Positive Erinnerungen an das Kinderheim in Teufen AR und dessen Leiterin Dora Wachter
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Positive Erinnerungen an das Kinderheim in Teufen AR und dessen Leiterin Dora Wachter Hinweise zum Buch „Tante Dora – Erinnerungen an ihr Kinderheim“ (Chur 2008) von Amrei Krug und Jörg M. Buddensiek sowie zum Zeitungsartikel von Erika Preisig „Dora Wachter: Ein Leben für die Kinder“ in der „Tüüfner Post“ (Dorfzeitung Teufen, Jahrgang 13, Nr. 1, Februar 2008, S.20- 22, siehe weiter unten.) Dora Wachter leitete ihr Kinderheim in Teufen von 1930 bis 1966. Es beherbergte auch viele Auslandschweizerkinder und wird von seinen Ehemaligen gelobt. Es kann wohl als eines der positiven Beispiele eines Kinderheims in dieser Zeit gelten. Es bleibt abzuklären, ob es weitere Dokumente und Rückmeldungen zu diesem Heim gibt. Zwar wird auch aus diesem Heim, im Rückblick auf die 1940er und 1950er Jahre, von Aspekten berichtet, die den Kindern nicht als angenehm erschienen – Sprechverbot beim Essen, Liegezwang nach dem Essen, teilweise nicht nachvollziehbare Vorschriften beim Essen, ungeliebte Gerichte wie Haferbrei (Porridge). Selbst einzelne Übergriffen seitens des Personals wie am Ohr ziehen (im erwähnten Buch S.14 geschildert), oder Eintauchen des Kopfes in heissen Haferbrei (S.65) überliefert das Buch. Dennoch überwiegen zumindest bei den Verfassern des hier zitierten Erinnerungsbuchs die positiven Erinnerungen an ihre Heimzeit bei weiten. Dies lag vor allem auch daran, dass sich die Heimleiterin Dora Wachter klar gegen solche Übergriffe aussprach. Im krassen Fall mit dem Eintauchen des Kopfes eines Heimkinds in den heissen Haferbrei entliess sie die Fehlbare umgehend. Dora Wachter selber kam ohne Strafen und Auftreten dieser Art aus, sondern arbeitete mit transparenten und nachvollziehbaren Erklärungen ihrer Anordnungen sowie mit einer Disziplin, die für alle galt, und sie strahlte offensichtlich eine Güte und Herzlichkeit aus, welche auch schwierige Situationen zu meistern wusste. Etlichen Heimkindern, so auch der Autorin und dem Autor des Buchs, war zudem klar, dass der Aufenthalt im Heim sie vor Schlimmerem bewahrte; diese beiden (sie kamen als Geschwister ins Heim) entgingen in Teufen der materiellen Notlage im Deutschland der Nachkriegsjahre. Hier folgt die Schilderung der Entlassung jener Angestellten, welche den Kopf eines Heimkindes, das seinen Haferbrei nicht essen wollte, in den Teller mit dem heissen Porridge tauchte. Bemerkenswert ist auch, dass die Heimkinder, welche sie an der betreffenden Angestellten mit einem argen Streich rächten, dafür nicht bestraft wurden. „Eingestellt als Erzieherin war Fräulein F. für uns eine Plage. Wir waren nicht nur von ihrer gewaltigen Masse beeindruckt, sondern auch von ihrer Erbarmungslosigkeit. Weiss der Teufel, was sie dazu bewogen hatte, sich mit Kindern abzugeben, und was sie dazu gebracht hatte, in dieser Zeit so rabiat und boshaft zu sein. Wir waren ihr hilflos ausgeliefert, aber rätschen [petzen], das tat man nicht. Keiner wollte als Rätschbäsi [Petzer, Petzerin] gelten. So hatten wir Angst vor ihr und waren zutiefst unglücklich in ihrer Gegenwart. Heimlich nannten wir sie Furzebach oder Pfluttere, das gab uns eine Genugtuung. Aber Tante Dora entging nichts und die Tage der Pfluttere im Kinderheim waren bereits gezählt. In dieser Zeit gab es der guten