Zwischen Bildung und Betreuung - Volkswirtschaftliche Potenziale des Ganztags-Rechtsanspruchs für Kinder im Grundschulalter - Bertelsmann Stiftung

Die Seite wird erstellt Armin Schlegel
 
WEITER LESEN
Zwischen Bildung und Betreuung - Volkswirtschaftliche Potenziale des Ganztags-Rechtsanspruchs für Kinder im Grundschulalter - Bertelsmann Stiftung
Zwischen Bildung
             und Betreuung
 Volkswirtschaftliche Potenziale des Ganztags-
Rechtsanspruchs für Kinder im Grundschulalter
     Tom Krebs, Martin Scheffel, Manuela Barišić und Dirk Zorn
Zwischen Bildung und Betreuung - Volkswirtschaftliche Potenziale des Ganztags-Rechtsanspruchs für Kinder im Grundschulalter - Bertelsmann Stiftung
Zwischen Bildung und Betreuung - Volkswirtschaftliche Potenziale des Ganztags-Rechtsanspruchs für Kinder im Grundschulalter - Bertelsmann Stiftung
Zwischen Bildung
             und Betreuung
 Volkswirtschaftliche Potenziale des Ganztags-
Rechtsanspruchs für Kinder im Grundschulalter
     Tom Krebs, Martin Scheffel, Manuela Barišić und Dirk Zorn
Inhalt

   Vorwort                                                           8
      Gute Ganztagsschulen zahlen sich aus                           8

   Zentrale Annahmen und Ergebnisse                                 10
      Zentrale Annahmen                                             10
      Zentrale Ergebnisse                                           11

   1 | Einleitung                                                   12
      Investitionsprogramm                                          12
      Kennziffern                                                   13
      Ergebnisse der Untersuchung                                   14
      Grundlegende Eigenschaften des Modellrahmens                  15

   2 | Methodisches Vorgehen                                        16
      Modellrahmen                                                  16
      Wirkungskanäle                                                17
      Kennziffern                                                   18
      Kalibrierung                                                  20

   3 | Ausbau des Ganztagsangebots für Kinder im Grundschulalter   21
      Bedarfsanalyse                                                21
      Investitionsprogramm                                          21
      Implementierung                                               22
Zwischen Bildung und Betreuung. Volkswirtschaftliche Potenziale des Ganztags-Rechtsanspruchs für Kinder im Grundschulalter

           4 | Ergebnisse der Simulation                                                                             24
               Wachstum und Beschäftigung                                                                            24
               Ungleichheit                                                                                          26
               Öffentliche Finanzen                                                                                  27

           5 | Fazit und Ausblick                                                                                    28

           Anhang                                                                                                    30
               A | 	 Makroökonomischer Hintergrund                                                                  30
               B|     Kalibrierung                                                                                   31
               C|     Investitionsprogramm                                                                           34
               C.1 | 	Empirische Evidenz: Ganztagsbetreuung und Erwerbstätigkeit                                    34
               C.2 | 	Empirische Evidenz: Ganztagsqualität und Bildungserfolg                                       35
               C.3 | 	Implementierung des Investitionsprogramms                                                     37

           Literatur                                                                                                 39
           Über die Autoren                                                                                          43
Verzeichnisse: Tabellen und Abbildungen

Tabellen

Tabelle 1   Auswirkungen des Ganztagsausbaus: Überblick                                    14

Tabelle 2	Auswirkungen des Ganztagsausbaus auf die Wachstums- und Beschäftigungsdynamik   24

Tabelle 3	Auswirkungen des Ganztagsausbaus auf die Ungleichheitsdynamik                   26

Tabelle 4	Auswirkungen des Ganztagsausbaus auf die Dynamik der öffentlichen Finanzen      27

Tabelle 5   Intergenerationale Übergangsmatrix                                             32

Tabelle 6   Charakterisierung der empirischen Verteilung                                   33

Tabelle 7   Charakterisierung der empirischen Verteilung, adjustiert                       33

Abbildungen

Abbildung 1    Beschäftigungsdynamik nach Beschäftigungsumfang                             25

Abbildung 2    Beschäftigungsdynamik nach Effekten                                         25

Abbildung 3    Dynamik der Arbeitslosigkeit                                                25

Abbildung 4    Dynamik des jährlichen Bruttoinlandsprodukts                                25

Abbildung 5    Dynamik der öffentlichen Finanzen                                           27

Abbildung 6    Kumulierte Nettomehreinnahmen                                               27

Abbildung 7    Renditegleichung (Kind aus niedrig qualifiziertem Haushalt)                 37

Abbildung 8    Renditegleichung (Kind aus mittel qualifiziertem Haushalt)                  38

                                                                                                7
Zwischen Bildung und Betreuung. Volkswirtschaftliche Potenziale des Ganztags-Rechtsanspruchs für Kinder im Grundschulalter

Vorwort

           Gute Ganztagsschulen zahlen sich aus
           Endlich kommt wieder Schwung in den Ausbau der Ganztagsschulen in Deutschland. Die Große Koalition hat
           sich auf einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz für Kinder im Grundschulalter verständigt und sieht
           dafür in der laufenden Legislaturperiode 2 Milliarden Euro an öffentlichen Investitionsmitteln vor. Dieser Schritt
           soll – wie in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends das damalige Investitionsprogramm Zukunft Bildung und
           Betreuung des Bundes – eine neue Dynamik in Gang setzen, um die Nachfrage nach Ganztagsplätzen besser
           zu decken. Damit würde Deutschland auch Anschluss an die Praxis von Ländern mit vergleichbaren Volkswirt-
           schaften gewinnen, in denen Ganztagsschulen längst Standard sind. Den „Luxus“, die Kinder mehrheitlich mit-
           tags nach Hause zu schicken, kann sich Deutschland nicht mehr leisten.

           Während der ganztägige Besuch einer Kindertagesstätte im letzten Jahr vor dem Eintritt in die Schule auch
           hierzulande üblich ist, stehen viele Eltern mit der Einschulung ihrer Kinder vor einem Problem. Fehlende
           Betreuungsmöglichkeiten am Nachmittag erschweren die Erwerbstätigkeit von Eltern, vor allem von Allein-
           erziehenden. Die derart eingeschränkte finanzielle Lage beeinträchtigt wiederum die gesellschaftlichen Teil-
           habechancen der betreffenden Kinder. Fehlende Lern-, Förder- und Entwicklungsmöglichkeiten am Nachmit-
           tag gehen aber auch auf Kosten der Bildungsgerechtigkeit und verhindern den Abbau herkunftsbedingter Nach-
           teile.

           Die vorliegende Studie zeigt deutlich: Der weitere Ausbau der Ganztagsschulen birgt auch einen mittel- und
           langfristigen volkswirtschaftlichen Nutzen. In ihrer Studie Zwischen Bildung und Betreuung. Volkswirtschaft-
           liche Potenziale des Ganztags-Rechtsanspruchs für Kinder im Grundschulalter schätzt die Forschungsgruppe um
           die Ökonomen Tom Krebs und Martin Scheffel die ökonomischen Effekte des Ausbaus ganztägiger Angebote
           für Grundschulkinder ab. Dabei nimmt sie neben den Wirkungen auf Wachstum, Beschäftigung und die Reduk-
           tion von Ungleichheit auch die Frage der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen in den Blick. Die Gruppe unter-
           scheidet zwischen zwei Effekten qualitätsvoller Ganztagsangebote: Der Betreuungseffekt erlaubt es insbeson-
           dere Müttern, Familie und Beruf besser zu vereinbaren, ihr Arbeitsangebot auszuweiten oder überhaupt erst
           eine Arbeit aufzunehmen. Der Bildungseffekt verhilft darüber hinaus den ganztägig lernenden Kindern langfris-
           tig zu besseren Bildungsabschlüssen und damit zu höherwertigen Erwerbsperspektiven.

           Zusammen betrachtet gilt für beide Effekte: Sie tragen zum Wirtschaftswachstum bei, wirken sich positiv auf
           die Beschäftigungsdynamik aus und reduzieren die Zahl der Empfänger staatlicher Transferzahlungen – und
           damit auch die Zahl derjenigen, die mit Kindern in prekären Verhältnissen leben müssen. Auch die Staatskasse
           profitiert: Die Kosten für einen qualitätsvollen Ausbau ganztägiger Angebote für Kinder im Grundschulalter
           amortisieren sich innerhalb von 17 Jahren. Danach könnten die Haushaltsüberschüsse zur Schuldentilgung ein-
           gesetzt werden.

