Aus den Augen, aus dem Sinn - Die zunehmende Auslagerung des EU-Grenzregimes - Österreichische Gesellschaft für Europapolitik

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ÖGfE Policy Brief 13’2018
Aus den Augen, aus dem Sinn –
Die zunehmende Auslagerung des EU-Grenzregimes
Von Stefan Brocza
Wien, 05. Juli 2018
ISSN 2305-2635

Handlungsempfehlungen
   1. Die Auslagerung des EU-Migrations- und Grenzregimes bedarf klarer Zuständigkeiten.
      Die bisherige „Kakophonie“ an Institutionen und Mitgliedstaaten sollte reduziert werden.

   2. Die bisherige Finanzierung durch einfaches Umwidmen bestehender Finanzmittel muss
      auf eigene Beine gestellt werden. Dazu gehört auch eine vollständige Kontrollmöglichkeit
      durch das Europaparlament.

   3. Externalisierung darf nicht auf Kosten von Entwicklungspolitik geschehen.
      Auf die Einhaltung menschenrechtlicher Standards muss bei der Auswahl der
      „Externalisierungs-Projekte“ geachtet werden.

Zusammenfassung
Ähnlich einem mittelalterlichen Burgherrn errichtet die            Personengruppen, vermeidet die EU rechtliche und
Europäische Union in ihrem Vorfeld eine Art Cordon                 politische Unannehmlichkeiten auf eigenem Boden.
sanitaire – einen vorgelagerten Sicherheitsgürtel jen-             Dieses Überwälzen von Problemlösungen wird suk-
seits der EU-Außengrenzen, der eine besondere Art                  zessive auf weitere „sicherheitsrelevante“ bzw. „sen-
der Zusammenarbeit mit Drittstaaten etabliert.                     sible“ Politikbereiche ausgeweitet.
Die Hauptlast bei der Überwachung der EU-Außen-                    Im Wesentlichen besteht diese „Externalisierung“ in
grenzen liegt dabei bei nichteuropäischen Ländern.                 einem flexiblen Abwehrmechanismus, der auf immer
Kontrollen und Zurückweisungen finden demnach                      weiter von der EU-Grenze entfernte Gebiete ausge-
nicht nur auf dem Territorium der EU-Mitgliedstaa-                 dehnt wird. Zentrale Elemente dieses Konzepts sind
ten, sondern durch diese Kooperation auch schon                    einerseits die Auslagerung von Aufgaben (etwa der
auf Territorien von Drittstaaten statt. Mit dieser Ver-            Grenzkontrollen), andererseits die Etablierung gewoll-
schiebung der Grenzkontrollen und weiteren Maß-                    ter einschlägiger Rechts- und Verwaltungsstrukturen
nahmen der Abschottung gegenüber unerwünschten                     in den betreffenden Ländern.

Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999                               1
ÖGfE Policy Brief 13’2018

                                        Aus den Augen, aus dem Sinn –
                                        Die zunehmende Auslagerung des EU-Grenzregimes
                                        Die externe EU-Migrationspolitik und der damit verbundene Außengrenzschutz
                                        setzen immer mehr auf Externalisierung und Exterritorialisierung.

