Ratsbericht - Konrad-Adenauer-Stiftung
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Februar 2020 Ratsbericht Europabüro Brüssel Zähes Ringen um das EU-Budget geht in die nächste Runde Europäischer Sondergipfel am 20. und 21. Februar 2020 Dr. Hardy Ostry, Ludger Bruckwilder, Frederik Lippe Da beim letzten Ratsgipfel im Dezember Erschwerend hinzu kommt der Wegfall der 2019 keine Einigung über den Mehrjäh- Zahlungen des inzwischen aus der EU ausge- rigen Finanzrahmen (MFR) erzielt wer- schiedenen Vereinigten Königreichs in Höhe den konnte, wurde von EU- von rund 70 Mrd. Euro, der kompensiert wer- Ratspräsident Charles Michel ein Son- den muss. dergipfel einberufen. Bei diesem Treffen der 27 Staats- und Regierungschefs ging In den Verhandlungen der 27 Staats- und es ausschließlich um die Festlegung des Regierungschefs geht es vor allem um die zukünftigen EU-Budgets. Bereits vor Frage, wie viel Geld die EU in den kommen- dem Gipfel war absehbar, dass die Suche den sieben Jahren bekommt, und wie es aus- nach einem Kompromiss äußerst kom- gegeben werden soll. Es liegen mehrere Vor- pliziert werden würde, da die Mitglieds- schläge auf dem Tisch: Die Europäische länder konträre Interessen verfolgen. Kommission hat sich im Vorfeld für einen Dass die Differenzen zwischen den Mit- Anteil von 1,114 Prozent des Bruttonational- gliedsländern noch zu groß sind, bestä- einkommens (BNE) jedes Mitgliedslandes tigte sich während des Gipfels. Die un- ausgesprochen, was einen EU-Haushalt von terschiedlichen Lager beharrten auf insgesamt 1,135 Billionen Euro entspricht. Das ihren vorab bekannten Positionen, und Europäische Parlament fordert dagegen mit es konnte keine Einigung erzielt werden. 1,3 Prozent des BNE einen deutlich höheren Anteil, was einem Gesamtvolumen von 1,324 Hintergrund Billionen Euro entspricht. Die kroatische Ratspräsidentschaft ist bereits Abgesehen von dem reinen Anteil am BNE die vierte Präsidentschaft, die sich mit den wird aber auch um Rabatte verhandelt, die die Verhandlungen um den MFR befassen muss. größten Beitragszahler (u.a. Deutschland) seit Auch fast zwei Jahre nachdem die Europäi- mehreren Jahrzehnten auf ihren Anteil am sche Kommission ihren ersten Vorschlag für Budget erhalten. Eingeführt wurden diese das EU-Budget von 2021 bis 2027 vorgestellt Rabatte ursprünglich für die Briten unter Mar- hat, konnte bis zuletzt keine Einigung unter garet Thatcher im Jahr 1985. Da die Briten den 27 Mitgliedsländern gefunden werden. nun die EU verlassen haben, stehen auch die Beim letzten Ratsgipfel wurde deshalb in der Rabatte zur Diskussion. Abschlusserklärung der frischgebackene Rats- präsident Michel aufgefordert, die Führung in Die sogenannte Verhandlungsbox mit einem den Verhandlungen zu übernehmen und eine Kompromissvorschlag von Charles Michel sah finale Übereinkunft zu erreichen. Ohne einen 1,074 Prozent des BNE vor, was 1,0948 Billio- Haushalt für 2021 bis 2027 könnten laufende nen Euro entspräche. Außerdem sprach sich EU-Programme gelähmt werden, was u.a. zur Michel für eine Kürzung der Rabatte mit einem Unterbrechung von Dienstleistungen wie dem langsamen Auslaufen aus. Die Schaffung einer Erasmus-Programm für die Bürger führen eigenen Einnahmequelle, die die EU bisher würde. nicht besitzt, war ebenfalls Teil des Vorschla-
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Ratsbericht Februar 2020 2 ges. Diese soll durch eine Plastiksteuer und Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag mögliche Überschüsse aus dem europäischen explizit für europäische Investitionen sowie Emissionshandel generiert werden. Das mögli- einen starken Kohäsionsfond auch nach einem che Sperren von Fördergeldern im Falle einer Ausscheiden der Briten ausgesprochen. Zu- Verletzung von Rechtsstaatlichkeitsprinzipen dem lässt sich der Wert Europas für Deutsch- sollte ebenfalls im zukünftigen Budget aufge- land nicht ausschließlich an dem Nettowert nommen werden. der Zahlungen berechnen. Deutschland profi- tiert wirtschaftlich stark von der EU, so macht Da der Haushalt nur einstimmig im Rat ent- es rund 170 Mrd. Euro an jährlichem volks- schieden werden kann, kommt es vor allem wirtschaftlichen Gewinn durch den gemeinsa- auf die Mitgliedsstaaten