RICHARD SCHOBER, Politischer Katholizismus am Fallbeispiel Deutschtirols, in "Studi trentini di scienze storiche. Sezione prima" ISSN: ...

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RICHARD SCHOBER, Politischer Katholizismus am Fallbeispiel Deutschtirols, in
«Studi trentini di scienze storiche. Sezione prima» (ISSN: 0392-0690),
72/4 (1993), pp. 601-634.

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Studi Trentini di Scienze Storiche   A. LXXII Sezione I - 4 pagg. 601-634 Trento 1993

POLITISCHER KA THOLIZISMUS AM
FALLBEISPIEL DEUTSCHTIROLS '~)

R1cHARD ScHOBER

     Das 19. Jahrhunder war nicht nur in deutschen Landen, sondern
in ganz Europa gepragt von wesentlichen ideologisch-politischen Ver-
anderungen. Es war das Jahrhundert der Umsetzung der Aufkliirung in
politische Wirklichkeit, es war das Jahrhundert der Entwicklung des
modernen parlamentarischen Systems. Wenn auch Anton Pelinka im
Falle 6sterreich nicht zu unrecht von einem halbparlamentarischen
System bis 1918 spricht 1), so kann doch nicht tibersehen werden, daf3
am Ende des Jahrhunderts sich Massenparteien, wie die Christlichso-
zialen und die Sozialdemokraten, gebildet hatten, die auf weiterftih-
rende Demokratisierungsschritte drangten. Die genannten Parteien
wurden nach der Jahrhundertwende zu Tragern jener demokratiepoli-
tischen Entwicklung, die schlief31ich zur heute noch in ihren Grundzti-
gen geltenden Bundesverfassung von 1920 2) ftihrte.
     Die Transformation der Aufkliirung in reale Politik hat zu einer
zweifachen Emanzipation geftihrt. Einerseits zur Emanzipation des
Staates von der Kirche - ein Prozef3, der im wesentlichen durch die

    '') Vortrag gehalten im Tiroler Geschichtsverein in. Innsbruck am 12. Dezember
1991.
    1)   RAINER N1cK - ANTON PELINKA,        Parlamentarismus in Osterreich, Wien-
Milnchen 1984, S. 29.
    2 ) Zum Entstehen der osterreichischen Bundesverfassung vgl. insbesondere Ge-

org Schmitz, Die Vorentwurfe Hans Kelsens fur die osterreichische Bundesverfas-
sung (= Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts, Bd. 6) Wien 1981 und die darin
angefilhrte weiterfilhrende Literatur.

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Beseitigung des Konkordates von 1855 abgeschlossen war - anderer-
seits zur Emanzipation des Staatsbtirgers durch die Garantie der btir-
gerlichen Freiheitsrechte in der Dezemberverfassung von 186 7. Ge-
tragen wurde diese zweifache Emanzipation vom Liberalismus, der
bereits im Vormarz subkutan sich formierend, zur entscheidenden
politischen Kraft der Revolution von 1848 wurde, um dann die Ara des
Neoabsolutismus tiberdauernd mit ungebrochener Kraft das Verfas-
sungswerk von 186 7 mit seinem Geist zu erfilllen. Damit hatte der
politische Liberalismus allerdings seine historische Aufgabe als politi-
sche Bewegung bereits erfilllt. Als elitare btirgerliche Honoratioren-
partei, die nur Dank des Kurienwahlsystems zu Macht und Einfluf3
kam, muf3te gerade jener einanzipatorische Prozef3, den er selbst initii-
ert hatte, im Zuge einer fortschreitenden Demokratisierung zum Ver-
fall des politischen Liberalismus filhren.
      Als Ideologie allerdings erlangte der Liberalismus eine Tiefen- und
Breitenwirkung wie keine andere geistige und politische Bewegung im
19. Jahrhundert. Insbesondere das aufstrebende Bilrgertum - Vertre-
ter der Wirtschaft, der Wissenschaft und der freien Berufe - war der
Trager dieser politischen Richtung.
      In den verschiedenen Landern und Staaten Europas trat der Libe-
ralismus in sehr differenzierten Formen und eigenttimlichen Varianten
auf. Die osterreichische Variante 3) war etwa im Gegensatz zu Italien
oder Spanien zunachst nicht explizit kirchenfeindlich - vor allem der
Liberalismus der sechziger Jahre wuf3te die Werte der Religion zu
schatzen -, er war aber bestrebt, sie aus dem offentlichen Leben indie
Sphare des Privaten zu verdrangen.
Tiefverwurzelt im josefinischen Gedankengut und erfilllt von einem
starken Bildungsoptimismus, glaubte er an die Herrschaft der mensch-
lichen Vernunft, an die unbedingte Perfektibilitat des Menschen, an
den Primat der Vernunft und des Verstandes gegentiber der Seele.
      In den sechziger Jahren war die liberale Bewegung insbesondere
vom staatstreuen und staatserhaltenden Beamtentum getragen. Erst als
die Vertreter der'Wirtschaft, der Wissenschaft und der freien Berufe in
den siebziger Jahren das josephinisch gesinnte Beamtentum ablosten,

     3) Zum Liberalismus in 6sterreich vgl. Kart Eder, Der liberalismus in Altoster-
rèich. Geisteshaltung, Politik und Kultur (= Wiener Historische Studien, Bd. 3),
Wien-Mi.inchen 1955; GEORG FRANz, Liberalismus. Die deutschliberale Bewegung in
der Habsburgermonarchie, Mi.inchen 1955; EDUARD W1NTER, Friihliberalismus in
der Donaumonarchie, Berlin 1968.

602
wurden antikirchliche Tone !aut, welche allerdings noch immer nicht
mit den etwa im laizistischen ltalien erschallenden Kampfesrufen ver-
gleichbar waren.
     Die Rahmenbedingungen filr den an die stadtisch-industrielle Ge-
sellschaftsschicht gebundenen Liberalismus waren in Òsterreich denk-
bar schlecht. Die Doppelmonarchie bewahrte im 19. Jahrhundert star-
ke agrarstaatliche Strukturen. Die Dynastie war streng katholisch, Kai-
ser Franz Josef stand den liberalen Verfassungsreformen innerlich ab-
lehnend gegeni.iber und beni.itzte 1879 die erste Gelegenheit, das libe-
rale Regierungssystem durch das Kabinett des dem politischen
Konservativismus zuneigenden «Kaiserministers» Taaffe zu erset-
zen 4). In den Landtagen, in denen die Liberalen i.iber eine Mehrheit
verfilgten, verdankten sie diese dem Kurienwahlsystem, im Reichsrat
meist der Absenz der staatsrechtlichen Opposition von Bohmen. Die
liberale Politik hatte daher wenig Ressonanz in der Masse der Bevolke-
rung, die allerdings damals noch nicht zu den Urnen gehen konnte.
     Tiro! war sicherlich das Kronland, in dem sich der Liberalismus
am schwersten tat. Eine festgefilgte, von den Bauern dominierte, von
Geistlichkeit und konservativem katholischen Ade] beherrschte Ge-
sellschaft gaben den liberalen Intellektuellen auBerhalb der Universitat
und dem Ghetto der Honoratiorenzirkel in den Stadten wenig Chan-
cen. Da fruchtete auch die Untersti.itzung einiger weniger Adeliger der
GroBgrundbesitzerkurie nicht vie!.
     Zum schweren Gewicht der Zahl der Bauern kam noch die starke
Verbindung des LandesbewuBtseins, der Identifikation des Tirolers
mit dem bewahrenden, also dem konservativen Gedanken. Integrati-
ver Bestandteil der Tiroler Identitat war neben der filr alle politischen
Gruppierungen selbstverstandlichen Treue gegeni.iber dem Kaiser-
haus die Treue zur Katholischen Kirche. Die gem.einsame Herrschaft
von Thron und Altar hat in Tiro! weder der Zeitgeist der 48-er Revolu-
tion noch die Einfilhrung des osterreichischen Halbparlamentarismus
erschi.ittern konnen. Bezeichnenderweise begni.igten sich die Tiroler
1848 mit der Forderung nach einem standisch zusammengesetzten
etwas erweiterten Landtag 5 ), also mit einer Struktur wie sie in etwa

    4) Zum Verhaltnis des «Kaiserministers» Taaffe zum politischen Tiroler Katholi-
zismus vgl. Richard Schober, Die Tiroler Konservativen in der Ara Taaffe, in: Mittei-
lungen des Osterreichischen Staatsarchivs 29 ( 1976), S. 258-314.
      S) R1cHARD ScHOBER, Geschichte des Tiroler Landtags im 19. und 20. Jahrhun-
clert (= Veroffentlichungen des Tiroler Lanclesarchivs 4), lnnsbruck 1984, S. 103 ff.

