PROGRAMMATIK ZUR INTERNATIONALEN BAUAUSSTELLUNG WIEN 2022 - RAHMEN STRUKTUR MEMORANDUM
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INHALT VORWORT .................................................................................................................. 5 AUSGANGSLAGE, HERAUSFORDERUNGEN UND CHANCEN EINER IBA FÜR WIEN......... 7 Zur Geschichte des Wiener Wohnbaus.................................................................. 7 Aktuelle Herausforderungen................................................................................ 8 Chancen einer IBA für Wien................................................................................. 12 DIE WOHNUNGSFRAGE IM KONTEXT DER INTERNATIONALEN BAUAUSSTELLUNGEN. 13 Einordnung der IBA_Wien in die Tradition der Internationalen Bauausstellungen.............................................................. 14 Der Wiener soziale Wohnbau auf internationaler Ebene................................... 18 MEMORANDUM ZUR IBA_WIEN 2022 - NEUES SOZIALES WOHNEN........................... 21 3 Wirkungsebenen der IBA_Wien.......................................................................... 23 Leitthemen der IBA_Wien.................................................................................... 24 Qualitätsanspruch, Qualifizierungsprozess und Kriterien.................................. 34 FORMATE DER IBA_WIEN.......................................................................................... 38 ORGANISATION UND AKTEURE.................................................................................. 40 DANK........................................................................................................................ 42 IMPRESSUM.............................................................................................................. 44 PROGRAMMATIK ZUR INTERNATIONALEN BAUAUSSTELLUNG WIEN 2022
VORWORT Sicher ist: Der soziale Grundsatz, breiten Bevöl- kerungsschichten den Zugang zu leistbaren und qualitätsvollen Wohnungen zu ermöglichen, wird uneingeschränkt das Fundament bilden, auf dem auch alle zukünftigen Maßnahmen auf- bauen werden. Es gilt jedoch, die Richtlinien, Methoden und Verfahren im Hinblick darauf zu überprüfen sowie innovative Lösungen für den sozialen Wohnbau der Zukunft zu erarbeiten. Unser Anspruch ist es, frühzeitig resiliente Stra- tegien und Modelle für die kommenden Jahr- zehnte zu entwickeln. Dies mit einem Blick, der auf das Ganze gerichtet ist und der beispiels- weise auch die wichtige soziale Dimension des Zusammenlebens mit einschließt. Dieser entscheidende Prozess wird im Rahmen einer Wiens geförderter Wohnbau wurde seit den mehrjährigen internationalen Bauausstellung, 1920er-Jahren kontinuierlich weiterentwi- der IBA_Wien zum Thema „Neues soziales Woh- 5 ckelt und genießt heute Weltruf. Regelmäßig nen“, federführend vorangetrieben. bestätigen auch internationale Auszeichnun- gen und Studien, dass Wiens hervorragende Einen besonderen Stellenwert hat die Mitspra- Lebensqualität in hohem Maße auf den sozi- che der Wiener Bevölkerung. Sie ist unsere alen Wohnbau unserer Stadt zurückzuführen wichtigste Ansprechpartnerin, deren Wünsche, ist. So werden Bauträgerwettbewerbe, die im Anregungen und Ideen direkt in die IBA_Wien geförderten Wiener Wohnbau als Lenkungsin- mit einfließen. strument mit innovativen Qualitätsanforderun- gen dienen, von UN-Habitat als „Best Practice“ Ich möchte daher auch Sie ganz herzlich dazu geführt. Aber auch die sanfte Stadterneuerung einladen, sich an den vielfältigen Aktivitäten wurde mit dem höchsten Preis der Vereinten der IBA_Wien zu beteiligen. Nationen im Bereich des Wohnens, der „Scroll of Honour“, prämiert. Gestalten wir gemeinsam den sozialen Wiener Wohnbau fit für die Zukunft! Heute sind Metropolen immer stärker damit konfrontiert, dass weltweit die Geschwindig- keit und Dynamik wirtschaftlicher und gesell- schaftlicher Veränderungsprozesse in Ausmaß und Intensität zunehmen. Wenn wir also die außerordentlich hohen Qualitäten Wiens im so- zialen Wohnbau sichern und sogar noch weiter ausbauen wollen, dann müssen neue Wege be- schritten werden. Es ist erforderlich, die bisheri- ge Praxis einer tiefgreifenden Analyse in Bezug Dr. Michael Ludwig auf ihre künftige Anwendbarkeit und Tragfähig- Stadtrat für Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung keit zu unterziehen. und Präsident der IBA_Wien PROGRAMMATIK ZUR INTERNATIONALEN BAUAUSSTELLUNG WIEN 2022
AUSGANGSLAGE, HERAUSFORDERUNGEN UND CHANCEN EINER IBA FÜR WIEN Zur Geschichte des Wiener Wohnbaus Die Geschichte des sozialen Wiener Wohnbaus sichtlich der Infrastruktur, werden bei Wohn- ist weltweit einzigartig. Sie prägt die Stadt bauprojekten vorab von der Stadt definiert und bis heute nicht zuletzt durch die zahlreichen auch finanziert; Ähnliches gilt für die Architek- Gemeindebauten in allen Wiener Bezirken. tur. Wohnungsbau ist immer auch Städtebau Die Stadt weist dadurch einen kommunalen und Gesellschaftspolitik. Wohnungsbestand von rund 220.000 Woh- nungen auf. Es ist daher auch bei der IBA_Wien Gleichzeitig muss sich der Wohnungsbau wei- von den Kontinuitäten und Brüchen in der Ge- terentwickeln. Globalisierung und neue Me- schichte des sozialen Wohnbaus dieser Stadt dien verändern die Gesellschaft und schaffen auszugehen. Beginnend bei der Wohnsituati- neue Herausforderungen. Mit experimentel- on in der Hauptstadt des Habsburgerreiches, len Themensiedlungen versuchte die Stadt die für die meisten Bewohnerinnen und Be- schon Ende des 20. Jahrhunderts, Anstöße zu wohner nicht Glanz und Reichtum bereit- geben: ökologische Experimentalbauten, au- hielt, sondern unfassbare Not und elende tofreie Siedlungen, Gender-Mainstreaming Behausungen über die revolutionäre Selbst- auch in der Planung, neue Formen des Woh- hilfebewegung der Wiener Siedler nach dem nens und Arbeitens, Integrationsprojekte. Vie- Zusammenbruch der Monarchie, mit ihrem le dieser Experimente fanden später Eingang Anspruch auf selbstbestimmtes Leben und in den breiten Wohnungsbau. Beispielsweise Wohnen in demokratischen Gemeinschaften, werden nun alle Neubauten im Niedrigener- 7 bis hin zum Wohnbauprogramm des „Roten giestandard errichtet, im mehrgeschoßigen Wien“. Im Rahmen dieses Programms der ers- Bau von Passivhäusern ist Wien europaweit ten sozialdemokratisch regierten Millionen- führend. Wettbewerbe sollen die Qualität stadt der Welt, wurden – trotz schlechtester steigern, zugleich aber Kosten senken. Und wirtschaftlicher Voraussetzungen – in nur 15 nicht zuletzt soll innovative Architektur geför- Jahren 60.000 „Gemeindewohnungen“ für dert werden. Dass dies auch für die Architek- Haushalte mit geringen Einkommen errich- tenseite attraktiv ist, zeigt neben den zahlrei- tet und dabei städtebaulich und sozial völlig chen Bauten österreichischer Architektinnen neue Qualitäten geschaffen. Hervorzuheben und Architekten auch eine eindrucksvolle sind insbesondere die großzügigen Gemein- Liste internationaler „Stars“, die am Wiener schaftseinrichtungen, die als Schritt zu einer sozialen Wohnungsbau beteiligt waren oder Vergesellschaftung des Wohnens gesehen in laufenden Projekten engagiert sind. Für die werden können. IBA_Wien „Neues soziales Wohnen“ bedeutet dies, dass die Antworten auf neue Herausfor- Nach der erzwungenen Unterbrechung durch derungen von einem hohen Standard aus zu Faschismus und Krieg setzte Wien weiterhin entwickeln sind. auf den öffentlichen Wohnungsbau. Wieder- aufbau, Siedlungsbau, industrialisierte Woh- nungsproduktion und nicht zuletzt „sanfte“, weil bewohnerorientierte, Stadterneuerung werden getragen von der grundsätzlichen Auffassung, dass Wohnen nicht zur Gänze dem freien Markt überlassen werden soll. Die Stadt hat dafür ein umfangreiches rechtliches, finan- zielles und administratives Instrumentarium geschaffen. Wichtige Bedingungen, etwa hin- PROGRAMMATIK ZUR INTERNATIONALEN BAUAUSSTELLUNG WIEN 2022
Aktuelle Herausforderungen In den vergangenen Jahren ist das Thema des Die IBA_Wien wird daher ausgehend von der leistbaren Wohnens in fast allen mitteleuropä- „Resolution für den sozialen Wohnbau“ auch ischen Städten ins Zentrum der Aufmerksamkeit weiterhin europaweit Lobbying für sozialen gerückt. Aufgrund eines deutlichen Bevölke- Wohnbau als maßgebliches gesellschafts- und rungswachstums wird Wohnraum in Städten verteilungspolitisches Instrument des Wohl- zunehmend knapper. Steigende Mieten, Ver- fahrtsstaates betreiben. drängung von einkommensschwächeren Be- völkerungsgruppen aus bestimmten Stadt- „Wir wollen keine soziale Segregation, son- gebieten und die Privatisierung kommunaler dern soziale Durchmischung. Alle Verantwort- Wohnungsbestände werden von Expertinnen lichen sollten daran interessiert sein, dass es und Experten, von den Medien aber auch von in ganz Europa für alle Menschen leistbare den Bürgerinnen und Bürgern selbst als Gefahr Wohnungen gibt. Die Lebensqualität zu er- für die sozial gemischte Stadt und damit auch halten und zu steigern, genügend Platz und für den sozialen Frieden gesehen. Immer häufi- Grünraum bereit zu stellen – und das bei wach- ger ist die Wohnungsfrage in Europa ein Thema senden Bevölkerungszahlen – ist der größte für die lokale Stadtpolitik, während ein allge- Drahtseilakt der Zukunft.“ meiner Rückzug der nationalen Politiken die Fi- Bürgermeister Dr. Michael Häupl nanzierung von Initiativen für den öffentlichen Wohnungsbau unterminiert hat. Städte haben Seit einigen Jahren ist in Europa zu beobachten, 8 eine herausragende Rolle bei der Gestaltung dass die knapper werdenden öffentlichen Mittel und Steuerung der einschlägigen Politikberei- sowie die zunehmend ungleiche Verteilung von che gespielt, und Wien ist dabei in vielen euro- Einkommen und Vermögenswerten auch funkti- päischen Städten zu einem relevanten Bezugs- onierende gesellschaftliche Systeme unter Druck rahmen für Governance Assets geworden. geraten lassen. Das Erfordernis einer wesentli- chen Steigerung der Wohnungsneubauleistung Der Ruf nach mehr kommunalem Engagement samt erforderlicher technischer, sozialer sowie bei der Lösung der „Wohnungsfrage“ wird Bildungs-, Arbeits- und Versorgungsinfrastruktur lauter. Vielerorts, wo sich Kommunen in den stellt eine Herausforderung dar, mit der sich zahl- 1990er-Jahren fast völlig aus dem sozialen reiche europäische Städte auseinandersetzen Wohnbau zurückgezogen haben, werden am- müssen. Hinzu kommen stark steigende Grund- bitionierte Wohnbauprogramme beschlossen. stückspreise, ein geringes Wirtschaftswachstum Die europaweit zunehmende Bedeutung der sowie damit verbunden durchschnittlich stagnie- Wohnungsfrage wird u. a. auch durch die brei- rende bzw. sinkende Realeinkommen. Es liegt te Zustimmung zur – von Bürgermeister Micha- daher auf der Hand, dass es einerseits erforder- el Häupl und Wohnbaustadtrat Michael Ludwig lich ist, mit raschen Sofortlösungen darauf zu re- initiierten – „Resolution für den sozialen Wohn- agieren, und andererseits die Kräfte in der Stadt bau“ deutlich. Diese wurde von Bürgermeiste- und im Austausch mit anderen Städten Europas zu rinnen und Bürgermeistern aus über 30 europä- bündeln. Die Aufgabe ist, gemeinsam nach neu- ischen Städten unterschrieben. en Lösungen zu suchen und dabei bewusst auch
Freiräume vorzusehen, um dort, wo es notwen- Bevölkerungsentwicklung in Wien dig ist, eingefahrene und gut erprobte Wege zu verlassen und einen experimentellen Raum für Die starke sozio-demografische Veränderung eine kreative und innovative Laborsituation – ei- der Stadtgesellschaft ist ursächlich mit den Phä- nen „Ausnahmezustand auf Zeit“ – zu schaffen. nomenen des Stadtwachstums verknüpft. Welt- weit zieht es die Menschen in die Städte. Im Jahr In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sämtli- 2050 sollen bereits zwei Drittel der prognosti- che Akteurinnen und Akteure auf politischer und zierten zehn Milliarden Menschen in Städten administrativer Ebene zu motivieren und mitein- leben. Eine verstärkte Zuwanderung aus um- zubeziehen. liegenden Regionen und stark benachteiligten oder zerstörten Gebieten der Welt ist ein globa- Gleichermaßen von Bedeutung ist die Aktivie- les Faktum. rung jener Akteurinnen und Akteure, die den Wohnbau, das Quartier, die Stadt planen und Vor dem Hintergrund der demografischen und umsetzen: Bauträger, Architektinnen und Ar- sozialen Entwicklungstrends der wachsenden chitekten, Landschaftsplanerinnen und Land- Stadt werden Wohnen und Wohnumfeld als schaftsplaner, Soziologinnen und Soziologen, Grundlage sozialräumlicher Integration auch die Wirtschaft, soziale Träger etc. Nur mit ihrem im Rahmen der IBA_Wien betrachtet. Dies be- Know-how und ihrer tatkräftigen Hilfe kann es trifft sowohl den Neubaubereich als auch den 9 gelingen, die befristete Laborsituation frucht- Bestand und seine Weiterentwicklung. bringend