Wahlen in Burundi: Rückschlag für die Demokratie - Rolf Hofmeier
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Nummer 6 2010 ISSN 1862-3603 Wahlen in Burundi: Rückschlag für die Demokratie Rolf Hofmeier Die meisten Oppositionsparteien Burundis haben die Präsidentschaftswahlen am 28. Juni und die Parlamentswahlen am 23. Juli 2010 boykottiert. Der Grund dafür waren ungeklärte Vorwürfe der Wahlfälschung bei den Gemeinderatswahlen am 24. Mai. Analyse Nach einer langen Bürgerkriegs- und Übergangsphase sollte der diesjährige Wahl- zyklus entscheidend zur Konsolidierung der eingeleiteten demokratischen Entwick- lung beitragen; er endete aber in einem Fiasko. Die 2005 nach ethnischem und partei- politischem Proporz gebildete Koalitionsregierung zur Überwindung der ethnischen Bipolarität von Hutu und Tutsi wurde eindeutig von der Mehrheitspartei CNDD-FDD, einer ehemaligen Hutu-Rebellenbewegung, dominiert; seit dem umstrittenen Wahlsieg der Regierungspartei steht nun erneut die gewaltsame Austragung von Konflikten zu befürchten. Die Allparteienregierung, die 2005 im Rahmen eines demokratischen Konkordanz- modells gebildet worden war, hatte nicht zu einer fairen Machtteilung (power-sharing) geführt, sondern zur nahezu uneingeschränkten Dominanz der größten Hutu-Partei. Im Vorfeld des diesjährigen Wahlzyklus agierte die Regierung mit verschärfter Re- pression gegen oppositionelle Kräfte. Erstmals konkurrierten drei mehrheitlich Hutu-orientierte Parteien gegeneinander. Die frühere ethnische Polarisierung zwischen Hutu und Tutsi war offenbar wesent- lich entschärft, aber nicht völlig aufgehoben worden. Nachdem in Bezug auf die Kommunalwahlen Fälschungsvorwürfe laut wurden, die allerdings nur unzureichend belegt waren, boykottierten die meisten Opposi- tionsparteien die weiteren Wahlgänge und überließen der CNDD-FDD und der Tutsi- Partei UPRONA das Feld. Die teils unversöhnliche Konfrontation zwischen Opposition und Regierung und die Flucht führender Oppositionspolitiker haben Sorgen vor neuen bewaffneten Rebellenaktionen aufkommen lassen. Schlagwörter: Burundi, Wahlen, ethnische Polarisierung, Konkordanzsystem, Machtteilung (power-sharing) www.giga-hamburg.de/giga-focus
Entgleister Wahlzyklus Da Regierung und Wahlkommission keiner- lei Bereitschaft zur Behandlung der Vorwürfe Die vier Wahlen im Mai, Juni und Juli 2010 zu zeigten, zogen alle sechs Kandidaten der Oppositi- Gemeinderäten, Präsidentschaft, Parlament und on für die am 28. Juni angesetzte Präsidentschafts- Senat waren im Vorfeld von allen Beobachtern als wahl – die im Gegensatz zu der im Jahr 2005 als entscheidender Test für die erhoffte Konsolidie- Direktwahl durchgeführt werden sollte – aus Pro- rung der Demokratie in Burundi angesehen wor- test ihre Beteiligung zurück. So blieb Präsident den. Indessen hatte es schon seit längerem Anzei- Pierre Nkurunziza von der CNDD-FDD der ein- chen für ein hochgradig angespanntes innenpoli- zige Kandidat. Trotz der Boykottaufrufe der Op- tisches Klima und für wenig gedeihliche Rahmen- position wurde er bei einer Wahlbeteiligung von bedingungen der Wahlen gegeben. Dennoch war 77 Prozent mit 91 Prozent der abgegebenen Stim- der Wahlkampf bis zu den Kommunalwahlen am men wiedergewählt. 24. Mai, an denen sich 25 Parteien, davon nur sie- Ungeachtet der Appelle der internationalen Ge- ben mit einiger Relevanz, beteiligten, zunächst meinschaft, sich am demokratischen Prozess zu be- weitgehend ordentlich und ohne größere Protes- teiligen, hielten die meisten Oppositionsparteien te verlaufen; nationale und internationale Wahl- auch zu den Parlamentswahlen am 23. Juli an ih- beobachter bestätigten einen insgesamt positiven rem Boykott fest. Von den größeren Oppositions- Ablauf dieses Wahlgangs zu den Gemeinderäten. parteien stellte neben der CNDD-FDD lediglich Nach der Bekanntgabe der vorläufigen Ergeb- die UPRONA Kandidaten