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vor der Aufhebung des Landtages durch die Bayern im Jahre 1808
bestanden hat. Auch im parlamentarischen Landtag nach 1861 er-
scholl bis zur Jahrhundertwende kein Ruf nach Erweiterung des Wahl-
rechtes. Erst 1914 wurde eine erweiterte Wahlordnung 6), allerdings
noch immer basierend auf dem Kurienwahlrecht beschlossen.
     Die Bewahrung des Hergekommenen, bestenfalls dessen evolutio-
nare Weiterentwicklung, genoB in Tiro! angesichts der erdrtickenden
konservativen Mehrheit sicherlich Prioritat vor der Umsetzung fort-
schittlichen Gedankengutes.
     Im Verhaltnis zu seiner numerischen Schwache spielte der Libe-
ralismus im konservativ dominierten Tiro! in der Offentlichkeit eine
tiberdimensionierte Rolle: Die intellektuelle Kapazitat der Liberalen,
die meist dem Bildungsbtirgertum angehorten, wirkte sich in dieser
Beziehung ebenso aus, wie die Tatsache, daB sie tiber ein schlagkrafti-
ges Pressewesen verftigten.
     Mit Hilfe dieser Mittel konnten sie der erdrtickenden konservati-
ven Mehrheit einen erstaunlich ehgagierten Kulturkampf liefern, der
das Land jahrzehntelang zumindest bis zur Verabschiedung des Lan-
desschulgesetzes von 1892 7) in seinen Bann schlug.
     Es kann nicht Aufgabe dieser Abhandlung sein, die einzelnen Pha-
sen dieses Kulturkampfes darzustellen - das hat umfassend und einge-
hend der inzwischen durch seine Geschichte Tirols im 19. Jahrhun-
dert bekannt gewordene Stidtiroler Historiker JosefFontana getanB) -,
wir werden aber einige wesentliche Entwicklungen in jenen Jahrzehn-
ten naher beleuchten. Ein Fazit sei vorweggenommen: Konservative
Politik war im Tiro! jener Zeit gleichzusetzen mit klerikaler Politik, die
hinter den Kulissen von den Bischofen und vor den Kulissen oft von
Geistlichen gemacht wurde. Eine machtvolle klerikale Politik betrieben
in den ersten beiden Jahrzehnten der parlamentarischen Ara insbeson-
dere der Ftirstbischof Vinzenz Gasser von Brixen 9) - er war Ftirstbi-

    6) Vgl. dazu R1cHARD ScHOBER, Der Kampf um die Landtagswah/reform in Tiro/
van 1900 bis 1914, in: Tiroler Heimat 37 (1973), S. 66 ff.
    7) JosEr FONTANA, Der Kulturkampf in Tiro/ 1861-1892 (= Schriftenreihe des
Sudtiroler Kulturinstituts Bd. 6), Bozen 1978, S. 395 ff.
    B) Wie Anm. 7.
    9) Zu V1NzENz GASSER vgl. JosEF GELMI,   Die Brixner Bischofe in der Geschichte
Tirols, Bozen 1984, S. 233-242.

604
schof von 1856-18 79 - und der Landtags- und Reichsratsabgeordnete
Josef Greuter 10), der von 1864-1888 politisch tatig war. Diese beiden
Vertreter des Tiroler politischen Katholizismus wurden zu den ldolen
einer ganzen Generation ihnen nachfolgender konservativer Tiroler
Politiker. Insbesondere in der Zeit des Bruderkampfes zwischen Kon-
servativen und Christlichsozialen um die Jahrhundertwende 11 ), der
noch naher zu beleuchten sein wird, wurde der Ruf nach einer konse-
quenten klerikalen Politik, wie sie Greuter und Gasser betrieben hat-
ten, immer lauter. Relativ moderaten Bischofen wie Simon Aichner 12 )
und Josef Altenweisel 13 ) von Brixen wurde Vinzenz Gasser als strah-
lender Heros des politischen Katholizismus und nachzuahmendes Bei-
spiel vorgehalten.
     Und in der Tat: Gasser und Greuter hatten schon am Beginn der
konstitutionellen Ara in der Frage der Glaubenseinheit Tirols einen
das ganze Land in seinen Bann schlagenden politischen Akt gesetzt.
Den Wunsch nach der Bewahrung der Glaubenseinheit hatte bereits
der Tiroler Landtag von 1848 ausgesprochen 14), damit bestatigte er
indirekt nochmals seine Haltung anla/3lich der Ausweisung der Ziller-
taler Inklinanten in den 30-er Jahren 15 ). Nun stand der politische Ka-
tholizismus in Tiro! vor der Herausforderung, die das Protestantenpa-
tent von 1861 16 ) darstellte. Filrstbischof Gasser lie/3 keinerlei Spiel-
raum filr eine Modifizierung des Protestantenpatentes. Die Forderung
des vom Bischof geleiteten politischen Katholizismus war klar: Aufhe-
bung der Gilltigkeit des Protestantenpatentes filr Tirol durch ein Lan-

     1°) Zu JosEF GREUTER vgl. GERmuo KRETSCHMAR, Monsignore Josef Greuter und
die Tiroler Konservativen, Masch. Diss., Wien 1949.
     1 1) Vgl. dazu R1cHARD ScHOBER, Das Verhiiltnis der Katholisch-Konservativen
zu den Christlichsozialen in Tiro! bis zu den Reichsratswahlen van 1907, 1. und 2.
Teil, in: Tiroler Heimat 38 ( 1974) und 39 ( 1975), S. 138-173 und 155-193.
    12)   Vgl. zu S1MoN A1cHNER, Gelmi, ebendort, S. 248-252.
    13)   Vgl. zu JosEF ALTENWEISEL, Gelmi, ebendort, S. 253-255.
    14)   SCHOBER, Tiroler Landtag,   s.   233.
     • 5 ) GusTAV GAsTEIGER, Die Zillertaler Protestanten und ihre Ausweisung aus
Tiro{ - eine Episode aus der vaterliindischen Geschichte, Meran 1892; EKKART
SAusER, Die Zillertaler Jnklinanten und ihre Ausweisung im Jahre 183 7 (= Schlern-
Schriften 198), Innsbruck 1959.
    16)   Vgl. dazu JosEF FONTANA, Kulturkampf, S. 43 ff.

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desgesetz, das das Recht der offentlichen Religionsausi.ibung nur der
katholischen Kirche zugestand.
      Die Bewegun?. des Tiroler Volkes zur Durchsetzung der Glau-
benseinheit war wahrend der Landtagssession im Fri.ihjahr 1861 eine
so gewaltige, da/3 es nur wenige Liberale wagten, offen gegen den
Strom zu schwimmen. Aber auch diejenigen, welche die Stimme ge-
gen die Antrage des Bischofs erhoben, verbanden ihre Kritik mit dem
prinzipiellen Bekenntnis zur Glaubenseinheit. Die Antrage von Gasser
wurden schlief3lich im Landtag mit i.iberwaltigender Mehrheit ange-
nommen; selbst der Grof3teil der Liberalen stimmte fi.ir sie.
      Die Zuri.ickweisung dieses Landesgesetzes durch den liberalen
Ministerprasidenten war das Signa! fi.ir den zunachst von den Tiroler
Konservativen gefi.ihrten foderalistischen Kampf gegen Wien, der letzt-
lich unter ganz anderen Vorzeichen in den verschiedensten Varianten
bis heute anhalt.
      Die Frage, bricht Reichs- Landesrecht oder umgekehrt, be-
herrschte i.iber Jahrzehnte die verfassungsrechtliche Debatte. Indem
sich der politische Katholizismus dem Foderalismus verschrieb, festig-
te er von Beginn der parlamentarischen Ara an erheblich seine Posi-
tion, denn neben dem katholischen Glauben war das Grundgefi.ihl von
Freiheit und Selbstbestimmung im Umfeld des unmittelbaren Lebens-
bereiches, eben des Landes, hauptsachliches Merkmal der Tiroler
Identitat.
      Die endliche Losung der Glaubenseinheitsfrage im Jahre 1866 17 )
war fi.ir die Konservativen eine Kompromif3losung. Die Landesvertre-
tung konnte die Bildung protestantischer Gemeinden verhindern; der
Kompromi/3 bezi.iglich der Freigabe des Realitatenerwerbs durch Pro-
testanten war, objektiv gesehen, ein zweitrangiges Problem, da dieser
kaum zu einer wesentlichen Vermehrung der Evangelischen in Tiro!
fi.ihren konnte.
      Bei allem Verstandnis fi.ir die katholische Tradition des Landes
zeigt die Behandlung der Glaubenseinheitsfrage durch den politischen
Katholizismus, auch unter Beri.icksichtigung der demokratische.n Legi-
timation dieser Entscheidung, Ansatze zu fortschrittsfeindlicher Intole-
ranz gegeni.iber Andersdenkenden. Letztlich war diese Glaubensein-
heitspolitik doch nur ein Teil der allgemeinen staatsrechtlichen Ausein-

      17)   Ebenda, S. 95-100.