für das Ausloten alltagstauglicher Ver- änderungen zu nutzen. Über eine wesentliche Einige demografische Fakten, die für den Expertise verfügen allerdings auch die Bewoh- IBA_Wien-Diskurs von Bedeutung sind: nerinnen und Bewohner sowie die Beschäf- tigten in den verschiedenen Quartieren, die Die Bevölkerung Wiens wächst kontinuierlich deshalb im Rahmen der IBA_Wien ebenfalls in und nimmt in den letzten Jahren immer stär- vielfältiger Weise in die Prozesse und Entwick- ker zu. Alleine im Jahr 2016 stieg die Bevölke- lungen einbezogen werden. rungszahl um 2,4 % auf rund 1,84 Mio. an. Die Gruppe der älteren, insbesondere hoch- betagten Menschen (75+) nimmt ebenfalls laufend zu. Damit steigt auch der Bedarf an Pflege- und Gesundheitsleistungen sowie an sozialer Teilhabe. Der Anteil an Kindern und Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung steigt besonders stark und damit auch die entsprechenden Anforderung an die Gestaltung von Bildungs- und Betreuungseinrichtungen, an Wohnraum und Wohnumfeld. PROGRAMMATIK ZUR INTERNATIONALEN BAUAUSSTELLUNG WIEN 2022
Parallel zur zunehmendem Vielfalt an Le- Die angesprochenen demografischen Entwick- bensstilen (Patchwork-Familien, Alleinerzie- lungen gehen auf Grund der Auswirkungen der hende, neue Großfamilien etc.) schreiten die Finanz- und Wirtschaftskrise Hand in Hand mit Individualisierung und auch die Internationa- einer zunehmenden Prekarisierung im Arbeits- lisierung der Bewohnerschaft durch Zuwan- bereich, einer generellen Verschärfung auf dem derung voran. Arbeitsmarkt und damit einer Veränderung der verfügbaren Haushaltseinkommen. Soziale Der derzeitige Anteil an Singlehaushalten um- Spannungen, Tendenzen der „Entsolidarisie- fasst rund 45 % aller Wiener Haushalte. Hier rung“, Generationenkonflikte und wachsen- gilt es einerseits auch künftig ein adäquates de Ängste charakterisieren heute zunehmend Angebot für die sehr unterschiedlichen Al- Stadtgesellschaften und definieren auch für die tersgruppen zu bieten. Andererseits soll der IBA_Wien Aufgabenstellungen. Dazu kommen Nachfrage nach dem Zusammenleben von globale Herausforderungen durch den Klima- Singles in einem lockeren Verband („Wohn- wandel und technologische Entwicklungen gemeinschaft“) besser entsprochen werden. („Industrie 4.0“). 10 Bevölkerungsentwicklung in Wien, Stand 2014 © Statistik Austria, MA 23
Soziale Durchmischung und Das benötigte hohe Neubauvolumen wird zuneh- sozial nachhaltige Stadtquartiere mend in der Schaffung neuer Stadtquartiere und Stadtteile umgesetzt werden und beschränkt sich Wien hat durch seine kontinuierliche Woh- nicht mehr nur auf die Errichtung von baulichen „In- nungspolitik nicht nur einen besonderen serts“ in der bereits gebauten Stadt. Die IBA_Wien Beitrag zur sozialen Durchmischung aller Be- sieht es daher als ihre Aufgabe an, diese neuen For- völkerungs- und Einkommensgruppen im ge- men des „Siedlungsbaus“ – im Sinne von gut aus- samten Stadtgebiet geleistet, sondern auch gestatteten und gleichzeitig entwicklungsfähigen eine wesentliche Grundlage für soziale Durch- Stadtquartieren – als neue soziale Entwicklungsräu- lässigkeit und individuellen sozialen Aufstieg me verstärkt in die Diskussion einzubringen. ermöglicht. Die Schnittstelle zwischen neu gebauter und Dieser Status quo gerät jedoch in Bedrängnis. bereits bestehender Stadt aber auch die Bezie- Zählte zu Beginn der „Sanften Stadterneue- hung zwischen diesen ist im Veränderungstem- rung“ in den 1980er-Jahren der gründerzeitli- po der aktuellen Wohnbauproduktion unter che Althausbestand zum Billigsegment in der dem Gesichtspunkt „Was kann Neues für Altes Wohnversorgung und war damit u. a. auch ein leisten“ besonders relevant. wichtiger Ankunftsort für einkommensschwa- che Bevölkerungsgruppen, so ist dieses pri- Ziel der IBA_Wien „Neues soziales Wohnen“ ist 11 vate Wohnungssegment auf Grund anhaltend es daher auch, bestehende Modelle mit einem hoher Investitionsinteressen in Immobilien gelungenen Mix unterschiedlicher Typologien und einer globalen Liberalisierung des Miet- von Gebäuden, Wohnungen und Freiräumen in rechtes von stark steigenden Mieten betroffen. differenzierten Kostenstrukturen zu analysieren Diese Veränderungen beeinflussen auch alle und damit Impulse für einen umsetzbaren Wei- anderen Wohnungssegmente: sowohl der Ver- terentwicklungsprozess zu setzen. Dabei ist auch sorgungsdruck auf besonders günstige kom- die Einplanung notwendiger zielgruppenspezi- munale und geförderte Wohnungsbestände fischer Qualitäten (Wohnanforderungen im Alter, als auch der Bedarf an besonders leistbaren Kinder- und Jugendgerechtheit, partizipative, geförderten Wohnungen im Neubaubereich gemeinschaftsbildende und gemeinwesenori- steigen. Darüber hinaus sind weitere kreative entierte Modelle) zu beachten, ebenso wie die Lösungen zur Schaffung von Angeboten für An- Verbindung mit notwendigen Quartiersausstat- kunfts- und Startwohnungen sowie von integ- tungen im Bereich Bildung, Kultur, lokale Ökono- rativen Wohnformen gefragt. mie und soziale Infrastruktur. PROGRAMMATIK ZUR INTERNATIONALEN BAUAUSSTELLUNG WIEN 2022
Chancen einer IBA für Wien Die Erfahrung aus vergleichbaren Beispielen Auf internationaler Ebene bietet die IBA für Wien anderer Städte und Regionen zeigt, wie schwie- die Chance, aufbauend auf bereits laufenden rig es ist in gut funktionierenden Systemen Pro- Aktivitäten – z.B. jene zur „UNECE-Charter on Sus- zesse zu etablieren, die mit dem Anspruch inno- tainable Housing“ oder des Wiener Vorsitzes im vativer Entwicklungskraft initiiert werden und Rahmen einer EU-Partnerschaft zum Wohnen – sich daher mit einer überdurchschnittlich hohen Kooperationen mit Forschungsinstitutionen, Erwartungshaltung konfrontiert sehen, sei es Universitäten, Interessenvertretungen und Netz- im Bereich der Fachöffentlichkeit oder auf dem werken auszubauen und so wesentliche Themen Feld konkreter vorzeigbarer Ergebnisse. der Wohnbaupolitik über die IBA_Wien hinaus zu beeinflussen. Ein gemeinsames Ziel für viele eu- Eine Chance, die das Format der IBA für Wien bie- ropäische Städte sollte es sein, Wohnbau und das tet, liegt darin, sich auf Grundlage dieser Erfah- Wohnen generell als eine Querschnittmaterie aus rungen dem in jedem funktionierenden Gefüge sozialen, ökonomischen, ökologischen, architek- auch vorhandenen „aktuellen Problemdruck“1 tonischen und politischen Aspekte zu begreifen. zu widmen und die Funktion