in allen Wahlkreisen nisse der Kommunalwahlen kam es dann aller- auf; darüber hinaus traten nur eine eher unbedeu- dings zu einem Eklat, der zum Auslöser für die tende Abspaltung der FRODEBU und einige Mini- weitere konfrontative Entwicklung wurde. Der parteien an. Bei einer Wahlbeteiligung von 67 Pro- genannte Stimmanteil der Regierungspartei Con- zent erhielten die CNDD-FDD 81, UPRONA 17 seil National pour la Défense de la Démocratie – und die FRODEBU-Nyakuri fünf Sitze im neuen Forces Nationales de Libération (CNDD-FDD) Parlament, nachdem durch Kooptation einzelner in Höhe von 62 Prozent wurde von allen ande- Personen die verfassungsmäßig vorgeschriebenen ren Parteien als Schock und völlig unglaubwür- Quoten (Verhältnis Hutu zu Tutsi 60:40 Prozent, dig empfunden. Demgegenüber hatte die erst seit Frauenanteil 30 Prozent) hergestellt worden wa- einem Jahr zur politischen Partei konvertierte ehe- ren. Ferner berief die Wahlkommission drei Ver- malige Hutu-Rebellengruppe Forces Nationales treter der ethnischen Twa-Minderheit in das Par- de la Libération (FNL) nach offiziellen Angaben lament. nur 15 Prozent erhalten, die frühere Tutsi-domi- Den Abschluss des Wahlzyklus bildete am 28. nierte Einheitspartei Unité pour le Progrès Natio- Juli die indirekte Wahl von 34 Senatoren durch die nal (UPRONA) 7,9 Prozent und die ursprünglich im Mai gewählten Gemeinderäte in den 17 Provin- führende Hutu-Partei Front pour la Démocratie zen; auch bei dieser Wahl verweigerten viele Op- au Burundi (FRODEBU), die 1993 die ersten frei- positionsvertreter die Teilnahme. Unter Berück- en Wahlen gewonnen hatte, gar nur 6,4 Prozent. sichtigung der ethnischen Proporzregel (jeweils Im vereinten Protest gegen die Wahlergebnisse ein Hutu und ein Tutsi pro Provinz) stellten im bildeten daraufhin zwölf der wichtigsten Oppo- Ergebnis CNDD-FDD 32 und UPRONA zwei Se- sitionsparteien – außer UPRONA – die Alliance natoren; außerdem gehörten dem Senat drei Twa des Démocrates pour le Changement (ADC). Sie und die vier ehemaligen Staatspräsidenten an. warfen der Regierung Wahlfälschung vor, forder- Durch den Wahlboykott der meisten Opposi- ten die Auflösung der Wahlkommission und ei- tionsparteien war somit in den neu zusammenge- nen erneuten Wahlgang und kritisierten die Rol- setzten politischen Institutionen eine völlig ein- le der internationalen Geber und Wahlbeobachter: seitige Konstellation entstanden. Einige Kommen- Man habe sich lediglich auf den friedlichen Wahl- tatoren fühlten sich sogar an unselige Zeiten der ablauf konzentriert, eine unabhängige Prüfung früheren Einheitspartei erinnert, obgleich immer- der Wahlergebnisse sei nicht erfolgt. Unabhängig hin die UPRONA noch ein begrenztes Korrektiv von diesen Vorwürfen war jedoch festzustellen, bildete. Zwar waren die einzelnen Wahlgänge äu- dass der CNDD-FDD ganz offensichtlich der Bo- ßerlich ruhig und ohne Gewalt verlaufen, aber in nus der dominierenden Regierungspartei zugute dem zunehmend aufgeheizten politischen Klima gekommen war. befürchtete die Opposition eine weitere Zunahme GIGA Focus Afrika 6/2010 -2-
der Einschüchterung und Repression durch die schen den ethnischen Gruppen und die Militär- staatlichen Sicherheitsorgane. Bis Anfang August herrschaft blieben unverändert. hatten sich daher drei der wichtigsten Parteiführer Erst in Reaktion auf die scharfe internationa- des Landes, die von FNL, CNDD und Mouvement le Verurteilung der letzten Pogrome 1988 leite- pour la Solidarité et le Développement (MSD), ins te Staatschef Pierre Buyoya eine vorsichtige poli- Ausland abgesetzt, während andere Oppositions- tische Liberalisierung und einen nationalen Ver- Führer an der ADC-Allianz festhielten und an- söhnungsversuch ein. Eine Regierung der na- kündigten, eine Rolle als außerparlamentarische tionalen Einheit mit einer gleichen Anzahl von Opposition spielen zu wollen. Gerüchte