606
andersetzung mit dem liberalen Zentralismus. Bewegte die Glaubens-
einheitsfrage die Tiroler Politik am Beginn der parlamentarischen Ara
nur relativ kurz, so war der Kampf um die katholische Volksschule 18)
ein Dauerbrenner des Tiroler politischen Katholizismus, dem dieser
alles andere, nicht nur berechtigte soziale Anliegen der Lehrerschaft,
sondern auch das Verhaltnis zur Regierung unterordnete. Indie Schul-
frage - ausgelost durch das liberalen Geist atmende Reichsvolksschul-
gesetz 19 ) - packten die Tiroler Konservativen alles, was sie am bis
18 79 herrschenden liberalen Staatszentralismus storte. Insbesondere
wurde das Schulproblem mit den foderalistischen Forderungen ver-
quickt und unter Taaffe (1879-1893) die Unterstiitzung der staats-
rechtlichen tschechischen bzw. bohmischen Opposition gegen Wien in
Anspruch genommen 20). Es ergab sich die groteske innenpolitische
Situation, daB das konservativ dominierte, an und fi.ir sich kaisertreue
und sich als staatstragend fi.ihlende Tirol mit frondierenden Tschechen
zusammenarbeitete - dies war das Ergebnis einer wesentlichen Posi-
tion des politischen Katholizismus.
     Alles, auch die lnteressen des Gesamtreiches, hatten sich dem
Hauptziel, den Schulforderungen der Katholischen Kirche, unterzu-
ordnen. Selbst der foderalistische Kampf litt unter diesem Prinzip. Da
die Bohmen die staatsrechtliche Frage in den Vordergrund stellten, die
Tiroler Konservativen aber die Schulfrage, hatte die Regierung Taaffe,
die wohl dem Konservativismus zuneigte, aber doch am Reichsvolks-
schulgesetz festhielt und den Tiroler Fundamentalismus ablehnte, mit
der bohmisch - tirolischen Allianz leichtes Spiel.
     Nach dreiBigjahrigem Kampf, der die Tiroler Konservativen in
Fundamentalisten und Pragmatiker gespaltet hatte, wurde das Landes-
schulgesetz 1892 unter wesentlicher Beteiligung des spateren Tiroler
Landeshauptmanns. Dr. Theodor Freiherr von Kathrein2t) endlich
beschlossen. Das Resultat war sehr bescheiden angesichts der groBen

    18)   Ebenda, S. 139-409.
    19)   Ebenda, S. 148-159.
    20) ScHOBER,   Die Tiroler Konservativen in der Ara Taaffe,   S.   261 ff.
     21) Vgl. dazu R1cHARD ScHOBER, Theodor Freiherr van Kathrein (1842-19 I 6),
Landeshauptmann van Tiro/. Briefe und Dokumente zur katholisch-konservativen
Politik um die /ahrhundertwende (= Veroffentlichungen des Tiroler Landesarchivs
Bd. 7), Innsbruck 1992, S. 23.

                                                                                 607
Opfer, die der politische Katholozismus in den dreiBig Jahren des
Kampfes gebracht hatte. Insbesondere hatte er wegen dieser Frage die
Zugehorigkeit zum Eisernen Ring von Taaffe seit 1879 nicht voll filr
Tirol niltzen konnen, ganz zu schweigen von den sozialen Rilckwir-
kungen auf die Lehrerschaft, die zeitweise sich zum Liberalismus zu
orientierten drohte. Erst die Grtindung des Katholischen Tiroler Leh-
rervereins im Jahre 1891 22 ) brachte hier Abhilfe.
     Wenn man das Landesschulgesetz naher betrachtet, kann man
den anachronistischen Schulkampf kaum verstehen. Der Regierungs-
standpunkt des Festhaltens am Reichsvolksschulgesetz war wohl in
dieses Gesetz eingeflossen - damit auch die staatliche Schulaufsicht,
die Zusammensetzung der Gremien vom Landesschulrat angefangen
bis zum Ortsschulrat bestatigte allerdings bei der Dominanz der Kon-
servativen in Tirol den EinfluB der Kirche auf das Schulwesen. Die
konfessionelle Schule war den Konservativen ihre Spaltung in Funda-
mentalisten und Pragmatiker, den Sturz von Ministern, das Bilndnis im
Landtag mit italienischen Irredentisten und im Reichsrat mit deutsch-
feindlichen Tschechen wert. Dies, obwohl das Landesschulgesetz so-
weit den klerialen Anforderungen entsprach, daB der Papst den an
dessen Zustandekommen maBgeblich beteiligten Dr. Theodor Ka-
threin filr seinen Einsatz auszeichnete23).
     So schwer verstandlich die Schulpolitik des Tiroler politischen
Katholizismus in jenen drei Jahrzehnten bis zum Landesschulgesetz
von 1892 erscheint, so berechtigt war dessen Bestreben - schon im
Interesse der Pluralitat der Lehrmeinungen -, katholische Gelehrte an
der Innsbrucker Universitat zu etablieren, die, wie auch die anderen
osterreichischen Universitaten zu jener Zeit, beinahe ausschlieBlich
vom Liberalismus beherrscht wurde. Wieder war es Kathrein, der
ilber seinen EinfluB auf die Bilrokratie die Weichen filr eine erfolgrei-
che katholische Universitatspolitik stellte. Ein insbesondere auf der
Basis der katholischen Studentenverbindung «Austria» aufgebauter
Freundeskreis von Gelehrten unterstiitzte ihn dabei.
     Filr die Verwirklichung seiner Ziele fand er in Unterrichtsminister
Gautsch einen aufgeschlossenen Partner, der sich auch nicht scheute,
gegen den Widerstand der von liberalen Professoren beherrschten

      22)   Ebenda, S. 358 u. 361.
      23)   Ebenda, S. 29.