der IBA darauf aus- zurichten, für diese Problemstellungen neue Die Chancen dafür stehen gut. Durch das rasche Lösungen zu entwickeln, die von den vorhan- Wachstum legen zahlreiche Städte, die sich in denen Akteurinnen und Akteuren und Systemen der Vergangenheit zum Teil bereits vom geför- aus welchen Gründen auch immer nachweislich derten Wohnbau und von der Gemeinnützig- 12 nicht zustande gebracht werden können. Dafür keit verabschiedet hatten, neue „Wohnbau- ist es einerseits erforderlich, teilweise neue Ver- programme“ auf. Das öffentliche Engagement netzungen und Interaktionen auch unter Beizie- im sozialen Wohnbau nimmt wieder zu, und hung bislang nicht „typischer“ Akteurinnen und viele Kommunen und Städte sind auf der Suche Akteure zu ermöglichen und andererseits einen nach Lösungen, wie auf die gegenwärtigen geschützten Bereich für Experimente und Labor- Herausforderungen reagiert werden kann. Die situationen einzurichten, der das Beschreiten IBA_Wien will diese Entwicklung proaktiv nüt- neuer Wege in gut erprobten Systemen über- zen und sich damit auch zukünftig als Haupt- haupt erst in den Bereich des Möglichen rückt. stadt des sozialen Wohnbaus etablieren. 1 Vgl. „Eine IBA entsteht aus konkreten Herausforderungen der Stadtgesellschaft, aus jeweils aktuellem Problemdruck“ (in: „Memorandum zur Zukunft Internationaler Bauausstellungen“, 2009)
DIE WOHNUNGSFRAGE IM KONTEXT DER INTERNATIONALEN BAUAUSSTELLUNGEN Wien zählt zu den stark wachsenden Städten Seit vielen Jahren richtet sich der Blick vieler Europas. Das Wachstum und die damit verbun- europäischer Städte auf Wien, verfügt diese denen Anforderungen an die Schaffung von Stadt doch über ein besonderes wohnungs- Wohnraum und neuen Quartieren werden die politisches Instrumentarium im Bereich des Struktur der Stadt verändern. Bis zum Jahr 2025 sozialen Wohnungsbaus. Während beispiels- soll Raum für bis zu 120.000 neue Wohnungen weise in Deutschland in manchen Städten alte bereitgestellt werden. Die über den Stadtent- Wohnungsbestände und kommunale wie ge- wicklungsplan 2025 zum Ausdruck gebrachte meinnützige Wohnungsbaugesellschaften an Zielrichtung ist unmissverständlich: Unter der Höchstbieter verkauft und die Wohnungsfrage Überschrift „Die Stadt weiterbauen“ geht es der Immobilienwirtschaft überlassen wurde, um die Weiterentwicklung des bebauten Stadt- hat Wien konsequent an seiner 100-jährigen gebietes ebenso wie um die Vorsorge für die Tradition des geförderten Wohnungsbaus fest- Stadterweiterung. Die Herausforderungen sind gehalten. Dies unter anderem mit dem Ergeb- groß: Schließlich geht es immer auch darum, nis einer im internationalen Vergleich sehr die Leistbarkeit des Lebens in der wachsenden gedämpften Wohnkostenbelastung. Doch glei- Stadt im Blick zu behalten. In vielen Städten sind chermaßen ist auch in Wien zu beobachten, wie steigende Mieten und Verdrängungsprozes- der soziale Wohnbau angesichts stark steigen- se die Konsequenz des steigenden Auseinan- der Grundstückspreise, eines durchschnittlich derklaffens zwischen Angebot und Nachfrage. stagnierenden bzw. sinkenden Realeinkom- 13 Immer mehr Menschen in prekären Arbeitsver- mens und eines stagnierenden Wirtschafts- hältnissen und Lebenssituationen konkurrieren wachstums zunehmend unter Druck gerät. um das sich verknappende Gut des leistbaren Wohnraums. Mit dem Instrument der Internationalen Bau- ausstellung hat sich die Stadt Wien dazu ent- Fehlt das entsprechende wohnungspolitische schlossen, hier neue Akzente setzen zu wollen. Steuerungsinstrumentarium, drohen die Städte Das Instrument der Internationalen Bauausstel- in krisenhafte Situationen zu geraten. Die Ge- lung soll die Voraussetzungen dafür schaffen, fahr ist groß, dass dies zu einer Zuspitzung so- beispielgebende Antworten auf Fragen des zialer Ungleichheiten führen wird. „Neuen sozialen Wohnens“ zu finden. PROGRAMMATIK ZUR INTERNATIONALEN BAUAUSSTELLUNG WIEN 2022
Einordnung der IBA_Wien in die Tradition der Internationalen Bauausstellungen 2 Die Tradition der Bauausstellungen ist mittler- dium absolviert hatte, versinnbildlichte schon weile über 100 Jahre alt: Mitte des 19. Jahrhun- damals die Anstrengungen der Stadt, modernes derts wurde es üblich, bautechnische Neuerun- zeitgemäßes Wohnen in den Wohnungsgrund- gen auch in Weltausstellungen zu präsentieren. rissen und der effizienten Nutzung der Wohnun- Die Tradition eigenständiger Bauausstellungen gen zu manifestieren und weiter zu entwickeln. wird 1901 mit der Darmstädter Mathildenhöhe 100.000 Besucherinnen und Besucher besuch- als Dokument von Baukunst und Wohnkultur ten die Siedlung am Südwest-Rand von Wien begründet; die baulichen Ergebnisse gelten als während der Ausstellungszeit vom 4. Juni bis Meilenstein des deutschen Jugendstils. Wenn- zum 7. August 1932. gleich nicht im Format einer IBA, so war es in Wien 1932 mit der Internationalen Ausstellung In Deutschland hat indes eine Reihe internati- zur Werkbundsiedlung doch möglich, einen ver- onaler Bauausstellungen in unregelmäßigen gleichbaren Ansatz zur konsequenten Weiter- Abständen und mit sehr verschiedenen themati- entwicklung der Bau-, Wohn- und Lebensauffas- schen Ausrichtungen stattgefunden. Gemeinsam sung im Kontext mit der Freiheit des Individuums ist allen, dass sie immer Spiegel ihrer Zeit bezo- umzusetzen. Unter der künstlerischen Leitung gen auf gesellschaftliche, technische und kultu- des Architekten Josef Frank vereinte die Wiener relle Strömungen und Entwicklungen gewesen Werkbundsiedlung in den Jahren 1930 bis 1932 sind. Vor dem Hintergrund der Wiener IBA „Neu- insgesamt 30 in- und ausländische Architektin- es soziales Wohnen“ lohnt es sich daher, einen 14 nen und Architekten um ein Entwicklungsgebiet schlaglichtartigen Blick zurück in die Geschichte von 70 Häusern im 13. Wiener Gemeindebezirk. vor allem jener Bauausstellungen zu werfen, die Der Beitrag von Margarete Schütte-Lihotzky, der sich im engeren wie im weiteren Sinne mit der ersten Frau, die in Österreich ein Architekturstu- Wohnungsfrage auseinandergesetzt haben. Werkbundsiedlung Wien, 1932 2 Die nachfolgenden Ausführungen zur Geschichte der Internationalen Bauausstellungen basieren auf der Publikation: M:AI Museum für Architektur und Ingenieurkunst NRW in Kooperation mit der IBA Hamburg (Hg): IBA meets IBA, Booklet zur Ausstellung zur 100jährigen Geschichte der Internationalen Bauausstellungen; Hamburg/Gelsenkirchen 2011.
