Zu den Wirkungen des Klimaschutzprogramms 2030 - Eine picoökonomische Analyse - energie.de

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ZUKUNFTSFRAGEN

Zu den Wirkungen des Klimaschutzprogramms
2030 – Eine picoökonomische Analyse
Knut Kübler

Mit dem Mitte November vom Bundestag verabschiedeten „Klimaschutzgesetz“ soll sichergestellt werden, dass Deutschland
sein Ziel erreicht, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 % gegenüber 1990 zu vermindern. Es ist interessant, die
neuen politischen Vorschläge zu analysieren und sich mit den absehbaren Konsequenzen vertraut zu machen. Man kann
solche Analysen für die gesamte Volkswirtschaft (makroökonomisch), für Bereiche der Volkswirtschaft (mikroökonomisch)
oder auch in besonders anschaulicher Weise für einzelne Haushalte (picoökonomisch) anstellen. Der folgende Beitrag
berichtet über die Konsequenzen der nunmehr geplanten klimapolitischen Maßnahmen für einen real existierenden Haushalt.

Im Mittelpunkt des „Klimaschutzprogramm
2030“ vom 15.11.2019 steht die Einführung
eines nationalen Zertifikate-Handels für die
CO2-Emissionen des Gebäude- und Verkehrs-
sektors. Damit soll den dort entstehenden
Treibhausgasemissionen ein Preis für die
Belastungen des Klimas zugewiesen werden.
Gleichzeitig stellte die Bundesregierung Maß-
nahmen in Aussicht, die es Wirtschaft und
Verbrauchern erleichtern soll, die Emissio-
nen zu reduzieren.

Der Vermittlungsausschuss hat am 18.12.2019
in beiden Punkten neue Akzente gesetzt: Die
Preise für die Emission von Treibhausgasen
sollen höher ausfallen als in dem ursprüng-
lichen Gesetz vorgesehen. Auch die Förder-
maßnahmen zur Anpassung an die neuen
energie- und klimapolitischen Vorgaben
sollen großzügiger bemessen werden. Wel-          		Die Energie- und Klimapolitik in Deutschland steht vor schweren Zeiten
                                                  									                                                                          Bild: Adobe Stock
che Folgen hat dies nun für einen konkre-
ten Haushalt? Antworten darauf liefert die
folgende Analyse.                                 duktion zunächst selbst genutzt und nur der           Netz bezogen wird, beträgt 1.300 kWh. Der
                                                  verbleibende Überschuss in das Netz einge-            Stromverbrauch des Haushaltes ist natürlich
Grunddaten                                        speist wird. Der Haushalt nutzt einen PKW,            etwas höher, da ja auch noch der Anteil des
                                                  für den der Hersteller einen Benzin-Normver-          von der PV-Anlage für den Eigenverbrauch
Zunächst ist es wichtig, die für unsere Analyse   brauch von 6,4 l/100km angibt. Die Fahrleis-          erzeugten Stroms hinzugerechnet werden
notwendigen Grunddaten des hier betrach-          tung des PKW beträgt rd. 8000 km pro Jahr.            muss. Dieser Anteil liegt bei 400 kWh. Der
teten Haushaltes vorzustellen. Der Haushalt                                                             dann noch verbleibende PV-Überschuss in
umfasst zwei Personen. Er bewohnt ein klei-       Bemerkenswerterweise hat sich der Gas-,               Höhe von 600 kWh wird in das Netz einge-
nes, freistehendes Siedlungshaus, wie es          Strom- und Treibstoffverbrauch des Haus-              speist.
typisch für die Bebauung der frühen 1950‘er       haltes in den letzten Jahren kaum verändert.
Jahre ist. Das Haus wurde zweimal – dem           Das belegt, wie schwer es bei einem schon             Mit diesen Angaben ist es möglich, die ener-
jeweiligen technischen Stand entsprechend         relativ hohen Effizienzstandard ist, den Ener-        giebedingten CO2-Emissionen des Haushaltes
– energetisch saniert, im Jahr 1984 und in        gieverbrauch weiter zu senken. Für unsere             zu ermitteln (Tab. 1). Sie liegen bei jährlich
2009. Heute erfolgt die Wärmeversorgung           Analyse kann man die folgenden jährlichen             4,78 t CO2 (bzw. bereinigt um die Entlastung
durch einen modernen Gas-Brennwertkessel          Durchschnittswerte zugrunde legen: Der                durch die Einspeisung des PV-Stromes sogar
sowie eine Solarthermie-Anlage zur Erwär-         Bezug von Erdgas liegt bei 14.000 kWh. Bei            nur noch bei 4,5 t CO2). Interessant ist die
mung des Brauchwassers. Mit Erdgas wird           der oben angegeben Fahrleistung für den               Aufteilung der Emissionen auf die einzelnen
auch gekocht. Der Haushalt verfügt über eine      PKW und einem „realistischen Verbrauch“               Bereiche. Hier ergeben sich folgende Größen-
PV-Anlage (Leistung: 1,2 kWp). Die Konstruk-      von 7 l/100km ergibt sich ein Benzinver-              ordnungen: Wärmeversorgung 60 %, Treib-
tion ist so gewählt, dass die eigene Strompro-    brauch von 560 Liter. Der Strom, der aus dem          stoffe 30 % und Stromversorgung 10 %.