608
Universitat mit Hilfe von oktroyierten Ernennungen seinen Willen
durchzusetzen.
     Die Strategie zu dieser Serie von ministeriellen Eingriffen wurde
anscheinend in der Audienz Kathreins bei Gautsch vom 7. Aprii 1886,
in der der Minister es als seine «Pflicht erachtet (Ludwig Pastor), die-
sen vortrefflichen Gelehrten, anzustellen und zu heben»24), festgelegt.
Er wollte auch filr das Weiterkommen des Germanisten Joseph
Wackerne!l 2S) sorgen und sagte dari.iber hinaus die Errichtung einer
eigenen Lehrkanzel filr «Vaterlandische Geschichte», d.i. Tiroler Ge-
schichte, zu. Der letzte Pian wurde als erster verwirklicht. Wenige
Tage nach der Audienz Kathreins ernannte Gautsch trotz der Ableh-
nung der Habilitation Josef Hirns durch die Fakultat diesen ad perso-
nam zum Extraordinarius filr Tiroler Geschichte 26 ). Dr. Joseph
Wackernell, dessen Ernennung zum auBerordentlichen Professor das
Professorenkollegium 1884 abgelehnt hatte, wurde von Gautsch am 1.
Oktober 1888 zum wirklichen auBerordentlichen Professor ern-
annt27).
     Zwei Jahre spater wurde er bereits ordentlicher Professor28) und
bewahrte sich als Begri.inder der neueren deutschen Literaturge-
schichte in Innsbruck. Ludwig Pastor erhielt die Ernennung zum wirk-
lichen a.o. Professor im Oktober 1886 29 ). Ein knappes Jahr spater
erfolgte in Zusammenhang mit der Nachbesetzung der Lehrkanzeln
Alphons Hubers seine Ernennung zum Ordinarius der Allgemeinen
Geschichte 30).
     Wie sehr parteipolitische Ressentiments damals die i
stors Berufung nach Wien mit dem Hinweis zu verhindern versuchte,
Pastors Geschichte der Papste, von der damals schon einige Bande
vorlagen, seien nicht das Werk einer erstklassigen Kapizitat, da er zu
viel abgeschrieben habe! 31).
     Von wesentlicher Bedeutung filr den politischen Katholizismus
war naturgemaB die Lehrkanzel des Kirchenrechts. Deren Besetzung
im Jahre 1891 zeigt schlagartig das Dilemma der Katholiken an 6ster-
reichs Hochschulen auf. Kathrein hatte von Gautsch freie Hand erhal-
ten: Der Minister werde einen Kandidaten, der er vorschlagt, akzeptie-
ren. Allerdings fand sich kein einziger «bekennender» Vertreter des
politischen Katholizismus. Zunachst erwog Kathrein Ludwig Wahr-
mund32) zu fordern, jenén Wahrmund, der 1896 tatsachlich nach
Innsbruck berufen wurde und dort 1908 durch sein scharf antikirchli-
ches Auftreten ( sogenannte «Wahrmundaffàre») einen Skandal entfes-
selte, der sogar die Beziehungen 6sterreich - Ungarns zum Vatikan
vorilbergehend empfindlich beeintrachtigte 33 ).
      1891 verhinderte dessen Berufung nur eine konfidentielle Nach-
richt des Jesuitenpaters und Kunsthistorikers Hartmann Grisar aus
Rom, Wahrmund sei wohl Katholik, gehore aber dem religios indiffe-
renten Kreis um Sickel an. SchlieBlich wurde Heinrich Singer beru-
fen 34).
     Filr die Wirksamkeit des politischen Katholizismus auf 6ster-
reichs Hochschulen bestand also ein gravierender Mangel. Es fehlte an
katholischen Jungakademikern, die meist aus armeren sozialen Schich-
ten kameri als die Liberalen. Die Durststrecke bis zur wirklichen
auBerordentlichen Professur - erst danach bezog der Hochschullehrer
ein fixes Gehalt - war filr auf sich gestellte Jungakademiker zu lang.
Kathrein versuchte Abhilfe zu schaffen, indem er mehrmals sich be-
milhte, die Bischofskonferenz, ja selbst den Papst, filr die Dotierung
eines Fonds zur Heranbildung katholischer Gelehrter zu interessie-
ren 35) -, allein die Bischofskonferenz gab mehr gute Worte als Geld.

    31)     ScHOBER, Kathrein, S. 279.
    32)     Ebenda, S. 25.
     33) Vgl. dazu R1cHARD ScHORER, Be/monte und Aehrenthal. Osterreichisch-
Vatikanische Beziehungen im Schatten der Wahrmundaffare, in: Mitteilungen des
6s terreichischen Staatsarchivs 27 ( 1974 ), S. 295-336.
      34) ScHORER, Kathrein, S. 285.
      35)   Ebenda, S. 25 f.

610
Der papstlichen Hilfe stand der Kardinalstaatssekretar Rampolla entge-
gen, der Wien wegen der Dreibundpolitik Osterreich - Ungarns nicht
gerade gilnstig gesinnt war.
     So blieb die von Kathrein initierte und filr den politischen Katholi-
zismus so wesentliche Unterstiltzung katholischer Gelehrter in be-
scheidenem Rahmen. Zur selben Zeit, also in den frilhen Neunziger-
jahren, beeintrachtigte den politischen Wirkungsgrad des Katholizis-
mus zunehmend die Spaltung im eigenen Lager. Schon die Ausbildung
einer fundamentalistischen Richtung in den Achtzigerjahren, die ein-
zelne Parteidissidenten in der konservativen Abgeordnetenriege wie
den Bozner Franz von Zallinger hervorgebracht hatte, bedeutete filr
den politischen Katholizismus erhebliche Reibungsverluste 36). Als sich
aber die christlichsoziale Bewegung mit ihrem Potential zur Massen-
partei herausbildete, bedeutete das nicht mehr und nicht weniger als
den Klassenkampf innerhalb des christlichen Lagers.
     Zum vollen Verstandnis dieses Prozesses milssen wir ilber den
Fall Tiro! hinaus insbesondere auf die Wiener Situation blicken.
     Zunachst stellten die kleinbilrgerlichen Wiener Schichten das Po-
tential der Christlichsozialen dar - die Arbeiterschaft war bereits den
Sozialdemokraten zugefallen, und alle Versuche, sie zu gewinnen,
scheiterten -, wahrend die Konservativen, deren Filhrung sich jedoch
fast ausschlieBlich aus Feudalen und Intellektuellen zusammensetzte,
ihre Stiltze im adeligen GroBgrundbesitz und im Bauernstand hatten.
Manner dieser gesellschaftlichen Stellung tibersahen wohl nicht die
Krise in der bauerlichen Welt, die, je naher die Jahrhundertwende
rilckte, umso groBer wurde, taten jedoch zu wenig, um ihr abzuhelfen.
     In der frilhen parlamentarischen Zeit Osterreichs begilnstigte das
Privilegienwahlrecht die Konservativen, wenn auch nicht in dem Aus-
maB wie die Liberalen; als jedoch das Wahlrecht immer weiter auf die
Massen des Yolkes ausgedehnt wurde, kamen politischen Krafte zum
Tragen, die Feudalismus und autoritares Denken und Verhalten zu-
nehmend in Frage stellten. Aus dem Nicht - sehen - konnen oder -
wollen dieser Entwicklung resultierte der allmahliche Niedergang der
Konservativen, der bezeichnenderweise insbesondere vom jungen
niederen gegen die Hierarchie in Opposition stehenden Klerus bis zum
endgtiltigen Sieg des christlichen Sozialismus im katholischen Lager

    36) ScHOBER,   Die Tiroler Konservativen in der Ara Taaffe,   S.   266 f.

                                                                                611
angestrebt wurde. Die starke Verbindung zwischen Thron und Altar,
letzterer als Symbol filr den Episkopat stehend, zeigte sich deutlich in
der eintrachtigen bis zu den ersten allgemeinen und gleichen Wahlen
( 1907) wahrenden Ablehnung der Christlichsozialen durch Regierung
und Episkopat. Spektakularer Hohepunkt war die bekannte mehrmali-
ge Ablehnung der Wahl Karl Luegers zum Bilrgermeister von Wien
von Seiten des Kaisers 37).
      Dies erscheint umso bemerkenswerter als Rom und besonders
Papst Leo XII. das Wirken der Christlichsozialen begrilBte, da diese
die Grundsatze des papstlichen Rundschreibens «Rerum Nevarum»
verwirklichen wollten. Unter Pius X flaute die Begeisterung filr die
Christlichsozialen im Vatikan wohl merklich ab, da er bekanntlich ge-
genilber dem osterreichischen Katholizismus insgesamt wegen dessen
vermeintlichen josephinischen Tendenzen gewisse Vorbehalte hat-
te 38).
      In Tirol, wo die Christlichsoziale Partei im Aprii 1898 vom Profes-
sor am Brixener Priesterseminar Aemilian Schopfer gegrilndet worden
war 39 ), nahm der niedere Klerus die Sozialenzykliken begeistert auf
und unterstiltzte die Christlichsozialen mit solchem Elan, daB es zum
Kampf zwischen Kooperatoren und konservativen Pfarrern kam, was
ein Grund mehr filr die Ablehnung der agitatorisch auftretenden
Christlichsozialen durch den Episkopat war, der nicht zu Unrecht um
das Ansehen des Klerus insbesondere in der Landbevolkerung filrch-
tete. Im Vergleich zu den den Bischofen ergebenen Konservativen
hatten die Christlichsozialen eine eher antiautoritare, demokratischere
Einstellung, mit der sie wiederum beim Episkopat aneckten. Sie ver-
wiesen die Bischofe auf ihre eigentliche religios - sittliche Aufgabe und
sprachen ihnen das Recht ab, auf die Politik EinfluB auszuilben.
      Allzudeutlich zeigt sich allerdings immer wieder die Tendenz der
Konservativen, ihre eigene politische Autoritat von der der Bischofe
abzuleiten, d.h. mit anderen Worten, die Bischofe wurden von ihnen

      37)   Vgl. dazu   FRIEDRICH FuNDER,   Vom Gestern ins Heute. Aus dem Kaiserreich in
die Republik, Wien 1952, S. 151 ff.
    38) Vgl. dazu NoRBERT M1Ko, Zur Mission des Kardinals Schonborn, des Bischofs
Bauer und des Pater Alberi Maria Weij3, OP., im fahre 1895, in: Réimisch Historische
Mitteilungen 5 ( 1962), S. 181-224.
     39) ScHOBER, Das Verhtiltnis der Katholisch-Konservativen zu den Christlichso-
zialen, 1. Teil, S. 146.

