PROTEINREICHE ERNÄHRUNG FÜR DIE GESUNDHEIT - LEGUAN-PROJEKT: TIERISCHES ODER PFLANZLICHES PROTEIN? - BZFE

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PROTEINREICHE ERNÄHRUNG FÜR DIE GESUNDHEIT - LEGUAN-PROJEKT: TIERISCHES ODER PFLANZLICHES PROTEIN? - BZFE
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                                                                                                                                                Foto: © iStock.com/egal
Mariya Markova · Stephanie Sucher · Olga Pivovarova · Andreas F. H. Pfeiffer

Proteinreiche Ernährung
für die ­Gesundheit
LeguAN-Projekt: Tierisches oder pflanzliches Protein?
                   In der wissenschaftlichen Literatur gibt es viele Nach-          der gesamten Proteinmasse des Menschen aus Collagen.
                   weise für positive, aber auch negative Effekte prote-            Andere Proteine sind für den Substanztransport im Blut,
                   inreicher Diäten auf den Stoffwechsel des Menschen.              in der Zelle und durch Zellmembranen verantwortlich.
                   Allerdings liegen nicht genug Daten dazu vor, ob die             Proteine vermitteln auch Immun-Abwehr- und Schutz-
                   Herkunft des Eiweißes – pflanzlich oder tierisch – eine          mechanismen des Körpers, katalysieren chemische Re-
                   entscheidende Rolle dabei spielt. Die LeguAN-Studie              aktionen in jeder Zelle und regulieren als Hormone den
                   (Leguminosen – Anbau und Nutzung) untersuchte die                Stoffwechsel.
                   Wirkungen proteinreicher Diäten unterschiedlicher
                   Herkunft an Patienten mit Typ-2-Diabetes.
                                                                                    Proteinstruktur
                   Proteine sind Makromoleküle. Sie bestehen aus Amino-
                   säuren, die durch Peptidbindungen zu Ketten verbunden            Menschliche Proteine bestehen aus 21 Aminosäuren.
                   sind. Berzelius und Mulder schlugen den Begriff „Prote-          Bei Menschen (und Tieren) kann der Körper nur einen
                   in“ in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor. Er leitet     Teil der Aminosäuren, die nichtessenziellen Aminosäu-
                   sich vom griechischen Wort „proteios“ ab: „Ich nehme             ren, aus einfachen organischen Substanzen synthetisie-
                   den ersten Platz ein“. Die Autoren verstanden darunter           ren. Acht Aminosäuren (Isoleucin, Leucin, Lysin, Methio-
                   stickstoffhaltige Substanzen, ohne die Leben nicht mög-          nin, Phenylalanin, Threonin, Tryptophan, Valin) kann der
                   lich ist. Tatsächlich stellen Proteine die einzige Stickstoff-   Körper nicht selbst herstellen. Diese essenziellen Amino-
                   quelle für den Menschen dar. Pflanzen ziehen Stickstoff          säuren müssen wir daher mit der Nahrung zu uns neh-
                   aus dem Boden.                                                   men. Aminosäureketten können aus bis zu mehreren
                   Proteine sind in jedem Gewebe und jeder Zelle zu fin-            tausend Aminosäuren bestehen. Ketten mit einer Län-
                   den. Strukturproteine garantieren mechanische Stabilität         ge von unter 100 Aminosäuren heißen Peptide, längere
                   von Organen und Geweben. So besteht rund ein Drittel             Aminosäureketten Proteine.

                   Ernährung im Fokus 16-07–08 | 16
PROTEINREICHE ERNÄHRUNG FÜR DIE GESUNDHEIT - LEGUAN-PROJEKT: TIERISCHES ODER PFLANZLICHES PROTEIN? - BZFE
TITELTHEMA                        191

