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FOTO: ALFREDO ESTRELLA/AFP VIA GETTY IMAGES TITELTHEMA REISEN Das Übliche, bitte Corona löst keine nachhaltige Wende im Reiseverhalten aus. Der Massentourismus dürfte sogar noch zunehmen. TEXT: CAROLINE FREIGANG 18 Beobachter 13/2021
Tulum, Mexiko, Januar 2021 T ürkisblaue Wellen schlagen sanft Natur. Das durch Sonnencreme und Abfall ver- auf schneeweissen Sand. Ein paar schmutzte Wasser der Cenoten war plötzlich Hundewelpen tollen zwischen klarer. Nicht nur in Mexiko keimte Hoffnung auf, Palmen. Im Hintergrund klimpert dass Corona den Tourismus verändern könnte. eine Gitarre. Sie sei im Paradies Er hatte zuletzt vor allem mit überfüllten Publi- gelandet, dachte Marietta M.*, als kumsmagneten, Naturzerstörung und genervter sie 2012 zum ersten Mal ins mexikanische Tulum Lokalbevölkerung für Schlagzeilen gesorgt. reiste. Der Ort mit seinen Künstlerinnen, Yogis Nie gesehene Bilder weckten nun Hoffnungen und naturnahen Unterkünften bezauberte sie. auf einen nachhaltigen Wandel: Plötzlich war der Marietta spürte: Eines Tages wird sie hier leben. Markusplatz in Venedig leer, die Flaniermeile 2017 macht die Zürcherin ihren Traum wahr. Ramblas in Barcelona wie ausgestorben. Im Ha- FOTOS: EMILIO ESPEJEL/AP/KEYSTONE, ALBERTO VALDEZ/EYEPIX GROUP/BARCROFT MEDIA VIA GETTY IMAGES Sie zieht auf die Yucatán-Halbinsel. Kurz darauf fen der sardischen Hauptstadt Cagliari wurden geht der Bauboom so richtig los. Das Paradies Delfine gesichtet – eine Seltenheit. In Thailand wird zubetoniert. Hotelblock an Hotelblock reiht legten Schildkröten Eier an verwaisten Stränden. sich an der einst palmengesäumten Sandstrasse durch den Dschungel zum Strand. Auf dem Ein plötzlicher Sinneswandel? Würde die Pande- Asphalt stauen sich fette SUVs und Lastwagen. mie nicht nur der Natur eine Verschnaufpause Am Rand liegen überfahrene Wildtiere. bringen, sondern auch unsere zerstörerische «Sogar im Tulum hat sich in den vergangenen Jahren zu Reisewut bremsen? Würden wir uns an die Ruhe Lockdown einem Hotspot des gehobenen Massentouris- mus entwickelt. Auch bei Leuten aus der Schweiz gewöhnen, weniger und nachhaltiger reisen? Und würden die vom Übertourismus geplagten wurden ist der Ort beliebt. Edelweiss bietet Direktflüge Städte endlich Lösungen für einen sanfteren neue Hotel- ins benachbarte Cancún. Neben Mayaruinen, Tourismus entwickeln? burgen Urwald und dem zweitgrössten Korallenriff der Manche Umweltschützer und Touristikerin- hochgezo- Welt locken dort die berühmten Cenoten. Die riesigen Unterwasserhöhlen eignen sich vor- nen schürten diese Hoffnungen. Die Leute könn- ten sich während der Pandemie an den neuen gen, Urwald trefflich für Instagram-Fotos. Zur Hochsaison Lifestyle mit Velotouren im Umland oder Wan- wurde stehen die Touristen hier Schlange. dern in den Bergen gewöhnen. Die Klimakrise abgeholzt.» Das änderte sich mit Corona. Die Pandemie und eine wachsende Flugscham sollten die brachte den internationalen Reiseverkehr zum Entwicklung begünstigen. Wir stünden an der Marietta M.*, Schweizer Erliegen. Auch in Tulum stand für ein paar Schwelle zu einem ökologischen Zeitalter, sagte Alternativ-Reiseführerin Wochen alles still. Während die Hoteliers über gar der Zukunftsforscher Matthias Horx am dies- in Tulum, Mexiko fehlende Einnahmen klagten, erholte sich die jährigen World Tourism Forum in Luzern. 20 Beobachter 13/2021 *Name der Redaktion bekannt
