Aus den Augen, aus dem Sinn - Die zunehmende Auslagerung des EU-Grenzregimes - Österreichische Gesellschaft für Europapolitik
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ÖGfE Policy Brief 13’2018 Aus den Augen, aus dem Sinn – Die zunehmende Auslagerung des EU-Grenzregimes Von Stefan Brocza Wien, 05. Juli 2018 ISSN 2305-2635 Handlungsempfehlungen 1. Die Auslagerung des EU-Migrations- und Grenzregimes bedarf klarer Zuständigkeiten. Die bisherige „Kakophonie“ an Institutionen und Mitgliedstaaten sollte reduziert werden. 2. Die bisherige Finanzierung durch einfaches Umwidmen bestehender Finanzmittel muss auf eigene Beine gestellt werden. Dazu gehört auch eine vollständige Kontrollmöglichkeit durch das Europaparlament. 3. Externalisierung darf nicht auf Kosten von Entwicklungspolitik geschehen. Auf die Einhaltung menschenrechtlicher Standards muss bei der Auswahl der „Externalisierungs-Projekte“ geachtet werden. Zusammenfassung Ähnlich einem mittelalterlichen Burgherrn errichtet die Personengruppen, vermeidet die EU rechtliche und Europäische Union in ihrem Vorfeld eine Art Cordon politische Unannehmlichkeiten auf eigenem Boden. sanitaire – einen vorgelagerten Sicherheitsgürtel jen- Dieses Überwälzen von Problemlösungen wird suk- seits der EU-Außengrenzen, der eine besondere Art zessive auf weitere „sicherheitsrelevante“ bzw. „sen- der Zusammenarbeit mit Drittstaaten etabliert. sible“ Politikbereiche ausgeweitet. Die Hauptlast bei der Überwachung der EU-Außen- Im Wesentlichen besteht diese „Externalisierung“ in grenzen liegt dabei bei nichteuropäischen Ländern. einem flexiblen Abwehrmechanismus, der auf immer Kontrollen und Zurückweisungen finden demnach weiter von der EU-Grenze entfernte Gebiete ausge- nicht nur auf dem Territorium der EU-Mitgliedstaa- dehnt wird. Zentrale Elemente dieses Konzepts sind ten, sondern durch diese Kooperation auch schon einerseits die Auslagerung von Aufgaben (etwa der auf Territorien von Drittstaaten statt. Mit dieser Ver- Grenzkontrollen), andererseits die Etablierung gewoll- schiebung der Grenzkontrollen und weiteren Maß- ter einschlägiger Rechts- und Verwaltungsstrukturen nahmen der Abschottung gegenüber unerwünschten in den betreffenden Ländern. Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 1
ÖGfE Policy Brief 13’2018 Aus den Augen, aus dem Sinn – Die zunehmende Auslagerung des EU-Grenzregimes Die externe EU-Migrationspolitik und der damit verbundene Außengrenzschutz setzen immer mehr auf Externalisierung und Exterritorialisierung. Ob vorgelagerte Grenzkontrollen oder die Schaf- ausgedehnt wird. Im Rahmen dieser Entwicklung fung von Internierungslagern in Afrika und schließ- verwandelt sich die bisher als wohlwollender Hege- lich die Etablierung einer allumfassenden Sicher- mon agierende EU zu einem ziel- und zweckorien- heits- und Verteidigungsarchitektur für einen tiert agierenden imperialen Akteur. ganzen Nachbarkontinent – zunehmend geht es um die Lösung europäischer Probleme bereits im Die externe Migrationspolitik der EU Vorfeld. Bedrohungen jeglicher Art sollen möglichst früh, idealerweise bereits im Entstehen weit weg Mit Anfang der 2000er Jahre hat die externe Mi- vom eigenen Territorium, abgewendet werden. Da- grationspolitik der EU eine große Zahl unterschiedli- für wurde ein komplexes Externalisierungs-System, cher Instrumente und Abkommen entwickelt, die die inklusive ausgefeilter