                                            Ob vorgelagerte Grenzkontrollen oder die Schaf-              ausgedehnt wird. Im Rahmen dieser Entwicklung
                                        fung von Internierungslagern in Afrika und schließ-              verwandelt sich die bisher als wohlwollender Hege-
                                        lich die Etablierung einer allumfassenden Sicher-                mon agierende EU zu einem ziel- und zweckorien-
                                        heits- und Verteidigungsarchitektur für einen                    tiert agierenden imperialen Akteur.
                                        ganzen Nachbarkontinent – zunehmend geht es
                                        um die Lösung europäischer Probleme bereits im                    Die externe Migrationspolitik der EU
                                        Vorfeld. Bedrohungen jeglicher Art sollen möglichst
                                        früh, idealerweise bereits im Entstehen weit weg                    Mit Anfang der 2000er Jahre hat die externe Mi-
                                        vom eigenen Territorium, abgewendet werden. Da-                  grationspolitik der EU eine große Zahl unterschiedli-
                                        für wurde ein komplexes Externalisierungs-System,                cher Instrumente und Abkommen entwickelt, die die
                                        inklusive ausgefeilter Anreiz- und Bestrafungsme-                Tendenz zur Externalisierung zunehmend verstärken
                                        chanismen geschaffen. Mit dem Prozess der Exter-                 und zu einer Verlagerung migrationspolitischer Kon-
                                        nalisierung entgrenzen und diffundieren die traditio-            trollen und Restriktionen in Drittstaaten führen3. Da-
                                        nellen Elemente der Staatlichkeit und eine neue Art              rüber hinaus lassen sich seit 2015 drei neue Trends
                                        von Regierungstechnologie, die über ein bestimm-                 ausmachen: (1) eine regionale Verschiebung der mi-
                                        tes staatliches Territorium hinausgeht, entsteht.1 Da-           grationspolitischen Zusammenarbeit weg aus dem
                                        mit einher gehen Prozesse der Exterritorialisierung,             unmittelbaren, direkten EU-Nachbarschaftsraum
                                        die allesamt so beschrieben werden können: „the                  hin zu weiter entfernten Herkunfts- uns Transitstaa-
                                        link between policy and territory and sovereignty,               ten mit dem Fokus auf die Nachbarstaaten Syriens
                                        in the sense that policy-making decisions, and the               und den afrikanischen Kontinent; (2) eine wachsen-
                                        implementation and outcomes of this policy, differ               de Instrumentalisierung der EU-Entwicklungspolitik
                                        territorially.“2 Parallel dazu verwischt die Grenze zwi-         für migrations- und sicherheitspolitische Interessen
                                        schen innerer und äußerer Sicherheit. Die Bedeu-                 und (3) eine schleichende Renationalisierung der
                                        tung der sogenannten externen Dimension interner                 EU-Entwicklungspolitik.4
                                        Sicherheit nimmt zu. Das Konzept der Externalisie-
                                        rung wird dabei zu einem allgemein einsetzbaren                    Hatten noch der „Gesamtansatz Migration“ (GAM,
                                        und flexiblen Abwehrmechanismus, der auf immer                   2005) wie auch der „Gesamtansatz Migration und
                                        weiter von der EU-Außengrenze entfernte Gebiete                  Mobilität (GAMM, 2012) auf eine möglichst effiziente

                                        1) STEFAN BROCZA: Europa stößt an seine Grenzen, Wie-            3) STEFAN BROCZA: Die Auslagerung des EU-Grenzregimes.
                                        ner Zeitung 21.4.2015, https://www.wienerzeitung.at/meinun-      Externalisierung und Exterritorialisierung, Promedia, 2015.
                                        gen/leserforum/747681_Europa-stoesst-an-seine-Grenzen.html
                                        [3.7.2018]                                                       4) DAVIS KIPP, ANNE KOCH: Auf der Suche nach externen
                                                                                                         Lösungen – Instrumente, Akteure und Strategien der migrati-
                                        2) GEMMA AUBARELL, RICARDi ZAPATA-BARRERO, XA-                   onspolitischen Kooperation Europas mit afrikanischen Staaten,
                                        VIER ARAGALL: New Directions of National Immigration Poli-       in: ANNE KOCH, ANNETTE WEBER, ISABELLE WERENFELS
                                        cies: The Development of the External Dimension and its Re-      (Hg.): Migrationsprofiteure? Autoritäre Staaten in Afrika und das
                                        lationship with the Euro-Mediterranean Process; EuroMesco        europäische Migrationsmangement, SWP-Studie 3, April 2018,
                                        Paper 79, 2009, S. 9. https://www.euromesco.net/wp-content/      S. 9. https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/
                                        uploads/2017/10/200902-EuroMeSCo-Paper-1.79.pdf [3.7.2018]       studien/2018S03_koc_web_wrf.pdf [3.7.2018]

