vollständig nekrotisiert Falle einer Wurzelfüllung diese entfernt und eine bzw. im Rahmen einer endodontischen Therapie Einblutung von apikal in den Wurzelkanal sicher- entfernt wird2. Als Ursachen kommen das Vor- gestellt (Abb. 5b). Die so im Knochen eingebet- liegen einer apikalen Parodontitis, Traumata, tete Wurzel dient während ihrer Resorption als Autotransplantationen, Herpes-Zoster-Infektionen, Matrix zur Bildung von neuem Knochen (Abb. 5c). Dentinfrakturen, kieferorthopädische Behandlun- Der in der vertikalen Dimension verloren gegan- gen oder Hitzeschädigung durch Schleiftrauma gene Alveolarknochen wird dabei durch die wei- infrage2. Durch frühzeitige Intervention kann eine tere Eruption der Nachbarzähne wiederaufgebaut resorptionsbedingte Perforation der Wurzel ver- (Abb. 5d). Dadurch kann die natürliche Knochen- mieden werden. Interne Resorptionen finden sich architektur im Bereich des Alveolarkammes wie- in der Regel als Zufallsbefund, da die Zähne häu- derhergestellt werden, was entscheidend für eine fig symptomfrei sind. Bei einer internen Resorp- spätere ästhetische Implantatversorgung ist11,12. tion im Bereich der Kronenpulpa kann diese als Bei erwachsenen Patienten sollte ein ankylo- punktförmige Rosaverfärbung („Pink spot“) in sierter Zahn nach Möglichkeit erhalten werden, Erscheinung treten. Radiologisch treten diese um einen Defekt im Bereich des Alveolarknochens Resorptionen als ovale oder runde Radioluzenzen als Folge einer Extraktion zu vermeiden13. zentral in der Wurzel mit eindeutiger räumlicher Beziehung zum Wurzelkanallumen in Erschei- Entzündliche Resorptionen nung. Bei exzentrischen Aufnahmen wandern Interne Resorptionen diese nicht mit dem Zentralstrahl8. Die interne Resorption manifestiert sich in einer Ultraschallaktivierte Spülungen mit Natrium- Häufigkeit von 0,01 bis 1 % auf Basis einer chro- hypochlorit sowie eine medikamentöse Einlage nischen Pulpaentzündung14. Diese kann apikal mit Kalziumhydroxid (Ca[OH]2) für die Dauer von oder intraradikulär auftreten1. Voraussetzungen 2 bis 4 Wochen unterstützen die Reinigung und sind Defekte im Bereich des Odontoblastensau- Desinfektion im Bereich der schwer zugänglichen mes und Prädentins, Entzündungsreize aufgrund Resorptionsdefekte1. Neben thermoplastischen einer bakteriellen Pulpainfektion sowie vitales Pul- Obturationstechniken wie z. B. der Schilder- pagewebe apikal der Resorptionslakune. Daher Technik (Abb. 6a und b) eignen sich bei großen können diese Zähne vital reagieren. Es kommt apikalen Resorptionen oder resorptionsbedingten hierbei zur Resorption von Dentin durch klastische Perforationen (Abb. 7 und 8) biokeramische Zellen, welche sich bis zum Wurzelzement aus- Materialien zur Obturation15. dehnen kann. Histologisch finden sich innerhalb Resorptionsdefekte im koronalen Anteil von des Resorptionsdefektes Granulationsgewebe so- Wurzelkanälen sollten adhäsiv mit Komposit ge- Endodontie 2021;30(3):247–261 251
Pontius Pathologische Wurzelresorptionen a b c Abb. 7a bis c Pulpanekrose an Zahn 31 mit apikal-mesiolateraler Aufhellung, chronischem periapikalem Abszess (Fistel) sowie interner Resorption mit Perforation (a). Die digitale Volumentomografie-Aufnahme (DVT, axial, sagittal) zeigt ausgedehnten periradikulären Knochenabbau sowie eine Perforation des Resorptionsdefektes nach mesiolabial (b und c). a b c Abb. 8a bis c Apikale Wurzelfüllung 31 mit warmer Guttapercha (Schilder-Technik), Perforationsdeckung/Obturation des mittleren Wurzeldrittels mit Biokeramik (ProRoot MTA, Fa. Dentsply Sirona, Bensheim), adhäsive Aufbaufüllung (SDR Flow, Ceram.x duo, Fa. Dentsply Sirona) im Bereich des koronalen Wurzeldrittels und der Zugangskavität (a). 