612
oft mehr vor den politischen Karren gespannt als diese es wtinschten.
Das Wort des Bischofs war zu dieser Zeit noch politisches Kapital,
zumai es filr den einfachen Bauern am Lande vielfach gleichzuhalten
war mit Bibel und Katechismus. Die Konservativen versuchten also mit
Hilfe der oftmals auch mif3brauchten bischoflichen Autoritat ihre
Machtstellung im Lande gegen die junge dynamische Christlichsoziale
Partei, die es vor allem auf die Bauern abgesehen hatte, zu behaupten.
     Nachdem die beiden Parteien des politischen Katholizismus be-
reits bei den Reichsratswahlen von 1901 die Klingen gekreuzt hatten,
wobei die Christlichsozialen einen Achtungserfolg erringen konn-
ten 40), formulierten beide Seiten ihre Programme. Diese waren natur-
gema/3 nicht grundverschieden, standen sie doch beide auf der Grund-
lage des politischen Katholizismus. Allerdings setzten sie doch wesent-
lich verschiedene Prioritaten. Wahrend die Christlichsozialen die
«Forderung der allgemeinen zeitlichen Wohlfahrt» 41 ) als hochstes Zie!
der Politik ansahen, wird an der gleich prominenten Stelle des konser-
vativen Programms, der Praambel, vom «ewigen Zie!» des Menschen
gesprochen, zu dem ihn «die katholische Glaubens- und Sittenlehre»
filhren soli. Aus diesem Grunde mtisse die gesamte staatliche Gesetz-
gebung dem katholischen Sittengesetz entsprechen 42). Die Christlich-
sozialen betrachteten als Grundlage des staatlichen Lebens ebenfalls
das Sittengesetz, aber nicht im spezifisch katholischen, sondern in
einem weiter verstandenen christlichen Rahmen. AuBerdem bestan-
den sie auf einer gewissen Emanzipation von der kirchlichen Hierar-
chie, sie wollten sich die «Freiheit des politischen Lebens» wahren43).
Ungeachtet dieser Differenzierungen war beiden Richtungen eines ge-
meinsam: die zumindest theoretische Nichttakzeptanz des bereits in
der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts herrschenden pluralistischen
Systems. Das staatliche Leben hatte nach katholischen, bestenfalls
christlichen Prinzipien gestaltet zu werden. Was die praktische Politik

       40)    Ebenda, S. 14 7 f.
        Entwurf des Programms der Christlichsozialen Parte i in Tiro/. Gedrucktes
       41 )

Flugblatt, o.D. [1 O. Oktober 1901 ], abgedruckt bei Schober, Kathrein, S. 150.
    42 ) Programm der katholisch-konservativen Partei Tirols, beschlossen auf dem

Parteitag in Sterzing am 28. Oktober 1901, abgedruckt bei Schober, Kathrein, S.
156.
       43)    Wie Anm. 41.

                                                                            613
anlangt, waren die Christlichsozialen im Gegensatz zu den Konservati-
ven durchaus fortschrittlich. Insbesondere in den wirtschaftlichen Be-
langen waren sie zur Reform bereit. Sie sahen die damalige Besitz- und
Einkommensverteilung als «Gefahr filr die btirgerliche Gesellschaft»44)
an und setzten alles daran, die Kluft zwischen arm und reich zu
schlieBen, wahrend die Konservativen «die ewige Bestimmung des
Menschen» wesentlicher als seine zeitliche Bestimmung ansahen. Da-
von wurde die sekundare Bedeutung der sozialen Frage abgeleitet45).
       Was die innere Struktur des Landes - diese bertihrte insbesonde-
re der Nationalitatenkonflikt zwischen Deutschen und ltalienern - be-
trifft, trat das konservative Programm ftir die administrativ unveran-
derte Landeseinheit ein 46 ), wahrend die Christlichsozialen trotz ihrer
ansonsten deutschbetonten Haltung ftir autonome Zugestandnisse zu
haben waren, allerdings sollte dieser zweckmaBige Ausbau der auto-
nomen Verwaltung im Rahmen der Landeseinheit erfolgen. Von der
antisemitischen Grundhaltung der Wiener Partei war in Tirol vor dem
Ersten Weltkrieg kaum etwas zu sptiren, gab es doch in unserem Land
nur einige vereinzelte Juden. Allerdings anderte sich dies schlagartig
unter dem Eindruck von Zusammenbruch, Ernahrungskrise und allge-
meiner Not 1918/19.
       Bekanntlich wurde 1919 unter maBgeblicher Beteiligung der
Christlichsozialen der Tiroler Antisemitenbund gegrtindet, eine Grtin-
dung die kaum ohne den Antagonismus gegen das in den Augen von
Tirols katholischen Politikern verjudete, marxistische Wien zustande-
gekommen ware47).
       Den nationalen Emotionen der Bevolkerung in den deutschen Al-
penlandern und somit auch Tirols kamen die Christlichsozialen weiter
entgegen als die Konservativen. Letztere leiteten die Gleichheit der
Nationalitaten von der Gleichheit der Menschen vor Gott ab, sie sahen
sich als staatserhaltende Kraft im Vielvolkerstaat, zeigten sich ideolo-

    44)     Wie Anm. 41, S. 151.
      45)   Wie Anm. 42.
      46)   Wie Anm. 42, S. 157.
      47)Ygl. dazu GRETL K6FLER, Tiro/ und die Juden, in: Thomas Albrich, Klaus
Eisterer, Rolf Steininger, Tiro/ und der Anschluj3. Voraussetzungen, Entwicklungen,
Rahmenbedingungen 1918-1938 (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 3),
lnnsbruck 1988, S. 172 f.

614
gisch kompromif3los, in der Praxis allerdings dann doch nur teilweise
als ilbernational.
      Immerhin verweigerten sie in Tirol mit Ausnahme einzelner weni-
ger Vorkampfer wie Kathrein den Trientinern die Autonomie 4B). Prin-
zipiell strebten sie jedoch den politischen ZusammenschluB der kon-
servativen und katholischen Krafte der gesamten Monarchie ilber die
einzelnen Nationen hinweg an, worin sie vom deutschosterreichischen
Episkopat unterstiltzt wurden, der im Unterschied zu den Bischofen
anderer Volker der Monarchie keineswegs national eingestellt war.
Die Nationalitatenpolitik der Konservativen strebte die Paralysierung
des Streites durch einen vernilnftigen Foderalismus an, der nach ihrer
Ansicht allein imstande sein konnte~ den Reichsgedanken zu heben, da
der Zentralismus die Abwehr gegen das Ganze hervorrufe.
      Die Christlichsozialen hingegen betrieben, wenn auch keine natio-
nalistische, so doch eine deutschbetonte Politik. Ihre Reichspartei litt
durch Jahrzehnte bis zu den ersten allgemeinen und gleichen Wahlen
von 1907 am Gegensatz zu den Kronlandern. Erst nach dem Sieg in
den ersten allgemeinen und gleichen Wahlen wurden die Christlichso-
zialen eine echt foderalistische Partei. Jetzt konnten sie es sich leisten,
nachdem sich ihnen die Hofkreise und die Bilrokratie immer mehr
zugeneigt hatten und sie so zu einer staatstragenden Partei geworden
waren.
      Die aufgezeigten Gemeinsamkeiten und die Nuancen des Unter-
schiedes zeigen deutlich, daB beide Gruppierungen, sowohl die Kon-
servativen als auch die Christlichsozialen, vor allem in Tiro! Auspra-
gungen des politischen Katholizismus waren. Die Konservativen aller-
dings blieben der bewahrende, am Bilndnis von Thron und Altar fest-
haltende Teil, die Christlichsozialen der dynamische, sozial - orientier-
te, demokratischere und fortschrittlichere Teil, dem letztlich die
Zukunft gehorte.
      Der Richtungsstreit zwischen diesen beiden Gruppierungen er-
schiltterte das Land naturgemaB mehr als der Kulturkampf gegen den
Liberalismus in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren, ging es
doch um die Spaltung einer Bewegung, die letztlich das Land absolut
beherrschte. Nicht nur der Episkopat und die niedere Geistlichkeit, die