Anreiz- und Bestrafungsme- Tendenz zur Externalisierung zunehmend verstärken chanismen geschaffen. Mit dem Prozess der Exter- und zu einer Verlagerung migrationspolitischer Kon- nalisierung entgrenzen und diffundieren die traditio- trollen und Restriktionen in Drittstaaten führen3. Da- nellen Elemente der Staatlichkeit und eine neue Art rüber hinaus lassen sich seit 2015 drei neue Trends von Regierungstechnologie, die über ein bestimm- ausmachen: (1) eine regionale Verschiebung der mi- tes staatliches Territorium hinausgeht, entsteht.1 Da- grationspolitischen Zusammenarbeit weg aus dem mit einher gehen Prozesse der Exterritorialisierung, unmittelbaren, direkten EU-Nachbarschaftsraum die allesamt so beschrieben werden können: „the hin zu weiter entfernten Herkunfts- uns Transitstaa- link between policy and territory and sovereignty, ten mit dem Fokus auf die Nachbarstaaten Syriens in the sense that policy-making decisions, and the und den afrikanischen Kontinent; (2) eine wachsen- implementation and outcomes of this policy, differ de Instrumentalisierung der EU-Entwicklungspolitik territorially.“2 Parallel dazu verwischt die Grenze zwi- für migrations- und sicherheitspolitische Interessen schen innerer und äußerer Sicherheit. Die Bedeu- und (3) eine schleichende Renationalisierung der tung der sogenannten externen Dimension interner EU-Entwicklungspolitik.4 Sicherheit nimmt zu. Das Konzept der Externalisie- rung wird dabei zu einem allgemein einsetzbaren Hatten noch der „Gesamtansatz Migration“ (GAM, und flexiblen Abwehrmechanismus, der auf immer 2005) wie auch der „Gesamtansatz Migration und weiter von der EU-Außengrenze entfernte Gebiete Mobilität (GAMM, 2012) auf eine möglichst effiziente 1) STEFAN BROCZA: Europa stößt an seine Grenzen, Wie- 3) STEFAN BROCZA: Die Auslagerung des EU-Grenzregimes. ner Zeitung 21.4.2015, https://www.wienerzeitung.at/meinun- Externalisierung und Exterritorialisierung, Promedia, 2015. gen/leserforum/747681_Europa-stoesst-an-seine-Grenzen.html [3.7.2018] 4) DAVIS KIPP, ANNE KOCH: Auf der Suche nach externen Lösungen – Instrumente, Akteure und Strategien der migrati- 2) GEMMA AUBARELL, RICARDi ZAPATA-BARRERO, XA- onspolitischen Kooperation Europas mit afrikanischen Staaten, VIER ARAGALL: New Directions of National Immigration Poli- in: ANNE KOCH, ANNETTE WEBER, ISABELLE WERENFELS cies: The Development of the External Dimension and its Re- (Hg.): Migrationsprofiteure? Autoritäre Staaten in Afrika und das lationship with the Euro-Mediterranean Process; EuroMesco europäische Migrationsmangement, SWP-Studie 3, April 2018, Paper 79, 2009, S. 9. https://www.euromesco.net/wp-content/ S. 9. https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/ uploads/2017/10/200902-EuroMeSCo-Paper-1.79.pdf [3.7.2018] studien/2018S03_koc_web_wrf.pdf [3.7.2018] 2 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 13’2018 Steuerung von Personenbewegungen inklusive der Hemmschwelle für die migrationspolitische Koope- Einführung von Konzepten der „zirkulären Migration“ ration mit autoritären und fragilen Staaten sinkt, ist abgezielt, so ändert sich dieser Ansatz grundlegend die Kehrseite der Medaille. Wie jüngst nachgewie- mit dem Beschluss der EU-Migrationsagenda. Im sen, haben die autoritäre Eliten in den betreffenden Juni 2016 unterzeichneten zwar fünf wichtige afrikani- Staaten Afrikas dies jedenfalls erkannt: Wer bereit sche Herkunfts- und