über eine Hutu- und Tutsi-Ministern sowie einem Hutu- Wiederaufnahme bewaffneter Guerillaaktionen Premierminister bildete einen ersten Schritt zu ei- machten die Runde; für eine Entspannung und ner Machtteilung (power-sharing) zwischen den die Bereitschaft zum Dialog zwischen den verfein- verschiedenen Gruppen, allerdings erfolgte die- deten Lagern gab es vorläufig keine Anzeichen. ser Schritt noch im Rahmen der alten Einheitspar- Wie konnte es zu dieser gefährlichen Zuspit- tei UPRONA und ohne die uneingeschränkte Ge- zung und Entgleisung eines von langer Hand und währ demokratischer Prinzipien. mit massiver externer Unterstützung anscheinend Dies änderte sich im Zuge des allgemeinen ordentlich vorbereiteten Wahlprozesses kommen? demokratischen Aufbruchs in Afrika Anfang Zur Beantwortung dieser Frage ist ein Rückblick der 1990er Jahre. Die im März 1992 angenom- auf die jüngere Geschichte des Landes und auf die mene neue Verfassung Burundis sah eine demo- extrem komplexen politisch-institutionellen Rah- kratische Ordnung und ein Mehrparteiensystem menbedingungen vor den Wahlen unverzichtbar. vor. Erste freie Wahlen im Juni 1993 endeten zur Überraschung Buyoyas und vieler Beobachter mit einem deutlichen Sieg der überwiegend von Hutu Konflikte und Machtkonstellationen 1962-2005 getragenen neuen Partei FRODEBU. Deren Füh- rer Melchior Ndadaye wurde zum neuen Staats- Basierend auf weit zurückreichenden präkolonia- präsidenten gewählt. Ganz offensichtlich hatte die len Sozialstrukturen waren Politik und Gesell- ethnische Mobilisierung eine entscheidende Rolle schaftsordnung Burundis seit der Unabhängig- gespielt und der Tutsi-orientierten UPRONA kei- keit 1962 von einer eklatanten ethnischen Bipo- ne Chance gelassen; angesichts der Vergangenheit larität und einer extrem ungleichen Machtvertei- war dies nicht wirklich überraschend. lung geprägt. Bis heute wird, auch wenn aktu- Die von Ndadaye gebildete Regierung stellte ellere Zensusdaten fehlen, durchgängig von einer zwar nominell eine ausgewogene große Koalition ethnischen Verteilung von etwa 85 Prozent Hutu, von Hutu und Tutsi beziehungsweise von FRO- 14 Prozent Tutsi und einem Prozent völlig margi- DEBU und UPRONA dar, darüber hinaus aber nalisierter Twa ausgegangen. Die Tutsi bildeten – gab es keinerlei Regelungen zur Verteilung staat- zunächst im Rahmen einer konstitutionellen Mon- licher Machtpositionen. Als sich der Eindruck ei- archie und gestützt von der belgischen Kolonial- ner schnellen Umkehrung der bisherigen Macht- macht – eine alle staatlichen Funktionen dominie- verhältnisse zugunsten der Hutu und eines mar- rende Oberschicht. Für die Hutu als arme Bauern- kanten Einflussverlusts der UPRONA verstärk- schaft blieben nur geringe Zugangsmöglichkeiten te, kam es im Oktober 1993 zu einem erneuten zu gehobeneren Positionen. Eine erste Hutu-Re- Putschversuch eines Teils des Tutsi-Militärs mit bellion wurde im Jahr 1965 brutal niedergeschla- dem Ziel, die „gewohnte“ Ordnung wiederherzu- gen; die Ereignisse führten 1966 zur Abschaffung stellen; Ndadaye wurde ermordet. der Monarchie und zur Machtübernahme des Mi- Der Niederschlagung des Putsches folgte ein litärs. Zwischen 1966 und 1993 regierten jeweils umfangreicher Gewaltexzess gegen Tutsi, der seit- nach Staatsstreichen drei Tutsi-Militärchefs das her von vielen Tutsi als ein Genozidversuch an- Land. Ein Aufbegehren der Hutu wurde nachhal- gesehen wird. Damit hatten die ersten demokra- tig unterdrückt und die Auseinandersetzungen tischen Wahlen, die ohne im Vorhinein festgelegte kulminierten 1972 in umfangreichen Massakern ausreichende Schutzklauseln für die um ihre Si- an der Hutu-Elite und einer großen Flüchtlings- cherheit und ihren Einfluss besorgte Tutsi-Min- welle nach Tansania; dem folgten 1988 neue Auf- derheit durchgeführt worden waren, zu einem stände und Pogrome. Die Machtverteilung zwi- massiven Rückschlag für die eingeleitete natio- GIGA Focus Afrika 6/2010 -3-