1-Jahres-Recall von Zahn 31 mit nahezu kompletter Regeneration des periradikulären Knochens (b und c). füllt werden, um diese frakturgefährdeten Zähne ausgelöst17; Zysten und Tumore können ebenfalls von intern zu stabilisieren16. zu externen Resorptionen führen. Lang andauerende kieferorthopädische Behand- Externe Resorptionen lungen mit hohen Kräften können apikale und late- Nach Schädigung der Wurzeloberfläche können rale Resorptionen verursachen (Abb. 9 und 10). Ne- entzündungsstimulierende Faktoren wie Druck, ben behandlungsspezifischen Faktoren18 können eine mikrobielle Infektion des Wurzelkanalsystems auch patientenbezogene Risikofaktoren wie primär oder Parodonts sowie chemische Noxen zu einer kurze Wurzeln oder Resorptionszeichen bereits vor externen Resorption führen1. Beginn der kieferorthopädischen Behandlung zu dieser Art von Resorption führen1. Auch konnten – Druckinduzierte externe Resorptionen Korrelationen zwischen systemischen Erkrankungen Druck z. B. durch kieferorthopädische Bewegung wie Hypothyreoidismus, Hyper- oder Hypopara- der Zähne kann sowohl das Wurzelzement schä- thyreoidismus, Hypophosphatämie, Osteogenesis digen als auch resorbierende Zellen wie Makro- imperfecta, Morbus Paget19 sowie genetische phagen und Osteoklasten dauerhaft stimulieren. Faktoren und kieferorthopädisch bedingte Resorp- Ein erhöhter Gewebedruck mit der Folge von Re- tionen nachgewiesen werden20. Wurzelbehan- sorptionsdefekten an Schneidezähnen wird auch delte Zähne scheinen kein erhöhtes Risiko für im häufig durch impaktierte Oberkiefereckzähne Verlauf einer kieferorthopädischen Behandlung 252 Endodontie 2021;30(3):247–261
Pontius Pathologische Wurzelresorptionen Abb. 9 Apikale Resorptionen im Bereich der Ober- und Unterkieferfrontzähne nach kieferorthopädischer Therapie. a b c Abb. 10a bis c Apikale, interne und laterale Resorptionen nach kieferorthopädischer Therapie. auftretende Resorptionen zu haben21,22. Um das ner Elimination des Entzündungsstimulus, welcher Risiko einer Resorption besser abschätzen zu kön- der Resorption zugrunde liegt. Die Resorption nen, wird neben einer ausführlichen Anamnese stoppt nach einer dreidimensionalen Aufbereitung eine radiologische Diagnostik vor Behandlungsbe- und Reinigung des Wurzelkanalsystems23, ge- ginn, 6 Monate nach Beginn sowie nach Abschluss folgt von einer medikamentösen Einlage mit der kieferorthopädischen Behandlung empfohlen. Ca(OH)224,25 und einer dreidimensionalen Wurzel- In jedem Fall sollte die Behandlung bei Auftreten füllung26. Resorptionsbedingte Veränderungen der einer Resorption unterbrochen werden1. Eine end- Struktur und Form des Foramen apicale machen odontische Behandlung ist in diesen Fällen nicht unter Umständen eine Apexifikationsbehandlung indiziert. mit Biokeramik (Abb. 12) erforderlich27. Bei der externen lateralen entzündlichen Wur- – Externe Resorptionen als Folge einer Infektion zelresorption liefert die nekrotisch infizierte Pulpa des Wurzelkanalsystems den Reiz für die parodontale Entzündung. Sie tritt Eine Infektion des Wurzelkanalsystems mit lang häufig nach Verletzungen des Wurzelzementes, andauernder chronischer apikaler Parodontitis insbesondere durch Intrusion oder Avulsion von kann zu einer externen Resorption im apikalen Zähnen auf. Durch das Trauma kann es zu einem oder lateralen Bereich der Zahnwurzel führen Abriss des Gefäßnervenbündels mit der Folge ei- (Abb. 11 und 12). Die Therapie besteht hier in ei- ner Pulpanekrose kommen. Sofern Dentinkanäl- Endodontie 2021;30(3):247–261 253