Transitländer5 sogenannte „Mig- ist, die von der EU geforderte migrationspolitische rationspartnerschaften“. Mit den bis dahin bekannten Kooperation einzugehen, darf mit weniger Druck in und geschlossenen „Mobilitätspartnerschaften“ hat- der Frage der politischen Transformation rechnen.8 ten diese neuen Abkommen jedoch nichts mehr ge- mein.6 Die bislang jeweils enthaltene Öffnung legaler Lagerkonzept Zuwanderungsmöglichkeiten blieb ausgespart. Ein weiteres zentrales Element im Externalisie- „Dieser markante Richtungswechsel verdeut- rungsprozess ist das sogenannte Lagerkonzept9 - licht, dass die EU bei ihrer externen Migrations- eine Maßnahme, um internationale Migranten an der politik, die früher stets eine Perspektive zur le- Einreise in die EU zu hindern oder zurückgescho- galen Zuwanderung enthielt, nun nur noch auf bene Migranten zu internieren. Es verwundert auch finanzielle Anreize bei Wohlverhalten setzt.“ keineswegs, dass der aktuelle österreichische Bun- deskanzler Kurz (wie schon sein Vorgänger Kern im Dieser markante Richtungswechsel verdeut- Jahr zuvor10) gerade die Einrichtung solcher Lager licht, dass die EU bei ihrer externen Migrationspo- (möglichst weit im Vorfeld der eigentlichen EU-Au- litik, die früher stets eine Perspektive zur legalen ßengrenzen) fordert. Österreich ist traditionell ein ve- Zuwanderung enthielt, nun nur noch auf finanzielle hementer Verfechter dieses Konzepts: Bereits 2006 Anreize bei Wohlverhalten setzt. Als Wohlverhalten hat die damalige Innenministerin Liese Prokop wäh- gilt, irreguläre Abwanderung einzuschränken und rend der damaligen österreichischen EU-Ratsprä- jedenfalls Menschen zurückzunehmen, die das sidentschaft mit einem diffusen Lagerkonzept da- Land auf diesem Weg verlassen haben. Dies soll für Stimmung gemacht. Als sie auf Widerstand und in jeweils rechtlich bindenden Rückübernahmeab- Ablehnung stieß, verlor sie zwar schnell wieder das kommen festgeschrieben werden. Mit der Hinwen- Interesse daran. Im Rahmen der Vorbereitungen auf dung zu finanziellen Anreizen geht offensichtlich die österreichische EU-Ratspräsidentschaft ab 1. auch eine Abkehr von den zuvor jeweils prominent Juli 2018 hat man aber jedenfalls in Österreich auf angekündigten Transformationsagenden einher. die „alte Innovation“ zurückgegriffen. Der Fokus auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit scheint nicht mehr dieselbe Bedeutung einzuneh- men.7 Wichtig erscheint vielmehr die Bereitschaft bei der sogenannten Abwehr illegaler Migration mitzuwirken. Dass damit aber auch gleichzeitig die 8) ANNE KOCH, ANNETTE WEBER, ISABELLE WERENFELS a.a.O., 7. 9) Für eine ausführliche Darstellung des Lagerkonzepts vgl. STEFAN BROCZA, MARTINA JÄGER: EU-finanzierte Internie- rungslager in Libyen, in: STEFAN BROCZA a.a.O. 2015, 145-157 5) Äthiopien, Mali, Niger, Nigeria und Senegal sowie STEFAN BROCZA, MARTINA JÄGER: Europas Flücht- lingspolitik gegen Libyen: einfach überfordert oder doch be- 6) Für eine Gesamtbewertung bisheriger Mobilitätspartner- wusst menschenverachtend? In: International – Zeitschrift für schaften vgl. STEFAN BROCZA, KATHARINA PAULHART: EU internationale Politik, 2011/2. mobility partnerships: a smart instrument for the externalizati- on of migration control, European Journal of Futures Research 10) STEFAN BROCZA: Wiederbelebung des EU-Lagerkon- 2015, https://doi.org/10.1007/s40309-015-0073-x [3.7.2018] zepts? Wiener Zeitung 1.5.2017, https://www.wienerzeitung.at/ meinungen/gastkommentare/889280_Wiederbelebung-des- 7) DAVIS KIPP, ANNE KOCH a.a.O., 14. EU-Lagerkonzepts.html [3.7.2018] Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 3