nale Versöhnung und zu einer neuen Polarisie- Erst das Waffenstillstandsabkommen im Novem- rung der ethnischen Lager geführt. ber 2003 zwischen der Übergangsregierung und Unter UN-Vermittlung wurde in der Folgezeit den CNDD-FDD-Rebellen, das deren Beteiligung in zähen Verhandlungsrunden zwischen mehr- an Regierung und Parlament sicherte, brachte ei- heitlich Hutu- und Tutsi-orientierten Parteien ver- nen entscheidenden Schritt zur Konfliktbeilegung sucht, Kompromissregelungen für eine von allen und führte zu einer neuen politischen Konstella- beteiligten politischen Lagern getragene Machttei- tion. lung zu finden. Vorrangig ging es dabei um die Allerdings blieb die FNL als letzte aktive Re- quotierte Verteilung von Posten, kaum um eine bellengruppe noch länger im Abseits. Sie unter- substantielle Behandlung der zu Grunde liegen- zeichnete zwar im September 2006 ein Waffenstill- den strukturellen Gegensätze. Zugleich verwei- standsabkommen mit der 2005 neu gewählten Re- gerten wichtige Akteure auf beiden Seiten der eth- gierung, verzögerte jedoch dessen Umsetzung im- nischen Trennlinie jede Bereitschaft zu einer Kon- mer wieder und sorgte mit Gewaltaktionen in ei- sensfindung. Das Land wurde von schwachen Ko- nigen Landesteilen noch bis 2008 für Unruhe. Erst alitionsregierungen aus Hutu- und Tutsi-Parteien Anfang 2009 erfolgte die endgültige Demobilisie- regiert, die von zwei Hutu-Übergangspräsidenten rung der letzten Kämpfer und im April 2009 die geführt wurden. formelle Umwandlung der FNL in eine reguläre Ab Mitte 1994 begannen verschiedene Hutu- politische Partei. Dabei musste sie ihren Tradi- Rebellengruppen einen Bürgerkrieg gegen die Re- tionsnamen Palipehutu wegen unzulässiger eth- gierung; im Juli 1996 übernahm der Tutsi-Gene- nischer Konnotation aufgeben. ral Buyoya durch einen Militärputsch erneut die Die entscheidende Zäsur war zuvor das Refe- Macht. Offenkundig war in dieser Phase die in- rendum im März 2005 über eine neue Verfassung, ternational vermittelte Machtteilung nicht aus- die unter Einflussnahme externer Berater, insbe- reichend lokal verankert und am tiefsitzenden sondere aus Südafrika, ausgearbeitet worden war Misstrauen der Akteure gescheitert. Der Bürger- und sich weitgehend an den Grundlinien des Aru- krieg, der rund ein Jahrzehnt dauern sollte, hatte sha-Abkommens orientierte. Diese bis heute un- nach gängigen Schätzungen etwa 300.000 Todes- verändert gültige Verfassung mit ihren komple- opfer und noch viel mehr Flüchtlinge, vor allem xen Machtteilungsregelungen bildete die grund- nach Tansania, zur Folge. Neben verschiedenen legende Plattform für den Mitte 2005 durch freie kleineren Gruppierungen bildeten CNDD-FDD Wahlen eingeleiteten Neubeginn. und Parti pour la Libération du Peuple Hutu-FNL (Palipehutu-FNL) die wichtigsten bewaffneten Arme der Hutu-Rebellion. Demokratischer Neubeginn 2005 Konfrontiert mit stringenten politischen und wirtschaftlichen Sanktionen der Nachbarländer Der zentrale Ansatz der neuen Verfassung be- konnte sich Buyoyas Militärregime allerdings stand darin, mit sehr detaillierten Quotierungs- nicht länger dem Mitte 1998 begonnenen regio- vorschriften eine sorgfältige Balance und ein kom- nalen Vermittlungsprozess, der anfangs vom tan- plexes Machtteilungsgeflecht zwischen den ver- sanischen Ex-Präsidenten Julius Nyerere, spä- schiedenen Gruppeninteressen dauerhaft festzu- ter von Nelson Mandela geleitet wurde, entzie- schreiben. Um den Sicherheitsbedürfnissen und hen. Im August 2000 mündete dieser Prozess im Sorgen der Tutsi vor dem schieren zahlenmäßigen Friedensabkommen von Arusha. Das von Buyo- Übergewicht der Hutu Rechnung zu tragen, wur- ya, dem Parlament und 17 Hutu- und Tutsi-ori- de das demokratische Grundprinzip der Propor- entierten Parteien unterzeichnete Abkommen