Cancún, Mexiko, Dezember 2020 Doch Studien und Befragungen sprechen doppelt so viel wie in normalen Zeiten. Im zwei- eine andere Sprache. Viele Leute dürften wieder ten, weniger restriktiven Lockdown waren es in ihr altes Reisemuster zurückfallen und sogar 880 Franken zusätzlich. Einen grossen Teil die- aufholen, was ihnen in den knapp zwei Jahren ser Ersparnisse dürften die Schweizerinnen und Pandemie entgangen ist. «Die Sehnsucht, zu ver- Schweizer nach Corona wieder ausgeben. Den reisen, andere Länder und Kulturen zu erleben, CS-Fachleuten zufolge verbrächten sie je nach ist nicht weg», sagt Urs Wagenseil, Tourismus- Beschränkungen bereits die Sommer- und experte an der Hochschule Luzern. Umfragen Herbstferien wieder vermehrt im Ausland. belegen das (siehe Grafik, Seite 22). «Sehr gros- se» oder «eher grosse» Sehnsucht nach Reisen Der Sturm auf Mallorca. Schon während der Pan- ins Ausland meldete im Februar 2021 fast die demie ging es trotz massiven Einschränkungen Hälfte der Befragten in einer Studie des Tou- weiter in die Ferne. Mehr als die Hälfte der ring-Clubs Schweiz an. Ähnliches zeigte eine Schweizer Reisenden verbrachte laut TCS-Stu- Umfrage von Hotelplan Suisse im April: 47 Pro- die im vergangenen Jahr mindestens drei Nächte zent gaben an, sie würden wieder ins Ausland im Ausland. Als Mallorca an Ostern wieder für reisen, sobald sie gegen Covid-19 geimpft seien. Touristen öffnete, löste das innerhalb weniger Auch Kreuzfahrten sind wieder hoch im Kurs. Stunden einen kleinen Buchungssturm aus. Air- Trotz frühen Corona-Massenausbrüchen und lines erhöhten ihre Kontingente. Mexiko oder die verpöntem CO2-Ausstoss. Anbieter freuen sich tansanische Ferieninsel Sansibar wurden zu «Die Sehn- über Rekordbuchungen aus der Schweiz. «Unser Buchungsstand ist so gut, wie er noch nie zu die- beliebten Orten für Partywütige. Die Destinatio- nen verlangten bei der Einreise weder einen sucht, zu sem Zeitpunkt des Jahres für zukünftige Jahre Coronatest, noch mussten Touristen in Quaran- verreisen, war», liess sich Anbieter Norwegian Cruise Line täne. Sansibar gab sogar vor, coronafrei zu sein. andere in den CH-Media-Zeitungen zitieren. Schwei- Diese Hotspots stehen sinnbildlich dafür, wie Länder und zerinnen und Schweizer buchten für dieses Jahr vermehrt Abfahrten aus Europa. Für die nächs- es nach der Krise weitergehen könnte. Hoffnun- gen auf einen anderen, nachhaltigeren Touris- Kulturen ten zwei Jahre gebe es viele Buchungen für Fern- mus werden hier zerschlagen. Im mexikanischen zu erleben, ziele, etwa Südsee, Panamakanal oder Karibik. Tulum etwa ging nach einem kurzen Lockdown ist nicht alles weiter wie bisher – wenn nicht schlimmer. weg.» Ein Plus von 4000 Franken. Das Geld für zusätz- Besuchende berichteten, dass es im Frühjahr liche Reisen hat man in der Schweiz. Im ersten, 2021 noch voller war als vor der Pandemie. Leute Urs Wagenseil, Tourismusexperte an zweimonatigen Lockdown sparte jeder Haushalt aus aller Welt machten Party. Trotz hohen Fall- der Hochschule Luzern 6000 Franken, meldet die Credit Suisse. Das ist zahlen. Oft ohne die vorgeschriebene Maske. Beobachter 13/2021 21
