Prof. Dr. med. Alexander Münchau

 
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Prof. Dr. med. Alexander Münchau
Aus dem Institut für Neurogenetik

               der Universität zu Lübeck

           Prof. Dr. med. Alexander Münchau

 Assoziative Plastizität im SMA-M1-Netzwerk

bei Patienten mit Gilles de la Tourette Syndrom

                 Inauguraldissertation

            zur Erlangung der Doktorwürde

               der Universität zu Lübeck

              – Aus der Sektion Medizin –

                    vorgelegt von

                     Bettina Gigla

                       aus Kiel

                     Lübeck 2020
Prof. Dr. med. Alexander Münchau
Inhaltsverzeichnis                                  2

1. Berichterstatter: Prof. Dr. med. Tobias Bäumer

2. Berichterstatter: Prof. Dr. med. Paul Kremer

Tag der mündlichen Prüfung: 12.08.2020

Zum Druck genehmigt: Lübeck, den 12.08.2020

– Promotionskommission der Sektion Medizin –
Inhaltsverzeichnis                                                                                                                                3

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis ...................................................................................................... 5

1.          Einleitung ................................................................................................................. 6

1.1         Das Gilles de la Tourette Syndrom ................................................................................. 6

1.1.1       Das klinische Syndrom ........................................................................................................ 6

1.1.2       Die Rolle des supplementär-motorischen Areals

            bei Gilles de la Tourette Syndrom .................................................................................. 8

1.2         Primär-motorischer und supplementär-motorischer Kortex ......................... 10

1.3         Neuronale Plastizität ......................................................................................................... 11

1.4         Assoziative Plastizität im SMA-M1-Netzwerk ........................................................ 13

1.5         Plastizität bei Patienten mit Gilles de la Tourette Syndrom............................. 15

1.6         Fragestellung der Doktorarbeit .................................................................................... 17

2.          Material und Methoden ..................................................................................... 18

2.1         Studiendesign ....................................................................................................................... 18

2.2         Studienteilnehmer .............................................................................................................. 19

2.3         Analyse des Tic-Schweregrads ...................................................................................... 21

2.4         Transkranielle Magnetstimulation .............................................................................. 23

2.5         Experimentelles Design und Stimulationsprotokoll ............................................ 28

2.6         Magnetresonanz-Bildgebung ......................................................................................... 29

2.7         Datenanalyse und Statistische Auswertung ............................................................ 30

3.          Ergebnisse .............................................................................................................. 32

3.1         Klinische Daten der Patienten mit Gilles de la Tourette Syndrom ................ 32

3.2         PAS-Stimulation ................................................................................................................... 33

3.3         Korrelation von PAS-Effekt und Klinischen Daten ............................................... 37

4.          Diskussion .............................................................................................................. 39

5.          Zusammenfassung............................................................................................... 45
Inhaltsverzeichnis                                                                                                                         4

6.          Literaturverzeichnis ........................................................................................... 46

7.          Anhang .................................................................................................................... 54

7.1         Ergebnisse zur Korrelation (Tabelle 3) ..................................................................... 54

7.2         YGTSS - Fragebogen ........................................................................................................... 55

8.          Danksagung ........................................................................................................... 60

9.          Lebenslauf .............................................................................................................. 61

Eidesstattliche Versicherung .......................................................................................... 63
Abkürzungsverzeichnis                                           5

Abkürzungsverzeichnis

ADHS          Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung

ANOVA         Analysis of Variance

AP            anterior-posterior

CSTC          cortico-striato-thalamo-cortical

cTBS          continuous Theta Burst Stimulation

EPSP          exzitatorisches postsynaptisches Potential

fMRI          funktionelle Magnetresonanzbildgebung

GTS           Gilles de la Tourette-Syndrom

HFS           Hochfrequenzstimulation

IDM I         M. interosseus dorsalis manus I

ISI           Interstimulusintervall

ISPS          inhibitorisches postsynaptisches Potential

LTD           Langzeit-Depression

LTP           Langzeit-Potenzierung

M1            primär-motorischer Kortex

MEG           Magnetoenzephalographie

MEP           motorisch evoziertes Potential

OCD           Obsessive-Compulsive-Disorder

PA            posterior-anterior

PAS           paired associative stimulation

rTMS          repetitive transkranielle Magnetstimulation

SMA           supplementär-motorisches Areal

STDP          spike-timing-dependent-plasticity
1. Einleitung                                                                      6

1.       Einleitung

1.1      Das Gilles de la Tourette Syndrom

1.1.1    Das klinische Syndrom

Das Gilles de la Tourette Syndrom (GTS) ist eine komplexe neuropsychiatrische

Entwicklungsstörung unbekannter Ätiologie. Die Prävalenz des GTS liegt bei 0,3-0,8%

der Schulkinder, wobei Jungen viermal häufiger betroffen sind als Mädchen (Mary M.

Robertson, 2008). Definitionsgemäß treten bereits vor dem 18. Lebensjahr multiple

motorische Tics und mindestens ein vokaler bzw. phonetischer Tic auf. Die Tics können

in ihrer Frequenz fluktuieren, müssen definitionsgemäß aber seit mindestens einem

Jahr bestehen. Als Tics gelten plötzliche, schnelle, arrhythmische Bewegungen oder

Lautäußerungen     (American     Psychiatric   Association,      2013).   Diese    sind

Willkürbewegungen     nicht    unähnlich   (Paszek   et   al.,   2010),   treten   aber

zusammenhangslos auf und erscheinen unangemessen bezogen auf den Kontext und

den zeitlichen Zusammenhang ihres Auftretens (Ganos et al, 2013).

Die Symptomschwere und Symptomausprägung bei GTS ist sehr unterschiedlich und

reicht von einfachen motorischen Tics, wie z.B. Augenblinzeln, bis hin zu komplexen

Bewegungsmustern, die mehrere Muskelgruppen und Körperpartien einbeziehen. Die

Spanne der vokalen/phonetischen Tics reicht von „Räuspern“ bis hin zur seltener

auftretenden Koprolalie. Häufig treten Echophänomene, eine unwillkürliche, nicht

zweckgebundene Imitation von Bewegungen (z.B. Echopraxie, Echographie) oder

Lautäußerungen (z.B. Echolalie) eines Gegenübers auf. Diese bereits 1825 von Itard

und später auch von Georges Gilles de la Tourette bei der Marquise de Dampierre

beobachteten und beschriebenen Phänomene gelten im Zusammenhang mit dem

Auftreten von Tics als konstituierender Faktor für GTS und weisen insbesondere bei

Persistenz über das Kleinkindalter hinaus oder bei Wiederauftreten im Schulalter auf

eine neuropsychiatrische Entwicklungsstörung hin (Ganos et al., 2012).
1. Einleitung                                                                    7

Typischerweise fluktuiert die Ausprägung des Krankheitsbildes. Die Tics wechseln in

Lokalisation, Intensität und Häufigkeit (Jankovic, 1997). Die Ausprägung der Tics

schwankt stark situationsabhängig. Erhöhte Anforderungen oder belastende

Situationen können die Schwere und Frequenz der Tics verändern. Stresssituationen

führen in der Regel zur Zunahme, Entspannung oder Konzentration zumindest

vorübergehend zu einer Abnahme der Tics (Ludolph et al., 2012). In der Regel treten

motorische Tics erstmalig im Alter von 7-10 Jahren auf, vokale Tics kommen meist

etwas später im Alter von 11 Jahren hinzu (Leckman et al., 1998). In vielen Fällen

kommt es nach der Pubertät zu einer Verbesserung der Symptomatik. In mindestens

fünfzig Prozent der Fälle klingen die Tics bis zum achtzehnten Lebensjahr vollständig

ab.