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ZUKUNFTSFRAGEN
                                                                                                                          ZUKUNFTSFRAGEN

                                                                                                                Preisaufschläge und auch die Entlastungen
Tab. 1: Energieverbrauch und CO2-Emissionen
                                                                                                                bei der EEG-Umlage vollständig an die Ver-
 Energieträger                         Menge                    CO2-Faktor               CO2-Emissionen         braucher weitergegeben werden. Zweitens,
 Erdgas                              14.000 kWh             0,202 kg CO2/kWh                 2,83 t CO2         dass alle anderen Bestandteile der Energie-
 Benzin                               560 Liter             2,37 kg CO2/Liter                1,33 t CO2         preise (Beschaffungskosten, Produktionskos-
 Strombezug                          1.300 kWh              0,474 kg CO2/kWh                 0,62 t CO2         ten, Kosten für Vertrieb, Steuern usw.) unver-
                                                                                                                ändert bleiben und es auch sonst zu keinen
 Summe                                                                                       4,78 t CO2
                                                                                                                Marktreaktionen kommt. Die letzte Annahme
 nachrichtlich Einspeisung PV 600 kWh                                               minus 2,83 t CO2
                                                                                                                ist allerdings keineswegs sicher. Produzenten
 Bereinigte Summe                                                                            4,50 t CO2         und Händler von Kohle, Öl und Erdgas wer-
   Quelle für Emissionsfaktoren: Umweltbundesamt; Angaben für Strom beziehen sich auf den Energiemix 2018       den angesichts ihres von der Politik vorgege-
                                                                                                                benen „nahen Todes“ nicht untätig bleiben.
Bezugspunkte zum Klima-                                   auf hindeuten, dass die EEG-Umlage in 2021            Über mögliche „Exit-Strategien“ und deren
schutzprogramm                                            um 2,08 Cent pro kWh gesenkt werden soll,             Konsequenzen wird wenig gesprochen und
                                                          2022 um 1,73 Cent, 2023 um 1,84 Cent,                 so wollen wir auf Spekulationen verzichten.
Mittlerweile gibt es eine Fülle von Dokumen-              2024 um 2,71 Cent und 2025 um 3,42 Cent.              Kurzum: Wir akzeptieren für unsere Analyse
ten zum Klimaschutzgesetz, auf die hier nicht             Wir wollen diese Daten für unsere Beispiel-           beide Annahmen. Damit ergibt sich für die
näher eingegangen werden kann ([1] bis [5]).              rechnung nutzen, auch wenn es dazu noch               künftige Energiepreisentwicklung folgendes
Für den hier betrachteten Haushalt sind nach              keine endgültige Entscheidung gibt (vor               (siehe auch Tab. 2):
den Beratungen im Vermittlungsausschuss                   allem wegen noch zu klärender beihilfe-
vor allem zwei Punkte relevant:                           rechtlicher Fragen). Zu einer ersten Einord-          ■ Der Erdgaspreis, einschließlich der
                                                          nung der hier ins Spiel gebrachten Reduk-             auch auf den CO2-Aufschlag zu entrichten-
■ An erster Stelle stehen die im Klima-                   tionsbeträge sollte man auch noch wissen,             den MwSt., wird in 2025 bei 6,43 ct/kWh
schutzprogramm vorgeschlagenen Fest-                      dass die EEG-Umlage in 2020 gerade noch               liegen (2019: 5,11 ct/kWh; 2019/25: plus
preise pro Tonne CO2 für die Jahre 2021 bis               einmal erhöht wurde. Sie liegt jetzt bei              25,9 %).
2025. Die sich dadurch ergebenden Preis-                  6,756 ct/kWh.                                         ■ Der Endverbrauchspreis für Benzin
aufschläge zielen darauf ab, Investitionen in                                                                   wird in 2025 bei 158,45 ct/Liter liegen
energiesparende Technologien rentabler zu                 Die vielen anderen Elemente des Klimaschutz-          (2019: 143,2 ct/Liter; 2019/25 plus 10,6 %).
machen bzw. den Umstieg zu erneuerbaren                   programms, wie beispielsweise die Anhebung            ■ Der Strompreis wird ab 2025 bei
Energien zu erleichtern. Der Vermittlungs-                der Entfernungspauschale für Fernpendler,             22,80 ct/kWh liegen (2019: 26,87 ct/kWh;
ausschuss hat sich auf die folgenden Sätze                die steuerliche Förderung von Sanierungs-             2018/25: minus 15,1 %). Dabei ist eine mit
pro t CO2 verständigt: 2021: 25 €; 2022: 30 €;            maßnahmen im Gebäudebereich, Hilfestellun-            der Absenkung der EEG-Umlage verbun-
2023: 35 €; 2024: 40 €; 2025: 55 € (Hinweis:              gen bei der Erneuerung von Heizanlagen, die           dene Reduktion der Mehrwertsteuer berück-
In dem ersten Entwurf des Gesetzes vom                    Unterstützung beim Umstieg auf Elektrofahr-           sichtigt.
15.11.2019 war noch von deutlich niedrige-                zeuge und viele andere Maßnahmen sind für
ren Festpreisen die Rede: 2021: 10 €; 2022:               den Haushalt zur Zeit nicht von Interesse und         Manche werden sich jetzt fragen, wie diese
20 €; 2023: 25 €; 2024: 30 €; 2025: 35 €).                bleiben insofern hier außer Betracht.                 bis 2025 zu erwartenden Preisveränderun-
■ Unter den Fördermaßnahmen steht für                                                                           gen im Lichte der historischen Entwicklung
unsere Analyse die geplante Reduzierung                   Energiepreise                                         zu bewerten sind. Um einen sinnvollen Ver-
der EEG-Umlage im Mittelpunkt. Dadurch                                                                          gleich zu ermöglichen, muss man dazu die
soll Strom billiger werden. Im Vermittlungs-              Beim jetzigen Stand der Debatte steht der             realen Preise zu Grunde legen. Beginnen wir
ausschuss wurde entschieden, dass alle Ein-               Haushalt vor der Frage: Mit welchen künfti-           mit der Preisentwicklung von Erdgas und
nahmen aus den Emissionszertifikaten zur                  gen Energiepreisen sollte er rechnen? Eine            Benzin (Abb. 1 und 2). Zunächst kann man
Senkung der EEG-Umlage verwendet wer-                     erste und einfache Antwort auf diese Frage            erkennen, dass sich sowohl der Erdgaspreis
den sollen. Man hat von Berechnungen im                   kann man geben, wenn man sich auf zwei                als auch der Benzinpreis in Deutschland
Bundesfinanzministerium gehört, die dar-                  Annahmen einlässt: Erstens, dass die CO2-             heute auf einem deutlich höheren Niveau
                                                                                                                bewegen als noch vor 20 oder 30 Jahren.
                                                                                                                Das ist im Kontext einer Bewertung des
Tab. 2: Energiepreisentwicklung Klimaschutzprogramm 2030
                                                                                                                „Klimapakets“ eine durchaus interessante
                            Basis                              Aufschläge / Abschläge                           Beobachtung. Die Daten weisen nämlich
                            2019                  2021       2022          2023          2024           2025    darauf hin, dass - wie man dann auch in den
 Erdgas (ct/kWh)              5,11             + 0,60       + 0,72        + 0,84        + 0,96         + 1,32   Energiebilanzen Deutschlands genauer nach-
 Benzin (ct/Liter)         143,20              + 6,93       + 8,32        + 9,70       + 11,09       + 15,25    lesen kann - reale Energiepreissteigerungen
                                                                                                                nicht immer und zwangsläufig zu einer
 Strom (ct/kWh)             26,87              - 2,48        - 2,06        - 2,19        - 3,23        - 4,07
                                                                                                                fühlbaren Reduktion des Energieverbrauchs
   Hinweis: Die Preise 2019 für Erdgas und Strom entsprechen den vom Versorger in Rechnung gestellten Preisen
                                                                                                                führen [6].