Das Fernweh ist noch da INFOGRAFIK: ANNE SEEGER UND ANDREA KLAIBER | TEXT: CAROLINE FREIGANG Nicht alle blieben zu Hause Das Reissen nach Reisen So viele Schweizer Reisende verbrachten So gross ist die Sehnsucht der Schweizer Bevölkerung im jeweils vorangehenden Jahr mindestens drei Nächte im Ausland. So viele blieben in der Schweiz. nach Reisen ins Ausland (Februar 2021). 68% aller Erwachsenen geben 100% an, dass Corona ihre 27% 22% 88% sehr gross Reisepläne beeinflusst sehr klein hat. 45 Prozent mussten 80% eine Reise stornieren. 51% 60% 55% 45% 40% 25% 25% sind wegen der eher klein eher gross Pandemie mit dem 20% Auto statt dem 12% Flugzeug verreist. 43 Prozent sind vom Zug 1% 0% Feb. 17 Jan. 18 Jan. 19 Feb. 20 Feb. 21 weiss nicht aufs Auto umgestiegen. 10 Tipps für nachhaltiges Reisen Labels Zeitpunkt Sich vor der Reise über Antizyklisch reisen, um das Zielland einlesen, Videos Übertourismus an beliebten ansehen, Labels von Reisever- Reisezielen zu vermeiden. Oft anstaltern und Hotels beachten. ist das preislich günstiger, und Informationen und Einordnung man kann Sehenswürdigkeiten gibt es etwa beim Labelführer geniessen, ohne sich gegen- von Fairunterwegs.org. seitig auf die Zehen zu treten. Flüge Buchung Reiseziel Direktflüge buchen, da Start Lieber direkt vor Ort oder im Eher nach Genf fahren als nach und Landung die Umwelt Reisebüro buchen. Reisebüros Goa jetten. Wenn es trotzdem besonders belasten. CO2-Ver- können spezifisch nach nach- Goa sein muss: dort eher brauch der geplanten Reise haltigen Angeboten suchen. lokal bleiben und sich in überprüfen und gleich kompen- Vor der Buchung nachfragen, Gegend und Kultur einfinden, sieren, etwa bei Myclimate.org – wie das Hotel mit Mitarbeiten- statt die grosse Rundreise die paar Franken liegen drin. den und Umwelt umgeht. zu absolvieren. 22 Beobachter 13/2021
Die beliebtesten Reiseziele vor und während der Pandemie In diesen Ländern verbrachten Schweizerinnen und Schweizer ihre längsten Auslandferien des vorhergehenden Jahres. 26% QUELLEN: GFS.BERN/TCS-REISEBAROMETER 2021 Befragt wurde die reisende Bevölkerung ab 18 Jahren: 21% im Februar 2020 und im Februar 2021. 19% 16% 15% 13% 11% 9% 9% 9% Spanien und Portugal Frankreich Deutschland, Österreich Italien restliches Europa und Liechtenstein 4% 2% 6% Nordamerika 3% 4% 3% Asien Naher Osten 9% 2% Afrika 9% 4% Lateinamerika Verkehrsmittel Nachhaltigkeit Ausrüstung Lieber mit dem Zug oder Hotel ohne Pool und Zimmer Auf Sonnencreme verzichten, Schiff statt mit dem Flugzeug ohne Klimaanlage buchen. auch wenn diese wasserfest ist. anreisen. Sich vor Ort lieber Mit knappen Ressourcen wie Sie verunreinigt Gewässer und mit dem öffentlichen Verkehr Wasser verantwortungsbewusst zerstört Korallen. Stattdessen statt mit dem Mietwagen umgehen. Faire Preise zahlen. eher auf lange, dünne Kleidung fortbewegen. Wenn Mietwagen, Wenn es zu günstig scheint, setzen, beim Schnorcheln nur so gross wie nötig. ist es das meistens auch. auf Lycrashirts. Dauer Konsumieren Lieber lange und langsam Lokal essen statt bei inter- reisen, statt viele Kurztrips an nationalen Ketten. Das unter- möglichst viele Destinationen stützt die lokale Wirtschaft. zu unternehmen. Slow Tourism Als Andenken lieber Produkte hat den Vorteil, dass man sich aus lokalem Handwerk mit- besser erholt und in die lokale bringen statt importierten Kultur eintauchen kann. Schnickschnack. Beobachter 13/2021 23