Proteinstoffwechsel                                                                         die Leber zu relativ ungiftigem Harnstoff um. Beide Sub-
                                                                                            stanzen, Ammoniak und Harnstoff, werden mit dem Urin
Proteine unterliegen im Körper einem ständigen Auf-                                         ausgeschieden.
und Abbau. Der Gleichgewichtszustand wird als Steady-                                       Hormone steuern den Proteinstoffwechsel. So führt ein
State bezeichnet. Ein Erwachsener nimmt täglich rund                                        erhöhter Spiegel der „katabolen Hormone“ Cortisol und
100 Gramm Nahrungsprotein auf (Abb. 1). Im Gastro-                                          Catecholamine zum vermehrten Proteinabbau. Das „ana-
intestinaltrakt bauen proteinspaltende Enzyme Protei-                                       bole Hormon“ Insulin fördert den Proteinaufbau.
ne zu freien Aminosäuren, Di-und Tripeptiden ab. Diese
werden anschließend von den Darmzellen resorbiert und
mit dem Blut zur Leber und anderen peripheren Organen                                       Tagesbedarf und DGE-Empfehlung
transportiert. Etwa zehn Gramm Protein pro Tag gehen
mit den Faeces verloren. Insgesamt stehen dem Körper                                        Die empfohlene tägliche Eiweißaufnahme ist von Alter,
rund 150 Gramm freie Aminosäuren pro Tag zur Verfü-                                         Körpergewicht und Geschlecht abhängig. Die Deutsche
gung (Abb. 1), die dem Proteinumsatz dienen. Dieser                                         Gesellschaft für Ernährung (DGE e. V.) empfiehlt Erwach-
findet sehr intensiv im Skelettmuskel (75 g), in der Darm-                                  senen eine Aufnahme von 0,8 Gramm Protein je Kilo-
mukosa, den Blutzellen und beim Auf- und Abbau der                                          gramm Körpergewicht und Tag. Das entspricht etwa
Plasmaproteine in der Leber statt.                                                          57 bis 58 Gramm für Männer und etwa 48 Gramm für
Teilweise werden Aminosäuren chemisch umgebaut, so                                          Frauen, entsprechend neun bis elf Prozent der täglichen
dass neue Aminosäuren entstehen. Bei Bedarf können                                          Energiezufuhr. Wegen der höheren Akzeptanz und leich-
Aminosäuren auch für die Produktion von Glukose (Glu-                                       teren Umsetzbarkeit im Alltag werden 15 Energieprozent
koneogenese), Fettsäuren und die Energieproduktion                                          Protein am Tag empfohlen. Schwangere ab dem vierten
verwendet werden (Abb. 2).                                                                  Monat (58 g/d) und Stillende (63 g/d) haben einen hö-
Der Stickstoffabbau erfolgt über Leber und Nieren. Beim                                     heren Proteinbedarf. Bezogen auf das Körpergewicht
Abbau von Aminosäuren entsteht toxisch wirkendes Am-                                        haben Säuglinge den höchsten Proteinbedarf. Dieser
moniak (NH4+) (Abb. 2). Dient dieses nicht der Biosyn-                                      nimmt mit dem Alter ab.
these anderer stickstoffhaltiger Verbindungen, baut es

                                                                                                                                                              Abbildung 1:
                                                                                                                                                              Täglicher Proteinum-
                      Nahrungsprotein
   Aufnahme:               100 g
                                                                                                                                                              satz (nach Matthews,
                                                                                                                                                              Fong 1993)
                                                                                                                                                Protein-
                                                                                                                                                synthese
                                                                     Sezerniertes                             Muskel                              75 g
                                                                       Protein                                Anderes Gewebe                     127 g
                                                                        70 g
                                                                                                              Albumin                             12 g
                                                                                                              Andere Plasmaproteine                8g
                                                                     Absorbiertes
                                                                                                              Weiße Blutzellen                    20 g
                                                                       Protein
                                                                                                              Hämoglobin                           8g
                                                                        150 g
                                                                                                                                                 250 g

                          Faeces                                                                                    Haare, Haut, Schweiß etc.
                                                                                           Urin
   Verlust:             10 g Protein
                                                                                          12 g N
                                                                                                                           5 g Protein
                          1,6 g N                                                                                            0,8 g N

                                                                                                                                                              Abbildung 2:
                                                                                                                                                              Der Aminosäurenstoff-
                              Körperproteine                                        Ketonkörper                                             Triglyceride
                                                                                                                                                              wechsel
                               Proteinaufbau

                                                      Proteinabbau

                                                                                                              Fettsäuren

                                                                                     Acetyl-CoA
                                                                                                                                            Citratzyklus
   Nahrungsproteine            Aminosäuren

                                                                                    Kohlenhydrat-
                                                                                     Intermediate
                                                                                                                                            Oxidative
                                               NH4+                                                                                      Phosphorylierung

                                                                                      Glukose

                                       Harnstoff                                                                                                 ATP

