Risiken von Infektions-krankheiten und der Nutzen von Impfungen - RKI
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Leitthema: Impfen Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - U. Heininger · Universitäts-Kinderspital beider Basel Gesundheitsschutz 2004 · 47:1129–1135 DOI 10.1007/s00103-004-0951-z Risiken von Infektions- © Springer Medizin Verlag 2004 krankheiten und der Nutzen von Impfungen N eben Verbesserungen der allgemeinen Hygiene, Ernährung und Therapiemöglich- tät, Mortalität und Letalität durch Infekti- onskrankheiten geführt. Dennoch bleibt therietoxin verursacht, das eine Gaumen- segelparese bzw. Augenmuskellähmungen keiten haben Schutzimpfungen in wesentli- unvermindert eine Vielzahl an Risiken sowie periphere Neuritiden einschließlich chem Maße zum Rückgang von Morbidi- durch Infektionskrankheiten bestehen: Lähmung der Atemmuskulatur hervor- tät und Mortalität zahlreicher Infektions- Langzeitschäden durch Komplikationen, ruft. Ferner besteht oftmals, vor allem bei krankheiten beigetragen. Impfungen ge- unerwünschte Folgen der intensiven The- den toxischen Verlaufsformen, hohes Fie- hören darüber hinaus zu den kosteneffek- rapie sowie die nach wie vor beachtliche ber. Gelegentlich kann aber, insbesondere tivsten Präventivmaßnahmen in der Me- Frühsterblichkeit durch fulminante, inva- in der ersten Krankheitswoche, eine Hypo- dizin. Wer das Schicksal eines Patienten sive Infektionen vor Beginn einer adäqua- thermie bestehen. Die meisten Todesfälle mit bleibenden Lähmungen nach Polio- ten Therapie. durch Diphtherie sind auf kardiale Kom- myelitis oder das von Eltern, deren Kind Als notwendige Voraussetzung für das plikationen (v. a. Myokarditis) zurückzu- an einer Meningitis durch Haemophilus in- Verständnis der unveränderten Notwen- führen. Der Stellenwert der sicheren und fluenzae Typ B verstorben ist, nachvollzie- digkeit von Standardimpfungen sollen im effektiven Impfung wird dadurch unter- hen kann, weiß den Wert der davor schüt- Folgenden die wesentlichen Risiken der strichen, dass nicht einmal die durchge- zenden Impfungen zu schätzen. Wer dies entsprechenden Krankheiten in Erinne- machte Krankheit eine bleibende Immuni- nicht kann, wird möglicherweise Impfun- rung gerufen werden. tät hinterlässt. gen gegenüber skeptisch eingestellt sein. Denn gerade weil wegen der herausragen- Diphtherie Tetanus den Impferfolge einige präventable Krank- heiten nicht mehr im Bewusstsein der Be- Die Diphtherie ist eine akute, lebensbe- Der Wundstarrkrampf entsteht durch völkerung verankert sind, wird von man- drohliche Infektionskrankheit der Atem- Clostridium tetani, das nach Verletzungen chen Laien – aber auch Ärzten – die Not- wege, die durch das Toxin bildende Coryne- der Hautbarriere als Bakterium bzw. dessen wendigkeit des Impfschutzes angezweifelt, bacterium diphtheriae hervorgerufen wird. Sporen aus der Umgebung in den Organis- und vermeintliche und tatsächliche Impf- Sie verursachte noch in den 40er-Jahren mus eindringt und im anaeroben Milieu der nebenwirkungen werden gleichzeitig über- des letzten Jahrhunderts in Deutschland sich verschließenden Wunde proliferiert bewertet []. Der Herausforderung an die jährlich Tausende von Todesopfern, vor- und ein potentes Neurotoxin (Tetanospas- notwendige, fortgeführte Aufklärung über wiegend im Kindesalter. Obwohl hier we- min) bildet. Je verschmutzter die Wunde ist, die nach wie vor bestehenden Risiken von gen der hohen Akzeptanz der Schutzimp- desto größer ist das Infektionsrisiko. Häu- Infektionskrankheiten müssen wir uns stel- fung mit Diphtherietoxoid heute nur noch fig sind aber auch scheinbare Bagatellverlet- len. vereinzelt Krankheitsfälle auftreten, ist die zungen Ausgangspunkt für Tetanus [3]. Te- Diphtherie keineswegs eliminiert [2]. Das tanospasmin interferiert mit den inhibitori- Kenntnis der Risiken von Krankheitsbild ist durch fibrinöse Exsuda- schen Synapsen an der