Pontius Pathologische Wurzelresorptionen a b c Abb. 11a bis c Infektionsbedingte apikale sowie laterale Resorptionen. a b c Abb. 12a bis c Zustand des Zahnes 36 nach alio loco initiierter endodontischer Behandlung mit symptomatischer apikaler Parodontitis und Fragment mesial (a). Zahn nach Fragmententfernung und Wurzelkanalbehandlung mit apikalem Verschluss der distalen Wurzel mit Biokeramik (ProRoot MTA, b). 3-Jahres-Kontrolle: vollständige Ausheilung der apikalen Läsion (c). chen durch Defekte im Wurzelzement freigelegt tens 1 Monat erfolgen. Erst nachdem radiologisch wurden, können Bakterien, bakterielle Toxine und Zeichen einer Heilung im Bereich des Zahnhalte- Abbauprodukte der nekrotischen Pulpa nach apparates erkennbar sind, sollte die Wurzelfüllung außen diffundieren und Resorptionsprozesse durchgeführt werden1. auslösen28. Klinisch reagiert der Zahn negativ auf Vitalitätstests, radiologisch treten schüsselförmige – Externe Resorptionen als Folge einer chemi- Resorptionsdefekte im Zement, Dentin und be- schen Schädigung nachbarten Zahnhalteapparat auf (Abb. 13 und Intrakoronales Bleaching von verfärbten, end- 14). Diese Form der Resorption kann sehr schnell odontisch behandelten Zähnen kann zu zervikalen voranschreiten und innerhalb kurzer Zeit zum Resorptionen führen (Abb. 16). Nach einer Studie Verlust des Zahnes führen. Insbesondere nach von Friedman29 traten bei 7 % der Patienten bei Intrusionsverletzungen und Avulsion sollte spä- Kombination von 30%igem Wasserstoffperoxid testens nach 3 Wochen und 3 Monaten eine und Hitze zervikale Resorptionen nach einem erneute klinische und radiologische Kontrolle er- Zeitraum von 1 bis 8 Jahren auf. Patienten müssen folgen6. Die externe laterale entzündliche Wur- über diese Komplikation, die insbesondere nach zelresorption kann durch eine endodontische Frontzahntrauma auftreten kann, im Vorfeld auf- Behandlung gestoppt werden (Abb. 15). Nach geklärt werden. Als Bleichmittel sollten alternativ sorgfältiger Reinigung und Aufbereitung des Natriumperborat oder 10 bis 37%iges Carbamid- Wurzelkanalsystems sollte eine medikamentöse peroxid benutzt und die Anwendung von Hitze Einlage mit Ca(OH)2 für die Dauer von mindes- vermieden werden. 254 Endodontie 2021;30(3):247–261
Pontius Pathologische Wurzelresorptionen Abb. 13a und b Zahn 11 mit Pulpanekrose und externer entzünd- licher Wurzel- resorption nach Luxationsverletzung (a) sowie diskreter Verfärbung der a b klinischen Krone (b). Abb. 14a bis c DVT (frontal, sagittal, axial) von Zahn 11. Externe entzündli- che Wurzelresorpti- onen mit Perforati- on im apikalen a b c Wurzeldrittel. Abb. 15a bis c Zahn 11 in präope- rativer Röntgenauf- nahme nach Trauma (Luxation, a). Zu- stand nach end- odontischer Behandlung: Nach medikamentöser Einlage von Ca(OH)2 erfolgte eine apikale Wurzelfüllung mit Biokeramik, Füllung der koronalen zwei Drittel mit warmer Guttapercha, adhäsi- ver Aufbau mit Kom- a b c posit (b), 1-Jahres- Kontrolle (c). Abb. 16a bis c Zähne 11 und 21 nach Wurzelkanal- behandlung alio loco (a). Zervikale Resorptionen 4 Jahre nach intra- koronalem Bleaching mit 30%igem Wasser- stoffperoxid und Kronenversorgung a b c alio loco (b und c). Endodontie 2021;30(3):247–261 255
Pontius Pathologische Wurzelresorptionen Externe invasive Resorptionen Die zervikale invasive Resorption ist ein dyna- – Zervikale invasive Resorption mischer Prozess, der in der Regel asymptomatisch Diese Form der progredienten, entzündungsbe- verläuft. Klinisch kann es zu einer Rotverfärbung dingten Resorption kann sehr aggressiv verlaufen der Krone im Zahnhalsbereich kommen. Der Zahn und zum Verlust des Zahnes führen. Sie resultiert reagiert in der Regel positiv vital. Sondierbare De- aus einem Defekt des parodontalen Ligamentes fekte zeigen eine sehr starke Gingivablutung, wo- und