    48 )Vgl. R1cHARD ScHOBER, La lotta sul progetto d'autonomia per il Trentino
degli anni 1900-1902 secondo le fonti austriache(= Collana di Monografie edita
dalla Società di Studi Trentini di scienze storiche XXXI, Trento 1978.

                                                                          615
i.iberwiegende Mehrheit der politischen Eliten, sondern auch die breite
Masse des bauerlichen Volkes - noch 1923 waren 52,28% aller
Berufstatigen in der Land- und Forstwirtschaft beschaftigt 49 ) - nahmen
an dieser Auseinandersetzung regen Anteil, zumai die Kanzel vielfach
zum politischen Rednerpult umfunktioniert wurde.
     Die Polarisierung der beiden Stromungen des politischen Katholi-
zismus wurde unmittelbar nach der Jahrhundertwende wirksam. Die
spektakulare Wahlniederlage des ehemaligen Handelsministers Di
Pauli bei den Reichsratswahlen von 1901 gegeni.iber dem spater poli-
tisch so bedeutend werdenden christlichsozialen Newcomer Josef
Schraffl war der Auftakt zum praktisch - politischen Kampf. Aemilian
Schopfer, der Gri.inder de'r Tiroler Christlichsozialen, soli nach sei-
nem Biographen Anton Klotz spater gesagt haben: «lch wuBte, daB
vom Ausgang dieser Wahl das Schicksal meines Unternehmens ab-
hing»50). Noch im selben Jahr begannen unter den Auspizien der Bi-
schofe jene krampfhaften Versuche, die Einigkeit des politischen Ka-
tholizismus wiederherzustellen, die bezeichnenderweise «Friedens-
konferenzen» genannt wurden 51 ). In der Tat, im Lager des politischen
Katholizismus herrschte Krieg, dessen Strategien insbesondere in den
Redaktionen der konservativen und christlichsozialen Zeitungen fest-
gelegt wurden.
     Es sei vorweggenommen: Weder die Friedenskonferenz von
190152), noch die von 1903, bei der man sogar ein gemeinsames
Programm fi.ir eine fusionierte Partei beschlossen hatte, als auch die im
Hotel Dungel in Wien stattfindende Konferenz von 1907 53) konnten
den Richtungsstreit beenden. Jede der beiden Parteien wollte der an-
deren ihr Programm aufzwingen. Die Konservativen warfen den
Christlichsozialen vor, sie seien die schlechteren Katholiken, die
Christlichsozialen warfen ihren Gegnern im vollen BewuBtsein, daB
ihnen die Zukunft gehorte, vor, die sozialen Anliegen der bauerlichen
Bevolkerung zugunsten des GroBgrundbesitzes und der katholischen

   49) GERHARD 0BERKOFLER, Die Tiroler Arbeiterbewegung. Von den Anfiingen bis
zum Zweiten Weltkrieg, Wien 1979, S. 160 f.
    50) ANTON K1.0Tz,    Dr. Aemilian Schopfer, lnnsbruck 1936, S. 136.
    51)   Vgl. dazu   ScHOBER, Das Verhiiltnis der Katholisch-Konservativen zu den
Christlichsozialen, 1. Teil, S. 152.
    52)   Ebenda.
    53)   Ebenda, S. 160 ff.

616
Hierarchie zu vernachlassigen. Die Bischofe, insbesondere Simon
Aichner von Brixen 54 ), neigten meist wohl den Konservativen zu, be-
mtihten sich allerdings vergeblich zu vermitteln. Sie waren nicht in
dem MaBe, wie die Konservativen es wtinschten, bereit, ihre Autoritat
ftir diese einzusetzen. Allerdings verbot Papst Pius X. den Konservati-
ven anlaBlich einer Privataudienz Kathreins im Marz 1904 abzudanken
und den Christlichsozialen das Feld zu tiberlassen 55).
      Im selben Jahr fand ein Ereignis statt, das langfristig gesehen den
Christlichsozialen den Sieg brachte: Die Grtindung des Tiroler Bau-
ernbundes 56 ). Die Konservativen begingen damals politischen Selbst-
mord, als ihre Abgeordneten es ablehnten, auf dem Sterzinger Bauern-
tag zu erscheinen und sie damit den Christlichsozialen das Feld tiber-
lieBen, das diese sehr wohl zu bestellen wuBten. Tirols Konservative
erkannten nicht rechtzeitig, daB es sich dabei nicht um eine lokale
Bauernversammlung, sondern um das gemeinsame Auftreten des
groBten Berufsstandes Tirols handelte. Nicht weniger als 7000 Bauern
erschienen in Sterzing als legitimierte Vertreter aus 170 Gemeinden.
      Als die Konservativen sich endlich besannen und am 8. Juni eben-
falls einen Bauerntag einberiefen, war es zu spat. Dr. Hans Malfatti
konnte nur 120 Bauern um sich versammeln, wahrend in Sterzing
Tausende die christlichsozialen Politiker gefeiert hatten.
      Vom Bruderkampf im Lager des politischen Katholizismus tiber-
schattet wurde selbst die Nachfolge des Brixner Bischofs Simon Aich-
ner 57). Dieser den Konservativen zuneigende Oberhirte hatte jahre-
lang unter dem Messer der Parteien gelegen, als er sich bemtihte,
Frieden zu stiften 58 ). Unter dem Eindruck dieser erfolglosen Bemti-

     54) ScHOBER, Das Verhaltnis der Katholisch-Konservativen zu den Christlichso-

zialen, 2. Teil, S. 160 ff.
     55) Protokoll der Papstaudienz der katholisch-konservativen Delegation. Nieder-

geschrieben im Collegium Germanicum, Rom, 12. Marz 1904, abgedruckt bei Scho-
ber, Das Verhiiltnis der Katholisch-Konservativen zu den Christlichsozialen, 2. Teil,
s.   187-188.
    56) Vgl. dazu OsKAR     HoHENBRUCK,   50 fahre Tiroler Bauernbund 1904-1954,
lnnsbruck 1954, S. 20 ff.
        Ygl. dazu R1cHARD ScHOBER, Ein Bischof im Kreuzfeuer der Tiroler Christ-
      57)

lichsozialen und Konservativen. Der Riicktritt des Fiirstbischofs van Brixen Dr.
Simon Aichner (1904 ), in: 6sterreich in Geschichte und Literatur, 20. Jg., Heft 6
(1976),     s.   387-405.
      58)   Ebenda.