2                               Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 13’2018
  Steuerung von Personenbewegungen inklusive der                     Hemmschwelle für die migrationspolitische Koope-
  Einführung von Konzepten der „zirkulären Migration“                ration mit autoritären und fragilen Staaten sinkt, ist
  abgezielt, so ändert sich dieser Ansatz grundlegend                die Kehrseite der Medaille. Wie jüngst nachgewie-
  mit dem Beschluss der EU-Migrationsagenda. Im                      sen, haben die autoritäre Eliten in den betreffenden
  Juni 2016 unterzeichneten zwar fünf wichtige afrikani-             Staaten Afrikas dies jedenfalls erkannt: Wer bereit
  sche Herkunfts- und Transitländer5 sogenannte „Mig-                ist, die von der EU geforderte migrationspolitische
  rationspartnerschaften“. Mit den bis dahin bekannten               Kooperation einzugehen, darf mit weniger Druck in
  und geschlossenen „Mobilitätspartnerschaften“ hat-                 der Frage der politischen Transformation rechnen.8
  ten diese neuen Abkommen jedoch nichts mehr ge-
  mein.6 Die bislang jeweils enthaltene Öffnung legaler                                 Lagerkonzept
  Zuwanderungsmöglichkeiten blieb ausgespart.
                                                                        Ein weiteres zentrales Element im Externalisie-
   „Dieser markante Richtungswechsel verdeut-                        rungsprozess ist das sogenannte Lagerkonzept9 -
licht, dass die EU bei ihrer externen Migrations-                    eine Maßnahme, um internationale Migranten an der
politik, die früher stets eine Perspektive zur le-                   Einreise in die EU zu hindern oder zurückgescho-
galen Zuwanderung enthielt, nun nur noch auf                         bene Migranten zu internieren. Es verwundert auch
finanzielle Anreize bei Wohlverhalten setzt.“                        keineswegs, dass der aktuelle österreichische Bun-
                                                                     deskanzler Kurz (wie schon sein Vorgänger Kern im
       Dieser markante Richtungswechsel verdeut-                     Jahr zuvor10) gerade die Einrichtung solcher Lager
  licht, dass die EU bei ihrer externen Migrationspo-                (möglichst weit im Vorfeld der eigentlichen EU-Au-
  litik, die früher stets eine Perspektive zur legalen               ßengrenzen) fordert. Österreich ist traditionell ein ve-
  Zuwanderung enthielt, nun nur noch auf finanzielle                 hementer Verfechter dieses Konzepts: Bereits 2006
  Anreize bei Wohlverhalten setzt. Als Wohlverhalten                 hat die damalige Innenministerin Liese Prokop wäh-
  gilt, irreguläre Abwanderung einzuschränken und                    rend der damaligen österreichischen EU-Ratsprä-
  jedenfalls Menschen zurückzunehmen, die das                        sidentschaft mit einem diffusen Lagerkonzept da-
  Land auf diesem Weg verlassen haben. Dies soll                     für Stimmung gemacht. Als sie auf Widerstand und
  in jeweils rechtlich bindenden Rückübernahmeab-                    Ablehnung stieß, verlor sie zwar schnell wieder das
  kommen festgeschrieben werden. Mit der Hinwen-                     Interesse daran. Im Rahmen der Vorbereitungen auf
  dung zu finanziellen Anreizen geht offensichtlich                  die österreichische EU-Ratspräsidentschaft ab 1.
  auch eine Abkehr von den zuvor jeweils prominent                   Juli 2018 hat man aber jedenfalls in Österreich auf
  angekündigten Transformationsagenden einher.                       die „alte Innovation“ zurückgegriffen.
  Der Fokus auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
  scheint nicht mehr dieselbe Bedeutung einzuneh-
  men.7 Wichtig erscheint vielmehr die Bereitschaft
  bei der sogenannten Abwehr illegaler Migration
  mitzuwirken. Dass damit aber auch gleichzeitig die                 8) ANNE KOCH, ANNETTE WEBER, ISABELLE WERENFELS
                                                                     a.a.O., 7.
                                                                     9) Für eine ausführliche Darstellung des Lagerkonzepts vgl.
                                                                     STEFAN BROCZA, MARTINA JÄGER: EU-finanzierte Internie-
                                                                     rungslager in Libyen, in: STEFAN BROCZA a.a.O. 2015, 145-157
  5)   Äthiopien, Mali, Niger, Nigeria und Senegal                   sowie STEFAN BROCZA, MARTINA JÄGER: Europas Flücht-
                                                                     lingspolitik gegen Libyen: einfach überfordert oder doch be-
  6) Für eine Gesamtbewertung bisheriger Mobilitätspartner-          wusst menschenverachtend? In: International – Zeitschrift für
  schaften vgl. STEFAN BROCZA, KATHARINA PAULHART: EU                internationale Politik, 2011/2.
  mobility partnerships: a smart instrument for the externalizati-
  on of migration control, European Journal of Futures Research      10) STEFAN BROCZA: Wiederbelebung des EU-Lagerkon-
  2015, https://doi.org/10.1007/s40309-015-0073-x [3.7.2018]         zepts? Wiener Zeitung 1.5.2017, https://www.wienerzeitung.at/
                                                                     meinungen/gastkommentare/889280_Wiederbelebung-des-
  7)   DAVIS KIPP, ANNE KOCH a.a.O., 14.                             EU-Lagerkonzepts.html [3.7.2018]