ÖGfE Policy Brief 13’2018 „Spätestens nach den bereits gemachten bereits vor einiger Zeit eine Untersuchung der EU- internationalen Erfahrungen mit dem Lager- Externalisierungsmaßnahmen in Marokko gezeigt11. konzept sollte sich aber jegliche politische Dass dieser unübersichtliche und kaum noch nach- Diskussion darüber erledigt haben.“ vollziehbare Finanzierungsmix von Externalisierungs- projekten weiter anhält, zeigt eine jüngste Aufstellung Spätestens nach den bereits gemachten interna- der Geldquellen für den sogenannten Khartoum-Pro- tionalen Erfahrungen mit dem Lagerkonzept sollte zess. Hier soll – gemäß „Khartoum-Erklärung“ von 58 sich aber jegliche politische Diskussion darüber er- Staaten Europas und Afrikas – zur Bekämpfung der ledigt haben: Die Kooperation mit Libyen während irregulären Migration und krimineller Netzwerke die des Regimes von Muammar al-Gaddafi endete in Kooperation zwischen der EU und Herkunfts- sowie einer Katastrophe, und auch das immer wieder zi- Transitländern intensiviert werden. Kooperiert wird tierte australische Modell mit Internierungslagern dabei mit den Herkunftsländern Äthiopien, Sudan, auf vorgelagerten Pazifikinseln ist gescheitert. Trotz Eritrea, Südsudan, Somalia und Djibouti sowie den massiver finanzieller Anreize findet sich kein Land Transitländern Libyen, Ägypten und Tunesien. Die für ein Umsiedlungsabkommen. Flüchtlinge und Mittel dafür stammen insbesondere aus12: aaaaaaa MigrantInnen, die dort leben – teilweise schon seit aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa Jahren –, müssen gegen ihren Willen festgehalten • Europäischer Entwicklungsfond, EEF werden. In der neuerlichen Diskussion um solche • Regionales Indikativprogramme für West-, Lager bleiben die BefürworterInnen des Konzepts Zentral- und Ostafrika die zentrale Antwort nach dem konkreten Standort • Nationales Indikativprogramme für das Horn für solche Einrichtungen jedenfalls noch schuldig. von Afrika • Finanzierungsinstrument für Entwicklungszu- Ringen um Kohärenz und sammenarbeit, DCI zusätzliche Mittel • Europäisches Nachbarschaftsinstrument, ENI Die Zuständigkeitsbereiche und Kompetenzen Aus den umgewidmeten Finanzmitteln wurde in der beim laufenden Externalisierungsprozess sind au- Folge im November 2015 im Rahmen des Migrations- ßen-, sicherheits-, entwicklungs- und wirtschafts- gipfels in Valletta ein Europäischer Nothilfe-Treuhand- politisch nicht immer klar voneinander abgegrenzt. fonds für die Stabilität in Afrika und die Bekämpfung EU-Institutionen, Mitgliedstaaten, internationale Or- der Ursachen irregulärer Migration13 geschaffen. Tat- ganisationen sowie diverse Durchführungsorganisati- sächlich handelt es sich aber keineswegs um „neues“, onen verfolgen zu Weilen auch noch unterschiedliche zusätzliches Geld. Es wurden vielmehr bestehende Zielsetzungen. Innerhalb der EU-Kommission sind Entwicklungsgelder „umetikettiert“ und gebündelt. beispielsweise die Generaldirektionen Inneres (DG HOME), Nachbarschaft und Erweiterung (DG NEAR) sowie Internationale Zusammenarbeit und Entwick- 11) MAGDALENA GASSNER: Praktische Implementierung. Die Anwendung des „Root Causes Approach“ in Marokko, in: STE- lung (DG DEVCO) mit der Ausgestaltung der Migrati- FAN BROCZA 2015 a.a.O., S. 73-110. onspolitik beschäftigt. Dazu kommt der Europäische 12) AMNESTY INTERNATIONAL: Der Karthoum-Prozess, Auswärtige Dienst (EAD), der weite Teile des Dialogs 2017, S. 5 http://amnesty-sudan.de/amnesty-wordpress/wp- mit den betreffenden Drittstaaten abzudecken hat. content/uploads/2017/02/KhartoumProzess_Externalisierung_ der_Flüchtlingspolitik.pdf [3.7.2018] Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Finanzierung 13) Näheres zum Fonds vgl. CLARE CASTILLEJO. Der Nothilfe der diversen Projekte. Diese werden durch die Um- Treuhandfonds der EU für Afrika und seine Auswirkungen auf die widmung von bereits in anderen Fonds und Budget- EU-Entwicklungspolitik, Analysen und Stellungnahmen 20/2017; Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für linien vorgesehenen Geldern finanziert. Welche ver- Entwicklungspolitik (DIE) https://www.die-gdi.de/uploads/me- schlungenen Wege die Geldmittel dabei machen, hat dia/AuS_20.2017.pdf [3.7.2018] 4 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 13’2018 „Tatsächlich handelt es sich aber keines- ihre Entwicklungsprioritäten im Rahmen des MFR wegs um „neues“, zusätzliches Geld. Es wur- herabstufen und stattdessen vermehrt Maßnahmen den vielmehr bestehende Entwicklungsgelder ergreifen will, die die Zahl der Menschen aus Afrika „umetikettiert“ und gebündelt.“ und dem Nahen Osten, die nach Europa einwan- dern, verringern sollen.15 Damit würden weiterhin Der Treuhandfonds für Afrika (EUTF) verschafft Mittel der Entwicklungspolitik für die Externalisie- den europäischen Institutionen zweifelsohne einen rung der EU-Migrationskontrolle und somit auch in- größeren Spielraum. Da der Fonds jedoch als Not- direkt für den Außengrenzschutz zweckendfremdet. fallmechanismus außerhalb des regulären EU-Bud- gets angesiedelt ist, hebelt er auch die normal gel- Europäischer Rat vom 28. Juni 2018 tenden, strikten Vergabeverfahren aus. Einen deutlichen Schritt Richtung Externalisie- Bis zum März 2018 hat die EU-Kommission ihre rung und Exterritorialisierung machten die EU- Beiträge zum EUTF aus den unterschiedlichsten Staats- und Regierungschefs in den Schlussfolge- bestehenden Haushaltslinien jedenfalls auf drei Mil- rungen zum Europäischen Rat vom 28. Juni.16 Neben liarden Euro erhöht. Davon stammen 2,3 Milliarden eher allgemeinen Formulierungen wie „Maßnahmen aus dem Europäischen Entwicklungsfonds (EEF), der gegen von Libyen oder anderen Orten aus operie- selbst nicht Teil des EU-Budgets ist und daher auch rende Schleuser“, „Unterstützung für die Sahelzo- nicht der Zustimmung und Kontrolle des Europapar- ne, die libysche Küstenwache, Gemeinschaften an laments unterliegt. Alle weiteren Mittel wurden aus der Küste und im Süden“ oder „die Zusammenar- dem regulären EU-Budget entnommen: 313 Millio- beit mit anderen Herkunfts- und Transitländern und nen Euro aus dem Finanzierungsinstrument für Ent- die freiwillige Neuansiedlung zu verstärken“ finden wicklungszusammenarbeit (DCI), 226 Millionen Euro sich auch sehr konkrete Externalisierungsschritte: aus dem Budget der EU-Nachbarschaftspolitik, 77 Der Europäische Rat sprach sich etwa für ein Kon- Millionen Euro aus der Generaldirektion Inneres so- zept „regionaler Ausschiffungsplattformen“ für auf wie 50 Millionen Euro aus der Generaldirektion Hu- See gerettete Menschen aus. Diese von