Muskelendplatte, in- Infektionskrankheiten als te im Pharynx (Rachendiphtherie) und dem es die Freisetzung von Neurotransmit- Voraussetzung für die Akzeptanz Larynx gekennzeichnet (Kehlkopfdiph- tern verhindert. Dies bedingt eine Dauersti- von Impfmaßnahmen therie) und geht mit einem charakteristi- mulation exzitatorischer Nerven, die so zu schen bellenden Husten (Krupp) einher. anhaltenden Muskelkontraktionen führt. Enorme Fortschritte auf dem Gebiet der Dieser kann durch Verlegung der Glottis Diese treten initial lokal im Bereich der ur- antimikrobiellen Therapie haben zu ei- zum Erstickungstod führen. Systemische sprünglichen Eintrittspforte, später auch ner signifikanten Reduktion von Morbidi- Manifestationen werden durch das Diph- systemisch durch lymphatische bzw. häma- Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 12 · 2004 | 1129
Leitthema: Impfen Tabelle 1 Komplikationen der Pertussis in Abhängigkeit vom Erkrankungsaltera Komplikation Alter 9 Jahre Alle (n=63) (n=59) (n=610) (n=846) (n=62) (n=1640) n [%] [%] n [%] n [%] n [%] n [%] Pneumonie 2 –(3,2) – 8 (1,3) 18 (2,1) – 28 (1,7) Apnoe/Zyanose 10 (15,9) 1 (1,7) – 1 (0,1) – 12 (0,7) Otitis media – – 6 (0,9) 4 (0,5) – 10 (0,6) Erschwerte Nahrungsaufnahme/ 2 (3,2) – 2 (0,3) 2 (0,2) 1 (1,6) 7 (0,4) Erbrechen Kardiopulmonal 1 (1,7) – – – – –1 (0,1) Tod – 1 (1,7) – – – 1 (0,1) Andereb 1 (1,6) 2 (3,4) 13 (2,1) 20 (2,4) 2 (3,2) 38 (2,3) Alle 15 (23,8) 3 (5,1) 29 (4,8) 45 (5,3) 3 (4,8) 95 (5,8) a Modifiziert nach Heininger et al. [5], b einschließlich Epistaxis, Leistenhernie, häufige Paroxysmen, Bronchitiden u. a. togene oder direkte axonale Ausbreitung in tussis hervorgerufen wird. Die typische Er- Pertussis tritt in Deutschland weiterhin en- das zentrale Nervensystem in Erscheinung. krankung verläuft nach einer Inkubations- demisch auf, ferner muss etwa alle 4 Jahre Frühe Krankheitszeichen sind motorische zeit von 7–28 Tagen in 3 Stadien: Das Sta- mit Epidemien gerechnet werden. In jüngs- Unruhe, Zittern und ausgeprägte schmerz- dium catarrhale umfasst etwa –2 Wochen ter Zeit ist ein epidemiologischer Wandel hafte Kontraktionen der Masseter- und Kie- und ist durch Rhinitis und einen zunächst eingetreten, der zu vermehrten Krankheits- fermuskeln (risus sardonicus). Fieber fehlt unspezifischen Husten gekennzeichnet. Es fällen bei Schulkindern, Jugendlichen und oftmals. Die Beteiligung der Atemmuskula- folgt das Stadium convulsivum, das sehr va- Erwachsenen geführt hat [7]. Neue Impf- tur ist lebensbedrohlich. Zusätzlich beste- riabel etwa –2 Wochen andauern kann strategien unter Berücksichtigung von hen ausgeprägte Schluckstörungen (ähn- und typischerweise mit anfallsartigem Hus- Auffrisch- und Nachholimpfungen bei Ju- lich der Tollwut), Hyperreflexie, Opistho- ten, Hervorwürgen von zähem Schleim gendlichen und Erwachsenen sind deshalb tonus, durch das Neurotoxin verursachte oder Erbrechen sowie mit einem inspirato- in der Diskussion. Gegenwärtig (August Krampfanfälle und Larynxspasmus. Bron- rischen Juchzen im Anschluss an die Hus- 2004) empfiehlt die Ständige Impfkommis- chialer Sekretstau führt oftmals zu einer se- tenattacken einhergeht. Schließlich endet sion (STIKO) bereits eine generelle 5. Per- kundären Pneumonie. die Krankheit mit dem mehrere Wochen tussisimpfung für Jugendliche im Alter Während früher vor allem Neugebore- andauernden Stadium decrementi, in wel- von 9–7 Jahren sowie eine einmalige Imp- ne in den „Gebäranstalten“ (Nabelinfekti- chem die Symptome abklingen, durch exo- fung für folgende Erwachsene mit erhöh- on) und Kleinkinder (hohes Verletzungs- gene Reize aber weiterhin Hustenattacken tem Infektionsrisiko und ohne adäquaten risiko) an Tetanus erkrankten, sind heu- ausgelöst werden können. Die Komplikati- Immunschutz (d. h. ohne Impfung oder te dank wirksamer Impfstoffe [4] und ho- onsrate bei Pertussis beträgt in den ersten mikrobiologisch bestätigte Erkrankung