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                                          „Spätestens nach den bereits gemachten                         bereits vor einiger Zeit eine Untersuchung der EU-
                                       internationalen Erfahrungen mit dem Lager-                        Externalisierungsmaßnahmen in Marokko gezeigt11.
                                       konzept sollte sich aber jegliche politische                      Dass dieser unübersichtliche und kaum noch nach-
                                       Diskussion darüber erledigt haben.“                               vollziehbare Finanzierungsmix von Externalisierungs-
                                                                                                         projekten weiter anhält, zeigt eine jüngste Aufstellung
                                             Spätestens nach den bereits gemachten interna-              der Geldquellen für den sogenannten Khartoum-Pro-
                                         tionalen Erfahrungen mit dem Lagerkonzept sollte                zess. Hier soll – gemäß „Khartoum-Erklärung“ von 58
                                         sich aber jegliche politische Diskussion darüber er-            Staaten Europas und Afrikas – zur Bekämpfung der
                                         ledigt haben: Die Kooperation mit Libyen während                irregulären Migration und krimineller Netzwerke die
                                         des Regimes von Muammar al-Gaddafi endete in                    Kooperation zwischen der EU und Herkunfts- sowie
                                         einer Katastrophe, und auch das immer wieder zi-                Transitländern intensiviert werden. Kooperiert wird
                                         tierte australische Modell mit Internierungslagern              dabei mit den Herkunftsländern Äthiopien, Sudan,
                                         auf vorgelagerten Pazifikinseln ist gescheitert. Trotz          Eritrea, Südsudan, Somalia und Djibouti sowie den
                                         massiver finanzieller Anreize findet sich kein Land             Transitländern Libyen, Ägypten und Tunesien. Die
                                         für ein Umsiedlungsabkommen. Flüchtlinge und                    Mittel dafür stammen insbesondere aus12: aaaaaaa
                                         MigrantInnen, die dort leben – teilweise schon seit             aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa
                                         Jahren –, müssen gegen ihren Willen festgehalten                    • Europäischer Entwicklungsfond, EEF
                                         werden. In der neuerlichen Diskussion um solche                     • Regionales Indikativprogramme für West-,
                                         Lager bleiben die BefürworterInnen des Konzepts                        Zentral- und Ostafrika
                                         die zentrale Antwort nach dem konkreten Standort                    • Nationales Indikativprogramme für das Horn
                                         für solche Einrichtungen jedenfalls noch schuldig.                     von Afrika
                                                                                                             • Finanzierungsinstrument für Entwicklungszu-
                                                   Ringen um Kohärenz und                                       sammenarbeit, DCI
                                                      zusätzliche Mittel                                     • Europäisches Nachbarschaftsinstrument, ENI

                                            Die Zuständigkeitsbereiche und Kompetenzen                      Aus den umgewidmeten Finanzmitteln wurde in der
                                         beim laufenden Externalisierungsprozess sind au-                Folge im November 2015 im Rahmen des Migrations-
                                         ßen-, sicherheits-, entwicklungs- und wirtschafts-              gipfels in Valletta ein Europäischer Nothilfe-Treuhand-
                                         politisch nicht immer klar voneinander abgegrenzt.              fonds für die Stabilität in Afrika und die Bekämpfung
                                         EU-Institutionen, Mitgliedstaaten, internationale Or-           der Ursachen irregulärer Migration13 geschaffen. Tat-
                                         ganisationen sowie diverse Durchführungsorganisati-             sächlich handelt es sich aber keineswegs um „neues“,
                                         onen verfolgen zu Weilen auch noch unterschiedliche             zusätzliches Geld. Es wurden vielmehr bestehende
                                         Zielsetzungen. Innerhalb der EU-Kommission sind                 Entwicklungsgelder „umetikettiert“ und gebündelt.
                                         beispielsweise die Generaldirektionen Inneres (DG
                                         HOME), Nachbarschaft und Erweiterung (DG NEAR)
                                         sowie Internationale Zusammenarbeit und Entwick-                11) MAGDALENA GASSNER: Praktische Implementierung. Die
                                                                                                         Anwendung des „Root Causes Approach“ in Marokko, in: STE-
                                         lung (DG DEVCO) mit der Ausgestaltung der Migrati-              FAN BROCZA 2015 a.a.O., S. 73-110.
                                         onspolitik beschäftigt. Dazu kommt der Europäische
                                                                                                         12) AMNESTY INTERNATIONAL: Der Karthoum-Prozess,
                                         Auswärtige Dienst (EAD), der weite Teile des Dialogs            2017, S. 5 http://amnesty-sudan.de/amnesty-wordpress/wp-
                                         mit den betreffenden Drittstaaten abzudecken hat.               content/uploads/2017/02/KhartoumProzess_Externalisierung_
                                                                                                         der_Flüchtlingspolitik.pdf [3.7.2018]
                                             Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Finanzierung          13) Näheres zum Fonds vgl. CLARE CASTILLEJO. Der Nothilfe
                                         der diversen Projekte. Diese werden durch die Um-               Treuhandfonds der EU für Afrika und seine Auswirkungen auf die
                                         widmung von bereits in anderen Fonds und Budget-                EU-Entwicklungspolitik, Analysen und Stellungnahmen 20/2017;
                                                                                                         Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für
                                         linien vorgesehenen Geldern finanziert. Welche ver-             Entwicklungspolitik (DIE) https://www.die-gdi.de/uploads/me-
                                         schlungenen Wege die Geldmittel dabei machen, hat               dia/AuS_20.2017.pdf [3.7.2018]