Häufig geht den Tics ein Vorgefühl („premonitory urge“, premonitory feeling“) voraus,

das zu Störungen der Konzentration und Aufmerksamkeit führen kann (Leckman et al.,

1993). Die Betroffenen nehmen dieses Gefühl als unangenehmes Druck- oder

Dranggefühl wahr, das in dem Moment der Tic-Ausführung deutlich abnimmt. Mit

zunehmendem Alter können die Tics für Sekunden bis mehrere Stunden willkürlich

unterdrückt werden. Allerdings können Dranggefühl und Tic-Symptomatik in der

anschließenden Entspannungsphase temporär umso ausgeprägter sein. Bei Patienten

mit GTS treten häufig psychiatrische Komorbidäten auf, wobei Aufmerksamkeits-

Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS, 40-90%) und Zwangsstörung (OCD, 40-60%)

überwiegen (Jackson, 2006).

Die genaue Ätiologie des GTS ist nicht bekannt. Aus Familienstudien heraus wird eine

genetische Disposition vermutet. Für Verwandte ersten Grades eines Patienten mit

einer Ticstörung beträgt das Risiko ebenfalls zu erkranken 5-15%. Auch nicht-

genetische Faktoren sind mit einer Ticstörung assoziiert (Ludolph et al., 2012).

Weiterhin werden Veränderungen im Dopamin-Transmitter-System angenommen, die

zu einer veränderten intrakortikalen Aktivität der beteiligten Neurone führen. Dafür
1. Einleitung                                                                       8

spricht die Wirksamkeit einer Pharmakotherapie mit Dopaminantagonisten, die zur

Reduktion der Tics führen und mittlerweile in der Therapie des GTS etabliert sind

(Robertson, 2000).

1.1.2      Die Rolle des supplementär-motorischen Areals bei Gilles de la Tourette

           Syndrom

Dysfunktionen im kortico-striato-thalamo-kortikalen Regelkreis (CSTC), die zu einem

Ungleichgewicht zwischen inhibitorischen und exzitatorischen Neurotransmittern

führen, scheinen die Pathogenese von GTS maßgeblich zu beeinflussen (Kataoka et al.,

2010). Es wird angenommen, dass die Veränderungen im CSTC zur Überaktivität der

in   die    Bewegungsausführung      involvierten   Kortexareale,   insbesondere    des

supplementär-motorischen Areals (SMA) und primär-motorischen Kortex (M1),

führen (Franzkowiak et al., 2012).

In der Tic-Entstehung scheint das supplementär-motorische Areal (SMA) eine

Schlüsselrolle einzunehmen. In einer Studie mit zehn an GTS erkrankten Patienten

konnte mit funktioneller Magnetresonanz-Bildgebung (fMRI) gezeigt werden, dass

zwei Sekunden vor Auftreten eines Tics eine Überaktivierung des SMA vorlag

(Bohlhalter et al., 2006). Eine weitere fMRI-Studie mit sechzehn Patienten, die an einer

Tic-Störung litten, wies auf eine erhöhte Koaktivierung zwischen SMA und M1 kurz vor

dem Auftreten von Tics hin. Diese zeigte sich nicht bei gesunden Probanden kurz vor

Ausführung von „tic-ähnlichen“ Bewegungen (Hampson et al., 2009). Die erhöhte SMA-

Aktivierung kurz vor Ausführung des Tics wurde mit dem etwa zeitgleich auftretenden

Dranggefühl in Verbindung gebracht. Für eine Überaktivierung der SMA als Folge einer

mangelhafter kortikostriatalen Inhibition würden auch die in einer post mortem-

Studie an fünf Patienten mit schwerem GTS gefundenen strukturellen Veränderungen

im Striatum sprechen. In den Gehirnen der GTS-Patienten wurden gegenüber

Vergleichspersonen im Nucleus caudatus und Putamen Veränderungen in der Dichte
1. Einleitung                                                                      9

der cholinergen Interneurone nachgewiesen, insbesondere in der assoziativen und

sensomotorischen Region des Striatum. Dadurch könnte die kortiko-thalamische

inhibitorische Modulation gestört sein. Unklar bleibt, ob diese anatomischen

Veränderungen ein pathophysiologisches Kernmerkmal des GTS sind oder eher als

Epiphänomen im Sinne eines über einen längeren Zeitraum entstandenen adaptiven

Prozesses zu werten sind (Kataoka et al., 2010).

Funktionelle Veränderungen in der Konnektivität zwischen Basalganglien, Thalamus

und Motorkortex fanden Franzkowiak et al. bei Patienten mit GTS im Vergleich zu

gesunden Probanden. Mithilfe von Magnetoenzephalografie (MEG) während der

Ausführung einer Fingerbewegungsaufgabe wurde die kortikale Erregbarkeit

gemessen. Als neurophysiologischer Marker der motorischen kortikalen Erregung

zeigte sich vor und während der Ausführung einer Willkürbewegung bei den Patienten

mit GTS eine erhöhte Desynchronisation im MEG. Zudem bestand bei diesen Patienten

eine stärkere SMA-M1-Konnektivität. Auch diese Veränderungen könnten Ausdruck

für einen pathophysiologischen Marker von GTS sein. Alternativ wäre ein adaptiver

Prozess anzunehmen, der die Ausführung von freiwilligen Bewegungen bei Patienten

mit GTS verbessert (Franzkowiak et al., 2010, 2012). Für die Theorie eines adaptiven

Prozesses, der durch die verstärkte Hemmung der kortiko-striatalen Interaktion das

Zusammenspiel zwischen prämotorischem und motorischem Kortex verbessert,

sprechen auch die Ergebnisse einer Studie, die die Bewegungskontrolle bei Patienten

mit GTS während der Ausübung eines Fingertasks betreffen (Serrien et al., 2002).

Dass abnorme Erregbarkeit im SMA-M1-Netzwerk infolge einer inhibitorischen

Dysregulation eine bedeutende Rolle in der Pathophysiologie von GTS spielt, legen

verschiedene, wenn auch unvollständig kontrollierte klinische Studien nahe, die

mithilfe von niederfrequenter repetitiver transkranieller Magnetstimulation (rTMS)

über SMA appliziert die kortikale Erregbarkeit im Sinne einer verstärkten Inhibition

beeinflussten und so die Tic-Frequenz verringerten, sowohl bei Kindern (Kwon et al.,
1. Einleitung                                                                     10

2011; Le et al., 2013), als auch bei Erwachsenen (Mantovani et al., 2007, 2006). Dieser

Effekt konnte auch mit kontinuierlicher Theta-Burst-Stimulation (cTBS) über SMA

erzielt werden (Wu et al., 2014). Bei gesunden Personen führte eine bewusst

induzierte Überaktivierung des SMA durch Applikation von hochfrequenter (5 Hz)

rTMS über SMA zum Auftreten von Echophänomenen (Finis et al., 2013). Insgesamt

weisen die Studien darauf hin, dass funktionelle Veränderungen der SMA-Aktivität

nicht nur für die Tic-Frequenz bedeutsam sind, sondern auch zu persistenten

funktionellen Veränderungen zwischen SMA und M1 im Sinne einer erhöhten

Konnektivität führen können.

1.2      Primär-motorischer und supplementär-motorischer Kortex

Eine erste frühe Differenzierung des Motorkortex in hierarchisch unterschiedliche

Areale, die für die Bewegungsausführung zuständig sind, beschrieb bereits John

Hughlings Jackson, ein britischer Neurologe in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

(Franz und Gillett, 2011). Die noch heute gültige Kartierung der Großhirnrinde nach

histologischen Kriterien, beschrieben von Brodmann 1909, beschreibt die Area 4 als

primär-motorischen Kortex und die Area 6 als prämotorischen Kortex. Fünfzig Jahre

später konnte Woolsey mithilfe von elektrophysiologischen Studien die Lage eines

übergeordneten prämotorischen Areals bestätigen, welches zusammen mit der Area 4

den primär-motorischen Kortex (M1) bildet und gemeinsam mit diesem an

Bewegungsabläufen beteiligt ist. Zudem konnte Woolsey zeigen, dass der mesial

gelegene Teil der Area 6, das supplementär-motorische Areal, ähnlich wie der primär-

motorische Kortex somatotopisch organisiert ist (Woolsey et al., 1952).