in- her Durchimpfungsrate im Kleinkindes- 6 Lebensmonaten etwa 25% (Apnoen, Pneu- nerhalb der vergangenen 0 Jahre): und Jugendalter in erster Linie ältere Men- monien), danach sinkt sie auf 5% (. Tabel- schen mit unzureichendem Impfschutz le 1). Die Letalität der Säuglingspertussis F Frauen mit Kinderwunsch (präkon- betroffen. In Deutschland erkrankten zwi- liegt bei % [5]. Die „Pertussisenzephalopa- zeptionell), schen 99 und 2000 ca. 25 Personen an thie“ wird auf Hypoxien im Rahmen des F enge Haushaltskontaktpersonen (El- Tetanus. Die Sterblichkeit liegt trotz in- paroxysmalen Hustens zurückgeführt und tern, Geschwister) und Betreuer (z. B. tensivmedizinischer Behandlungserfolge manifestiert sich in Form von zerebralen Tagesmütter, Babysitter, ggf. Großel- (wochen- bis monatelange artifizielle Beat- Krampfanfällen, Muskelparesen und Be- tern), spätestens 4 Wochen vor Geburt mung unter kontinuierlicher Muskelrela- wusstseinsstörungen. Ungeklärt ist die Pa- des Kindes, xation) noch immer bei etwa 25%. thogenese der im jungen Säuglingsalter ty- F Personal in Einrichtungen der Pädiat- pischen Apnoen, die zu plötzlichen Todes- rie, der Schwangerenbetreuung und Pertussis fällen führen kann [6]. der Geburtshilfe sowie in Gemein- schaftseinrichtungen für das Vor- Der Keuchhusten ist eine akute Atem- > In Deutschland muss etwa schulalter und in Kinderheimen. wegsinfektion, die vorwiegend durch das alle 4 Jahre mit einer Pertussis- gramnegative Bakterium Bordetella per- epidemie gerechnet werden 1130 | Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 12 · 2004
Zusammenfassung · Abstract Poliomyelitis Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsf - Gesundheitsschutz 2004 · 47:1129–1135 DOI 10.1007/s00103-004-0951-z © Springer Medizin Verlag 2004 Die Poliomyelitis (Kinderlähmung) wird von 3 Virustypen (Pico-RNA-Viren) ver- U. Heininger ursacht, die fäkal-oral oder durch Aeroso- le von Mensch zu Mensch übertragen wer- Risiken von Infektionskrankheiten und der Nutzen von Impfungen den. Da zwischen diesen Virustypen keine Kreuzimmunität besteht, kann man grund- Zusammenfassung sätzlich 3-mal an Poliomyelitis erkranken. Fortschritte auf dem Gebiet der Hygiene, die Risiken der verhinderbaren Infektions- Nach oraler oder respiratorischer Aufnah- Ernährung und Infektionstherapie sowie krankheiten, über den Nutzen, die Sicher- me vermehren sich die Viren zunächst in Schutzimpfungen haben zu einem ausge- heit und die Effizienz der verfügbaren Impf- der Darmmukosa bzw. im Pharynx, ehe prägten Rückgang von Morbidität und Mor- stoffe und auch durch die Begründung der sie via hämatogene Aussaat bei einem talität durch Infektionskrankheiten geführt. bei uns öffentlich empfohlenen Impfun- Teil der Infizierten die motorischen Vor- Impfungen sind zudem eine der kostenef- gen entgegengewirkt werden. Dabei sind derhornzellen des Rückenmarks befallen fektivsten Präventivmaßnahmen. Dennoch Laien wie auch das Fachpersonal zu be- und zu asymmetrischen, schlaffen Läh- wird ohne Wissen um die nach wie vor be- rücksichtigen. Nur so kann unser Impfpro- mungen führen. Die Infektion verläuft stehenden Risiken von impfpräventablen gramm erfolgreich umgesetzt und fortge- bei der Mehrheit der Betroffenen (90– Krankheiten die Notwendigkeit von Schutz- führt werden. 95%) inapparent, 4–8% der Infizierten zei- impfungen heutzutage oftmals angezwei- gen milde Krankheitszeichen wie leichtes felt. Dieser Besorgnis erregenden Entwick- Schlüsselwörter Fieber, Rhinitis, Abgeschlagenheit und En- lung muss durch verstärkte Aufklärung Infektionskrankheiten · Risiken · teritis über etwa eine Woche. ZNS-Kom- und überzeugende Erläuterungen über Schutzimpfung · Aufklärung plikationen treten in Form der nichtpara- lytischen Poliomyelitis als aseptische Me- ningitis (–2%) bzw. als paralytische Polio- Complications of infectious diseases and benefits of immunization myelitis (%) auf. Letztere