8
Vorwort

Guter Ganztag für Grundschulkinder kennt also viele Gewinner. Damit die in der Studie simulierten Gewinne
auch tatsächlich anfallen, müssen die politischen Weichen jetzt rasch gestellt werden. Gebraucht werden neben
investiven Mitteln vor allem verlässliche Standards für bundesweit gute Ganztagsschulen. Dazu gehört auch
ein tragfähiges Konzept zur Verbindung von Betreuungs- und lern- und entwicklungsförderlichen Maßnahmen,
also ein Brückenschlag zwischen Schule einerseits und Kinder- und Jugendhilfe andererseits. Und nicht zuletzt
werden dringend Konzepte gegen den Lehr- und Fachkräftemangel benötigt – sonst bleibt der rechtlich gesi-
cherte und volkswirtschaftlich sinnvolle Ausbau der Ganztagsschulen mangels Personal auf der Strecke.

Die Befunde dieser Studie sollten Bildungs- und Finanzpolitikern Mut machen, Ganztagsschulen in Deutschland
konsequent und in der erforderlichen Qualität weiter auszubauen. Denn gute Ganztagsschulen zahlen sich aus:
für die Kinder und Jugendlichen, insbesondere diejenigen aus benachteiligten Familien, für die Eltern und letzt-
lich auch für den Staatshaushalt.

Aart De Geus 			                       Dr. Jörg Dräger
Vorstandsvorsitzender 		               Mitglied des Vorstands
der Bertelsmann Stiftung		             der Bertelsmann Stiftung

                                                                                                                        9
Zwischen Bildung und Betreuung. Volkswirtschaftliche Potenziale des Ganztags-Rechtsanspruchs für Kinder im Grundschulalter

               Zentrale Annahmen und Ergebnisse

               Zentrale Annahmen
               Die vorliegende Simulation untersucht die volkswirtschaftlichen Effekte des im Koalitionsvertrag der Großen
               Koalition festgeschriebenen Rechtsanspruchs auf einen Ganztagsplatz für Kinder im Grundschulalter, der ab
               dem Jahr 2025 gelten soll. Die Studie geht davon aus, dass die in diesem Zusammenhang in Aussicht gestellten
               Investitionsmittel zum Ausbau von Ganztagsplätzen für Grundschulkinder in Höhe von 2 Milliarden Euro in den
               Jahren 2019 bis 2021 abfließen. Angenommen wird, dass damit insgesamt 500.000 zusätzliche Plätze geschaf-
               fen werden können. Außerdem wird unterstellt, dass der Bund in der darauffolgenden Legislaturperiode erneut
               investive Mittel in identischer Höhe bereitstellt, sodass bis 2025 kumuliert eine Million zusätzliche Ganztags-
               plätze bereitstehen.

               Die Verfügbarkeit des dafür erforderlichen pädagogischen Personals wird, ebenso wie die Möglichkeit, die er-
               forderlichen Räumlichkeiten bereitzustellen, als gegeben vorausgesetzt; die in der Simulation berechneten öko-
               nomischen Effekte sind aber prinzipiell unabhängig davon, ob die zusätzlichen Plätze bis zum Jahr 2025 oder
               erst später geschaffen werden können. Angenommen wird, dass die investiven Mittel des Bundes zusätzliche
               laufende Kosten des pädagogischen Personals bei Ländern und Kommunen mit sich bringen und dass diese Kos-
               ten ebenfalls aufgebracht werden. Die in der Studie unterstellte Personalausstattung entspricht der sogenann-
               ten pragmatischen Variante aus Klemm und Zorn (2017), die wiederum auf dem im Auftrag von vier Stiftungen
               entwickelten Konzept Mehr Schule wagen basiert (Bertelsmann Stiftung et al. 2017). Das Konzept sieht neben
               pädagogischen Fachkräften (Erzieher, Sozialarbeiter etc.*) auch einen anteiligen Einsatz ausgebildeter Lehr-
               kräfte in den außerunterrichtlichen Angeboten des Ganztags vor. Gemäß der pragmatischen Variante nutzen
               Schulkinder im Mittel die Hälfte der zusätzlich zur Verfügung stehenden Zeit im Ganztag, die sich aus der Diffe-
               renz zwischen einer 40-stündigen Mindestöffnungszeit der Schule und den Unterrichts- und Pausenzeiten er-
               gibt. In Zeitstunden umgerechnet entspricht dies einer Mehrzeit von 9,4 Zeitstunden wöchentlich. Die zusätz-
               lichen Kosten zur personellen Abdeckung dieser Mehrzeit belaufen sich im voll ausgebauten Zustand von einer
               Million zusätzlicher Plätze auf 1 Milliarde Euro jährlich.

               Innerhalb dieses Modells simuliert die Studie die zwei folgenden voneinander unterscheidbaren Effekte des In-
               vestitionsprogramms:

               1. Betreuungseffekt. Hierbei wird auf den volkswirtschaftlichen Nutzen durch eine bessere Vereinbarkeit von
                  Beruf und Familie abgestellt.

               2. Bildungseffekt. Dieser Effekt schätzt ab, wie sich ein qualitätsvoller Ganztag auf den Bildungserfolg derjeni-
                  gen Grundschulkinder auswirkt, die ganztägige Angebote nutzen. Der simulierte Bildungseffekt kommt ins-
                  besondere Kindern aus weniger privilegierten Elternhäusern zugute und äußert sich in einer langfristigen
                  Verbesserung der Qualifikation der künftigen Erwerbspersonen.

               * Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Bericht bei der Nennung von Personengruppen zumeist die männliche Form verwendet.

10
Zentrale Annahmen und Ergebnisse

Zentrale Ergebnisse
Die Investitionen in den Ausbau der Ganztagsbetreuung an Grundschulen vereinfachen die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf und ermöglichen es insbesondere Frauen mit Kindern, ihre Erwerbstätigkeit auszuweiten
(Betreuungseffekt). Zusätzlich erhöht die ganztägige Betreuung durch qualifiziertes Fachpersonal die Bildungs-
chancen insbesondere für Kinder aus nicht privilegierten Elternhäusern und führt langfristig zu einer Verbesse-
rung der Qualifikationen (Bildungseffekt).

Die simulierten langfristigen Effekte einer solchen Investitionspolitik stellen sich folgendermaßen dar: Bis 2050
steigt die Beschäftigung um 71.500 vollzeitäquivalente Stellen an.1 Im selben Zeitraum wechseln 37.600 Er-
werbspersonen aus der Grundsicherung in gute Arbeit und 43.100 Erwerbspersonen aus der Arbeitslosigkeit in
ein Beschäftigungsverhältnis. Der wachsende Bildungserfolg insbesondere von Kindern aus nicht privilegierten
Elternhäusern schlägt sich in einer bis 2050 um mehr als 1,3 Prozentpunkte schrumpfenden Einkommenslücke
dieser Kinder nieder. Durch die Beschäftigungs- und Produktivitätszuwächse steigt die jährliche Produktions-
leistung, sodass bis 2050 das jährliche Bruttoinlandsprodukt um gut 4,4 Milliarden Euro zulegt.

Der Betreuungseffekt zeichnet für rund drei Viertel der langfristigen Effekte auf dem Arbeitsmarkt – Anstieg
der Beschäftigung, Rückgang der Zahl der Erwerbspersonen in Grundsicherung und Rückgang der Arbeitslo-
sigkeit – verantwortlich. Demgegenüber lassen sich über 90 Prozent des Rückgangs der erwarteten Einkom-
menslücke von Kindern aus nicht privilegierten Elternhäusern dem Bildungseffekt zuschreiben. Der Anstieg des
jährlichen Bruttoinlandsprodukts ist zu rund zwei Dritteln auf die Ausweitung der Beschäftigung durch den Be-
treuungseffekt und zu rund einem Drittel auf die Produktivitätsgewinne infolge einer verbesserten Bildungs-
teilhabe zurückzuführen.

Eine tiefergehende Betrachtung der Beschäftigungs- und Produktionsdynamik zeichnet das folgende Bild: Die
Gewinne durch den Betreuungseffekt werden innerhalb von nur zehn Jahren weitestgehend realisiert. Zum
gleichen Zeitpunkt beginnt der Bildungseffekt, seine ersten positiven Impulse zu setzen, denn dann tritt die
erste Kohorte der Kinder, die von den verbesserten Bildungschancen profitieren, in den Ausbildungs- und Ar-
beitsmarkt ein. Sind demzufolge 2030 die geschätzten Gesamteffekte fast ausschließlich auf den Betreuungs-
effekt zurückzuführen, so nimmt der Anteil des Bildungseffekts von da an stetig zu und wird auch über das Jahr
2050 hinaus noch positive Impulse setzen.