Mathildenhöhe Darmstadt 1901 – In gemeinsamer Arbeit gaben Architektinnen Dokument von Baukunst und Wohnkultur und Architekten, Maler und Bildhauerinnen der Umwelt Gestalt – mit dem Anspruch einer Ver- Zunächst ein Rückblick in die zweite Hälfte des söhnung von Kunst und Alltag, Stadt und Natur. 19. Jahrhunderts. Ein rapides Wachstum von In- Die Künstlerkolonie strebte damit ein Gestal- dustrie, Handel und Verkehr und eine bis dahin tungskonzept an, welches alle Lebensbereiche noch nie da gewesene Konzentration von Men- berühren sollte. Als „Markstein auf dem Wege schen, Produktionsstätten und Kapital führten der Lebenserneuerung“ suchten die Mitwirken- zu einer „Explosion“ der Städte, für deren plan- den nach einer neuen Form, „welche nicht der volle Entwicklung kaum Vorbilder und Orien- heutigen gewohnten Art entspricht, sondern tierungen vorlagen. Mit der raschen Industriali- weit vorauseilt und Zukünftiges miteinschließt“ sierung einhergehend veränderte sich auch die (Joseph Maria Olbrich). gesellschaftliche Situation: Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs wurden nunmehr fast Weißenhofsiedlung in Stuttgart 1927 – ausschließlich in industrieller Massenfertigung gebautes Manifest der Moderne hergestellt, die Kunst entzog sich zunehmend dem gesellschaftlichen Alltag. Mit ihren 21 Musterhäusern gilt die Weißenhof- siedlung als „gebautes Manifest“ für ein moder- nes, offenes Lebensgefühl. Reduziert auf das We- 15 sentliche, repräsentiert die Weißenhofsiedlung die damals aktuelle Entwicklung der Architektur und des Wohnungsbaus. Unter der künstlerischen Leitung von Ludwig Mies van der Rohe schufen die 17 beteiligten Architekten (u. a. Le Corbusier, Gropius, Oud und Scharoun) ein „mustergültiges Wohnprogramm für den modernen Großstadt- menschen“. Die Arbeiten der Architekten aus fünf europäischen Ländern in einer Siedlung sollten Mathildenhöhe Darmstadt demonstrieren, dass das Neue Bauen eine „in- ternationale Architektur“ sei. Ihre Befürworter Vor diesem Hintergrund und gleichermaßen feierten die Siedlung als Blick in die Zukunft, Kri- auch als symbolischer Auftakt der Moderne fand tiker hingegen diffamierten sie als „Araberdorf“. im Jahr 1901 auf der Darmstädter Mathildenhö- Die Siedlung polarisierte – Flachdach gegen Sat- he erstmals eine Bauausstellung statt, bei der teldach, aufgeschlossene gegen konservative die Trennung zwischen Gebautem und Ausge- Kräfte, Moderne gegen Heimatverbundenheit. stelltem, zwischen Bauwerk und Umgebung aufgehoben wurde. Im Zuge der Lebensreform- bewegung erhielt diese erste Bauausstellung große internationale Anerkennung. Weißenhofsiedlung Stuttgart PROGRAMMATIK ZUR INTERNATIONALEN BAUAUSSTELLUNG WIEN 2022
Interbau in West-Berlin 1957 – IBA Berlin 1987 – die Stadt von Morgen die kritische Konstruktion der Stadt Berlin, 50 Jahre später. Nach der Teilung der Von der Interbau 1957 zur Internationalen Bau- Stadt begann die Stadtentwicklung in Ost und ausstellung Berlin 1987. Die gängige Strategie West unterschiedliche Wege zu gehen. Während der Flächensanierung und des Abrisses ganzer Ost-Berlin zur Hauptstadt der DDR wurde, for- Stadtquartiere stieß zunehmend auf Kritik und mierte sich das isolierte West-Berlin zum „pro- Widerstand. Im bewussten Kontrast zur Inter- pagandistischen“ Demonstrationsprojekt des bau von 1957 war das zentrale Thema der IBA Westens. Mit Unterstützung aus Mitteln des Mar- 1987 die Wiederentdeckung der durch Krieg und shall-Plans vollzog sich in den 1950er Jahren ein Mauerbau weitgehend zerstörten historischen Wandel von der Reparatur zum Wiederaufbau Innenstadt in Berlin. Erstmals in der Geschichte der Stadt. Geträumt wurde von einer geglieder- der Bauausstellung machte die IBA Berlin die Er- ten und aufgelockerten Stadt. Unter die Traditi- neuerung der Altbaubestände und das Einfügen on der Mietskasernenstadt des 19. Jahrhunderts von Neubauten in den Bestand – also die Repara- sollte ein klarer Schlussstrich gezogen werden. tur der Stadt – zum zentralen Anliegen. 30 Jahre nach der Interbau stellte sich die IBA Berlin 1987 gegen den Nachkriegsstädtebau. Die IBA Berlin 1987 lebte von zwei Ansätzen zur Stadtentwick- 16 lung: der IBA-Neubau und der IBA-Altbau. Unter dem Leitbild der „kritischen Rekonstrukti- on“ der Stadt, fokussierte die IBA-Neubau unter der Leitung von Josef Paul Kleihues auf die südli- che Friedrichstadt, das südliche Tiergartenviertel und den Tegeler Hafen. Die Verknüpfung von Ar- Interbau Berlin 1957 chitektur und Baukunst wurde zum programma- tischen Anliegen der Neubau-IBA. Dem gegen- Ihren sichtbaren Ausdruck fand dieses neue Leit- über stand die IBA-Altbau unter der Leitung von bild in der ersten Internationalen Bauausstellung Hardt-Waltherr Hämer. Zu ihren wesentlichen der Nachkriegszeit, der Interbau Berlin von 1957. Anliegen zählten die Erhaltung, Stabilisierung Als Demonstrationsvorhaben mit Modellcharak- und Weiterentwicklung der vorhandenen sozi- ter angelegt, sollte – nach Abriss und Neubau des alen und funktionalen Strukturen der Stadt und stark kriegszerstörten großbürgerlichen Hansa- viertels – ein Exempel für „die Stadt von Morgen“ präsentiert werden. Unter der Schirmherrschaft des Berliner Senats wurden 53 international be- kannte Architektinnen und Architekten ausge- wählt, einzelne Objekte in einer parkähnlichen Landschaft zu realisieren. Das neue Hansaviertel wollte die Erinnerung an das alte Hansavier- tel völlig vergessen machen. Anstelle der alten Blockbebauung trat ein Mix aus Hoch- und Flach- bauten – inmitten einer Parklandschaft. IBA Berlin 1987
die Durchsetzung von Prozessen wie Selbsthil- de Stadtgesellschaft ihre Kraft entfalten kann fe- und Mietermodernisierung. Insgesamt führ- und wie soziale und kulturelle Barrieren in ei- te vor allem die IBA-Altbau die Planung in eine nem ganzheitlichen Planungsansatz mit den neue Epoche: Der Neubau trat zurück hinter die Mitteln des Städtebaus und der Architektur, aber Sicherung und Modernisierung der Bestände. Mit auch der Bildung, Kultur und Förderung lokaler ihren Pilotprojekten war sie Auslöser von Förder- Ökonomien überwunden werden können. Mit programmen zur Stadterneuerung und auch von konkreten Bauprojekten sowie mit sozialen und Änderungen in der Gesetzespraxis in den Berei- kulturellen Programmen entstanden neue Stadt- chen Sanierung und Milieuschutz. räume für die internationale Stadtgesellschaft des 21. Jahrhunderts, ohne den Zwang zur Mi- IBA Hamburg 2013 – schung, aber mit der Möglichkeit zum Brücken- Räume für internationale bauen.“3 Erstmals in der Geschichte rückte damit Stadtgesellschaften die Zukunft des Miteinanders in der Metropole in den Fokus einer Internationalen Bauausstellung. Die Internationale Bauausstellung Hamburg 2013 erweiterte den Fokus deutlich. Sie nahm sich der Herausforderung an, die Fragen nach dem Gewinn der internationalen Stadtgesell- schaft für die Metropolenentwicklung, nach der 17 Gestaltung der „inneren Stadtränder“ und letzt- lich nach den Herausforderungen zur Bewälti- gung und Gestaltung der Stadt im Klimawandel beispielgebend zu beantworten. Der Blick rich- tete sich dabei auf die Hamburger Elbinseln. Mit ihren über 100 Nationen sind die Hamburger Elbinseln Orte der Vielfalt und Internationalität. Im Leitthema Kosmopolis wurde die Frage ge- stellt, „wie eine immer internationaler werden- IBA Hamburg 2013 3 http://www.iba-hamburg.de/story/leitthemen-der-iba/kosmopolis.html PROGRAMMATIK ZUR INTERNATIONALEN BAUAUSSTELLUNG WIEN 2022