Gesundheit wegen morgens als erstes einen Porridge. Uns war das fremd, aber wir assen den Brei samt Spelzen, Rahmfetzen und Butterflöckchen ohne Murren. Aber Johnny, der aus England gekommen war, musste sich jeden Tag überwinden, denn das war offensichtlich nicht der richtige Porridge. Er rührte mit dem Löffel darin herum, fischte die Spelzen und anderes heraus und legte sie an den Tellerrand; Tränen der Verzweiflung kullerten in den Brei, der immer dicker wurde, je länger man mit dem Essen wartete. Eines Morgens stand der heiss gefüllte Teller wieder heiss dampfend vor Johnny und er beugte sich angewidert darüber und überlegte, wie er wohl möglichst unauffällig mit dem Fischen beginnen konnte. Fräulein F. sah es, griff Johnnys Kopf und tunkte ihn in den heissen Brei. Zuerst lachten wir 1
laut ob der Komik der Situation. Doch dann machte sich betroffenens Schweigen breit. Johnny war unser Freund. Wir empfanden heftig, dass sie ihn erniedrigt und lächerlich gemacht und ihm obendrein das Gesicht verbrüht hatte. Da kam Tante Dora herein, sah bestürzt, was geschehen war, und sagte ruhig: ‚Johnny, gang di go wäsche.“ [Johnny, geh dich waschen.] Der Rest des Frühstücks fand in eisiger Stille statt. Doch in uns brodelte es. Wir schworen Rache, jedes für sich. Und was wir schon längst gerne getan hätten, wurde nun beschlossene Sache, ohne dass wir darüber hätten reden müssen. In gespannter Stille folgten wir ihr ins Spielzimmer und was wir uns schon lange wispernd und flüsternd vorgestellt hatten, geschah nun völlig selbstverständlich und ohne grosses Kommando. Jörg, Johnny, Peter und der schlimme Paul stellten sich hinter den Stuhl, auf den sie sich zu setzen pflegte, und ich lenkte sie von vorne ab, indem ich ihr irgendetwas zeigte, das ich auf den Tisch legte. Im Moment, als sie sich mühsam und umständlich auf ihren Stuhl fallen liess, war dieser nicht mehr da und Fräulein F. landete ziemlich unsanft auf dem Boden. Empörtes Gezeter, unbeholfener Kampf mit dem Gewicht und diversen Röcken und brüllendes, begeistertes Gelächter unsererseits. Johnny war rehabilitiert. Die Tür flog auf, Tante Dora stand auf der Schwelle, überblickte die Situation und begriff. „Fräulein F., chömed sie zu mir is Büro! – Und ihr spiled jetzt!“ [Fräulein F., kommen Sie zu mir ins Büro! – Und ihr spielt jetzt!“] Oh, wie vergnügt und lieb spielten wir, wie zufrieden war unser Leben auf einmal und jede Strafe würden wir gerne annehmen – aber es gab keine. Fräulein F. war wie ein böser Spuk verschwunden und Tante Dora erklärte uns beim Abendessen in aller Ruhe und der ihr eigenen Güte, was es für Folgen haben könne, dieses Stuhlwegziehen, dass man sich etwas brechen, ja sogar gelähmt sein könne und dass wir immer gut aufeinander aufpassen sollen, damit so etwas keinem von uns passiere!“ (Amei Krug / Jörg M. Buddensiek: Tante Dora. Erinnerungen an ihr Kinderheim. Chur 2008, S. 65ff.) Das Heim Wachter unterschied sich auch in anderer Hinsicht von vielen anderen Kinderheimen der damaligen Zeit. Das Heim war mitten im Dorf gelegen, die Heimkinder besuchten die Dorfschule, sie verkehrten mit den Nachbarskindern, es wurden öfters Ausflüge durchgeführt, die Mitarbeit im Heimbetrieb nahm nicht jene ausbeuterischen Ausmasse an, wie sie aus anderen Heimen überliefert sind, hingegen hatte das Spiel einen wichtigen Platz im Heimleben. Das sommerliche Barfuss- Laufen der