subepithelialen Zements im Zahnhalsbe- bei sich die Basis des Defektes im Gegensatz zu reich30. Sie ist durch eine Invasion mit fibrovasku- einer kariösen Läsion sondenhart darstellt. Initiale lärem Gewebe gekennzeichnet. Ausgehend von Läsionen weisen einen nur sehr kleinflächigen einer, zumeist aber mehreren kleinflächigen Ein- Oberflächendefekt auf. Radiologisch zeigt sich trittspforten in das Dentin verläuft die zervikale eine Radioluzenz mit unregelmäßiger Außenkon- Resorption penetrierend und stark unterminie- tur, wobei der Defekt bei exzentrischen Aufnah- rend im Wurzeldentin. Der Resorptionsprozess men mit dem Zentralstrahl wandert. Der Wur- erstreckt sich dreidimensional in alle Ebenen zelkanal stellt sich mit durchgängigen, nicht (zirkumferent und longitudinal) innerhalb des unterbrochenen Außenkonturen dar. Aufgrund Dentins. Die Resorptionskanäle weisen häufig un- der fibroossären Zusammensetzung zeigen fort- tereinander sowie nach außen in das Parodontium geschrittene Stadien radiologisch ein marmorier- Verbindungen auf. Daneben werden auch Wur- tes Aussehen30. zelzement und Schmelz resorbiert. Die Pulpa ist Heithersay33 gruppierte auf der Basis von lange nicht beteiligt, da sie durch eine im Durch- Röntgenbildern die zervikalen Resorptionen in schnitt 210 µm dicke perikanalikuläre resorp- 4 Klassen (Abb. 17). Die Klassifikation von Patel34 tionsresistente Zone (PRRS), welche aus Dentin berücksichtigt dagegen die dreidimensionale Aus- oder knochenähnlichem Gewebe besteht31, ge- dehnung der Resorption sowie ihre Beziehung schützt wird. Aus diesem Grunde verlaufen zer- zum Wurzelkanal anhand von digitalen Volumen- vikale invasive Resorptionen an wurzelbehandel- tomografie(DVT)-Schnittbildern und ermöglicht ten Zähnen wesentlich rasanter und destruktiver dadurch eine exaktere Einordnung der Defekte als an vitalen Zähnen31,32. Im fortgeschrittenen (Abb. 18). Stadium kommt es häufig zum Einwachsen von Auf der Basis von DVT-Schnittbildern sollte das knochenähnlichem Gewebe, was als eine Art Re- dreidimensionale Ausmaß der Resorption und ggf. parationsleistung zu verstehen ist31. der reparative Prozess abgeklärt, der Bezug zur Die Ätiologie der zervikalen invasiven Resorp- Pulpa und die restaurative Wiederherstellbarkeit tion ist multifaktoriell und lässt sich beispielsweise des Zahnes diagnostiziert werden (Abb. 19 und auf kieferorthopädische Behandlung, Traumata, 20). Unter der Prämisse einer minimalinvasiven intrakoronales Bleaching, dentoalveoläre Opera- Vorgehensweise sollten auch ästhetische Ge- tionen, parodontale Behandlung, ungenügende sichtspunkte bei der Behandlungsplanung Berück- Mundhygiene, Malokklusion, Bruxismus, syste- sichtigung finden. Anhand der von Mavridou ge- mische Erkrankungen wie Hyperoxalurie, Infek- gebenen Kriterien können für die verschiedenen tionen mit Herpesviren und auf das Spielen von Formen der zervikalen invasiven Resorption Be- Blasinstrumenten zurückführen. Insbesondere die handlungsoptionen ausgewählt werden (Tab. 1 Kombination aus prädisponierenden Faktoren und Abb. 21 bis 25). Die Behandlung beinhaltet wie Kieferorthopädie und Zahntraumata, para- die mechanische und chemische Entfernung des funktionalen Habits oder Extraktion benachbarter Resorptionsgewebes. Die Entfernung des Resorp- Zähne zeigt eine signifikant erhöhte Inzidenz tionsgewebes in schwer zugänglichen Bereichen dieser Resorptionsform von 5 bis 6 %. Am erfolgt durch Spüllösungen wie Natriumhypo- häufigsten sind zentrale und laterale Oberkiefer- chlorit, Trichloressigsäure33 sowie Ca(OH)2- front-, Oberkiefereckzähne sowie Unterkiefer- Einlagen. Bei einem internen Defektzugang wird molaren betroffen30. dies mit einer endodontischen Therapie kom- 256 Endodontie 2021;30(3):247–261