re- tionalität mit einer Überrepräsentation der Tutsi- gelte die Modalitäten für eine mehrjährige Über- Minderheit verknüpft. Damit sollte eine Machttei- gangsphase und für ein grundsätzlich auf fairer lung der beiden Ethnien zementiert und ein Rück- Machtteilung der verschiedenen gesellschaft- fall in die frühere ethnische Bipolarität verhindert lichen Gruppen beruhendes komplexes neues po- werden. litisches System. Diese verfassungsrechtliche Konstruktion war Größtes Manko des Abkommens war jedoch, stark an das Modell der sogenannten Konkordanz- dass aktive Rebellengruppen nicht beteiligt waren demokratie (consociational democracy) von Arend und ihre Gewaltaktionen unverändert fortsetzten. Lijphart angelehnt, wie es mit Modifikationen in GIGA Focus Afrika 6/2010 -4-
Belgien, Südafrika und der Schweiz mit ihren zer- nozids von 1994 eine entgegengesetzte Schlussfol- klüfteten Gesellschaften praktiziert wird. Danach gerung gezogen hat, nämlich die Negierung der legte die Verfassung fest, dass das Parlament aus ethnischen Identitäten; hier wird jeder Form des 60 Prozent Hutu und 40 Prozent Tutsi zu beste- sogenannten „Divisionismus“, also jeder proble- hen habe, mit einer zusätzlichen Frauenquote von matisierende Verweis auf die Existenz von Hutu mindestens 30 Prozent. Wenn Wahlergebnisse von und Tutsi, scharf verfolgt. diesen Relationen abweichen, hat die Wahlkom- Auf Grundlage der neuen Verfassung und un- mission durch Kooptation weiterer Personen da- ter UN-Aufsicht wurden im Juli 2005 Parlaments- für zu sorgen, dass die vorgeschriebenen Quoten wahlen in Burundi abgehalten. Diese Wahlen wur- erreicht werden. Im Senat wird jede der 17 Provin- den allgemein als weitgehend frei und fair einge- zen durch je einen Hutu und einen Tutsi vertre- schätzt und endeten mit einem überwältigenden ten. An der Regierung sind alle die Parteien mit Sieg der Ex-Rebellen CNDD-FDD mit 58 Prozent der Ministern zu beteiligen, die mindestens fünf Pro- Stimmen gegenüber den Altparteien FRODEBU mit zent der Stimmen erhalten haben, wobei auch für 22 und UPRONA mit sieben Prozent und der (in- die Regierungsämter eine feste Quotierung von direkten) Wahl von Pierre Nkurunziza zum Prä- 60 Hutu zu 40 Tutsi gilt; auch für wichtige andere sidenten. staatliche Positionen gilt eine entsprechende Quo- tierung. In den Parteien soll eine mono-ethnische Zusammensetzung verhindert werden. Entspre- Allparteienregierung 2005-2010 chend verlangt die Verfassung, dass in den Kan- didatenlisten für Wahlen nicht mehr als 67 Pro- Die Zusammensetzung der neu gebildeten Regie- zent Vertreter einer Ethnie repräsentiert sein dür- rung orientierte sich generell an den ethnischen fen (außerdem mindestens 25 Prozent Frauen). und parteipolitischen Proporzvorschriften der So müssen nun alle Parteien eine gemischte Mit- Verfassung. Dieses Grundmuster konnte – trotz gliedschaft aufweisen, selbst wenn sie faktisch im- Abspaltungen und zahlreicher personeller Verän- mer noch als mehrheitlich Hutu- beziehungswei- derungen in allen Parteien – während der ganzen se Tutsi-orientiert gelten. Legislaturperiode beibehalten werden. Ein wesentlicher Faktor zur Absicherung der Dennoch wurde die dominierende CNDD-FDD politischen Institutionen und zur Verhinderung zunehmend als faktische Regierungspartei wahr- neuer Putschversuche ist die ethnische Quotie- genommen, während FRODEBU und UPRONA, rung aller Sicherheitsorgane (Militär, Polizei, Ge- obgleich im Kabinett vertreten, als Oppositions- heimdienste), die nach dem Abkommen von 2003 parteien galten und sich auch selbst so gerierten. aus den bis dahin Tutsi-dominierten staatlichen In der Folge wurden politische Abläufe und Ent- Einheiten und den Ex-Rebellen von CNDD-FDD scheidungen wiederholt blockiert. So gab es 2007 gebildet wurden, im Verhältnis 50:50. Diese Inte- für viele Monate keine handlungsfähige Mehr- gration hat