ist die gefürch- tetste Komplikation, weil sie in 0% der Fäl- Abstract le mit bleibenden Lähmungen einhergeht. Significant progress regarding hygiene, nu- the public about the risks of vaccine-pre- Zudem kann bei Beteiligung der Atem- trition, and antimicrobial treatment as well ventable diseases, efficiency, safety and ben- muskulatur eine bedrohliche respiratori- as immunizations have lead to a significant efits of available vaccines, as well as provid- sche Insuffizienz auftreten. Als besonde- decline of morbidity and mortality of infec- ing convincing arguments justifying current re Komplikationsform der paralytischen tious diseases in the recent past. Further- immunization recommendations. These ac- Poliomyelitis können Hirnnervenlähmun- more, immunizations are one of the most tivities are indispensable for successful im- gen hinzukommen (bulbäre bzw. bulbo- cost-effective tools for prevention. However, plementation and continuation of current pontine Poliomyelitis), die zu Schluckstö- lack of perception of the substantial risks of immunization programs. rungen, Augenmuskellähmungen sowie complications associated with infectious dis- Atem- und Herz-Kreislauf-Regulationsstö- eases cause doubts about the necessity of Keywords rungen führen. Die charakteristische Ate- immunizations today. This development is Infectious diseases · Risk · Immunization · minsuffizienz im Rahmen der komplizier- highly worrisome and needs to be adequate- Education ten Poliomyelitis war Hauptgrund für die ly addressed by informing physicians and Entwicklung der ersten klinisch anwend- baren künstlichen Beatmungsgeräte („ei- serne Lungen“) in den 40er- und 50er-Jah- ren. Bei etwa 0% der paralytisch erkrank- ten Patienten persistieren die Lähmungen und führen zur motorischen Invalidität. Jahre bis Jahrzehnte nach der Primärin- fektion kann es zum so genannten Postpo- liomyelitis-Syndrom kommen, das etwa 25% der einstmals paralytisch erkrankten Patienten betrifft und mit erneuter Muskel- schwäche und -atrophie in den einstmals erkrankten Muskelgruppen einhergeht [8]. Die Pathogenese dieser Spätkompli- kation ist nicht genau bekannt. Erkrankt eine Schwangere an Poliomyelitis, so kann Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 12 · 2004 | 1131
Leitthema: Impfen dies zum Abort oder beim Kind zu ange- Hepatitis B liale System. Die Krankheit beginnt mit borenen Muskellähmungen führen. den unspezifischen Zeichen eines respira- Bis zur Einführung der Schutzimpfung Die Hepatitis B ist eine DNA-Viruserkran- torischen Infektes wie Fieber, Rhinitis, Pha- trat die Poliomyelitis weltweit endemisch kung und wird durch infektiöse Körperse- ryngitis und unproduktivem Husten. Die auf. Im Jahr 96, kurz vor der Einführung krete wie Blut und Sperma von Mensch zu zweite Virämie führt zum klassischen mor- der oralen Poliomyelitis-Lebendvakzine Mensch übertragen [0]. Auch kann das billiformen Exanthem und zur Ausbrei- (OPV), wurden in der damaligen Bundes- Virus bei einer chronischen Hepatitis B tung der Viren im Respirationstrakt mit republik Deutschland 446 Krankheitsfäl- der Mutter perinatal das Neugeborene in- Husten, Konjunktivitis, erneutem Fieber le gemeldet, von denen 305 letal verliefen. fizieren, weshalb bei exponierten Neuge- (meist >39°C) und ausgeprägter Malaise. Nach Einführung der Impfung gingen die borenen die aktiv-passive Simultanimp- Masern sind gefürchtet, weil sie zu einer Erkrankungszahlen schlagartig zurück. fung dringend indiziert ist. Etwa 75% der Vielzahl von Komplikationen führen kön- Seit 992 traten keine Infektionen durch Hepatitis-B-Infektionen verlaufen anikte- nen, für die vor allem die virusbedingten das Wildtyp-Virus mehr auf. risch mit unspezifischen Symptomen. Die passageren Störungen des Immunsystems restlichen 25% gehen mit einem mehrwö- verantwortlich gemacht werden: Leukope- Infektionen durch Haemophilus chigen Ikterus einher, wobei in % der