PHARMAKOTHERAPIE DES AKUTEN MIGRÄNEANFALLS

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PHARMAKOTHERAPIE DES AKUTEN MIGRÄNEANFALLS
Eingereicht von
                                                   Lea Undine Wirth

                                                   Angefertigt am
                                                   Institut für
                                                   Pharmakologie

                                                   Beurteiler / Beurteilerin
                                                   Univ.-Prof. Dr. Josef
                                                   Donnerer

                                                   Dezember 2021

PHARMAKOTHERAPIE DES
AKUTEN MIGRÄNEANFALLS
EINE LITERATURRECHERCHE ZU ETABLIERTEN UND NEUEN
MEDIKAMENTÖSEN THERAPIEOPTIONEN

Masterarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades

Dr. med. univ.
im Masterstudium

Humanmedizin

                                                   JOHANNES KEPLER
                                                   UNIVERSITÄT LINZ
                                                   Altenberger Straße 69
                                                   4040 Linz, Österreich
                                                   jku.at
                                                   DVR 0093696
PHARMAKOTHERAPIE DES AKUTEN MIGRÄNEANFALLS
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG
Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Masterarbeit selbstständig und ohne fremde
Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich
oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die vorliegende Masterarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch.

Egenhofen, 14.12.2021

Lea Wirth

14. Dezember 2021                                                                              2/72
PHARMAKOTHERAPIE DES AKUTEN MIGRÄNEANFALLS
Danksagung

Ich möchte mich herzlich bei Herrn Univ.-Prof. Dr. Josef Donnerer bedanken, der mir die
Erstellung dieser Arbeit ermöglicht hat. Vielen Dank für die Betreuung und die umfassende
Unterstützung.

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Inhaltsverzeichnis

1.    Einleitung .............................................................................................................................. 8

      1.1. Definition ....................................................................................................................... 9

             1.1.1. Klassifikationsschema ........................................................................................ 9

             1.1.2. Diagnosekriterien.............................................................................................. 13

      1.2. Epidemiologie .............................................................................................................. 15

      1.3. Ätiologie ...................................................................................................................... 16

      1.4. Pathophysiologie ......................................................................................................... 18

             1.4.1. Prodromalstadium ............................................................................................ 19

             1.4.2. Auraphase ........................................................................................................ 21

             1.4.3. Kopfschmerzphase ........................................................................................... 22

             1.4.4. Biomarker ......................................................................................................... 23

             1.4.5. 5-Hydroxytryptamin-Rezeptoren (5-HT-Rezeptoren) ........................................ 24

             1.4.6. Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) ........................................................ 26

2.    Methoden ........................................................................................................................... 28

3.    Ergebnisse.......................................................................................................................... 29

      3.1. Medikamentöse Therapie ............................................................................................ 29

             3.1.1. Aktuelle Akuttherapie nach Leitlinie .................................................................. 29

                       3.1.1.1. Nicht-Opioid-Analgetika ..................................................................... 32

                       3.1.1.2. Triptane.............................................................................................. 37

             3.1.2. Neue Therapieoptionen .................................................................................... 44

                       3.1.2.1. CGRP-Rezeptor-Antagonisten (Gepante) .......................................... 44

                       3.1.2.2. 5-HT1F-Rezeptor Agonist (Ditan) ........................................................ 50

      3.2. Vergleich NSAR, Triptane, Ditane, Gepante ................................................................ 54

4.    Diskussion .......................................................................................................................... 59

5.    Fazit.................................................................................................................................... 62

6.    Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................ 63

7.    Tabellenverzeichnis ............................................................................................................ 63

8.    Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................................... 64

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9.    Literatur .............................................................................................................................. 65

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Zusammenfassung

Die Migräne ist eine häufige und stark beeinträchtigende neurologische Erkrankung. Sie kann mit
Kopfschmerzen, einer Aura und bestimmten Begleitsymptomen einhergehen. Dazu gehören
beispielsweise Übelkeit und/oder Erbrechen, Photo- und/oder Phonophobie. In dieser Arbeit soll
ein Einblick in die etablierte Therapie der akuten Migräneattacke gegeben und neue
Therapieoptionen beleuchtet werden. Die Datenlage sollte in Bezug auf die Wirksamkeit,
Sicherheit und Verträglichkeit der vorgestellten Arzneimittel untersucht werden.
Zu diesem Zweck wurde eine umfassende Literaturrecherche anhand verschiedener
Datenbanken, wie PubMed und Google Scholar, durchgeführt.
Die Ergebnisse zeigen, dass die bisher gängige Akuttherapie einer Migräneattacke mit Nicht-
Opioid-Analgetika und Triptanen nicht alle betroffenen Personen suffizient versorgen kann. Nicht-
Opioid Analgetika wie Ibuprofen und Acetylsalicylsäure zeigten in systematischen Reviews ihre
Überlegenheit gegenüber Placebo. Es ist jedoch, gerade bei einer längerfristigen Einnahme, an
mögliche Nebenwirkungen im Gastrointestinaltrakt sowie an den Nieren zu denken. Ein wichtiger
Vertreter der Triptane ist Sumatriptan. Es konnte ebenfalls in systematischen Reviews seine
Wirksamkeit bei der Therapie akuter Migräneattacken unter Beweis stellen. Die Applikation von 6
mg Sumatriptan s.c. ist derzeit die wirksamste Akuttherapie. Eine Limitation der Triptane stellen
ihre    vasokonstriktorischen   Eigenschaften   dar.   Für    Personen    mit      kardiovaskulären
Vorerkrankungen sind sie infolgedessen ungeeignet. Zudem kommt, dass Triptane bei einigen
Personen keine Wirkung zeigen.
In den USA wurden kürzlich Medikamente aus zwei neuen Substanzklassen zugelassen.
Rimegepant und Ubrogepant sind CGRP-Rezeptor-Antagonisten, Lasmiditan ist ein 5-HT1F-
Rezeptor-Agonist. Zu Rimegepant existieren drei Phase-III-Studien, bei denen die Behandlung
einer einzelnen Migräneattacke untersucht wird. Die letzte Studie untersuchte Rimegepant in einer
Formulierung als oraldispersible Tablette. Zu Ubrogepant existieren ebenfalls drei Phase-III-
Studien, wovon eine die intermittierende Anwendung von Ubrogepant über den Zeitraum von
einem Jahr hinweg untersuchte. Zwei Phase-III-Studien zu Lasmiditan beobachteten die
Behandlung einer einzelnen Migräneattacke, zwei weitere seinen Einsatz über einen längeren
Zeitraum hinweg. Sowohl Ubrogepant, als auch Rimegepant und Lasmiditan, bewiesen ihre
Wirksamkeit in den Phase-III-Studien. Auch eine verbesserte kardiovaskuläre Sicherheit im
Vergleich zu Triptanen zeichnete sich ab. Für bestimmte Personengruppen könnten Ditane und
Gepante eine entscheidende Erweiterung des therapeutischen Spektrums darstellen.
Die Zukunft liegt im Ausbau der bisherigen Forschungsergebnisse sowie in der Erforschung neuer
Ansatzpunkte für Medikamente und Biomarkern, um individualisierte Therapiekonzepte erstellen
zu können.