erstaunlich gut funktioniert, und die heit im Parlament. Am Konkordanzprinzip der hohe Überrepräsentation der Tutsi im Vergleich Beteiligung aller wichtigen Gruppierungen wur- zu ihrem Bevölkerungsanteil, weiterhin insbeson- de formal festgehalten, obwohl innerhalb der poli- dere bei den Offiziersgraden, soll diesen ein Ge- tischen Klasse tatsächlich kaum Bereitschaft zu ei- fühl der Sicherheit vermitteln. ner konsensualen Zusammenarbeit gegeben war. Diese Form der festen Quotierung aller wich- Schon bald setzte im Hinblick auf die als macht- tigen staatlichen Funktionen, wie sie im heutigen entscheidend angesehene Wahl 2010 ein immer Burundi praktiziert wird, ist weltweit einmalig. schärfer werdender Konkurrenzkampf ein, ins- Eine Voraussetzung dafür war die im Zuge des besondere zwischen den sich vorwiegend an die Arusha-Friedensprozesses und der Verfassungs- Hutu-Bevölkerung wendenden CNDD-FDD und gestaltung getroffene Entscheidung, dass alle Bu- FRODEBU. Ab 2009 verschärfte das Auftreten der runder sich mit einer der drei nationalen Ethnien FNL als nunmehr dritter Hutu-orientierter Partei identifizieren müssen. Die Politik einer festge- diese Konkurrenzsituation zusätzlich. Gleichzei- legten Machtteilung bildet einen eklatanten Kon- tig verbreitete sich ein zunehmend autoritäreres trast zur Vorgehensweise im Nachbarland Ruan- politisches Klima mit massiven Einschüchte- da, das bei nahezu deckungsgleicher ethnischer rungen der politischen Gegner durch die im In- Struktur und Geschichte aus dem Trauma des Ge- teresse der CNDD-FDD agierenden Staatsorgane. GIGA Focus Afrika 6/2010 -5-
Nationale und internationale Nichtregierungsor- korrekter Wahlabläufe durch EU-Wahlbeobachter ganisationen beklagten wiederholt die Zunahme ohne politischen Effekt. von Menschenrechtsverletzungen. Die Weichenstellungen von 2005 haben die politischen Koordinaten Burundis entscheidend Was hat die Arithmetik der Machtteilung verändert. Die scharfe ethnisch-parteipolitische gebracht? Bipolarität bildet nicht länger das Zentrum der politischen Auseinandersetzungen, obgleich die Am 26. August 2010 wurde Präsident Nkurunziza, Tutsi in ihrer sozioökonomischen Stellung gegen- ungeachtet der Proteste der Opposition, für eine über den mehrheitlich armen Hutu-Bauern noch zweite Amtszeit vereidigt; drei Tage später wurde immer deutlich privilegiert sind, was auf abseh- die neue Regierung gebildet. Die international als bare Zeit auch so bleiben dürfte. Von den Tutsi formal korrekt akzeptierten Wahlen haben dazu wird die paritätische Zusammensetzung der Sicher- geführt, dass fortan alle politischen und adminis- heitsorgane bisher offensichtlich als ausreichender trativen Entscheidungen von dem Regierungstan- Schutz gegen einen totalen Machtverlust angese- dem aus CNDD-FDD und UPRONA kontrolliert hen. Die Entschärfung des historischen Hutu-Tutsi- werden (außerdem ein Minister von FRODEBU- Konfliktmusters scheint durch eine sehr viel kom- Nyakuri). Alle anderen größeren Parteien haben plexere Verschränkung der Eliten bislang einiger- sich durch ihren Boykott vorläufig selbst von ei- maßen geglückt zu sein. Die politische Auseinan- ner Beteiligung an der politischen Willensbildung dersetzung hat sich weitgehend auf einen „klas- im Lande ausgeschlossen. Eine von ihnen wohl er- sischen“ Machtkampf zwischen rivalisierenden hoffte massive internationale Unterstützung für Gruppen um Einfluss und Pfründe verlagert, wo- den Boykott und für die Erzwingung neuer Wah- bei die festgezurrten Machtteilungsvorgaben ein len hat es bisher nicht gegeben und ist auch nicht sehr spezifisches, anderswo nicht gegebenes Ele- absehbar. Damit ist der Grundansatz des Konkor- ment bilden. Die drei größeren Hutu-orientierten danzmodells, die proporzmäßige Beteiligung al- Parteien konkurrieren heute mit ihrem unterschied- ler einflussreichen politischen Gruppierungen am