                                                                               617
hungen hatte er schlieBlich 1904 resigniert, und es entbrannte ein
wohl hinter den Kulissen gefiihrter, aber umso heftigerer Kampf zwi-
schen ChristlichS0zialen und Konservativen um die Nachfolge.
     1904 gelang es den Christlichsozialen noch nicht, ihren Kandida-
ten Dr. Franz Egger durchzusetzen; die Konservative Partei konnte
den Professor an der Theologischen Fakultat in Salzburg Regierungs-
rat Dr. Josef Altenweisel, der am 6. Mai 1904 van Kaiser Franz Josef
ernannt wurde, durchbringen. Bezeichnenderweise wurde Dr. Egger
1912 nach dem faktischen Untergang der Katholich-Konservativen
Partei der Nachfolger Altenweiselss9).
     Grundvoraussetzung fiir den Aufstieg der Christlichsozialen und
den Machtverfall der Kon·servativen war allerdings die Erweiterung
des Wahlrechtes60). Daher kampfte die junge dynamische Partei ab
1905 mit verstarktem Einsatz fiir die Wahlrechtsreform. Allerdings
gelang es der hinhaltenden Taktik der Konservativen, denen jede Er-
weiterung des Wahlrechtes die Schmalerung ihrer politischen Bedeu-
tung bringen muBte, bis 1914 das neue Landtagswahlrechtsgesetz zu
verzogern. Darin wurden sie naturgemaB van der liberalen
Honoratioren-Partei unterstutzt.
     In den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg ging allerdings der
Trend in Richtung Demokratisierung, was damals mit der Erweiterung
des Wahlrechtes und der damit einhergehenden Bildung van Massen-
parteien gleichzusetzen war. Die ersten allgemeinen und gleichen
Wahlen auf Reichsratsebene van 1907 lauteten den endgiiltigen Nie-
dergang der Katholisch-Konservativen Partei ein. Josef Schraffl hatte
am Parteitag van 1907 die Devise ausgegeben: «Wir haben die Ober-
zeugung, es gibt nur einen Weg zum Frieden und der heiBt: «Durch
Krieg zum Frieden»61). Und in der Tat, der Friede wurde durch die
Vernichtung der Katholisch-Konservativen Partei erzwungen. Kein
einziger konservativer Kandidat war in den Landgemeinden nach nur
dreijahriger Agitationsarbeit des Bauernbundes durchgekommen, nur
der allerdings mehr den Christlichsozialen zuneigende KompromiB-
kandidat der Stadte Dr. Michael Mayr war in Innsbruck gewahlt wor-

      59)   Vgl. dazu Gelmi, Die Brixner Bischofe, S. 256 ff.
    60) Vgl. dazu R1cHARD ScHOBER, Der Kampf um die Landtagswah/reform in Tiro!
van 1900 bis 1914, in: Tiroler Heimat 37 (1973), S. 5-75.
     61) JoHANN D1 PAULI, Stichproben. Ein historisch-politischer Beitrag zur Ge-
schichte Tirols der letzten fahre, Innsbruck 1909, S. 34.

618
den. Die Tiroler Christlichsozialen stellten nun nicht weniger als 13
Abgeordnete.
     Der Erdrutsch dieses christlichsozialen Sieges entwickelte eine
solche Dynamik, daB die Konservativen bei den Landtagswahlen von
1908, obwohl sie die Erweiterung des Landtagswahlrechtes hintanhal-
ten konnten, selbst unter den Voraussetzungen des sie privilegieren-
den Kurienwahlrechtes ebenfalls eine vernichtende Niederlage erlit-
ten. Nur elf Abgeordnete - alle privilegierten Kurien angehorend -
waren ihnen zuzuordnen, das waren die drei Landesbischofe, die als
Virilisten kraft ihres Amtes im Landtag saBen, die zwei Pralaten, die
ebenfalls nicht vom Volk, sondern von ihrem Stand entsandt wurden,
sowie vier GroBgrundbesitzer, denen allerdings die Liberalen auf-
grund eines Kompromisses keine Gegenkandidaten entgegengestellt
hatten62).
     Die praktische Vernichtung der Konservativen bedeutete noch
lange nicht Frieden im Lager des politischen Katholizismus. Allerdings
wurden die Pressepolemiken der beiden Bruderparteien immer ana-
chronistischer, zumai selbst die Bischofe begannen, die neuen politi-
schen Realitaten im katholischen Lager anzuerkennen. So hob der
Ftirstbischof von Trient Colestin Endrici 1909 das Verbot ftir Priester,
dem Bauernbund beizutreten, auf 63 ), und selbst der auch bei den
Christlichsozialen unumstrittene konservative Landeshauptmann Ka-
threin stand seiner devastierten Restpartei zunehmend kritischer ge-
gentiber 64).
      1910/11 rief er noch in einem groBen Artikel zum Neuen Jahr
zum Frieden auf65), 1912 beteiligte er sich am anachronistischen
Parteien-Hick-Hack rund um die Brixener Bischofsfrage nach dem Tod
Altenweisels nicht mehr und meinte: «Wir brauchen keinen konserva-
tiven Bischof, wir brauchen auch keinen christlichsozialen Bischof, wir
brauchen einen guten Hirten» 66 ). Kathrein war schlieBlich mit der
Ernennung Eggers voli einverstanden.

     62) ScHOBER, Das Verhaltnis der Katholisch-Konservativen zu den Christlichso-
zialen. 2. Teil, S. 172 f.
    63)   Ebenda, S. 159.
    64) ScHOBER,   Kathrein,   S.   583 f.
    65)   Neue Tiroler Stimmen, Nr. 298, 31. Dezember 191 O.
    66) ScHOBER,   Kathrein,   S.   251.

                                                                             619
Die Agonie der Katholisch-Konservativen Partei dauerte in Tirol
besonders lang. Wahrend in den i.ibrigen Alpenlandern sich die kon-
servativen Landesparteien mit den Christlichsozialen nach den Reichs-
ratswahlen von 1907 fusioniert hatten 67 ) und damit die Einheit und die
Einigkeit des politischen Katholizismus wiederhergestellt war, gefiel
sich die Tiroler Partei im Festhalten an ihrem fundamentalistischen
Kurs.
     Erst 1914 kam es zu einem ersten WahlkompromiB 68), der ne ben
der Aufteilung der katholischen Mandate unter den beiden Parteien
auch die Wiederwahl Kathreins zum Landeshauptmann sicherte.
      Die endgi.iltige Einheit des politischen Katholizismus wurde in Ti-
ro! erst unter dem Eindruck des Ausganges des Krieges 1918 wieder-
hergestellt69).
     Am 2 7. Oktober 1918 schlossen sich die beiden feindlichen Bri.i-
der zur «Tiroler Volkspartei» zusammen und bildeten einen gemeinsa-
men Parteivorstand sowie eine gemeinsame Parteileitung, da ange-
sichts einer zusammensti.irzenden Welt der alte ideologische Streit um
das Verhaltnis zwischen Katholizismus und Politik nicht mehr
aufrechterhalten werden konnte.
     Die nun indie Tiroler Volkspartei eintretenden Konservativen mit
dem Abgeordneten Dr. Wackernell an der Spitze verstarkten das aus-
gesprochen klerikale Element der Christlichsozialen um Dr. Aemilian
Schopfer, das zum Teil auch gleichbedeutend mit dem monarchisti-
schen Fli.igel der Christlichsozialen war.
     Die dritte Gruppe innerhalb der neuen Partei bildete der Bauern-
bund, in dem die Geistlichkeit eine geringere Rolle als in den anderen
Gliederungen spielte, weil er mehr wirtschaftliche Zielsetzungen ver-
folgte.
     Der Bruderstreit im katholischen Lager hatte dem Landtag und
damit dem Land einerseits geschadet, andererseits stellte er einen not-
wendigen emanzipatorischen ProzeB des katholischen Volkes gegen

    67) Ober die Fusion der anderen Kronliinderparteien vgl. Norbert Miko, Die
Vereinigung der christlichsozialen Reichspartei und des katholisch-konservativen
Zentrums im Jahre 1907, ungedruckte Dissertation, Wien I 949.
    68) ScHOBER,   landtagswahlreform,   S.   66 ff.
     69) TLA, Nachla/3 Mayr, /V/2, Fragment des Protokolls der gemeinsamen Sit-
zung der christlichsozialen und konservativen landtagspartei am 27. Oktober 1918;
vgl. den Bericht in «Neue Tiroler Stimmen» vom 29. Oktober 1918.

620
eine tiberlebte Partei dar, dessen Abschluf3 1918 unbedingt zur Erhal-
tung der konservativen Mehrheit in der Zwischenkriegszeit notwendig
war.
     Die Fusion von 1918 war nicht zuletzt eine Voraussetzung filr die
relativ starke politische Konsistenz des Landes zumindest im ersten
Jahrzehnt der Ersten Republik. Das katholische Lager war infolge sei-
ner Geschlossenheit weiterhin in der Lage, das Land zu dominieren
und konnte sich zumindest bis 1929 die Zusammenarbeit mit den
Sozialisten in der Landesregierung leisten 70 ). Dadurch gelang es Tiro!
trotz diverser politischer Polarisierungen, sich relativ lange aus den
allgemein bekannten Wirren der Ersten Republik herauszuhalten.
Selbst der Sozialistenaufstand im Jahr 1927 nahm in unserem Land
nicht zuletzt aufgrund der eindeutigen Machtverhaltnisse einen sehr
moderaten Verlauf71).