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Abstract

Migraine is a common and remarkably disabling neurological disease. Characteristics can be an
aura and headache, but also symptoms like nausea and/or vomiting, photo- and/or phonophobia.
The purpose of this Master thesis was to provide insight into the established therapy of acute
migraine attacks and present new drug options. The data were analyzed regarding efficacy, safety
and tolerability of the pharmacological agents.
Therefore, a literature review, using various databases such as PubMed and Google scholar, was
conducted.
The research showed that the current therapy of an acute migraine attack with non-opioid-
analgesics and triptans does not provide sufficient relief for all patients. Non-opioid analgesics
such as ibuprofen and acetylsalicylic acid have been shown to be superior to placebo in systematic
reviews. Possible side effects on the digestive system and kidneys have to be considered
especially in case of long-term use. Sumatriptan is an important representative of the triptans. It
also showed efficacy in therapy of acute migraine attacks in systematic reviews. Sumatriptan 6
mg s.c. is currently the most effective acute migraine treatment. The vasoconstrictive effect of
triptans limits their use. Therefore triptans are unsuitable for patients with cardiovascular diseases.
In addition triptans are ineffective in some individuals.
Two new drug classes have recently been approved in the US. Rimegepant and ubrogepant are
calcitonin gene-related peptide receptor antagonists, lasmiditan is a 5-HT1F receptor agonist.
Currently, there are three phase-III-trials that have investigated the use of rimegepant. The subject
of the investigation was the treatment of one separate migraine attack. One trial used an orally
disintegrating tablet formulation of rimegepant. There can also be found three phase-III-trials
investigating ubrogepant. One of them observed its intermittent use for the time range of one year.
Two phase-III-trials of lasmiditan monitored one separate migraine attack. Two other trials
observed its use on a long-term basis. Ubrogepant as well as rimegepant and lasmiditan
demonstrated their efficacy in phase-III-trials. Compared to triptans they seem to have an
improved cardiovascular safety.
A certain group of patients could benefit from gepants and ditans. The future concepts will have
to extend current knowledge as well as further exploration of drug targets and biomarkers that
allow the development of individual therapy concepts.

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Einleitung

Bei der Migräne handelt sich um eine Erkrankung, welche weltweit circa eine Milliarde Menschen
betrifft. Nicht nur die Anzahl an betroffenen Personen ist gravierend, sondern auch die
Beeinträchtigung, die mit dieser Erkrankung einhergeht. Die Global Burden of Disease-Studie
2016 ermittelte anhand der “Years of life lived with disability” (YLD) das Ausmaß der
Beeinträchtigung. Global gemessen ergab dies im Jahr 2016 circa 45 Millionen YLD für Migräne
Erkrankte. (1) Somit ist Migräne die zweithäufigste Ursache einer Behinderung (2).
In progredienten Stadien der Migräne kann es zu täglichen Kopfschmerzen kommen, was die
Lebensqualität erheblich einschränkt (3). Zudem kann Migräne mit einigen Komorbiditäten wie
kardiovaskulären oder psychischen Erkrankungen sowie Schlafstörungen einhergehen (4). Am
Größten ist die Belastung für Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren und beeinflusst damit
hauptsächlich das erwerbsfähige Alter (1, 5). Nicht nur für die betroffene Person selbst stellt die
Migräne eine Belastung dar, sie ist auch eine nicht unerhebliche finanzielle Last für das gesamte
Gesundheitssystem. In Europa verursacht die Erkrankung Kosten in Höhe von 27 Milliarden Euro
im Jahr. (6)
Schon sehr lange beschäftigt Migräne die Menschen. Ein Auszug aus dem Papyrus Ebers belegt
eine erste Dokumentation eines Migräneanfalls von 1550 v. Chr. Der griechische Arzt Aretaios
von Kappadokien benutze erstmals für die Beschreibung der Migräne das Wort Heterocrania.
Später wurde als Synonym die Bezeichnung Hemicrania eingeführt. (7) Dies gilt als Grundlage für
die spätere Entwicklung des Begriffs der Migräne. Frühere Behandlungsvorschläge gingen von
dem auf den Kopf binden eines Krokodils über die Kompression der Temporalarterien bis hin zu
der Empfehlung einer Zentrifugation der betroffenen Person, um einen vermeintlichen Blutstau zu
lösen. (8)
Heutzutage gibt es evidenzbasierte Methoden, um betroffene Personen in einem Migräneanfall
Erleichterung zu verschaffen. Die Leitlinie für „Diagnostik und Therapie in der Neurologie“ von
2018 bietet hierfür Handlungsempfehlungen. Demzufolge können Migräneattacken mit
Analgetika wie Acetylsalicysäure und nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen
behandelt werden. Wenn die genannten Substanzen keine ausreichende Besserung der
Symptomatik erzielen, können spezifische Migränemedikamente wie 5-HT1B/1D-Agonisten
(Triptane) zum Einsatz kommen. (9) Trotz dieser Möglichkeiten gaben nur knapp ein Drittel von
688 Personen in einer Telefonumfrage an, sehr zufrieden mit ihrer Akuttherapie zu sein (10).
Jedes wirksame Medikament bringt in der Regel auch mögliche unerwünschte Wirkungen mit sich.
Bei Triptanen sind das ihre vasokonstriktorischen Eigenschaften.(11) In einer Bevölkerung, bei
der sich zunehmend Erkrankungen wie Hypercholesterinämie und Diabetes verbreiten, kommt es
letztendlich auch vermehrt zu kardiovaskulären Erkrankungen. Dies könnte den Einsatz von

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Medikamenten mit vasokonstriktorischen Eigenschaften, wie Triptanen, in Zukunft noch weiter
limitieren. (12) Zudem scheinen Triptane bei bestimmten Personen unwirksam zu sein (11).
Deshalb sind neue Medikamente notwendig, um eine suffiziente Versorgung von möglichst vielen
Personen mit Migräne zu gewährleisten.
Mit Lasmiditan, Rimegepant und Ubrogepant sind nun Medikamente vorhanden, welche einen
Teil    dieser      Problematik   lösen   könnten.   Aufgrund   ihres   teilweise   unterschiedlichen
Wirkmechanismus könnten sie eine Option für Personen, die nicht auf Triptane ansprechen,
darstellen. Da sie keine vasokonstriktorische Komponente besitzen, könnten auch Personen mit
kardiovaskulären Risikofaktoren von ihnen profitieren. (13, 14)
In dieser Arbeit sollen sowohl die wichtigsten bereits etablierten Medikamente der Akuttherapie
einer Migräneattacke beleuchtet werden, als auch neue medikamentöse Therapieoptionen aus
der Substanzklasse der Gepante und Ditane.

       1.1. Definition

Die Migräne ist eine neurologische Erkrankung bei der es zu rezidivierenden, plötzlich
einsetzenden, unilateralen Kopfschmerzattacken kommt, welche mehrere Stunden bis Tage
andauern können. Diese Attacken können mit einer typischen Begleitsymptomatik und/oder
neurologischen Phänomenen auftreten. Teilweise können wenige Tage vor der Attacke Prodromi,
wie z.B. Reizbarkeit, Heißhunger oder Depressivität, beobachtet werden. Auch nach der
eigentlichen Attacke können noch Stunden               oder Tage andauernde Symptome wie
Kreislaufinstabilität, Konzentrationsstörungen oder ein Erschöpfungsgefühl vorhanden sein. (15)
Die Diagnose der Migräne wird hauptsächlich durch eine ausführliche Anamnese sowie einem
klinischen Status gestellt. Im Rahmen der Anamnese sollten vorangegangene Therapieversuche
sowie ein eventuell vorhandenes Kopfschmerztagebuch besprochen werden. Apparative
Diagnostik sollte nur zum Ausschluss von Differentialdiagnosen hinzugezogen werden. (15)