dem UN- manitäre Hilfe und Katastrophenschutz (DG ECHO).14 HCR und der IOM vorgeschlagenen Plattformen sollen eine rasche und sichere Unterscheidung zwi- Im Rahmen der Arbeiten am mehrjährigen Fi- schen Wirtschaftsflüchtlingen und Asylsuchenden nanzrahmen der EU (MFR) für die Jahre 2021 bis ermöglichen. Die EU-Staats- und Regierungschefs 2027 hat nun die EU-Kommission am 14. Juni kamen auch überein, 500 Millionen Euro von der 2018 ihre Pläne für eine drastische Erhöhung der Reserve des 11. Europäischen Entwicklungsfonds Ausgaben für die Migrationskontrolle präsentiert. auf den EU-Treuhandfonds für Afrika zu übertra- Im Rahmen der Initiative „Nachbarschaft und die gen. Schließlich sprachen sie sich darüber hinaus Welt“ werden die außenpolitischen Ausgaben des dafür aus, eine neue und spezielle Fazilität für das gesamten Blocks in einem einzigen Instrument zu- Management der externen Migration in den langfris- sammengefasst. Der Vorschlag sieht rund 9 Milli- tigen Haushaltsrahmen der EU (MFR) aufzunehmen. arden Euro für migrationsbedingte Ausgaben vor, wobei die Mittel gleichzeitig wieder aus verschiede- nen Budgetbereichen entnommen werden sollen. 15) BENJAMIN FOX: EU-Kommission will mehr Geld für Ent- In ersten Reaktionen äußerten zivilgesellschaftliche wicklung – und gegen Migration, EURACTIV 14. Juni 2018, ht- tps://www.euractiv.de/section/eu-aussenpolitik/news/eu-kom- Gruppen allerdings die Befürchtung, dass die EU mission-will-mehr-geld-fuer-entwicklung-und-gegen-migration/ [3.7.2018] 16) Dokument EUCO 9/18 vom 28. Juni 2018, https://www. consilium.europa.eu/media/35938/28-euco-final-conclusions- 14) DAVIS KIPP, ANNE KOCH a.a.O., 15. de.pdf [3.7.2018] Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 5
ÖGfE Policy Brief 13’2018 „Alle nordafrikanischen Staaten sprachen vermeidung die Hemmschwelle für die Zusam- sich umgehend gegen die angekündigten EU- menarbeit auch mit autoritären Regimen. Zusam- Flüchtlingslager auf ihrem Territorium aus.“ mengenommen ist zu befürchten, dass unter dem Schlagwort Fluchtursachenminderung lediglich So beachtlich sich diese Schlussfolgerungen im Symptome bekämpft werden und keine Zeit und ersten Moment lesen, so ernüchternd waren die um- keine Mittel mehr zur Verfügung stehen, langfristige gehenden Reaktionen der betroffenen Drittstaaten. Strukturänderungen herbeizuführen.18 Alle nordafrikanischen Staaten – Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten – sprachen sich um- „Zusammengenommen ist zu befürchten, gehend gegen die angekündigten EU-Flüchtlings- dass unter dem Schlagwort Fluchtursachen- lager auf ihrem Territorium aus. Offensichtlich hatte minderung lediglich Symptome bekämpft man im Brüsseler Gipfelüberschwang schlichtweg werden und keine Zeit und keine Mittel mehr vergessen, mit den betroffenen Staaten im Vorfeld zur Verfügung stehen, langfristige Strukturän- konkret darüber zu sprechen.17 derungen herbeizuführen.