                                                                                                                           16-07–08 | 16 Ernährung im Fokus
192                     TITELTHEMA

                                                                                          zu einem höheren Gewichtsverlust bei Übergewicht und
Übersicht 1: Eiweißreiche Lebensmittel (Bundeslebensmittelschlüssel, BLS 3.01)
                                                                                          Adipositas und hilft, den JoJo-Effekt nach einer Gewichts-
               Lebensmittel                  pro 100 g LM                   pro Portion   abnahme zu vermeiden (Westerterp-Plantenga 2006).
                                                                                          Eine große Multizentrenstudie (DIOGenes – Diet, Obe-
                                              Protein (g)    Portion (g)    Protein (g)
                                                                                          sity and Genes) konnte zeigen, dass Probanden, die nach
Putenbrust Aufschnitt                            23,0            30               6,9     einer Gewichtsabnahme eine proteinreiche Diät aßen,
Lachsschinken                                    26,6            30               8,0     ihr Gewicht nach sechs Monaten besser konstant hielten
Kochschinken                                     22,5            30               6,8     als Probanden, die eine Diät mit niedrigem Proteingehalt
Putenbrustfleisch gebraten                       25,2           125              31,4     aufnahmen (Larsen 2010). Außerdem reduziert eine pro-
Hähnchenbrustfilet gebraten                      26,8           125              33,5     teinreiche Diät Leberfettgehalt und Triglyzeridkonzentra-
Rindfleisch mager gebraten                       31,2           125              39,0
                                                                                          tion im Blut (Rietman 2014) und reduziert den Verlust
Schweinefleisch mager gebraten                   30,9           125              38,6
                                                                                          an Muskelmasse bei einer Gewichtsreduktion (Pasiakos
Forelle geräuchert gegart                        24,1           125              30,1     2013). Auch im hohen Alter begünstigt ein erhöhter Pro-
Thunfisch Konserve (in eigenem Saft),                                                     teinverzehr in Kombination mit körperlicher Aktivität die
a­ bgetropft                                     22,9            60              13,7     Erhaltung der Muskelmasse (Paddon-Jones 2015). Das
Alaska-Seelachs TK gebraten                      19,2           125              24,0     demonstriert die wichtige Rolle von Nahrungsprotein
Kabeljau TK gebraten                             20,3           125              25,4     beim gesunden Altern.
Zander gebraten                                  22,4           125              28,0