              1.1.1.   Klassifikationsschema

Aufgrund der hohen Prävalenz von Kopfschmerzen ist eine systematische Klassifikation zur
Untersuchung und Bewertung, sowie auch für die folgende Behandlung von großer Bedeutung.
Über die Zeit wurden verschiedene Klassifikationen veröffentlicht. Eine international anerkannte
Klassifikation wurde durch die International Headache Society (IHS) erarbeitet. (16)
Nach dieser Klassifikation können Kopfschmerzerkrankungen, wie in Tabelle 1 zu sehen, in drei
Kategorien eingeteilt werden. Primäre Kopfschmerzen umfassen zum einen die Migräne, zum

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anderen Kopfschmerzen vom Spannungstyp, Trigemino-autonome Kopfschmerzerkrankungen
und      andere     primäre   Kopfschmerzen.        Unter    sekundären       Kopfschmerzen           können
Kopfschmerzformen zusammengefasst werden, deren Genese auf strukturelle Erkrankungen
zurückzuführen ist. Hierzu gehören Kopfschmerzen im Zusammenhang mit einem Trauma des
Kopf-/Halsbereichs,      kranialen   und/oder       zervikalen    Gefäßstörungen,         nicht-vaskulären
intrakraniellen Störungen, Substanzen oder deren Entzug, Infektionen, Störungen der
Homöostase, Erkrankungen des Schädels, des Halses, der Augen, Nase, Nasennebenhöhlen,
Zähne, des Mundes oder anderen Strukturen des Kopf-/Halsbereichs. Als dritte Kategorie werden
kraniale Neuropathien und Gesichtsschmerzen sowie andere Kopfschmerzformen aufgeführt,
welche mit einer Läsion der Hirnnerven und anderen Gesichtsschmerzen einhergehen
können.(17)

Tabelle 1: Kopfschmerzklassifikation, in Anlehnung an die ICHD-3, 2018 (17)

 Primäre Kopfschmerzen                  Migräne
                                        Kopfschmerzen vom Spannungstyp

                                        Trigemino-autonome Kopfschmerzen

                                        Andere primäre Kopfschmerzen

 Sekundäre Kopfschmerzen                Kopfschmerzen in Zusammenhang mit einem Trauma des Kopf/-
                                        Halsbereichs

                                        Kopfschmerzen aufgrund von kranialen und/oder cervikalen
                                        Gefäßstörungen

                                        Kopfschmerzen aufgrund von nicht-vaskulären intrakraniellen
                                        Störungen

                                        Kopfschmerzen aufgrund von Substanzen oder deren Entzug

                                        Kopfschmerzen aufgrund von Infektionen

                                        Kopfschmerzen aufgrund von Störungen der Homöostase

                                        Kopfschmerzen aufgrund von Erkrankungen des Schädels, des
                                        Halses, der Augen, Nase, Nasennebenhöhlen, Zähne, des Mundes
                                        oder anderen Strukturen des Kopf-/Halsbereichs

 Kraniale Neuropathien, andere          Hirnnervenläsionen und andere Gesichtsschmerzen
 Gesichtsschmerzen und andere
 Kopfschmerzerkrankungen

                                        Andere Kopfschmerzerkrankungen

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Zu den primären Kopfschmerzen zählen die Migräne mit und ohne Aura und die chronische
Migräne. Außerdem gehören auch Komplikationen durch Migräne, die wahrscheinliche Migräne
und episodische, mit Migräne assoziierte Syndrome dieser Kategorie an. (17)

Die Migräne mit Aura wiederum wird in vier Bereiche unterteilt. Die Migräne mit typischer Aura,
die Migräne mit Hirnstammaura, die hemiplegische Migräne sowie die retinale Migräne.
Bei der Migräne mit typischer Aura wird weiter zwischen dem Auftreten mit und ohne Kopfschmerz
unterschieden. Die hemiplegische Migräne untergliedert sich in die familiäre hemiplegische
Migräne (FHM) und die sporadische hemiplegische Migräne (SHM). (17)
Bei den Migräne Komplikationen werden der Status migraenosus, die persistierende Aura ohne
Infarkt, der migränöse Infarkt und der Migräne getriggerte epileptische Anfall aufgeführt (17).
Die wahrscheinliche Migräne kann mit und ohne Aura auftreten (17).
Mit Migräne assoziierte episodische Syndrome umfassen rezidivierende gastrointestinale
Störungen, wobei diese in das zyklische Erbrechen und die abdominelle Migräne aufgegliedert
sind, den gutartigen paroxysmalen Schwindel sowie den gutartigen paroxysmalen Torticollis (17).
Eine Übersicht über die Unterteilung der verschiedenen Migräne Unterformen ist in Tabelle 2
dargestellt.

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Tabelle 2: Klassifikationsschema der Migräne, in Anlehnung an die ICHD-3, 2018 (17)

 Migräne ohne Aura
                          Migräne mit typischer      Typische Aura mit
 Migräne mit Aura
                          Aura                       Kopfschmerz
                                                     Typische Aura ohne
                                                     Kopfschmerz
                          Migräne mit
                          Hirnstammaura
                          Hemiplegische Migräne      FHM                     FHM1

                                                                             FHM2

                                                                             FHM3

                                                                             FHM anderer Genloci

                                                     Sporadische
                                                     hemiplegische Migräne
                          Retinale Migräne

 Chronische Migräne

 Migräne Komplikationen   Status migraenosus

                          Persistierende Aura ohne
                          Infarkt
                          Migränöser Infarkt

                          Migräne getriggerter
                          Epileptischer Anfall
 Wahrscheinliche          Wahrscheinliche Migräne
 Migräne                  mit Aura
                          Wahrscheinliche Migräne
                          ohne Aura
 Episodische, mit         Rezidivierende             Zyklisches Erbrechen
 Migräne assoziierte      gastrointestinale
 Syndrome                 Störungen
                                                     Abdominelle Migräne

                          Benigner paroxysmaler
                          Schwindel
                          Benigner paroxysmaler
                          Torticollis
Abkürzungen: FHM= Familiäre hemiplegische Migräne

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1.1.2.   Diagnosekriterien

Allgemein

Finden sich Übereinstimmungen mit Diagnosekriterien verschiedener Migränetypen, darf mehr als
eine Diagnose gleichzeitig vergeben werden (17).
Migräne gehört zur Kategorie der primären Kopfschmerzen. Bei der Migräne und den sekundären
Kopfschmerzen können jedoch Überschneidungspunkte bestehen. Zu den sekundären
Kopfschmerzen gehören neu aufgetretene migräneartige Kopfschmerzen, welche durch eine
andere       Kopfschmerz-    verursachende   Grunderkrankung    erklärbar   sind.   Kopfschmerz-
verursachende Erkrankungen können zu einer chronischen Migräne führen und Auswirkungen auf
die Qualität der Anfälle haben. In diesem Fall kann zu der vorbestehenden Migräne die Diagnose
des sekundären Kopfschmerzes hinzugefügt werden. (17)
Jeder Subtyp der Migräne hat seine eigenen spezifischen Diagnosekriterien. Im Folgenden wird
der Fokus auf die beiden wesentlichen Unterformen der Migräne, und zwar der Migräne mit Aura
und der Migräne ohne Aura gelegt. Zudem soll ein kurzer Überblick über die Diagnosekriterien
der chronischen Migräne gegeben werden.

