Reisen für mehr wissen mit miesem Gewissen - Trotz aller Einwände wie "Lass die klimaschädliche Fliegerei!" und "Warum in die Ferne schweifen?" ...
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Bio r a m a 63 B ILDUNG SREISE 37 Text UND BILD Susanne Salzgeber Reisen für mehr Wissen mit miesem Gewissen Trotz aller Einwände wie »Lass die klimaschädliche Fliegerei!« und »Warum in die Ferne schweifen?« empfindet die Autorin eine kurze Ägypten-Reise als bereichernden Bildungsurlaub und befriedigende Kulturreise. Der Versuch einer Rechtfertigung. E ine Frage stellt sich mir prinzipiell: Reist wenn die deutschen TouristInnen Angst haben, man in ein Land, das von autoritärem mein Land zu besuchen«, erklärt Mahmut. Wir Herrschaftsstil, Repressionen und Men- stehen vor dem Sphinx, einem 20 Meter hohen schenrechtsverletzungen geprägt ist? Standbild vor der Pyramide des Cheops. Ägyp- Meine Antwort lautet: Ja, weil weder Mahmut tologInnen datieren seine Entstehung auf ca. noch Nagib oder Tari etwas für ihren Präsi- 2500 vor Christus und schätzen, dass die stol- denten, den ehemaligen General Abdel Fattah ze Wächterfigur von ungefähr 100 Steinmetzen al-Sisi, können. Mahmut spricht sehr gut innerhalb von drei Jahren in einem Stück aus Deutsch, weiß viel über ägyptische Archäolo- dem Kalkstein herausgehauen wurde. gie und verdient seinen Lebensunterhalt mit Unweit davon entfernt erheben sich die TouristInnen wie mir, die ihn für einen oder Pyramiden von Gizeh, eines der sieben Welt- mehrere Tage als Reiseführer buchen. Er ist wunder. Bis heute weiß man nicht mit Bestimmt- auch nicht verantwortlich für Anschläge des heit, wie die alten ÄgypterInnen es schafften, »Islamischen Staats« auf koptische Christ dieses künstliche Gebirge aus zehn Millionen Innen, ihm sind die terroristischen Attentate Tonnen Stein in den Sand am Rande Kairos zu auf TouristInnen in seinem Land ein Gräuel. setzen. Beeindruckend sind diese Grabmäler, »Ich kann meine Familie nicht mehr ernähren, auch wenn die Pyramiden unzweifelhaft eine
B io r a m a 6 3 B ILDUNG SREISE 38 Architektur der Macht darstellen, die für vie- schrieben haben. Der Austausch ist wichtig le Tausend Menschen unendliche Mühsal und für den Gast, aber auch für die Einheimischen. Leid bedeuteten. Entgegen früheren Vermu- Voraussetzung hierfür: Die Einnahmen müs- tungen aber waren die Nekropolenarbeiter kei- sen direkt den Menschen vor Ort zugutekom- nesfalls Sklaven, sondern angesehene Ägypter, men. Internationale Hotelketten sind tabu. von denen viele beim Pyramidenbau ihr Leben Ägyptische Reedereien mit einheimischem ließen. Um dieses Wissen zu erlangen, muss Personal werden für die Nilkreuzfahrt gebucht, man den Ort nicht besucht haben. Aber dem auch wenn sie eventuell weniger Komfort ver- magisch Rätselhaften, das den Sphinx umgibt, sprechen als Steigenberger und Konsorten. und der beeindruckenden Präsenz der Statue Aber wie kommt man nach Kairo, Luxor oder Wassermangel am vor der atemberaubenden Bühne der Pyrami- Assuan? Ja, in vier bis fünf Stunden mit dem Blauen Nil verstärkt den kann man sich nicht entziehen, egal wie Flieger ab Mitteleuropa. Muss man, um die durch Klimawandel: viele andere Menschen ebenfalls die alten Stei- altägyptische Kultur kennenzulernen, 1,6 Der Konflikt ums Wasser zwischen Ägypten, ne besichtigen. Man will mehr über die Bau- Tonnen Kohlendioxid ausstoßen? Oder reicht Sudan und Äthiopien geschichte, den Alltag der Menschen vor vier es, die Büste der Nofretete im Neuen Muse- ist programmiert. Jahrtausenden, die Dynastien der Pharaonen um zu besuchen, um zu der Erkenntnis zu Der Nil, der mit 6671 km und die altägyptische Mythologie erfahren. In gelangen, es mit einer großartigen Hochkul- längste Fluss der Erde, diesen Sog gerate ich nicht, wenn ich auf dem tur zu tun zu haben? Schließlich sollte Napo- durchquert die östliche Sofa einen kunsthistorischen Bildband lese leon nicht folgenlos seiner Ägypten-Leiden- Sahara von Süd nach Nord. An seinen fruchtbaren Ufern oder durch die Ägyptische Sammlung