Pontius Pathologische Wurzelresorptionen Abb. 17 Heithersay- Klassifikation der Klasse 1 Klasse 2 Klasse 3 Klasse 4 zervikalen invasiven Resorptionen33. Höhe zirkumferente Ausdehnung Nähe zum Wurzelkanal 1. auf Ebene der Schmelz-Zement- d: Läsion beschränkt sich auf A: ≤ 90° Grenze (suprakrestal) Dentin 2. reicht in koronales Wurzeldrittel B: < 90° bis ≤ 180° p: wahrscheinlicher Pulpabefall (subkrestal) 3. reicht in mittleres Wurzeldrittel C: < 180° bis ≤ 270° 4. reicht in apikale Wurzeldrittel D: < 270° Abb. 18 Patel-Klassifikation der zervikalen invasiven Resorptionen anhand von DVT-Schnittbildern25,30,34,35. a b Abb. 19 Zervikale invasive Resorption an Abb. 20a und b Zervikale invasive Resorption an Zahn 35 (Patel-Klasse 3-Cp). Zahn 35 (Heithersay-Klasse 3). biniert35. Für den Defektverschluss eignen sich – Koronale invasive Resorption Materialien wie Komposite, Glasionomerzemente Die intrakoronale invasive Resorption vor Zahn- und Biokeramik. Eine gute Mundhygiene ist ent- durchbruch wird in Zusammenhang mit Traumata scheidend, um eine sekundäre Infektion, einen am Zahnfollikel beschrieben und häufig mit einer lokalen Sauerstoffmangel und das Fortschreiten kariösen Läsion verwechselt. Sie nimmt ihren Ur- des Resorptionsprozesses zu verhindern35. sprung direkt unterhalb der Schmelz-Dentin- Endodontie 2021;30(3):247–261 257
Pontius Pathologische Wurzelresorptionen Abb. 21a und b Präoperative Aufnahme des Zahnes 21 mit zervikaler invasiver Resorption bukkal und palatinal (Heithersay-Klasse 2, Patel-Klasse 2-Bd, a). Postoperative Aufnahme nach Therapie der zervikalen a b Resorptionen am Zahn 21 (b). a b Abb. 22a und b Klinische Ansicht von Zahn 21 vestibulär (a) und palatinal mit sichtbarem „Pink spot“ (b). Tab. 1 Behandlungsstrategien bei zervikaler invasiver Resorption nach Mavridou31. Schmerzen nein • keine endodontische Behandlung 3-D-Ausdehnung technisch behandelbar • externer mikrochirurgischer Zugang sondierbar ja • adhäsive Restauration Schmerzen ja • endodontische Behandlung 3-D-Ausdehnung technisch behandelbar • externer mikrochirurgischer Zugang sondierbar ja • adhäsive Restauration Schmerzen ja • endodontische Behandlung 3-D-Ausdehnung technisch behandelbar • interner Zugang sondierbar nein • adhäsive Restauration Schmerzen nein • Situation beobachten 3-D-Ausdehnung technisch nicht behandelbar • regelmäßige Nachkontrolle sondierbar nein • Instruktion zur optimalen Mundhygiene Schmerzen ja • Extraktion 3-D-Ausdehnung technisch nicht behandelbar sondierbar ja/nein Grenze mit einer Prävalenz von 0,5 bis 2 %. Die Idiopathische Resorption Ausdehnung der Resorption ist variabel und kann bis zur Pulpa reichen. Diese Defekte werden ge- Sofern die oben aufgeführten Ursachen für wöhnlich erst als radiologische Zufallsbefunde resorptive Prozesse nicht zutreffen, können den- entdeckt36. noch – z. B. hormonell oder genetisch bedingt – Resorptionen auftreten. Man spricht in diesem Fall von idiopathischen Resorptionen1. 258 Endodontie 2021;30(3):247–261
Pontius Pathologische Wurzelresorptionen Abb. 23a und b Zahn 21: Darstellung des labialen Resorptionsdefektes nach Entfernung des Granulationsgewebes (a). Füllung des Defektes mit Komposit und Applikation von Emdogain (Fa. Straumann, Freiburg i. Br.) zur Unterstützung der parodontalen Regeneration (b). (Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Dr. Hernichel-Gorbach, Wiesbaden). a b a b c Abb. 24a bis c Zahn 17: Präoperative Röntgendiagnostik mit deutlich sichtbarer zervikaler invasiver Resorption distobukkal bei bestehenden pulpitischen Beschwerden. Der Defekt war von extern nicht sondierbar (Resorption nach Patel-Klasse 2-Ad). a b c Abb. 25a bis c Darstellung des Resorptionsdefektes an Zahn 17 von intern in Verbindung mit endodontischer Therapie (a). Postoperative Röntgenkontrolle: Behandlung und Füllung des Resorptionsdefektes von intern mit Biokeramik (Biodentine, Fa. Septodont, Niederkassel), Füllung des Wurzelkanalsystems von Zahn 17 in vertikaler Kondensationstechnik mit warmer Guttapercha (Schilder-Technik, b). 