lichen Vergangenheitsprofil – FRODEBU als zivile politischen System, zunächst faktisch außer Kraft Politikakteure beziehungsweise CNDD-FDD und gesetzt. FNL als Ex-Rebellen – um Gefolgschaft. Deutlich Ob und auf welche Weise es vielleicht doch noch differierende inhaltliche Programme haben bei den zu einer Annäherung und zu einer wieder inklu- Wahlen 2010 keine wesentliche Rolle gespielt. Aus- siveren Gestaltung der realen Machtverteilung im schlaggebend für den Erfolg der CNDD-FDD war Lande kommen könnte, ist derzeit völlig offen. Ein- wohl die Mischung aus erfolgreicher Rebellenge- schüchterungen und Bedrohungen gegenüber al- schichte, aktueller Dominanz und Vernetzung in len oppositionellen Kräften in Politik und Medi- allen staatlichen Bereichen. en durch staatliche Organe haben deutlich zuge- Spätestens seit dem Streit um die Einsetzung nommen. Drei prominente Parteiführer und Spre- einer Wahlkommission Anfang 2009 und der zu- cher der ADC haben sich ihrer möglichen Inhaftie- nehmenden innenpolitischen Verhärtung war ab- rung durch Flucht ins Ausland entzogen. Offenbar sehbar, dass es im Jahr 2010 möglicherweise zu haben staatliche Sicherheitsdienste versucht, eine einem äußerst schmutzigen Wahlkampf kommen Spaltung der oppositionellen FNL anzuzetteln. Es könnte. Doch trotz deutlich erkennbarer Warnsig- kursieren Gerüchte über eine mögliche Wieder- nale und extrem hoher Abhängigkeit der Regie- aufnahme bewaffneter Rebellenaktionen, und da- rung von internationaler Hilfe gelang es der inter- zu wäre am ehesten die FNL in der Lage, gleich- nationalen Gebergemeinschaft nicht, im Interesse wohl in nur sehr begrenztem Umfang. eines ordentlichen Wahlablaufs wirksamen Ein- Um einen solchen Rückfall in ein neuerliches fluss auf alle maßgeblichen Akteure auszuüben. Gewaltszenario zu vermeiden, erscheint es drin- Auch nachdem sich nach der ersten Kommunal- gend angebracht, dass sich die internationale Ge- wahlrunde der Wahlboykott der Opposition ab- bergemeinschaft und vor allem die ostafrikani- zeichnete, blieben alle externen Appelle, ord- schen Nachbarländer intensiv für Verhandlungen nungsgemäße Wahlen sicherzustellen, letztlich zur Aussöhnung der zerstrittenen politischen Ak- unwirksam. So blieb auch die Bestätigung formal teure und für eine neue Kompromissformel ein- GIGA Focus Afrika 6/2010 -6-
setzen – auch wenn die Aussichten dafür aktuell Literatur wenig erfolgversprechend aussehen. Die durch das Arusha-Abkommen und die Burundi-Länderartikel (2005 ff ), in: Andreas Verfassung von 2005 herbeigeführte quotierte po- Mehler, Henning Melber und Klaas van Walra- litische Machtteilung hat offensichtlich wesent- ven (Hrsg.), Africa Yearbook, Bd. 1-6, Leiden: Brill. lich dazu beigetragen, dass der langjährige Bür- International Crisis Group (2010), Burundi: Ensur- gerkrieg beendet und die historische Bipolarität ing Credible Elections, Africa Report, 155. von Hutu und Tutsi entscheidend entschärft wer- Lemarchand, René (2006), Consociationalism and den konnte. In der Zeit von 2005 bis 2010 hat dies Power Sharing in Africa: Rwanda, Burundi and – trotz aller Defizite der sozioökonomischen Ent- DR Congo, in: African Affairs, 106, 422, 1-20, online: wicklung – einen vergleichsweise geordneten po- . ne sehr viel komplexere politische Landschaft ent- Vandeginste, Stef (2009), Power-Sharing, Conflict standen und während der diesjährigen Wahlen and Transition in Burundi: Twenty Years of Tri- standen beim Kampf um politischen Einfluss und al and Error, in: Africa Spectrum, 44, 2, 63-86, on- wirtschaftliche Pfründe eher machtbezogene als line: . ethnische Rivalitäten im Vordergrund. Vandeginste, Stef (2009), Le Burundi à la veille Bislang behält die Verfassung mit ihren ein- des éléctions de 2010, in: Stefaan Marysse et al. zigartig strikten ethnischen Quotierungsvorgaben (Hrsg.), L’Afrique des Grands Lacs. Annuaire 