des Neu- schaft gefrönt haben, als er Pharaonengräber siedeln die Menschen, en Museums in Berlin schlendere. samt Mumien und Grabbeigaben nach Europa hier spielt sich das schaffen ließ. Die Entzifferung der Hiero gesellschaftliche Leben ab, der weg zur erkenntnis glyphen wurde von ihm beauftragt. Vieles, was hier gibt es Landwirtschaft Bei allem Interesse für das Historische spre- wir heute über Altägypten vor mehr als 4000 und es wird Strom aus erneuerbaren Energien che ich auf der Reise mit ÄgypterInnen von Jahren wissen, wurde mithilfe von erzeugt. Alle müssen heute, denen ich bei mir zu Hause nicht be- Grabräuberei erforscht und in unzähligen genug von der Lebensader gegne. Reicht das schon aus, um von einer »Bil- Publikationen veröffentlicht. abbekommen, zumal wenn dungsreise« zu sprechen? »Der Kulturbergriff Mittlerweile ist der Weg für Bildungsreisen- die Trockenheit immer größer wird. Das afrikaweit hat sich gewandelt, es geht nicht darum, nur de nach Ägypten ein fast zwangsläufig recht größte Staudammprojekt das Alte zu suchen, sondern auch bewusst dem klimaschädlicher. Die Landstrecke mit dem Grand Ethiopian Neuen, also der Lebenswirklichkeit der Men- Auto über Syrien empfiehlt sich nicht, und Renaissance Dam (GERD) schen in anderen Kulturen, zu begegnen«, er- die Fährverbindung zwischen Venedig und soll 2022 fertiggestellt sein. klärt Petra Thomas, Geschäftsführerin des Fo- Alexandria existiert leider nicht mehr. Man Die ÄgypterInnen fürchten, dass dadurch nicht mehr rums Anders Reisen, eines Zusammenschlusses kommt ums Flugzeug schwer herum. Warum genügend Nilwasser von kleinen bis mittelgroßen Reiseagenturen, also hinfliegen und – trotz freiwilliger atmos- bei ihnen ankommt. die sich dem nachhaltigen Tourismus ver- fair-Abgaben – dem Klima schaden?
Abenteuer im kopf ORF RADIOKULTURHAUS Reisen bildet! Das kann auch das Internet, es kön- Argentinierstraße 30a, 1040 Wien nen Bücher, Dokumentationen, Podcasts. Aber Rei- sen bildet auch anders. Indem es einem ermöglicht, Erfahrungen mit Menschen anderer Kulturen und SoloTogether Traditionen zu sammeln und sich selbst als Frem- 2 KÜNSTLER/INNEN, 2 SOLO-LIVE-SETS, de in ungewohnten Gefilden zu erleben. Alexander EIN GEMEINSAMES KONZERT von Humboldt (1769–1859), Geograph, Forscher und Weltreisender, bringt es auf den Punkt: »Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Wel- tanschauung der Leute, welche die Welt nicht an- geschaut haben.« Er hatte gut reden, erbte er doch ein Vermögen und konnte fünf Jahre durchgehend auf Reisen sein. Treibhausgase produzierte er da- bei weniger als wir heute bei zwei Langstrecken- flügen innerhalb von zwei Wochen. Und trotzdem will ich nicht auf manche Erfahrungen, die Fliegen 28.10.2019 notwendig machen, verzichten. Weil ich mir, um- ANDREAS SPECHTL & FAUNA geben von Wüste, vorstelle, wie viel unentdeck- te Gräber im Tal der Könige vor sich hin schlum- 21.11.2019 mern, oder mit wie viel Klugheit und Stolz die Pha- RAUMSCHIFF ENGELMAYR raonin Hatschepsut ihre Position als Herrscherin & CLARA FRÜHSTÜCK im 15. Jahrhundert v. Chr. verteidigen musste. Die klassisch-modern anmutende Architektur ihres 04.12.2019 Totentempels in Deir el-Bahari, erbaut vom Bau- MEAGHAN BURKE meister Senenmut, lässt erahnen, wie außerge- & ANGELICA CASTELLO wöhnlich diese Regentin gewesen sein muss. blaues gold In einem Land, das zu über 95 Prozent aus Wüs- te besteht, leuchtet es ein, wie überlebenswichtig der Nil ist, der als einzige bedeutende Wasserader Leben und Landwirtschaft ermöglicht. Noch vor dem Bau der großen Assuan-Staudämme durfte er ein Mal im Jahr die Ufer weiträumig überschwem- Fotos: Andreas Spechtl © Max Zerrahn – FAUNA © Apollonia Bitzan men und brachte Fruchtbarkeit durch den Schlamm, Raumschiff Engelmayr © Engelmayr – Clara Frühstück © Moritz Schell Meaghan Burke © Sascha Osaka – Angelica Castello © Burkhard Stangl ORF. WIE WIR. ORF. WIE WIR. INFOS UND ONLINE-TICKETS: o-Livestream au ch als Vide radiokulturhaus.ORF.at ulturhaus.ORF.at auf radiok ORF. WIE WIR.