an. Die Länder teilen men EU-Binnenmarkt, jeder investierte Euro sich in zwei Gruppen mit unterschiedlichen zahlt sich somit wieder aus. Vorstellungen über die zukünftige Gestaltung des EU-Budgets auf. Die eine Gruppe besteht Neben der Frage, wie viel Geld die EU in Zu- aus 17 Ländern vor allem aus Mittel-, Ost- und kunft erhalten wird, steht auch zur Diskussion, Südeuropa, die die „Freunde der Kohäsion“ wofür es ausgegeben werden soll. Eine Forde- genannt werden. Diese profitieren in erster rung an den MFR ist, dass er mehr an den Linie von den Kohäsionszahlungen, sie be- drängenden Zukunftsfragen ausgerichtet kommen als sogenannte Nettoempfänger also werden muss. Ein Großteil des Geldes fließt mehr von der EU zurück überwiesen, als sie bisher traditionell in die Landwirtschaft und selbst einzahlen. Portugal nimmt in dieser die Kohäsionspolitik, was zusammen einen Gruppe eine führende Position ein, aber auch Anteil von rund 70 Prozent des gesamten EU- Polen spielt eine wichtige Rolle. Die Gruppe Haushalts ausmacht. Die EU hat sich jedoch traf sich im Vorfeld des Gipfels in Portugal, um seit dem ersten mehrjährigen Finanzrahmen ihre Vorgehensweise abzusprechen. Sie leh- vor 30 Jahren stark gewandelt und möchte nen Kürzungen im MFR bei den beiden großen u.a. mehr Verantwortung in der Außenpolitik Töpfen Landwirtschaft und Kohäsion ab und übernehmen. Auch in Bereichen wie Klima sprechen sich zudem für die von der Kommis- und Digitalisierung hat sich die EU ehrgeizige sion vorgeschlagene Erhöhung des BNE sowie Ziele für die Zukunft gesteckt. Für die Umset- eine Abschaffung der Rabatte aus. zung dieser Ziele bräuchte es ein „modernes“ Budget, für das sich auch Kommissionspräsi- Die andere Gruppe wird die „Sparsamen Vier“ dentin von der Leyen ausspricht. Kritisch wird genannt und besteht aus Dänemark, Schwe- diese geplante Veränderung jedoch von eini- den, den Niederlanden und Österreich. Sie gen Ländern Süd- und Osteuropas gesehen, setzen sich dafür ein, dass das Budget stabil die aktuell sehr stark von EU-Geldern profitie- bei einem Prozent des BNE bleiben muss. Es ren. In Portugal und Kroatien etwa machen handelt sich bei den vier Ländern um Netto- die Gelder aus dem Kohäsionsfond rund 80 zahler, d.h. sie zahlen mehr ein, als sie zu- Prozent aller staatlicher Infrastruktur- rücküberwiesen bekommen. Auch diese Grup- Investitionen aus. pe koordinierte sich im Vorfeld des Gipfels. Die österreichische Bundesministerin für EU Auf dem Sondergipfel hätte demnach ein- und Verfassung, Karoline Edtstadler (ÖVP) stimmig ein großes Gesamtpaket geschnürt sprach sich im Vorfeld stellvertretend für ein werden müssen, mit dem alle Mitgliedsstaaten schlankes Budget aus: „Wir wollen nicht mehr hätten leben können und das zugleich die als bisher zahlen, und wir wollen einen dauer- Zustimmung des Europäischen Parlaments haften und substanziellen Rabatt“. erhalten müßte. Ob dies funktionieren würde, war bis zuletzt fraglich. Deutschland, welches nicht klar zu den Spar- samen Vier gezählt werden kann, steht diesen Entwicklung in der Frage des Budgets jedoch zumindest nahe. Berlin ist der größte Beitragszahler der Es wurden sehr lange und harte Verhandlun- EU und müsste folglich einen Großteil der von gen erwartet. Der polnische Premierminister den Briten hinterlassenen Lücke finanzieren. Mateusz Morawiecki sprach sogar von den Außerdem erhält es wie die anderen Nettozah- „schwierigsten Verhandlungen in der Ge- ler auch Rabatte, die nun auf der Kippe ste- schichte“. Die Dauer des Gipfels wurde, an- hen. Die Mehrausgaben für Deutschland könn- ders als bei den regelmäßig stattfindenden ten sich auf bis zu 27 Mrd. Euro pro Jahr Ratsgipfeln, vorher nicht von Charles Michel belaufen, falls sich der Vorschlag der EU- bekannt gegeben. Er zeigte sich jedoch im Kommission durchsetzt. Allerdings hat sich die Vorfeld optimistisch, eine Einigung zu erzielen:
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Ratsbericht Februar 2020 3 „Ich bin überzeugt, dass wir mit gesundem lehnt. Die Befürworter eines "moderneren" Menschenverstand und Entschlossenheit eine Haushalts waren enttäuscht über die zusätzli- Vereinbarung treffen können, die allen Euro- chen Mittel für Landwirtschaft und Kohäsion, päern zugutekommt.“ die südeuropäischen Länder dagegen waren mit den weiter bestehenden Rabatten der Anders als erhofft, konnten die Staats- und Nettozahler nicht einverstanden. Angela Mer- Regierungschefs keine Einigung erzielen, und kel sprach sich zudem für strengere Regeln so wurde der Gipfel am Abend des zweiten bezüglich der Rechtstaatlichkeit aus. Verhandlungstages vorzeitig beendet. Nach- dem am ersten Verhandlungstag lediglich Kommentar bereits bekannte Standpunkte ausgetauscht wurden, sah es im Verlaufe des zweiten Tages Dass die Staats- und Regierungschefs auch zwischenzeitlich so aus, als könnte doch noch bei diesem, extra dafür einberufenen Sonder- eine Einigung erzielt werden. Am Morgen des gipfel keinen Schritt aufeinander zugegangen zweiten Verhandlungstages sollte ursprünglich sind, erhöht nunmehr den Zeitdruck, eine ein Treffen im Plenum erfolgen. Doch anders Lösung zu finden. Bei der anschließenden als geplant fanden stattdessen bilaterale bzw. Pressekonferenz bemühten sich Michel und multilaterale Treffen zwischen den Regie- von der Leyen sichtlich, nicht von einem rungschefs statt. Angela Merkel und Emanuel Scheitern zu sprechen, sondern positiv in die Macron taten sich dabei zusammen und ver- Zukunft zu blicken. suchten, zwischen den verschiedenen Seiten Wie bei allen bisherigen Verhandlungen um zu vermitteln. Sie trafen sich u.a. mit den das EU-Budget kann es sich kein Staats- oder Sparsamen Vier, Vertretern der Freunde der Regierungschef erlauben, zu leicht nachge- Kohäsion, den Visegrad-Staaten und mit ben. Die Verhandlungen finden zwar in Brüs- Charles Michel. Auch die anderen Staatschefs sel statt, jedoch hat jeder Staats- und Regie- verhandelten den ganzen Tag über in unter- rungschef stets die eigene Bevölkerung im schiedlichsten Konstellationen in den Bespre- Blick und somit auch die eigenen Positionen, chungsräumen auf der 11. Etage des Ratsge- die nicht voreilig geräumt werden dürfen. Vor bäudes. der Katharsis und einem notwendigen Kon- Lange war nicht klar, ob es überhaupt einen sens spielt somit auch immer ein wenig Dra- Kompromissvorschlag geben würde, da die ma in die Verhandlungen mit ein, gerade Positionen zu weit auseinanderlagen. Doch im wenn es um das EU-Budget geht. Vor diesem Anschluss an die Sitzungen kündigte Michel Hintergrund wird es vieler weiterer Gespräche an, einen weiteren Kompromissvorschlag zu und evtl. noch mehr als eines Gipfels bedür- unterbreiten. Die Plenarsitzung, welche ur- fen, um zu einer Einigung zu gelangen. sprünglich für 10 Uhr angesetzt war, fand Bis dahin bleibt der Optimismus von Charles schließlich mit fast neun Stunden Verspätung Michel Programm: „Es ist undenkbar, dass wir statt. Der neue Vorschlag, den der Ratspräsi- keine Entscheidung herbeiführen.“ Wann der dent zusammen mit der Europäischen Kom- nächste Haushaltsgipfel stattfinden soll, steht mission ausgearbeitet hatte, bestand dabei noch nicht fest, es dürfte jedoch nicht allzu vor allem aus Kürzungen im Budget. Der An- lange dauern. teil am Bruttonationaleinkommen betrug darin nur noch 1,069 Prozent, was eine Reduzie- rung von zehn Billionen Euro zum bestehen- den Vorschlag bedeutet. Außerdem würden die aktuellen Pauschalrabatte für die Netto- zahler bestehen bleiben und Österreich einen zusätzlichen Rabatt von 100 Millionen Euro behalten. Die Niederlande, einer der härtesten Verhandlungspartner auf dem Gipfel, würden zusätzlich einen Sonderfreibetrag auf EU-Zölle erhalten. Um die Freunde der Kohäsion zu- friedenzustellen, versprach Michel in seinem Vorschlag zusätzliche Mittel für die Landwirt- schaft und der Kohäsion. Doch auch dieser neue Vorschlag des Rats- präsidenten wurde von einer Mehrheit abge-
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Ratsbericht Februar 2020 4 Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Dr. Hardy Ostry Leiter Europabüro Brüssel www.kas.de/bruessel hardy.ostry@kas.de Der Text dieses Werkes ist lizenziert unter den Bedingungen von „Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international”, CC BY-SA 4.0 (abrufbar unter: https://creativecom mons.org/licenses/ by-sa/4.0/legalcode.de) www.kas.de
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