Migräne ohne Aura

In der „International Classification of Headache Disorders 3rd Edition“ (ICHD-3) wird die Migräne
ohne Aura als wiederkehrender, einseitiger Kopfschmerz definiert. Die Attacken können über
einen Zeitraum von vier bis 72 Stunden anhalten. Die Qualität des Kopfschmerzes ist meist
pulsierend und von moderater bis hoher Intensität. Durch physische Aktivität kann der
Kopfschmerz aggraviert werden und kann in Kombination mit Übelkeit, Photophobie und/oder
Phonophobie auftreten. (17)

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Tabelle 3: Diagnosekriterien der Migräne ohne Aura, in Anlehnung an die ICHD-3 (17)

 A.    Mindestens 5 Attacken, welche die Kriterien B-D erfüllen
 B.    Kopfschmerz Attacken dauern 4-72 Stunden (unbehandelt oder erfolglos behandelt)
 C.    Der Kopfschmerz erfüllt mindestens 2 von 4 folgenden Charakteristika:
            1.      unilateral
            2.      pulsierend
            3.      Intensität moderat bis schwer
            4.      Verschlechterung durch, oder Vermeidung von routinemäßiger physischer Aktivität
 D.    Während der Kopfschmerz Phase mindestens eines der Folgenden:
            1.      Übelkeit und /Erbrechen
            2.      Photophobie und Phonophobie
 E.    Keine andere Diagnose aus dem ICHD-3 ist zutreffender

Migräne mit Aura

Bei der Migräne mit Aura können unilaterale, vollkommen reversible visuelle, sensorische oder
andere zentralnervöse Symptome auftreten. Die Dauer der Aurasymptome liegt üblicherweise im
Bereich von Minuten. Anschließend folgen in der Regel Kopfschmerzen mit Migränesymptomen.
(17)

Tabelle 4: Diagnosekriterien der Migräne mit Aura, in Anlehnung an die ICHD-3, 2018 (17)

 A       Mindestens zwei Attacken erfüllen die Kriterien B und C
 B       Ein oder mehr vollständig reversiblen Aurasymptomen trifft zu:
              1.     visuell
              2.     sensorisch
              3.     Sprechen und/oder Sprache
              4.     motorisch
              5.     Hirnstamm
              6.     retinal
 C       Mindestens drei der folgenden sechs Charakteristika treffen zu:
              1.     mindestens ein Aurasymptom entwickelt sich über ≥5 min
              2.     zwei oder mehr Aurasymptome treten nacheinander auf
              3.     jedes einzelne Aurasymptom dauert 5-60 min
              4.     mindestens ein Aurasymptom ist unilateral
              5.     mindestens ein Aurasymptom ist positiv
              6.     die Aura wird begleitet, oder innerhalb von 60 min, gefolgt von Kopfschmerzen
 D       Keine andere Diagnose aus dem ICHD-3 ist zutreffender

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Chronische Migräne

Für die Vergabe der Diagnose einer chronischen Migräne müssen bestimmte Kriterien über einen
Zeitraum von mindestens drei Monaten erfüllt sein. Dazu gehört das Auftreten von Kopfschmerzen
an mindestens 15 Tagen pro Monat, wovon die Symptome an mindestens acht Tagen den
Diagnosekriterien einer Migräne entsprechen müssen. (17)

       1.2. Epidemiologie

Die Inzidenz von Migräne

Epidemiologische Studien bezüglich der Migräne konzentrieren sich hauptsächlich auf die
Prävalenz. Einige wenige beschäftigten sich mit der Inzidenz. So wurde in einer dänischen
Longitudinalstudie über 12 Jahre, bei Personen ohne initiale Migräne, eine Inzidenz von 8,1 pro
1000 Personenjahren ermittelt. Bei den teilnehmenden Personen im Alter von 25-30 Jahren
wurden die höchsten Inzidenzraten mit 23 pro 1000 Personenjahren bei den Frauen und 10 pro
1000 Personenjahren bei den Männern festgestellt. Mit steigendem Alter sanken die Inzidenzen.
In einer weiteren, türkischen 5-Jahres Studie konnte eine Inzidenz von 23,8 pro 1000
Personenjahren festgestellt werden. Hier waren die Inzidenzen bei den Frauen ebenfalls höher
als bei Männern. (18)
In der „American Migraine Prevalence and Prevention Study” wurde das Alter, in dem die Migräne
das erste Mal auftrat, zur Abschätzung der Inzidenz herangezogen. Hier war die höchste Inzidenz
im Bereich von 20-24 Jahren bei den Frauen und 15-19 Jahren bei den Männern. Im Median war
das Neuerkrankungsalter bei Frauen nur geringfügig niedriger als bei Männern. Bei 75% der
Personen, sowohl Männer als auch Frauen, lag der Erkrankungsbeginn vor dem 35. Lebensjahr.
(18)

Die Prävalenz von Migräne

Studien zur Prävalenz der Migräne beziehen sich häufig auf den Zeitraum von einem Jahr. Hierbei
wird    bei     einer   Migräneattacke   innerhalb    eines   Jahres   bereits   von   einer   aktiven
Kopfschmerzerkrankung          ausgegangen.     Für     die   Untersuchung       der   Prävalenz     in
Populationsstudien weltweit wurden standardisierte Methoden entwickelt. (18)
Global wird die 1-Jahres-Prävalenz auf 15% eingeschätzt, am höchsten in Nepal mit 25-30% und
am niedrigsten in China mit 9%. Die hohe Prävalenz in Nepal wird mit dem Leben in dessen

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Höhenlage erklärt. Mit geschlechtsadaptierten Daten aus 9 Europäischen Ländern ermittelte das
„Eurolight Project“ eine 1-Jahres-Prävalenz von 35% an. Im Gegensatz hierzu wird in den USA
die Prävalenz mit 12-13% angegeben. Für diese Diskrepanz zwischen Europa und den USA
werden zwei mögliche Ursachen aufgeführt: Das „Eurolight Project“ inkludierte neben der sicheren
Migräne auch die Diagnose der wahrscheinlichen Migräne, welche ca. 40% der registrierten Fälle
ausmachte. Kopfschmerzen vom Spannungstyp wurden nicht berücksichtigt. Die Studien der USA
inkludierten ausschließlich die Diagnose der sicheren Migräne. Ein weiterer Grund für die
Diskrepanz der angegebenen Prävalenzen könnte sein, dass in den Studien der USA die
teilnehmenden Personen gebeten wurden, nur von starken Kopfschmerzen zu berichten. Dies
verringert die Anzahl der insgesamt gemeldeten Kopfschmerzattacken. (18)
Ähnlich wie die Inzidenz ist auch die Prävalenz abhängig vom Alter. Jugendliche und Kinder, sowie
die ältere Bevölkerung zeigen niedrigere Prävalenzraten im Vergleich zur Altersspanne im Bereich
von 35-39 Jahren. (18)

Prävalenz der Migräne und sozioökonomischer Status

In einigen Studien wurde die Prävalenz der Migräne in Haushalten mit verschieden hohem
Einkommen untersucht. Dabei ließ sich keine eindeutige Korrelation feststellen. Zwei
Populationsstudien in den USA jedoch konnten eine höhere Prävalenz in Haushalten mit
niedrigem Einkommen im Vergleich zu Haushalten mit höherem Einkommen ermitteln. In
Russland und Georgien zeigte sich ebenfalls eine Verbindung zwischen Armut und
Kopfschmerzerkrankungen. Es wird vermutet, dass ein Zusammenhang zwischen einem
niedrigen sozioökonomischen Status, verbunden mit niedrigem Einkommen, dem beschränkten
Zugang zu medizinischer Versorgung, und einer erhöhten Migräne Prävalenz besteht. (18)

     1.3. Ätiologie

Genetik

In genomweiten Assoziationsstudien wurden ca. 40 Genloci identifiziert, die mit Migräne assoziiert
werden. Diese Studien gaben unter anderem Hinweise darauf, dass bei häufigen Migräneformen
mehrere genetische Variationen mit kleiner Effektstärke in Kombination mit Umweltfaktoren die
Anfälligkeit für eine Migräne erhöht. Die Erblichkeit der Migräne wird in Familien- und
Zwillingsstudien auf ca. 42% geschätzt. (19) Mit einem betroffenen Verwandten ersten Grades
steigt das Risiko, je nach Migräne Subtyp, bis auf ein Vierfaches, selbst an einer Migräne zu
erkranken (20).