Der Wiener soziale Wohnbau auf internationaler Ebene Wien ist bereits seit vielen Jahren an vielfältigen den Zugang zum geförderten Wohnbau also internationalen Aktionsprogrammen und Ini- nicht nur auf die Bedürftigsten zu beschränken. tiativen beteiligt, um einerseits die eigene Ex- pertise im Austausch mit internationalen Part- 2014 initiierte Wien eine weltweite „Charter nern einzubringen und das Thema des sozialen on Sustainable Housing“ im Rahmen der UN- Wohnens breiter zu verankern und andererseits ECE (Committee for Housing and Land Manage- um innovative Lösungen und Maßnahmen ken- ment / Wohnbauausschuss der Europäischen nenzulernen und auf deren Übertragbarkeit Wirtschaftskommission der Vereinten Natio- auf Wien zu überprüfen. Wiederholt wurde die nen; s. Kasten). Stadt für Leistungen im sozial orientierten Woh- nungswesen mit Preisen – etwa von der UNO – Seit Ende 2015 hat Wien den Vorsitz in der ausgezeichnet und auch mehrfach zur Stadt mit Arbeitsgruppe Housing im Rahmen des der weltweit höchsten Lebensqualität gekürt. EU-Städtenetzwerks Eurocities und ist Mit- Daraus ergibt sich nicht zuletzt eine Verpflich- glied in der Partnership on Housing inner- tung, international für eine solidarische, sozial halb der „Urban Agenda for the EU“. gerechte Wohnungspolitik einzutreten. Seit Jänner 2016 ist Wien in dem während der Unter dem Einfluss global erfolgter Deregulie- IBA-Hamburg initiierten „IBA meets IBA“-Netz- rungen des Marktes und der daraus folgenden werk vertreten. 18 Auswirkungen auf die Wohnungssituation neh- men Exkursionen und Austauschbesuche inter- Mit der Wanderausstellung „Das Wiener Mo- nationaler Vertretungen aus Politik, Verwaltung dell/The Vienna Model“4 werden diese inter- und Bauwirtschaft nach Wien zu. Nicht wenige nationalen Aktivitäten seit 2013 unterstützt. Städte haben im Zuge dieser Entwicklungen U. a. war die 2016 aktualisierte Ausstellung ihre kommunale Wohnbautätigkeit so stark zu- bereits in New York, Baltimore, Washington, rückgefahren, dass teilweise sogar die Struktu- Wien, Sofia, Riga, Istanbul, Hongkong, und zu- ren dafür nicht mehr vorhanden sind. letzt in Berlin zu sehen. Gleichzeitig gibt es nach wie vor große Wider- Konsequenterweise unterstützt Wien auch stände, wenn es darum geht, die Instrumen- Maßnahmen, die den z.B. mit dem Investo- te für einen sozialen Wohnbau nicht nur als renschutz in Handelsabkommen verbundenen Versorgung der „Verletzlichsten“ zu verstehen Gefahren für eine soziale Wohnungspolitik sondern als gesellschaftspolitisches Instrument entgegenwirken. Die IBA_Wien sieht sich als für breitere Bevölkerungsschichten. Wien enga- Teil der Bemühungen, weiterhin eine ökolo- giert sich daher seit mehreren Jahren verstärkt gisch und sozial orientierte Wohnbau- und auf mehreren internationalen Aktionsebenen: Sanierungspraxis zu ermöglichen und deren Qualitäten laufend weiterzuentwickeln. 2013 initiierte Wien auf EU-Ebene die Resolu- tion für „Erhalt und Ausbau des sozialen und nachhaltigen Wohnbaus in Europa“, die bislang von 30 europäischen Großstädten unterzeich- net wurde. Gefordert wird im Sinne der Subsi- diarität, die Definition von Zielgruppen des ge- förderten Wohnbaus den Mitgliedsstaaten bzw. den Regionen und Städten zu überlassen und 4 Wolfgang Förster, William Menking (Hg): Das Wiener Modell/The Vienna Model; Wohnbau für die Stadt des 21. Jahrhunderts/Housing for the Twenty-First-Century City; Jovis Verlag GmbH, 2016.
UNECE Charter on Sustainable Housing Das Committee on Housing and Land Management (CHLM) der UNECE (Wohnbauaus- schuss der Europäischen Wirtschaftskommission der UNO), dem 56 Länder in Europa, Zentralasien und Nordamerika sowie Israel und zahlreiche NGOs angehören, hat unter Federführung des österreichischen Vorsitzes in den Jahren 2010-2013 den Text für eine UNECE Charter on Sustainable Housing (Charta für nachhaltigen Wohnbau) erar- beitet, die bei der Sitzung des CHML in Genf im Herbst 2015 einstimmig angenommen wurde und nunmehr von den Mitgliedsstaaten unterzeichnet werden kann. Die Charta definiert Nachhaltigkeit in einem ökologischen und sozialen Kontext: - Gefördert wird ein Wohnbau, der die soziale Inklusion und soziale Durchmischung fördert. - Wohnbau soll nicht ausschließlich dem Markt überlassen werden, 19 sondern erfordert auch starke staatliche Interventionen und öffentliche Förderung. - Die Kooperation mit NGOs, dem privaten Sektor sowie mit Non-Profit-Developern (Gemeinnützigen) ist zu forcieren. - Zur Realisierung neuer Wohnbauten werden wettbewerbsähnliche Verfahren empfohlen. - Neue Wohnquartiere sollen unter öffentlicher Beteiligung und mit ausreichender städtischer Infrastruktur entwickelt werden. - Im Bereich der Ökologie sind energiesparende Bauten zu favorisieren. Die Nutzung erneuerbarer Energien soll gestärkt werden. - Die Beteiligung der Zivilgesellschaft muss gesichert werden. - Kooperation mit Universitäten und eigene Forschungsprogramme sind ein- zurichten. Der internationale Know-how-Transfer soll gestärkt werden. Der UNECE-Kongress in Wien 2017 ist Teil der internationalen Strategie der IBA_Wien „Neues soziales Wohnen“, um die soziale Dimension des Wohnens auf europäischer Ebene stärker zu verankern. PROGRAMMATIK ZUR INTERNATIONALEN BAUAUSSTELLUNG WIEN 2022
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MEMORANDUM ZUR IBA_Wien 2022 – NEUES SOZIALES WOHNEN Der kurze Rückblick auf die Tradition der Inter- insgesamt beeinflussenden Wirkungsfaktoren nationalen Bauausstellungen (S. 14) macht gerichtet und damit umfassender betrachtet deutlich, wie sehr sich die programmatischen werden? Welche neuen Partner, Träger-, Finan- Ansätze der IBAs im Laufe der Zeit verändert ha- zierungs- und Grundstücksmodelle können die ben. So durchzieht ein tiefgreifender Paradig- Herausforderung des sozialen Wohnens auch menwechsel deren Geschichte: weg vom reinen in Zukunft bewältigen und gestalten? Müssen Ausstellungskonzept mit den Musterhäusern dafür das wohn- und das bodenpolitische so- hin zu komplexen Strategien, die in ihren An- wie das planerische Instrumentarium ange- sätzen und Zielrichtungen zunehmend ökono- passt werden? Was bedeutet dies beispielswei- mische und soziale Anliegen, die Verbreiterung se auch für die Weiterentwicklung des in Wien der Akteursbasis sowie die Weiterentwicklung bewährten Instruments des Bauträgerwettbe- dieses stadtentwicklungsrelevanten Instru- werbs ebenso wie für die Initiierung neuer Pro- mentariums zum Gegenstand haben. Gemein- zesse zu einer „kollaborativen“ Quartiersent- sam aber ist allen, dass sie stets den Diskurs zu wicklung? Oder anders formuliert: Wie lässt sich Zukunftsfragen von Städtebau, Architektur und die „zivilgesellschaftliche Erfindungskraft stär- Wohnbau geprägt haben und darüber in den ker in die Entwicklung der Stadt einbeziehen“?6 Fokus einer internationalen Aufmerksamkeit gerückt sind. Über die Fragen nach der Bereitstellung von Wohnungen hinaus beziehen sich die Heraus- 21 Die IBA_Wien reiht sich nun einerseits ein in die forderungen auf den Aufbau neuer, vielfältiger außergewöhnliche Tradition der Internationa- urbaner, sozialer