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 70. Jg. (2020) Heft 3                                                                                               37
Zu den Wirkungen des Klimaschutzprogramms 2030 - Eine picoökonomische Analyse - energie.de
ZUKUNFTSFRAGEN

                                                                                                     der Strompreis für die privaten Haushalte
                                                                                                     in Deutschland auch nach der von der Bun-
                                                                                                     desregierung vorgesehenen Absenkung der
                                                                                                     EEG-Umlage auf einem relativ hohen Niveau
                                                                                                     bleiben wird (Abb. 3). Es ist wichtig, auf zwei
                                                                                                     beachtenswerte und letzlich irritierende
                                                                                                     Nebeneffekte der EEG-Absenkung hinzuwei-
                                                                                                     sen. Zunächst stehen die günstigeren Strom-
                                                                                                     preise in einem gewissen Widerspruch zu der
                                                                                                     Mahnung nach einer sparsamen Stromver-
                                                                                                     wendung. Warum beim Strom sparen, wenn
                                                                                                     Strom immer billiger wird? Und schließlich:
                                                                                                     Sinkende Strompreise schmälern den Anreiz
                                                                                                     der privaten Haushalte zu den ja auch
                                                                                                     politisch gewünschten Investitionen in eine
                                                                                                     eigene PV-Anlage, da es bei einer solchen
                                                                                                     Entwicklung relativ gesehen immer günsti-
                                                                                                     ger wird, Strom aus dem Netz zu beziehen,
                                                                                                     als selbst zu erzeugen.
Abb. 1   Realer Erdgaspreis für private Haushalte (Index 2019=100)

                                                                                                     Wirkungsanalyse

Bemerkenswert ist weiter, dass es in den                beobachteten Höchstpreises von 2008 zu       Was kann man zu den Auswirkungen der
letzten Jahren einen substantiellen Preis-              heben. Ähnliches gilt beim Benzinpreis.      Preisveränderungen auf den Energiever-
rückgang bei Erdgas und Benzin gegeben                  Anders gesagt: Es gab Zeiten, in denen die   brauch des hier betrachteten Haushaltes
hat. Das hat eine - vor allem auch psycholo-            Preisanreize zu einem sparsamen Umgang       sagen? Wir wollen davon ausgehen, dass sich
gisch – beachtenswerte Wirkung: Die von der             mit Gas und Benzin schon stärker waren.      der Haushalt regelkonform verhält, d.h. er
Bundesregierung vorgesehen Aufschläge von                                                            wird sich so an die Preisänderungen anpas-
55 € pro t CO2 bis 2025 reichen gerade aus,             Welche Entwicklung können wir beim           sen, wie es Wissenschaft (und damit wohl
um den Erdgaspreis in die Nähe des bisher               Strompreis erwarten? Hier zeigt sich, dass   auch die Politik) erwarten. Abschätzungen zu
                                                                                                     den Auswirkungen von Preisveränderungen
                                                                                                     auf den Energieverbrauch der privaten Haus-
                                                                                                     halte sind ein schwieriges Geschäft [7]. Zu
                                                                                                     brauchbaren Aussagen kommt man noch am
                                                                                                     ehesten auf der Basis von gesamtwirtschaftli-
                                                                                                     chen Modellen mit einer entsprechend hohen
                                                                                                     Detaillierung für die privaten Haushalte [8].

                                                                                                     Demgegenüber stehen Studien, die auf der
                                                                                                     Basis einfachster Analyseansätze Ergebnisse
                                                                                                     und politische Empfehlungen vorstellen. Dort
                                                                                                     wird zwar im Einklang mit der ökonomischen
                                                                                                     Theorie, aber unter völliger Missachtung aller
                                                                                                     Systemzusammenhänge ein Mechanismus
                                                                                                     unterstellt, der in der sog. „Preiselastizität der
                                                                                                     Nachfrage“ zum Ausdruck kommt. Die Preise-
                                                                                                     lastizität gibt an, um wie viel Prozent sich die
                                                                                                     Nachfrage nach einem Energieträger verän-
                                                                                                     dert, wenn sich der Preis für diesen Energie-
                                                                                                     träger um 1 % verändert.