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Die genetische Belastung ist in Fällen von familiärer Migräne höher als bei der nicht-familiären
Migräne. Auch bei der Migräne mit Aura und der familiären hemiplegischen Migräne ist die
Belastung größer. Spezifische klinische Merkmale der Migräne scheinen durch genetische
Faktoren bestimmt zu sein. Eine familiäre Migräne ist assoziiert mit einem niedrigeren
Erkrankungsalter, höherer Frequenz der Attacken, vermehrter Medikamenteneinnahme und dem
Subtyp der Migräne mit Aura. Es können allerdings auch verschiedene Migräne Subtypen
innerhalb einer Familie koexistieren. (19)
Neben genetischen Korrelationen innerhalb der Migräne Subtypen scheint die Migräne auch
genetische Risikovarianten mit psychiatrischen Erkrankungen, wie z.B. Depressionen zu teilen
(19).
An Genloci, die in Zusammenhang mit Migräne stehen, scheinen vor allem Gene angereichert zu
sein, welche in vaskulärem und gastrointestinalem Gewebe exprimiert werden. Umgekehrt
scheinen viele Gene, welche für die Gefäßbiologie von Bedeutung sind, unter anderem
Wundheilung und Zell-Zell-Wechselwirkungen, auf Genloci angereichert zu sein, welche Migräne-
assoziierte Gene enthalten. Dies weist auf vaskuläre Mechanismen in der Pathophysiologie der
Migräne hin. (21)
Eine genetische Hyperkalziämie scheint zudem das Risiko für eine Migräne erhöhen zu können
(21).
Die Identifizierung genetischer Risikofaktoren könnte zu individualisierten Therapiekonzepten
beitragen. Eine Proof-of-Concept Studie aus 2019 zeigte, dass eine hohe polygenetische Last mit
einem erhöhten Ansprechen auf Triptane zusammenhängt. (22)

Trigger

Aus groß angelegten systematischen Übersichtsarbeiten gehen Stress, auditive Reize, Müdigkeit,
Nüchternheit und die Menstruation als die häufigsten Auslöser für eine Migräneattacke hervor.
Eine Verbindung zwischen diesen Triggern stellt die Veränderung von täglichen Aktivitäten oder
der Umwelt dar. Die Akkumulation von mehreren Triggern scheint potenter als einzelne Trigger
zu sein, um eine Migräneattacke auszulösen. Bei der Erhebung von Patienteninformationen
bezüglich ihrer     Migränetrigger kann es oft      schwierig sein,      zwischen Triggern und
Prodromalsymptomatik      zu   unterscheiden.   Beispielsweise    kann     Essen,   welches   bei
Heißhungerattacken im Prodromalstadium verzehrt wurde, von den betroffenen Personen
retrospektiv auch als initialer Trigger ihrer Migräneattacke interpretiert werden. Einige Personen
überschätzen bestimmte Trigger oder nehmen subtile Trigger nicht war. (23)

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Persistierendes Foramen ovale

In einer Fall-Kontroll-Studie von 1998 wurden 44 Personen, welche an einer Migräne mit Aura
litten, mit 73 unter 50-Jährigen, welche in ihrer Krankengeschichte eine fokale zerebrale Ischämie
aufwiesen und 50 Personen einer Kontrollgruppe verglichen. Bei allen Personen wurde eine
bilaterale transkranielle Dopplersonographie mit Injektion eines Kontrastmittels während normaler
Ventilation und bei einem Valsalva Manöver durchgeführt. Hierbei konnten bei 41% der Personen
mit Migräne ein Rechts-Links-Shunt festgestellt werden. In der Kontrollgruppe waren es 16% mit
einem Rechts-Links-Shunt. Die Schlussfolgerung dieser Studie war, dass es einen signifikant
höheren Anteil mit einem Rechts-Links-Shunt in der Gruppe der Personen mit Migräne gibt als in
der der Kontrollgruppe.(24)
In einer systematischen Übersichtsarbeit von 2008 mit Artikeln von 1966 bis 2007 wurde ebenfalls,
jedoch mit einem niedrigen Evidenzgrad, ein Zusammenhang zwischen einem persistierenden
Foramen ovale (PFO) und Migräne mit Aura festgestellt (25).
Weitere Beobachtungsstudien kamen zu ähnlichen Ergebnissen (26). In einer anderen
populationsbasierten Studie, bei der statt eines transkraniellen Dopplers eine transthorakale
Echokardiographie zum Nachweis eines PFO verwendet wurde, konnte wiederum kein
signifikanter Unterschied in der Prävalenz des PFO bei Personen mit Migräne und Personen ohne
Migräne festgestellt werden (27).
Randomisierte klinische Studien wie MIST, PREMIUM und PRIMA konnten keine signifikanten
Ergebnisse hinsichtlich eines Vorteils für alle Personen mit Migräne zum Verschluss eines PFO
zeigen. Es gab jedoch Hinweise darauf, dass es einen Vorteil bei speziellen Subtypen der Migräne
haben könnte. (26)
Es gibt eine Hypothese dazu, dass eine mögliche Korrelation zwischen Migräne und einem PFO
darauf zurückzuführen sein könnte, dass genetische Faktoren prädisponierend für die Entwicklung
dieser beiden Phänomene sein könnten (26).
Eine weitere Hypothese beschreibt die Möglichkeit, dass vor allem Migräne mit Aura dadurch
ausgelöst werden könnte, dass vasoaktive Substanzen, wie z.B. Serotonin, durch ein PFO und
dem damit einhergehenden Rechts-Links-Shunt, den Lungenkreislauf umgehen können, womit
sie in höheren Konzentrationen in den arteriellen Blutkreislauf und somit ins Gehirn gelangen (26).

     1.4. Pathophysiologie

Über die Zeit wurde eine Vielzahl an Theorien zu den zugrunde liegenden Mechanismen der
Migräne hervorgebracht. Es formten sich drei wesentliche Theorien zum Ursprung einer
Migräneattacke. Bei der vaskulären Theorie ging man davon aus, dass eine Vasokonstriktion bzw.