Die fiskalischen Effekte des Investitionsprogramms sind positiv. Den anfänglichen Investitionskosten für den
Ausbau der Ganztagsbetreuung sowie den dadurch entstehenden laufenden Personalkosten stehen wach-
sende Einnahmen aus Kapitalertrag- und Lohnsteuer sowie fallende Transferleistungen gegenüber. Das Investi-
tionsprogramm amortisiert sich bereits nach 17 Jahren und trägt von da an zum Abbau der Staatsschulden bei.
Damit leistet es trotz der anfänglichen fiskalischen Defizite einen Beitrag zur Generationengerechtigkeit.

1   Diese Beschäftigungssteigerung berücksichtigt dabei nicht explizit die für die Ausweitung der Ganztagsplätze zusätzlich benötigten Erzieherinnen
    und Lehrkräfte. Ab 2025 – nach Abschluss des in der Studie angenommenen Ausbaus – würden hierfür etwa rund 17.000 vollzeitäquivalente Stellen
    (ca. 6.000 Erzieherinnen und ca. 11.000 Lehrkräfte) benötigt.

                                                                                                                                                         11
Zwischen Bildung und Betreuung. Volkswirtschaftliche Potenziale des Ganztags-Rechtsanspruchs für Kinder im Grundschulalter

1 | Einleitung

                       Die Bundesregierung plant, das ganztägige Bildungs-         ändert langfristig die Struktur der Qualifikation der
                       und Betreuungsangebot für Kinder im Grundschul-             zukünftigen Erwerbspersonen. Beide Effekte, der Be-
                       alter weiter auszubauen. Konkret heißt es dazu im           treuungseffekt und der Bildungseffekt, leisten einen
                       Koalitionsvertrag:                                          Beitrag zur Behebung des Fachkräftemangels, set-
                                                                                   zen positive wirtschaftliche Impulse und fördern die
                       „Wir werden ganztägige Bildungs- und Betreuungsan-          Chancen- und Generationengerechtigkeit.
                       gebote für alle Schülerinnen und Schüler im Grund-
                       schulalter ermöglichen. Wir werden deshalb einen            In dieser Studie werden die gesamtwirtschaftlichen
                       Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für alle Kin-          und fiskalischen Auswirkungen des geplanten Aus-
                       der im Grundschulalter schaffen. Dafür werden wir ge-       baus des ganztägigen Angebots für Kinder im Grund-
                       meinsam mit den Ländern die Angebote so ausbauen,           schulalter untersucht. Ein besonderes Augenmerk
                       dass der Rechtsanspruch im Jahre 2025 erfüllt wer-          wird dabei auf die Auswirkungen auf die wirtschaftli-
                       den kann. Der Bund stellt für Investitionen in Ganz-        che Inklusion einzelner Personengruppen – insbeson-
                       tagsschul- und Betreuungsangebote zwei Milliarden           dere Frauen mit Kindern, Alleinerziehende und Kin-
                       Euro zur Verfügung. Bei der Umsetzung des Rechtsan-         der aus bildungsfernen Elternhäusern – gelegt.
                       spruchs werden wir auf Flexibilität achten, bedarfsge-
                       recht vorgehen und die Vielfalt der in den Ländern und
                       Kommunen bestehenden Betreuungsmöglichkeiten                Investitionsprogramm
                       der Kinder- und Jugendhilfe und die schulischen An-
                       gebote berücksichtigen und darauf aufbauen. Für die         Im Schuljahr 2015/2016 gab es 2,8 Millionen Grund-
                       Ausgestaltung wollen wir das Sozialgesetzbuch (SGB)         schulkinder, von denen eine knappe Million Ganztags-
                       VIII nutzen. Um diesen Rechtsanspruch bis 2025 zu           angebote nutzten. Bis zum Schuljahr 2025/2026 wird
                       verwirklichen, bedarf es konkreter rechtlicher, finanzi-    gemäß Bevölkerungsvorausschätzung die Zahl der
                       eller und zeitlicher Umsetzungsschritte, die wir in einer   Grundschulkinder auf 3,2 Millionen steigen, sodass
                       Vereinbarung von Bund und Ländern unter Einbezie-           gegenüber dem Schuljahr 2015/2016 formal eine
                       hung der kommunalen Spitzenverbände festlegen wer-          Lücke von bis zu 2,2 Millionen Ganztagsplätzen ent-
                       den. Dabei wird der Bund sicherstellen, dass insbeson-      steht.2 Verschiedene Studien belegen, dass 70 bis 80
                       dere der laufenden Kostenbelastung der Kommunen             Prozent der Familien mit Schulkindern in der Primar-
                       Rechnung getragen wird.“ (Koalitionsvertrag 2018,           und Sekundarstufe I eine umfassende ganztägige Be-
                       Seite 28)                                                   treuung wünschen (BMFSFJ 2014, Wößmann et al.
                                                                                   2015, Killus und Tillmann 2017). Hieraus ergibt sich
                       Aus ökonomischer Perspektive hat der Ausbau ganz-           (bei Nichtberücksichtigung der von der Ganztags-
                       tägiger Angebote für Kinder im Grundschulalter zwei         schulstatistik der Kultusministerkonferenz teilweise
                       Effekte. Erstens ermöglicht das verbesserte Betreu-         nicht erfassten Schulkinder, die Hortangebote wahr-
                       ungsangebot es den betroffenen Eltern, insbeson-            nehmen) eine Lücke zwischen den nachgefragten und
                       dere den Müttern, ihre Erwerbstätigkeit auszuweiten.        den angebotenen Plätzen von mindestens 1,4 bis 1,6
                       Zweitens steigert ein verbessertes Bildungsangebot          Millionen.
                       den Bildungserfolg der betroffenen Kinder und ver-