Studien an Affen haben die kortikale Organisation in Lokalisation und Zytoarchitektur

und in ihren funktionalen Beziehungen genauer untersucht und differenziert. Auf der
1. Einleitung                                                                      11

Grundlage von neuroanatomischen Studien bei Makaken entwickelten Matelli et al.

eine neue Einteilung des agranulären Teils des frontalen Kortex (Matelli et al., 1991).

Weiterhin wurde bei Affen gezeigt, dass zwischen SMA-proper und primär-

motorischem Kortex starke wechselseitige bilaterale neuronale Verbindungen

bestehen (Luppino et al., 1993), während dieses für den rostralen Bereich des

supplementär-motorischen Areals (pre-SMA) nicht zutrifft (Liu et al., 2002). Zudem

bestehen im SMA nicht nur kortiko-kortikale, sondern auch direkte kortiko-spinale

Verbindungen (Dum und Strick, 1991).

Lage und Zytoarchitektur der supplementär-motorischen Region beim Menschen ist in

vergleichenden Studien sehr ähnlich aufgebaut (Roland und Zilles, 1996). Mithilfe

bildgebender Verfahren wurde die starke reziproke bilaterale Vernetzung des SMA-

proper mit primär-motorischem Kortex, wie auch direkte kortiko-spinale

Verbindungen bestätigt (Johansen-Berg et al., 2004).

Eingebunden in komplexe kortiko-subkortikale Erregungsschleifen spielt das SMA-

proper eine wichtige Rolle bei der initialen Ausarbeitung und der Durchführung von

willkürlichen Bewegungen und bildet dadurch ein wichtiges Bindeglied zwischen

Denken und Handeln (Nachev et al., 2008).

1.3      Neuronale Plastizität

Nicht-invasive Methoden der Gehirnstimulation, wie zum Beispiel die transkranielle

Magnetstimulation (TMS), führten im menschlichen Motorkortex zur Modulation des

neuronalen Netzwerks. So können mit niederfrequenter repetitiver Magnetstimulation

(rTMS, z. B. 1 Hz 1200 Pulse) typischerweise inhibitorische Effekte in der stimulierten

Region für einen umschriebenen Zeitraum induziert werden, während höherfrequente
1. Einleitung                                                                      12

rTMS (z. B. 5 Hz 1200 Pulse) exzitatorisch wirkt (Chen et al., 1997; Muellbacher et al.,

2000; Pascual-Leone et al., 1994).

Eine andere Weise der Induktion neuronaler Plastizität ist die paired associative

stimulation (PAS). Hierbei werden gepaarte Stimuli über einen längeren Zeitraum

appliziert. Eingeführt wurde diese Methode mit einem elektrischen Reiz des

N. medianus gepaart mit einem TMS-Puls über dem kontralateralen primär-

motorischen Kortex (Stefan et al., 2000). Studienprotokolle mit PAS wurden zur

Beurteilung der kortikalen Plastizität bei gesunden Menschen eingesetzt. Es ergaben

sich Hinweise darauf, dass langfristige potenzierungsähnliche Mechanismen (LTP-

ähnliche Effekte) am motorischen Lernen beteiligt sein könnten (Müller-Dahlhaus et

al., 2008).

Damit eine langfristige Potenzierung im neuronalen Netzwerk entstehen kann, bedarf

es simultaner kooperativer Aktivierung mehrerer Axone, die an einer der

postsynaptischen Zelle konvergieren (assoziative HEBB-Regel). In Hebbs Konzept des

Lernens auf zellulärer Ebene ist die Häufigkeit, mit der eine Synapse bzw. ein

neuronaler Pfad benutzt wird, entscheidend (Bi und Poo, 2001). Markram et al. zeigten

in einer Studie mit Pyramidalzellneuronen des somatosensorischen Kortex der Ratte,

dass nicht nur die Frequenz, sondern auch die zeitliche Abfolge von Aktionspotential

und postsynaptischer Erregung an der Synapse darüber entscheidet, ob es in der Zelle

zu Langzeitpotenzierung (LTP) oder Langzeitdepression (LTD) kommt. Eine

synaptische Verbindung wird gestärkt, wenn auf regelmäßige präsynaptische

Aktionspotentiale in einem bestimmten Zeitraum postsynaptische Potentiale folgen.

Diese ermöglichen Langzeitpotenzierung. Hingegen entsteht Langzeitdepression,

wenn die postsynaptischen Potentiale den präsynaptischen Aktionspotentialen in

einem bestimmten Zeitfenster vorausgehen (Markram et al., 1997).
1. Einleitung                                                                        13

Dass neuronale Plastizität nur in einem definierten Zeitfenster stattfinden kann,

belegten Song et al. in Modellstudien und benannten dieses Phänomen Spike-timing-

dependent-plasticity (STDP) (Song et al., 2000). Zudem wird die dendritische Erregung

in vivo durch strukturelle, molekulare, elektrische und chemische Einflüsse

mitbestimmt, so dass sich Synapsen auch unter vergleichbarer Stimulation

unterschiedlich verhalten können (Sjöström et al., 2008).

Letztendlich    entscheidet    die   Vielzahl   an     unterschiedlichen   synaptischen

Erregungszuständen darüber, ob die ursprüngliche Erregung in LTP oder LTD und

darüber hinaus in synaptischer Plastizität mündet. Diese unterliegt also einem

komplexen dynamischen neuronalen Geschehen, das sich maßgeblich, aber nicht

ausschließlich über die von Hebb postulierten Regeln des Lernens begründet.

1.4      Assoziative Plastizität im SMA-M1-Netzwerk

Zur Induktion von LTP- und LTD-ähnlicher Plastizität im motorischen Kortex mithilfe

von transkranieller Magnetstimulation haben sich in den vergangenen Jahren

verschiedene Stimulationsprotokolle bewährt. Neben rTMS, Theta-Burst-Stimulation,

Hochfrequenzstimulation führt auch PAS im motorischen Kortex unter bestimmten

Voraussetzungen zur Zunahme der Amplitude von motorisch evozierten Potentialen

(MEP)     als   Ausdruck   der   intrakortikalen      Bahnung.   In   Abhängigkeit    des

Interstimulusintervalls kommt es zur Faszilitation des motorischen Kortex und damit

zu LTP-ähnlichen Veränderungen oder zu Inhibition, die sich LTD-ähnlich darstellt.

Diese Veränderungen sind vergleichbar einer Spike-timing-dependent-plasticity

(STDP), die in experimentellen Modellen auf zellulärem Niveau nachgewiesen werden

konnten (Stefan et al., 2000; Wolters et al., 2003)
1. Einleitung                                                                    14

Das Prinzip der Doppelpulsprotokolle besteht in der Kombination eines

konditionierenden Stimulus mit einem Teststimulus. Der konditionierende Stimulus

induziert eine akute Veränderung der kortikalen Erregbarkeit. Diese resultiert in LTP-

oder LTD-ähnlichen Veränderungen, d. h. es kommt zur Bahnung oder zur Hemmung.

Die Veränderungen der kortikalen Erregbarkeit sind mithilfe von peripheren

Oberflächenelektroden als Zu- oder Abnahme der durch den folgenden Teststimulus

induzierten MEP-Amplitude ableitbar.