Heimkinder war auch keine Ausnahmeregelung, um Schuhwerk zu sparen, sondern im ländlichen Appenzell damals weit verbreitet. Wohl war auch Dora Wachter stark religiös geprägt, doch ging es ihr nicht in erster Linie darum, ihre religiöse Prägung auch den Heimkindern aufzuzwingen. Der Kontakt mit Eltern und Verwandten wurde gepflegt, die Eltern wussten ihre Kinder gut aufgehoben, und seitens der Heimleitung wurde nicht schlecht über die Eltern geredet oder geschrieben. Damit hängt wohl auch zusammen, dass sich die Heimleiterin nicht als „Mutter“ anreden liess, sondern als „Tante Dora“. Thomas Huonker, März 2011 Auf den weiteren Seiten wird der Artikel von Erika Preisig: „Dora Wachter: Ein Leben für die Kinder“ in der „Tüüfner Post“ (Dorfzeitung Teufen, Jahrgang 13, Nr. 1, Februar 2008, S.20-22) wiedergegeben. 2
AZB 9053 Teufen Tüüfner Poscht Die Teufner Dorfzeitung Februar 2008 13. Jahrgang Nr. 1 2008 – Jahr der Konsolidierung Nach einem intensiven 2007 soll das neue Jahr ein ruhigeres werden. 2007 war für die Gemeinde ein prall gefüll- zu vermelden. Ausserdem teilt die Gemein- tes Jahr. 2008 soll ein ruhigeres werden – dekanzlei mit, dass die Sammlung des Teuf- ein Jahr der Konsolidierung, der Festigung, ner Kunstmalers Hans Zeller in das reno- wie Gemeindepräsident Gerhard Frey im vierte Zeughaus integriert werden soll. Schienentaxi Gespräch mit der «Tüüfner Poscht» erklärt. Weitere Themen sind die Auflösung des Was der «Tüüfner Poscht» im Jahr 2003 Im Vordergrund steht der Bezug des neuen Verkehrsvereins, das 40-Jahr-Jubiläum von noch ein 1.-April-Scherz wert war (Mono- Alterszentrums im Gremm. Lichtblicke für Plusport Behindertensport Mittelland und rail statt «Zügli») scheint inzwischen prü- Konsument/-innen sind Fortschritte bei der der Senioren-Volkstanz sowie ein histori- fenswerte Vision geworden zu sein. Eine Planung der Migros-Erweiterung sowie scher Beitrag über das frühere Kinderheim private «Vordenkergruppe» um Gemein- depräsident Gerhard Frey hat Ende 2007 ein Baugesuch von Coop. Voraussichtlich Wachter. «Tüüfner Chopf» ist die Klavierleh- Kontakt aufgenommen mit einer öster- dürfte auch bald mit der Überbauung des rerin Ursula von Burg. Auf der Jugendseite reichischen Firma, die auf Kabinenbahnen «Ochsen»-Areals begonnen werden; unklar wird über Alkoholtestkäufe und die Um- auf Schienen spezialisiert war – mit dem bleibt die Zukunft des Café Spörri (Seiten 4 wandlung eines Zivilschutzkellers in einen Ziel, eine Grundlage für eine Machbar- keitsstudie zu schaffen. und 5). Musikbunker berichtet. Aktuelles Thema Inzwischen ist die Herstellerfirma des so In der ersten «Tüüfner Poscht» des neuen ist die Tüüfner Fasnacht, die mit dem Mas- genannten «Coasters» (Bild) Konkurs Jahres werden die Monate Dezember und kenball am 8. und dem Kinderumzug am gegangen. Gerhard Frey ist noch immer Januar aufgearbeitet. Hauptthemen sind 9. Februar erste Höhepunkte feiert. Meldun- der Überzeugung, dass ein «Schienentaxi» das Silvesterklausen und die feierliche Ein- gen aus dem Dorfleben, Gratulationen und für die Versorgung der Appenzeller Streu- siedlung eine gute Lösung sein könnte, weihung des neuen Kirchgemeindehau- Nekrologe sowie ein neuer Leser/-innen- «weil wir damit eine gute Kombination ses Hörli. Aus dem Gemeinderat sind die Wettbewerb runden die vorliegende Ausgabe zwischen öffentlichem Verkehr und mo- Rücktritte von Gaby Bucher