2-Jahres-Röntgenkontrolle von Zahn 17 mit intakten apikalen Verhältnissen, kein Hinweis auf weiteres Resorptionsgeschehen (c). Fazit Anamnese, klinische Untersuchung sowie radiolo- gische Diagnostik sind unabdingbar für die Ab- Resorptionen treten mehr und mehr im klinischen klärung der zugrundeliegenden Ätiologie, für eine Alltag in Erscheinung und können zum Verlust des ggf. notwendige Therapie sowie für die Einschät- Zahnes führen, sofern sie nicht zeitnah diagnosti- zung der Prognose. Gerade bei invasiven Resorp- ziert und adäquat behandelt werden. Die Ursa- tionen sollte die DVT-Technik diagnostisch ge- chen können vielfältig sein. Eine umfassende nutzt werden. Endodontie 2021;30(3):247–261 259
Pontius Pathologische Wurzelresorptionen Resorptionen können sich behandlungstech- 15. Pontius V, Pontius, O, Braun A, Frankenberger R, Roggendorf MJ. Retrospective evaluation of perforation nisch als sehr komplex und herausfordernd dar- repairs in 6 private practices. J Endod 2013;39:1346–1358. stellen. Die interdisziplinäre Behandlungsplanung 16. Meyenberg K. The ideal restoration of endodontically treated teeth – Structural and esthetic considerations: A mit Endodontologen, Kieferorthopäden, Parodon- review of the literature and clinical guidelines for the restorative clinician. Eur J Esthet Dent 2013;8:238–268. tologen und Oralchirurgen sollte in diesen Fällen 17. Rimes RJ, Mitchell CN, Willmot DR. Maxillary incisor root in Betracht gezogen werden. resorption in relation to the ectopic canine: A review of 26 patients. Eur J Orthod 1997;19:79–84. 18. Weltman B, Vig KW, Fields HW, Shanker S, Kaizar EE. 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Pontius Pathologische Wurzelresorptionen Pathologicl root resorption KEY WORDS pathologic root resorption, transient resorption, progressive resorption, replacement resorption, internal resorption, external resorption, cervical invasive resorption, coronal invasive resorption, odontoclasts ABSTRACT In pathologic resorption of the tooth, loss of dentine, cementum or bone occurs due to nonphysiologic processes. It can occur as a result of trauma, orthodontic treatment, chronic infections of the pulp or periodontal structures, but also as a sequelae of bleaching. The prerequisite is always an injury to the protective predentine or cementum layer in conjunction with inflamma- tion, which activates osteoclasts. Resorptions are usually progressive, frequently incidental radiologic findings, and can result in loss of the tooth. Depending on the cause and progress of the resorption, therapy varies greatly and often requires interdisciplinary cooperation. A comprehensive medical history, clinical examination, and radiological diagnostics— including digital volume tomography (DVT)—are necessary for differentiated therapy, and are prerequisites for tooth preservation. Oliver Pontius Dr. med. dent., M.Sc. Diplomate, American Board of Endodontics Endodontologische Privatpraxis Höhestraße 15 Agil, 61348 Bad Homburg Oliver Pontius schnittfreudig und hungrig. Korrespondenzadresse: Dr. Oliver Pontius, E-Mail: oliver@pontius.de Endodontie 2021;30(3):247–261 Procodile. 261 © 03/2020 · 10005748v.001
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