Bei konventioneller PASN20 wird repetitiv eine niederfrequente elektrische Stimulation

des peripheren Nervs mit einer fokalen transkraniellen Magnetstimulation des

kontralateralen      Motorkortex     abgegeben.    Dadurch   können    bidirektionale

Veränderungen in der Erregbarkeit des primären Motorkortex abhängig vom Intervall

zwischen den beiden Stimuli induziert werden (Müller-Dahlhaus, 2010).

In Erweiterung der konventionellen PAS-Protokolle stimulieren nicht-invasive

Doppelpuls-Protokolle zwei unterschiedliche Areale des motorischen Kortex und

verändern dadurch den kortikalen Erregungszustand. Ob die Veränderungen in LTP

oder LTD münden, ist abhängig vom Stimulationsort, der Reizstärke und dem

Interstimulusintervall. Neuronavigation ermöglicht die genaue Lokalisation auch von

Arealen außerhalb des primär-motorischen Kortex wie z. B. der prämotorischen

Kortexareale (Bäumer et al., 2009).

Wichtige Erkenntnisse hinsichtlich veränderter Erregbarkeit im SMA-M1-Netzwerk

des Menschen lieferte eine neurophysiologische Studie, die mithilfe von

transkranieller Magnetstimulation auf der Grundlage eines modifizierten PAS-

Protokolls      assoziative   Plastizität   im    SMA-M1-Netzwerk     bei   gesunden

Versuchspersonen nachwies. Die assoziative Stimulation von SMA-proper kombiniert

mit nahezu simultaner fokaler assoziativer bilateraler Stimulation von M1 mit

überschwelligen Pulsen zeigte eine gesteigerte kortikale Erregbarkeit, die zu einer
1. Einleitung                                                                    15

signifikanten Zunahme der MEP-Amplitude führte. Als charakteristische Merkmale für

die   LTP-ähnlichen    Veränderungen      im     SMA-M1-Netzwerk      erwiesen    sich

„Zeitabhängigkeit“, „Zustandsabhängigkeit“ und „topographische Spezifität“. Die

Erhöhung der MEP-Amplitude war am größten bei einem Interstimulusintervall

(ISI) = – 6ms für die Stimulation des SMA-proper vor der Stimulation des linken M1

und bedurfte der vorherigen Bahnung beider M1 Areale durch nahezu gleichzeitige

bilaterale Stimulation von M1 links vor M1 rechts. Dieser LTP-ähnliche Effekt war noch

bis zu 30 Minuten nach Stimulation nachweisbar (Arai et al., 2011).

1.5      Plastizität bei Patienten mit Gilles de la Tourette Syndrom

Aufgrund des direkten Zusammenhangs zwischen funktioneller Konnektivität in den

für      die    Bewegungsausführung            involvierten   Kortexarealen       und

Plastizitätsmechanismen neuronaler Schaltungen (Fauth und Tetzlaff, 2016) stellte

sich die Frage, ob bei GTS-Patienten die assoziative Plastizität im SMA-M1-Netzwerk

verändert ist. Da motorisches Lernen mit neuronaler Plastizität assoziiert ist (Morris

et al., 1990) und auch eine frühere Studie gezeigt hatte, dass GTS-Patienten im

Vergleich zu gesunden Kontrollen bei der Ausführung einfacher motorischer

Lernaufgaben schlechter abschnitten (Serrien et al., 2002), erschien uns diese

Fragestellung bedeutsam.

In vorangegangenen klinischen Studien konnten bereits mithilfe verschiedener TMS-

Protokolle (cTBS- und LTP/LTD-HFS) Veränderungen in der synaptischen Plastizität

von GTS-Patienten im Vergleich zu gesunden Kontrollen nachgewiesen werden. Diese

Veränderungen wurden auf metaplastische Effekte zurückgeführt, die sich über Jahre

hinweg aufgrund der Tics im Gehirn von GTS-Patienten entwickelt haben könnten

(Suppa et al., 2011; Wu und Gilbert, 2012).
1. Einleitung                                                                    16

Bei Patienten mit unkompliziertem GTS fanden sich Veränderungen in der

synaptischen Plastizität bei der Durchführung einer motorischen Lernaufgabe nach

zuvor applizierter konventioneller PASN20-Stimulation über SMA. Bei der Mehrzahl der

GTS-Patienten wurden verglichen mit der gesunden Kontrollgruppe nach PASN20 keine

Reduktion der synaptischen Plastizität, jedoch vermehrt LTD-ähnliche Effekte anstelle

von LTP-ähnlicher Induktion beobachtet. Diese Effekte korrelierten mit Reduktion der

Tic-Frequenz und des sensorischen Dranggefühls. In der motorischen Lernaufgabe

sofort nach Stimulation schnitten beide Gruppen gleich gut ab, die gesunde Gruppe

etwas besser nach neun Monaten. Diese Beobachtung könnte für eine bessere

Langzeitkonsolidierung des Gelernten im Vergleich zu den Patienten mit GTS sprechen.

Brandt et al. interpretierten die nach PAS-Stimulation bei den GTS-Patienten

beobachteten Veränderungen in der synaptischen Plastizität im Sinne eines langfristig

entwickelten Ausgleichsmechanismus, den das Gehirn eines GTS-Patienten an sein

überaktives striatales System entwickelt haben könnte, um eine bessere kognitive

Kontrolle über Tics und Drangphänomene zu erhalten. So zeigten im Hinblick auf Tics

und inneren Drang schwerer betroffene Patienten nach PASN20-Stimulation mehr

physiologische LTP-ähnliche Effekte, d. h. diese Patienten könnten weniger erfolgreich

adaptiert sein. (Brandt et al., 2014)

In diesem Zusammenhang sind auch Ergebnisse einer früheren Studie interessant, die

auf eine Korrelation zwischen Schwierigkeiten beim Erlernen von feinmotorischen

Fähigkeiten und zukünftigem Tic-Schweregrad hinweisen (Bloch et al., 2006).

Ziel der vorliegenden Studie war es, bei GTS-Patienten und gesunden Kontrollen

mithilfe von transkranieller Magnetstimulation auf der Grundlage von PAS

Paradigmen der Langzeitpotenzierung im motorischen Kortex zu simulieren, um so die

Plastizität des Gehirns auf neuronaler Ebene zu untersuchen.
1. Einleitung                                                                  17

1.6      Fragestellung der Doktorarbeit

Aufgrund der wichtigen Rolle des SMA bei der Entstehung von Tics und sensorischen

Drangphänomenen, aufgrund einer erhöhten SMA-M1 Konnektivität und zudem

veränderter Plastizität innerhalb M1 und sensomotorischer Bahnen sowie Tic-

bedingter Anomalien des motorischen Lernens interessierte uns, ob sich bei Patienten

mit GTS assoziative Plastizität im SMA-M1-Netzwerk induzieren lässt, ob diese im

Vergleich zu gesunden Kontrollen verändert ist und ob eine Korrelation zwischen Tic-

Schweregrad und assoziativer Plastizität besteht.

Folgende Hypothesen lagen dieser Studie zugrunde:

1. Bei Patienten mit GTS kann mit PAS assoziative Plastizität im SMA-M1-Netzwerk

   induziert werden.

2. Patienten mit GTS zeigen im Vergleich zu gesunden Probanden nach PAS veränderte

   assoziative Plastizität.

3. Der Tic-Schweregrad der Patienten mit GTS korreliert mit der assoziativen

   Plastizität im SMA-M1 Netzwerk.
2 Material und Methoden                                                         18

2        Material und Methoden

2.1      Studiendesign

Zur Untersuchung der funktionellen Konnektivität im SMA-M1-Netzwerk der

Studienteilnehmer wurde ein Doppelpulsparadigma verwendet, das bereits in einer

früheren Studie bei gesunden Probanden zu einer Zunahme der MEP-Amplitude bei

einer der M1 Stimulation um 6 ms vorausgehenden SMA-proper Stimulation geführt

hatte (Arai et al., 2011).