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Vasodilatation die Symptome einer Migräne hervorrufen könnten. Moskowitz stellte die
trigeminovaskuläre Theorie auf, welche auf einer Vasodilatation und Ödembildung mit einer
Albumin Extravasation beruht. Ein Augenmerk wurde auch auf biochemische Prozesse gelegt.
Eadie und Tyrer untersuchten die Bedeutung von vasoaktiven Substanzen, unter anderem
Serotonin und Prostaglandinen, in den Mechanismen der Migräne. (28) Aristides Leᾶo beschrieb
die Cortical Spreading Depression, welche nicht nur bei der Migräne, sondern auch bei anderen
neurologischen Erkrankungen wie z.B. der Epilepsie, eine entscheidende Rolle spielt. (29)

              1.4.1.   Prodromalstadium

Bereits Stunden, bzw. Tage vor der eigentlichen Migräneattacke können Prodromi wie Müdigkeit,
Gähnen, Photophobie oder Heißhungerattacken auftreten. Dies könnte auf eine Beteiligung des
Hypothalamus und des Hirnstamms zurückzuführen sein. Aber auch das limbische System und
bestimmte kortikalen Arealen könnten daran mitwirken. Migräne scheint zudem durch
chronobiologische Mechanismen beeinflusst zu sein. (30)
In einer Studie wurde der zerebrale Blutfluss als Indikator neuronaler Aktivität in einer Positronen-
Emissions-Tomographie (PET) bei Personen mit, durch Nitroglycerin, initiierten Migräne
dargestellt. Hierbei konnten Aktivierungen im posterolateralen Hypothalamus sowie im
Tegmentum, im periaquäduktalen Grau, der dorsalen Pons und verschiedenen kortikalen Arealen
verzeichnet werden. (30)
Durch PET-Untersuchungen konnte außerdem ein Zusammenhang zwischen Photosensitivität im
Prodromalstadium und einer gesteigerten Aktivität des okzipitalen Kortex hergestellt werden,
sowie zwischen gesteigerter Aktivität des Hirnstamms und Übelkeit (21).
Aus weiteren Untersuchungen zum Zeitpunkt zwischen den Migräneattacken wurden mittels
Magnetresonanztomographie (MRT), im Vergleich zur Kontrollgruppe gesunder Personen, bei
Personen mit Migräne stärkere funktionale Verbindungen zwischen dem Hypothalamus und
Bereichen des Gehirns, welche an autonomen Funktionen sowie der Schmerzübertragung
beteiligt sind, festgestellt (30).
Neben den Hinweisen darauf, dass der Hypothalamus bereits in der frühen Phase der Migräne
involviert sein könnte, wird dem Hypothalamus auch eine Schlüsselrolle bei der Förderung oder
Verstärkung der Schmerzübertragung während einer Migräneattacke zugesprochen. Hierzu
existieren zwei Hypothesen. (30)
Die erste erklärt den Mechanismus mit dem verstärkten parasympathischen Tonus welcher dann
meningeale Nozizeptoren aktiviert (30).
Einige Symptome der Migräne wie Übelkeit, Erbrechen, aber auch z.B. Tränenfluss weisen auf
veränderte autonome Funktionen im zentralen Nervensystem hin. Eine mögliche Erklärung hierzu
wäre, dass Migräneauslöser wie z.B. Stress oder andere Veränderungen der physiologischen

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oder emotionalen Homöostase, den parasympathischen Tonus erhöhen, wodurch nozizeptive
Pfade aktiviert werden. In präklinischen Modellen konnte gezeigt werden wie Norepinephrin als
Transmitter sympathischer Efferenzen durch Stimulierung duraler Afferenzen und Fibroblasten
pronozizeptive Signale fördern kann. (30)
Aktivierung des Kappa-Opioid-Rezeptors durch das Stress-induzierte Corticotropin-Releasing-
Hormon und Dynorphine könnte ebenfalls eine Rolle in der durch Stress ausgelösten Migräne
spielen (30).
Durch afferente Bahnen könnten demzufolge also parasympathische Signale an den Nucleus
salivatorius superior geleitet werden. Von diesem aus würden postganglionäre, parasympathische
Neurone im Ganglion sphenopalatinum aktiviert werden, wodurch wiederum meningeale
Nozizeptoren und das trigeminovaskuläre System stimuliert würde (siehe Abbildung 1). (30) Unter
dem trigeminovaskulären System versteht man die intrakraniell liegenden trigeminalen afferenten
Fasern sowie die Blutgefäße welche sie umspannen. Zu diesen zählen teilweise arterielle Gefäße
der Hirnhäute aber auch große Hirnarterien. (31)
Dies     würde      zu   einer   intrakraniellen   Vasodilatation   und   lokalen   Freisetzung   von
Entzündungsmolekülen führen. Das Resultat wäre eine Aktivierung des trigeminozervikalen
Komplexes über das Ganglion trigeminale (siehe Abbildung 1). (30)
Der trigeminozervikale Komplex stellt die wichtigste Schnittstelle zur Schmerzverarbeitung
zwischen peripherem und zentralem Nervensystem dar (32).
Die zweite beschreibt die Modulierung nozizeptiver Signale des Pars caudalis des Nucleus
spinalis nervi trigemini an supratentorielle Strukturen, welche bei der Schmerzverarbeitung
beteiligt sind (30).
Exzitatorische bzw. inhibitorische Neuropeptide/-transmitter von Neuronen aus Hypothalamus
und Hirnstamm könnten nozizeptive trigeminovaskuläre Signale an den Thalamus beeinflussen.
Durch dieses Einwirken von Neuronen des Hypothalamus und Hirnstamms auf nozizeptive
Signale könnten die Schwellenwerte für die allostatische Last, also die Menge an physischem
oder emotionalen Stress, die das Gehirn bearbeiten kann, beeinflusst werden und somit
bestimmen, ob diese Signale an den Kortex weitergegeben werden. Zyklische Veränderung der
Hirnstamm Aktivität könnten also Einfluss auf die Schwellenwerte nehmen. Ist die Aktivität hoch,
wird der Schwellenwert für die Weiterleitung nozizeptiver Signale heraufgesetzt und diese somit
inhibiert. Im umgekehrten Fall, wenn die Aktivität und somit der Schwellenwert niedrig sind, könnte
eine Migräne entstehen. (30)

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Abbildung 1: Stimulierung meningealer Nozizeptoren , in Anlehnung an Dodick, 2018 (30)
Abkürzungen: NSS=Nucleus salivatorius superior, GSP=Ganglion sphenopalatinum, GT=Ganglion
trigeminale, TZK=Trigeminozervikaler Komplex

              1.4.2.   Auraphase

Etwa 30 Prozent der betroffenen Personen mit Migräne weisen zusätzlich das Symptom der Aura
mit fokal neurologischen Störungen auf (32).
Der     zugrunde       liegende    Mechanismus      der    Auraphase   wird   durch   eine      kortikale
Streudepolarisierung („Cortical spreading Depression“, CSD) erklärt. Hierbei kommt es vermutlich
durch wiederholte De- und Repolarisation von übererregbaren Neuronen des zerebralen Kortex
zu einem erheblichen Kalium-Ausstrom und infolge dessen, auch zu einer extrazellulären
Akkumulation. Dies führt zu einem Ungleichgewicht zellulärer Membranpotentiale, wodurch
Natrium und Calcium in die Zellen verschoben werden, und Glutamat freigesetzt wird. So könnte
sich     schließlich    über      Gap   Junctions   eine   Depolarisationswelle   ausbreiten.     Diese
Depolarisationswelle erstreckt sich mit einer Geschwindigkeit von 2-6mm/min über Membranen
von Neuronen und Gliazellen. Anschließend folgt eine bis zu 30 minütige Refraktärzeit,
korrelierend mit der Dauer von Aurasymptomen. (30)
Während der Depolarisationswelle scheint es zudem zu einer Hyperämie zu kommen, gefolgt von
einer Phase zerebraler Hypoperfusion. (30, 33)