                       2   Vgl. hierzu Klemm und Zorn (2017).

12
1| Einleitung

In dem hier simulierten Investitionsprogramm wer-        gischen Fachkräften (Erzieher, Sozialpädagogen, So-
den in dieser und der kommenden Legislaturperiode        zialarbeiter etc.) und 50 Prozent ausgebildeten Lehr-
jeweils 2 Milliarden Euro aus Bundesmitteln in den       kräften, die im Rahmen multiprofessioneller Teams
(räumlichen) Ausbau der Ganztagsbetreuung für            außerunterrichtliche Zeiten im Ganztag personell ab-
Grundschulkinder investiert. Bei angenommenen In-        decken und ausgestalten. Konzeptionell stützt sich
vestitionskosten von 4.000 Euro pro Ganztagsplatz        diese qualitative Ausgestaltung auf die Studie Mehr
können somit in der Ganztagsbetreuung von 2019 bis       Schule wagen, die im Auftrag von Bertelsmann Stif-
2021 jährlich 167.000 und von 2022 bis 2025 jährlich     tung, Robert Bosch Stiftung, Stiftung Mercator und
125.000 zusätzliche Plätze geschaffen werden. Diese      Vodafone Stiftung im Mai 2017 vorgestellt wurde
Zahlen sind in ihrer Größenordnung vergleichbar mit      (Bertelsmann Stiftung et al. 2017). Die Kosten einer
dem Ausbau des schulischen Ganztags in den Jahren        derartigen personellen Ausstattung mit Fachkräften
des ersten Investitionsprogramms des Bundes von          belaufen sich beim angenommenen zusätzlichen Be-
2003 bis 2009 (allerdings für Primarstufe und Sekun-     treuungsumfang von 9,4 Zeitstunden auf rund 1.000
darstufe I zusammen; vgl. Klemm und Zorn 2017).          Euro pro Kind und Jahr. Angenommen wird, dass da-
                                                         durch nicht nur die Vereinbarkeit von Beruf und Fa-
Zu den einmalig anfallenden Investitionskosten für       milie für die Eltern der derart betreuten Kinder ver-
den Ausbau der räumlichen Kapazitäten und der er-        bessert wird, sondern dass qualitativ hochwertige
forderlichen Ausstattung kommen laufende Kos-            Lern-, Förder- und Entwicklungsmöglichkeiten im
ten für das pädagogische Fachpersonal hinzu. In          Ganztag auch den Bildungserfolg insbesondere von
Bezug darauf stellt sich die Frage, welche Qualitäts-    Kindern aus nichtakademischen Elternhäusern stei-
standards mit dem Ausbau erfüllt werden sollen und       gern (vgl. hierzu auch Abschnitt C2 im Anhang). Dies
in welchem Umfang und personellen Mix zusätzli-          hat langfristige Auswirkungen auf die Struktur der
che Fachkräfte benötigt werden. Konkret untersucht       Qualifikation der Erwerbspersonen in Deutschland.
diese Studie einen Ausbau der Ganztagsangebote, die
in ihrem zeitlichen Umfang der sogenannten pragma-
tischen Variante von Klemm und Zorn (2017) folgen.       Kennziffern
Sind im Durchschnitt über die Bundesländer hinweg
21,2 Zeitstunden wöchentlich durch Unterrichts- und      Das Ziel der vorliegenden Studie besteht darin, die
Pausenzeiten abgedeckt, so würden für eine Abde-         Auswirkungen des Ganztagsausbaus für Grundschul-
ckung von 40 Zeitstunden (also fünf Öffnungstage zu      kinder auf die Parameter „inklusives Wachstum“ und
je acht Zeitstunden) zusätzlich 18,8 Zeitstunden pro     „Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen“ zu untersu-
Woche benötigt. Die pragmatische Variante berück-        chen und zu quantifizieren. Inklusives Wachstum wird
sichtigt, dass das zeitliche Ganztagsangebot nicht von   dabei verstanden als ein wirtschaftliches Wachstum,
allen Schulkindern in vollem Umfang in Anspruch ge-      das allen Menschen die Möglichkeit bietet, am wirt-
nommen wird, sodass im Mittel nur 50 Prozent der         schaftlichen Erfolg teilzuhaben (Chancengleichheit).
erforderlichen Zusatzöffnungszeit, das heißt 9,4 Zeit-   Eine wirtschaftspolitische Maßnahme erzeugt inklu-
stunden pro Woche, personell abgedeckt werden            sives Wachstum, wenn sie zu einem Wachstum führt,
müssten. Der in dieser Studie angenommene zeitli-        das überproportional den weniger privilegierten
che Betreuungsumfang ist damit deutlich niedriger        Menschen einer Gesellschaft zugutekommt.
angesetzt als etwa die Betreuungszeiten, die Münder
in seinem Gutachten für das Bundesfamilienministe-       Die reinen Wachstumseffekte werden in dieser Stu-
rium zur Einführung des Rechtsanspruchs auf einen        die als Veränderungen des Bruttoinlandsprodukts
Ganztagsplatz anführt und die gegebenenfalls über        operationalisiert. Zusätzlich werden detaillierte Be-
die wöchentliche Öffnungszeit während des Schul-         schäftigungseffekte berechnet, um die langfristigen
betriebs hinaus auch die Ferien umfassen müssten         Auswirkungen verschiedener Maßnahmen auf den
(Münder 2017).                                           Arbeitsmarkt darzustellen.

Was die Struktur der Qualifikation des zusätzlich er-    Um die wirtschaftliche Inklusion zu messen, ver-
forderlichen pädagogischen Personals anbelangt,          wendet die Studie zwei verschiedene Methoden.
folgt die Studie ebenfalls Klemm und Zorn (2017).        Im Rahmen der ersten Methode werden verschie-
Diese unterstellen einen Mix aus 50 Prozent pädago-      dene Kennzahlen berechnet, welche die Ungleichheit

                                                                                                                           13
Zwischen Bildung und Betreuung. Volkswirtschaftliche Potenziale des Ganztags-Rechtsanspruchs für Kinder im Grundschulalter

                               der Einkommensverteilung aller privaten Haushalte                         schaftspolitischen Maßnahme durch drei Kennziffern
                               oder Erwerbspersonen messen, wobei der Schwer-                            gemessen: öffentliche Nettomehreinnahmen, lang-
                               punkt auf dem unteren Ende der Einkommensvertei-                          fristige Veränderung der Staatsschuldenquote und
                               lung liegt – repräsentiert durch die Armutsquote und                      fiskalische Amortisationszeit.
                               die Niedriglohnschwelle. Im Rahmen der zweiten Me-
                               thode werden Einkommenslücken bestimmter Per-
                               sonengruppen erfasst – Frauen mit Kindern, allein-                        Ergebnisse der
                               erziehende Frauen sowie Kinder aus bildungsfernen
                               Familien –, indem deren Einkommen mit dem Einkom-                         Untersuchung
                               men ihrer jeweiligen Vergleichsgruppe in Beziehung
                               gesetzt wird.                                                             Der Ausbau der Ganztagsangebote für Kinder im
                                                                                                         Grundschulalter steigert die Produktion, weitet die
                               Eine umfassende gesamtwirtschaftliche Beurteilung                         Beschäftigung aus, reduziert die Ungleichheit und ge-
                               staatlicher Investitionsprogramme muss zusätzlich                         neriert langfristige fiskalische Überschüsse. Das In-
                               die fiskalischen Konsequenzen und die damit verbun-                       vestitionsprogramm fördert inklusives Wachstum
                               dene Frage der Tragfähigkeit der öffentlichen Finan-                      und ist fiskalisch effizient. Tabelle 1 bietet eine Über-
                               zen berücksichtigen. Investitionen der öffentlichen                       sicht über die mittel- und langfristigen Ergebnisse des
                               Hand erzeugen fiskalische Kosten, denen fiskalische                       Investitionsprogramms, wobei neben dem Gesamtef-
                               Gewinne durch Mehreinnahmen aus Steuern und So-                           fekt der Betreuungs- und der Bildungseffekt jeweils
                               zialversicherungsbeiträgen und durch entfallende                          gesondert ausgewiesen werden.
                               Transferzahlungen gegenüberstehen. Wenn ein öf-
                               fentliches Investitionsprogramm hinreichende fiska-                       Die mittelfristigen Ergebnisse (bis 2030) werden wei-
                               lische Gewinne erwirtschaftet und die zukünftigen                         testgehend vom Betreuungseffekt bestimmt. Die ver-
                               Nettomehreinnahmen zur Schuldentilgung verwen-                            besserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf führt
                               det werden, dann verringert dies langfristig die staat-                   zu schnell realisierbaren Produktionsgewinnen und
                               liche Schuldenquote. In diesem Sinne können öf-                           Beschäftigungszuwächsen. Darüber hinaus fallen fis-
                               fentliche Investitionsprogramme einen Beitrag zur                         kalische Mehreinnahmen an, da die Beschäftigungs-
                               langfristigen Sicherung der öffentlichen Finanzen                         effekte die Einnahmen aus Steuern und Sozialver-
                               leisten (Generationengerechtigkeit). In der vorliegen-                    sicherungsabgaben steigern und gleichzeitig den
                               den Studie wird die fiskalische Effizienz einer wirt-                     Umfang der Transferzahlungen senken.

  TABELLE 1            Auswirkungen des Ganztagsausbaus: Überblick

                                                                              Gesamteffekt                 Anteilig Betreuungseffekt            Anteilig Bildungseffekt
                                                                          2030              2050             2030              2050              2030             2050
     Wachstum und Beschäftigung
     Jährliches Bruttoinlandsprodukt (in Milliarden Euro)                 +2,26            +4,41             +2,25             +3,02            +0,01             +1,39
     Beschäftigung (in vollzeitäquivalenten Stellen)                   +54.800           +71.500          +53.700           +54.900            +1.100          +16.600
     Arbeitslosigkeit (in Personen)                                    –30.300           –43.100          –29.400           –30.200              –900          –12.900
     Ungleichheit (Einkommenslücken)
     Frauen mit Kindern (in Prozentpunkten)                               –0,97            –1,00             –0,97             –0,99              0,00            –0,01
     Alleinerziehende (in Prozentpunkten)                                 –1,36            –1,39             –1,36             –1,39              0,00             0,00
     Kinder aus bildungsfernem Elternhaus (in Prozentpunkten)             –0,20            –1,31             –0,13             –0,13            –0,07             –1,18
     Öffentliche Finanzen
     Öffentliche Nettomehreinnahmen (in Milliarden Euro)                  +0,37            +2,35             +0,36             +1,44            +0,01             +0,91

  Alle Angaben sind inflationsbereinigte Veränderungen der jeweiligen Variablen im Verhältnis zu ihren Ausgangswerten 2017. Der Ausgangswert des Bruttoinlandsprodukts
  ist 3.237 Milliarden Euro, der Ausgangswert der Zahl der vollzeitäquivalenten Stellen ist 34,6 Millionen, der Ausgangswert der Arbeitslosenzahl ist 3,56 Millionen Personen
  (inklusive Erwerbspersonen in Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik). Die Einkommenslücke ist die prozentuale Abweichung des durchschnittlichen Bruttoein-
  kommens der jeweiligen Personengruppe von der entsprechenden Vergleichsgruppe. Für Frauen mit Kindern sowie für alleinerziehende Frauen ist die Vergleichsgruppe die
  Gruppe der Männer mit Kindern. Für Kinder aus bildungsfernen Familien ist die Vergleichsgruppe die Gruppe der Kinder aus Akademikerfamilien. Die Einkommenslücke hat
  zwei Komponenten: die Differenz der Bruttostundenlöhne (Entgeltlücke) und die Differenz der Wochenarbeitszeiten. Der Ausgangswert der Einkommenslücke ist 48,7 Pro-
  zent für Kinder aus bildungsfernen Familien, 63,3 Prozent für Frauen mit Kindern und 61,3 Prozent für alleinerziehende Frauen.
  Quelle: Eigene Berechnungen. Vgl. Anhang B.