Venedig, Italien, September 2020 Der Bauboom im mexikanischen Tulum habe dern; zehnmal so oft wie der Weltdurchschnitt. sich im Coronajahr noch zugespitzt, berichtet Das dürfte sich auch durch Corona kaum ändern. Marietta M., die sich unter dem Namen Tulumi- Und nicht nur die Schweizer fliegen immer niña als Reiseführerin für nachhaltige Touren mehr. Weltweit soll sich die Zahl der Passagiere etabliert hat. «Sogar während des Lockdowns laut dem Dachverband der Fluggesellschaften wurden neue Hotelburgen hochgezogen, Urwald Iata bis im Jahr 2037 auf 8,2 Milliarden verdop- wurde abgeholzt.» Nach der Lockerung der peln. Weil sich vor allem der Flug schlecht auf Massnahmen kamen neue Beachclubs dazu, mit die Nachhaltigkeitsbilanz bei Reisen auswirkt, Open-Air-Flächen für Partys und Festivals. Frü- bleibt die grüne Wende wohl Wunschdenken. her sei sie in einer halben Stunde mit dem Velo «Es gibt keinen wirklich nachhaltigen Touris- zum Strand gefahren, sagt Marietta. Heute stehe mus, wenn man fliegt», sagt Mathias Binswan- sie dafür in der Hochsaison zwei Stunden im ger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Stau. Mit dem Velo sei die Strecke zu gefährlich. Fachhochschule Nordwestschweiz. «Die Entwicklung macht mich traurig.» Der Geist Dass die Swiss die Flotte reduziert und Hun- des einst besinnlichen Fischerdorfs sei an den derte Angestellte entlässt, wurde zwar als Zei- meisten Orten verschwunden. chen gedeutet, dass nach Corona weniger ge- flogen werde und die Preise steigen könnten. Zerstören, was man sucht. Was Marietta erlebt, Allerdings bezweifeln viele, dass die Schrumpf- erfuhren in den letzten Jahren viele Reisende, kur von Dauer ist. «Die Swiss nutzt die Krise als wenn sie vermeintliche Traumdestinationen Vorwand, um zu restrukturieren. Sie will zwar besuchten. Sie erwarteten Authentizität, Erleb- alte Flugzeuge abstossen, aber dafür auch neue «Nachhaltig FOTOS: ALAMY, FRANCOIS GUILLOT/AFP VIA GETTY IMAGES nisse, die nur ihnen gehörten. Zugleich sind sie kaufen», sagt Stefan Brülisauer, zuständig für reisen selbst dafür verantwortlich, dass dies zuneh- Luftfahrt beim VPOD. mend kaum mehr möglich ist. Auf Instagram Die Gewerkschaft zitiert Studien, wonach heisst geteilte Geheimtipps entwickeln sich schnell zur bereits Ende 2021 wieder ähnlich oft geflogen weniger überrannten, zugemüllten Horrordestination. wird wie vor der Krise. Auch die Europäische reisen. Touristen zerstören das gesuchte und gefundene Organisation zur Sicherung der Luftfahrt (Euro- Punkt.» Paradies gleich selbst wieder. Schweizerinnen und Schweizer tragen dank control) und der Dachverband Iata rechnen da- mit, dass der Flugverkehr 2024 oder spätestens Mathias Binswanger, ihrer Kaufkraft kräftig zu diesem Übertourismus- 2029 wieder das Niveau von 2019 erreicht. Ökonom, Problem bei. Sie waren schon vor Corona Flug- Die Swiss verzeichnet bereits für diesen Fachhochschule weltmeister, buchten laut WWF doppelt so häu- Sommer steigende Buchungszahlen. In den Nordwestschweiz fig den Flieger wie die Leute in den Nachbarlän- kommenden Wochen wolle man zahlreiche Ziele 24 Beobachter 13/2021