und Walter Nef ab. GL n torisiertem Individualverkehr mit Markt- chancen sehen.» Die «Vision» von einem «Schienentaxi» ist noch nicht gestorben – aber es dürfte noch viel Wasser den Rotbach hinunter fliessen, bis die Verkehrsprobleme in Teu- fen gelöst sind. – Mehr über die Zukunft unserer Gemeinde lesen Sie in unserem Interview mit Gemeindepräsident Gerhard Frey. Seiten 4 und 5 Nach einem kurzen, aber prachtvollen Winter – unsere Aufnahme entstand bereits im November bei der Oberen Gählern – freut sich Teufen auf einen strahlenden Frühling. Foto: HS
2 INHALT IMPRESSUM Interview mit Gemeindepräsident Gerhard Frey Gewerbe Herausgeberin Teufen im Jahr 2008 4/5 Praxis für Lymphologie Einwohnergemeinde, 9053 Teufen Media Swiss an Ringier verkauft 23 «Tüüfner Poscht» Redaktion, Postfach 152, 9053 Teufen Tüüfner Chopf Telefon 071 333 34 63 Ursula von Burg, Klavierlehrerin 25 (Montag bis Freitag, 7.30–11.30 Uhr) Fax 071 333 51 63 redaktion@tuefner-poscht.ch Redaktion Gäbi Lutz, Chefredaktor (GL) gl@tuefner-poscht.ch Rosmarie Nüesch (RN) rn@tuefner-poscht.ch Erika Preisig-Studach (EP) ep@tuefner-poscht.ch Evangelische Kirchgemeinde Marlis Schaeppi-Luginbühl (MS) Kirchgemeindehaus eingeweiht 7 Senioren ms@tuefner-poscht.ch Besichtigung Baustelle Kirche 9 Tanzen erhält jung 27 Monika Lindenmann-Leemann (ML) ml@tuefner-poscht.ch Weihnachtszeit Jugendseite 4-US Sepp Zurmühle (SZ) Rückblick in Bildern 11 Alkoholtestkäufe: Verzeigung sz@tuefner-poscht.ch Luftschutzkeller wird Musikbunker 29 Aus dem Gemeinderat Inserate-Annahme und Abos Rücktritt der Gemeinderäte Parteien Claudia Looser Gaby Bucher und Walter Nef 13 FDP und SP: Neujahrsbegrüssung Steinwichslenstrasse 2, 9052 Niederteufen Zeller-Sammlung ins Zeughaus 17 SVP: Raclette-Abend 31 Telefon 071 333 17 30 (Montag–Donnerstag) Handänderungen Dorfleben Fax 071 333 57 30 September, Oktober, November 14 Nekrologe und Gratulationen inserate@tuefner-poscht.ch Leserinnenbrief, Zivilstand Vereine Neuer «Bänkli»-Wettbewerb «Tüüfner Poscht» online Verkehrsverein aufgelöst 18 Erfolgreiche Aus-/Weiterbildungen www.tuefner-poscht.ch 40 Jahre Plusport 19 Kultur, Veranstaltungen 32–40 Grafische Gestaltung, Bildbearbeitung Hans Sonderegger, Unterrain 19, 9053 Teufen gestaltung@tuefner-poscht.ch Druck und Ausrüstung Kunz Druck & Co. AG, Teufen Redaktions- und Inserateschluss: Ausgabe 2; März 2008: 15. Februar 2008 Erscheint monatlich (Juli/August und Dezember/Januar: Historisches Närrische Tage Doppelnummern) Das Kinderheim Wachter 20/21 Tüüfner Fasnachtsfieber 39 Auflage: 3700 Exemplare
20 HISTORISCHES Dora Wachter: Ein Leben für die Kinder Im Kinderheim Wachter an der Speicherstrasse fanden von 1930 –1966 viele Kinder Geborgenheit in turbulenten Zeiten. Drei Institutionen trugen den Namen un- glück widerfahren, dass sie über Nacht im seres Dorfes während vieler Jahre hinaus in Gesicht halbseitig gelähmt wurde. Und das die Welt: Das Töchterinstitut Prof. Buser, das nach ihrer Verlobung mit einem jungen «Spörri» und das Kinderheim Wachter. In Mann. Eine ganze Welt brach für sie zusam- der Kriegs- und Nachkriegszeit fanden viele men. In ihrer Not tat sie ein Gelübde: Sollte Auslandschweizer Kinder, aber auch solche sie genesen dürfen, so wolle sie ihr Leben ei- aus dem Inland, bei Dora Wachter Gebor- nem guten Zweck widmen. So kam es. Tante genheit, gute Ernährung und gesunde Luft. Dora erholte sich