CATTOLICESIMO POLITICO:
IL CASO DEL TIROLO TEDESCO'~)

R1cHARD ScHOBER           (Traduzione di Davide Zaffi)

     Il secolo XIX fu caratterizzato da cambiamenti politico-ideologici fonda-
mentali non soltanto nei Paesi di lingua tedesca, ma in tutta Europa. Fu il
secolo della trasposizione delle idee illuministe nella realtà politica, il secolo
dello sviluppo del moderno sistema parlamentare. Anche se a buona ragione
Anton Pelinka parla per il caso austriaco di un sistema parlamentare incom-
piuto fino al 1918 1), non può tuttavia trascurarsi il fatto che verso la fine del
secolo si erano formati partiti di massa, come il partito cristiano-sociale e
quello social-democratico, che premevano per ulteriori passi verso la demo-
cratizzazione della vita politica. I partiti citati divennero con il nuovo secolo

    70)   Vgl. dazu   ScHOBER,   Tiroler Landtag,   S.   424.
    71)   Vgl. dazu                 Staatliche Formierung und politische Entwick-
                      R1cHARD ScHOBER,
lung Tirols vom Zusammenbruch 1918 bis zu den Juli-Ereignissen 1927, in: Ge-
schichte und Gegenwart, 1O. /g., Heft 3, Graz 1991, S. 218 ff.
    *) Relazione presentata al «Tiroler Geschichtsverein» di lnnsbruck il 12 dicem-
bre 1991.

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portatori di quel democristiano sviluppo politico che ha condotto poi alla
Costituzione federale del 1920 ancora oggi in vigore nelle sue linee fonda-
mentali2).
                     I

      La trasfusione dell'illuminismo nella realtà politica ha portato ad una
doppia emancipazione. Da un lato all'emancipazione dello Stato dalla Chie-
sa - un processo conclusosi sostanzialmente con la rimozione del Concordato
del 1855 - dal!' altro lato ali'emancipazione del cittadino con la garanzia dei
diritti di libertà borghese contenuta nella _costituzione del Dicembre 1867.
Questa doppia emancipazione venne promossa dal liberalismo, che, formato-
si già durante il Vormii.rz in maniera sotterranea, divenne la forza politica
decisiva della rivoluzione del 1848, per dotare poi del suo spirito - superata
con intatto vigore l'epoca del .neo-assolutismo - la costruzione costituzionale
del 1867. Con ciò il liberalismo aveva comunque adempiuto al suo compito
storico quale movimento politico. Essendo un partito elitario di notabili bor-
ghesi, arrivato al potere e a un grande peso politico soltanto grazie al sistema
elettorale per curie, proprio quel processo di emancipazione che i liberali
stessi avevano promosso doveva provocare la decadenza del liberalismo poli-
tico nel corso di una progressiva democratizzazione della vita pubblica.
      Come movimento ideale tuttavia il liberalismo ebbe una influenza così
estesa e profonda quale non ne ebbe alcun'altra corrente ideale e politica nel
XIX secolo. Protagonista di questo movimento fu in particolare la borghesia
in ascesa, vale a dire i rappresentanti del!' economia, della cultura e delle
libere attività. Il liberalismo comparve nei diversi Paesi e Stati europei sotto
forme assai differenziate e in varianti tipiche. La variante austriaca 3) non era
ad esempio esplicitamente anticlericale, al contrario che in Italia o in Spa-
gna. Soprattutto negli anni Sessanta il liberalismo seppe rispettare i valori
della religione, pur sforzandosi di spostarli dalla sfera della vita pubblica in
quella del privato.
     Assai radicato nelle idee giuseppine e dotato di un forte ottimismo cultu-
rale, esso credeva nel potere della ragione umana, alla perfettibilità infinita
dell'uomo, al-primato della ragione e dell'intelletto sull'anima.
      Negli anni Sessanta il movimento liberale era formato soprattutto da
funzionari fedeli allo Stato e interessati alla sua conservazione. Solo quando
i funzionari di stampo giuseppino vennero sostituiti negli anni Settanta dai
rappresentanti dell'industria, della cultura e delle libere attività, si fecero
sentire toni anticlericali, che tuttavia erano ancora lontani dal poter essere
paragonati alle voci bellicose che risuonavano ad esempio nell'Italia laicista.
      Per il liberalismo legato alla classe industriale delle città le condizioni
generali dell'Austria erano le peggiori possibili. La duplice Monarchia conser-
vò per tutto il XIX secolo forti strutture agrarie. La Dinastia era rigidamente
cattolica, l'imperatore Francesco Giuseppe si sentiva intimamente avverso
alle riforme costituzionali liberali e approfittò della prima occasione, nel
1879, per sostituire il governo liberale col gabinetto del ministro dell'impera-

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tare, il ministro Taaffe, orientato verso il conservativismo politico 4). Nelle
Diete provinciali dove i liberali detenevano la maggioranza, essi la dovevano
al sistema elettorale per curie, e nel Parlamento centrale soprattutto al boi-
cottaggio dell'opposizione di diritto pubblico dei cechi. La politica liberale
aveva perciò poca risonanza fra la massa della popolazione, la quale ali' epo-
ca non poteva ancora recarsi alle urne. Il Tirolo fu sicuramente il Land dove
il liberalismo conobbe le difficoltà maggiori. Una società solida, dove predo-
minavano i contadini, controllata dal clero e dalla nobiltà conservatrice
cattolica, offriva ben poche prospettive agli intellettuali liberali al di fuori
della Università e del ghetto dei circoli cittadini degli honoratiores. E di ben
poco aiuto poteva essere l'appoggio di qualche raro esponente della curia
nobile terriera.
      Al forte peso numerico dei contadini si aggiungeva il robusto vincolo del
sentimento regionale, l'identificazione del tirolese con l'idea della continui-
tà, dunque della conservazione. Parte integrante dell'identità tirolese era la
fedeltà alla Chiesa cattolica, accanto alla incondizionata fedeltà alla Casa
regnante comune a tutti i gruppi politici. Il potere del binomio Trono-Altare
in Tirolo non è stato scosso né dallo spirito della Rivoluzione del 1848, né
dall'introduzione del parlamentarismo incompiuto in Austria. Significativa-
mente i Tirolesi nel 1848 si limitarono alla richiesta di una Dieta cetuale con
qualche ampliamento 5), vale a dire di una struttura quale sussisteva ante-
riormente alla soppressione della Dieta provinciale ad opera dei bavaresi nel
1808. Ma neppure nella Dieta di stampo democratico-parlamentare, a parti-
re dal 1861, si levarono voci per chiedere un allargamento del diritto.di voto.
Solo nel 1914 venne approvato un sistema elettorale più ampio che tuttavia
si basava ancora sul suffragio per curie 6).
      La conservazione della t;-adizione, o al massimo il suo sviluppo evoluti-
vo, fu in Tirolo senza dubbio prioritaria rispetto ali' attuazione pratica di
principi progressisti, data la schiacciante maggioranza conservatrice nel
Land.
      Relativamente alla sua debolezza numerica, il liberalismo nel Tirolo
dominato dai conservatori, svolse un ruolo sovraproporzionato. Il corredo
intellettuale dei liberali, che pressoché senza eccezioni appartenevano alla
borghesia colta, spiega questa circostanza così come il fatto che essi dispone-
vano di una stampa molto potente.
      Con l'ausilio di questi mezzi, essi poterono ingaggiare con la schiaccian-
te maggioranza conservatrice un sorprendentemente acceso Kulturkampf,
che condizionò per decenni la vita politica del Land, almeno fino alla adozio-
ne della legge scolastica regionale del 1892 7).
      Non può essere compito di questo lavoro presentare le diverse fasi di
detto Kulturkampf- ciò è del resto già stato fatto dallo storico sudtirolese I osef
Fontana 8), noto anche per la sua Storia del Tirolo nel XIX secolo - mi limito
perciò ad illustrare qui in dettaglio qualche aspetto di maggiore importanza

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