Fäl- nie (Lymphozytopenie und Neutropenie), influenzae Typ b le eine lebensbedrohliche, fulminante He- verminderte Interferonproduktion und patitis in Erscheinung tritt, die meist töd- Mitogenstimulierbarkeit der Lymphozy- Haemophilus influenzae Typ b (Hib) ist ein lich endet, es sei denn, dass eine Spender- ten sowie reduzierte Immunreaktion vom gramnegatives Stäbchenbakterium, das leber zur Transplantation zur Verfügung verzögerten, zellvermittelten Typ. durch Tröpfchen von Mensch zu Mensch steht. Langzeitfolgen der asymptomati- übertragen wird. Es besiedelt in den ersten schen oder symptomatischen Hepatitis B > Auch heute treten in Europa Lebensjahren den Nasopharynx und führt sind beim Übergang in eine chronische wegen unzureichender Durch- durch Überwinden der Schleimhautbarrie- Hepatitis – mit kontinuierlicher Virusre- impfungsraten immer wieder re oftmals zu lokalen Infektionen wie Pha- plikation und anhaltender Kontagiosität Masernepidemien auf ryngitis, Sinusitis, Otitis media, Mastoidi- des Patienten – zu erwarten. Hierbei wird tis, Konjunktivitis, Bronchitis und Pneu- die häufigere chronisch-persistierende (an- Die bedeutsamsten Komplikationen der monie. Von besonderer Bedeutung sind haltende Erhöhung der Lebertransamina- Masern sind die akute Otitis media (ca. invasive Infektionen wie eitrige Meningi- sen) von der selteneren chronisch-aktiven 5%, meist sekundär bakteriell), Pneumo- tis, Epiglottitis, Phlegmonen, eitrige Arthri- Form (Leberzellnekrosen) unterschieden. nien (bis zu 50%, primär viral oder sekun- tis, Osteomyelitis und Sepsis. Die schubweise verlaufende chronisch- där bakteriell) und insbesondere die En- Vor Einführung der entsprechen- aktive Form führt häufig zu Leberzirrho- zephalitis (0,5–2 pro 000), die eine Leta- den Schutzimpfung (990) erkrankte in se, portaler Hypertension und zum hepa- lität von 20% aufweist und in 30% der Fäl- Deutschland etwa jedes 500. Kind in den tozellulären Karzinom (Lebenszeitrisiko le mit Dauerschäden einhergeht. Auch in ersten 5 Lebensjahren an einer invasiven 40–50%!). Das Risiko der Chronifizierung der heutigen Zeit treten in Europa wegen Hib-Infektion. Zudem war Hib mit einem ist altersabhängig: Sie tritt zu ca. 90% nach unzureichender Durchimpfungsraten wie- Anteil von mehr als 50% der häufigste Er- einer Infektion im Neugeborenen- und derholt Masernepidemien auf, wie zuletzt reger der eitrigen Meningitis im Kindesal- Säuglingsalter, zu ca. 40% nach einer In- in Italien, der Schweiz und in Deutschland ter. Die Letalität betrug hier etwa 5%. In fektion im Kleinkindesalter und bis zu []. Dabei hat sich gezeigt, dass die genann- ca. 30% aller Fälle traten Dauerschäden in ca. 0% nach einer Infektion von Jugend- ten, vor der Impfära ermittelten Komplika- Form von Schwerhörigkeit bzw. Taubheit lichen und Erwachsenen in Erscheinung. tionsraten auch heute noch Gültigkeit be- und schweren Entwicklungsverzögerun- Moderne Virustatika zeigen eine nur ein- sitzen und an sich vermeidbare Todesfäl- gen auf. Die Epiglottitis – eine charakteris- geschränkte Wirksamkeit, was den Stellen- le und Dauerschäden in Kauf genommen tische, perakute Krankheit mit hohem Fie- wert der prophylaktischen Schutzimpfung werden müssen. ber, inspiratorischem Stridor, Dysphagie unterstreicht. und Dyspnoe – verlief ebenfalls in bis zu Mumps 5% der Fälle letal, wobei sich die meisten Masern Todesfälle auf dem Weg in die Klinik ereig- Mumps (Parotitis epidemica) wird durch neten. Auch heute sind invasive Hib-Infek- Die Masern sind eine häufige, ernst zu neh- Tröpfcheninfektion sowie durch Kontakt tionen, die überwiegend bei unzureichend mende Virusinfektion, die durch Tröpf- mit infektiösem Speichel von Mensch zu geimpften Kindern auftreten [9], unverän- chen von Mensch zu Mensch übertra- Mensch übertragen. Die Viren replizieren dert bedrohlich. Dank der generellen Hib- gen wird. Der Erreger ist sehr kontagiös, zunächst in