vollständig von den Läh- Manche weilten während einiger Wochen, mungserscheinungen, verzichtete nun auf andere für mehrere Jahre im Heim. Sie be- eine Heirat und lebte nur noch für die Kin- suchten die Dorfschulen, freundeten sich mit der. Sie und ihr Verlobter mussten sich wirk- den Nachbarskindern an, und Tante Dora lich sehr geliebt haben – sie blieben sich ein wurde zu ihrer Ersatzmutter. Amrei Krug- Dora Wachter (rechts) mit ihrer Freundin Leben lang treu. AK Buddensiek hat ihre Erinnerungen an jene Bertha Diem. Zeit aufgeschrieben. Einige Episoden aus Amrei Krug-Buddensiek diesen «Geschichten aus dem Kinderheim» rück, dann auf den Bühl (beim Sternen), wo Amrei kam 1946 mit ihrem Bruder Jörg sind hier zu lesen. sie bis zu 70 Kinder betreute. Im Dezember aus der Gegend um Frankfurt a.M. ins Kin- 1930 konnte sie das Haus ihres Hausarztes derheim. Sie war damals 21/2-, Jörg sechs- Dora Wachter, 1885–1972 Dr. Dürst an der Speicherstrasse kaufen. Der jährig. Die Eltern wollten ihre Kinder vom Nach dem frühen Tod ihres Vaters kam die Betrieb wurde etwas kleiner, so dass sich Elend der Nachkriegszeit wegbringen in die achtjährige Dora Wachter mit ihrer Mutter Dora Wachter vermehrt persönlich um ihre Schweiz, der Heimat der Mutter. vom Aargau nach Bühler, wo sie ihre Jugend- kleinen Gäste kümmern konnte. Unermüd- Die Kinder litten unter unvorstellbarem zeit verbrachte. Ihren Beruf als Handarbeits- lich und liebevoll setzte sie sich für sie ein. Heimweh. Die Liebe und Fürsorge von Tante lehrerin übte sie nur kurze Zeit aus, denn als Freie Tage oder gar Ferien beanspruchte sie Dora und ihren Angestellten konnte dieses ihre Mutter die Leitung des Kinderheims kaum. wohl ein bisschen lindern, jedoch stillen Sanitas (Zeughausstrasse 5) übernahm, war 1966 wurde das letzte Kind verabschie- konnte es niemand. Während der fünf Jahre sie ihr bei der Betreuung der Kinder be- det und Dora lebte noch einige Jahre mit ih- hilflich und übernahm nach dem Tod ihrer rer Schwester Martha im grossen Haus. Mit Mutter selbst die Leitung. der Einweisung in die kantonale Heil- und Einige Male musste sie umziehen, von Pflegeanstalt, Herisau, begann ihr letzter Le- der Sanitas ins Eggli, von dort wieder zu- bensabschnitt und im März 1972 wurde sie von ihren Leiden erlöst. (Quelle: Appenzeller 1959/60: Als ihre Familie von Ägypten in die Zeitung vom 16. 3. 1972). Schweiz übersiedelte, lebten Christian Julien, Stein, mit seinem jüngeren Bruder Max im «Wachter». Links das Haus Wachter an der Eine schicksalshafte Krankheit Speicherstrasse 9. Bild zVg Als junge Frau war Dora Wachter das Un- TÜÜFNER POSCHT 1/2008
HISTORISCHES 21 Familie mit den vier Kindern in Afrika und dann durfte ich nachts in Tante Doras Bett später in Süddeutschland lebend, kaufte sie schlafen, während sie auf einem Feldbett da- sich ein Ferienhaus in Urnäsch. «Hier kann neben schlief. So hatte sie mich auch nachts ich wenigstens den Alpstein sehen», sagt sie. «im Auge». Das war ein grosser Trost in mei- nem Elend, war ich doch am Tag isoliert und Episoden aus dem Kinderheim viel allein. So empfand ich in diesen Nächten Tante Dora und die Gesundheit etwas Geborgenheit. () Doch die absolute Stunde der Gesundheit war am Morgen nach dem Frühstück. Da Tante Dora und der liebe Gott stand Tante Dora im weissen Arztkittel an Tante Dora war eine sehr gottesfürchtige ihrem Stehpult vor dem grossen