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Die Aktivierung des trigeminovaskulären Systems durch die CSD könnte durch eine
vorübergehende Öffnung von Pannexin-1-Kanälen erklärt werden. Dies würde zur Freisetzung
von Entzündungsmediatoren führen, welche wiederum eine Dilatation intrakranieller Arterien
hervorrufen. Diese aktivieren und sensibilisieren perivaskuläre trigeminale primäre Afferenzen,
welche für die Übertragung von nozizeptiven Impulsen zuständig sind. Die Impulse wiederum
werden in kortikalen Arealen verarbeitet und resultieren in der Empfindung eines Kopfschmerzes.
(33)

              1.4.3.   Kopfschmerzphase

Durch das trigeminovaskuläre System werden nozizeptive Signale von den Meningen an Teile
des Gehirns geleitet (30). Afferente, nozizeptive Fasern erster Ordnung aus dem Ganglion
trigeminale, hauptsächlich aus dem Ast des N. ophtalmicus, innervieren die Meningen und
zerebrale Arterien (siehe Abbildung 2) (30, 33).
Werden trigeminovaskuläre Neurone stimuliert, kommt es zur Freisetzung vasoaktiver Peptide,
und eine lokale Entzündungsreaktion entsteht (33). Zu diesen Peptiden gehören unter anderem
das Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) und das Pituitary Adenylate Cyclase Activating
Polypeptide (PACAP) (30).
Hierdurch werden afferente Projektionen vom Ganglion trigeminale aktiviert, welche mit Neuronen
extrakranieller Strukturen, wie z.B perikranielle und paraspinale Muskulatur aus C1-C2,
konvergieren. Im trigeminozervikalen Komplex folgt dann die Umschaltung auf Neurone zweiter
Ordnung. Von hier aus gehen Signale an verschiedene Nuclei in Hirnstamm, Thalamus,
Hypothalamus und Basalganglien. Diese wiederum projizieren an unterschiedliche kortikale
Areale, welche in Zusammenhang mit spezifischen Migränesymptomen, u.a. Photophobie und
Phonophobie gebracht werden können (siehe Abbildung 2). (30)
Bereits 1995 konnte mittels PET ein erhöhter Blutfluss in bestimmten Arealen des Hirnstamms
während einer Migräneattacke nachgewiesen werden. Zu diesen Arealen gehörten der Locus
coeruleus, das periaquäductale Grau und die Raphe-Kerne. (34)
Wie genau trigeminovaskuläre Neurone stimuliert werden ist noch nicht genau geklärt. Die CSD
könnte durch die, während dieser Phase ausgeschütteten Moleküle, wie ATP, Glutamat, Kalium,
Wasserstoffionen, CGRP, und Distickstoffmonoxid, dafür verantwortlich sein. In Tierversuchen
konnte diese These gestützt werden. Durch Stimulierung des visuellen Kortex bei Ratten wurde
eine CSD, mit nachfolgend lang anhaltender Aktivierung meningealer Nozizeptoren ausgelöst
(30).
In anderen Experimenten zeigte sich, dass trotz einer sensorischen Blockade des Ganglion
trigeminale, eine durch CSD hervorgerufene Aktivierung von trigeminovaskulären Neuronen
zweiter Ordnung des trigeminozervikalen Komplexes nicht unterbrochen werden konnte. Dies

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führt zu der Vermutung, dass nicht nur periphere, sondern auch zentrale Mechanismen eine Rolle
bei der Aktivierung des trigeminovaskulären Systems spielen. (30)
Aufgrund peripherer Sensibilisierung trigeminovaskulärer Neurone kommt es zu den
charakteristischen pochenden Kopfschmerzen, sowie zu einer Aggravierung der Schmerzen beim
Vornüberbeugen des Kopfes oder beim Husten. Aus einigen Tierstudien ging hervor, dass CGRP
an dieser peripheren Sensibilisierung beteiligt sein könnte. (30)
Neben der peripheren Sensibilisierung kommt es auch zu einer zentralen Sensibilisierung von
Neuronen im trigeminozervikalen Komplex und thalamischer Nuclei. Diese wird für die Allodynie,
z.B. im Bereich der Kopfhaut und Kopfhautmuskulatur während einer Migräneattacke
verantwortlich gemacht. (30)

Abbildung 2: Schmerzentstehung über das trigeminovaskuläre System, in Anlehung an Dodick, 2018 (30)
Abkürzungen: V1=Nervus ophtalmicus, V2=Nervus maxillaris, V3=Nervus mandibularis, GT=Ganglion
trigeminale, TZK=Trigeminozervikaler Komplex

              1.4.4.   Biomarker

Über verschiedene Triggerfaktoren, wie endogene Signalmoleküle, können Migräneattacken
ausgelöst werden, was Rückschlüsse auf die komplexen zugrundeliegenden Signalwege zulässt.
Im Jahr 1993 wurden die ersten Provokationsstudien mit Nitroglycerin hierzu durchgeführt. Es
zeigte sich, dass Personen mit Migräne daraufhin stärkere Kopfschmerzen entwickelten als
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Gesunde. Seitdem wurden verschiedene Triggermoleküle in diesem Zusammenhang getestet.
Hierzu gehören unter anderem CGRP, PACAP, Levcromakalim (öffnet ATP-sensitive
Kaliumkanäle) und Maxipost (öffnet Calciumaktivierte Kaliumkanäle mit hoher Leitfähigkeit).
Durch CGRP und PACAP Infusionen konnte bei ca. 60% der Personen mit Migräne ein Anfall
ausgelöst werden. Nach der Gabe von Nitroglycerin und Phosphodiesterase-Hemmer waren es
über 80%.
Die Tatsache, dass all diese Moleküle ihre Wirkung über das cyclische Adenosinmonophosphat
(cAMP) und das cyclische Guanosinmonophosphat (cGMP) entfalten, führt zu der Annahme, dass
diese Second Messenger Veränderungen an Ionenkanälen, vor allem Kaliumkanälen bewirken.
Es konnte gezeigt werden, dass über die Öffnung ATP abhängiger Kaliumkanäle bei Personen
mit Migräne eine Attacke ausgelöst werden kann. Auch eine Aura konnte bei Personen mit
Migräne mit Aura induziert werden. Diese Erkenntnisse könnten Ansätze zukünftiger
Pharmakotherapie sein. (22)

              1.4.5.   5-Hydroxytryptamin-Rezeptoren (5-HT-Rezeptoren)

In der Familie der Serotonin-Rezeptoren wurden bisher sieben verschiedene entdeckt (5-HT1, 5-
HT2, 5-HT3, 5-HT4, 5-HT6, 5-HT7) mit teils zahlreichen Subtypen (35). Das zugehörige Monoamin
5-HT (5-Hydroxytryptamin, bzw. Serotonin) fungiert als Neurotransmitter, Hormon und Mitogen
(36). Die verschiedenen HT-Rezeptoren übernehmen teilweise inhibitorische, teils exzitatorische
Funktionen. Der Großteil der Rezeptoren aus dieser Familie ist G-Protein gekoppelt und hat
Einfluss auf die intrazelluläre cAMP-Konzentration. (35) Die Subtypen 5-HT1B/1D und 5-HT1F sind
von besonderem Interesse bezüglich der Therapiemöglichkeiten bei Migräne.