Frischkäsezubereitung 0,2% Fett                  11,2            30               3,4
Magerquark                                       12,2           125              15,2     Risiken einer proteinreichen Ernährung
Körniger Frischkäse 0,4%                         13,3            50               6,7
                                                                                          Andere Studien haben gezeigt, dass eine proteinreiche
Linsen getrocknet                                23,4            70              16,4
                                                                                          Diät eine Insulinresistenz hervorrufen kann (Weickert
Linsen gekocht                                    7,4            60               4,4
                                                                                          2011): Die Körperzellen reagieren weniger empfindlich
Linsensuppe (selbst gekocht)                      3,9           400              15,6
                                                                                          auf Insulin. Ein erhöhter Gehalt verzweigtkettiger Ami-
Erbsen grün getrocknet                           22,9            70              16,0
Erbsen grün gekocht                               5,6           150               8,4
                                                                                          nosäuren (Leucin, Isoleucin, Valin), die sich vor allem in
Erbspüree von frischen Erbsen                     4,8           250              12,0     tierischem Protein finden, ist aufgrund der Aktivierung
                                                                                          spezifischer intrazellulärer Signalwege mit einer Insulin-
Tofu                                             15,5           100              15,5     resistenz assoziiert. Das erhöht gleichzeitig das Diabetes-
Sojaflocken                                      40,6            30              12,3     risiko (Newgard 2009; Wang 2011).
Walnuss                                          16,1            30               4,8     Weil der Stickstoff zum größten Teil über die Niere aus-
                                                                                          geschieden wird, behaupteten ältere Studien, dass ei-
                                                                                          ne proteinreiche Diät den Abfall der Nierenfunktion be-
                        Proteinaufnahme                                                   schleunigen könne, insbesondere bei Nierenkrankheiten
                                                                                          (Brenner 1982; Pijls 1999). Dieser negative Effekt ließ
                        Gemäß der zweiten Nationalen Verzehrsstudie (NVS II)              sich jedoch bei schwachen bis mittelschweren Nieren-
                        konsumieren Männer in Deutschland durchschnittlich                funktionsstörungen in mehreren Studien nicht bestäti-
                        85 Gramm Protein am Tag. Die mittlere Proteinzufuhr               gen oder nur für tierisches Protein (außer Milchprotein)
                        bei Frauen beträgt rund 64 Gramm täglich. Umgerech-               (Knight 2003; Friedman 2004; Nezu 2013).
                        net auf die Energiezufuhr entspricht diese Eiweißauf-             Eine neue epidemiologische Studie hat außerdem pos-
                        nahme, unabhängig von Alter und Geschlecht, 13 bis                tuliert, dass eine proteinreiche Ernährung mit einem er-
                        15 Prozent des täglichen Energiebedarfs und liegt dem-            höhten Krebsrisiko bei jüngeren Probanden assoziiert ist,
                        entsprechend im akzeptablen Bereich. Bei den verzehr-             nicht jedoch bei älteren Probanden (Levine 2014).
                        ten proteinhaltigen Nahrungsmitteln wie Milch, Käse
                        und anderen Milch­erzeugnissen, Fleisch und Fleischer-
                        zeugnissen, Wurstwaren sowie fleischbasierten Gerich-             Proteinreiche Ernährung bei
                        ten ist zu beachten, dass sie neben dem tierischen Pro-           Typ-2-Diabetes
                        tein gleichzeitig auch höhere Mengen Fett, Cholesterol
                        und Purine (außer Ei- und Milchprodukte) liefern. Des-            Wissenschaftlicher Hintergrund
                        halb sollten eher fettarme Milch- und Fleischprodukte             Die Vorteile von Hochproteindiäten gelten auch für Pati-
                        gegessen werden (Übersicht 1).                                    enten mit gestörter Glukosetoleranz (z. B. Typ-2-Diabe-
                                                                                          tiker). Tatsächlich fanden mehrere klinische Studien mit
                                                                                          Diabetespatienten statt, um den Einfluss einer proteinrei-
                        Vorteile einer proteinreichen Ernährung                           chen Kost auf die Glukose-Homöostase und den Insulin-
                                                                                          Stoffwechsel zu untersuchen. Eine Metaanalyse, die die
                        In jüngerer Zeit hat die Popularität proteinreicher Diä-          Ergebnisse mehrerer klinischer Studien verglich, konnte
                        ten stark zugenommen, vor allem aufgrund der günsti-              zeigen, dass proteinreiche Diäten zur Reduktion des Kör-
                        gen Effekte auf Körpergewicht und metabolische Risiko-            pergewichts und des Blutdrucks der Teilnehmer führten
                        faktoren (Layman 2008). Eine proteinreiche Diät führt             (Dong 2013). Auch der Langzeit-Zucker-Wert (HbA1c), ei-
                        vermutlich durch die längere Sättigungswirkung nach ei-           ne Fraktion des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin, an den
                        ner Mahlzeit und der Stimulation der Wärmeproduktion              Glukose gebunden ist, ging zurück (Dong 2013). Seine

                        Ernährung im Fokus 16-07–08 | 16
TITELTHEMA                          193

                                Screening                             isokalorische Diätintervention

                                                                        Tierische Hochproteindiät
                      18                                     30 % Proteine / 40 % Kohlenhydrate / 30 % Fette

                                                  0           1          2          3          4        5           6

        37 Typ-2-                              Visite 1                                                          Visite 3
                                                             EB 1      EB 2       EB 3       EB 4      EB 5
        Diabetiker                             Visite 2                                                          Visite 4

                                                  1           1          2          3          4        5           6

                                                                                                                               Abbildung 3:
                      19                                               Pflanzliche Hochproteindiät                             Design der
                                                             30 % Proteine / 40 % Kohlenhydrate / 30 % Fette                   ­LeguAN-Studie
                                                                                                                               Visite = Ärztliche
                                                                                                                               Untersuchung
                               2–3 Wochen                                       6 Wochen                                       EB = Ernährungs­
                                                                                                                               beratung