den Epithelzellen des Naso- Impfung im Kindesalter werden aber jähr- und die Infektion besitzt einen Manifesta- pharynx, ehe im Rahmen der Virämie die lich nur noch weniger als 00 invasive In- tionsindex von >95%. Die Viren vermeh- Glandotropie zu einem Befall der Gll. par- fektionen gemeldet. ren sich zunächst lokal in den Epithelzel- otis, sublingualis und submandibularis len des Nasopharynx, gefolgt von der virä- und des Pankreas führt. Mehr als die Hälf- mischen Aussaat in das retikuloendothe- te der Mumpsinfektionen verläuft oligo- 1132 | Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 12 · 2004
symptomatisch (als unspezifischer respi- Bei Schwangeren führen die Röteln zu litis und Pneumonie im Vordergrund [7, ratorischer Infekt) oder asymptomatisch. einer Infektion der Plazenta mit Übertritt 8]. Die Komplikationsrate steigt mit zu- In den übrigen Fällen stellen sich gering- der Viren auf den Embryo [6]. Dort ver- nehmendem Alter. Immunsupprimierte gradiges Fieber, Krankheitsgefühl und ursacht das Virus charakteristische Fehl- Patienten haben ebenfalls ein stark erhöh- die charakteristische Schwellung einer bildungen bzw. einen Abort. Das Risiko tes Komplikationsrisiko. oder beider Parotiden ein. Bei Mitbeteili- für die Ausbildung entsprechender Schä- Für Neugeborene, deren Mütter 2 Tage gung des Pankreas treten zum Teil hefti- digungen ist vom Infektionszeitpunkt vor bzw. bis zu 5 Tage nach der Geburt an ge Bauchschmerzen auf, die Begleitnephri- abhängig und beträgt im . Schwanger- Varizellen erkranken, und für Frühgebo- tis äußert sich in einer Mikrohämaturie. schaftsmonat ca. 70%, im 2. Schwanger- rene mit mangelhaftem transplazentaren Vereinzelt wurde die Auslösung eines Dia- schaftsmonat 40%, im 3. und 4. Schwan- Nestschutz (
Leitthema: Impfen bert Koch-Institut zeigt dann erwartungs- gemäß die gewünschte Auswirkung: Die Zahl an Krankheitsfällen geht bei ausrei- chender Akzeptanz in der Bevölkerung signifikant zurück. Eindrucksvolle Beispie- le dafür sind der initiale Rückgang und die spätere Elimination der Poliomyelitis in Deutschland und in zahlreichen anderen Ländern nach Einführung der oralen tri- valenten Poliomyelitis-Lebendvakzine (Sa- bin) bzw. der inaktivierten Vakzine (Salk) Ende der 50er-Jahre sowie die drastische Reduktion invasiver Infektionen durch Haemophilus influenzae Typ b bei Säuglin- gen und Kleinkindern nach Einführung Abb. 1 8 Poliomyelitiserkrankungen in Deutschland 1946–1999 der Polysaccharid-Proteinkonjugat-Vakzi- nen ab 990 (. Abb. 1 und 2). Der Erfolg eines Impfprogramms hängt aber nicht nur von der Effektivität eines Impfstoffes, sondern auch von der Ef- fizienz des Programms ab. Eine hohe Effi- zienz ist nur bei ausreichender Akzeptanz der entsprechenden Impfung gewährleis- tet. Die aktuelle öffentliche Diskussion um Sinn und Notwendigkeit der allgemeinen Varizellenimpfung im frühen Kindesalter mag dies illustrieren: Der Nutzen der Imp- fung für das Individuum, d. h. Reduktion der Erkrankungswahrscheinlichkeit bzw. des Schweregrads der Krankheit und der Komplikationsrate, als auch für die Allge- meinheit (günstiges Kosten-Nutzen-Ver- hältnis) sind zweifelsfrei nachgewiesen [23]. Dennoch mag aus der Sicht des ein- zelnen Arztes die Notwendigkeit einer all- gemeinen Impfung angezweifelt werden. Abb. 2 8 Haemophilus-influenzae-Meningitis in der ehemaligen DDR und den neuen Folgender Auszug aus dem Brief eines Bundesländern 1983–1999 Praxispädiaters an den Autor (in seiner Funktion als STIKO-Mitglied) verdeut- licht dies: „In über 20 Jahren praktischer diesen Einsatz nachgewiesen. So traten bei- sich im Nachhinein in Phase-IV-Studien Kinderarzttätigkeit erleben wir die Vari- spielsweise in der britischen Armee im auf der Basis der überproportional rück- zellen als eine (bis auf exotisch seltene Su- 2. Weltkrieg nach Einführung der Schutz- läufigen Morbidität bei Geimpften im Ver- perinfektionen, meist