4                               Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 13’2018
  „Tatsächlich handelt es sich aber keines-                      ihre Entwicklungsprioritäten im Rahmen des MFR
wegs um „neues“, zusätzliches Geld. Es wur-                      herabstufen und stattdessen vermehrt Maßnahmen
den vielmehr bestehende Entwicklungsgelder                       ergreifen will, die die Zahl der Menschen aus Afrika
„umetikettiert“ und gebündelt.“                                  und dem Nahen Osten, die nach Europa einwan-
                                                                 dern, verringern sollen.15 Damit würden weiterhin
     Der Treuhandfonds für Afrika (EUTF) verschafft              Mittel der Entwicklungspolitik für die Externalisie-
 den europäischen Institutionen zweifelsohne einen               rung der EU-Migrationskontrolle und somit auch in-
 größeren Spielraum. Da der Fonds jedoch als Not-                direkt für den Außengrenzschutz zweckendfremdet.
 fallmechanismus außerhalb des regulären EU-Bud-
 gets angesiedelt ist, hebelt er auch die normal gel-               Europäischer Rat vom 28. Juni 2018
 tenden, strikten Vergabeverfahren aus.
                                                                    Einen deutlichen Schritt Richtung Externalisie-
     Bis zum März 2018 hat die EU-Kommission ihre                rung und Exterritorialisierung machten die EU-
 Beiträge zum EUTF aus den unterschiedlichsten                   Staats- und Regierungschefs in den Schlussfolge-
 bestehenden Haushaltslinien jedenfalls auf drei Mil-            rungen zum Europäischen Rat vom 28. Juni.16 Neben
 liarden Euro erhöht. Davon stammen 2,3 Milliarden               eher allgemeinen Formulierungen wie „Maßnahmen
 aus dem Europäischen Entwicklungsfonds (EEF), der               gegen von Libyen oder anderen Orten aus operie-
 selbst nicht Teil des EU-Budgets ist und daher auch             rende Schleuser“, „Unterstützung für die Sahelzo-
 nicht der Zustimmung und Kontrolle des Europapar-               ne, die libysche Küstenwache, Gemeinschaften an
 laments unterliegt. Alle weiteren Mittel wurden aus             der Küste und im Süden“ oder „die Zusammenar-
 dem regulären EU-Budget entnommen: 313 Millio-                  beit mit anderen Herkunfts- und Transitländern und
 nen Euro aus dem Finanzierungsinstrument für Ent-               die freiwillige Neuansiedlung zu verstärken“ finden
 wicklungszusammenarbeit (DCI), 226 Millionen Euro               sich auch sehr konkrete Externalisierungsschritte:
 aus dem Budget der EU-Nachbarschaftspolitik, 77                 Der Europäische Rat sprach sich etwa für ein Kon-
 Millionen Euro aus der Generaldirektion Inneres so-             zept „regionaler Ausschiffungsplattformen“ für auf
 wie 50 Millionen Euro aus der Generaldirektion Hu-              See gerettete Menschen aus. Diese von dem UN-
 manitäre Hilfe und Katastrophenschutz (DG ECHO).14              HCR und der IOM vorgeschlagenen Plattformen
                                                                 sollen eine rasche und sichere Unterscheidung zwi-
    Im Rahmen der Arbeiten am mehrjährigen Fi-                   schen Wirtschaftsflüchtlingen und Asylsuchenden
 nanzrahmen der EU (MFR) für die Jahre 2021 bis                  ermöglichen. Die EU-Staats- und Regierungschefs
 2027 hat nun die EU-Kommission am 14. Juni                      kamen auch überein, 500 Millionen Euro von der
 2018 ihre Pläne für eine drastische Erhöhung der                Reserve des 11. Europäischen Entwicklungsfonds
 Ausgaben für die Migrationskontrolle präsentiert.               auf den EU-Treuhandfonds für Afrika zu übertra-
 Im Rahmen der Initiative „Nachbarschaft und die                 gen. Schließlich sprachen sie sich darüber hinaus
 Welt“ werden die außenpolitischen Ausgaben des                  dafür aus, eine neue und spezielle Fazilität für das
 gesamten Blocks in einem einzigen Instrument zu-                Management der externen Migration in den langfris-
 sammengefasst. Der Vorschlag sieht rund 9 Milli-                tigen Haushaltsrahmen der EU (MFR) aufzunehmen.
 arden Euro für migrationsbedingte Ausgaben vor,
 wobei die Mittel gleichzeitig wieder aus verschiede-
 nen Budgetbereichen entnommen werden sollen.                    15) BENJAMIN FOX: EU-Kommission will mehr Geld für Ent-
 In ersten Reaktionen äußerten zivilgesellschaftliche            wicklung – und gegen Migration, EURACTIV 14. Juni 2018, ht-
                                                                 tps://www.euractiv.de/section/eu-aussenpolitik/news/eu-kom-
 Gruppen allerdings die Befürchtung, dass die EU
                                                                 mission-will-mehr-geld-fuer-entwicklung-und-gegen-migration/
                                                                 [3.7.2018]
                                                                 16) Dokument EUCO 9/18 vom 28. Juni 2018, https://www.
                                                                 consilium.europa.eu/media/35938/28-euco-final-conclusions-
 14)   DAVIS KIPP, ANNE KOCH a.a.O., 15.                         de.pdf [3.7.2018]