                                                                                                     Da soweit man sehen kann dieser einfache
                                                                                                     Analyseansatz in der politischen Debatte
                                                                                                     ohne erkennbaren Widerstand akzeptiert
Abb. 2   Realer Benzinpreis (Index 2019=100)                                                         wird, wollen wir ihn für unsere Überlegun-
                                                                                                     gen nutzen. Werte für die Preiselastizitäten

   38                                                                                      ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 70. Jg. (2020) Heft 3
Zu den Wirkungen des Klimaschutzprogramms 2030 - Eine picoökonomische Analyse - energie.de
ZUKUNFTSFRAGEN
                                                                                                                ZUKUNFTSFRAGEN

einzelner Energieträger findet man in der           geringfügig (2019/25: plus 2,8 %). Die CO2-       ■ Bei einer längerfristigen Betrachtung
Literatur (siehe dazu [9] und [10]). Aus vie-       Emissionen sinken von 2019 bis 2025 wegen         ändert sich das Bild. Während der Haus-
len empirischen Studien weiß man, dass die          der steigenden Stromnachfrage (und dem bis        halt die von der Politik bis 2025 durch das
Energiepreiselastizität der Energienachfrage        2025 noch dahinter stehenden Einsatz von          „Klimapaket“ implizit geforderten Ener-
der privaten Haushalte sehr klein ist. Das hat      fossilen Energieträgern) lediglich um 5,9 %.      gieeinsparungen sicher noch ohne unzu-
vor allem strukturelle und technische Gründe.       In finanzieller Hinsicht ergibt sich, dass die    mutbaren Komfortverzicht erreichen kann,
Wir wollen hier unterstellen, dass der private      Gesamtausgaben für Erdgas, Benzin und             wären schärfere klimapolitische Vorgaben,
Haushalt für den Schutz der Erdatmosphäre           Strom in 2025 um 108 € (rd. 5%) höher liegen      wie etwa die von der Bundesregierung für
eine besondere Verantwortung verspürt und           als in 2019.                                      2050 geforderte „Klimaneutralität“, nur im
daher auf die geplanten CO2-Aufschläge stärker                                                        Zuge einer Totalrenovierung des Hauses
reagiert als auf rein marktbedingte Preisverän-     Wie ist das zu bewerten? Zwei Punkte sind         mit entsprechenden Kostenbelastungen zu
derungen. Diese Hypothese rechtfertigt Preis-       hervorzuheben:                                    erfüllen. Eine Analyse der damit verbunde-
elastizitäten am oberen Rand. Der Analyse                                                             nen Konsequenzen steht jedoch auf einem
liegen folgende Preiselastizitäten zu Grunde:       ■ Zunächst kann man die überschaubare             anderen Blatt.
Erdgas minus 0,3; Benzin minus 0,5 und              Belastung, die durch das Energiepaket
Strom minus 0,2. Noch einmal zur besseren           ausgelöst wird, als eine Art Belohnung für        Vom „Klimapäckchen“
Verdeutlichung ganz praktisch: Eine Erhöhung        Investitionen in der Vergangenheit und für        zum „Klimapaket“?
des Erdgaspreises um 1 % bedeutet eine Re-          ein besonders energiesparendes Verhalten
duktion der Erdgasnachfrage um 0,3 %; eine          werten. Dieser Gedanke wird sogar noch ver-       Viele bezeichneten den ersten Entwurf des
Erhöhung des Benzinpreises um 1 % bedeutet          stärkt, wenn man eine andere Rechnung             Klimaschutzgesetzes vom 15.11.2019 als
eine Reduktion der Treibstoffnachfrage um           aufmacht. Das „Klimapaket“ sieht eine             „Klimapäckchen“. Begründet wurde diese
0,5 %; eine Reduktion des Strompreises um 1 %       Halbierung des Mehrwertsteuersatzes auf           Bewertung mit dem als völlig unzureichend
bedeutet eine Steigerung der Stromnachfrage         Bahnfahrkarten im Fernverkehr von 19 %            eingestuften Ambitionsniveau der Energie-
um 0,2 %.                                           auf 7 % vor. Da der Haushalt für Fernfahrten      und Klimapolitik. Erst die Verschärfungen im
                                                    nicht das Auto sondern umweltfreundlich die       Vermittlungsauschusses haben dem Klima-
Glaubt man der „Modellrechnung“ führen die          Bahn benutzt und dafür im Jahr Fahrkarten         schutzprogramm ein gewisses Gewicht gege-
vorgegebenen CO2-Aufschläge und die geplan-         im Wert von rd. 2.000 € kauft, spart er bei der   ben. Wirtschaft und Verbraucher müssen
te Absenkung der EEG-Umlage zu folgenden            Mehrwertsteuer 266,60 €. Damit ergibt sich        jetzt für 2025 mit höheren Preiseen für Erd-
Ergebnissen (Tab. 3): Der Erdgasverbrauch           eine andere Schlussbilanz: Das „Klimapaket“       gas und für Benzin rechnen (Tab. 4). Auch die
und der Benzinverbrauch gehen zurück                der Bundesregierung bringt dem Haushalt           Reduzierung der EEG-Umlage fällt jetzt etwas
(2019/25: Erdgas minus rd. 7,8 %; Benzin:           unter dem Strich im Jahr 2025 einen Gewinn        stärker aus und wird zu einer gewissen Ent-
minus 5,4 %). Der Stromverbrauch steigt             von fast 160 € (266,60 € minus 108 €).            lastung der Stromverbraucher führen. Ob es
                                                                                                      allerdings schon gerechtfertigt ist, jetzt von
                                                                                                      einem wirklichen „Klimapaket“ zu sprechen,
                                                                                                      erscheint doch zweifelhaft. Wer nach einer
                                                                                                      Bewertung dieser Einschätzung sucht, findet
                                                                                                      eine erste Orientierung durch eine Antwort
                                                                                                      auf die Frage, welche Veränderungen sich aus
                                                                                                      den Verschärfungen des Klimapaketes für
                                                                                                      das Emissionsbudget des hier betrachteten
                                                                                                      Haushaltes ergeben.