Senkung gilt als Hauptziel der Diabetes-Therapie. Ande-       genug Literaturdaten über den Vergleich von pflanzlichen
re klinische Studien beobachteten ebenfalls eine Verrin-      und tierischen Proteinen. Langfristiger Konsum von So-
gerung der höheren Blutglukosewerte sowie des Insulin-        japrodukten führte zur Verbesserung kardiovaskulärer
spiegels bei Typ-2-Diabetes (Gannon, Nuttall 2004).           und renaler Parameter bei normaler Eiweißaufnahme
Allerdings beurteilen viele Diabetes-Experten Hochpro-        (0,8 g Eiweiß/kg Körpergewicht/d), jedoch ließen sich
teindiäten bei Menschen mit Typ-2-Diabetes kritisch. Bei      hier Effekte sekundärer Pflanzenstoffe nicht ausschlie-
einer höheren Proteinaufnahme muss die Niere den ver-         ßen (Azadbakht 2008). Eine weitere Studie mit norma-
stärkt produzierten Harnstoff eliminieren, was die Ent-       lem Proteinverzehr konnte keine Unterschiede zwischen
wicklung einer diabetischen Nephropathie beschleuni-          pflanzlichem und tierischem Eiweiß bezüglich der Ver-
gen könnte (Brenner 1982). Jedoch beeinflusst eine Ver-       besserung von Stoffwechselparametern zeigen (Wheeler
besserung der Glukose-Homöostase durch die protein-           2002).
reiche Ernährung die Nierenfunktion oft positiv. Zwei
Studien beobachteten keine nachteiligen Effekte einer
Hochproteindiät auf die glomeruläre Filtrationsrate bei       Die LeguAN-Studie
Diabetespatienten mit Mikroalbuminurie oder Nephro-
pathie (Pomerleau 1993; Pedersen 2014). Weitere klini-        Da sich sowohl positive als auch negative Effekte der
sche und vor allem langfristige Studien sind notwendig,       Hochproteindiäten beobachten ließen, stellte sich die
um diese Hypothese wissenschaftlich zu überprüfen.            Frage, ob die Herkunft des Eiweißes eine Rolle dabei
Insgesamt sind die klinischen Daten und Metaanalysen          spielt. Die LeguAN-Studie (Leguminosen – Anbau und
zu Typ-2-Diabetespatienten inkonsistent und kontrovers        Nutzung), die vor Kurzem am Deutschen Institut für Er-
(Robertson 2007; Pan 2008; Nezu 2013). Auch die Be-           nährungsforschung Potsdam-Rehbrücke durchgeführt
deutung der pflanzlichen oder tierischen Herkunft des         wurde, sollte diese Frage beantworten. Die Forscher ent-
Proteins ist noch weitgehend ungeklärt.                       wickelten zwei Diäten mit hohem Proteinanteil, die ent-
Körnerleguminosen (Erbsen, Bohnen, Linsen, Lupinen            weder reich an pflanzlichem oder an tierischem Prote-
und Soja) zählen zu den proteinreichen Pflanzen und un-       in waren. Zusätzlich wurde der Energiegehalt der Diäten
terscheiden sich in ihrem Aminosäureprofil von den tieri-     individuell auf die Probanden abgestimmt, um das Ge-
schen Lebensmitteln (Fleisch, Fisch, Ei und Milch). So ist    wicht während der Studie konstant zu halten (isokalori-
der Gehalt an Methionin und verzweigtkettigen Amino-          sche Diät).
säuren (Leucin, Isoleucin, Valin) in tierischen Produkten
höher, während pflanzliche Nahrungsmittel reicher an          ● Design
Arginin, Asparagin, Lysin und Glutamin sind (Tomoskozi        An der Studie nahmen nur Typ-2-Diabetespatienten mit
2001). Da die Aminosäuren den Metabolismus stark be-          einem HbA1c-Wert zwischen sechs und elf Prozent teil.
einflussen, könnten sich dadurch unterschiedliche Stoff-      Personen mit schweren Leber- oder Nierenerkrankun-
wechselwirkungen ergeben. Viele Studien belegen, dass         gen, Herzinfarkt oder Schlaganfall konnten an der Stu-
ein hoher Verzehr von Leguminosen den Insulin- und            die nicht teilnehmen. Weitere Ausschlusskriterien waren
Glukosespiegel senkt, die Insulinsensitivität verbessert      Krebserkrankungen, Essstörungen und Lebensmittelun-
und den HbA1c-Wert bei Typ-2-Diabetes reduziert (Sie­         verträglichkeiten. Die Studienteilnehmer wurden nach
venpiper 2009; Jenkins 2012). Allerdings führten Wis-         Alter, Geschlecht, Body-Mass-Index (BMI), HbA1c-Wert
senschaftler diese positiven Effekte auf den niedrigen        und antidiabetischen Medikamenten in zwei Gruppen
glykämischen Index (GI) und den höheren Ballaststoff-         eingeteilt (Abb. 3). So stand jedem Probanden in der
anteil der Leguminosen zurück. Gleichzeitig gibt es nicht     einen Gruppe eine Person gleichen Alters, Geschlechts,