Paris, Frankreich, Juli 2020 wiederaufnehmen und sogar neue anfliegen. Die weniger Flugreisen. Man fliegt weiter, weil man Swiss-Muttergesellschaft Lufthansa bietet für ja kompensiert. Das schlechte Gewissen ist be- den Sommer «noch mehr Flüge in die Sonne» ruhigt. «Nachhaltig reisen heisst aber weniger und «so viele Feriendestinationen wie nie zuvor». reisen. Punkt», so Binswanger. Doch das wider- Nach der Pandemie könnten Reisen zeitweise spreche den Interessen der Reisebranche. «Nach- sogar noch günstiger werden. Anbieter, die auf haltigkeit ist vor allem ein Label, mit dem man die Masse abzielen, brauchen eine gewisse versucht, den Tourismus moralisch akzeptabel Grundauslastung. Sie dürften mit günstigeren zu gestalten, damit die Leute dann noch mehr Preisen locken, sagt Tourismusexperte Urs reisen.» Nach Corona werden Airlines versu- Wagenseil. Das prognostiziert auch Michael chen, den Flugverkehr hochzufahren, besonders O’Leary, Chef der Billigairline Ryanair. Er erwarte bei Langstrecken. «Hier ist weiter Wachstum bei Flügen ein massives Preisdumping. möglich. Die Leute wollen weiterhin reisen und global unterwegs sein», so Binswanger. «Umweltfreundlich» schreckt ab. Auch bei den Das dürfte an neuralgischen Punkten zu noch Reisewilligen dürfte die Pandemie wenig ver- mehr Dichtestress führen. Orte wie Florenz, ändert haben. «Die Leute reden gern über Nach- Venedig oder Amsterdam, die besonders vom haltigkeit, aber wenn es um konkrete Entscheide Übertourismus betroffen sind, haben die Pande- geht, spielt der Preis oft eine grössere Rolle», so miepause zwar genutzt. Sie erarbeiteten Kon- Ökonom Mathias Binswanger. Das bestätigt eine zepte, um besser mit den Massen umzugehen. Umfrage des Buchungsportals Booking.com: Es gibt aber Zweifel, dass diese auch wirken. Reisende machten einen Bogen um Angebote, Venedig will Besucherströme anhand von die als «eco-friendly» gekennzeichnet waren. Sie Kameraüberwachung und Handydaten besser «Die Swiss gingen davon aus, dass diese teurer wären. Und leiten. Kreuzfahrtschiffe sollen aus der Stadt ver- nutzt die die Pauschalreise mit dem Billigflieger in die bannt werden, eine Steuer für Tagestouristen Krise als Dominikanische Republik oder nach Thailand ist nun mal häufig günstiger als Ferien vor der soll Besuche verlängern. Francesco Penzo, der sich für ein lebenswertes Venedig engagiert, ist Vorwand, Haustür. Das Problem verschärft sich, weil die jedoch skeptisch, dass sich etwas ändert. Er er- um zu besonders klimaschädlichen Umsteigeflüge oft warte vielmehr eine «noch stärkere soziale Spal- restruktu- preiswerter sind als Direktflüge. Viele buchen tung», sagte er kürzlich dem «Tages-Anzeiger». rieren.» solche Verbindungen, um Geld zu sparen. Eine wirtschaftliche Krise sei zu befürchten – Massnahmen, um den Tourismus nachhalti- und vieles deute darauf hin, dass sie zum Tot- Stefan Brülisauer, zuständig für Luftfahrt ger zu gestalten, etwa CO2-Kompensationen, schlagargument werde, um dem Massentouris- beim VPOD führen laut Binswanger nicht zwangsläufig zu mus sogar noch mehr Raum zu überlassen. Beobachter 13/2021 25