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ÖGfE Policy Brief 13’2018

                                         „Alle nordafrikanischen Staaten sprachen                            vermeidung die Hemmschwelle für die Zusam-
                                      sich umgehend gegen die angekündigten EU-                              menarbeit auch mit autoritären Regimen. Zusam-
                                      Flüchtlingslager auf ihrem Territorium aus.“                           mengenommen ist zu befürchten, dass unter dem
                                                                                                             Schlagwort Fluchtursachenminderung lediglich
                                            So beachtlich sich diese Schlussfolgerungen im                   Symptome bekämpft werden und keine Zeit und
                                         ersten Moment lesen, so ernüchternd waren die um-                   keine Mittel mehr zur Verfügung stehen, langfristige
                                         gehenden Reaktionen der betroffenen Drittstaaten.                   Strukturänderungen herbeizuführen.18
                                         Alle nordafrikanischen Staaten – Marokko, Algerien,
                                         Tunesien, Libyen und Ägypten – sprachen sich um-                            „Zusammengenommen ist zu befürchten,
                                         gehend gegen die angekündigten EU-Flüchtlings-                            dass unter dem Schlagwort Fluchtursachen-
                                         lager auf ihrem Territorium aus. Offensichtlich hatte                     minderung lediglich Symptome bekämpft
                                         man im Brüsseler Gipfelüberschwang schlichtweg                            werden und keine Zeit und keine Mittel mehr
                                         vergessen, mit den betroffenen Staaten im Vorfeld                         zur Verfügung stehen, langfristige Strukturän-
                                         konkret darüber zu sprechen.17                                            derungen herbeizuführen.“