Klinische Daten des vorliegenden GTS-Schweregrads wurden für jeden einzelnen

Patienten mithilfe von standardisierten Videoaufnahmen und eines Fragebogen-

Assessments vorgenommen. In die Studie wurden aufgrund des Studiendesigns nur

Patienten mit unkompliziertem GTS ohne klinisch relevante Komorbiditäten

eingeschlossen.

Zur neuronavigierten Lokalisation des SMA-proper und zur genauen Positionierung

der Magnetspule bei Stimulation über diesem Areal wurde vor Durchführung der

transkraniellen Magnetstimulation von jedem Studienteilnehmer ein hochauflösendes

T1-gewichtetes Magnetresonanz-Bild erstellt. Die genauen Spulenpositionen wurden

mithilfe der Neuronavigationssoftware Brainsight (Roque Research Inc. Montreal,

Canada) gewährleistet.

Vor   Anwendung       der    TMS   wurde   jeder   Teilnehmer   bezüglich   möglicher

Kontraindikationen für eine TMS anhand einer standardisierten Checkliste befragt.
2 Material und Methoden                                                             19

2.2     Studienteilnehmer

An dieser Studie nahmen insgesamt 34 Personen teil. Fünfzehn Patienten mit der

Diagnose GTS gemäß DMS-V Kriterien (American Psychiatric Association, 2013),

davon eine Frau, wurden in der Tourettesprechstunde des Universitätsklinikum

Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, Deutschland rekrutiert. Die untersuchten

Patienten waren zwischen 20 und 56 Jahre alt (mittleres Alter 33,4 ± 9,9 Jahre;

Mittelwert ± Standardabweichung). Der Tabelle 1 sind die klinischen Merkmale der

teilnehmenden GTS-Patienten zu entnehmen.

                            Patient Alter Geschlecht Medikation

                            P02    33     m        keine

                            P03    28     w        keine

                            P05    29     m        Citalopram

                            P06    45     m        L-Thyroxin

                            P07    20     m        keine

                            P08    26     m        keine

                            P09    38     m        keine

                            P10    38     m        keine

                            P11    26     m        keine

                            P12    56     m        keine

                            P13    29     m        keine

                            P15    25     m        keine

                            MW     32.8

Tabelle 1:    Alter, Geschlechtsverteilung und Medikation der GTS-Patienten. Für das Alter

              ist der Mittelwert angegeben (MW).
2 Material und Methoden                                                         20

Das experimentelle Paradigma der Studie setzte entspanntes Sitzen der Teilnehmer

über einen längeren Zeitraum ohne Kopfbewegungen voraus, so dass nur Teilnehmer

mit leichten bis mittelschweren Tics in die Studie eingeschlossen werden konnten.

Aufgrund schwerer motorischer Tics während der Messung, die eine exakte

Positionierung der Spulen unmöglich machte, wurden drei Patienten von der Studie

ausgeschlossen. Alle anderen Patienten hatten ein unkompliziertes GTS ohne klinisch

relevante Komorbiditäten. Patienten, die Kriterien für OCD, ADHS oder andere

neurologische oder psychiatrische Begleiterkrankungen erfüllten, nahmen nicht an der

Studie teil. Bei drei Patienten bestand zum Zeitpunkt der Messung eine Medikation mit

Citalopram, bzw. L-Thyroxin (Tabelle 1).

Als Kontrollgruppe wurden 19 gesunde, alters- und geschlechtsspezifisch auf die

Patientengruppe abgestimmte Studienteilnehmer rekrutiert. Das Alter der gesunden

Kontrollgruppe lag zwischen 20 und 51 Jahren (mittleres Alter 31,4 ± 10,4 Jahre;

Mittelwert ± Standardabweichung). Es wurden nur Teilnehmer ohne Anamnese einer

psychiatrischen oder neurologischen Störung eingeschlossen. Mit Ausnahme von zwei

linkshändigen Personen (jeweils ein Patient und ein Proband) waren alle untersuchten

Personen rechtshändig gemäß Edinburgh Handedness Inventory (Oldfield, 1971).

Vor der Teilnahme wurde die schriftliche Einwilligungserklärung aller Teilnehmer

eingeholt. Die Experimente entsprachen der Deklaration von Helsinki und waren zuvor

von der örtlichen Ethikkommission der Universität zu Lübeck genehmigt worden

(AZ 14-268).
2 Material und Methoden                                                               21

2.3     Analyse des Tic-Schweregrads

Die innerhalb der letzten Woche vorliegende Symptomschwere wurde vor Beginn der

Messungen mithilfe der Yale Global Tic Severity Scale (YGTSS) (Leckman et al., 1989) in

der autorisierten deutschen Übersetzung von H.-C. Steinhausen beurteilt. Die klinische

Beurteilungsskala wurde entwickelt, um den Gesamt-Schweregrad von motorischen

und phonetischen Tic-Symptomen hinsichtlich einer Reihe von Dimensionen (Anzahl,

Frequenz, Intensität, Komplexität, Interferenz) zu beurteilen (Anhang 7.2).

             Patient   DCI PUTS MRVS     YGTSS

                                         Motorischer    Phonetischer    Gesamt
                                         Score          Score           Score
             P02       33   21     11    9              8               17

             P03       57   18     9     10             3               13

             P05       32   22     5     9              0               9

             P06       43   16     9     14             3               17

             P07       49   20     8     14             0               14

             P08       38   22     10    15             0               15

             P09       42   15     8     12             0               12

             P10       46   12     8     5              0               5

             P11       34   15     9     9              7               16

             P12       n.v. n.v.   8     6              5               11

             P13       n.v. 26     10    17             0               17

             P15       47   19     11    10             6               16

             MW        42.1 18.7   8.8   10.8           2.7             13.5

Tabelle 2:     Ergebnisse und Mittelwerte (MW) der erhobenen Daten zum GTS-

               Schweregrads. DCI = Diagnostic Confidence Index; MRVS = Gesamtwert der

               Modified Rush Videotape Rating Scale; PUTS = Premonitory Urge for Tics Scale;

               YGTSS = Yale Global Tic Severity Scale Score; n.v. = nicht verfügbar
2 Material und Methoden                                                          22

Mit der Bestimmung des Diagnostic confidence Index (DCI) (Robertson et al., 1999)

wurde die Wahrscheinlichkeit bestimmt, aktuell oder in der Vergangenheit an GTS zu

leiden. Jeder Patient sucht aus einem Katalog von GTS typischen Symptomen

diejenigen aus, die aktuell vorliegen oder je vorgelegen haben. Ein hoher Gesamtscore

verweist auf eine hohe Wahrscheinlichkeit an GTS erkrankt zu sein.

Für jeden Studienteilnehmer erfolgten standardisierte Videoaufnahmen nach dem

Rush-Videoprotokoll, für die Patienten zur anschließenden Tic-Analyse und für die

gesunden Kontrollen zum Ausschluss von Tics. Die Studienteilnehmer saßen auf einem

Stuhl allein im Raum. Es wurden für jeden Proband zwei Einstellungen (Ganzkörper

und Schulter-Kopfbereich) zu je 2,5 Minuten gefilmt. Die Auswertung der Sequenzen

erfolgte unabhängig voneinander sowohl durch die Studienleiterin als auch durch die

Doktorandin. Nachträglich wurden für jeden Patienten die Sequenzen hinsichtlich

Anzahl und Art der pro Minute auftretenden Tics mithilfe der Modified Rush Videotape

Rating Scale (MRVS) erfasst und bewertet (Goetz et al., 1999).