und inklusiver Quartiere. Wie len Bauausstellung als Innovationsinstrument, lassen sich Prozesse des „Werdens von Stadt“ versucht aber andererseits auch eigene Akzen- und des sozialen Miteinanders im Quartier in te zu setzen: erstmals5 steht nicht die Reaktion ihrer Vielfalt stimulieren, befördern, beeinflus- auf einen hohen Leidensdruck im Vordergrund sen? Was bedeutet dies für Architektur und Städ- sondern der Versuch, genau diesen in der Zu- tebau und welche Beiträge kann der geförderte kunft zu vermeiden und möglichst zeitgerecht Wohnbau zu sozialen und kulturellen Prozessen Maßnahmen zu ergreifen, um auf aktuelle und leisten? Wo sind möglicherweise erweiterte Zu- absehbare Entwicklungen reagieren zu können gänge, Partnerschaften und neue Instrumente bzw. diese mit neuen, innovativen Methoden urbaner Raumproduktion erforderlich? Vor al- und Instrumenten aktiv zu beeinflussen und lem aber: Wie lassen sich die Herausforderun- umzulenken. gen einer kurzfristigen Bereitstellung leistba- rer, kostengünstiger Wohnungen mit den eher Erstmals rückt auch die Sicherung der Leistbar- langfristig angelegten Herausforderungen viel- keit in den stark wachsenden Städten Europas fältiger, urbaner und gemischter, neuer sozialer in den Fokus einer Internationalen Bauausstel- Quartiere verknüpfen? Und was bedeutet dies lung. Wie lassen sich die hohen Anforderun- für die Planung selbst, für die Programmierung gen an die Leistbarkeit bei dem hohen Druck und Gestaltung ganzheitlicher Prozesse in der auf die Wohn- und Immobilienmärkte sichern? Entwicklung neuer und – bezogen auf den Um- Wie kann der Begriff der Leistbarkeit von der bau und die Weiterentwicklung – vorhandener alleinigen Betrachtung „des Wohnens“ auf die Quartiere? 5 Auch die IBA-Initiative der Region Stuttgart verfolgt einen pro-aktiven Ansatz und formuliert einen „präventiven Strukturwandel“ als Kern der IBA in der Region Stuttgart (s. Memorandum IBA 2027 StadtRegion Stuttgart, S. 5) 6 Robert Korab; in: Werkstattbericht zur Stadtentwicklung, Heft 159, Wien 2016, S. 36. PROGRAMMATIK ZUR INTERNATIONALEN BAUAUSSTELLUNG WIEN 2022
Die IBA_Wien richtet den Fokus sowohl auf den werbstätigkeit, der Bildung und der Kultur Neubau, wie auch auf die Weiterentwicklung verbessern? Wie können die Bewohnerinnen des Wohnungsbestandes, insbesondere auf und Bewohner in den Prozess der Weiterent- die Wohnhausanlagen der 1950er bis 1970er wicklung einbezogen werden? Und erfordert Jahre. Einhergehend mit dem Generationen- dies spezifische Modelle des Stadtteilmanage- wechsel, mit veränderten Lebensstilen und ments und der Quartiersentwicklung? Wieviel vielfältigen Kulturen ist zu beobachten, wie Selbstverwaltung und Partizipation ist dabei soziale Spannungen im Zusammenleben der möglich? unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen zu- nehmen. Im Sinne des sozialen Miteinanders Die IBA_Wien will sich diesen komplexen Her- gilt es hier zukunftsorientiert zu reagieren. Es ausforderungen stellen. Dies erfordert eine be- stellen sich Fragen der Anpassung an zeitge- sondere kreative Atmosphäre und den Mut und mäße baulich-technische Standards ebenso die Bereitschaft der Verantwortlichen aus Politik wie Fragen an die Qualität des Quartiers selbst. und Planung, aus Soziologie, (Wohnungs-)Wirt- Wie lassen sich diese Bestände weiterentwi- schaft und Kultur, dabei auch neue Pfade zu su- ckeln, ohne steigende Mieten und Verdrän- chen und Neuland betreten zu wollen, alltägli- gungs- und Segregationseffekte zu erzeugen? che Handlungsmuster und Kräfteverhältnisse in Wie lassen sich die Voraussetzungen als auch Frage zu stellen und neue Prozesse in Gang zu ein erweitertes Nutzungsspektrum für neue setzen. Die IBA_Wien bedingt die Bereitschaft 22 Formen und Angebote der Arbeit und der Er- und den Mut zu offenen Prozessen.
Wirkungsebenen der IBA_Wien Die IBA_Wien soll Innovationen in verschiede- nen Bereichen fördern und breit und nachhaltig wirken. Aus diesem Grund werden die Aktivitä- ten der IBA_Wien auf drei Ebenen, die mitein- ander verknüpft sind und sich so gegenseitig unterstützen, wirken: Politik: Die IBA_Wien als wohnungspolitischer Think-Tank Die IBA_Wien positioniert sich als Gegenstück zu bestehenden Think-Tanks, die den geför- derten Wohnbau als wettbewerbsverzerrend sehen, und wird Grundlagen und Argumente für einen breiten geförderten Wohnbau lie- fern. Wien will damit den sozialen Wohnbau, Wirkungsebenen das soziale Quartier als zukunftsfähiges und nachhaltiges sozialpolitisches Instrument Projekte: Die IBA_Wien als Labor 23 verankern und so auch seine internationa- le Verantwortung wahrnehmen. Dieser An- Die IBA_Wien wird letztlich nur dann sichtbar spruch wird durch eine vertiefte theoretische sein, wenn sie aufbauend auf ihren politischen, Auseinandersetzung und darauf fußende Pu- wissenschaftlichen und kommunikativen Akti- blikationen und Stellungnahmen in Koopera- vitäten konkrete Projekte umsetzt. Dies werden tion mit der Wiener Wohnbauforschung und einerseits Neubau- oder Sanierungsprojekte in Absprache mit den politisch Zuständigen zu sein; dazu ist es erforderlich, die Forderungen erfüllen sein. der IBA_Wien in städtebauliche Verfahren, Bau- trägerwettbewerbe und andere IBA-Wettbewer- be bzw. in Sanierungsplanungen zu integrieren; Wissen und Kommunikation: andererseits wird es sich um Kooperations- und Die IBA_Wien als Begleitprojekte auf verschiedenen Ebenen han- konzeptioneller Diskursraum deln, die in Formaten wie Forschungsaufträgen, Symposien, Diskussionsveranstaltungen, Publi- Planungstheoretische Ansätze, die Innovationen kationen usw. eine breitere (Fach-)Öffentlichkeit im sozialen Wohnbau und in der Quartiersent- erreichen.7 wicklung zum Ziel haben, werden gezielt und unter Einbindung von lokalen und internationa- Die an der Planung und Umsetzung beteiligten len Expertinnen und Experten weiterentwickelt Akteurinnen und Akteure, neben den Planen- und als Forderung in die praktische Umsetzung den vor allem auch die Bauträger, sollen dabei (s. Ebene 3) eingebracht. Dafür werden über die verstärkt eingebunden werden – sowohl in der bereits eingeführten IBA-Talks hinaus noch wei- Ideenfindung als auch bei der Problemdefiniti- tere geeignete Formate zur Diskussion und Vor- on und im Lösungsansatz. Analog gilt dies auch bereitung von Projekten entwickelt. für die Bürgerinnen und Bürger. 7 s. dazu den Abschnitt „Qualifizierungsprozess – Der Weg zum IBA-Projekt“, S. 34. PROGRAMMATIK ZUR INTERNATIONALEN BAUAUSSTELLUNG WIEN 2022