                                                                                            16-07–08 | 16 Ernährung im Fokus
194   TITELTHEMA

      BMI, HbA1c und Behandlung gegenüber, um den Ver-                                     Jeder Teilnehmer erhielt einen individualisierten Ernäh-
      gleich beider Interventionen zu gewährleisten.                                       rungsplan, der zusätzlich die Nahrungsvorlieben berück-
      Die Studie dauerte sechs Wochen. In dieser Zeit fanden                               sichtigte, um das Durchhalten zu erleichtern. Zusätzlich
      ausführliche Untersuchungen und Ernährungsberatun-                                   gab es eine Lebensmittelaustauschliste mit Lebensmit-
      gen an mehreren Terminen statt (Abb. 3).                                             teln gleichen Proteingehalts (z. B. Fleisch/ Magerquark).
      Zu Beginn der Ernährungsintervention wurden verschie-                                Alle Probanden führten Ernährungsprotokolle unter An-
      dene ärztliche Untersuchungen durchgeführt, anthro-                                  gabe der konsumierten Lebensmittelmengen.
      pometrische Daten erhoben, Routineparameter in Blut
      und Urin gemessen, die Insulinsensitivität bestimmt so-                              ● Speziallebensmittel
      wie Grundumsatzmessungen, Mahlzeitentests und Ma-                                    Die „tierische“ Proteindiät enthielt hohe Anteile an
      gnetresonanztomographien zur Bestimmung des Leber-                                   Milchprodukten, weißem Fleisch und Fisch, um den
      fettgehaltes durchgeführt. Nach der Interventionsphase                               Proteinanteil von 30 Energieprozent zu erreichen. In der
      wurden diese Untersuchungen wiederholt. Zwischen-                                    „pflanzlichen“ Gruppe war die Auswahl an Lebensmit-
      zeitlich fanden ausführliche Ernährungsberatungen (EB)                               teln geringer. Unter Berücksichtigung der erforderlichen
      statt, um die Einhaltung des Ernährungsregimes sicher-                               Compliance konnten Milch, Fleisch und Fisch nicht kom-
      zustellen und die Probanden zu unterstützen und zu mo-                               plett ausgeschlossen werden, der Anteil tierischen Pro-
      tivieren.                                                                            teins aber auf maximal ein Drittel des Gesamtproteins
      Die Forscher ordneten die Probanden zufällig einer der                               beschränkt. Daher stellte das Institut für Getreidever-
      zwei isokalorischen Diäten zu, die sich nur in Herkunft                              arbeitung (IGV) in Potsdam-Rehbrücke Nahrungsmittel
      und Zusammensetzung der Proteine (pflanzlich oder                                    zur Verfügung, die mit Erbsenprotein angereichert wa-
      tierisch) unterschieden. In beiden Interventionsgrup-                                ren. Ihre Entwicklung erfolgte im Rahmen des LeguAN-
      pen sollten die Probanden 30 Energieprozent Protein,                                 Verbundprojektes unter der Leitung von Prof. Dr. Sascha
      40 Energieprozent Kohlenhydrate mit einem niedrigen                                  Rohn vom Institut für Lebensmittelchemie der Universi-
      glykämischen Index und 30 Energieprozent Fett mit ei-                                tät Hamburg. Dort werden innovative Wertschöpfungs-
      ner gleichmäßigen Verteilung der Fettsäuren (gesättigte
                                                                                           konzepte für Lebens- und Futtermittel aus Legumino-
      Fettsäuren, einfach ungesättigte Fettsäuren und mehr-
                                                                                           sen (Erbse, Ackerbohne) vom Anbau bis zur Nutzung
      fach ungesättigte Fettsäuren zu je 10 %) aufnehmen. Zu-
                                                                                           erforscht (vgl. unser Schwerpunktthema auf den Seiten
      sätzlich sollten die Probanden auf einen identischen Bal-
                                                                                           196–199).
      laststoffanteil, eine allgemein gesunde Ernährung für Di-
                                                                                           Bei den Speziallebensmitteln handelte es sich um:
      abetiker und eine maximale Aufnahme von einem Drittel
                                                                                           • Nudeln (aus Erbsenmehl und Erbsenprotein)