                                                                                                      Hier führen unsere Berechnungen zu den
                                                                                                      folgenden Ergebnissen: Unter den Annah-
                                                                                                      men des ersten Entwurfs des Klimaschutzge-
                                                                                                      setzes vom 15.11.2019 wären für 2025 Emis-
                                                                                                      sionen in Höhe von 4,59 t CO2 anzusetzen.
                                                                                                      Das bedeutet: Die Emissionen in 2025 wären
                                                                                                      4 % niedriger als der Ausgangswert 2019
                                                                                                      (4,78 t CO2). Die Vorgaben des Vermittlungs-
                                                                                                      ausschusses vom 18.12.2019 führen zu einem
                                                                                                      leicht besseren Ergebnis. In diesem Fall
                                                                                                      landet man bei einem Emissionsbudget für
                                                                                                      2025 von 4,5 t CO2 und liegt damit um fast
 Abb. 3 Zunahme des weltweiten Bedarfs an Seltenen Erden                                              6 % unter dem Niveau von 2019. Reicht diese
 								                                                          Quelle: GIS/Foreign Policy 2018
                                                                                                      Emissionsverbesserung aus, um jemanden

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 70. Jg. (2020) Heft 3                                                                                     39
ZUKUNFTSFRAGEN

Tab. 3: Lenkungswirkungen des Klimaschutzpakets                                                       Punkt hin kritisch zu überprüfen, wird
                                                                                                      schnell und ohne große Mühe auf viele frag-
                                         2019                 2025             2019/2025              würdige Beispiele stoßen. Störend ist auch,
 Erdgas                                                                                               dass man der im Zuge der CO2-Bepreisung
 Verbrauch kWh                          14.000              12.913             minus 7,8 %            möglichen Vereinfachung der Energiepolitik
 Ausgaben Bereitstellung €                 132                 132                   –                so wenig Rechnung getragen hat. Anstelle
 Ausgaben Arbeit €                         715                 830              plus 16,1 %           einer möglichen Rückführung der Vielfalt von
 Gesamtausgaben €                             847              962              plus 13,6 %           ordnungsrechtlichen Regelungen, Vergütun-
 CO2-Emissionen t                         2,83                 2,61            minus 7,8 %            gen, Abgaben und Fördermaßnahmen ist es
                                                                                                      zu einer Ausweitung und damit auch zu neuer
 Benzin
                                                                                                      Unübersichtlichkeit gekommen.
 Verbrauch Liter                           560                 530             minus 5,4 %
 Ausgaben €                                802                 839               plus 4,6 %
                                                                                                      Genaugenommen liegt aber hier nicht das wirk-
 CO2-Emissionen t                         1,33                 1,26            minus 5,3 %            liche Problem des Klimaschutzprogramms. Das
 Strom                                                                                                Problem ist die gewählte Dimensionierung. Es
 Verbrauch kWh                           1.300               1.337               plus 2,8 %           ist wichtig, diesen Punkt genau zu verstehen.
 Ausgaben Bereitstellung €                 107                 107                   –                Das gelingt am besten, wenn man den folgen-
 Ausgaben Arbeit €                         349                 305            minus 12,6 %            den drei Überlegungen nachgeht:
 Gesamtausgaben €                             456              412             minus 9,6 %
                                                                                                      ■ An erster Stelle muss man sich klar-
 CO2-Emissionen t                         0,62                 0,63              plus 1,6 %
                                                                                                      machen, dass die Bundesregierung ent-
 Summe
                                                                                                      schieden hat, ihre gesamte Politik auf die
 Ausgaben €                               2105                2213               plus 5,1 %
                                                                                                      Einschätzungen und Bewertungen der Klima-
 CO2-Emissionen t                         4,78                 4,50            minus 5,9 %            forschung zu gründen. Diese Entscheidung
                                                                                                      wird dadurch dokumentiert, dass Deutsch-
zu überzeugen, der den Schutz der Erdatmos-         chen CO2-Emissionen bekommen einen Preis!         land das „Pariser Klimaübereinkommen“
phäre als „Menschheitsaufgabe“ begreift?            Damit erfüllt man das so oft vorgebrachte         vom Dezember 2015 unterschrieben hat.
                                                    Versprechen der Politik, dass die „Energie-       Wenn man diese Unterschrift wirklich ernst
Evaluierung                                         preise die Wahrheit sagen müssen“. Preise,        nimmt (!), gibt es kaum noch Spielraum für
                                                    die die „Wahrheit sagen“, sind wichtig, weil      Kompromisse und Abwägungen mit ande-
Jeder Haushalt ist anders. Insofern wird das        sie die Eigenverantwortung von Produzenten,       ren Zielen. Die Politik hat den Klimaschutz
Klimaschutzprogramm der Bundesregierung             Investoren und Verbrauchern stärken und zu        zum alles dominierenden Faktor gemacht
auch jeden Haushalt anders berühren [11].           einer gesamtwirtschaftlich optimalen Alloka-      (und damit implizit zahlreiche andere Ver-
Der Leser versteht sofort, dass die Ergebnisse      tion der knappen Ressourcen beitragen [12].       sprechungen in Frage gestellt).
dieser Analyse nichts mit der Situation eines       Neben dem Einstieg in eine „Bepreisung der        ■ An zweiter Stelle steht die Tatsache,
Haushaltes zu tun haben, der in einer schlecht      CO2-Emissionen“ ist auch eine staatliche För-     dass es - trotz der gewaltigen Komplexität
isolierten Wohnung wohnt, berufsbedingt mit         derung von Wirtschaft und Haushalten beim         des Themas - relativ leicht ist, etwas zu den
dem Auto „fernpendeln“ muss und auch auf            Umstieg in eine nachhaltige Energiezukunft        Konsequenzen der politischen Vorgaben
Flugreisen nicht verzichten kann. Gleich-           vertretbar.                                       zu sagen. In Paris hat sich die Staatenge-
wohl scheint es vertretbar, auf der Basis der                                                         meinde darauf verständigt, den Anstieg der
hier gemachten Überlegungen eine generelle          Allerdings sind hier eine rigorose Prüfung        weltweiten Durchschnittstemperatur auf
Bewertung des Klimaschutzprogramms zu               der Maßnahmen und eine selektive Auswahl          deutlich unter 2°C und möglichst auf 1,5°C
wagen.                                              von größter Bedeutung. Ansonsten besteht          gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu
                                                    die Gefahr, dass die Preise sofort wieder         begrenzen. Nun ist es nach Lage der Dinge
Zunächst ist die Grundlinie des Programms           anfangen „zu lügen“ und ineffiziente Lösungen     so, dass man dieses Ziel nur erreichen
als Einstieg für eine neue Energie- und             begünstigen. Wer sich die Mühe macht, das         kann, wenn die globale Energieversorgung
Klimapolitik sachgerecht. Die klimaschädli-         Programm der Bundesregierung auf diesen           bis 2050 „klimaneutral“ organisiert wird
                                                                                                      [13]. Und das wiederum bedeutet, dass in
                                                                                                      2050 nur noch soviel Treibhausgase emit-
Tab. 4: Rechnerische Preiseffekte des Klimaschutzprogramms für 2025
                                                                                                      tiert werden dürfen, wie die Natur absor-
                                                        Vermittlungs-
                                Erster Entwurf                                  Differenz             biert oder wie man der Atmosphäre durch
                                                         ausschuss
                                                                                                      technische Maßnahmen entnehmen kann.
                                  15.11.19                19.12.19
                                                                                                      ■ An dritter Stelle gilt es zu beachten,
 Erdgaspreis (ct/kWh)                  5,95                    6,43              plus 8,1 %
                                                                                                      dass die Bundesregierung nicht müde wird,
 Benzinpreis (ct/Liter)             145,04                  158,45               plus 9,2 %
                                                                                                      immer wieder ihre globale Vorreiterrolle
 Strompreis (ct/kWh)                  24,94                  22,80             minus 8,6 %            beim Schutz der Erdatmosphäre herauszu-