B io r a m a 6 3 B ILDUNG SREISE 40 den er mit sich führte. Nur leider blieb die jähr- gruppe und verschiedener ngos geworden. Es liche Flut manchmal aus, und die wachsende gilt als eines der weltweit führenden Sozialun- Bevölkerung war von Hungersnöten bedroht. ternehmen mit 2000 Beschäftigten und 400 Südlich von Assuan wurde deshalb der Nil zu landwirtschaftlichen Partnerbetrieben, alle einem gewaltigen See mit einer Fläche von Unternehmensbereiche sind fairtradezertifi- 5250 Quadratkilometern aufgestaut, der bis ziert. 2012 wurde die Heliopolis-Universität in den Sudan reicht. Der 1971 ein- für nachhaltige Entwicklung unter Federfüh- geweihte Damm hält die jährliche rung von Sekem ins Leben gerufen. Der Name Nilflut zurück und lässt eine regu- Sekem leitet sich übrigens von einer altägypti- lierte Wassermenge weiterfließen, schen Hieroglyphe ab und bedeutet so viel wie sodass Landwirtschaft durch ganz- »Vitalität« bzw. »Kraft der Sonne«. Die Oase jährige Bewässerung möglich ist. Sekem kann man übrigens besuchen und dort Aber wegen des jahrzehntelangen in einem behaglichen Guesthouse inmitten der Einsatzes von Kunstdüngern und Farm übernachten. chemisch-synthetischen Pestiziden Über 680 Hektar fruchtbaren Boden konn- droht Ägypten eine ökologische Ka- te die Sekem-Initiative der Wüste in den letz- tastrophe, weil die Böden versalzen ten 42 Jahren abspenstig machen. Kräuter, Ge- und verwüsten. müse, Hülsenfrüchte und Baumwolle wachsen Mahmut spricht fließend auf dieser Fläche. Ibrahim Abouleish erhielt Deutsch und verdient seinen 100 Prozent ökologisch bewirtschaftet 2003 für sein Projekt den Alternativen Frie- Lebensunterhalt als Guide Dem entgegensteuern möchte die Sekem-Initi- densnobelpreis, er starb 2017. Sein Sohn Helmy für TouristInnen wie Ula, die ative. Ihre ambitionierte Vision für die nächs- Abouleish setzt die Arbeit seines Vaters konse- an ägyptischer Archäologie ten 40 Jahre: Ägyptens Landwirtschaft soll zu quent fort. Spricht man Helmy auf die aktuel- interessiert sind. hundert Prozent ökologisch bewirtschaftet le politische Situation im Land an, antwortet und die Stromversorgung zu hundert Prozent er mit viel Optimismus, weil er sieht, dass die aus erneuerbaren Energien gespeist werden. ÄgypterInnen selbstbewusster geworden sind, Unrealistisch? Das dachten sich alle, als Ibra- auch wenn das Land weit entfernt ist von ei- him Abouleish 1977 die Sekem-Initiative mitten nem demokratischen System. Seine Vision, im in der ägyptischen Wüste auf 70 Hektar Land, Jahr 2050 100 Prozent ökologischen Anbau 60 Kilometer nordöstlich von Kairo, gründe- zu verwirklichen, hält er für ambitioniert, zu- te. Seine Vision: Er wollte die Wüste wieder mal der aktuelle Anteil bei zwei Prozent liegt. »Ägypten ist ein fruchtbar machen. Mit biodynamischen Me- »Aber eine andere Chance haben wir nicht.« Geschenk des Nils«, thoden revitalisierte er das Wüstenland und Wer sich mit Helmy Abouleish unterhält, damit bringt der griechische Geschichtsschreiber gründete ein landwirtschaftliches Unterneh- erfährt viel über dessen Land, die Menschen Herodot die Geographie men. Mittlerweile ist Sekem zum Dach einer und die Ideen der Sekem Initiative, die Welt zu Ägyptens auf den Punkt. facettenreichen agrarischen Unternehmens- einem besseren Ort machen. Nur eine Stunde von den Pyramiden entfernt: Auf der Sekem-Farm kann man übernachten und individuelle Ausflüge buchen.
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