14
1 | Einleitung

Der Bildungseffekt verzögert sich hingegen, da die        passungen der privaten Haushalte und Unternehmen
ersten Kohorten von Schulkindern, die von verbesser-      sowie Wechselwirkungen zwischen Arbeits-, Kapital-
ten Ganztagsangeboten profitieren, frühestens nach        und Gütermärkten verursacht werden.
zehn Jahren produktions- und arbeitsmarktrelevante
Ergebnisse erzielen. Erst von da an setzt der Bildungs-   Das dieser Studie zugrundeliegende Modell bildet
effekt nach und nach positive Impulse auf Wachstum,       wesentliche Eigenschaften realer Volkswirtschaf-
Beschäftigung und fiskalische Mehreinnahmen.              ten ab, die zur Verzerrung privater Investitionsan-
                                                          reize führen und die Notwendigkeit öffentlicher In-
In Bezug auf die Chancengleichheit wirken sich der        vestitionen bedingen. So sind im Modell wie auch in
Betreuungs- und der Bildungseffekt auf die einzelnen      der realen Welt viele private Haushalte kreditbe-
Personengruppen sehr unterschiedlich aus. Während         schränkt und unvollständig gegen Einkommensrisi-
der Betreuungseffekt insbesondere die Einkommens-         ken versichert. Zudem steigen die Steuer- und Sozial-
lücke von Frauen mit Kindern reduziert, führt der Bil-    abgaben der privaten Haushalte mit dem geleisteten
dungseffekt zu einer substanziellen Reduktion der         Arbeitsvolumen. Diese Faktoren wirken sich negativ
Einkommenslücke von Kindern aus bildungsfernen El-        auf das Arbeitsangebot und die privaten Bildungsan-
ternhäusern. Demzufolge fördern beide Varianten die       reize aus, sodass dem Staat im Bildungsbereich eine
Inklusion von Frauen mit Kindern. Der Bildungseffekt      zentrale Rolle zufällt. Außerdem behindern Such-
fördert zusätzlich die Inklusion von Kindern aus bil-     friktionen auf den Arbeitsmärkten die optimale Allo-
dungsfernen Elternhäusern und trägt somit im Beson-       kation der Produktionsfaktoren, und Externalitäten
deren zur Annäherung an das Ziel der Chancengleich-       treiben einen Keil zwischen private und soziale Ren-
heit bei.                                                 diten. Aus diesen Gründen können öffentliche Inves-
                                                          titionen alle Haushalte besserstellen (Pareto-Verbes-
Das Investitionsprogramm ist fiskalisch effizient und     serung) und einen wichtigen gesellschaftspolitischen
amortisiert sich im Lauf von 17 Jahren. Es trägt somit    Beitrag leisten, auch wenn die Möglichkeit einer zu
zu mehr Generationengerechtigkeit bei. Staatliche         starken Ausweitung der öffentlichen Investitions-
Nettomehreinnahmen fallen erstmals bereits sieben         tätigkeit theoretisch nicht ausgeschlossen werden
Jahre nach dem Start des Investitionsprogramms an.        kann. Die vorliegende Studie kann diesbezüglich Klar-
                                                          heit schaffen.

Grundlegende Eigenschaf-
ten des Modellrahmens
Die vorliegende Studie nutzt die Methoden der mo-
dernen Makroökonomik und untersucht die unter-
schiedlichen Investitionsprogramme auf der Basis
eines mikroökonomisch fundierten makroökonomi-
schen Modells der deutschen Volkswirtschaft. Der
zugrundeliegende Modellrahmen ist ein Wachstums-
modell mit Sach- und Humankapital, heterogenen
Haushalten und Friktionen auf den Arbeits-, Kapital-
und Gütermärkten, die wesentliche Aspekte realer
Märkte abbilden. Das Hauptaugenmerk der gesamt-
wirtschaftlichen Analyse liegt auf der Entwicklung
des Produktionspotenzials der deutschen Volkswirt-
schaft. Kurzfristige keynesianische Nachfrageeffekte
werden vernachlässigt. Die hier verwendete Methode
erlaubt eine empirisch fundierte dynamische Analyse
wirtschaftspolitischer Maßnahmen. Diese berück-
sichtigt neben den direkten Effekten der Maßnahmen
auch deren indirekte Effekte, die durch Verhaltensan-

                                                                                                                            15
Zwischen Bildung und Betreuung. Volkswirtschaftliche Potenziale des Ganztags-Rechtsanspruchs für Kinder im Grundschulalter

2 | Methodisches Vorgehen

                       In dieser Studie wurden die Methoden der modernen          wickelt. Die wesentlichen Annahmen und Bestand-
                       Makroökonomik verwendet, um die Auswirkungen               teile des Modells lauten wie folgt:
                       eines Ausbaus der Ganztagsbetreuung an Grundschu-
                       len auf inklusives Wachstum und die Tragfähigkeit          • Haushalte unterscheiden sich hinsichtlich des
                       der öffentlichen Finanzen zu untersuchen. Die Ana-            Kinderstatus (Kinder oder keine Kinder), der Art
                       lyse erfolgte in drei Schritten. Im ersten Schritt wurde      externer Kinderbetreuung (Ganztagsbetreuung
                       das mikroökonomisch fundierte gesamtwirtschaftli-             oder keine Ganztagsbetreuung), der Zahl der
                       che Wachstumsmodell von Krebs und Scheffel (2017)             Erwerbspersonen im Haushalt (alleinstehend oder
                       erweitert und an die Fragestellung der Studie ange-           Paargemeinschaft) und der Qualifikationen der
                       passt. Im zweiten Schritt wurde das Modell kalibriert.        Erwerbspersonen (kein Berufsabschluss, Berufs-
                       Hierbei wurden die Modellparameter auf der Basis              abschluss oder Hochschulabschluss). Diese Haus-
                       mikro- und makroökonomischer Evidenz bestimmt,                haltsmerkmale verändern sich im Zeitverlauf nicht
                       um das quantitative Modell fest in der wirtschaftli-          (konstanter Haushaltstyp).
                       chen Realität zu verankern. Im dritten und letzten
                       Schritt wurden die Auswirkungen eines Ausbaus der          • Erwerbspersonen unterscheiden sich zusätzlich im
                       Ganztagsbetreuung an der Primarstufe im Hinblick             Hinblick auf ihren Beschäftigungszustand (Vollzeit-
                       auf die zentralen Parameter simuliert und die Ergeb-          arbeit, Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung,
                       nisse der Simulationsanalyse interpretiert.                   Kurzzeitarbeitslosigkeit, Langzeitarbeitslosigkeit).
                                                                                     Der Beschäftigungszustand einer Erwerbsperson
                       Dieses Kapitel bietet eine kurze Übersicht über die           verändert sich im Zeitverlauf. Die Übergänge zwi-
                       ersten beiden Schritte der Analyse und stellt die we-         schen den einzelnen Beschäftigungszuständen sind
                       sentlichen Merkmale des Modells sowie die generelle           zwar stochastisch, die Übergangswahrscheinlich-
                       Kalibrierungsstrategie kurz vor. Weitere Details zu           keiten werden jedoch von den Suchentscheidungen
                       Modellrahmen und Kalibrierungsstrategie finden sich           der Erwerbspersonen bestimmt.
                       im Anhang und in den Vorgängerstudien von Krebs
                       und Scheffel (2015, 2016a, 2016b, 2017) sowie in den       • Erwerbspersonen entscheiden über ihre Suchin-
                       dort diskutierten Referenzen.                                 tensität sowie daneben über den Grad der beruf-
                                                                                     lichen Fort- und Weiterbildung, den Konsum und
                                                                                     die private Ersparnis. Da alle Entscheidungen Er-
                       Modellrahmen                                                  gebnis eines mikroökonomisch fundierten Op-
                                                                                     timierungsproblems sind, reagieren Erwerbs-
                       Das dieser Studie zugrundeliegende Modell ist – wie           personen auf die Anreize, die durch veränderte
                       in der Einleitung im Abschnitt Grundlegende Eigen-            sozioökonomische Rahmenbedingungen gesetzt
                       schaften des Modellrahmens beschrieben – ein Wachs-           werden. Die Entscheidungen aller Haushalte be-
                       tumsmodell mit Sach- und Humankapital, heteroge-              stimmen das gesamtwirtschaftliche Arbeitsange-
                       nen Haushalten, unvollkommenen Finanzmärkten                  bot und das Angebot an Finanzkapital.
                       und Suchfriktionen auf dem Arbeitsmarkt. Der Mo-
                       dellrahmen wurde in einer Reihe von Arbeiten von           • Unternehmen produzieren Konsum- und Investiti-
                       Krebs und Scheffel (2015, 2016a, 2016b, 2017) ent-            onsgüter. Sie wählen den Einsatz der Produktions-