geöffneten Frau. Sie lebte uns einen treuen, festen Glau- Medizinbuch. Da waren die Tabellen der Be- ben vor und ich bildete mir ein, sie habe Amrei und Jörg Buddensiek 1945. Krieg und findlichkeiten der Kinder eingetragen: Tem- einen «direkten Draht» zu Gott und hatte Angst sind vorbei, aber wir müssen ins Kinder- heim. Foto: AK peratur, Appetit, Essen und Verdauung. Mit daher grossen Respekt vor ihr. Ihr grosses grosser Geduld überwachte Tante Dora die Vorbild war Pestalozzi, sie erzählte immer wurden sie von den Eltern selten besucht, drei Toiletten, die jeweils auf halber Treppe wieder von ihm. Nur sah man ihn stets auf und diese Begegnungen waren so kurz, lagen. Man wurde aus dem morgendlichen Bildern mit Kindern auf dem Arm. Das gab dass der Abschiedsschmerz bereits die Be- Spiel mit Namen aufgerufen und musste bis es bei Tante Dora nicht. Niemals umarmte grüssung überschattete. Amrei besuchte die zum Ergebnis sitzen, je nach Alter auf Topf sie ein Kind oder nahm es auf ihren Schoss. erste bis dritte Klasse bei Lehrer Anton Luzi, oder Toilette. Nach vollbrachter Erleichte- Das kam bei ihr nicht vor, aus Angst, gewisse den sie sehr liebte. rung hatte man zu rufen: «Tante Dooora, i bi Kinder gegenüber andern vorzuziehen und Völlig überraschend, ohne sich verab- feeertig.» Sofort kam die wohlvertraute Ant- diese deswegen traurig zu machen. «Du schieden zu können, wurde sie 1951 von den wort «chome grad». Und das Ergebnis der sollst haben als hättest du nicht», sagte sie Eltern abgeholt. Amrei war ein Kind ohne Sitzung wurde begutachtet und in das grosse manchmal und das war wohl ein Grundsatz, Wurzeln. Fortan klammerte sie sich an die Buch eingetragen. Manchmal erklang das der ihre freundliche, aber reservierte Hal- feinen Würzelchen, die sie im Kinderheim Rufen aus allen drei Lokalitäten gleichzeitig, tung allen gegenüber erklärte. hatte entwickeln können. So oft sie konnte, dann eilte Tante Dora unermüdlich treppauf, besuchte sie Tante Dora. Später, mit ihrer treppab und ihre Zurufe wechselten dann Die Rückkehr zwischen «chome grad», «en Augeblick» und Jahre später kam ich zurück zum Kinder- Aufführung des Dornröschen, August 1941. «tue du warte». – Ich war als rechter Sprenzel heim. Doch das Haus war verschlossen. Ich Foto: Gemeindearchiv oft krank, was sehr, sehr langweilig war, aber wanderte durch den Garten, sass eine Weile auf der Treppe des Gartenhauses und be- trachtete das gute, alte Haus, das so lange mein Heim gewesen war. Schliesslich ging ich zum Schopf. Er war nicht verschlossen. Und hier stand ich nun mitten unter all den Dingen die meine Kindheit ausgemacht hat- ten: Ski und Schlitten, die dazu gehörenden Schuhe, Kisten mit Büchern und Heften. Darunter eine mit aufzuführenden The- aterstücken, die Rollen waren noch ange- schrieben und ich las meinen Namen. Und dort in der Ecke, ach, mein Gampiross... Sachte schloss ich die Tür. Ich musste gehen. Der Zug sollte bald fahren und mich zurück in meine Welt bringen. Notiert: Erika Preisig n Wachter-Treffen Am Wochenende vom 7./8. Juni 2008 findet ein Treffen der ehemaligen Wachter- Kinder statt. Es wäre schön, wenn auch Teufnerinnen und Teufner, die zu Dora Wachter oder zu Kindern des Heims eine Beziehung hatten, daran teilnehmen wür- den. Das genaue Programm wird anfangs Mai bekannt gegeben. 1/2008 TÜÜFNER POSCHT
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