Rio de Janeiro, Brasilien, März 2020 Viele, die vom Tourismus leben, sind zwie- Auf eigene Faust im Internet nachhaltige An- gespalten, worauf sie nach Corona hoffen sollen. gebote zu finden, ist oft schwierig. Viele Hotels Denn das Wegbleiben von Touristen wäre eine und Reiseanbieter schmücken sich zwar mit wirtschaftliche Katastrophe. Millionen Jobs Versprechen zu Nachhaltigkeit. Häufig steckt hängen von der Branche ab. «Bei Nachhaltigkeit aber wenig dahinter. Das sieht auch Tourguide im Tourismus geht es nicht nur ums Klima, Marietta in Tulum. Hier priesen sich viele Hotels sondern auch darum, die lokale Bevölkerung fair als «öko» an – hätten aber doch Klimaanlagen zu behandeln und rücksichtsvoll mit der Natur und Pools, liessen ihren Müll und ihr Abwasser umzugehen», sagt Jon Andrea Florin von Fair- im Urwald deponieren, bezahlten Mitarbeitende unterwegs.org, einem auf nachhaltiges Reisen schlecht. Ausflüge würden mit riesigen Jeeps spezialisierten Portal. gemacht, auf die Natur werde wenig geachtet. Man müsse eine Balance finden zwischen Marietta will in Mexiko eine Alternative an- Fernweh und verantwortungsvollem Reisen. Das bieten. Auf ihren Touren gibt es kein Plastik, alle bedeute vor allem, langsamer, bewusster und füllen ihre Trinkflasche an einem grossen Tank. lokaler zu reisen (siehe Tipps, Seite 22). Ein lokal Das Mietauto für die Fahrt zu den entfernten geführtes Hotel sei meist besser für die Leute vor Sehenswürdigkeiten ist nur so gross wie nötig. Ort und die Umwelt, besonders wenn es genos- Teilnehmende lernen etwas über das komplexe senschaftlich oder als Stiftung funktioniere. So Ökosystem der Region. Mariettas Philosophie: bleibe ein grösserer Teil des erwirtschafteten Gel- Wer die Natur versteht, ist gut zu ihr. des im Land als bei einer internationalen Kette. Ihr Spezialprogramm ist teurer als viele Tou- ren, die in Tulum angeboten werden. Dafür Ein Argument fürs Reisebüro. Florin rät Reisen- spricht sie Reisende an, die ein vertieftes Inte- «Nach- den, auf Labels zu achten. Weil es davon aber zu resse am Meer, am Urwald und an der Kultur haltigkeit viele gebe, brauche es ein globales Dachlabel – mitbringen. Marietta hat sich ihr eigenes kleines heisst auch, ähnlich dem Max-Havelaar-Label für Lebens- Paradies geschaffen – abseits der ausgetretenen die lokale mittel. An einem entsprechenden Konzept arbei- Pfade. Damit das so bleibt, versieht sie gepostete FOTO: RICARDO MORAES/REUTERS tet die Reiseinitiative Travelyst. Sie möchte auf Bilder auf ihrem Instagram-Account nicht mit Bevölke- grossen Buchungsplattformen einen Filter für einem Geotag – damit der Ort nicht automatisch rung fair zu nachhaltige Angebote einbauen. Eine vergleich- zu finden ist. Gästen rät sie ebenfalls davon ab. behandeln.» bare Vorselektion können Schweizer Reisebüros «Auch ich werbe über Instagram für meine Tou- seit kurzem über das Buchungssystem Travel- ren», sagt sie. «Aber eher indem ich auf Umwelt- Jon Andrea Florin, port anbieten. Entsprechend kann es sinnvoll probleme aufmerksam mache. Naturschutz und Fairunterwegs.org sein, im Reisebüro statt im Internet zu buchen. Tourismus müssen kein Gegensatz sein.» 26 Beobachter 13/2021
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