Informationen über ein den Tics vorausgehendes inneres Dranggefühl wurde mithilfe

der deutschen Version der Premonitory Urge for Tic Scale (PUTS) (Rössner et al., 2010)

erhoben. Diese ursprünglich für Kinder mit GTS entwickelte Skala ist auch für

Erwachsene mit GTS validiert (Woods et al., 2005).

Um bereits im Vorfeld relevante Komorbiditäten wie ADHS, OCD und Depression

auszuschließen, wurden vor der Messung für jeden Studienteilnehmer ADHS-

Symptome      mithilfe    der    validierten    deutschen    Version    der    ADHS-

Selbstbeurteilungsskala (ADHS-SB) abgefragt (Christiansen et al., 2013; Rosler et al.,

2004). Zudem erfolgte von jedem Studienteilnehmer eine Selbstbeurteilung

gegebenenfalls in der Woche zuvor vorliegender depressiver Symptome mithilfe des

Beck Depressions-Inventar (BDI) (Beck et al., 1997).
2 Material und Methoden                                                         23

Die Beurteilung von OCD-Symptomen erfolgte für jeden GTS-Patienten mithilfe des

Obsessive-Compulsive-Inventory (OCI) (Foa et al., 1998). Die Tabelle 2 zeigt die

erhobenen Daten zum Tic-Schweregrad für jeden GTS-Patienten mit den daraus

errechneten Mittelwerten (MW).

2.4     Transkranielle Magnetstimulation

Während der transkraniellen Magnetstimulation saßen die Studienteilnehmer in

einem bequemen Armlehnstuhl, umgeben von einem Rahmen zur Fixierung der TMS-

Spulen und einer Kopfhalterung (Brainsight TMS frame, Roque Research Inc. Montreal,

Canada).   Die   individuelle   Anpassung   der   Kopfhalterung   ermöglichte    den

Studienteilnehmern eine entspannte Sitzposition während der Messung. Auch die

Arme wurden durch ein Kissen unterstützt bequem gelagert, so dass eine vollständige

Entspannung der Armmuskulatur gewährleistet war. Während der Messdurchläufe

wurden die Patienten angehalten sich zu entspannen, aber aufmerksam zu bleiben und

die Augen offen zu halten.

Mithilfe von paarig angeordneten Oberflächenelektroden in belly-tendon-Montage

wurde das EMG vom entspannten rechten und linken M. interosseus dorsalis manus I

(IDM I) abgeleitet. Eine Erdungselektrode wurde am rechten Handgelenk befestigt. Die

EMG-Signale wurden mit einem D 360 Verstärker (Digitimer Limited, Welwyn Garden

City, UK) verstärkt und mit einem Hochpassfilter von 20 Hz und einem Tiefpassfilter

von 1 kHz gefiltert. Das verstärkte EMG wurde mit einer Samplingrate von 5000 Hz

digitalisiert (Micro1401, Cambridge Electronics Design (CED), Cambridge, UK) und zur

Darstellung und späteren Datenanalyse auf einem PC gespeichert. Als Steuerungs- und

Aufzeichnungssoftware wurde Signal 2.1 (Cambridge Electronics Design (CED),

Cambridge, UK) verwendet. Die EMG Signale wurden kontinuierlich akustisch über

Lautsprecher und visuell mithilfe eines Oszilloskops überwacht.
2 Material und Methoden                                                          24

Die TMS-Pulse wurden von drei Magstim 200 Magnetstimulatoren erzeugt, an die

jeweils eine fokale achtförmige Reizspule mit senkrecht zur Spulenwindung

ausgerichteten Griffen („Branding-Iron-Style“) angeschlossen wurde. Dadurch

konnten zwei Spulen ohne gegenseitige Behinderung am optimalen Stimulationsort

der Hemisphäre platziert werden. Den Versuchsaufbau während der Messung zeigt

Abbildung 1.

Abbildung 1: Probandin (Bildrechte bei der Autorin) mit Stimulationsspulen während der

               Messung.
2 Material und Methoden                                                          25

Zwei Spulen mit einem äußeren Durchmesser von ca. 50 mm dienten der Stimulation

des M1 und eine Spule mit einem äußeren Spulendurchmesser von ca. 25 mm zur

Stimulation des SMA-proper (Magstim Company, Whitland, Dyfed, UK). Zur

Stimulation des M1 wurden die Reizspulen tangential zur Kortexoberfläche im 45°

Winkel zur Sagittallinie ausgerichtet, ungefähr senkrecht zum Sulcus centralis. Diese

Anordnung induziert ein horizontal ausgerichtetes elektrisches Feld, das im Gehirn bei

überschwelligem Reiz einen „schräg“ ausgerichteten Gewebsstrom von posterolateral

nach anteromedial bewirkt. Es hat sich gezeigt, dass diese Art der Positionierung der

Spulen die geringste Reizstärke benötigt, um ein MEP in den Muskeln der

kontralateralen Hand zu induzieren.

Zum Auffinden der optimalen Spulenposition zur Aktivierung des kontralateralen

IDM I wurden die Spulen in 0,5 cm Schritten über dem jeweiligen M1 beider

Hemisphären verschoben bis ein nur leicht überschwelliger Stimulus eine maximale

motorische Antwort, d. h. die größte MEP Amplitude auslöste. Die so ermittelte

optimale Spulenposition für den sogenannten „motorischen hot spot M1“ wurde mit

einem Stift auf der Schädeloberfläche markiert und die Spulen anschließend mithilfe

von Halterungen an einem Rahmen über der markierten Stelle auf dem Kopf des

Probanden fixiert.

In fixierter Position wurden für jeden Probanden die individuelle motorische

Ruheschwelle (RMT) und die aktive motorische Reizschwelle (AMT) bestimmt.

Als RMT wurde die minimale Stimulationsintensität bestimmt, die im entspannten

Muskel in 5 von 10 aufeinanderfolgenden Stimulationspulsen ein MEP von 50 μV

erzeugt.

Als AMT wurde die minimale Stimulationsintensität bestimmt, die bei gleichmäßiger

tonischer Kontraktion des kontralateralen FDI mit ca. 10% der individuellen

maximalen Kraft in 5 von 10 aufeinanderfolgenden Stimulationspulsen ein MEP mit
2 Material und Methoden                                                             26

einer Amplitudengröße von 100-150 μV erzeugte. RMT und AMT wurden als

Prozentzahlen der maximal möglichen Stimulatorleistung angegeben.

Die Intensität des Testpulses (TP) wurde so gewählt, dass ein einzelner

Stimulationspuls über dem rechten M1 im kontralateralen IDM I links eine MEP

Antwort mit einer Amplitudengröße von etwa 1 mV (von Spitze-zu-Spitze gemessen)

auslöste. Die Abbildung 2 zeigt schematisch die Anordnung der Spulen auf dem Kopf

der Probanden.

                                         SMA

       L-M1                                                               R-M1

Abbildung 2: Positionierung der Stimulationsspulen während der Messung. Die Pfeile zeigen

              die Richtung des im Gehirn erzeugten Stromflusses an, d. h. Stimulation über

              SMA erzeugt im Gehirn einen Stromfluss AP, Stimulation über M1 einen

              Stromfluss PA.
2 Material und Methoden                                                            27

Die kleinere Spule zur Stimulation des SMA-proper wurde im rechten Winkel zur

Mittellinie des Kopfes platziert und mittels Halterung an den Rahmen fixiert. Die exakte

Positionierung der Stimulationsspulen erfolgte anhand der individuellen MRT-Bilder

jedes Probanden mithilfe des Neuronavigationsprogramms Brainsight TMS Navigation.

Als Referenzkoordinaten für das Handareal des SMA-proper dienten die in einer

Metaanalyse ermittelten Talaraich Koordinaten (x = 0, y = -7, z = 52)(Mayka et al.,

2006). Der durch Stimulation des SMA-proper im Gehirn induzierte Stromfluss verlief

in anterior-posterior (AP) Richtung.