2008- weiter ihre Gültigkeit und dient als Absicherung 2009, Paris: Harmattan, 71-88. gegen einen Rückfall in die Konfrontation auf der Basis ethnischer Identifikationsmuster. Wann die- se Quotierungsvorgaben einmal aufgegeben wer- den können, ist derzeit völlig offen. Interessant bleibt der Vergleich mit der völlig entgegengesetz- ten Herangehensweise in Ruanda, auf den bereits hingewiesen wurde. Dort werden die faktisch wei- terhin gegebenen ethnischen Identitäten durch po- litisches Dekret einfach zum Tabu erklärt und ih- re Erwähnung als „Divisionismus“ strafrechtlich sanktioniert. Die sehr konsequente Umsetzung des Konkor- danzmodells hat in Burundi einen zentralen Bei- trag zur Beendigung von Bürgerkrieg und Rebel- lenaktionen und damit zur Gewährleistung eines – weiterhin fragilen – gesellschaftlichen Friedens leisten können. Dennoch sollte nicht übersehen werden, dass damit das Grundprinzip der Demo- kratie und demokratischer Wahlen, nämlich das absolut gleiche Gewicht aller Stimmen, entschei- dend ausgehebelt wird. GIGA Focus Afrika 6/2010 -7-
Der Autor Prof. Dr. Rolf Hofmeier ist freier Mitarbeiter am GIGA Institut für Afrika-Studien und ehemaliger Direk- tor des Instituts. Er war 2005 als EU-Wahlbeobachter in Burundi und verfolgt seither intensiv die dor- tigen politischen Entwicklungen. E-Mail: GIGA-Forschung zum Thema Im Rahmen des Forschungsschwerpunkts 2 „Gewalt und Sicherheit“ befasst sich Dr. Andreas Mehler in einem gemeinsamen Projekt mit der Stiftung Wissenschaft und Politik (Dr. Denis Tull) mit den „Local Arenas of Power-Sharing“ im Vergleich von vier Ländern (Burundi, Côte d’Ivoire, DR Kongo und Liberia). Fer- ner werden im gleichen Forschungsteam „Kriegs- und Friedenprozesse“ gegenwärtig Drittmittelanträge zur Thematik gescheiterter Mediation und zu friedensförderlichen Institutionen erarbeitet. GIGA-Publikationen zum Thema Mehler, Andreas (2009), Peace and Power Sharing in Africa: A Not So Obvious Relationship, in: African Affairs, 108, 432, 453-474, online: . Mehler, Andreas (2008), Not Always in the People’s Interest: Power-Sharing Arrangements in African Peace Agreements, GIGA Working Papers, 83, online: . Mehler, Andreas und Denis Tull (2005), The Hidden Costs of Power-Sharing: Reproducing Insurgent Violence in Africa, in: African Affairs, 104, 416, 375-398, online: . Power-Sharing in Africa (2009), Africa Spectrum, 44, 3 (Themenheft), online: . Der GIGA Focus ist eine Open-Access-Publikation. Sie kann kostenfrei im Netz gelesen und heruntergeladen werden unter und darf gemäß den Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz Attribution-No Derivative Works 3.0 frei vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies umfasst insbesondere: korrekte Angabe der Erstveröffentlichung als GIGA Focus, keine Bearbeitung oder Kürzung. Das GIGA German Institute of Global and Area Studies – Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg gibt Focus-Reihen zu Afrika, Asien, Lateinamerika, Nahost und zu globalen Fragen heraus, die jeweils monatlich erscheinen. Der GIGA Focus Afrika wird vom GIGA Institut für Afrika-Studien redaktionell gestaltet. Die vertretenen Auffassungen stellen die der Autoren und nicht unbedingt die des Instituts dar. Die Autoren sind für den Inhalt ihrer Beiträge verantwortlich. Irrtümer und Auslassungen bleiben vorbehalten. Das GIGA und die Autoren haften nicht für Richtigkeit und Vollständigkeit oder für Konsequenzen, die sich aus der Nutzung der bereitgestellten Informationen ergeben. Wurde in den Texten für Personen und Funktionen die männliche Form gewählt, ist die weibliche Form stets mitgedacht. Redaktion: Gero Erdmann; Gesamtverantwortliche der Reihe: Hanspeter Mattes und André Bank; Lektorat: Ellen Baumann; Kontakt: ; GIGA, Neuer Jungfernstieg 21, 20354 Hamburg www.giga-hamburg.de/giga-focus
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