16
2 | Methodisches Vorgehen

   faktoren Arbeit (Humankapital) und Sachkapital        Zweitens steigert ein erweitertes Betreuungs- und
   und bestimmen somit die gesamtwirtschaftliche         Bildungsangebot mit qualifizierten pädagogischen
   Arbeitsnachfrage sowie die Nachfrage nach Sach-       Fachkräften, die in multiprofessionellen Teams unter
   kapital (private Investitionen).                      Einschluss von Lehrkräften kooperieren, den Bil-
                                                         dungserfolg der betroffenen Kinder, sodass langfristig
• Beschäftigung, Investitionen, Produktion, Löhne        der Anteil der Erwerbspersonen mit abgeschlossener
   und Zinssatz werden im Gleichgewicht durch den        Berufsausbildung oder Hochschulabschluss zunimmt.
   Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf den           Die Arbeitsproduktivität zukünftiger Generationen
   Arbeits-, Kapital- und Gütermärkten bestimmt.         steigt an, deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt ver-
   Des Weiteren ergeben sich die öffentlichen Ein-       bessern sich und es werden zusätzliche Wachstums-
   nahmen aus Steuern und Sozialabgaben, die Aus-        impulse gesetzt. Dieser zweite direkte Effekt, der auf
   gaben für staatliche Transferzahlungen und die        eine Verschiebung der langfristigen Qualifikations-
   Veränderung der öffentlichen Neuverschuldung          struktur und den damit einhergehenden Beschäfti-
   aus den im Arbeits-, Güter- und Kapitalmarkt-         gungs- und Produktionseffekt zurückgeht, ist der Bil-
   gleichgewicht bestimmten volkswirtschaftlichen        dungseffekt des Investitionsprogramms. Während
   Größen. Die Einkommensverteilung (Jahres- und         sich der Bildungseffekt erst mit einer erheblichen
   Lebenseinkommen) ist endogen und folgt aus den        Zeitverzögerung niederschlägt, führt der Betreuungs-
   individuellen Entscheidungen über die Intensität      effekt unmittelbar zu mehr Beschäftigung und höhe-
   der Arbeitssuche, den Investitionen in Fort- und      rem Wirtschaftswachstum.
   Weiterbildung sowie der Ersparnis aller Erwerbs-
   personen.                                             Neben den direkten Effekten des Investitionspro-
                                                         gramms tritt eine Reihe indirekter Effekte auf, die
                                                         durch Verhaltensanpassungen der privaten Haus-
Wirkungskanäle                                           halte und Unternehmen sowie durch Wechselwirkun-
                                                         gen zwischen Arbeits-, Kapital- und Gütermärkten
Die Stärke makroökonomischer Modelle liegt darin,        entstehen. Beispielsweise stimulieren Produktivitäts-
dass sie die zentralen Wirkungskanäle abbilden und       gewinne die Arbeits- und Kapitalnachfrage der Un-
dadurch die Analyse kausaler Zusammenhänge er-           ternehmen, sodass Beschäftigung, Stundenlöhne und
lauben. Für die Analyse der Investitionen in den Aus-    private Investitionen steigen. Die mit diesen Entwick-
bau der Ganztagsbetreuung an Grundschulen ist            lungen einhergehenden Beschäftigungszuwächse,
zwischen direkten und indirekten Effekten zu unter-      Produktivitätssteigerungen und Lohnzuwächse ver-
scheiden. Ziel der hier durchgeführten makroökono-       mehren die zusätzlichen Einnahmen der öffentlichen
mischen Analyse ist es, diese direkten und indirekten    Hand aus Steuern und Sozialabgaben und reduzie-
Effekte widerspruchsfrei zu erfassen und ihre ökono-     ren gleichzeitig die Ausgaben für Sozialleistungen.
mischen Konsequenzen zu evaluieren.                      Es werden langfristig öffentliche Mittel frei, die zur
                                                         Schuldentilgung oder zur Finanzierung weiterer, aus
Zunächst sind zwei direkte Effekte des Investitions-     gesellschaftlicher Sicht sinnvoller Investitionen ver-
programms zu beachten. Erstens trägt ein Ausbau          wendet werden können.
der Ganztagsbetreuung dazu bei, die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf zu fördern, indem er es Frauen     Der hier verwendete Modellrahmen bildet wesent-
mit Kindern im Grundschulalter ermöglicht, ihre Er-      liche Eigenschaften realer Volkswirtschaften ab, die
werbstätigkeit auszuweiten. Mit einem Wechsel aus        zur Verzerrung privater Investitions- und Arbeitsan-
geringfügiger Beschäftigung in Teilzeit oder Vollzeit    reize führen und die Notwendigkeit öffentlicher In-
bzw. aus Teilzeit in Vollzeit geht typischerweise ein    vestitionen bedingen. So sind im Modell wie auch in
Anstieg der Arbeitsproduktivität einher, der zusätzli-   der realen Welt viele private Haushalte kreditbe-
che Wachstumsimpulse setzt. Dieser erste direkte Ef-     schränkt und unvollständig gegen Einkommensrisiken
fekt, der auf eine Ausweitung der Beschäftigung auf-     versichert. Eine De-facto-Zugangsbeschränkung zum
grund einer verbesserten Ganztagsbetreuung von           Arbeitsmarkt für Frauen mit Kindern aufgrund feh-
Grundschulkindern zurückzuführen ist, ist der Be-        lender Ganztagsbetreuung verstärkt und verstetigt
treuungseffekt des Investitionsprogramms.                Einkommensrisiken für die besagten Frauen. Hinzu
                                                         kommt, dass die zu leistenden Steuer- und

                                                                                                                                     17
Zwischen Bildung und Betreuung. Volkswirtschaftliche Potenziale des Ganztags-Rechtsanspruchs für Kinder im Grundschulalter