“ Schlussbetrachtung Die von der EU etablierte Strategie der Externa- lisierung, also der Versuch, die nach Europa stre- Die politische Fokussierung auf eine Redukti- benden Flüchtlingsströme und Migrationsbewegun- on der Zuwanderungszahlen (legal wie illegal) führt gen schon außerhalb der EU-Mitgliedstaaten in im dazu, dass zunehmend Gelder der klassischen Ent- Vorfeld ausgewählten Partnerstaaten – sei es nun wicklungszusammenarbeit immer häufiger in den aktuell die Türkei und demnächst wohl auch wieder Dienst der „Fluchtursachenminderung“ gestellt wer- verstärkt Libyen – aufzufangen, und so eine kontrol- den. Dies ist jedoch nur bedingt sinnvoll. Die Mög- lierte Zuwanderung bzw. Übernahme von Flüchtlin- lichkeiten der Entwicklungspolitik, Wanderungs- gen zu schaffen, funktioniert allenfalls bedingt. Mit bewegungen überhaupt beeinflussen zu können, dieser Auslagerungspolitik konnte man bisher bes- werden mit einer politischen Erwartungshaltung tenfalls (kurzfristig) Zeit erkaufen. In diesem Kontext konfrontiert, die so niemals eingelöst werden kann. bedeutet daher auch die Bereitstellung von weiteren Für die Praxis der Entwicklungspolitik bedeutet dies Millionen Euro für Projekte in wichtigen Ausgangs- zudem, dass sinnvolle langfristige strukturbildende und Transitländern nichts als einen weiteren Ver- Maßnahmen Platz machen müssen für kurzfristige such teils zweifelhafter Externalisierung. Was damit Maßnahmen zur Migrationsverminderung und -ver- aber ganz sicher verfestigt wird, ist die Versicher- meidung. Das Konzept einer sinnvollen Entwick- heitlichung der EU-Außenpolitik und im Speziellen lungspolitik wird damit zunehmend geschwächt. die Unterwerfung der EU-Entwicklungspolitik unter Gleichzeitig reduziert die Fixierung auf Migrations- das Primat der Sicherheitspolitik. 17) MARTIN GEHLEN: Reaktionen aus Afrika: „Unsere Antwort ist ein klares Nein“, Die Presse, 2 Juli 2018, https://diepresse. com/home/ausland/eu/5457562/Reaktionen-aus-Afrika_Unse- re-Antwort-ist-ein-klares-Nein [3.7.2018] 18) DAVIS KIPP, ANNE KOCH a.a.O., 18. 6 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 13’2018 Über den Autor Stefan Brocza: Studium in Wien, St. Gallen und Harvard. 1994 EU- und Schengen Koordinierung im Innenministerium, ab 1996 im EU Ratssekretariat in Brüssel (Außenwirt- schaftsbeziehungen, Erweiterung, Presse/Kabinett, Umsetzung der EU Außenstrategie für die innere Sicherheit). Aktuell tätig in Lehre und Forschung an Universitäten im In- und Ausland sowie als politischer Berater, Publizist und Gutachter. Kontakt: stefan.brocza@univie.ac.at Über die ÖGfE Die Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) ist ein parteipolitisch unabhän- giger Verein auf sozialpartnerschaftlicher Basis. Sie informiert über die europäische In- tegration und steht für einen offenen Dialog über aktuelle europapolitische Fragen und deren Relevanz für Österreich. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Bezug auf die Förderung einer europäischen Debatte und agiert als Katalysator zur Verbreitung von eu- ropapolitischen Informationen. ISSN 2305-2635 Impressum Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck Österreichische Gesellschaft für Europapolitik kommen, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE Rotenhausgasse 6/8-9 oder jenen, der Organisation, für die der Autor arbeitet, A-1090 Wien, Österreich überein. Schlagworte Generalsekretär: Mag. Paul Schmidt EU, Migration, Außengrenze, Auslagerung, Externalisierung Verantwortlich: Christoph Breinschmid, M.A. Zitation Tel.: +43 1 533 4999 Brocza, S. (2018). Aus den Augen, aus dem Sinn – die Fax: +43 1 533 4999 – 40 zunehmende Auslagerung des EU-Grenzregimes. Wien. E-Mail: policybriefs@oegfe.at ÖGfE Policy Brief, 13’2018 Web: http://oegfe.at/policybriefs Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 7
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