      tierischen Proteins in der Pflanzengruppe achten.
                                                                                           • Eiweißkörnerbrot
                                                                                           • Eiweißtoastbrot
                                                                                           • Plätzchen
       Übersicht 2: Proteingehalt der Speziallebensmittel im
                    ­Vergleich zu handelsüblicher Ware (Bundeslebens-                      • Püreepulver (zum Anrühren mit kochendem Wasser)
                     mittelschlüssel, BLS 3.01)                                            • Pfannkuchenpulver (zum Anrühren mit roh geriebener
                 Lebensmittel                       Protein (g)        Kohlenhydrate (g)      Kartoffel, Ei, Wasser und anschließendem Ausbacken)
                                                   je 100 g LM           je 100 g LM       • Trinkpulver (Erbsenprotein zum Einrühren in Saft)
       Nudeln aus Hartweizengrieß                       12,5                   70,5        Im Vergleich zu handelsüblichen Nahrungsmitteln war
       (eifrei) roh                                                                        der Eiweißgehalt der Speziallebensmittel höher, der Koh-
       Nudeln mit Erbsprotein (roh)*                    31,6                   42,4        lenhydratanteil dagegen niedriger (Übersicht 2).
                                                                                           Die Akzeptanz der verschiedenen Produkte war sehr un-
       Mehrkornvollkornbrot                              7,3                   39,8
                                                                                           terschiedlich. Vor allem die Nudeln und das Brot waren
       Eiweißkörnerbrot                                 29,3                    9,7
                                                                                           für die tägliche Ernährung gut geeignet. Durch das Erb-
       Weißbrot/Weizentoastbrot                          8,3                   48,1        senprotein gibt es jedoch spürbare Unterschiede in Kon-
       Eiweißtoastbrot                                  12,4                   30,1        sistenz und Geschmack. Das machte sich vor allem bei
       Plätzchen                                         4,4                   59,8        Püree und Pfannkuchen bemerkbar. Auch ist die Zube-
                                                                                           reitung der Pfannkuchen mit größeren Aufwand verbun-
       Eiweißplätzchen                                  22,2                   35,6
                                                                                           den. Trinkpulver und Brot standen fast täglich im Plan,
       Kartoffelpüree aus Trocken-                       4,1                   16,0        Püree, Pfannkuchen und Nudeln waren abwechselnd
       produkt
       (zubereitet mit Milch 1,5 %                                                         vorgesehen.
       Fett)
       Püree mit Erbsprotein (zuberei-                  10,0                    6,5        ● Studienergebnisse
       tet mit Wasser)                                                                     Insgesamt 37 Diabetespatienten schlossen die Studie er-
       Pfannkuchen Standardrezeptur                      6,1                   25,9        folgreich ab. Sie hielten die jeweilige Diät mit exzellen-
       Pfannkuchen (zubereitet)                         10,5                   12,9
                                                                                           ter Compliance ein. Insgesamt konsumierten sie mehr
                                                                                           Protein und weniger Fett im Vergleich zu ihrer früheren
       Karottensaft mit Honig                            0,7                    7,4
                                                                                           Ernährungsweise. Die vorgeschriebenen Portionen wa-
       Drink (zubereitet mit Karot-                      8,1                    6,8        ren manchmal zu groß. Außerdem berichteten die Teil-
       tensaft)
                                                                                           nehmer von einem längeren Sättigungsgefühl nach den
       *Rot gekennzeichnete Lebensmittel = im IGV entwickelte Speziallebensmittel
                                                                                           Mahlzeiten.