                                                        Schlussbetrachtung                                       Die von der EU etablierte Strategie der Externa-
                                                                                                             lisierung, also der Versuch, die nach Europa stre-
                                             Die politische Fokussierung auf eine Redukti-                   benden Flüchtlingsströme und Migrationsbewegun-
                                         on der Zuwanderungszahlen (legal wie illegal) führt                 gen schon außerhalb der EU-Mitgliedstaaten in im
                                         dazu, dass zunehmend Gelder der klassischen Ent-                    Vorfeld ausgewählten Partnerstaaten – sei es nun
                                         wicklungszusammenarbeit immer häufiger in den                       aktuell die Türkei und demnächst wohl auch wieder
                                         Dienst der „Fluchtursachenminderung“ gestellt wer-                  verstärkt Libyen – aufzufangen, und so eine kontrol-
                                         den. Dies ist jedoch nur bedingt sinnvoll. Die Mög-                 lierte Zuwanderung bzw. Übernahme von Flüchtlin-
                                         lichkeiten der Entwicklungspolitik, Wanderungs-                     gen zu schaffen, funktioniert allenfalls bedingt. Mit
                                         bewegungen überhaupt beeinflussen zu können,                        dieser Auslagerungspolitik konnte man bisher bes-
                                         werden mit einer politischen Erwartungshaltung                      tenfalls (kurzfristig) Zeit erkaufen. In diesem Kontext
                                         konfrontiert, die so niemals eingelöst werden kann.                 bedeutet daher auch die Bereitstellung von weiteren
                                         Für die Praxis der Entwicklungspolitik bedeutet dies                Millionen Euro für Projekte in wichtigen Ausgangs-
                                         zudem, dass sinnvolle langfristige strukturbildende                 und Transitländern nichts als einen weiteren Ver-
                                         Maßnahmen Platz machen müssen für kurzfristige                      such teils zweifelhafter Externalisierung. Was damit
                                         Maßnahmen zur Migrationsverminderung und -ver-                      aber ganz sicher verfestigt wird, ist die Versicher-
                                         meidung. Das Konzept einer sinnvollen Entwick-                      heitlichung der EU-Außenpolitik und im Speziellen
                                         lungspolitik wird damit zunehmend geschwächt.                       die Unterwerfung der EU-Entwicklungspolitik unter
                                         Gleichzeitig reduziert die Fixierung auf Migrations-                das Primat der Sicherheitspolitik.

                                         17) MARTIN GEHLEN: Reaktionen aus Afrika: „Unsere Antwort
                                         ist ein klares Nein“, Die Presse, 2 Juli 2018, https://diepresse.
                                         com/home/ausland/eu/5457562/Reaktionen-aus-Afrika_Unse-
                                         re-Antwort-ist-ein-klares-Nein [3.7.2018]                           18)   DAVIS KIPP, ANNE KOCH a.a.O., 18.

6                               Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 13’2018
Über den Autor
Stefan Brocza: Studium in Wien, St. Gallen und Harvard. 1994 EU- und Schengen
Koordinierung im Innenministerium, ab 1996 im EU Ratssekretariat in Brüssel (Außenwirt-
schaftsbeziehungen, Erweiterung, Presse/Kabinett, Umsetzung der EU Außenstrategie
für die innere Sicherheit). Aktuell tätig in Lehre und Forschung an Universitäten im In- und
Ausland sowie als politischer Berater, Publizist und Gutachter.

Kontakt: stefan.brocza@univie.ac.at

Über die ÖGfE
Die Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) ist ein parteipolitisch unabhän-
giger Verein auf sozialpartnerschaftlicher Basis. Sie informiert über die europäische In-
tegration und steht für einen offenen Dialog über aktuelle europapolitische Fragen und
deren Relevanz für Österreich. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Bezug auf die
Förderung einer europäischen Debatte und agiert als Katalysator zur Verbreitung von eu-
ropapolitischen Informationen.

ISSN 2305-2635                                                          Impressum

Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck                   Österreichische Gesellschaft für Europapolitik
kommen, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE                      Rotenhausgasse 6/8-9
oder jenen, der Organisation, für die der Autor arbeitet,               A-1090 Wien, Österreich
überein.

Schlagworte                                                             Generalsekretär: Mag. Paul Schmidt
EU, Migration, Außengrenze, Auslagerung, Externalisierung               Verantwortlich: Christoph Breinschmid, M.A.

Zitation                                                                Tel.: +43 1 533 4999
Brocza, S. (2018). Aus den Augen, aus dem Sinn – die                    Fax: +43 1 533 4999 – 40
zunehmende Auslagerung des EU-Grenzregimes. Wien.                       E-Mail: policybriefs@oegfe.at
ÖGfE Policy Brief, 13’2018                                              Web: http://oegfe.at/policybriefs

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