                       Sozialabgaben der privaten Haushalte sowohl mit                              benenfalls nur um wenige Stunden erhöhen. Aus ge-
                       dem geleisteten Arbeitsvolumen als auch mit der Ent-                         samtwirtschaftlicher Sicht wird somit der Effekt auf
                       lohnung der Arbeit steigen. Diese Faktoren wirken                            die gesamtwirtschaftlich geleisteten Arbeitsstunden
                       sich negativ auf das Arbeitsangebot und die Anreize                          unterschätzt. Zweitens nimmt die Studie eine kons-
                       aus, in Fort- und Weiterbildung zu investieren. In Ver-                      tante Suchintensität der Unternehmen an. Diese An-
                       bindung mit Externalitäten treibt dies einen Keil zwi-                       nahme impliziert, dass die positiven Effekte einer
                       schen private und soziale Renditen,3 sodass dem Staat                        Steigerung der Unternehmensproduktivität die Such-
                       eine zentrale Rolle im Bildungsbereich und, aufgrund                         anreize der Unternehmen nicht beeinflussen. Des-
                       verschiedener Wechselwirkungen, auf den Arbeits-                             halb werden durch erhöhte Suchanreize verursachte
                       märkten zufällt.                                                             positive Impulse auf die Übergangsraten aus der Ar-
                                                                                                    beitslosigkeit in eine Beschäftigung bzw. in höher-
                       Aus diesen Gründen können öffentliche Investitionen                          wertige Beschäftigungsverhältnisse in der Analyse
                       in den Ausbau ganztägiger Angebote für Kinder an                             vernachlässigt, und die Beschäftigungseffekte wer-
                       Grundschulen – und die damit einhergehende Locke-                            den dementsprechend unterschätzt. Drittens werden
                       rung der De-facto-Marktzugangsbeschränkung für                               kurzfristige Effekte, die durch den keynesianischen
                       Mütter – alle Haushalte besserstellen (Pareto-Ver-                           Nachfragekanal erzeugt werden und zu einer vorü-
                       besserung) und einen wichtigen gesellschaftspoliti-                          bergehenden Stimulation der wirtschaftlichen Leis-
                       schen Beitrag leisten. Ob dies gelingt, hängt letztlich                      tungsfähigkeit führen, vernachlässigt.
                       davon ab, ob die Produktivitätsgewinne in Verbin-
                       dung mit der Entlastung des öffentlichen Haushalts
                       aufgrund steigender Einnahmen aus Einkommen-                                 Kennziffern
                       steuer und Sozialabgaben sowie sinkender Transfer-
                       zahlungen ausreichen, um die Kosten des Ausbaus                              Ziel der vorliegenden Studie ist es, den Effekt des
                       von Ganztagsangeboten für Grundschulkinder zu de-                            Ausbaus ganztägiger Angebote für Kinder im Grund-
                       cken. Antworten auf diese Frage kann das dieser Stu-                         schulalter auf die wirtschaftspolitischen Zielgrößen
                       die zugrundeliegende Modell liefern.                                         inklusives Wachstum und Tragfähigkeit der öffentli-
                                                                                                    chen Finanzen zu beziffern.
                       Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zu beach-
                       ten, dass diese Studie nur einen Teil der möglichen                          Der Analyse werden zunächst die üblichen wirt-
                       Anpassungsreaktionen der Haushalte und Unter-                                schaftspolitischen Erfolgsmaße zu Wachstum und
                       nehmen berücksichtigt. Insbesondere werden drei                              Beschäftigung vorangestellt, um eine allgemeine
                       Transmissionskanäle vernachlässigt, die tendenziell                          Einordnung der Ergebnisse zu erleichtern und einen
                       die positiven Effekte des Investitionsprogramms                              Rahmen für die weitergehende Analyse zu schaffen.
                       stärken, sodass die hier beschriebenen Ergebnisse                            Wachstumseffekte werden als langfristige Verände-
                       eine vorsichtige Abschätzung der Effekte am unte-                            rungen des realen Bruttoinlandsprodukts gemessen.
                       ren Rand des Spektrums liefern. Erstens wird die Zahl                        Die Wachstumsanalyse konzentriert sich also auf die
                       der Arbeitsstunden innerhalb einer Beschäftigungs-                           Beantwortung der Frage, inwieweit öffentliche In-
                       art (Vollzeitarbeit, Teilzeitarbeit, Minijob) in der Mo-                     vestitionen das Produktionspotenzial der deutschen
                       dellanalyse konstant gehalten. Diese Annahme ver-                            Volkswirtschaft stärken und so zu einer dauerhaften
                       einfacht die Analyse und die aufwendige Berechnung                           Steigerung des Wohlstands beitragen.4 Da der Para-
                       des Gleichgewichtsmodells. Damit wird jedoch aus-                            meter des inklusiven Wachstums den Anteil der Per-
                       geschlossen, dass infolge der Ganztagsbetreuung                              sonen am unteren Ende der Einkommensverteilung
                       einzelne Personen ihre Wochenarbeitszeiten gege-                             betrachtet, werden neben den Auswirkungen auf die

                       3   Die private Rendite beschreibt in diesem Zusammenhang die Rendite zusätzlicher Bildungsinvestitionen aus der Sicht einer einzelnen Erwerbsper-
                           son. Diese Rendite liegt dem Entscheidungskalkül der Person zugrunde und bestimmt ihre Entscheidung, in Fort- und Weiterbildung zu investieren.
                           Im Gegensatz dazu beinhaltet die soziale Rendite die zusätzlichen Effekte der individuellen Haushaltsentscheidungen auf gesamtwirtschaftlicher
                           Ebene, die sich beispielsweise in einem höheren Aufkommen aus Steuern und Sozialabgaben sowie geringeren Transferzahlungen der öffentlichen
                           Hand niederschlagen. Daher fallen die individuellen Bildungsinvestitionen typischerweise geringer aus, als es aus gesamtwirtschaftlicher Sicht
                           wünschenswert wäre.
                       4   In der ökonomischen Literatur wird der Wohlstandsbegriff häufig auf die Produktion von Wirtschaftsgütern und das monetäre Einkommen reduziert,
                           es werden jedoch auch alternative Wohlstandsindikatoren diskutiert. Der Sachverständigenrat hat die verschiedenen Beiträge in einem Bericht
                           zusammengefasst und eigene Vorschläge zum Thema ausgearbeitet (Sachverständigenrat 2010). In der wissenschaftlichen Literatur zu mikroökono-
                           misch fundierten makroökonomischen Modellen wird üblicherweise zur Analyse von Wohlstandsfragen eine Wohlfahrtsfunktion genutzt.

18
2 | Methodisches Vorgehen

Beschäftigung auch die Effekte auf die Arbeitslosig-                         bzw. ALG II) gemessen.7 Der zweite Ansatz zur Mes-
keit und die Beschäftigung im Niedriglohnsektor be-                          sung der wirtschaftlichen Inklusion zielt darauf ab, die
rechnet. Insofern werden die folgenden Kennziffern                           Chancenungleichheit für bestimmte Personengrup-
zu Wachstum und Beschäftigung betrachtet:                                    pen mit festen Merkmalen zu erfassen. In der vorlie-
                                                                             genden Studie wird diese Idee durch die Berechnung
• gesamtwirtschaftliche Produktion (Potenzial-                               von Einkommenslücken für die verschiedenen Perso-
    wachstum),                                                               nengruppen operationalisiert. Die Berechnung von
• Beschäftigung und Arbeitslosigkeit,                                        Einkommenslücken ist in der Literatur zur beruflichen
• Beschäftigung im Niedriglohnsektor – Anteil der                            Gleichstellung von Frauen üblich und kann auch auf
    Erwerbstätigen mit einem Bruttostundenlohn un-                           andere Personengruppen angewendet werden. Kon-
    terhalb der Niedriglohngrenze von zwei Dritteln                          kret wird in dieser Studie die wirtschaftliche Inklusion
    des Medianlohns.                                                         durch die folgenden Kennzahlen gemessen:8

Inklusion bedeutet Teilhabe aller Menschen am wirt-                          • Armutsquote – Anteil der Erwerbspersonen in
schaftlichen und gesellschaftlichen Leben. Inklusives                            Grundsicherung (ALG-II-Bezug),9
Wirtschaftswachstum ist ein wirtschaftliches Wachs-                          • Einkommenslücke der Frauen mit Kindern,
tum, das allen Menschen die Möglichkeit bietet, am                           • Einkommenslücke der alleinerziehenden Frauen,
wirtschaftlichen Erfolg teilzuhaben (Chancengleich-                          • erwartete Einkommenslücke von Kindern aus bil-
heit). Diese Definition wirft die Frage auf, wie die Idee                        dungsfernen Familien.
der „Gleichheit der Möglichkeiten“ durch messbare
Kennzahlen operationalisiert werden kann. Der übli-                          Für eine umfassende gesamtwirtschaftliche Beurtei-
che Ansatz in der angewandten Literatur ist, die Un-                         lung des öffentlichen Ausbaus ganztägiger Angebote
gleichheit der Wohlstandsverteilung als Kennziffer der                       für Grundschulkinder müssen darüber hinaus die fis-
Evaluation zu verwenden und den individuellen Wohl-                          kalischen Konsequenzen und die damit verbundene
stand durch das (Lebens-)Einkommen einer Person                              Frage der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen be-
oder eines Haushalts zu messen.5 Diese Vorgehens-                            rücksichtigt werden. Öffentliche Investitionen erzeu-
weise wird auch in der vorliegenden Studie verfolgt,                         gen fiskalische Kosten, denen fiskalische Gewinne
wobei zwei konzeptionell unterschiedliche Methoden                           durch Mehreinnahmen aus Steuern und Sozialversi-
zur Messung der Ungleichheit verwendet werden.6                              cherungsbeiträgen sowie rückläufige Transferzahlun-
                                                                             gen gegenüberstehen. Wenn ein öffentliches Investi-
Die erste Methode betrachtet die Verteilung der                              tionsprogramm hinreichend hohe fiskalische Gewinne
Bruttojahreseinkommen und identifiziert Ungleich-                            erwirtschaftet, dann verkleinert es langfristig die
heit anhand der Zahl der Erwerbspersonen und Haus-                           staatliche Schuldenquote und verbessert damit die
halte am unteren Ende der Einkommensverteilung. In                           Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen.
der vorliegenden Studie wird diese Art der wirtschaft-
lichen Inklusion durch den Anteil der Erwerbsperso-                          Die fiskalischen Auswirkungen eines öffentlichen In-
nen im Grundsicherungsbezug (Arbeitslosengeld II                             vestitionsprogramms werden in dieser Studie durch