Streptokokken) un- impfung mit Tetanustoxoid kaum noch Er- gleich zu Ungeimpften der Erfolg der Impf- komplizierte Kinderkrankheit, die bei uns krankungen an Wundstarrkrampf auf, wo- maßnahmen belegen [22]. (...) noch nie zu stationärer Einweisung ge- hingegen im . Weltkrieg unter den damals Heutzutage gehen aber der Zulassung führt hat. ... Wenn die Varizellenimpfung noch ungeschützten Soldaten zahlreiche eines Impfstoffes im Allgemeinen ausrei- tatsächlich empfohlen werden sollte, wer- Todesopfer zu beklagen waren [4]. Auch chend große Phase-III-Studien voraus, den sich viele niedergelassene Kollegen in jüngerer Zeit kamen bisweilen Impfstof- in denen der zweifelsfreie Wirksamkeits- nicht ernst genommen fühlen ...“ Es ist of- fe zur Anwendung, ohne dass zuvor in ei- nachweis erfolgt. Die dadurch gewonne- fensichtlich, dass der nachgewiesene allge- ner Phase-III-Studie der formale Wirksam- nen Daten und Erkenntnisse erleichtern meine Nutzen einer Impfung aus der indi- keitsnachweis erfolgte, wie z. B. die Menin- die Formulierung von Empfehlungen und viduellen Perspektive oftmals schwer zu er- gokokkengruppe-C-Konjugatimpfstoffe in fördern die Compliance bei deren Umset- kennen ist, wenn das individuelle Kompli- Großbritannien ab 999. Wenn ein derarti- zung. Der anschließende allgemeine Ein- kationsrisiko relativ gering ist bzw. sich we- ges Impfprogramm durch gute epidemio- satz des Impfstoffes nach entsprechen- gen des endemischen Auftretens der ent- logische Surveillance begleitet wird, lässt der Empfehlung durch die STIKO am Ro- sprechenden Infektionskrankheit (im Ge- 1134 | Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 12 · 2004
Buchbesprechung gensatz zum epidemischen Auftreten) ein 11. Siedler A, Hermann M, Schmitt HJ, von Kries R H. Kraus, A. Weber, M. Appel et al. (2002) Consequences of delayed measles vaccinati- gewisser Gewöhnungseffekt eingestellt on in Germany. Pediatr Infect Dis J 21:826–830 Zoonosen hat. 12. Sultz HA, Hart BA, Zielezny M, Schlesinger ER Von Tier zu Mensch übertragbare In- Umfangreiche Aufklärungskampagnen (1975) Is mumps virus an etiologic factor in juveni- fektionskrankheiten le diabetes mellitus. J Pediatr 86:654–656 und detaillierte Erläuterungen ) zu den Ri- 13. Dejucq N, Jegou B (2001) Viruses in the mammali- Köln: Deutscher Ärzte Verlag 2004, 605 S., siken der zu verhütenden Infektionskrank- an male genital tract and their effects on the repro- 100 Abb., 102 Tab., (ISBN 3-7691-0406-4), heit, 2) zum Nutzen, zur Sicherheit und ductive system. Microbiol Mol Biol Rev 65:208–231 119.00 EUR 14. Koskiniemi M, Korppi M, Mustonen K et al. 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Lancet 2:781–784 Nachweismethoden wie die PCR/real-time PCR atrie) zu berücksichtigen, da diese Fach- 17. Jaeggi A, Zurbruegg R, Aebi C (1998) Complicati- eingeführt, die einen schnellen und sicheren ons of varicella in a defined central European popu- Erregernachweis ermöglichen. gruppen einen erheblichen Einfluss auf lation. Arch Dis Child 79:472–477 Die Kapitel zu den einzelnen Erkrankungen die Meinungsbildung von Eltern haben 18. Zucol F, Kaymak C, Bittel M et al. (2002) Varizellen sind übersichtlich aufgebaut. Neben Ätiologie, können. Dies alles sind unabdingbare Vo- – eine harmlose Kinderkrankheit? Monatsschr Kin- Vorkommen und Verbreitung, Übertragungs- raussetzungen für die erfolgreiche Umset- derheilkd 150:497–500 wege und Krankheitsbild wird ausführlich auf 19. Grose C (1994) Congenital infections caused by va- Diagnose und Differentialdiagnose eingegan- zung eines Impfprogramms. ricella zoster virus and herpes simplex virus. Semin gen. Abschließend wird über Therapie- und Pro- Pediatr Neurol 1:43–49 20. Plotkin SA (2003) Vaccines, vaccination, and vacci- phylaxemöglichkeiten berichtet. Die Liste von Korrespondierender Autor weiter führenden Publikationen ist hilfreich für nology. J Infect Dis 187:1349–1359 