Die Stimulationsintensität der SMA Spule betrug 140% der Intensität des AMT. Die

Stimulationsintensität wurde vor Beginn der eigentlichen Messung wie bereits zuvor

beschrieben auch für die kleine Spule (25 mm) über dem linken M1 für jeden

Probanden individuell ermittelt.
2 Material und Methoden                                                               28

2.5      Experimentelles Design und Stimulationsparadigma

Um die funktionelle Konnektivität zwischen SMA und M1 bei Patienten mit GTS zu

untersuchen, wurde ein Doppelpulsprotokoll verwendet, das bereits in einer früheren

Studie bei gesunden Probanden assoziative Plastizität im SMA-M1 Netzwerk induziert

hatte (Arai et al., 2011).

 TMS Stimulation                 Bi-M1           SMA + L-M1                 L-M1

 Kondition                       pre PAS              PAS                  post PAS

 Block                       1     2       3     1      2      3       1       2      3

Abbildung 3: Stimulationsprotokoll während des Experiments. Für jeden Studienteilnehmer

               erfolgte ein Messdurchlauf bestehend aus insgesamt neun Blöcken zu je 50

               Stimulationspulsen (3 Blöcke pre PAS, 3 Blöcke PAS, 3 Blöcke post PAS). Die

               mittlere Dauer eines jeden Blocks mit 50 Stimulationen betrug 5 min, gefolgt

               von 2 min Pause zur Kühlung bzw. zum Wechsel der Stimulationsspulen.

               Während PAS erfolgte die Stimulation von SMA-proper 6 ms vor Stimulation

               des linken M1-Areals (L-M1). In pre PAS-Blöcken wurde die Erregbarkeit von

               M1 zu Beginn der Studie bestimmt, während PAS erfolgte gepaarte assoziative

               Stimulation über SMA und M1 links, post PAS erfolgte zur Bestätigung der

               dauerhaften Effekte auf die Erregbarkeit von M1 links (siehe hierzu Material

               und Methoden). Bi-M1 = bilaterale M1 Stimulation; L-M1 = linke M1

               Stimulation; SMA = SMA-proper.
2 Material und Methoden                                                           29

Die Abbildung 3 veranschaulicht das zugrunde liegende Stimulationsprotokoll: Dieses

bestand aus neun Messblöcken mit jeweils 50 Einzel- oder Doppelpulsen. Jeweils drei

der neun Blöcke waren identisch. In Block 1-3 (pre PAS1-3) wurde M1 bilateral

stimuliert, wobei die Pulse nahezu simultan mit einem ISI = 0,8 ms zwischen beiden

Spulen erfolgten und die Stimulation des linken M1 immer vor der des rechten erfolgte.

Diese drei Blöcke dienten als Baseline für die folgende Konditionierung (Block 4 - 6).

In Block 4 - 6 (PAS 1-3) wurde die SMA-proper 6 ms vor einem weiteren Stimulus des

M1 links stimuliert. In Block 7-9 (post PAS 1-3) wurde der zeitliche Verlauf der

induzierten Plastizität über den Messzeitraum erfasst. Es erfolgte nur die Stimulation

von M1 links.

In jedem Block betrug das Intervall zwischen den Einzel-, bzw. Doppelpulsen 5 s ± 25%

Variabilität, um Antizipation auf die nächste Pulsabgabe zu reduzieren. Jeder Block

dauerte im Mittel 5 min und wurde gefolgt von einer kurzen Pause, ca. 2 min, um die

Spulen zu kühlen und den nächsten Block vorzubereiten.

2.6     Magnetresonanz-Bildgebung

Um die SMA Spule mithilfe der Neuronavigation exakt positionieren zu können,

erfolgte für jeden Studienteilnehmer eine Magnetresonanz-Bildgebung in einem

Siemens Magnetom Trio 3T Scanner mit 32-Kanal Kopfspule. Hochauflösende T1-

gewichtete      anatomische   Schnittbilder   des   Kopfes   wurden    mithilfe    der

standardisierten 3D MP-RAGE-Sequenz (TR=2300 ms; TE=2,98 ms; TI=1100 ms; flip

angle 9°; 1x1x1 mm3 räumliche Auflösung; 240 koronare Schnitte, Gesichtsfeld

192x256 mm2) aufgezeichnet.
2 Material und Methoden                                                        30

2.7     Datenanalyse und Statistische Auswertung

Die Auswertung der MEP-Amplituden (Spitze-zu-Spitze) erfolgte halbautomatisch von

Spitze-zu-Spitze für jede der 450 Stimulationen einzeln mithilfe eines Skriptes der

Software Signal. Insgesamt wurden in der vorliegenden Arbeit rund 14000 MEP-

Amplituden ausgewertet. Die ermittelten Werte wurden in eine Excel-Tabelle

übertragen. Anschließend wurden für jeden Studienteilnehmer die Mittelwerte der

MEP-Amplituden der einzelnen Messblöcke berechnet. Einzelne MEP-Werte, die mehr

als 2,5-fache Standardabweichung vom Mittelwert abwichen, wurden von der Analyse

ausgeschlossen.

Die daran anschließende statistische Auswertung wurde in SPSS 22 durchgeführt. Mit

einer Varianzanalyse für wiederholte Messungen (ANOVA) wurde der PAS-Effekt für

die Faktoren KONDITION (pre PAS, PAS, post PAS) und BLOCK (für jede Kondition je

drei Blöcke mit je 50 Stimulationen) innerhalb des Hauptfaktors GRUPPE (GTS-Patient

und gesunde Kontrolle) untersucht.

Auf die gesamte statistische Analyse wurde die Korrektur nach Greenhouse-Geisser

angewendet, um den Fall der Nicht–Normalverteilung zu korrigieren.

In Ergänzung zum klassischen Nullhypothesentest erfolgte eine Prüfung der

Signifikanz gemäß Bayes-Statistik (Masson, 2011). Diese erlaubt eine direkte

Bestimmung der Hypothesenwahrscheinlichkeit, d. h. der nach Erhebung der Statistik

errechnete Bayes-Faktor erlaubt eine Aussage darüber, wie wahrscheinlich jeweils die

H0- bzw. H1-Hypothese zutrifft.

Die für jeden Patienten erhobenen klinischen Messwerte für die Tic-Schwere und

Vorliegen von Drangsymptomatik (YGTSS, DCI, MRVS, PUTS) wurden mit der Größe

des PAS-Effekts (mittlere MEP-Amplitude PAS/ mittlere MEP-Amplitude pre PAS)

mithilfe des Spearman Rho-Rangkorrelationskoeffizienten korreliert. Fünf der in
2 Material und Methoden                                                     31

dieser Studie eingeschlossenen GTS-Patienten zeigten zum Zeitpunkt der Messung,

bzw. in der Woche davor keine phonetischen Tics. Aus diesem Grund entfiel die

statistische Analyse hinsichtlich einer Korrelation für phonetische Tics.

In der gesamten statistischen Analyse wurde ein p-Wert < 0,05 als signifikant

angesehen. Post-hoc-Tests wurden mithilfe der Bonferroni-Holm-Prozedur für

multiple Tests korrigiert.
3. Ergebnisse                                                                32

3.       Ergebnisse
3.1      Klinische Daten der Patienten mit Gilles de la Tourette

         Syndrom

Für alle Patienten wurden standardisierte Erhebungen zur klinischen Einschätzung

des Gilles de la Tourette Syndroms vorgenommen (Tabelle 2). Zum Zeitpunkt der

Studienmessung berichteten alle Patienten an motorischen Tics und sieben Patienten

auch regelmäßig an phonetischen Tics zu leiden.