5   Einige Studien zu Verteilungsfragen verwenden das Vermögen als Kennzahl des individuellen Wohlstands (siehe Grabka und Westermeier 2014 für
    eine empirische Untersuchung der Vermögensungleichheit in Deutschland).
6   Theorien der Chancengleichheit („equal opportunity”) unterscheiden üblicherweise zwischen einem Ex-ante-Zustand („Start des Rennens“) und
    einem Ex-post-Zustand („Ergebnis des Rennens“) und leiten dann Ex-ante-Gleichheit aus fundamentalen Axiomen ab (siehe Rawls 1981 für die wohl
    bekannteste Anwendung dieser Methode und Roemer 1998 für eine ausführliche Diskussion der verschiedenen Ansätze in der Literatur). Die erste
    der hier vorgestellten Methoden legt den Ex-ante-Zustand auf einen Zeitpunkt während des Erwerbslebens, während die zweite den Ex-ante-Zeit-
    punkt teilweise (Frauen mit Kindern) oder ganz (Kinder aus bildungsfernen Familien) vor den Beginn des Erwerbslebens legt. Hayek (1960) plädiert
    für eine Theorie der Chancengleichheit, die den Ex-ante-Zeitpunkt so weit zurücksetzt, dass nur für Dynastien Chancengleichheit gelten muss, nicht
    aber für Kinder unterschiedlicher Herkunft.
7   Mit Ausnahme der hier definierten Armutsquote werden die obigen Kennziffern allgemein in der internationalen Literatur verwendet. Siehe zum
    Beispiel Kapitel 2, „Integrating Inclusiveness into the Going for Growth Framework“, der OECD-Studie Going for Growth (2017).
8   Die Einkommenslücken beziehen sich auf das jährliche Bruttoarbeitseinkommen der jeweiligen Gruppen und werden berechnet als prozentuale
    Abweichung des Durchschnittseinkommens der Gruppe vom Durchschnittseinkommen der Komplementärgruppe (Vergleichsgruppe). Für weitere
    Überlegungen zur Entwicklung der Einkommensungleichheit und der sozialen Mobilität in Deutschland siehe auch BMF (2017).
9   Im Gegensatz zur Armutsgefährdungsquote basiert die hier verwendete Armutsquote auf einem durch die Gesellschaft definierten absoluten Maß
    der Armut. Zudem ist die Verweildauer im ALG-II-Bezug im Durchschnitt sehr hoch, sodass Personen in Grundsicherung nicht nur über ein aktuell
    niedriges Einkommen verfügen, sondern auch ein niedriges Lebenseinkommen zu erwarten haben. Beispielsweise sind über drei Viertel der Langzeit-
    arbeitslosen auch nach einem Jahr noch langzeitarbeitslos. Die hier untersuchte Armutsquote ist eng verbunden mit der Altersarmutsquote, die in
    der Studie von Haan et al. (2017) ausführlich diskutiert wird.

                                                                                                                                                                        19
Zwischen Bildung und Betreuung. Volkswirtschaftliche Potenziale des Ganztags-Rechtsanspruchs für Kinder im Grundschulalter

                       die Entwicklung der öffentlichen Nettomehreinnah-                          Kalibrierung
                       men bzw. Nettomehrausgaben und der damit verbun-
                       denen Entwicklung der staatlichen Schuldenquote                            Die Modellparameter wurden so gesetzt, dass das ka-
                       dargestellt. Die Tragfähigkeit der öffentlichen Fi-                        librierte Modell mit der relevanten mikroökonomi-
                       nanzen wird mittels der fiskalischen Amortisations-                        schen und makroökonomischen Evidenz in Einklang
                       zeit und der langfristigen Entwicklung der staatlichen                     steht. Neben einer Vielzahl von aus den Daten ge-
                       Schuldenquote (Staatsschuldenquote im Jahr 2050)                           wonnenen statistischen und ökonomischen Kennzif-
                       operationalisiert. Die fiskalische Amortisationszeit                       fern bildet das kalibrierte Modell insbesondere drei
                       definiert den Zeitpunkt, zu dem die öffentliche Ver-                       wesentliche Eigenschaften des deutschen Arbeits-
                       schuldung nach kurzem Anstieg aufgrund der anfal-                          markts realistisch ab.
                       lenden Investitionskosten ihr ursprüngliches Niveau
                       wieder erreicht hat. Ein öffentliches Investitionspaket                    Erstens impliziert es eine Verteilung der Haushalte
                       mit geringer fiskalischer Amortisationszeit senkt die                      über Haushaltstypen sowie der Erwerbspersonen
                       Staatsschuldenquote für kommende Generationen                              über Beschäftigungszustände, die der empirischen
                       und verbessert so die Tragfähigkeit der öffentlichen                       Verteilung der Haushalte und Erwerbspersonen im
                       Finanzen. Insgesamt verwendet diese Studie die fol-                        Alter von 20 bis 64 Jahren entspricht. Zweitens bil-
                       genden Kennziffern der fiskalischen Effizienz:                             det das zugrundeliegende Modell das Suchverhalten
                                                                                                  der Arbeitslosen, der geringfügig Beschäftigten und
                       • öffentliche Nettomehreinnahmen,                                          der teilzeitbeschäftigten Erwerbspersonen in einer
                       • langfristige Staatsschuldenquote,                                        empirisch fundierten, mit mikroökonomischen Stu-
                       • fiskalische Amortisationszeit.                                           dien konsistenten Weise ab. Drittens entsprechen die
                                                                                                  im Modell ausgedrückten Korrelationen zwischen der
                       In der wirtschaftspolitischen Debatte wird die Tragfä-                     Beschäftigungsart (Vollzeitarbeit, Teilzeitarbeit, Mini-
                       higkeit der öffentlichen Finanzen häufig mit der Frage                     job) und der Arbeitsproduktivität den jeweiligen em-
                       der Generationengerechtigkeit in Verbindung ge-                            pirischen Werten. Eine detaillierte Beschreibung der
                       bracht.10 Fiskalisch nachhaltige öffentliche Investiti-                    Kalibrierung findet sich im Anhang sowie in Krebs
                       onen senken langfristig die staatliche Schuldenquote                       und Scheffel (2015, 2016a, 2016b, 2017).
                       und verringern so die Schuldenlast für kommende Ge-
                       nerationen. Damit tragen sie zur Erhöhung der Gene-                        Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zu beach-
                       rationengerechtigkeit bei.                                                 ten, dass mittels des gesamtwirtschaftlichen Modells
                                                                                                  nur reale Größen bestimmt wurden. Um die jeweili-
                                                                                                  gen nominalen Größen zu erhalten, wurden die realen
                                                                                                  Größen mit dem entsprechenden Preisdeflator für
                                                                                                  2017 multipliziert.11

                       10 Der BMF-Monatsbericht zur BMF-Tragfähigkeitskonferenz am 30. Mai 2016 formuliert dies in der Präambel wie folgt: „Die Sicherung fiskalischer
                          Tragfähigkeit ist finanzpolitische Daueraufgabe und Auftrag der Generationengerechtigkeit.“ (BMF 2016)
                       11 Für 2017 wurde das Bruttoinlandsprodukt 2017 auf 3.237 Milliarden Euro angesetzt, die Zahl der Erwerbspersonen auf 45,7 Millionen.

20
Sie können auch lesen