Prof. Dr. U. Heininger 21. Anderson RM, Donnelly CA, Gupta S (1997) Vacci- diejenigen, die sich näher mit einem speziellen ne design, evaluation, and community-based use Thema beschäftigen wollen. Für einzelne Erre- Abt. Pädiatrische Infektiologie und Vakzinologie, for antigenically variable infectious agents. Lancet ger werden zudem separat Angaben zur PCR- Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB), 350:1466–1470 Analyse gemacht. Da insbesondere in diesem Postfach, 4005 Basel, Schweiz 22. Ramsay ME, Andrews N, Kaczmarski EB, Miller E Bereich eine schnelle Weiterentwicklung statt- E-Mail: Ulrich.Heininger@unibas.ch (2001) Efficacy of meningococcal serogroup C con- findet, können diese Angaben z.B. zu Primern jugate vaccine in teenagers and toddlers in Eng- etc. nur als Orientierung angesehen werden. land. Lancet 357:195–196 Literatur 23. Banz K, Wagenpfeil S, Neiss A et al. (2003) The cost- Insgesamt liefert dieses bereits in 3. Auflage effectiveness of routine childhood varicella vacci- erscheinende und erheblich erweiterte Werk 1. Heininger U (2004) The success of immunization- nation in Germany. Vaccine 21:1256–1267 eine wertvolle Grundlage, um einen Überblick shovelling its own grave? Vaccine 22:2071–2072 über die Vielzahl der Zoonosen zu gewinnen. 2. Markina SS, Maksimova NM, Vitek CR et al. (2000) Die Erreger, die von Tieren auf den Menschen Diphtheria in the Russian Federation in the 1990s. übertragen werden und beim Menschen teilwei- J Infect Dis 181 [Suppl 1]:S27–34 se schwerwiegende Erkrankungen hervorrufen 3. Hullstrung HD, Mausezahl D, Feuz M et al. (2003) können, werden nach Erregergruppen abgehan- Tetanus immunisation in geriatric patients with ac- delt. Etwa ein Drittel des Buches beschäftigt sich cidental wounds: how much is needed? Swiss Med mit den viralen Erkrankungen, gefolgt von den Wkly 133:227–232 4. Boyd JSK (1946) African and European theatres of Kapiteln über bakterielle Infektionen sowie Er- war 1939–1945. Lancet 1:113–119 krankungen durch Pilze und Parasiten. Hilfreich 5. Heininger U, Klich K, Stehr K, Cherry JD (1997) Cli- sind die Kapitel, die als Anhang hinzugefügt nical Findings in Bordetella pertussis Infections: re- sind: zusammengefasst sind hier unter anderem sults of a prospective multicenter surveillance stu- Erkrankungen, die durch Tierbisse übertragen dy. Pediatrics 100: www.pediatrics.org/cgi/con- werden können, sowie Infektionen und Intoxi- tent/full/100/6/e10 kationen durch tierische Nahrungsmittel, die 6. Heininger U, Stehr K, Schmidt-Schläpfer G et Reservoire für die verschiedensten Erreger und al. (1996) Bordetella pertussis infections and sud- die Übertragungswege (z.B. Vektoren). den unexpected deaths in children. Eur J Pediatr 155:551–553 Den Abschluss bildet das Kapitel über 7. Heininger U (2003) Epidemiologie. In: Heininger Meldepflicht von Zoonosen beim Menschen U (Hrsg) Pertussis bei Jugendlichen und Erwachse- und über die Anzeige und Meldepflicht von nen, 1. Aufl. Thieme, Stuttgart, S 24–34 Zoonosen beim Tier in Deutschland, Österreich 8. Ramlow J, Alexander M, LaPorte R et al. (1992) Epi- und der Schweiz. demiology of the post-polio syndrome. Am J Epide- Dieses Buch ist für Mediziner, Veterinärmedi- miol 136:769–786 ziner und Biologen eine wertvolle Informations- 9. Schmitt HJ, von Kries R, Hassenpflug B et al. (2001) quelle, die auch z.Zt. aktuelle Themen aufgreift Haemophilus influenzae type b disease: impact und kompetent abhandelt wie z.B. West-Nil-Vi- and effectiveness of diphtheria-tetanus toxoids- acellular pertussis (-inactivated poliovirus)/H. influ- rus-Infektionen und vCJK. enzae type b combination vaccines. Pediatr Infect G. Pauli (Berlin) Dis J 20:767–774 10. Jilg W (2000) Epidemiology, diagnosis and preven- tion of viral hepatitis. Chirurg 71:374–380 Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 12 · 2004 | 1135
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