Die mittels DCI gemessene mittlere Lebensdauerwahrscheinlichkeit für das Vorliegen

eines GTS lag bei 42,1 ± 8 Punkte (Mittelwert ± SD). Der Gesamtscore aus den

insgesamt 27 Fragen reicht von 0-100 Punkten. Je höher der Score, desto

wahrscheinlicher ist die Diagnose GTS.

Der im YGTSS ermittelte Gesamtschweregrad vorliegender Tics betrug 13,5 ± 3,7

Punkte. Der mittlere Schweregrad motorischer Tics ergab 10,8 ± 3,6 Punkte, der

mittlere Schweregrad phonetischer Tics 2,7 ± 3,1 Punkte. Der Gesamtscore liegt im

Bereich von 0-100 Punkten. Je höher der Score, desto schwerer die Tics bzw. desto

größer die Lebensbeeinträchtigung durch die Tics.

Insgesamt berichteten 11 Patienten über ein den Tics vorausgehendes Dranggefühl.

Der mittlere PUTS-Score wurde mit 18,7 ± 4 Punkte berechnet. Der Gesamtscore kann

einen Punktwert von 9-40 erreichen. Höhere Werte sprechen für ein verstärktes und

häufiges Auftreten eines vorausgehenden Dranggefühls. Der mittlere MRVS ergab 8,8

± 1,6 Punkte. Insgesamt kann hier ein Gesamtschweregrad von 0-20 Punkte erreicht

werden. Die Auswertung der klinischen Daten ergab für die zwölf in die Studie

eingeschlossenen GTS-Patienten die Diagnose GTS. In der Ausprägung ihrer Tic-

Symptomatik waren die Patienten aktuell weniger stark betroffen, so dass ein eher

unkompliziertes GTS vorlag.
3. Ergebnisse                                                                                                     33

3.2                           PAS-Stimulation

Das in dieser Studie angewandte PAS-Stimulationsprotokoll bestand aus insgesamt

drei Konditionen (pre PAS, PAS, post PAS) mit jeweils drei Blöcken (1-3) zu je 50

Stimulationen (Abbildung 3). Die statistische Analyse mittels ANOVA der mittleren

MEP-Amplitude als abhängiger Variable ergab keinen Unterschied für den Faktor

GRUPPE (F(1, 29) = 1,13; p = 0,297).

Wie der Abbildungen 4 zu entnehmen ist, zeigte sich kein signifikanter Unterschied der

mittleren MEP-Amplitude zwischen der Patientengruppe und der Kontrollgruppe, d. h.

es bestand kein Haupteffekt im Vergleich beider Gruppen.

                                    2,20

                                    2,00
      mittlere MEP Amplitude (mV)

                                    1,80

                                    1,60

                                    1,40

                                    1,20

                                    1,00                                                         Patienten mit GTS
                                    0,80
                                                                                                 Kontrollen
                                    0,60
                                               1        2       3         1   2       3      1       2        3
                                                     pre PAS                  PAS                 post PAS

Abbildung 4: Ergebnisse der Stimulation mit PAS, getrennt für Patienten mit GTS und

                                           Kontrollen: Die Abbildung zeigt die Höhe der mittleren MEP-Amplitude vor

                                           (pre PAS), während (PAS) und nach (post PAS) assoziativer Stimulation des

                                           SMA gepaart mit M1 links für Patienten mit GTS im Vergleich zu gesunden

                                           Kontrollen. Die Daten sind als Mittelwert mit dem Streuungsmaß des

                                           Standardfehlers dargestellt.
3. Ergebnisse                                                                                                        34

Die Analyse der Konditionen pre PAS, PAS, post PAS ergab einen signifikanten Effekt

für den Faktor KONDITION F(2, 58) = 9,92; p < 0,001), d. h. es fand sich ein deutlicher

PAS-Effekt. Dieses verdeutlicht die Abbildung 5.

Innerhalb der Messblöcke fand sich kein signifikanter Unterschied, was sich in der

fehlenden Signifikanz für den Faktor BLOCK (F(2, 58) = 1,92; p = 0.16) wiederspiegelt.

                                    2,20

                                    2,00
                                                                                                                 *
      mittlere MEP Amplitude (mV)

                                    1,80
                                                                                       *               *
                                    1,60                               *       *               *

                                    1,40

                                    1,20

                                    1,00

                                    0,80

                                    0,60
                                               1       2       3       1       2       3       1       2         3
                                                    pre PAS                   PAS                  post PAS

Abbildung 5: Ergebnisse der Stimulation mit PAS für beiden Gruppen zusammen Die

                                           Abbildung zeigt die Mittelwerte der MEP-Amplitude (mV) vor (pre PAS),

                                           während (PAS) und nach (post PAS) assoziativer Stimulation der SMA gepaart

                                           mit M1 links. Für beide Gruppen zusammen (GTS-Patienten und gesunde

                                           Kontrollen) zeigt sich ein signifikanter PAS-Effekt der Konditionen PAS und

                                           post PAS (Stern markiert) im Vergleich zur Kondition pre PAS. Die Daten sind

                                           als Mittelwert mit dem Streuungsmaß des Standardfehlers dargestellt
3. Ergebnisse                                                                     35

Es ergab sich keine Interaktion zwischen den Faktoren KONDITION · BLOCK

(F(4,116) =     2,5;   p   =   0,71),   keine   Interaktion   zwischen   den   Faktoren

GRUPPE · KONDITION (F(2, 58) = 0,69; p = 0,5) und keine Interaktion zwischen den

Faktoren GRUPPE · BLOCK (F(2, 58) = 0,27; p = 0,76), ebenso keine Interaktion

zwischen den drei Faktoren GRUPPE · KONDITION · BLOCK (F(4, 116) = 0,8; p = 0,53).

Im post-hoc test T-Test für den Faktor KONDITION wurden die mittleren MEP-

Amplituden mit dem ersten Messblock verglichen: Die mittleren MEP-Amplituden

waren in den Blöcken während und nach PAS-Stimulation (PAS 1-3 und post PAS 1-3)

signifikant höher als bei Baseline (p < 0,05; mit Bonferroni-Holm-Korrektur), wie die

Abbildung 5 zeigt.

Zur Überprüfung der Nullhypothese wurde das Fehlen der Interaktion zwischen den

Faktoren GRUPPE und KONDITION mithilfe der Bayes–Statistik (Wagenmakers, 2007)

genauer analysiert. Der von Masson et al. vorgeschlagene Ansatz ermöglicht es, die

relative Glaubwürdigkeit verschiedener statistischer Modelle aus den in der ANOVA

verwendeten Summen der Quadrate abzuschätzen (Masson, 2011).

Für die genauer untersuchte Interaktion zwischen den beiden Faktoren GRUPPE und

KONDITION (SS_effect = 0,659, SS_Error = 27,487, Bayes-Faktor von 21,48) ergab die

Analyse eine Wahrscheinlichkeit für die Nullhypothese von p(H0|D) = 0,955. Dieses

entspricht einem Bayes Faktor von 21,48 zugunsten der Nullhypothese.

Auf der Grundlage der erhobenen Daten ist die Nullhypothese (H0 = keine Interaktion

zwischen den Faktoren GRUPPE und KONDITION) demnach etwa zwanzig Mal

wahrscheinlicher als die Alternativhypothese (H1 = Vorhandensein einer Interaktion

zwischen den Faktoren GRUPPE und KONDITION). Aufgrund dieser hohen

Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, dass die Nullhypothese entsprechend der

Kriterien von Raftery zutrifft (Raftery, 1999).
3. Ergebnisse                                                                   36

Für die vorliegende Studie bedeutet dieses Ergebnis, dass sich die assoziative

Plastizität im SMA-M1 Netzwerk der GTS-Patienten mit großer Wahrscheinlichkeit

nicht von der assoziativen Plastizität der gesunden Kontrollgruppe unterscheidet.
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