   40                                                                                       ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 70. Jg. (2020) Heft 3
ZUKUNFTSFRAGEN
                                                                                                                ZUKUNFTSFRAGEN

stellen. Und so ist es nur konsequent, wenn      steht es um eine vorsichtige Relativierung       bereit ist, grundlegend neue Wege beim Schutz
sich die Bundesregierung auch für Deutsch-       des „Pariser Klimaübereinkommens“? Das ist       der Erdatmosphäre zu akzeptieren.
land zum Ziel „Klimaneutralität 2050“            unter den heutigen gesellschaftlichen Bedin-
bekennt. Was bedeutet das praktisch? Es          gungen und politischen Verhältnissen nicht       Anmerkungen
bedeutet, dass Deutschland im Jahr 2050          vorstellbar. Kaum jemand wird das wagen.
mehr oder weniger ohne fossile Energie-          Es würde die Glaubwürdigkeit der gesamten        [1] Bundesregierung: Eckpunkte für das Klimaschutz-
träger auskommen muss. Den Stellenwert           Politik schwer beschädigen.                      programm 2030, Entscheidungen des Klimakabinetts,
dieser Vorgabe kann man nur dann richtig                                                          Berlin 20.09.2019.
bewerten, wenn man sich vor Augen führt,         Wie also mit den belastenden Spannungen          [2] BMU: Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregie-
dass die fossilen Energieträger nach wie vor     umgehen? Die Theorie der kognitiven Disso-       rung zur Umsetzung des Klimaschutzplans 2050, Berlin
das Fundament der Energieversorgung in           nanz bietet als Lösung den Gedanken einer        8.10.2019.
Deutschland sind. Sie decken heute (2019)        „Inszenierung des ehrlichen Bemühens“ auf        [3] Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Ein-
immer noch fast 80 % (!) des Primärener-         möglichst breiter Front an. Manche sehen         führung eines Bundes-Klimaschutzgesetzes und zur
giebedarfs (Braunkohle 9 %, Steinkohle 9 %,      darin eine Möglichkeit, die „Dissonanz“ und      Änderung weiterer Vorschriften, Berlin 9.10.2019.
Mineralöl 35 % und Erdgas 25 %). Anders ge-      die sich dadurch ergebende Spannung zu min-      [4] Deutscher Bundestag: Entwurf eines Gesetzes über
sagt: Der vollständige Ausstieg aus Braun-       dern, für sich selbst und bei anderen. Schaut    einen nationalen Zertifikatehandel für Brennstoffemis-
kohle, Steinkohle, Mineralöl und Erdgas          man auf die aktuelle Energie- und Klima-         sionen (Brennstoffemissionshandelsgesetz – BEHG),
innerhalb von nur 30 Jahren, das ist die         politik wird man zahlreiche Belege finden, die   Berlin 8.11.2019.
Messlatte, an der man das Klimaschutzpro-        ganz offensichtlich in diese Richtung weisen:    [5] Deutscher Bundesrat: Vermittlungsausschuss erzielt
gramm der Bundesregierung messen sollte.         Immer mehr quantitative Ziele, mehr Personal     Kompromiss zum Klimapaket, Pressemitteilung, Berlin
                                                 in den Behörden, zusätzliche Gremien, mehr       18.12.2019.
Kognitive Dissonanz                              Gesetze, mehr Förderprogramme, mehr Geld,        [6] Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen: Daten und
                                                 ein ausgefeiltes Monitoring, mehr Konferenzen,   Fakten, Berlin und Münster 2019.
Nach dieser Bestandsaufnahme versteht man        immer neue Abstimmungsrunden zwischen            [7] Stern, P.C.: Improving Energy Demand Analysis,
besser, wie extrem die beiden Positionen         den beteiligten Akteuren und vor allem mehr      National Academy Press, Washington 1984.
sind, die sich heute gegenüberstehen: Auf der    Broschüren und Öffentlichkeitsarbeit.            [8] Frerichs, W.; Kübler, K.: Gesamtwirtschaftliche Prog-
einen Seite gilt das gewaltige Versprechen                                                        noseverfahren, München 1980.
Deutschlands der „Klimaneutralität 2050“.        Und der allfälligen Kritik an diesem klein-      [9] Bach, S. u.a.: Für eine sozialverträgliche CO2-Beprei-
Auf der anderen Seite steht das - gemessen       teiligen Ansatz wird mit dem Hinweis begeg-      sung, DIW, Berlin 2019.
an diesem Ziel – nach wie vor bescheidene        net, „Politik sei eben das, was möglich ist “    [10] Madlener, R.: Econometric Estimation of Energy
„Klimaschutzprogramm 2030“ der Bundesre-         (Aussage von Bundeskanzlerin Merkel bei          Demand Elasticities, E.ON Energy Research Center, RWTH
gierung. Ganz offensichtlich hat man es hier     der Vorstellung des Klimaschutzprogramms         Aachen, Aachen 2011.
mit dem aus der Sozialpsychologie bekannten      am 20.09.2019); und schließlich: Man ma-         [11] Wagner, J. u.a.: Das Klimaschutzprogramm und seine
Phänomen der „kognitiven Dissonanz“ zu tun       che ja Schritte in die richtige Richtung. Ja,    Auswirkungen – Wie verändern sich die finanziellen
(Leon Festinger 1957). Die Unstimmigkeit         die Richtung stimmt. Allerdings könnte das       Belastungen für unterschiedliche Haushalte, EWI, Köln
– oder eben Dissonanz – entsteht dadurch,        gleiche auch der behaupten, der zum Mond         29.10.2019.
dass die Politik den Menschen auf der einen      will und sich dazu in der Küche auf einen        [12] BMWi: Energiepreise und effiziente Klimapolitik,
Seite einen bisher noch nicht gesehenen Um-      Hocker stellt. Und so bleibt die Frage, ob die   Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundes-
bau der Energieversorgung innerhalb von          Bundesregierung durch die - gemessen an          ministerium für Wirtschaft und Energie, Berlin 2019.
30 Jahren verspricht, sich andererseits aber     der selbst gestellten Aufgabe – eben doch        [13] Kübler, K.: Energie und Klima: Ein Blick auf die glo-
mit kleinsten Anfangsschritten zufrieden-        kleinen Anfangsschritte und durch die Art        bale Herausforderung, in: Energiewirtschaftliche Tages-
gibt. Der gesunde Menschenverstand tut sich      der Rechtfertigung dieses Ansatzes wirklich      fragen, 69. Jg. (2019), Heft 10, S. 17-24.
schwer, einen solchen Widerspruch zu akzep-      Kohärenz, Glaubwürdigkeit und Vertrauen
tieren. Das Resultat ist eine innere Spannung,   zurückgewinnen kann.                             Dr. K. Kübler, Rheinbach
die nach Auflösung drängt.                                                                         kmkue@web.de
                                                 Fazit
Der naheliegende Gedanke, eine der beiden
Positionen aufzugeben und dadurch, die           Zusammengefasst: Die Energie- und Klima-
„kognitive Dissonanz“ zu überwinden, ist we-     politik in Deutschland steht vor schweren
nig wahrscheinlich. „Klimaneutralität 2050“      Zeiten. So wie die Dinge liegen, bleibt den
                                                                                                                   > PRINT
wirklich ernst zu nehmen, würde ja unter an-     Verantwortlichen kaum etwas anderes, als die                      > ONLINE
derem bedeuten, dass alle großen und kleinen     „kognitive Dissonanz“ und die belastenden                         > DIGITAL
Infrastrukturprojekte in Deutschland unver-      Debatten um die politische Glaubwürdigkeit
züglich neu zu bewerten und gegebenenfalls       so gut es geht auszuhalten. Möglicherweise
                                                                                                  Weitere Informationen unter:
sofort zu beenden wären (exemplarisch der        solange, bis neue technologische Möglich-
Weiterbau des Berliner Flughafens). Und wie      keiten zur Hand sind oder die Bevölkerung        www.et-magazin.de
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 70. Jg. (2020) Heft 3                                                                                            41
ZUKUNFTSFRAGEN
  Meinungen & Fakten

Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit sind
Leitlinien der polnischen Energiepolitik bis 2040
Polen hat sich einen neuen energiepolitischen Rahmen gesetzt, der eine sichere Versorgung auf Grundlage heimischer
Ressourcen oder diversifizierter Importe und eine grundlegende Modernisierung nahezu aller Bereiche der Versorgung
vorsieht. Eine vollständige Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft bis 2050 sieht das Konzept nicht vor. Durch
eine Option auf die Kernkraft und die Nutzung der Offshore-Windkraft hofft das Land, den Anschluss an die europäischen
Klimaziele zu halten.

Mit dem Entwurf „Polens Energiepolitik bis      Außerdem sollen Kraftwerke mit einem Wir-                 Den größten Beitrag zur sicheren und CO2-
2040 – Strategie für die Entwicklung des        kungsgrad von weniger als 35 % zügig vom                  freien Stromversorgung erwartet die polni-
Kraftstoff- und Energiesektors“ (PEP2040)       Netz gehen oder modernisiert werden, um                   sche Regierung von der Nutzung der Kern-
stellt die polnische Regierung einen Fahrplan   den Anforderungen der europäischen Richt-                 energie. Der erste Kernkraftwerksblock mit
für die wichtigsten Herausforderungen des       linie für Industrieanlagen (EID) zu genügen.              einer Kapazität von 1 bis 1,5 GW soll um
nationalen Energiesektors in den kommen-        Betroffen sind Kapazitäten in einer Größen-               2033 in Betrieb gehen. Weitere fünf Blöcke
den Jahrzehnten auf, der sowohl in den Nach-    ordnung von etwa 2,5 GW. Vor allem durch                  mit einer Gesamtkapazität von 5 bis 7,5 GW
barländern wie auch bei der EU für erheb-       den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung sol-                  werden alle zwei bis drei Jahre in Betrieb
lichen Diskussionsbedarf sorgt.                 len die spezifischen Emissionen der polni-                genommen. 2043 sollen Anlagen mit einer
                                                schen Kohlekraftwerke einen Zielwert von                  Kapazität von 6 bis 9 GW am Netz sein. Polen
Polen deckt seinen Primärenergiebedarf von      450 kg CO2 pro MWh erreichen. Die polni-                  hatte Planungen für den Bau eigener Kern-
derzeit rund 4.400 PJ überwiegend durch         sche Regierung hofft, auf diesem Wege einen               kraftwerke in den 1990er Jahren eingestellt.
Stein- und Braunkohle aus heimischer Gewin-     wesentlichen Beitrag zur Erreichung des EU-               Angaben über die Realisierung der Projekte
nung. Beim Mineralöl ist das Land zu 96 %       Klimaziels bis 2030 erreichen zu können.                  sowie Konzepte zur Entsorgung und Lage-
von Importen abhängig, beim Erdgas beträgt                                                                rung radioaktiver Abfälle macht der Entwurf
die Importquote knapp 80 %. Die Potenziale      Der geringe Anteil der Erneuerbaren an der                nicht.
der erneuerbaren Energien werden derzeit        Stromerzeugung soll bis 2030 auf 32 % der
nur in sehr geringem Maße ausgeschöpft. Die     Nettostromerzeugung steigen. Einen erheb-                 Diversifizierung des Öl-
Stromnachfrage in Höhe von aktuell 171 TWh      lichen Zuwachs soll die Inbetriebnahme des                und Gassektors
pro Jahr wird weitgehend aus Kohlekraftwer-     ersten Offshore-Windparks ab 2025 bringen.
ken gedeckt. Bis 2040 rechnet die polnische     Allerdings, so die polnische Regierung, darf              Zum Energiepaket gehört auch eine Diversifi-
Regierung mit einem Anstieg des Verbrauchs      die Nutzung der erneuerbaren Energien die                 zierung des Öl- und Gassektors (siehe Abb. 1).
auf etwa 220 TWh. Die Erzeugungskapazität       Versorgungssicherheit nicht gefährden, und                Nach dem Auslaufen des Jamal-Liefervertrags
soll von derzeit weniger als 50 GW auf deut-    spielt damit auf erhebliche Probleme bei den              mit Russland soll ab 2020 ein großer Teil des
lich über 70 GW steigen.                        Energienetzen in Polen an. Außerdem wird                  polnischen Erdgasbedarfs, der derzeit bei
                                                von der EU erwartet, dass sie den Ausbau der              etwa 18 Mrd. m3 liegt, über eine Pipeline-
Stromerzeugung                                  Erneuerbaren in Polen massiv fördert.                     Verbindung aus Norwegen sowie über Anlan-