5-HT1B/1D-Rezeptoren

Zu den Subtypen der 5-HT1-Rezeptoren gehören unter anderem die 5-HT1B-Rezeptoren und die
5-HT1D-Rezeptoren. Diese beiden Subtypen zeigen eine strukturelle Ähnlichkeit von 63%. (35)
5-HT1B-Rezeptoren finden sich im ZNS vor allem in den Basalganglien, Striatum und dem
Frontalkortex. Auch in zerebralen Arterien sind sie zu finden. (35)
Zu seinen Funktionen gehören, je nach Lokalisation, die Inhibierung der Freisetzung von Dopamin
und Serotonin. Er fungiert aber auch als Kontrolleinheit bei der Freisetzung anderer
Neurotransmitter. (35)
Im Gegensatz zu 5-HT1B-Rezeptoren ist die Anzahl der 5-HT1D-Rezeptoren sehr viel geringer. Sie
sind im ZNS, in den dorsalen Raphe-Kernen, aber auch am Herzen lokalisiert. Sie dienen als
Autorezeptoren und können die Freisetzung von Serotonin modulieren. Außerdem scheinen sie
eine Vasokonstriktion zerebraler Arterien zu induzieren. (35) In einer Studie mit einem selektiven

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5-HT1D-Rezeptor-Agonisten            in    Meerschweinchen        konnte    eine     Blockade   neurogener
Plasmaextravasation und die Modulation der Nozizeption im trigeminalen System festgestellt
werden (37).
Anhand von 5-HT1B/1D-Rezeptor-Agonisten wurden noch weitere Effekte beschrieben. Zu diesen
Agonisten gehören unter anderem Eletriptan, Ergotamin, Methysergid, Sumatriptan und
Zolmitriptan. Neben ihren positiven Wirkungen im Migräneanfall, scheinen sie auch einen
prokinetischen      Einfluss   auf        den   Gastrointestinaltrakt,   sowie     Thrombozyten-hemmende
Eigenschaften zu haben. An zerebralen sowie pulmonalen Gefäßen bewirken sie eine
Vasokonstriktion. (35)
Bartsch et al., 2004 untersuchten an Laborratten die Wirkung von Triptanen außerhalb des
trigeminovaskulären Systems. Sie zeigten, dass eine Aktivierung von 5-HT1B/1D-Rezeptoren im
ventrolateralen periaquäduktalen Grau die Erregbarkeit der Dura mater herabsetzten kann. Dies
legt nahe, dass Triptane nicht nur über den Nucleus spinalis nervi trigemini, sondern auch über
supraspinale Strukturen ihre Wirkung entfalten. (38)

5-HT1F-Rezeptoren

5-HT1F-Rezeptoren besitzen strukturelle Ähnlichkeiten zu anderen Subtypen der 5-HT1-
Rezeptoren Familie, insbesondere zu 5-HT1B, 5-HT1D und 5-HT1E (35, 39). 5-HT1F-Rezeptoren
binden 5-Methoxytryptamin und einige Ergotamin-Derivate mit hoher Affinität (35).
Die Rezeptoren sind an verschiedenen Stellen des trigeminovaskulären Systems zu finden. Sie
konnten im Ganglion trigeminale, im Nucleus spinalis nervi trigemini und an zerebralen Gefäßen
nachgewiesen werden. Auch außerhalb des trigeminalen Systems sind sie zu finden, wie z.B. am
Neocortex sowie am Hippocampus und den Koronararterien. An der glatten Muskulatur zerebraler
Mikrogefäße scheinen zwar 5-HT1B/1D-Rezeptoren vorhanden zu sein, nicht jedoch 5-HT1F-
Rezeptoren. Diese und pharmakologische Beobachtungen führen zu der Annahme, dass
selektiven 5-HT1F-Rezeptor Agonisten eine vasokonstriktorische Wirkung fehlt. (40) Zu den 5-
HT1F-Rezeptor Agonisten gehören unter anderem Eletriptan, Naratriptan und Sumatriptan (35).
Der genaue Wirkmechanismus über 5-HT1F-Rezeptoren ist noch nicht vollständig geklärt. Das
selektive Ansprechen von 5-HT1F-Rezeptoren könnte über die Stabilisierung perivaskulärer
trigeminaler Nervendigungen einen antimigränösen Effekt haben. Hierdurch würde die
Ausschüttung vasoaktiver und nozizeptiver Signalmoleküle vermindert werden. Ein weiterer
möglicher Wirkmechanismus könnte die Blockierung der nozizeptiven Weiterleitung im ZNS sein.
(3)

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1.4.6.   Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP)

Physiologische Funktionen

CGRP ist ein, aus 37 Aminosäuren bestehendes, Neuropeptid. Seine zwei Isopeptide α-CGRP
und β-CGRP unterscheiden sich in drei Aminosäuren. Sie werden auf Chromosom 11
synthetisiert. Ihre Eigenschaften sowie Wirkmechanismen sind demnach sehr ähnlich. CGRP
spielt in verschiedenen Bereichen des menschlichen Körpers eine Rolle. Das α-CGRP ist
hauptsächlich im zentralen sowie peripheren Nervensystem zu finden, β-CGRP scheint seine
Hauptfunktion im Gastrointestinaltrakt zu entfalten. (31) CGRP ist jedoch auch außerhalb von
Nervenzellen zu finden, z.B. in Endothelzellen und Adipozyten, aber auch Zellen des
Immunsystems wie Makrophagen. Aktivierte B-Lymphozyten scheinen CGRP produzieren zu
können. (11)
Der CGRP-Rezeptor wird durch drei Komponenten gebildet. Dazu gehören der „Calcitonin
receptor-like receptor” (CLR), das „Receptor activity-modifying protein” (RAMP-1) und das
„Receptor component protein” (RCP) (31). Die CLR und RAMP Interaktion spielt eine wichtige
Rolle. Hierdurch kommt es unter anderem zur Verschiebung des CLR an die Plasmamembran.
Die Kopplung ist überdies wichtig für die Ligandenbindung sowie das in Gangsetzen intrazellulärer
Mechanismen. (11) Diese laufen über G-Proteine und weiters über die Adenylatzyklase sowie das
cAMP (11, 31). Die Bindung von CGRP kann über Proteinkinase A zur Öffnung von Ionenkanälen
führen. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass CGRP Einfluss auf die Gentranskription hat. (11)
Nervenschädigung, Inflammation und eine Veränderung des Blutdrucks scheinen die
Ausschüttung von CGRP zu beeinflussen. Die Aktivierung des Capsaicin-Rezeptors TRPV1
scheint eine Freisetzung von CGRP zu bewirken. Dieser Rezeptor wird unter anderem durch
Anandamid, ein Endocannabinoid und Rutaecarpin, einem pflanzlichen Inhaltsstoff, stimuliert.
Aber auch die Aktivierung anderer TRP-Kanäle kann zu einer Freisetzung von CGRP führen. (11)
CGRP wird in Vesikeln von sensorischen Nervenendigungen gespeichert und über
kalziumabhängige Exozytose freigesetzt (11).
Die Effekte von CGRP im menschlichen Körper sind vielzählig. Es ist beteiligt an der Entwicklung
neuronaler Sensibilisierung sowie der Schmerzentstehung, es wirkt vasodilatatorisch und kann
als Neurotransmitter die glutamaterge Signalübertragungen zwischen Neuronen erleichtern (30).
Über Genexpression könnte es außerdem zur neuronalen Plastizität beitragen (31). Zudem
scheint es wichtige protektive Funktionen zu besitzen: einerseits im Gastrointestinaltrakt, aber
auch am Herzen, den Nieren und dem Gehirn. Bei der Gabe von CGRP-hemmenden Substanzen
muss hierzu, bezüglich möglicher negativer Auswirkungen, ein besonderes Augenmerk liegen.
Bei der Gewebereparatur und Wundheilung könnte ein Herabsetzen der Wirksamkeit von CGRP
einen negativen Effekt haben, da es Einfluss auf die Proliferation von Fibroblasten und

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