      Ernährung im Fokus 16-07–08 | 16
TITELTHEMA                                                              195

Ein Teil der Ergebnisse liegt bereits vor. Die Studie weist

                                                                                                                           Foto: © iStock.com/Highwaystarz-Photography
sehr positive Effekte auf den Stoffwechsel der Typ-2-Dia­
betiker aus. Wichtige Parameter in den Blut- und Urin-
proben wurden anhand biochemischer und molekularer
Methoden bestimmt. Außerdem wurden Körperzusam-
mensetzung und Verteilung des Fettgewebes im Körper
mit Ganzkörper-Densitometrie und Magnetresonanzto-
mographie erfasst. In beiden Gruppen gingen Blutzucker
und Insulinspiegel zurück (Sucher 2016, eingereicht).
Darüber hinaus verbesserte sich die Insulinsensitivität
(gemessen mittels Insulin-Infusion) deutlich. Der Wert
des Langzeit-Zuckers im Blut sank in beiden Gruppen
(Sucher 2016, eingereicht). Eine so deutliche Absenkung
des HbA1c-Wertes ist normalerweise nur durch antidia-
betische Medikamente wie Metformin erreichbar. Die
Blutfettwerte (Triglyzeride, Cholesterin) gingen ebenfalls
zurück, das Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen
und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sank (Sucher 2016,
eingereicht). Die Fettmasse nahm ab, die fettfreie Mus-                                                                                                                  Die Ergebnisse der
kelmasse zu. Trotz der isokalorischen Ernährung nah-                                                                                                                     LeguAN-Studie zeigen
                                                                                                                                                                         durchweg positive
men die Probanden moderat an Gewicht ab, die Mus-                                                                                                                        ­Effekte auf den Stoff-
kelmasse erhöhte sich leicht. Hochproteindiäten können                                                                                                                    wechsel von Typ-2-
folglich bei Gewichtsreduktionen zum Erhalt der Mus-                                                                                                                      Diabetikern. Einen
kelmasse beitragen. Das gilt auch für den mit fortschrei-                                                                                                                 Unterschied zwischen
                                                                                                                                                                          tierischem und pflanz-
tendem Alter zunehmenden Muskelabbau (Sarkopenie).                                                                                                                        lichem Protein gab es
Der Rückgang der Fettmasse wirkt sich insgesamt positiv                                                                                                                   nicht.
auf Stoffwechsel und Gesundheitsstatus aus.
In beiden Gruppen sank der Leberfettgehalt. Die Fett-         Weitere Untersuchungen sind notwendig, um die Rolle
leber zählt zu einer der häufigsten Erkrankungen in der       der unterschiedlichen Aminosäurenzusammensetzungen
westlichen Welt und zeichnet sich durch vermehrte Ein-        pflanzlicher und tierischer Proteine im Stoffwechsel des
lagerung von Fett in die Leberzellen aus. Faktoren wie        Menschen zu charakterisieren. Die gleichen positiven
Überernährung, genetisch bedingte Stoffwechselstörun-         gesundheitlichen Wirkungen tierischer und pflanzlicher
gen und Typ-2-Diabetes begünstigen die Entwicklung ei-        Aminosäuren sowie Umweltaspekte sprechen dabei eher
ner Fettleber.                                                für den verstärkten Konsum hochproteinhaltiger Pflan-
Die hohe Proteinaufnahme durch die Diät wirkte sich           zen (z. B. Leguminosen).
nicht negativ auf die Nierenfunktion der Probanden
aus. Weder die Nierenparameter in Blut und Urin noch          Das Projekt wurde aus Mitteln des Bundesministeriums
die glomeruläre Filtrationsrate waren verändert (Su­          für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) aufgrund ei­
cher 2016, eingereicht). Eine proteinreiche Diät zieht al-    nes Beschlusses des deutschen Bundestags gefördert.
so – zumindest nach sechs Wochen Dauer – keine Ver-           Die Trägerschaft lag bei der Bundesanstalt für Landwirt­
schlechterung der renalen Funktion von Typ-2-Diabe­           schaft und Ernährung (BLE) (Programm zur Innovations­
tespatienten nach sich.                                       förderung).
Interessanterweise war kein Unterschied zwischen bei-
den Diätgruppen zu beobachten. Entgegen der Studien-          Die Literaturliste finden Sie im Internet unter „Literatur­
hypothese wirkte sich das tierische Protein genauso vor-      verzeichnisse“ als kostenfreie pdf-Datei.
teilhaft aus wie das pflanzliche. Eine mögliche Erklärung
wäre, dass die Probanden dieser Gruppe ebenfalls eine
gesunde Diät mit mehr fettarmen Milchprodukten, wei-
                                                               Für das Autorenteam
ßem Fleisch und Fisch erhielten. Ob die unterschiedliche
Aminosäurenzusammensetzung beider Diäten unter-                Mariya Markova studierte Lebensmittelchemie
                                                               am Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
schiedliche Effekte auf molekularem Niveau zeigt, wird
                                                               und absolvierte ihr Staatsexamen am Che-
weiter untersucht.                                             misches- und Veterinäruntersuchungsamt
                                                               (CVUA) Karlsruhe. Seit 2013 ist sie Doktoran-
                                                               din am Deutschen Institut für Ernährungs-
Zusammenfassung                                                forschung (DIfE) in Potsdam-Rehbrücke.

                                                               Mariya Markova
Wie die Studienergebnisse zeigen, führt eine sechswö-          Deutsches Institut für Ernährungsforschung
chige hochproteinhaltige Ernährung zu einer Verbesse-          Potsdam-Rehbrücke (DIfE)
rung des Glukose-Stoffwechsels, der Körperzusammen-            Abteilung Klinische Ernährung
setzung sowie des Leberfettgehalts bei Typ-2-Diabe­            Arthur-Scheunert-Allee 114-116, 14558 Nuthetal
                                                               Mariya.Markova@dife.de
tikern, ohne die Nierenfunktion zu beeinträchtigen.

                                                                                              16-07–08 | 16 Ernährung im Fokus
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