Leitthemen der IBA_Wien Es ist offensichtlich, dass angesichts der stark Im Fokus der Bearbeitung stehen mit Neubau, ansteigenden Bevölkerungszahlen vorder- Bestandsentwicklung und Zusammenleben in hand sehr rasch und effektiv zusätzlicher einer zunehmend vielfältigeren Gesellschaft Wohn- und Lebensraum angeboten werden drei große Handlungsfelder, die sich in verschie- muss. Gleichzeitig können die notwendigen denen Aspekten der Leitthemen wiederfinden. Sofortmaßnahmen nicht die Lösung für jene Herausforderungen sein, die aus den sich Fußend in dem Anspruch des „Laboratoriums auf wandelnden Rahmenbedingungen entste- Zeit“9 kann das Instrument der Internationalen hen. Es muss daher parallel dazu nach neuen Bauausstellung zur Hilfestellung und Verpflich- und langfristig tragfähigen Modellen gesucht tung für erforderliche Frei- und Experimentier- werden, die geeignet sind, Antworten auf ver- räume und für innovative Lösungen werden. Fest- änderte Rahmenbedingungen zu geben. Da- gemacht am konkreten Raum eines Standortes bei geht es ausdrücklich nicht darum, den be- oder eines Stadtteiles ist die IBA_Wien Chance und stehenden Standard an Verfahren, Modellen Verpflichtung zugleich, spezifische Verfahrens- und Steuerungsmechanismen zu zelebrieren formen und Konzepte zu ermöglichen und zu er- oder fertige Lösungen vorzugeben, sondern proben und das dabei gewonnene Wissen in den um die Analyse bestehender Vorgangsweisen, Planungsalltag und in den Wohnungsbau zurück- um das Einklinken in laufende Prozesse und zuspielen. Dies gilt gleichermaßen für Ansätze um die Erforschung, Ausarbeitung und Erpro- neuer Fördermodelle und rechtlicher Rahmenbe- 24 bung neuer, innovativer und auch experimen- dingungen wie für die Überprüfung qualitativer teller Wege. Standards und Normen oder für neue Modelle der Mitwirkung und Mitgestaltung beim Bauen und Das Format einer Internationalen Bauaus- in der Quartiersentwicklung. Im Sinne einer Leis- stellung wurde gewählt, weil es für die Akti- tungsschau, vor allem aber eines Innovationspro- vierung und Bündelung des innovativen und gramms kann die Auseinandersetzung mit einem konstruktiven Potenzials einer Stadt einer sozial nachhaltigen Wohnungsbau so zu einem besonderen Energie und Aufbruchsstimmung internationalen Labor der Quartiersentwicklung bedarf. Die IBA stellt dafür als „Ausnahmezu- und des Wohnungsbaus werden. stand auf Zeit“ ein mehrfach bewährtes Inst- rument dar. Die IBA_Wien soll diese Energie In Zusammenarbeit mit den zuständigen Stel- bündeln und die Akteurinnen und Akteure mo- len werden z.B. einige der im Rahmen der tivieren, neue Modelle zu erproben und bei „Wohnbauoffensive 2016-2018“ vorgesehenen Bedarf auch eingefahrene Wege zu verlassen, Bauträgerwettbewerbe auch unter dem Ge- um einen aktiven Beitrag zur Entwicklung der sichtspunkt der IBA_Wien entwickelt und ent- Stadt zu leisten. Voraussetzung dafür ist aber, sprechend ausgeschrieben werden (v.a. Berres- jene Hindernisse zu bearbeiten, an denen die gasse, Seestadt Aspern II, Donaufeld etc.). verschiedenen Akteurinnen und Akteure teil- weise seit Jahren immer wieder scheitern und Die Leitthemen für die IBA_Wien 2022 sol- für die es offensichtlich andere Betrachtungs- len den Rahmen bilden für die Aktivitäten der weisen und Lösungsansätze braucht, als es die nächsten Jahre und darüber hinaus wirksam vorhandenen Strukturen und Methoden erlau- sein. Auf den folgenden Seiten wird dieser the- ben.8 matische Rahmen näher erläutert. 8 s. dazu den Abschnitt „Chancen einer IBA für Wien“, S. 12. 9 s. „Memorandum zur Zukunft der Internationalen Bauausstellungen“, 2009.
Neue soziale Quartiere 25 Stadt ist nicht, sie wird. In diesem Verständnis wie neuer Arbeitsformen und Erwerbsmöglich- geht es um die Initiierung, Gestaltung und Be- keiten sowie von Mobilitätsbedürfnissen ge- gleitung urbaner Sukzessionsprozesse zu neu- geben werden. Die Integration von Kultur- und en sozial nachhaltigen, inklusiven Quartieren. Bildungseinrichtungen wie auch das Angebot Diese Ausrichtung beinhaltet die Integration von bezahlbaren Flächen für gewerbliche Nut- in Wohnbauprojekte unterschiedlicher Funk- zungen nehmen dabei ebenso einen zentralen tionen und innovativer (sozialer und gesund- Stellenwert ein wie die Neudefinition der Auf- heitlicher) Dienstleistungen. Über die Befrie- gaben des öffentlichen Raums sowie des woh- digung des quantitativen Wohnraumbedarfs nungsnahen Freiraums. Damit einher geht auch hinaus müssen damit auch Antworten auf die die Überprüfung, Schärfung und Weiterent- Herausforderung der Ausdifferenzierung von wicklung des wohnungspolitischen, planungs- Lebensstilen, technologischer Innovationen und auch bodenrechtlichen Instrumentariums. PROGRAMMATIK ZUR INTERNATIONALEN BAUAUSSTELLUNG WIEN 2022
Voraussetzungen für eine erfolgreiche Nutzungsmischung Quartiersentwicklung Angeregt durch verschiedene Erfahrungen Die Schaffung neuer sozialer Quartiere, der im Zusammenhang mit einer Nutzungsmi- urbane Entwicklungsprozess und die Funk- schung in Gebäuden und Quartieren will die tionalität und vielfältige Nutzbarkeit neuer IBA_Wien z.B. Aktivitäten zu neuen Wegen im Stadtteile bilden den Rahmen für die Ausein- Umgang mit temporären Möglichkeitsräu- andersetzung mit neuen Wohn- und (Zusam- men und Mikroökonomien, neuen Geschäfts- men)Lebensformen, optimierten Bauweisen, modellen und der verstärkten Einbindung neuen Finanzierungs- und Grundstücksmo- privater Akteurinnen und Akteure bzw. ein dellen, Suche nach (geeigneten) Bauträgern generell neues Verständnis von Nutzungsmi- und urbanen Nutzergruppen etc. schung in Quartieren und Gebäuden anregen. Z.B.: Welche räumlichen, infrastrukturellen und or- Z.B.: Wie sehen Lösungen für Nutzungsmi- ganisatorischen Voraussetzungen und Bedingun- schung oder auch für Gemeinschaftseinrich- gen sind dafür erforderlich? Wie sieht der „Humus“ tungen aus, wenn statt der Bauplatz- eine aus, auf dem sich soziale Quartiere entwickeln kön- Quartiersbetrachtung erfolgt? Wie können nen? Wie können nachhaltig wirksame Formate der neue Akteurinnen und Akteure in die beste- quartiersbezogenen Qualitätssicherung im Prozess henden Systeme der Quartiersentwicklung von Auswahlverfahren implementiert werden? eingebunden werden? Wo sind erweiterte Zu- 26 gänge, Partnerschaften und Akteurskonstella- Urbane Sukzession tionen erforderlich/möglich? Während das Verständnis neuer Stadtteile als Quartiere überwiegend durch die Auseinan- Bestandsentwicklung in Quartieren dersetzung mit dem öffentlichen Raum er- der Nachkriegszeit folgt, soll im Rahmen der IBA_Wien eine Ver- Die Thematik neuer sozialer Quartiere tiefung dieser Betrachtungsweise erfolgen, schließt natürlich die Befassung mit den die das gesamte Angebot an Infrastruktur Rahmenbedingungen für die Sanierung im und Ausstattung einbezieht und die urbane Bestand und für den Weiterbau der Stadt Sukzession neuer Quartiere bzw. die dafür mit ein. Insbesondere der Baubestand der erforderlichen Prozesse und Verfahren the- 1950er- bis 1970-Jahre ist ein Thema, das matisiert. Das inkludiert z.B. auch den Um- sehr viele Städte in Mitteleuropa gleicher- gang mit Gemeinschaftseinrichtungen und maßen betrifft und daher auch zu einem infrastrukturellen Ausstattungen in neuen regen internationalen Austausch über tech- Quartieren. nische und soziale Ausstattung, über Moder- nisierung und Verdrängung, über Ökologi- Z.B.: Wie können Lösungen aussehen, die in sierung und Technologisierung, über neue einem weiter wachsenden Quartier Räume für Modelle der Selbstverwaltung, des Stadt- zukünftige und noch nicht genau definierbare teilmanagements, und der Quartiersent- Nachfragen im Bereich der Nicht-Wohnnutzun- wicklung und viele andere Bereiche führen gen bereithalten ohne die Verwertungserfor- soll. Neben der Begleitung des EU-Projekts dernisse von Bauträgern und Investoren im „Smarter Together“ in Simmering soll u. a. geförderten Wohnbau zu beeinträchtigen (z.B. die Per-Albin-Hansson-Siedlung im Rahmen „temporäre Nutzungen“)? der IBA_Wien bearbeitet werden.
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