Vor allem bei der Stromerzeugung will Polen
auch in Zukunft stark auf heimische Energie-
ressourcen setzen. Dazu soll die derzeitige
Steinkohlenförderung von 75 Mio. t pro Jahr
beibehalten werden. Die zukünftige Entwick-
lung der Braunkohlengewinnung, derzeit
etwa 58 Mio. t, hängt dagegen stark von der
Entwicklung der Preise für CO2-Emissions-
zertifikate ab. Eine stabile Förderung beider
Kohlearten sowie die kräftige Zunahme des
Stromverbrauchs werden allerdings dazu füh-
ren, dass der Kohleanteil an der polnischen
Stromerzeugung auf 60 bis 55 % sinkt. In den
kommenden Jahren soll deshalb die techni-
sche und wirtschaftliche Lage des polnischen
Bergbaus durch Investitionen und Steuerer-      Abb. 1 Leitlinien der polnischen Energiepolitik bis 2040
                                                					                                       Quelle: PEP2040 draft, ver. 2.1 – Nov 8, 2019, eigene Darstellung
leichterungen weiter verbessert werden.

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ZUKUNFTSFRAGEN
                                                                                                                    Meinungen & Fakten
                                                                                                                ZUKUNFTSFRAGEN

                                                                                                       Fazit
                                                                                                       Zusammengefasst sollen vor allem die Moder-
                                                                                                       nisierung von Stromerzeugungsanlagen
                                                                                                       sowie die Stilllegung von Anlagen mit nied-
                                                                                                       rigen Wirkungsgraden sowie ein vermehr-
                                                                                                       ter Einsatz kohlenstoffarmer Energiequellen
                                                                                                       und die Verbesserung der Energieeffizienz
                                                                                                       zu einem Rückgang der CO2-Emissionen
                                                                                                       um 30 % bis zum Jahr 2030 (im Vergleich
                                                                                                       zu 1990) führen. Für 2040 wird kein klima-
                                                                                                       politisches Ziel genannt. Lediglich in der
                                                                                                       strategischen Umweltverträglichkeitsprü-
                                                                                                       fung der PEP2040 taucht die Prognose einer
                                                                                                       THG-Minderung um 50 % auf.
 Abb. 2 Energiepolitische Zielsetzung Polens
 							                                               Quelle: PEP2040 draft, ver. 2.1 – Nov 8, 2019
                                                                                                       Letztlich werden – anders als in Deutsch-
                                                                                                       land und der EU – keine starren Ziele auf
dungen am bereits bestehenden LNG-Termi-          Das formulierte Ziel der polnischen Energiepo-       der Zeitachse formuliert. Neuen Heraus-
nal erfolgen. Auch im Ölbereich soll die hohe     litik (siehe Abb. 2) ist die Gewährleistung der      forderungen und technischem Fortschritt
Abhängigkeit von Russland abgebaut werden.        Energieversorgungssicherheit bei gleichzeitiger      soll mit einer systematischen Anpassung
                                                  Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirt-         des PEP2040 begegnet werden. Vorrangige
Vor erheblichen Investitionen steht das Land      schaft, der Energieeffizienz und der Verringerung    Ziele sollen neben einem hohen Anteil hei-
bei der Modernisierung der Netze, vor allem       der Umweltauswirkungen unter optimaler Nut-          mischer Energiequellen wettbewerbsfähige
des Stromnetzes. Neben einer erhöhten Ver-        zung der eigenen Energieressourcen. Dazu sollen      Energiepreise für Industrie und Verbrau-
sorgungssicherheit stellt auch die Anpassung      bestimmte Indikatoren für das Jahr 2030 - die al-    cher sein.
der Infrastrukturen an diversifizierte Bezüge     lerdings nicht als Zwischenziele auf dem Weg ins
hohe Anforderungen.                               Jahr 2040 definiert wurden - als Maßstab dienen.                                  „et“-Redaktion

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                                                               Nutzung oder im Bereich der Mobilität.

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                                                               und Stromtankstellen an quotenverpflichtete
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ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 70. Jg. (2020) Heft 3                                                                                    43
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